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Ein Luftikus für Downing Street Basis der britischen Tories wählt Boris Johnson zum neuen Parteivorsitzenden London. Boris Johnson ist neuer Vorsitzen- der der Tories. Der frühere britische Außen- minister erhielt in der Urabstimmung 92 153 von rund 159 000 Stimmen. Der aktuelle Au- ßenminister Jeremy Hunt kam auf rund 46 700 Stimmen. Als neuer Parteichef will Johnson am Mittwoch den Posten des Regie- rungschefs von der am Brexit gescheiterten Amtsinhaberin Theresa May übernehmen. Kurz nach seiner Wahl erklärte Johnson: »Wir werden den Brexit am 31. Oktober erle- digt haben.« Der Konservative hatte vor dem Brexit-Referendum im Sommer 2016 unter anderem behauptet, dass Großbritannien wö- chentlich 350 Millionen Pfund an die EU wei- terleiten müsse. Nun will Johnson den Staa- tenverbund bis zum Herbst notfalls auch oh- ne Abkommen verlassen, wenn die EU nicht zu Zugeständnissen bereit sein sollte. Der erste Vize-Präsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, hatte kürz- lich aber bekräftigt, dass die Position der EU in der Brexit-Frage »klar« sei. London und Brüssel hätten den Austrittsvertrag ausgehan- delt. »Und die Europäische Union wird an die- ser Vereinbarung festhalten.« Im Weißen Haus herrschte Freude über die Wahl Johnsons. US-Präsident Donald Trump, der lukrative Geschäfte mit Großbritannien nach einem Austritt aus der EU wittert, gratu- lierte dem neuen Vorsitzenden der Tories kurz nach dessen Wahl. »Er wird großartig sein«, schrieb Trump auf Twitter. Bei den Tories ist Johnson hingegen um- stritten. Mehrere Minister, die keinen harten Brexit wollen, haben ihren Rückzug ange- kündigt. Der Labour-Vorsitzende Jeremy Cor- byn forderte Neuwahlen. Johnson sei von we- niger als 100 000 Parteimitgliedern der Kon- servativen unterstützt worden und habe nicht das Land hinter sich gebracht, schrieb Corbyn auf Twitter. Agenturen/nd Seite 2 Demonstration gegen Johnson am vergangenen Wochenende in London – samt Verweis auf eine frühere Lüge. imago images/ZUMA Press/Wiktor Szymanowicz STANDPUNKT Die EU ist nicht das Problem Aert van Riel über die Wahl von Boris Johnson Boris Johnson hat sich an die Spitze der Tories geschwindelt. Der frühere Außenminister erhielt bei der Urwahl vor allem deswe- gen eine Mehrheit, weil viele bri- tische Konservative meinen, dass ihr Land bald unbedingt aus der EU aussteigen soll. Johnson, der bald auch Premierminister wer- den will, droht mit einem Brexit bis zum 31. Oktober ohne Ab- kommen, wenn es bis dahin keine Einigung mit der EU geben sollte. Darauf würde es hinauslaufen, wenn Johnson weiterhin die offe- ne Grenze zwischen Irland und Nordirland nach einem Brexit ab- lehnt. Für die EU ist seine Forde- rung nicht annehmbar. Nach ei- nem harten Brexit würde nicht die rosige Zukunft für das Vereinigte Königreich anbrechen, die John- son verspricht. Man müsste viel- mehr mit negativen Folgen für die britische Wirtschaft rechnen und damit, dass viele Arbeiter und Angestellte ihre Jobs verlieren. Es ist erschreckend, dass der Brexit für Johnson eine Obsessi- on ist. Dabei liegen die Ursachen für die Probleme des Landes wo- anders. Trotz der niedrigen Ar- beitslosigkeit – die Quote liegt bei offiziell 3,8 Prozent – gras- siert in vielen Regionen die Ar- mut. Sozialer Aufstieg ist fast unmöglich. Ein Kampf gegen diese Missstände steht nicht auf Johnsons Agenda. Der Tory-Chef vertritt die Interessen der Mittel- und Oberschicht, der er Steuer- senkungen versprochen hat. Weil er beim Brexit polarisiert, wird es nicht leicht für Johnson, die To- ries hinter sich zu versammeln. Für die britische Linke wäre er die perfekte Zielscheibe. UNTEN LINKS Sprechen wir an dieser Stelle einmal kurz über die deutsche Sprache: Warum hat Deutsch- land so viele hässliche Wörter (»Eckpunktepapier«, »Reformpa- ket«, »mobilisieren«), die allesamt klingen, als seien sie von einem rechtwinkligen