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VIII. AUS DER CHIRURGISCHEN PRIVATKLIN1K DES DR. HARTMANN IN KASSEL. Ein Beitraff zur Behandlung der Isehias. Von Dr. meal. Otto Hartrnann in Kassel. In letzter Zeit ist ein Fall von Ischias in meine Behandlung gekommen, der sowohl wegen der Gutartigkeit und Kiirze seines Verlaufes als auch wegen der angewandten Behandlungsmethode einiges Interesse verdient. F. H., 25 Jahr alt; aufgenommen in die Privatklinik am 3. Dezember 1902, entlassen am 2. Januar 1903. Anamnese: Vater hat viel an Rheumatismus und Gicht gelitten und ist an Herzfehler gestorben. Mutter lebt und ist stets gesund gewesen. Ge- schwister gesund bis auf einen Bruder, der im Jahre 1893 in die Irrenanstalt zu Marburg wegen Nervenschwiiche iiberfiihrt werden musste. Er wurde nach 5 Monaten wieder entlassen und sp~ter naeh einem Riiekfalle fiir unheil- bar erklKrt. Pat. selbst erkrankte im 11. Lebensjahre an Influenza und zog sich dutch einen Fall in eine 11/2 m tiefe Grube leichte Riickenschmerzen zu, die eine Zeitlang anhielten und wi~hrend tier Arbeit in der Landwirtschaft, haupts~ehlich in gebtickter Stellung, empfunden wurden. Im ManSver 1899 akquirierte er sich eine Erk~ltung, die nach Aussage des behandelnden Arztes eine Leberkrankheit mit Gelbsucht im Gefolge hatte. Im Friihjahr 1902, als er beim Aufladen eines Wagens besch~ftigt war, will er sich durch eine plStzliche Bewegung nach riickw.Xrts den Oberschenkel verrenkt haben, was sich beim Biicken in leise stechenden Schmerzen in der NiChe des Hiiftgelenkes auf der hinteren Seite des Oberschenkels geltend maehte. Von M~rz 1902 konnte Pat. das Bein nicht mehr ges~reckt in die H5he bringen. Den ganzen Sommer hielten bei der Arbeit leichte Schmerzen unver/indert an und nahmen im Oktober zu. Jede, auch leichtere Arbeit, z. B. ein einstiindiger Marsch, versti~rkte die Schmerzen derartig, dass er

Ein Beitrag zur Behandlung der Ischias

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Page 1: Ein Beitrag zur Behandlung der Ischias

VIII .

AUS DER CHIRURGISCHEN PRIVATKLIN1K DES DR. HARTMANN IN KASSEL.

Ein Beitraff zur Behandlung der Isehias. Von

Dr. meal. Otto Hartrnann in Kassel.

In letzter Zeit ist ein Fall von Ischias in meine Behandlung gekommen, der sowohl wegen der Gutartigkeit und Kiirze seines Verlaufes als auch wegen der angewandten Behandlungsmethode einiges Interesse verdient.

F. H., 25 Jahr alt; aufgenommen in die Privatklinik am 3. Dezember 1902, entlassen am 2. Januar 1903.

A n a m n e s e : Vater hat viel an Rheumatismus und Gicht gelitten und ist an Herzfehler gestorben. Mutter lebt und ist stets gesund gewesen. Ge- schwister gesund bis auf einen Bruder, der im Jahre 1893 in die Irrenanstalt zu Marburg wegen Nervenschwiiche iiberfiihrt werden musste. Er wurde nach 5 Monaten wieder entlassen und sp~ter naeh einem Riiekfalle fiir unheil- bar erklKrt.

