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V on der Schwerkraft haben wir noch immer die Vorstellung im Kopf, die der englische Physiker Isaac Newton vor dreihun- dert Jahren geprägt hat: Er be- schrieb sie als eine zwischen allen Massen wirkende Anziehungskraft. Wer aber Massen im freien Fall be- trachtet, stellt fest, dass es sich dabei um eine kräftefreie Bewe- gung handelt, die an der selben Stelle des Raums immer unabhän- gig von der Größe und Zusammen- setzung der beteiligten Massen ist. Albert Einstein zog daraus den Schluss, dass es sich bei der Gravi- tation um einen Effekt handelt, der von der geometrischen Struktur des Raums abhängt. Die Ausarbeitung dieser Idee führte 1915 zur Allge- meinen Relativitätstheorie. Nach Einsteins Ansicht ist der physikalische Raum kein starres Gerüst oder lediglich die Arena für die in der Natur ablaufenden Vor- gänge, sondern er nimmt selbst am Geschehen teil: Der Raum wird durch die Anwesenheit von Massen verformt. Die dadurch erzeugte Krümmung des Raums bestimmt die Bewegung anderer Massen und wirkt so scheinbar als ablenkende Kraft. Bewegen sich Massen be- schleunigt, so breiten sich die da- durch hervorgerufenen Änderun- gen in der Raumkrümmung mit Lichtgeschwindigkeit wellenförmig nach allen Seiten aus; so entstehen Gravitationswellen. Allerdings er- kannte schon Einstein, dass nur sehr große Massen mit sehr großen Beschleunigungen messbare Gravi- tationswellenausschläge, Amplitu- den genannt, erzeugen. Als mögli- che Quellen kommen daher nur as- trophysikalische Objekte oder Er- eignisse in Frage wie etwa Systeme aus Schwarzen Löchern und Neu- tronensternen oder Supernovae. Die Wirkung dieser Wellen äu- ßert sich als eine Verzerrung des Raums, als Dehnung und Stau- chung seiner geometrischen Struk- tur. Bei zwei senkrecht aufeinander stehenden Messstrecken führt dies zu einer unterschiedlichen Längen- änderung dieser beiden Richtun- gen. Ein Gerät, das den Längen- unterschied sichtbar macht, ist das so genannte Michelson-Interfero- meter. Man vergleicht damit die Laufzeitunterschiede von Licht- strahlen in den beiden Messstre- cken. Das Problem für den Experi- mentalphysiker besteht darin, dass die zu erwartenden Längenände- rungen extrem klein sind. Eine Supernova-Explosion in einer be- nachbarten Galaxie ändert bei- spielsweise die Länge einer ein Ki- lometer langen Teststrecke auf der Erde nur um ein Tausendstel eines Protonendurchmessers – und auch das nur für einige Millisekunden. Seit 40 Jahren wird versucht, Gravitationswellen nachzuweisen, aber erst heute besitzen wir die dazu notwendige empfindliche La- sermesstechnik. Der Gravitations- wellendetektor GEO600 ist ein Ge- meinschaftsprojekt deutscher und britischer Forschergruppen. Es han- delt sich dabei um ein Michelson- Interferometer mit 600 Meter lan- gen Messstrecken, das auf dem Ge- lände der Universität Hannover in Ruthe südlich von Hannover errich- tet wurde. Federführend sind Wis- senschaftler aus Hannover, Golm, Glasgow, Garching und Cardiff. Man erwartet Gravitationswellen- 4 forschung 1/ 2004 Naturwissenschaften Ein Horchposten ins Universum

Ein Horchposten ins Universum

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Von der Schwerkraft haben wirnoch immer die Vorstellungim Kopf, die der englische

Physiker Isaac Newton vor dreihun-dert Jahren geprägt hat: Er be-schrieb sie als eine zwischen allenMassen wirkende Anziehungskraft.Wer aber Massen im freien Fall be-trachtet, stellt fest, dass es sichdabei um eine kräftefreie Bewe-gung handelt, die an der selbenStelle des Raums immer unabhän-gig von der Größe und Zusammen-setzung der beteiligten Massen ist.Albert Einstein zog daraus denSchluss, dass es sich bei der Gravi-tation um einen Effekt handelt, dervon der geometrischen Struktur desRaums abhängt. Die Ausarbeitungdieser Idee führte 1915 zur Allge-meinen Relativitätstheorie.