FDP-Technokra- tenkopf in einer zentralverriegel- ten Amtsstube oder Verrich- tungsbox entworfen worden? Antwort: Weil der Deutsche seit jeher Fußball, Ficken, Glotze und Auto wichtiger findet als seine Sprache. Ganz anders dagegen der Österreicher. Dessen Hobbys (NS-Vergangenheit verdrängen, Familie im Kellerverlies einsper- ren) sind zwar auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, doch dafür hat er die anrührendsten und bezau- berndsten Wortschöpfungen der Gegenwart hervorgebracht: »Tschinbum« zum Beispiel, der Begriff für einen ebenso action- reichen wie banalen Film. Oder das einen am gelungenen Cunni- lingus beteiligten Oberlippen- bartflaum bezeichnende Wort »Fudbürschderl«. Deutsche! Lernt von Österreich! tbl Eritreer in Hessen niedergeschossen Ermittler gehen von einem fremdenfeindlichen Motiv aus Wächtersbach. Ein 55-jähriger Deutscher hat im hessischen Wächtersbach einen Mann aus Eritrea niedergeschossen. Das 26-jährige Op- fer wurde bei der Tat am Montag schwer ver- letzt. Der mutmaßliche Täter habe sich mit ei- nem Kopfschuss selbst getötet, hieß es. Spre- cher des hessischen LKA und der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft sagten, sie gingen »ganz klar von einem fremdenfeindlichen Mo- tiv« der Tat im Main-Kinzig-Kreis aus. Das Op- fer sei offenbar nur aufgrund seiner Hautfar- be ausgewählt worden. Auf das rassistische Motiv deutet auch ein Abschiedsbrief des 55- Jährigen hin, der bei einer Durchsuchung sei- ner Wohnung gefunden wurde. Dabei habe die Polizei auch vier Schusswaffen sicherge- stellt, die der Mann legal besessen habe. Die Fraktionschefin der LINKEN im hessi- schen Landtag, Janine Wissler, äußerte sich erschüttert über die Tat. Sie wies darauf hin, dass sich der Angriff am 22. Juli ereignete. An dem Datum hatte 2011 der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet. epd/nd Seite 4 UN verurteilen Angriffe auf Idlib Moskau dementiert gezielte Tötung von Zivilisten Damaskus. Die Vereinten Nationen haben die jüngsten Luftangriffe auf Syriens letztes gro- ßes Rebellengebiet mit Dutzenden Toten scharf verurteilt. Es handele sich um eine schockierende Eskalation, die zu einer Welle von Angriffen auf lebensnotwendige Infra- struktur gehöre, teilte das UN-Nothilfebüro Ocha in Syrien am Dienstag mit. Solche Bom- bardierungen könnten durch nichts gerecht- fertigt werden und müssten sofort aufhören. Bei den Luftangriffen auf das Rebellenge- biet um die Stadt Idlib waren am Montag nach UN-Angaben mindestens 59 Zivilisten getötet und mehr als 100 verletzt worden. Es habe sich um eine der schlimmsten Bombardie- rungen in den vergangenen drei Monaten ge- handelt. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London machten die Regierung in Damaskus und deren Ver- bündeten Russland für die Luftangriffe ver- antwortlich. Moskau wies die Vorwürfe zu- rück. Die Region um Idlib wird von der Al-Kai- da-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) dominiert. dpa/nd Seite 5 Sánchez scheitert in erster Runde Spanisches Parlament schickt Premier in die Verlängerung Madrid. Der geschäftsführende spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat die ers- te Parlamentsabstimmung über seine Wie- derwahl deutlich verloren. Am Dienstag vo- tierten 170 Abgeordnete gegen, aber nur 124 Abgeordnete für den 47-Jährigen. 52 ent- hielten sich und vier waren abwesend und gaben keine Stimme ab. Im ersten Wahlgang benötigte der sozialistische Regierungschef eine absolute Mehrheit von 176 Stimmen, die er deutlich verpasste. Gemäß Verfassung wird nun 48 Stunden später, also am Donnerstag, eine zweite Run- de stattfinden. Dann genügt Sánchez eine einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein- Stimmen. Jedoch ist noch völlig unsicher, ob er die dafür nötige Unterstützung anderer Gruppierungen bekommen wird – allen vo- ran des linken Bündnisses Unidas Podemos (UP). Bei den noch laufenden Verhandlun- gen über die Bildung einer Koalition gab es am Dienstag noch kein Abkommen. Schei- tert Sánchez am Donnerstag erneut, rückt die vierte Neuwahl in vier Jahren näher. dpa/nd ISSN 0323-3375 Oben rum, unten rum Ein Gespräch mit dem Underground- Filmemacher Lothar Lambert. Seite 7 Foto: imago images/United Archives/KPA Schlecht beraten Ministerien der Bundesregierung zahlen immer mehr Geld für Sachverstand von außen Über rund 20 000 Mitarbeiter verfügen die Bundesministerien. Die scheinen jedoch nicht zu ge- nügen. 