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Ein Netz, das trägt Gelebte Trauer in Briefen, Bildern und Texten von einer Trauerbegleiterin nach dem Tod ihres Sohnes SANTIAGO VERLAG Dorothea Stockmar

Ein Netz, das trägt nach dem Tod ihres Sohnes · Ein Netz, Gelebte Trauer in Briefen, Bildern und Texten das trägt von einer Trauerbegleiterin nach dem Tod ihres Sohnes SANTIAGO

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Ein Netz, das trägt

Gelebte Trauer in Briefen, Bildern und Textenvon einer Trauerbegleiterin nach dem Tod ihres Sohnes

SANTIAGO VERLAGSANTIAGO VERLAG

Gelebte Trauer ist geschenkte Zeit, umsorgt sein von anderen, die fühlend verstehen, wovon der andere spricht, wenn er schweigt, wenn er weint. Nicht gelebte Trauer ist wie ein ungeöffneter Brief, verschlossen, verlegt, aus den Augen verloren.

Nachdem ihr Sohn mit 17 Jahren tödlich verunglückte, verarbeitete die Künstlerin und Trauerbegleiterin Dorothea Stockmar ihre Trauer der ersten 271 Tage zu einem Netzwerk.

Aus dem Inhalt:

- verlassen, schutzlos, ohnmächtig am Anfang eines Trauerprozesses - Schmerz, Sehnsucht und Liebe verlangen nach Ausdruck - sich trauen, sich öffnen, weiter gehen auf dem Weg des Lebens

Wenn die Trauer ein Meer ist,dann ist die Liebe ein jeder Tropfenaus dem dieses Meer zusammengesetzt ist.

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Dorothea Stockmar

(D) € 20,00ISBN: 978-3-937212-37-1

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Dorothea Stockmar1953 in Beuthen geboren, in Berlin aufge-wachsen, nach dem Abitur einjähriger Asien-aufenthalt, Abschluss als staatlich examinier-te Krankenschwester 1978, Geburt der Kinder Ellen 1978, Katrin 1981 und Cajus 1991.

1994-2008 ehrenamtliche Mitarbeit in der Hospiz-Bewegung Celle Stadt und Land e.V., 2002-2004 Weiterbildung zur Trauerbegleite-rin, 2001-2008 Leitung des Gesprächskreises für Trauernde der Hospiz-Bewegung in Celle,

2005 Begleitung Sterbender in einem bud-dhistischen Hospiz in Japan.

2003-2005 Fortbildung „Kunsttherapie in so-zialen Arbeitsfeldern“, seitdem kunstthera-peutisch tätig.

Nach 2005 entstanden unter anderm Bilder und Texte zu Themen wie „Sterben im Le-ben - Leben im Sterben“, „Zwischen Sein und Werden - das eigene Bild vom Tod“, „In einem anderen Licht - Leben mit dem Tod“, „Meta-morphosen des Abschieds“. Einige sind in diesem Buch zu sehen.

Sie lebt mit ihrem Mann Axel in Celle und Ber-lin, ist als Referentin tätig in verschiedenen Fortbildungseinrichtungen mit Schwerpunkt-themen Kommunikation, Sprachbilder - Bild-sprache, symbolisch-kreative Impulse zur Trauerbewältigung und stellt aus.

Über die Autorin

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Copyright© 2010 SANTIAGO VERLAG Joachim Duderstadt e.K.Asperheide 88, 47574 Goch Tel.: 02827/5843, Fax: 02827/5842 E-mail: [email protected] www.santiagoverlag.de

DruckBuchwerft Kiel, Breitschuh & Kock GmbHPrinted in Germany

GestaltungEllen Stockmar, www.donnagassi.de

Alle Bilder und Texte ohne Angaben© Dorothea StockmarTitelfoto „Tire Swing“ Caroline Henri © www.fotolia.de

Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-937212-37-1

Impressum

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Nie sind sich Menschen so nah

wie in Worten und Gestendes Abschieds und der Trauer.

Unsere Trauer hat einen Rahmen,gehalten von Freunden,aufgerichtet in unseren Erinnerungen,fühlbar durch unsere Tränen, verstärkt in unserer Liebe.

Unsere Trauer gleicht einem Netzwerk,gehalten von Menschen, die sie mit uns durch die Stille tragenoder in Worten, Gedanken und Gestenunser aller Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen.

Dorothea und Axel Stockmar

„Metamorphose 41“, 60 x 30 cm, Pastellkreide auf Leinwand, 2008

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Inhaltsverzeichnis

verlassen - fassungslos - untröstlich

würdigen - vertrauen - bewahrenEinkehr - Suche - Umbruch

Vorwort von Petra Hohn

Dies Buch ist wie ein Baum

verlassen - fassungslos - untröstlich

Erste Kontakte Unbelievable terrible message / 3L (Licht, Liebe und Leben) / Fas-sungslos habe ich gehört was passiert ist / Ich kann nicht fühlen, was ihr als Eltern fühlt / Die Welt ist für mich ein Stück farbloser geworden / Je ne peux pas trouver les mots / Ihr habt jetzt das Schlimmste er-lebt, was Eltern erleben können / Tief betroffen über Deinen schweren Verlust / Der Schmerz wird fühlbar / Schlichtweg sprachlos / Ich war erschüttert als ich aus dem Radio dieses Unglück hörte / First and last time / Mann des Lichts / Mit dem Blick auf die Trauer verändert sich alles / Meine Seele hängt im Kirschbaum / Flieg hinaus, kleiner Vogel / Auf die Schnelle ein paar Texte / Aus dem Herzen gesprochen

Die internationale Schule Just 3 hours ago / Das war ein richtiger Schock für uns / Ich hab’ es

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verlassen - fassungslos - untröstlichEinkehr - Suche - Umbruch

nicht geglaubt / Ich war der letzte, der dich gesehen hat / Candles and flowers / This cannot be true, something is wrong / The school is quiet, and Cajus’ candles are still burning / I felt the loss / No words sound right/I really don’t know what to say / Keep thinking that this is all a mistake / Du warst richtig glücklich unter deinen Freunden / Two weeks have gone since you did not enter our class / Our lives have forever changed / Words cannot come close to describing how everyone is feeling / Nothing can be the same / I want it all to be a bad dream/ Cajus Contagous / Du fehlst / What you did so well / Feel like your death aged me / Eine von vielen Geschichten / A significant impact / Schüler VZ / We liked the same music / Surreal / Beim Wort genommen / The past week has been a very difficult and emotional / A Heart lost and Discovered / Those who have never cried, cry this time

Der Stoff aus dem die Trauer istWas ist Trauer? / Vorahnung / Mein Kleid für die Trauer

Das Netz wächstImmer wieder war ich bei Cajus / Welche Worte könnten Euch trösten? / Lauter Fragen / In diesen erschütternden und friedlichen Stunden / Mühselig die Zeit des Trauerns / Musikalischer Ausdruck der Sehn-sucht / Wenn ich bei Euch vorbeifahre wird mein Herz ganz schwer / Sitze hier mit Tränen / Novembersonne / Auch meine Gefühle waren