Nach Einsteins Ansicht ist derphysikalische Raum kein starresGerüst oder lediglich die Arena fürdie in der Natur ablaufenden Vor-gänge, sondern er nimmt selbst amGeschehen teil: Der Raum wirddurch die Anwesenheit von Massenverformt. Die dadurch erzeugteKrümmung des Raums bestimmtdie Bewegung anderer Massen undwirkt so scheinbar als ablenkendeKraft. Bewegen sich Massen be-schleunigt, so breiten sich die da-durch hervorgerufenen Änderun-gen in der Raumkrümmung mitLichtgeschwindigkeit wellenförmignach allen Seiten aus; so entstehenGravitationswellen. Allerdings er-kannte schon Einstein, dass nursehr große Massen mit sehr großenBeschleunigungen messbare Gravi-tationswellenausschläge, Amplitu-den genannt, erzeugen. Als mögli-che Quellen kommen daher nur as-trophysikalische Objekte oder Er-eignisse in Frage wie etwa Systemeaus Schwarzen Löchern und Neu-tronensternen oder Supernovae.

Die Wirkung dieser Wellen äu-ßert sich als eine Verzerrung desRaums, als Dehnung und Stau-chung seiner geometrischen Struk-tur. Bei zwei senkrecht aufeinanderstehenden Messstrecken führt dieszu einer unterschiedlichen Längen-änderung dieser beiden Richtun-gen. Ein Gerät, das den Längen-unterschied sichtbar macht, ist dasso genannte Michelson-Interfero-meter. Man vergleicht damit die

Laufzeitunterschiede von Licht-strahlen in den beiden Messstre-cken. Das Problem für den Experi-mentalphysiker besteht darin, dassdie zu erwartenden Längenände-rungen extrem klein sind. EineSupernova-Explosion in einer be-nachbarten Galaxie ändert bei-spielsweise die Länge einer ein Ki-lometer langen Teststrecke auf derErde nur um ein Tausendstel einesProtonendurchmessers – und auchdas nur für einige Millisekunden.

Seit 40 Jahren wird versucht,Gravitationswellen nachzuweisen,

aber erst heute besitzen wir diedazu notwendige empfindliche La-sermesstechnik. Der Gravitations-wellendetektor GEO600 ist ein Ge-meinschaftsprojekt deutscher undbritischer Forschergruppen. Es han-delt sich dabei um ein Michelson-Interferometer mit 600 Meter lan-gen Messstrecken, das auf dem Ge-lände der Universität Hannover inRuthe südlich von Hannover errich-tet wurde. Federführend sind Wis-senschaftler aus Hannover, Golm,Glasgow, Garching und Cardiff.Man erwartet Gravitationswellen-4

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Naturwissenschaften

Ein Horchpostenins Universum

frequenzen im hörbaren Bereich –GEO600 ist also buchstäblich einHorchposten ins All.

Die Beobachtung von Gravita-tionswellen wird durch viele Effekteerschwert. Sie führen zu Änderun-gen in der Lichtwegdifferenz zwi-schen den beiden Armen und täu-schen dadurch ein Signal vor. Diessind zum Beispiel akustische Stö-rungen (Luftdruckschwankungen);daher sind alle optischen Aufbautenin großen Vakuumtanks unterge-bracht. Die Messstrecken selbstverlaufen in evakuierten Edelstahl-

rohren mit einem Durchmesser von60 Zentimetern. Hier wird ein Va-kuum wie im erdnahen Weltraumbenötigt.