178 Millionen Euro gab die Bundesregierung im ersten Halbjahr für externe Berater aus. Von Uwe Kalbe Die Unternehmensberatungs- branche muss es wissen. Sie gibt den Umfang ihrer im Jahr 2017 durch Verträge mit der öffentli- chen Hand zustande gekomme- nen Umsätze mit 2,9 Milliarden Euro an. Die Bundesregierung will die Zahl jedoch nicht bestätigen. Sie wisse nicht, wie valide, wie zu- treffend dieser Wert sei, teilte sie dem FDP-Abgeordneten Konstan- tin Kuhle auf seine Frage mit. Die Zahlen der Bundesregie- rung selbst darf man wohl als va- lide behandeln. Für das erste Halbjahr dieses Jahres sind es 178 Millionen Euro, die die Bundes- ministerien demnach für externe Beratung aufwandten. Wie das Fi- nanzministerium auf eine Anfra- ge von Matthias Höhn mitteilt, ra- gen aus den Angaben von 14 Mi- nisterien das Innenministerium mit 78,7 Millionen Euro und das Verkehrsministerium mit 47,7 Millionen Euro heraus. Wie der LINKE-Abgeordnete weiter er- fuhr, fehlen die Beratungsleistun- gen für das Bundesverteidigungs- ministerium gänzlich. Diese mit- gerechnet, dürfte sich das Bild je- doch erheblich verschieben, denn das Ressort ist wegen exorbitan- ter und undurchsichtiger Inan- spruchnahme externer Beratung Gegenstand eines Untersu- chungsausschusses im Bundestag geworden. Dass das Verteidigungsminis- terium keine Zahlen liefert, be- trachtet Matthias Höhn deshalb als »besonders skandalöse Hinter- lassenschaft« Ursula von der Ley- ens. Die bisherige Ministerin ha- be erst »eine zum Teil rechtswid- rige Beraterkultur« etabliert. Und trotzdem sei das Ministerium nicht auskunftsfähig. Dies werde von der Leyen auch als EU-Kom- missionspräsidentin dem Unter- suchungsausschuss erklären müs- sen. Und ihre Amtsnachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer sei »in der Pflicht, den Taschenrech- ner zu zücken, um hier schnell für Transparenz zu sorgen«. Tatsächlich lagen die Bera- tungsleistungen für die gesamte Bundesregierung im Jahr 2014 noch bei 63 Millionen Euro – eine Summe, die das Innenministeri- um allein im ersten Halbjahr überschritt. Die Minister Horst Seehofer und Andreas Scheuer seien offenbar die Lieblinge ex- terner Berater, sagte Höhn dem »nd«. Fast 130 Millionen hätten sie allein im ersten Halbjahr über- wiesen. »Diesel-Unfähigkeit, Maut-Debakel – die Liste des Ver- sagens ist lang. Externe Berater verschlingen Unsummen, liefern aber nicht.« Den geringsten Aufwand für auswärtige Beraterleistungen be- trieb im ersten Halbjahr übrigens das Bildungsministerium mit 293 000 Euro. Aktuell gibt es 505 Beraterverträge – in einem Um- fang von knapp 420 Millionen Eu- ro. Allerdings sei der Begriff »Be- ratungs- und Unterstützungsleis- tungen«, nach denen Höhn ge- fragt hatte, juristisch unüblich. »Unsicherheiten« und »Unschär- fen könnten deshalb nicht ausge- schlossen werden. Kommentar Seite 10 } Lesen Sie heute im Ratgeber Wie Patientenbriefe helfen können Steuern sparen mit dem Handwerker Kostenfallen beim Geldwechseln Mittwoch, 24. Juli 2019 74. Jahrgang/Nr. 170 Einzelverkaufspreis 2,00 € www.neues-deutschland.de Die Tor macht weit Einer Familie droht Zwangsräumung durch die Kirchengemeinde. Seite 3 Plötzlich unter den Großen Nach mehr als zehn Jahren Pause finden sich unter deutschen Radsportlern mit Emanuel Buchmann und Lennard Kämna wieder Talente, die bei großen Rundfahrten vorn mitfahren. Seite 16 Foto: imago images/Sirotti