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würdigen - vertrauen - bewahren

verlassen - fassungslos - untröstlich

würdigen - vertrauen - bewahrenEinkehr - Suche - Umbruch

leer / Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll / Dieses starke Schicksal / We still cannot believe / Betroffenheit aus Japan / Das Schlimmste was uns als gute Freunde passieren konnte / Schrecklicher Verlust / Eure Seelen sind wie Wirbelstürme / Orkan / Im Kopf schreibe ich tausend Mails / Das Spiel hat grad’ erst angefangen / Cajus / Das Schwerste auf der Erde / Dann muss es Realität sein / Wie wenig Worte ausdrücken können / Ich habe nicht gewagt, Sie anzurufen / Gefühlskarussell / Durch das Tal der finsteren Trauer / Plötzliche Na-turkatastrophe

Erster RückblickIn diesem Moment brach für mich eine Welt zusammen / Vom Schick-sal überrollt / Er hat nichts gesammelt / Tiefe Traurigkeit spürte ich beim Lesen deines Briefes / Gedanken kreisen

Einkehr - Suche - Umbruch

Was begraben, was bewahren? Das letzte Wochenende mit meinem geliebten Bruder Cajus / Die Flut / Seelenarbeit ist wie Garten umgraben / Das molligste Moll / Roots ragga (Kreyol Syndikat / Caledonia (Dougie Maclean) / Die Abschieds-stunde / I hope your voyage will be tranquil / Über der gesamten Trau-erstunde lag soviel Liebe / Die Trauer-Licht-Dankbarkeits-Liebesfeier

war sehr berührend / Niemals werde ich diese Stunde vergessen / Honour / Thanks for understanding / Netzwerk / Der Weg ist lang / Aufs Innigste verbunden / Kein Wind im Kirschbaum / Schmerzvoll - und doch voller Liebe und Licht / Gemeinsame Trauer / Durch keinen anderen Schmerz zu übertreffen / Dunkle Töne / Auch wenn wir uns nicht persönlich kennen / Engel / Trauer Polnisch / Unglaubliches ist geschehen / Nur wer nicht liebt kommt ohne Tränen aus / Dan-ke für Deine Nicht-Sprachlosigkeit / Digitales Forum / Share people’s thoughts and feelings / Das Geheimnis des Todes / Umgang mit dem Leid / Wir basteln einen Stern / Cajus in einer Wolke / Kinder – wahre Gestaltungskünstler / „Du leuchtest uns weiter“

RückzugZeit der Stille / Ruhe und Kraft / Christrose im Advent / Ist halt die Seele, die leidet / Schmerzhaft- schöne Erinnerungen / Little comfort / Ein alter Text / Trauer ist international / An die, die ich liebe und die, die mich lieben / I am a thousand winds / Benediktushof / Der erste 1. Advent / Himmelslaterne / Baumwipfel / Vor 50 Jahren / Der Tod / Meer, Weite, Tiefe / Abschied / Aufforderung / TTT (Ting tar tid)

49 Tage danach Buddhistische Gedenkfeier / Zurzeit überstürzen sich die Ereignisse / Tusen takk / Ins Licht geschickt / Deine Stimme / An Leib und Seele durchlebte Trauer / Innehalten

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Einkehr - Suche - Umbruch

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verlassen - fassungslos - untröstlich

würdigen - vertrauen - bewahrenEinkehr - Suche - Umbruch

verlassen - fassungslos - untröstlichEinkehr - Suche - Umbruch

WinterzeitCajus, du fehlst uns / Wichtigste Botschaft in diesen Tagen / I know there are no words - a very sad Christmas / Einblick in diese schwere Zeit / Große Verwandlungskraft / Du hast es mir so leicht gemacht / Familienleben / Die ersten Knospen / Cajus, wo find ich Dich? / Trauer muslimisch / Himmelsgeschichte / Kontakt mit dem Verein Verwaister Eltern / Einfach-miteinander-sein / Hinführung / Ich werde dir sagen wie er lebte / Eine gute Form der Trauerbewältigung / unumstößlich / Dilemma / Anknüpfen / Einzeln sind wir Worte, gemeinsam ein Ge-dicht / Licht für dunkle Stunden / How heartbreaking / Suche in der Trauer / Der Seelenvogel

Auf dem Südwestfriedhof StahnsdorfBegrüßung in der Kapelle / Besinnung und Gebet / An der Grabstelle / Niederlassen der Urne, Erdwurf / Abschied, endgültig / Heimzukehren war meine Bestimmung / Unsere Sonne / Berührung / Ein friedlicher Ort / Geborgenheit am Baum / Das Wut / Mitgefühlt

Trauer in BewegungUmhüllung / Die Toten brauchen ein Kleid / märz / Fragen, die nur eine Mutter stellen kann / Erste Schritte in die Öffentlichkeit / Erste Schrit-te in die Öffentlichkeit / Blumen auf Gleis 5 / Es ist sehr heftig, was Du durchlebst / Sei verrückt um nicht verrückt zu werden / Eingebettet in einem neuen Licht / Jeder Grashalm schmerzt / Eines fernen Tages /

Es ist schön und beruhigend zu sehen… / Gelähmt und trotzdem ge-hend, blind und trotzdem sehend/ Niemand kann den Schmerz von euch nehmen / Das Rad der Trauer / Wege in der Trauer

würdigen - vertrauen - bewahren

Das Leben geht weiterStarkes Stück / Nicht „umsonst“ / Männertrauer / Spuren in Fotoal-ben / Heraustreten / Sinnentleert / Ein Bild das Cajus malte / If, if, if / Lebenstrauer / Zusammenklang / Klangwelle / Es gehört alles zusam-men / Es war bestimmt nicht einfach / Innige Darstellung des Unbe-greiflichen / Suche in der Musik / Musik kennt keine Grenzen

Welt der TräumeTrauer und Traum / Das Tor / Traumausflüge / Der Stein / Trauer-schmerz

Trauer in einem andern LichtHospital zum heiligen Geist / Erdhaus im Bad Zwesten / Eine kleine Reise / Nähe

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würdigen - vertrauen - bewahren

verlassen - fassungslos - untröstlich

würdigen - vertrauen - bewahrenEinkehr - Suche - Umbruch

Ein Baum für CajusDer Apfelbaum / Symbol der Hoffnung / Wunderschönes Ensemble / Baumgeschichten

Neue WegeZu Wasser / Muttertag / You were crying when you left / Die beste Schule / Cajus’ artbook / Lange Nacht der Wissenschaften / Of cour-se the tears will flow / Kieselsteine – eine denkwürdige Verbindung / The idea with the stones is beautiful / Verlierer / Grabstein in der Buddelkiste

Sichtbares Zeichen der LiebeEine nie gehaltene Friedhofsrede / Unverständliches, schönes, schreckliches, komisches Leben / Mama, ich schreib dir einen Brief / The letter “he” wrote to you sounds like Cajus / Diese Botschaft ent-hält soviel Hoffnung / Was für eine Stütze

Ein paar Schritte weiterManchmal wandern Gedanken und erzeugen Ideen / Mitgefühl – nicht Mitleid / Trauer einmal anders / Der leere Stuhl / Ich bin sicher, dass es eine Bedeutung hat / Möge Gott Euch einen Engel schicken / Er gehörte einfach dazu / Cajus’ Tod war kein Tabu / Die große unbe-schreibliche Leere / Ich bin so dankbar und fühle mich gleichzeitig so schlecht / Kleiner Abendgruß / Sonnenstrahlen und Lebensfreude

Aufgerichtet im tiefsten LeidZwischenbilanz nach achtmonatiger Trauer / Brief aus einer anderen Welt / Aus Trauersymbolen werden Hoffungssymbole / Quellen neuer Hoffnung / Dankbarkeit steigt in unserem Herzen auf / Blaue und gel-be Karten / Aufbruch in eine andere Zeit / Das Ende, das ein Anfang ist / Jetzt ist es Zeit allein zu reisen / Fern und nah zugleich / Wenn man das liest, weiß man, dass der Tod nicht schrecklich ist / Cajus’ Lebens-kreis ist geschlossen / Trauer anders buchstabiert

Danksagung

Ein Netz zum Anknüpfen

Quellen

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Einkehr - Suche - Umbruch

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12 Vorwort von Petra Hohn

Die Liebe ist stärker als der Tod – das sind Worte und Gefühle, die uns Eltern, Familien und Freunde besonders begleiten beim Tod eines Kindes.