Pat. selbst erkrankte im 11. Lebensjahre an Influenza und zog sich dutch einen Fall in eine 11/2 m tiefe Grube leichte Riickenschmerzen zu, die eine Zeitlang anhielten und wi~hrend tier Arbeit in der Landwirtschaft, haupts~ehlich in gebtickter Stellung, empfunden wurden. Im ManSver 1899 akquirierte er sich eine Erk~ltung, die nach Aussage des behandelnden Arztes eine Leberkrankheit mit Gelbsucht im Gefolge hat te . Im Friihjahr 1902, als er beim Aufladen eines Wagens besch~ftigt war, will er sich durch eine plStzliche Bewegung nach riickw.Xrts den Oberschenkel verrenkt haben, was sich beim Biicken in leise stechenden Schmerzen in der NiChe des Hiiftgelenkes auf der hinteren Seite des Oberschenkels geltend maehte. Von M~rz 1902 konnte Pat. das Bein nicht mehr ges~reckt in die H5he bringen. Den ganzen Sommer hielten bei der Arbeit leichte Schmerzen unver/indert an und nahmen im Oktober zu. Jede, auch leichtere Arbeit, z. B. ein einstiindiger Marsch, versti~rkte die Schmerzen derartig, dass er

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unter best~ndigem Hin- und tIerlegen des Beines ausruhen musste. Im November erreichten die Schmerzen ihren HShepunkt; Pat. musste entweder ganz liegen oder nnter best~ndiger Bewegung das rechte Bein zur Linderung des Schmerzes in alle nur erdenklichen Lagen bringen. Beim Sitzen schlief das Bein sofort ein mit einem Gefiihle, als w~ren Ameisen in der Wade und in der Fussspitze.

S t a t u s : Gesund aussehender, gedrungener Mann mit gesunden Brnst- organen, der beim Gehen das reehte Bein sehont, indem er mit diesem Beine einen kiirzeren Schritt macht. Wirbels/iule verl~uft noeh gerade, nirgends druckempfindlieh. Beide Beine gleich lang, Trochanterspitze in der Roser - Ndlatonsehen Linie. S~mtliehe Bewegungen im Htiftgelenk ausreiehend mSg- lieh, ohne Krepitation und Schmerzen. Zwischen Tuber os. isehii und Tro- chanter major da, wo der Nervus ischiadieus die Incisura ischiadiea major verlgsst, werden auf Druek Sehmerzen geklagL An den typischen Stellen unterhalb des FibulakSpfchens und hinter dem Malleolus internus werden auf Druek keine Schmerzen ausgelSst. Wird das reehte Bein, das im Knie- gelenke gestreckt bleibt, im Hiiftgelenke maximal gebeugt, so werden fiber enorme Schmerzen in der Gegend der Incisura isehiadiea major geklagt, die bei wiederholter i)bung bisweilen in die Wade, bisweilen in den Fussriicken ausstrahlen sollen. Wird das kranke Bein im Hiiftgelenk etwas in gestreekter Stellung flekgiert, so werden ebenfMls dutch maximale Beugung des gesunden Beines Sehmerzen an der n/imlichen Stelle, aber nicht so heftig, ausgelSst. Der Umfang des rechten Obersehenkels geringer als der des linken. Grobe Kraft im reehten Beine ebenfalls etwas geringer. Per rectum vSllig negativer Be- fund. Der Urin enthglt kein Eiweiss, keinen Zucker.

Es wird heute noch mit Massage und Ubungen begonnen, die gusserst sehmerzhaft sind.

4. XII. 1903: Pat. konnte, da sich naeh den gestrigen l~bungen Schmerzen in den Oberschenkelflexoren eingestellt batten, das Bein aktiv weniger bewegen. 1)bungen und Massage werden fortgesetzt. Na&ts feuehge Einwickelungen.

10. XII. 1903: Naeh einem 3/~stiindigen Spaziergange keine Schmerzen wie friiher.

15. XII. 1903: Das Eingesehlafensein des rechten Beines, das sich be- stgndig beim Sitzen einzustellen ptlegt, bleibt aus. Pat. hat nieht mehr n5tig, beim Sitzen die Muskeln anzuspannen.