Ein Luftikus für Downing Street · 2019. 7. 23. · mit78,7MillionenEurounddas Verkehrsministerium mit 47,7 MillionenEuroheraus.Wieder LINKE-Abgeordnete weiter er-fuhr,fehlendieBeratungsleistun-genfürdasBundesverteidigungs-ministeriumgänzlich

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Page 1: Ein Luftikus für Downing Street · 2019. 7. 23. · mit78,7MillionenEurounddas Verkehrsministerium mit 47,7 MillionenEuroheraus.Wieder LINKE-Abgeordnete weiter er-fuhr,fehlendieBeratungsleistun-genfürdasBundesverteidigungs-ministeriumgänzlich

Ein Luftikus für Downing StreetBasis der britischen Tories wählt Boris Johnson zum neuen Parteivorsitzenden

London. Boris Johnson ist neuer Vorsitzen-der der Tories. Der frühere britische Außen-minister erhielt in der Urabstimmung 92 153von rund 159 000 Stimmen. Der aktuelle Au-ßenminister Jeremy Hunt kam auf rund46 700 Stimmen. Als neuer Parteichef willJohnson am Mittwoch den Posten des Regie-rungschefs von der am Brexit gescheitertenAmtsinhaberin Theresa May übernehmen.Kurz nach seiner Wahl erklärte Johnson:

»Wir werden den Brexit am 31. Oktober erle-digt haben.« Der Konservative hatte vor demBrexit-Referendum im Sommer 2016 unteranderem behauptet, dass Großbritannien wö-

chentlich 350 Millionen Pfund an die EU wei-terleiten müsse. Nun will Johnson den Staa-tenverbund bis zum Herbst notfalls auch oh-ne Abkommen verlassen, wenn die EU nichtzu Zugeständnissen bereit sein sollte.Der erste Vize-Präsident der Europäischen

Kommission, Frans Timmermans, hatte kürz-lich aber bekräftigt, dass die Position der EUin der Brexit-Frage »klar« sei. London undBrüssel hätten den Austrittsvertrag ausgehan-delt. »Und die Europäische Union wird an die-ser Vereinbarung festhalten.«Im Weißen Haus herrschte Freude über die