Es ist etwas Unnatürliches geschehen, was nicht sein darf, womit wir nicht rechnen, worauf wir nicht vorbereitet sind. Trotzdem schlägt das Schicksal in einer unbändigen Härte immer und immer wieder zu. Dieses gemeinsame schwere Schicksal führte die Wege von Dorothea Stockmar und mir zusammen.

Einander zu stützen und zu bestärken, unsere Kinder weiter zu tragen, das ist eine große Aufgabe, die nicht immer leicht ist. Wir sind dankbar für Nächstenliebe und Verständnis, die wir besonders brauchen, um zu überleben.

Das Aussprechen von Gedanken der Erinnerung an unser verstorbe-nes Kind ist uns ebenso wie tröstender Zuspruch sehr wichtig. Dabei ist es nicht immer der Normalfall, diese Stützen zu erfahren.

Das ist es, was Dorothea Stockmar vermittelt. In diesem einzigartigen Buch kommen Menschen zu Wort, die Cajus schätzten und liebten. Es zeigt den Umgang mit der Trauer um den Sohn, den Bruder und den Freund, aber auch die stärkende Seite des sozialen Umfeldes. Es spen-det Trost, beleuchtet das andere Leben mit der Suche nach Antworten auf die vielen offenen Fragen.

Durch die beeindruckenden Wortbeiträge der Menschen, die Cajus kannten, und die kreativen Bilder der Autorin wird die Trauer lebendig. Dadurch erhält Cajus seinen besonderen Platz mit all dem Schmerz, der Sehnsucht und Liebe. All das gibt das Gefühl und die Kraft, für Cajus und alle unsere verstorbenen Kinder weiter zu gehen.

So entsteht durch dieses Buch eine Brücke zwischen Leben und Tod. So wächst die Hoffnung, dass es hinter dem Horizont des Schmerzes weitergeht. Es ist Ausdruck des Verlorenseins, dennoch schafft es eine Verbundenheit mit anderen Menschen, die uns offen gegenüber stehen.

Vorwort von Petra Hohn

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13Vorwort von Petra Hohn

Cajus wirkt in diesem Buch so vertraut. Wir lernen ihn als Persönlich-keit kennen. Seine besondere Art, seine Liebenswürdigkeit spiegelt die Einzigartigkeit dieses jungen Menschen wider. Gleichzeitig wird damit eine Verbindung hergestellt zu allen verstorbenen Kindern und den Menschen, die mit dem Verlust in liebevoller Erinnerung weiter-leben.

Petra Hohn,Mutter von Carsten

1. Vorsitzende Bundesverband Verwaiste Eltern in Deutschland e.V.

BundesgeschäftsstelleAn der Verfassungslinde 204103 LeipzigTel.: 0341 - 946 88 84Fax: 0341 - 902 34 90Mail: [email protected]: www.veid.de

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Dies Buch ist wie ein Baum. Es ist weit verzweigt und wuchs mit den Menschen, die es gestalteten. Genährt aus der Trauer um unseren Sohn Jonathan Cajus Axel ist es ein Buch geworden, in dem mehr als 100 Menschen zu Wort kommen.

Wie jeder Baum wird auch dieses Buch einmal vergehen, wenn ihm der Nährboden entzogen wird. Aber es wird weiter leben durch all jene, die dazu beitragen, dem Netzwerk der Trauer weitere Maschen hin-zuzufügen.

Jedes einzelne Zeichen in Wort, Bild oder Klang, von Bekannten, Freun-den und Verwandten, dargestellt, geschrieben, vermalt, „gemailt“, in der Stille belassen, stellt ein kleines Mosaiksteinchen auf unserem Weg durch die Trauer dar, für das wir zutiefst dankbar sind. Alles, alles steht zueinander in Beziehung und wir wollen es, frei von Wertung und Vereinnahmung, in seiner unerschöpflichen Vielfalt und Deutungsfülle wirken lassen, ohne dabei das Gesamtbild zu zerstören.

Es ist ein umfassendes Bild entstanden, in dem unser Sohn Jonathan Cajus noch einmal so aufleuchten darf, wie er lebte und in unseren Gedanken und Gefühlen weiter leben wird.

Die folgende Text- und Bildsammlung enthält zahlreiche Dokumente in Form von Kondolenzen, Briefen und E-Mails, unter anderem auch auf Englisch, da unser Sohn die Internationale Schule in Hannover (ISHR) besuchte. Das Zitat der Direktorin:

„Does it sound macabre when I say that «Cajus. Unsere Sonne, Unser Schmerz, Geborgen In Liebe» is really beautiful? The collection of art-work, poems, the struggles to put the loss of life into words and the need to find comfort and some sense in the death of Cajus is a piece of art in itself, and a touching depiction of the goodness in people, as well as our total helplessness in the face of death.”

Wenn auch Trauer für gewöhnlich in Phasen verläuft, ist es nicht zwin-gend, dieses Buch von vorn nach hinten zu lesen. Fassungslosigkeit,

Dies Buch ist wie ein Baum

Einleitung

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Untröstlichkeit, Verlassenheit, Gefühle, wie sie am Anfang eines Trau-erprozesses auftreten, können zu einem späteren Zeitpunkt von neu-em aufbrechen und für Verunsicherung sorgen. Das Rad der Trauer lässt sich in beide Richtungen drehen.

Einkehr, Suche und Umbruch verlangen nach Ausdruck, nicht nur in der Phase des unmittelbaren Erkennens und Erlebens eines Verlus-tes.

Immer wieder müssen wir uns auf Spurensuche begeben, alle Gefühle zulassend, bis wir, wenn auch nur in Ansätzen, lernen wieder Vertrau-en zu fassen zu einem sinnerfüllten Dasein.

Dorothea Stockmar im Juli 2009

Einleitung

Cajus‘ Baum auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf

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16 verlassen - fassungslos - untröstlich

„Metamorphose 08“, 30 x 24 cm, Japanische Tusche, 2008

Nichts kann einen Menschen tiefer erschüttern, als der Tod. Er gehört zum Leben, das nur dann groß sein kann, wenn ein Mensch in engster Verbundenheit mit den Kräften lebt, die weit über ihn hinaus sein Dasein bestimmen. Der Tod ist entweder ein Teil des Lebens, oder das Leben ein Teil des Todes. Für mich wurde er, durch deinen frühen Tod, zu einem Teil meines Lebens.