17. XII. 1903: Pat. hat ohne Aufsieht geturnt. Am Abend wieder ghnliche Schmerzen wie friiher. Die passiven Bewegungen sind dennoch am Abend ausgiebiger mi~glich, wenn aueh sehr sehmerzhaft.

Sehmerzen lassen wieder nach, geringe Par~isthesieen in der Fusssohle haben sieh wieder eingestellt.

25. XII. 1903: Ein gr5sserer Spaziergang naeh Wilhelmsh/ihe. Aufstieg geht gut, w~hrend beim Abstiege sich noch geringe Empfindungen bemerk- bar machen.

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410 Otto Hartmann.

Es wird auch versucht, die RSntgenstrahlen auf den Nervus ischiadicus einwirken zu lassen, doch wird bald davon Abstand genommen.

2. I. 1903: Die Bewegungen und Spazierg~nge werden immer beschwerde- freier, so dass Pat. mit gehSriger Anweisung nach Hause entlassen werden kann.

Zufolge eingezogener Erkundigungen geht es Pat. andauernd gut. Er ist im stande, sich fast jeder l.~ndlichen Arbeit zu unterziehen.

Was das ~tiologische Moment anlangt, so gibt dieser Fall ebensowenig wie so ~iele andere eine befriedigende Erkl~rung. MSglich ist es, dass unser erblich etwas veranlagte Pat. sich im ManSver 1899 beim Kampier.en auf feuchter Erde eine rheumatische~ aber latent verlaufende Affektion des Nervus ischiadieus zugezogen hat, die dann in diesem Friihjahre bei einem gering- fiigigen Trauma erst zum Ausbruche kam und manifest wurde. Dass die un- bedeutende u die Pat. beim Beladen eines Wagens davon getragen hatte, allein das urs~chliche Moment der ischialgischen Sehmerzen gewesen sein soll, will mir nicht recht einleuchten. Es diirfte sieh also auch hier, wie so oft, nicht um einen akuten Beginn der Erkrankung handeln, obwohl sich an das Trauma sofort das Auftreten der Ischias anschloss.

Merkwiirdig ist auch auf den ersten Blick, dass bei diesem Patienten durch das Tragen schwerer Lasten (Fruchts~cke) keine Sehmerzen hervor- gerufen werden, obwohl yon manchen Autoren angegeben wird, dass die Ischias gerade Dienstm~nner und Lasttr~ger bef~llt.

Dagegen werden langdauerndes Marschieren und sonstige angestrengte Arbeit, bei der Beugung und Streckung im Hiiftgelenke nicht zu vermeiden sind, wie sie eben der Beruf des Landwirts mit sich bringt, anfangs als l~stig und sp~ter als schmerzhaft empfunden.

Um yon den ischialgischen Schmerzen befreit zu werden, oder um sich ~venigstens voriibergehende Linderung zu verschaffen, werden alle mSglichen Lagewechsel eingenommen, bald scheint in dieser, bald in jener Lage den Schmerzen der malitiSse Charakter genommen zu sein. Ein l~ngeres u in derselben Lage oder Liegen auf der gesunden Seite, wobei die kranke Extremit~t etwas gebeugt und gegen den Leib angezogen wird, ist sehier un- m5glich. Ganz besonders schmerzhaft ist noch das Vorniiberbeugen des Ober- kSrpers mit gestreekten Knieen und beim Aufheben eines Gegenstandes yon ebener Erde muss das kranke Bein nach hinten ausgestreekt werden.