Wahl Johnsons. US-Präsident Donald Trump,

der lukrative Geschäfte mit Großbritanniennach einem Austritt aus der EU wittert, gratu-lierte dem neuen Vorsitzenden der Tories kurznach dessen Wahl. »Er wird großartig sein«,schrieb Trump auf Twitter.Bei den Tories ist Johnson hingegen um-

stritten. Mehrere Minister, die keinen hartenBrexit wollen, haben ihren Rückzug ange-kündigt. Der Labour-Vorsitzende Jeremy Cor-byn forderte Neuwahlen. Johnson sei von we-niger als 100 000 Parteimitgliedern der Kon-servativen unterstützt worden und habe nichtdas Land hinter sich gebracht, schrieb Corbynauf Twitter. Agenturen/nd Seite 2

Demonstration gegen Johnson am vergangenen Wochenende in London – samt Verweis auf eine frühere Lüge. imago images/ZUMA Press/Wiktor Szymanowicz

STANDPUNKT

Die EU ist nichtdas ProblemAert van Riel überdie Wahl von Boris Johnson

Boris Johnson hat sich an dieSpitze der Tories geschwindelt.Der frühere Außenminister erhieltbei der Urwahl vor allem deswe-gen eine Mehrheit, weil viele bri-tische Konservative meinen, dassihr Land bald unbedingt aus derEU aussteigen soll. Johnson, derbald auch Premierminister wer-den will, droht mit einem Brexitbis zum 31. Oktober ohne Ab-kommen, wenn es bis dahin keineEinigung mit der EU geben sollte.Darauf würde es hinauslaufen,wenn Johnson weiterhin die offe-ne Grenze zwischen Irland undNordirland nach einem Brexit ab-lehnt. Für die EU ist seine Forde-rung nicht annehmbar. Nach ei-nem harten Brexit würde nicht dierosige Zukunft für das VereinigteKönigreich anbrechen, die John-son verspricht. Man müsste viel-mehr mit negativen Folgen für diebritische Wirtschaft rechnen unddamit, dass viele Arbeiter undAngestellte ihre Jobs verlieren.Es ist erschreckend, dass der

Brexit für Johnson eine Obsessi-on ist. Dabei liegen die Ursachenfür die Probleme des Landes wo-anders. Trotz der niedrigen Ar-beitslosigkeit – die Quote liegtbei offiziell 3,8 Prozent – gras-siert in vielen Regionen die Ar-mut. Sozialer Aufstieg ist fastunmöglich. Ein Kampf gegendiese Missstände steht nicht aufJohnsons Agenda. Der Tory-Chefvertritt die Interessen der Mittel-und Oberschicht, der er Steuer-senkungen versprochen hat. Weiler beim Brexit polarisiert, wird esnicht leicht für Johnson, die To-ries hinter sich zu versammeln.Für die britische Linke wäre erdie perfekte Zielscheibe.

UNTEN LINKS

Sprechen wir an dieser Stelleeinmal kurz über die deutscheSprache: Warum hat Deutsch-land so viele hässliche Wörter(»Eckpunktepapier«, »Reformpa-ket«, »mobilisieren«), die allesamtklingen, als seien sie von einemrechtwinkligen FDP-Technokra-tenkopf in einer zentralverriegel-ten Amtsstube oder Verrich-tungsbox entworfen worden?Antwort: Weil der Deutsche seitjeher Fußball, Ficken, Glotze undAuto wichtiger findet als seineSprache. Ganz anders dagegender Österreicher. Dessen Hobbys(NS-Vergangenheit verdrängen,Familie im Kellerverlies einsper-ren) sind zwar auch nicht geradedas Gelbe vom Ei, doch dafür hater die anrührendsten und bezau-berndsten Wortschöpfungen derGegenwart hervorgebracht:»Tschinbum« zum Beispiel, derBegriff für einen ebenso action-reichen wie banalen Film. Oderdas einen am gelungenen Cunni-lingus beteiligten Oberlippen-bartflaum bezeichnende Wort»Fudbürschderl«. Deutsche! Lerntvon Österreich! tbl