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17verlassen - fassungslos - untröstlich

verlassen - fassungslos - untröstlich

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18 verlassen - fassungslos - untröstlich

Erste Kontakte

Unbelievable terrible message Dear Dorothea and Axel, I just opened my mail and got the unbelievab-le terrible message of the passing away of your son Cajus. Sorry to wri-te in English but so I can express my feelings a little better, although words fail here completely to express my feelings. The first image that popped up while reading the message is that of your son as a very young kid in the Paris Louvre where we visited af-ter a meeting in Paris and you, Axel, brought him with you as you did more often in the phase before him going to school. We all enjoyed his presence and his not following „our procedures“. And you were, rightly, so proud. I spoke to him again in Beijing only last year: a really grown up boy, it was nice to see that he accompanied his parents but clearly also wan-ted to make an independent impression. Your sentence above the „Anzeige“ tells it all: Unsere Sonne, Unser Schmerz. I hope that you both, together with your daughters, can find consolation and strength from good memories of the so short time you enjoyed your Son(ne). Warm regards, Wout

3L (Licht, Liebe und Leben)An alle Lieben, die Ihr auf dem Symposium in Holzkirchen (2. Sympo-sium Heilung 2008) ward und die wunderbaren Bilder von Dorothea Stockmar gesehen und verinnerlicht habt. Den beigefügten Text hat mir Dorothea heute gemailt, nachdem ich zuvor am Telefon von ihr erfuhr, dass ihr Sohn (17Jahre), Bruder zweier älterer Schwestern am Freitag in der Früh durch einen tragischen Unglücksfall ums Leben

kam. Auf der Suche nach seinem verlorenen Handy, war er nahe dem Bahnsteig und hatte wohl den Blick so konzentriert nach unten ge-senkt, dass er den einfahrenden Güterzug nicht wahrgenommen hat-te. Dies nur in Kürze, die Geschichte ist weit aus komplexer. Dorothea lebt nun, zusammen mit Ihrer Familie das, was sie anderen Menschen mit ihren Bilder und Texten nahe gebracht hat. Sie ist sehr tapfer und gefasst, ja voller Liebe und versöhnt mit dem Wissen, dass ihr Sohn im Licht ist. Ich bitte euch dennoch ihr und ihrer Familie, eine Welle an Anteilnahme zu senden. Sie darf mit Anteilnah-me überflutet werden, um im Strom des Lebens weich eingebettet zu sein und zu spüren, dass sie nicht alleine ist. Die Trauerfeier wird am nächsten Freitag, 14.11.2008 in Celle sein. (Sabine M.)

Fassungslos habe ich gehört was passiert istMeine liebe Dorothea, fassungslos habe ich gehört, was passiert ist. In Gedanken bin ich immer mit Dir, und wenn Du mich brauchst, bin ich da. So wie das Licht: Es ist da, auch wenn wir es nicht sehen. Immer. Umarmung in aller Liebe Erika

Ich kann nicht fühlen, was ihr als Eltern fühltLiebe Dorothea und lieber Axel, ich schreibe Euch diese Worte in Ge-denken an Cajus. Als ich die Nachricht in der Zeitung sah, konnte ich es kaum glauben, doch leider ist es wahr, was ich dort las. Cajus war mehr als nur ein Freund. Cajus wurde von meinen Geschwistern und mir wie ein Bruder angesehen. Auch wenn der Kontakt selten war, so war es doch für mich eine enge Beziehung. Wir hatten ihn gerne um uns, er war ein sehr umgänglicher und angenehmer Zeitgenosse. Ei-gentlich immer gut gelaunt. Es waren nun schon 12 Jahre, die ich Cajus

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19verlassen - fassungslos - untröstlich

kannte und ich hätte daraus gerne noch das Doppelte gemacht. Ich kann nicht fühlen, was ihr als Eltern fühlt, aber ich fühle was ein guter Freund fühlt und es schmerzt zu wissen, dass ein lieber Mensch nicht mehr bei uns ist. Es schmerzt zu wissen, dass es für mich keine lusti-gen Tage mit Cajus mehr geben wird. Es ist wie eine verkehrte Welt, denn kein Elternteil sollte an der letzen Ruhestätte seines Kindes ste-hen. Mein herzliches Beileid Cornelius

Die Welt ist für mich ein Stück farbloser gewordenLiebe Dorothea, lieber Axel, seitdem mich die Botschaft vom Tod Eu-res Sohnes erreicht hat, ist die Welt für mich ein Stück farbloser ge-worden. Ich wünsche Eurem Sohn die nie mehr endende Freude des Himmels und Euch die Kraft das nicht mehr Änderbare anzunehmen. In tiefer Verbundenheit Euer Stephan V.

Je ne peux pas trouver les motsCher Axel, Please allow me to write in French these few words that anyway cannot translate really my shock when receiving the bad news. Je ne peux pas trouver les mots même dans ma langue natale pour exprimer ma compassion à cette terrible nouvelle. Un sentiment d‘injustice tellement tragique pour les parents qui perdent un enfant… Bon courage à vous deux, parents, dans cette ineffable et douloureu-se épreuve. (Jaques)

Ihr habt jetzt das Schlimmste erlebt, was Eltern erleben könnenLiebe Dorothea, lieber Axel! Ab und zu wird das Leben so schwer, dass man kaum weiß, wie man weiterkommen soll. Und dass ein junger Mensch, der so sympathische Cajus, nicht mehr unter uns ist, ist kaum

zu fassen. Ihr habt jetzt das Schlimmste erlebt, was Eltern erleben können, ein Kind zu verlieren. Wir sind froh (wenn man jetzt so ein Wort brauchen kann), dass wir Cajus in Beijing kennen gelernt haben, und wir denken, dass es gut war, dass er mit Mutti und Vati diese exo-tische Reise mitmachen konnte. Die Tasse, die wir in Beijing von Euch bekamen, worauf Celle geschrie-ben steht, ist uns jetzt lieber als zuvor und wird uns immer an Cajus erinnern. Jetzt müssen die guten Erinnerungen gehütet werden, aber ach so schwer. Ihr seid in unseren Gedanken und Gebeten. Unsere Gedanken umfassen auch Cajus´ zwei Schwestern. Liebe, aber auch traurige Grüsse von Reidun u. Eirik (aus Norwegen)

Tief betroffen über Deinen schweren VerlustLiebe Dorothea, wir, der Japanische Sprachzirkel sind tief betroffen über Deinen schweren Verlust. Nie werden wir vergessen, wie Cajus unseren Kreis erfreut hat, als wir bei Euch sein durften. Man spürte, dass es ein besonderes Kind war, ein Stern, der gerade aufging, getragen von Eurer Liebe und der Geborgenheit, die Ihr ihm gegeben habt. Wir denken an Euch und wünschen Euch alle Stärke, um Cajus in den kleinen (vielleicht alltäglichen) Dingen wieder zu fin-den, sei es eine Blume oder ein Sonnenstrahl. In tiefer Verbundenheit Susanne S. und der Japanische Sprachzirkel

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52 Einkehr - Suche - Umbruch

Nimm mich mit ein Stück nur,soweit uns Zeit und Raum verbinden.Überschreitend wirst nur du eingehen, in das Reich deiner unausgesprochenen Wesensfülle, teilhaftig werden deiner eigenen Verwandlung.

Nimm mich mit auf deiner letzten Reise, bis zu jenem Tor, das mir verschlossen,dir zur Offenbarung gereicht,der Offenbarung deines wahren Wesens.

„Metamorphose 11“, 30 x 24 cm, Acryl, 2008

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53Einkehr - Suche - Umbruch

Einkehr - Suche - Umbruch

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54 Einkehr - Suche - Umbruch

Was begraben, was bewahren?