Man hat den Isehiasschmerz dem Gros der Neuralgieen einzureihen versucht. Mag er auch in manchen F~llen vollst~ndig den Charakter einer Neuralgic angenommen haben, so unterscheidet er sich in diesem Falle cloch ganz erheblich davon. Pat. wird niemals bei einer geringfiJgigen Reizung, z. B. bei Druck auf den Nerven oder bei einer kleinen Bewegung, yon blitz- artig, paroxysmenweise auftretenden Schmerzen iiberfallen, sondern es stellen sich die Schmerzen erst nach anhaltenden, schnell hintereinander folgenden Bewegungen ein, die dann dauernd sind und auf Druck in die Gegend der Incisura ischiadiea major sich noch steigern.

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Nur an dieser Stelle, wo der Nervus ischiadicus am unteren Rande des M. piriformis aus der Beckenh5hle tritt, ist der Schmerz lokalisiert und strahlt h5chst selten und zwar nur bei maximal und schnell hintereinander aus- gefiihrten Bewegungen in die Wadenmuskulatur oder in den Fussriicken, besonders zwischen erste und zweite Zehe aus. Andere Schmerzpunkte an der hinteren Fl~che des Oberschenkels, in der Ges~tssfalte, die Stellen unter- halb des FibulakSpfchens und hinter dem Malleolus internus kSnnen bei sorg- fs Untersuchung nicht ermittelt werden.

Der Charakter der Schmerzen hat in diesem Falle das Gute, dass er uns auf die richtige F~hrte, zur pathologiseh-anatomisehen Diagnose, leitet. Pat., Bin intelligenter junger Mann, der sich genau beobachtet hat, fiihrt das Entsteben der Sehmerzen darauf zuriick, dass auf der Hinterseite des Ober- schenkels etwas verkiirzt sei und dass dureh Dehnung dieses gewissen Etwas bei Bewegungen Schmerzen hervorgerufen wiirden.

Es wird sich demnaeh bei unserem Pat. nieht um das neuralgische Stadium handeln, bei dem kein oder nur ein wenig ausgesprochenes p~tho- logiseh-anatomisches Substrat gefunden wird, sondern die Ischias ist bereits in das Stadium getreten, wo man tatsgehlieh Vergnderungen vorfindet, die aber weniger die Nervensubstanz selbst betreffen, sondern in Verwaehsungen des Nerven mit seiner Seheide oder in perineuritisehen StrSmgen bestehen.

Auf dem Verlaufe zu den Endorganen kann als Regel gelten, dass der Nerv im Gegensatz zu den Gefgssen hierbei stets den ktirzesten Weg ein- schlggt, also a priori unter einer gewissen natiirliehen Spannung steht. Nur wenn die Endorgane, die yon dem Nerven versorgt werden, hiinfig Lagever- ~nderungen einnehmen miissen, bestehen yon dieser Regel wenige Ausnahmen, indem dann der Nerv auf scheinbarem Umwege zu dem Endorgane gelangt. Der Nerv ist demnach aufs genaueste den LageYerSmderungen angepasst und erseheint dadurch konservativer als das Organ in seinen Lageverh~ltnissen sieh prs

Wenn nun derartige abnorme Verwaehsungen des Nervus isehiadieus mit seiner Seheide oberhalb der Austrittstelle aus der Ineisura isehiadiea major und an der Ineisur selbst sieh herausgebildet haben, die meistens in gewShnlieher Lage, in gestreekter Stellung des Kranken oder bei leiehter Flexion im Hiiftgelenk zu entstehen pflegen, miissen bei ausgiebiger Flexion begreiflieh dureh Zerrungen des Nerven an seiner Seheide Schmerzen aus- gelSst werden; und wenn dann im Laufe der Zeit diese AdhSsionen des flit seine Zweeke soeben an L~nge ausreichenden Nerven dutch weitere Sehrump- lung fester und gespannter werden, was in der ftir den Landmann bequemen Winterszeit mSglieh ist, so nimmt es uns nieht Wunder, dass dann sp~ter bei jeder Besehgftigung Sehmerzen, die Pat. selbst ziehend und zerrend sehildert, hervorgerufen werden. Jetzt werden w i r e s aueh verstehen, dass das Tragen yon FruehtsS.eken keine Besehwerden auslSst, da ja dutch die Last, die auf den KSrper in der Riehtung yon oben naeh unten einwirkt, keine Spannung, sondern "~ielmehr eine Entspannung des Nerven bedingt wird. Nieht die Belastung des Beines, sondern die Liingenregulierung spielt die Hauptrolle.