Eritreer in HessenniedergeschossenErmittler gehen von einemfremdenfeindlichen Motiv aus

Wächtersbach. Ein 55-jähriger Deutscher hatim hessischen Wächtersbach einen Mann ausEritrea niedergeschossen. Das 26-jährige Op-fer wurde bei der Tat am Montag schwer ver-letzt. Der mutmaßliche Täter habe sich mit ei-nem Kopfschuss selbst getötet, hieß es. Spre-cher des hessischen LKA und der FrankfurterGeneralstaatsanwaltschaft sagten, sie gingen»ganz klar von einem fremdenfeindlichenMo-tiv« der Tat imMain-Kinzig-Kreis aus. Das Op-fer sei offenbar nur aufgrund seiner Hautfar-be ausgewählt worden. Auf das rassistischeMotiv deutet auch ein Abschiedsbrief des 55-Jährigen hin, der bei einer Durchsuchung sei-ner Wohnung gefunden wurde. Dabei habedie Polizei auch vier Schusswaffen sicherge-stellt, die der Mann legal besessen habe.Die Fraktionschefin der LINKEN im hessi-

schen Landtag, Janine Wissler, äußerte sicherschüttert über die Tat. Sie wies darauf hin,dass sich der Angriff am 22. Juli ereignete.An dem Datum hatte 2011 der norwegischeRechtsextremist Anders Breivik auf der InselUtøya 77 Menschen getötet. epd/nd Seite 4

UN verurteilenAngriffe auf IdlibMoskau dementiert gezielteTötung von Zivilisten

Damaskus. Die Vereinten Nationen haben diejüngsten Luftangriffe auf Syriens letztes gro-ßes Rebellengebiet mit Dutzenden Totenscharf verurteilt. Es handele sich um eineschockierende Eskalation, die zu einer Wellevon Angriffen auf lebensnotwendige Infra-struktur gehöre, teilte das UN-NothilfebüroOcha in Syrien am Dienstag mit. Solche Bom-bardierungen könnten durch nichts gerecht-fertigt werden und müssten sofort aufhören.Bei den Luftangriffen auf das Rebellenge-

biet um die Stadt Idlib waren amMontag nachUN-Angaben mindestens 59 Zivilisten getötetund mehr als 100 verletzt worden. Es habesich um eine der schlimmsten Bombardie-rungen in den vergangenen drei Monaten ge-handelt. Die Syrische Beobachtungsstelle fürMenschenrechte mit Sitz in London machtendie Regierung in Damaskus und deren Ver-bündeten Russland für die Luftangriffe ver-antwortlich. Moskau wies die Vorwürfe zu-rück. Die Region um Idlib wird von der Al-Kai-da-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS)dominiert. dpa/nd Seite 5

Sánchez scheitert inerster RundeSpanisches Parlament schicktPremier in die Verlängerung

Madrid. Der geschäftsführende spanischeMinisterpräsident Pedro Sánchez hat die ers-te Parlamentsabstimmung über seine Wie-derwahl deutlich verloren. Am Dienstag vo-tierten 170 Abgeordnete gegen, aber nur 124Abgeordnete für den 47-Jährigen. 52 ent-hielten sich und vier waren abwesend undgaben keine Stimme ab. Im ersten Wahlgangbenötigte der sozialistische Regierungschefeine absolute Mehrheit von 176 Stimmen, dieer deutlich verpasste.Gemäß Verfassung wird nun 48 Stunden

später, also am Donnerstag, eine zweite Run-de stattfinden. Dann genügt Sánchez eineeinfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen. Jedoch ist noch völlig unsicher, ober die dafür nötige Unterstützung andererGruppierungen bekommen wird – allen vo-ran des linken Bündnisses Unidas Podemos(UP). Bei den noch laufenden Verhandlun-gen über die Bildung einer Koalition gab esam Dienstag noch kein Abkommen. Schei-tert Sánchez am Donnerstag erneut, rückt dievierte Neuwahl in vier Jahren näher. dpa/nd

ISSN 0323-3375

Oben rum, unten rumEin Gespräch mit dem Underground-Filmemacher Lothar Lambert. Seite 7Foto: imago images/United Archives/KPA

Schlecht beratenMinisterien der Bundesregierung zahlen immer mehr Geld für Sachverstand von außen

Über rund 20 000 Mitarbeiterverfügen die Bundesministerien.Die scheinen jedoch nicht zu ge-nügen. 178 Millionen Euro gabdie Bundesregierung im erstenHalbjahr für externe Berater aus.