Welches ist die Essenz des gemeinsamen Lebens? Was begraben, was bewahren? Wie ordnen? Was bleibt, wenn alle Beziehungsfäden abge-schnitten sind? Am Anfang ist das Beziehungsgeflecht durch fehlende Distanz nicht sichtbar. Zahnbürste, Hausschuhe, Ausgehjacke befin-den sich noch am alten Platz. Je enger die Verbindung, desto deutlicher sichtbar ist der Riss. Man ist dem Verstorbenen noch zu nah, um die Botschaft der Trauer lesen zu können – wie bei einem Text, den man zu nah vor die Augen hält. Da hilft nur Abstand in Raum und Zeit, um den Blick auf das Bleibende, den Schatz der Erinnerung zu bergen.

Das letzte Wochenende mit meinem geliebten Bruder CajusDonnerstag, 23.10.08: Ich habe am Abend den Zug nach Celle genom-men, sodass ich gegen 22.00 Uhr am Bahnhof von Papa abgeholt wur-de. Zu Hause wurden wir von zwei hungrigen Stockmarleuten, Mama und Cajus, freudig begrüßt und gleich zu Tisch gebeten, wo ein riesi-ges leckeres Fleischfondue mit vielen verschiedenen Saucen auf uns wartete. Als ich mich in mein Bett legte und mein Hund Rocket sich in meinen Arm kuschelte, ging plötzlich meine Tür auf. Cajus kam herein, klappte meine Bettdecke auf, gab Rocket einen Kuss, klappte meine Bettdecke wieder zu und ging ohne irgendwas zu sagen wieder raus. Das werde ich nie vergessen, so ist, war, mein Bruder. Spontan, schnell und zielstrebig!

Freitag, 24.10.08: Am nächsten Morgen haben Papa, Mama, Rocket und ich einen Ausflug in die Lüneburger Heide zum Wilseder Berg ge-macht. Nachdem wir circa 10 km gelaufen waren, sind wir in ein klei-

nes Hüttchen eingekehrt. Nach einem kleinen Schlenker traten wir den Rückweg an. Als wir wieder bei unserem Auto angekommen waren, ahnte Papa schon, dass mit dem Golf etwas nicht stimmte, da er komi-sche Geräusche von sich gab und dazu noch dampfte. Also beschlos-sen wir zur nächsten Tankstelle in ein weißichwo (Kuhdorf) zu fahren. Nachdem der Golf auf eine Hebebühne gehoben worden war, konnte der „Aut0-doktor“ gleich feststellen, dass das Kühlwasser direkt nach der Befüllung wieder herauslief – es gab also ein Loch! Damit war die Sache klar: Wir konnten nicht einen Zentimeter mehr mit dem Auto weiterfahren, ohne es zu beschädigen, also musste ein Abschleppauto her! Nachdem Papa den ADAC alarmiert hatte, machten wir es uns in dem kleinen Tankstellenhäuschen mit einem warmen Kaffe gemütlich.

Die anschließende Zeit verbrachten wir mit Warten und Warten und Warten. Mama saß auf einem Bierkasten, Papa hielt draußen Aus-schau nach dem ADAC-Männchen, Rocket platzierte sich auf seiner Decke unter dem kleinen Bistrotisch und ich lauschte den „spannen-den“ Dorfbeziehungskisten von der Tankstellentheke. Nach gefühlten 10 Stunden blinkte in der Dunkelheit das Abschleppauto auf. Nachdem das Auto verladen und angegurtet war, konnte endlich unser Heim-weg angetreten werden. Mama, Rocket und ich saßen hinten, während Papa sich vorne mit den wortkargen Fahrer über die schlimmsten Un-fälle unterhielt. Papa fiel während der Fahrt auf, dass sehr viele Kreuze an den Straßenrändern standen. Wir kamen uns vor, als würden wir auf einem Kamel reiten, zumindest stellt man sich so einen Kamelaus-ritt vor. Ich rief Cajus noch schnell vom Handy aus an, um ihm kurz von unserer Panne zu berichten, wobei er sich amüsierte und mich frag-te, ob wir ihm einen Döner mitbringen könnten. Aber wie? War leider

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unmöglich, da uns der Fahrer direkt vor unserem Haus absetzte, wo uns schon der hungrige Cajus erwartete. Dann aßen wir irgendetwas Leckeres, weiß leider nicht mehr was, und spielten gemeinsam Kniffel. Ich muss eingestehen, dass ich es an diesem Abend lernte und mich auch noch verrechnete, sodass ich Cajus zu meinem persönlichen „Rechner“ ernannte.

Samstag, 25.10.08: Da der Golf in der Werkstatt war, fuhren Papa, Mama und ich mit den Fahrrädern in die Stadt. Ich probierte das neu-alte Fahrrad „Vaterland“ aus und Rocket rannte hinter uns her. Vor der Post schlossen wir die Räder an und Papa ging zum Friseur, während Mama und ich durch die Stadt bummelten. Anschließend besorgte ich bei Karstadt für Mama, Papa und Cajus einen neuen Kniffelblock, da wir an dem Abend zuvor die letzten Zettel verbraucht hatten. Nach der Mittagspause spielte ich mit Papa eine Runde Tischtennis. Während wir spielten, kam Cajus zu uns und fragte, ob er mit mir kurz spielen könne, also gab Papa ihm seine Kelle und wir zockten los. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich davor das letzte Mal mit ihm Tisch-tennis gespielt habe, ist ewig her. Wir haben zwar nicht wirklich ernst-haft gespielt, ich probierte meine Schmetterkunst aus, die nicht wirk-lich funktionierte, und alberte herum. Anschließend spielten Papa und Cajus ein richtiges Match, wobei Cajus Papa besiegte und ganz ehrlich, Papa zu besiegen ist verdammt noch mal nicht einfach! Wer kann das bezeugen? Maaaammaaa!Als ich später oben auf dem Klo saß, kam Cajus einfach herein und teil-te mir mit, dass -falls Ellen und ich ihm etwas zu Weihnachten schen-ken wollen - er sich das Tommy H. Parfum wünschen würde. Letztes Jahr hatten wir ihm dies geschenkt. Abends zog Cajus mit Freunden los

und Papa, Mama und ich fuhren mit den Rädern zur CD-Kaserne, um ins Kino zu gehen. Ich glaube, ich war zum ersten Mal in meinem Leben mit Papa im Kino. Der Film „So ist Paris“ ist ein Film, der den Alltag von verschiedenen Leuten in der Stadt der Liebe zeigt. Da der Film auf zwei großen Filmrollen aufgespult war, gab es eine kleine Pause, in der Mama und ich ein Celler Bier tranken und jeder eine Gummischlan-ge aß. Papa trank einen Wein und besorgte 3 Lakritzrollen.Nach dem Kinobesuch fuhren wir zurück und freuten uns schon auf eine köstliche Käseplatte. Wir aßen Kräcker mit Käse, spielten Romme Cup und unterhielten uns über alles Mögliche. Ich erinnere mich, dass wir auch über Cajus sprachen, und ich meinte noch zu MaPa, dass sie sich um Cajus keine Sorgen machen müssten, da er schon seinen Weg finden würde. Wir sprachen darüber, dass es die Möglichkeit gäbe, den Zivildienst im Ausland zu absolvieren. Am Ende des Abends schlief ich eingekuschelt mit Rocket im Arm auf dem Wohnzimmersofa ein, während MaPa gemeinsam musizierten. Papa am Flügel und Mama mit Gitarre. Es gibt nichts Schöneres als bei Livemusik einzuschlafen!