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412 0tto Hartmann.

Nehmen wir demnach, obwobl der pathologische Befund durch eine Autopsie nicht klar gestellt ist, abnorme Verwachsungen als Ursache der Schmerzen an, so kann auch nur eine Behandlungsmethode yon Erfolg ge- krSnt sein und normale Verh~ltnisse wieder herstellen: die Dehnung des Nervus i s c h i a d i c u s oder v i e | m e h r die LSsung s e i n e r Verwach- sungen auf b l u t i g e m oder u n b l u t i g e m Wege. Wie eine Sehne, die nach langer Ruhigstellung bei entziindlichen Prozessen mit ihrer Scheide Verwach- sungen eingegangen ist~ durch fortw~hrende 0bung allm~hlich wieder los- gearbeitet und losgeschliffen werden muss, so muss auch am Nerven, der i~usserlich mit i~hnlichen physikalischen Eigenschaften ausgezeichnet ist, vor- gegangen werden.

Es hat ja allerdings Ba racz 1) behauptet, dass die yon T r o m b e t t a ~) empfohlene unblutige Dehnung nicht viele Anh~nger gefunden hat und des- halb ist es mir sehr lieb, einen Fall mitteilen zu kSnnen, bei dem durch diese Methode ein recht giinstiges und zufriedenstellendes Resultat erzielt ist. Der Pat. fiihlte sich bei dieser Behandlung schon im Verlaufe yon fiinf Wochen ganz erheblich gebessert, so dass er seine Arbeit wieder aufzunehmen im stande war.

Allerdings habe ich mir eine kleine Modifikation der bisher gebr~ueh- lichen Methode erlaubt.

W~hrend friiher, um die Verwachsungen zu 15sen, in Riickenlage des Pat., wobei der OberkSrper infolge seiner Schwere eine feste Lage inne hatte, die erkrankte Extremiti~t derartig als Hebelarm benutzt wurde, dass plStzlich und mit grosser Kraft das in Streckung gehaltene Bein im Hiiftgelenk flektiert wurde (Kocher3), habe ich beide unteren Extremitaten dicht oberhalb der Kniegelenke mit einem breiten Gurt auf den Operationstisch in gestreckter Stellung fixiert und am OberkSrper meinen Angriffspunkt gew~hlt.

Der OberkSrper des ebenfalls in Riickenlage liegenden Pat. wird mit beiden HKnden yon dem zu H/~upten stehenden Operateur erhoben und den unteren Extremit~ten in der Weise genKherI, dass der OberkSrper eine kleine Neigung nach der kranken Seite erf~hrt, wodurch eine nicht unbedeutende Steigerung der Wirkung erzielt" wird. Die Bewegungen werden rhythmisch ausgefiihrt, anfangs mit mKssiger Kraftanstrengung, sich aber best~ndig steigernd, um eine mSglichst ausgiebige Bewegung in der Hiifte zu erzielen, wobei der auf der Rfickseite des Gelenkes befindliche Nerv entsprechend ausgezogen wird. So ungemein schmerzhaft die Behandlung am Schlusse zu sein pflegt, so hat sich der Pat. ihr doch niemals entzogen, denn der Erfolg war ein in die Augen springender.

Diese neue Methode, im Anfange der Behandlung kombiniert mit der i~lteren, bei der die gestreckte ExtremitKt im Hiiftgelenke bewegt wird, hat sehr vieles fiir sick Denn sobald die Extremit~t im Htiftgelenke plStzlich

2) v. Baracz, Ein Vorschlag zur operativen Behandlung der Ischias. Zentralbla~t fiir Chirurgie 1902, Nr. 9, pag. 250.