Von Uwe Kalbe

Die Unternehmensberatungs-branche muss es wissen. Sie gibtden Umfang ihrer im Jahr 2017durch Verträge mit der öffentli-chen Hand zustande gekomme-nen Umsätze mit 2,9 MilliardenEuro an. Die Bundesregierung willdie Zahl jedoch nicht bestätigen.Sie wisse nicht, wie valide, wie zu-treffend dieser Wert sei, teilte siedem FDP-Abgeordneten Konstan-tin Kuhle auf seine Frage mit.Die Zahlen der Bundesregie-

rung selbst darf man wohl als va-lide behandeln. Für das ersteHalbjahr dieses Jahres sind es 178Millionen Euro, die die Bundes-ministerien demnach für externeBeratung aufwandten. Wie das Fi-

nanzministerium auf eine Anfra-ge von Matthias Höhn mitteilt, ra-gen aus den Angaben von 14 Mi-nisterien das Innenministeriummit 78,7 Millionen Euro und dasVerkehrsministerium mit 47,7Millionen Euro heraus. Wie derLINKE-Abgeordnete weiter er-fuhr, fehlen die Beratungsleistun-gen für das Bundesverteidigungs-ministerium gänzlich. Diese mit-gerechnet, dürfte sich das Bild je-doch erheblich verschieben, denndas Ressort ist wegen exorbitan-ter und undurchsichtiger Inan-spruchnahme externer BeratungGegenstand eines Untersu-chungsausschusses im Bundestaggeworden.Dass das Verteidigungsminis-

terium keine Zahlen liefert, be-trachtet Matthias Höhn deshalbals »besonders skandalöse Hinter-lassenschaft« Ursula von der Ley-ens. Die bisherige Ministerin ha-be erst »eine zum Teil rechtswid-rige Beraterkultur« etabliert. Undtrotzdem sei das Ministerium

nicht auskunftsfähig. Dies werdevon der Leyen auch als EU-Kom-missionspräsidentin dem Unter-suchungsausschuss erklären müs-sen. Und ihre AmtsnachfolgerinAnnegret Kramp-Karrenbauer sei»in der Pflicht, den Taschenrech-ner zu zücken, um hier schnell fürTransparenz zu sorgen«.Tatsächlich lagen die Bera-

tungsleistungen für die gesamteBundesregierung im Jahr 2014noch bei 63 Millionen Euro – eineSumme, die das Innenministeri-um allein im ersten Halbjahrüberschritt. Die Minister HorstSeehofer und Andreas Scheuerseien offenbar die Lieblinge ex-terner Berater, sagte Höhn dem»nd«. Fast 130Millionenhätten sieallein im ersten Halbjahr über-wiesen. »Diesel-Unfähigkeit,Maut-Debakel – die Liste des Ver-sagens ist lang. Externe Beraterverschlingen Unsummen, liefernaber nicht.«Den geringsten Aufwand für

auswärtige Beraterleistungen be-

trieb im ersten Halbjahr übrigensdas Bildungsministerium mit293 000 Euro. Aktuell gibt es 505Beraterverträge – in einem Um-fang von knapp 420 Millionen Eu-ro. Allerdings sei der Begriff »Be-ratungs- und Unterstützungsleis-tungen«, nach denen Höhn ge-fragt hatte, juristisch unüblich.»Unsicherheiten« und »Unschär-fen könnten deshalb nicht ausge-schlossen werden.

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und Lennard Kämnawieder Talente, die beigroßen Rundfahrtenvorn mitfahren. Seite 16Foto: imago images/Sirotti