Sonntag 26.10.08: Nachdem wir ausgiebig gefrühstückt hatten, mach-te ich mit Rocket eine kleine Radtour durch die Celler Wälder. Rocket demonstrierte, wie sehr er die Landluft genoss, indem er sich mit Kuhkacke panierte. Er stank so erbärmlich, dass ich mich gezwungen sah, ihn zu baden. Nachdem er frisch geduscht aus der Wanne hüpfte, rannte er mit seinem Handtuch zu Cajus, um ihn zum Spielen aufzufor-dern. Cajus hatte gerade Damenbesuch und stellte dem Mädchen den verrückten Hund vor. Beide spielten mit ihm. Cajus wollte mir unbedingt sein „Bodytrainingsprogramm“ vorstellen

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und forderte mich zum Sportmachen auf. Erst legten wir uns auf den Boden, stellten unsere Füße auf den Sessel und trainierten so unsere Bauchmuskeln. Dann nahm Cajus seine 20 kg Hanteln und ich holte mir zwei Apfelsaftflaschen aus dem Vorratskeller, welche ich stemm-te. Man sah Cajus sichtlich die Anstrengung an, aber trotzdem konnte er noch lachen. Diesen Gesichtsausdruck werde ich nicht vergessen. Trotz Anstrengung und Gepruste noch ein Lächeln hinzubekommen, klasse! Dann musste ich mich auf die Klavierbank legen und so die Brustmuskeln trainieren. Jede Übung wurde 10-mal wiederholt. Der Keller glich nicht mehr einem Gästezimmer, sondern sah mit all den Geräten, Bänken und Musikanlage und Handtüchern eher aus wie ein Fitnessstudio. Unglaublich waren die Muskeln, die Cajus durch seinen Trainingsplan aufgebaut hat. Mir fiel auf, dass mein Bruder richtig männlich geworden war. Mein kleiner Bruder!!!

Später spielte ich mit Cajus an seinem Rechner Autorennen. Ich muss-te Voll-Gas geben und dann den richtigen Absprung bekommen, um dann durch einen Feuerreifen zu springen. Cajus amüsierte sich über meine Unfähigkeit und sagte immer Ati jetzt, jetzt! Es machte total viel Spaß. Er ist einfach geübter und es sah lustig aus, wie seine langen Finger über die Tastatur sprangen. Außerdem hatte Cajus die Bega-bung, die Stimmen jeglicher verrückten Menschen oder Figuren nach zu ahmen. Am lustigsten war es, wenn er die Knetfiguren „purple and brown“ imitierte. Hoohohooooo... kann man sich bei „you tube“ an-gucken! In der Mittagspause suchte ich im Internet Organisationen für den Zivildienst im Ausland aus. Ich zeigte Cajus einige interessante Seiten und forderte ein paar Unterlagen an, die Cajus eine Woche spä-ter erhielt. Ich wollte ihn dazu überreden nach Afrika zu gehen, er fand

allerdings Irland spannender. Letztendlich fand ich eine Organisation, die in Berlin sitzt, bei der ich mich melden wollte, das brauchte ich nun doch nicht mehr zu tun, leider! Später hörte ich Cajus auf dem Flügel spielen... Nachdem wir gegessen hatten, ich glaub es gab Klöße mit Rotkohl und Fleisch, packte ich meine Sachen. Cajus kam aus dem Computerzimmer, um sich bei mir zu verabschieden. Ich drückte ihn und sagte zu ihm: „Pass auf dich auf“, das war das letzte Mal, dass ich ihn in die Arme genommen habe. Wer hätte gedacht, dass es das letzte Mal auf dieser Welt sein würde??? Dabei habe ich ihn noch gewarnt, nicht bei Leuten mitzufahren, die frisch ihren Führerschein gemacht haben und Alkohol getrunken haben. Ich erzählte ihm, was ich früher für leichtsinnige Sachen gemacht hatte...ich wollte ihn warnen und dann passiert so was, peng!Dann verabschiedete ich mich von Mama, die Tränen in den Augen hatte. Manchmal ist ihr so schwer zu Mute, wenn wir abfahren. Cajus stand an der Haustür, um mir zu winken. Am Bahnhof angekommen, kaufte ich mir noch schnell am Automaten einen Fahrschein nach Ber-lin. Papa brachte mich zum Zug. Es regnete total stark, sodass ich zu ihm sagte, dass er schon gehen könne, aber so wie immer wollte er sich vergewissern, dass ich sicher im Zug sitze. So ist mein Paps ;) Ich verabschiedete mich und sagte ihm, dass es ein ganz schönes Wo-chenende gewesen sei. Urlaub in Celle!

Ich bin der glücklichste Mensch, da ich sagen kann, dass ich an die-sem letzten Wochenende mit meinem geliebten Bruder Cajus so viel erlebt habe wie noch nie. Er ist erwachsen geworden! Allerdings hätte nun unser gemeinsames Geschwisterleben mit Ellen, Cajus und mir begonnen. Cajus hätte sein Abi gemacht, wäre ins Ausland gegangen,

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um seinen Zivildienst zu machen, und wäre dann zu uns nach Berlin gezogen. Wir hätten zusammen gefeiert und so manche Konzerte ab-gerockt...Wir wären alle drei gemeinsam mit dem Zug nach Celle ge-fahren, um unsere Eltern zu besuchen. Hätte, hätte, hätte,... Ich hatte mich so darauf gefreut! Es schmerzt! Es ist so traurig! Es ist unfassbar! Und doch sage ich: Vielen Dank für dieses so runde Wochenende mit MaPaCa!!!

Lieber Cajus! Du bleibst immer in meinem Herzen und wenn mich je-mand fragt, ob ich einen Bruder habe, dann werde ich immer ja sagen, da du für mich immer mein kleiner Bruder bist und bleibst, egal wo du jetzt bist! Ich vermisse meinen verrückten, frechen, witzigen, klein-großen, lieben „Gurkenbruder“ einfach! Verdammt noch mal! Alles Liebe, Freiheit und Frieden wünscht Dir Deine Schwester AtiP.S. Den Namen Ati trage ich jetzt noch stolzer!

Die FlutLiebste Sabine, gestern ist dein Brief eingetroffen zusammen mit ei-ner „Flut“ von Briefen, die uns von Zeit zu Zeit schwallartig erreichen. Hebe jedes Wort auf, wie ein Blatt vom Baum der Erkenntnis. Morgen um 11 Uhr kommt der Pastor, um die Gestaltung der Trauerfeier festzu-legen. Werde ihn bitten einige deiner Wortschöpfungen zu integrieren. Ich finde sie enthalten eine Botschaft für die vielen jungen Menschen, die kommen werden. Wir sind immer noch nicht in der Lage, die Musik für die Trauerfeier (komisches Wort) auszuwählen. Alles ist mit so viel Erinnerung aufgeladen. Vor drei Tagen hat Axel für seinen Sohn ein Requiem auf dem Klavier gespielt, frei improvisiert. Solche Töne habe ich noch nie gehört. Es

war herzergreifend und von solch einer Tiefe und Andacht durchdrun-gen und hat Axel so viel Kraft gekostet… Es ist gleich drei Uhr in der Früh. Vielleicht schaffe ich es doch noch einzuschlafen. Sei behütet und gesegnet in deinem Tun. Hab Dank für das Geschenk deines Da-seins. Deine Dorothea