Nahe liegende Störquellen sindferner Bodenerschütterungen allerArt, die Wärmebewegung in denoptischen Komponenten, aber auchtechnische Schwankungen in derLichtintensität, die zu Rauscheffek-ten führen. Um die erforderlicheEmpfindlichkeit zu erreichen, müs-sen diese Störquellen hinreichendabgeschwächt oder in einen Fre-quenzbereich außerhalb des Mess-

fensters verschoben werden. Einebesondere Herausforderung stelltedie Entwicklung eines geeignetenLasers für GEO600 dar. Laser fürGravitationswellendetektoren müs-sen nicht nur besonders leistungs-stark sein, sondern auch extrem sta-bil bezüglich Frequenz, Amplitudeund geometrischer Verteilung desLichts. Außerdem müssen sie mona-telang im Dauerbetrieb arbeitenkönnen. Zusammen mit dem LaserZentrum Hannover wurde in denletzten Jahren ein Laser mit einerAusgangsleistung von 17 Watt Dauerleistung auf der Basis eines

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Erst seit wenigen Jahren ist es möglich, Gravitationswellennachzuweisen. Ein neu entwickelter Gravitationswellendetektorzeichnet sich durch besondere Empfindlichkeit aus. Mit seiner Hilfelassen sich wichtige Informationen über Schwarze Löcher, dunkleMaterie und den Ursprung des Alls gewinnen

Um Gravitationswellen nachzuweisen,bedarf es einer hoch empfindlichen Lasermesstechnik, die erst in den letzten Jahren entwickelt werden konnte. Im Zentralhaus des neuen Gravitationswellendetektors GEO600 werden alle optischen Komponenten in evakuierbaren Edelstahltanks untergebracht.

speziellen Lasersystems entwickelt.Da die optimale Lichtleistung fürGEO600 aber im Kilowatt-Bereichliegt, musste eine Möglichkeit ge-funden werden, die umlaufendeLichtleistung im Detektor zu erhö-hen: Das Interferometer arbeitet miteiner so genannten Nullmethode;durch Regelkreise wird der Aus-gang dunkel gehalten (erst bei Ein-treffen einer Gravitationswelle ge-langt ein wenig Licht zum Aus-gang). Das bedeutet, dass das La-serlicht nach dem Durchlaufen derArme zurück zum Eingang gelenktwird. Durch einen zusätzlichenSpiegel kann dieses Licht erneut indie Arme eingespeist und mit demeinfallenden Licht überlagert wer-den („Power-Recycling“). GEO600kann auf diese Weise effektiv mitzehn Kilowatt arbeiten. Das „Signal- Recycling“ sorgt mit einer ähn-lichen Methode für die Überhöhungdes Signals.

Seit 1995 wird weltweit der Bauvon großen Laserinterferometern

zum Gravitationswellennachweisvorangetrieben. Im Rahmen desUS-amerikanischen Projekts LIGOwurden Detektoren mit vier Kilo-meter langen Armen gleich an zweiStandorten errichtet, einer im Nord-westen der USA (Washington) undeiner im Südosten (Louisiana). Inder Nähe von Pisa ist das franzö-sisch-italienische Projekt VIRGOmit drei Kilometer Armlänge geradefertiggestellt worden. Trotz seinerkürzeren Armlänge hat GEO600etwa die gleicheEmpfindlichkeitwie die großenDetektoren, daes im Unter-schied zu ihnenbereits in der er-sten Ausbaustufedie in den letztenJahren entwi-ckelten fort-schrittlichen Technologien nutzt.Das Signal-Recycling, die Aufhän-gung der optischen Komponentenan Quarzglasfasern und die Mög-lichkeit, den Detektor auf eine ge-wünschte Frequenz optimal abzu-stimmen, werden bisher einzig beiGEO600 eingesetzt.