2) Trombet ta , Sullo stiramento dei Nervi. Studii path. e. clin. Messina 1884. 3) Hi l tbrunner , Ischias und ihre Behaadlung. Inaug.-Diss., Bern 1898.

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und maximal gebeugt werden sell, spannt Pat. unwillkiirlieh die durch die Krankheit sehon an und ffir sieh gereizte Muskulatur dieser Extremiti~t mit an, so dass die Beugung nicht so ausgiebig und mithin die Zerrung des peri- pheren Nerven an der Nervenscheide nieht so betr~chtlich sein kann. Bei jeder Flexion fiihlen sich hierbei die Oberschenkelflexoren regelm~ssig brett- hart an, sind ~usserst empfindlich und sehalten die Wirkung unserer Mani- pulationen nieht unerheblich aus. Ausserdem werden bei dieser Flexion des gestreekten Sehenkels infolge grosset Schmerzen yon dem Pat. alle mSglichen Lagen auf dem Operationstische eingenommen, was bei der Ausfiihrung der Bewegungen ~usserst stSrend ist.

Bei der Beugung des OberkSrpers bei fixierten unteren Extremitgten dagegen ist der Muskeltonus erheblich sehlaffer, so dass die (i~bertragung der Kraftwirkung auf den Nervus isehiadieus welt mehr zur Geltung kommen muss.

Welter werden aueh yon unserem Pat. wie yon vielen anderen dutch maximale Beugung der gesunden, im Knie gestreckt gehaltenen ExtremitSt in der n~mlichen Gegend der Incisur Schmerzen, wean aueh weniger heftig, empfunden, die nur dutch eine Zerrung des erkrankten veto gesunden Nervus isehiadicus aus fiber die Wirbels~ule hinaus ausgelSst werden kSnnen. Aus diesem Phgnomen kann mit ~Tollster Sieherheit gesehlossen werden, dass durch die Flexion beider Obersehenkel im Hfiftgelenke, wie sie umgekehrt durch die eben besehriebene Bewegung des OberkSrpers erreieht wird, die Inten- siti~t der Kraft grOsser ist und der Einfluss auf den Nervus ischiadieus ihr proportional sein muss.

Mit dieser Deduktion stimmt auch iiberein, dass bei gleichzeitiger Flexion des gesunden, im Kniegelenk gestreckt gehaltenen Beines im Hfiftgelenke, die gewOhnlichen Obungen am kranken Beine nicht mehr in dem Masse ohne erhebliehe Schmerzen ausgefiihrt werden kSnnen.

Ich kann demnaeh, wenn ieh yon der grossen Muskelspannung absehe, die eine gewisse Kraft absorbiert, dureh blosse Bewegungen des kranken Beines zwar auch annghernd denselben Erfolg wie bei meiner Methode er- zielen, aber es muss mir ein Assistent zur Seite stehen, der die gesunde, im Knie gestreekte Extremitgt im Hiiftgelenk gebeugt hiilt.

Bei einem anderen Falle konnte durch dies unblutige Verfahren keine Besserung erzielt werden. Es wurde, naehdem alle Mittel versucht waren, die blutige Dehnung des Nervus isehiadieus in letzter Instanz ausgefiihrt. Der Operationsbefund war ein ,eSllig negatiYer, nur stand tier Nerv unter starker Spannung, so dass er naeh Naehlassen des Zuges sogleieh wieder wie ein sehr elastisehes Gummiband in seine alte Lage zurfieksehnurrte. Pat. wurde naeh neun Tagen mit leidlichem Gange entlassen und schreibt, dass es ibm, abgesehen yon einigen Pariisthesien in der Wade, recht gnt ginge, dass er sieh" ohne grosse Besehwerden schon sehwerer Arbeit wieder unter- ziehen kSnnte.