Seelenarbeit ist wie Garten umgrabenLiebste Dorothea, du Nachtarbeiterin. Doch das Bewusstsein ist zu diesen Stunden, vor allem in der Stille, oft am schärfsten. Eben ist der Himmel bei uns rosa und blau, eine besondere Mischung, ich denke an deine Bilder. Es sind genau die Farben, die der Engel um sein Licht hatte, unter und in den Flügeln, genau die Farben sind es. Mein Herz ist beglückt. Komm lass uns in den Kirschbaum hocken und Farben trinken, als Trost, als innere Füllung, als Ruhekissen für den Schmerz, als Schokolade für die Seele und als das, was sich von außen in uns schälen will, um zu begreifen, dass jeder von uns jetzt und immerdar im Lichte steht. Nun weiß ich es ganz sicher: ich kann nicht zur Trauerfeier, zur Licht-feier kommen. Ich muss gut für mich sorgen, für mein Leben vor dem Tod. Die Gefühle wären zu stark, sie würden mich fortspülen, ich weiß es. Ich danke dir, dass ich es dir so ehrlich sagen darf. Ich komme dann, wenn der Trubel verebbt ist, wenn die Stille in dein Herz kann und dich die nächste Stufe der Trauer beseelt. Lass mich dann an deiner Seite sein, ganz nah, du brauchst mich dann vielleicht noch mehr, als jetzt. Jetzt geht‘s nur aus der Ferne, aber es ist ganz ganz viel Liebe dabei. Nun hat sich der Mond, als weißes Licht hervor geschoben und schaut in mein Fenster. Er lächelt, ich weiß es, der gute alte Mond. Ich schicke ihm Grüße auf die Reise. Wenn er bei dir vorbeischaut wird er lächeln.

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Fundstück des Schicksalsdes Nimmerwiedersehens allerletzte Hülleverwandelt im Licht der Sterne

In sternenklarer Nacht und in meinen nächtlichen Träumen durfte ich noch einmal ganz deutlich deine Nähe spüren, eine Nähe, die gleichzeitig deine Ferne ankündigt: des Nimmerwiedersehens allerletzte Hülle, wandlungsbereit für deine letzte Reise.

Nicht wissend blicken wir stumm in den sternenübersäten Himmel. Das Geheimnis in allem bleibt, verwandelt durch unsere Liebe, im Licht der Sterne.

„In sternenklarer Nacht“, 100 x 70 cm, Mischtechnik, 2008

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121würdigen - vertrauen - bewahren

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122 würdigen - vertrauen - bewahren

Das Leben geht weiter

Liebe Dorothea, die Tulpen, die ich für Cajus gepflanzt habe, sind jetzt 10 cm raus gekommen. Das Leben geht weiter. Sei bedacht Sabine M.

Starkes Stück Liebe Heike, zur späten Stunde ein nächtlicher Gruß von einem unru-higen Geist aus Celle. Folgender Brief lag heute im Briefkasten:„Liebe Dorothea, als Du das zweite Mal in die Gruppe zur Trauerbeglei-terausbildung kamst, trugst Du Deinen Arm im Gips und erzähltest, Du habest mit Deinem kleinen Sohn auf der Straße Fußball gespielt. Dies fiel mir ein, als Deine Post kam mit der Nachricht von seinem Tod im November. Hast Du nicht auch das Gefühl und die Gewissheit verspürt, dass all das Beschäftigen mit Tod und Trauer für diesen einen Augen-blick im Leben bestimmt war? Mir ging es so, als unser Schwiegersohn im vorigen Jahr plötzlich erkrankte. Ich wünsche Dir und Deiner Familie Kraft zum Leben. Herzlichen Gruß“ Ist das nicht ein starkes Stück? Was hältst Du davon? So habe ich mei-ne letzen 15 Jahre Ehrenamt noch nicht gesehen. Hilft mir zwar auch nicht aus meiner momentanen Krise… Hab Dich wohl! Gruß Dorothea

Nicht „umsonst“ Liebe Dorothea, wenn Du denkst, dass ich um so eine Uhrzeit schon schlafe dann irrst Du Dich. Erst jetzt lese ich Deine Mail und mir fällt der Gedanke von Isabelle dazu ein, den ich Dir gestern in der Küche erzählt habe. Ich/wir/Du wissen nicht warum etwas passiert... Warum das alles so sein muss - aber auch ich bin komischerweise fest da-von überzeugt, dass trotz des Schmerzes und Kummers alles irgend-

wie nicht „umsonst“ sein kann... (es fällt mir sehr schwer so etwas zu schreiben - ich rede lieber mit Dir und schaue Dich an.) Wenn ich zurückdenke an meine „Starre“ nach der Nachricht von Cajus‘ Tod an die folgenden 2 Wochen und alles was darauf folgte, die Gefühle und Gedanken... Die Angst vor der Trauerfeier. Wie rede ich mit Euch? Was soll ich sagen? Gibt es überhaupt etwas zu sagen? Ich bin sicher, dass alle ganz nahen Freunde schon alles gesagt haben, was zu sagen ist. Und dann sendest Du den „Trauerrahmen“, und mit einemmal ist man mit involviert und es ist besser zu greifen - begreifen, dass Du/ Ihr nicht allein seid, dass wunderbare Menschen Anteil nehmen und auch Worte finden können. Gedanken, Gedichte, Deine Bilder, das al-les und noch viel mehr. Du schreibst und sammelst und lässt uns alle teilhaben an allem was Euch widerfährt und wie es Dir geht. Da muss es einen Grund geben und das kann nicht alles für „Nichts“ sein. Auch ich denke, dass Du eine ganz wichtige Aufgabe hast und dieses alles durchleben musst und mit den Jahren darüber andere Erkenntnisse haben wirst, um anderen Menschen den Mut zu geben weiterzuleben - egal welcher Schicksalsschlag den Menschen widerfährt. Denn was kann es Schlimmeres geben? Du schaffst es, dass Du die Menschen um Dich herum tröstest und allen Kraft gibst… Egal was sein wird, egal welche Augenblicke kommen werden, egal was auch immer noch kom-men mag, Du bist in Arbeit an und bei Dir und suchst neue Wege. Und gerade das wird andere Menschen stärken und ihnen helfen. Feste Umarmung von Heike

MännertrauerImmer wieder auf meinen Seminaren sprach man mich auf das Thema Männertrauer an. Da Trauer ein Gefühlsthema darstellt, sollte die Fra-

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123würdigen - vertrauen - bewahren

ge eher lauten: Wie bringen Männer ihre Gefühle zum Ausdruck? Auf diese Weise wird deutlich, dass man über Trauer von Männern, wie über Gefühle, nicht im Allgemeinen, sondern immer nur im Besonde-ren sprechen kann. Ein Vater, der seinen Sohn, seine Tochter verliert, verliert genau wie eine trauernde Mutter seine Zukunft.