Die verschiedenen Projekte sindauf Kooperation angewiesen. Erstim Zusammenwirken mit einemweit entfernten Detektor kann sichergestellt werden, keinen loka-len Störungen aufzusitzen. Um

aber Informationen über die Rich-tung der Quelle sowie über dieSchwingungsform der Signale zuerhalten, ist ein weltweites Netzvon wenigstens vier Detektoren er-forderlich. Daher haben die ver-schiedenen Stationen den Aus-tausch und die gemeinsame Aus-wertung der Daten vereinbart. Be-sonders eng ist die Zusammenar-beit zwischen GEO600 und LIGO.Von Ende Dezember 2001 bis MitteJanuar 2002 fand ein paralleler

Probelauf beiderDetektoren statt,in dem erfolg-reich die Sys-temstabilität undProgramme zurDatenaufnahmeund Datenaus-wertung getestetwurden. ErsteErgebnisse wer-

den gerade veröffentlicht. Da keineder Anlagen bisher die geplanteEmpfindlichkeit erreicht hat, sindallerdings nur Abschätzungenmöglich. Die Detektoren werdenlaufend verbessert. Ende 2003 undAnfang 2004 gab es wieder eine ge-meinsame Datenaufnahme vonGEO600 und LIGO. Ab 2004 sollder reguläre Messbetrieb aufge-nommen werden.

Mit der Beobachtung von Gravi-tationswellen wird sich ein neuesGebiet der Astronomie eröffnen. In6

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GEO600 aus der Vogelperspektive: Vom kastenförmigen Hauptgebäude

des Gravitationswellendetektors gehen zwei jeweils 600 Meter lange Mess-

strecken ab, die durch Endhäuser abgeschlossen werden.

Die Messstrecken selbst (rechts) verlaufen in Edelstahlrohren,

die in einem Graben aufgehängt sind.

Eine herausforderndeForschungsaufgabe wardas Entwickeln einesleistungsstarkenLasers für GEO600

der Struktur der Wellen bildet sichder astrophysikalische Vorgang,der sie erzeugt hat, genau ab. Wirwerden so Informationen über dasUniversum erhalten, die völlig an-derer Art sind als die aus der klassi-schen Astronomie mit Licht, Radio-wellen oder Röntgenstrahlung. Diemeisten Quellen von Gravitations-wellen senden keine elektromagne-tische Strahlung aus und umge-kehrt. Die Informationen über dasAll, die mit diesen beiden Zweigender Astronomie gewonnen werden,ergänzen sich also. Zudem bestehtder größte Teil des Universums ausdunkler Materie, die nur über einemögliche Gravitationsstrahlung er-fasst werden kann.

Gravitationswellen besitzen prak-tisch keine Wechselwirkung mitMaterie. Das erschwert einerseitsihren Nachweis, macht sie aber an-dererseits zu idealen Informations-trägern. Das gesamte Universum isttransparent für Gravitationswellen.Deshalb erwarten Forscher Gravita-tionswellen auch aus den bisherverschlossenen, durch Wolken ver-deckten Bereichen des Universumssowie aus seiner Entstehungszeit.Die beim Urknall entstandenenGravitationswellen sollten heutenoch als Hintergrundstrahlung zubeobachten sein. Die Aufnahmedieser Signale gibt Auskunft überdas Universum unmittelbar nachseiner Geburt – man lauscht gewis-sermaßen dem ersten Schrei unse-rer Welt.

Dr. Peter AufmuthUniversität Hannover

Physikalische Grundlagenuntersuchungen fürdas Projekt wurden von der DFG im Rahmender Sonderforschungsbereiche „Quantenli-mitierte Messprozesse mit Atomen, Molekü-len und Photonen“ und „Gravitationswel-lenastronomie: Methoden – Quellen – Beob-achtungen“ unterstützt. WeiterführendeInformationen unter www.geo600.uni-hannover.de. 7

Damit GEO600 nicht auch Bodener- schütterungen überträgt, werden Spiegel

und Strahlteiler als mehrstufige Pendel aufgehängt. Unten: Zwei einander

umkreisende Neutronensterne erzeugen Gravitationswellen, die mit Lichtge-

schwindigkeit zur Erde gelangen.