Es wird oft gesagt: Wenn ein alter Mensch stirb, stirbt die Vergangen-heit. Wenn ein Kind stirbt, stirb die Zukunft. Und etwas stirbt auch noch mit, unsere Rolle als Mutter oder Vater. Das macht beide Elternteile zu-nächst auf gleiche Weise hilflos. Doch wie ein jeweiliger Elternteil mit dem Verlust umgeht, ist sicherlich nicht nur vom Geschlecht, sondern auch von seiner Position in der Familie abhängig. Ein Vater, der als Hausmann elterliche Pflichten erfüllt, wird sicherlich in vielen Situatio-nen ähnlich wie eine Mutter reagieren. Ich für meinen Teil kann sagen,

dass mein Mann, obwohl er kein ausgesprochener Hausmann ist, ganz genau wie ich die Konfrontation mit den tiefsten Gefühlen in der Trau-er nicht gescheut hat und mir somit sehr entgegengekommen ist. Den Schmerz, das Leid zuzulassen, ist sicherlich in einer Gesellschaft, die in vielen Situationen dem Mach(t)barkeitswahn verfallen ist, für einen Mann nicht gerade einfach und gilt noch heute als vornehmlich weibli-che Tugend. Was jedoch die Umsetzung und Strukturierung von Trau-ergefühlen betrifft, habe ich die verblüffende Feststellung gemacht, dass ich nie im Leben auf die Idee gekommen wäre, eine Exceltabelle mit Erinnerungen an unseren Sohn anzulegen. Eine geniale Idee, wie ich finde, da auf diese Weise zahlreiche innigliche Berührungsmomen-te zwischen Vater und Sohn zum Ausdruck kommen konnten, obwohl dieser nur siebzehn Jahre alt geworden ist. Hier erfolgt eine Auflistung, welche trotz unübersehbarer Fülle noch nicht abgeschlossen zu sein scheint. Denn noch immer heißt es: „Weißt du noch, damals…“

Axels Erinnerungsliste 1991-2008

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Danksagung

Danksagung

Mein Dank gilt all jenen Menschen, die mich während der ersten 271 Tage durch meine Trauer getragen haben. Ganz besonders danke ich meinem Mann Axel, der mich in allen Ver-rücktheiten meines Trauer-erlebens stets gestützt und auf unserem gemeinsamen Weg durch die Trauer begleitet hat. Ich danke für seine Offenheit, seinen Mut, durch den sich seine und meine Tränen eine Bahn brechen konnten, bis hin zu jenem Lächeln, das sich immer dann einstellte, wenn er seine Excel-liste zum Einsatz brachte, in der er alle Erinnerungen des Lebens mit Cajus, vom kleinsten unscheinbaren Ereignis bis hin zu Höhepunkten gemeinsamer ferner Reisen, festgehalten hatte.

Ohne unsere beiden erwachsenen Töchter, Ellen und Katrin, wären wir Vollwaisen geworden und hätten nie diese schwere Zeit überstehen können. Beide Töchter haben tatkräftig an der Gestaltung dieses Bu-ches mitgewirkt. Katrin (genannt Ati) durch ihre Aufzeichnungen der letzen Tage mit ihrem Bruder und Ellen, indem sie Dank ihres grafi-schen Talentes die Gestaltung dieses Buches übernahm.

Der großen Unterstützung durch Pat Baier, der Direktorin der Inter-nationalen Schule in Hannover, verdanken wir es, dass unser Sohn Jonathan Cajus seine Entfaltung auf allen Ebenen des Kindseins bis hin zu seinem Erwachsenwerden ausleben durfte, ohne über seinen Tod hinaus in Vergessenheit zu geraten. Der Umgang mit Trauer im öffentlichen Bereich, unter Berücksichtigung des schulischen Alltags, war vorbildhaft und sollte auf anderen Schulen Nachahmung finden. Da wurde nichts verschwiegen, verdrängt, ausgeblendet. Es gab einen Ort, an dem sich Jugendliche etwas von der Seele schreiben und reden konnten, sowie es einen Ort des stillen Gedankens gab, an dem Mit-schüler und Lehrer eigene Rituale entwickeln konnten. Die folgenden Worte bezeugen dies: „It has become some kind of ritual; we say good morning to your picture and good evening when we leave. Sometimes it’s almost as if you’re here.“

Von Herzen möchte ich mich bei Frau Petra Hohn, der 1. Vorsitzen-den des Bundesverbandes Verwaister Eltern e.V. bedanken. Ihr Buch

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175Danksagung

„Plötzlich ohne Kind“ wurde für uns zu einem steten Begleiter. Immer wieder haben wir wechselweise in ihm gelesen und im Austausch darü-ber Kraft geschöpft. Frau Hohn war es auch, die uns den Mut zusprach, dieses Buch, in dem mehr als hundert Menschen zu Wort kommen, der Öffentlichkeit zugängig zu machen. Ohne diese vielen Menschen: Freunde, Verwandte, Bekannte, die ihre Briefe und E-Mails zur Veröffentlichung freigaben, hätte dieses „Netz-werk Trauer“, wie ich es nenne, nie entstehen können.

An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, Herrn Duderstadt, dem Verleger, zu danken, durch dessen herzliche und wertschätzen-de Unterstützung dieses Buch seinen Weg in die Öffentlichkeit finden konnte.

„Metamorphose 33“, 100 x 70cm, Mischtechnik, 2008

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Netz zum Anknüpfen

Ein Netz zum Anknüpfen

www.veid.de Bundesverband Verwaiste Eltern in Deutschland e.V. Hilfe für trauernde Mütter, Väter, Geschwister, Großeltern und Menschen, die sie begleiten

www.trauer-und-perspektive.de Susanne Mroß Begleitung in Trauer und Lebenskrisen

www.stiftung-trauerbegleitung.deTrauerbegleitung und BestattungskulturTrauer ist mehr als weinen

www.grit-wuttke-kunst.deGrit Wuttke, Praxis für Kunst und Therapiekunsttherapeutische FortbildungenRaum für Entfaltung und lebendiges Lernen

www.fb-celle.deFriedhelm Bornemann, Tischlerei und Bestattung

www.is-hr.deISHR International School Hanover RegionEducating the future

www.spalink-sievers.deLandschaftsarchitektenGestaltung von Freiräumen im norddeutschen Raum

www.suedwestkirchhof.deFriedhof in Stahnsdorf bei Berlininmitten einer gestalteten Waldlandschaft

www.benediktushof-holzkirchen.deZentrum für spirituelle Wegeunter Berücksichtigung des zeitgenössischen Weltbildes

www.netzwerk-nahtoderfahrung.deNahtod-Erfahrung: Forschung zwischen Leben und TodGerman Friends of the International Association of Near-Death Studies (IANDS)

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177Ein Netz zum Anknüpfen

„Ohne Titel“, 70 x 100 cm, Collage, 2009

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178 Quellen

QuellenRumi (1207-1273)„Ich starb als Mineral und wurde Pflanze“ (S. 171)

Mahatma Gandhi (1869-1948)„Das Geheimnis des Lebens und das Geheimnis des Todes (S. 68)

Charles Peguy (1873-1914)„Der Tod ist nichts, ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen“ (S. 86)

Joachim Ringelnatz (1883-1934)„Wenn ich tot bin darfst du gar nicht trauern“ (S. 88)

Khalil Gibran (1883-1931)„Eure Kinder sind nicht eure Kinder“ (S. 102)

Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)„Glauben sie, fragte man mich, an ein Leben nach dem Tode” (S. 60)

Marie - Louise von Franz (1915-1998)Aus „Traum und Tod“ (S. 109)

Williges Jäger (*1925)„Das Leben endet nie - Über das Ankommen im Jetzt” (S. 75)

Michael Ende (1929-1995)Aus Momo: „Und wenn mein Herz einmal aufhört zu schlagen“ (S.102)

Chogyam Trungpa (1939-1987)„A Heart Lost and Discovered“ (S. 34-35)

Sabine Mehne (*1957)„Mein Credo“ (S. 24)„Großes Ganzes“ (S. 24)„Vor mir das Leben“ (S. 24) „Vor uns das Leben“ (S. 24)

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179Quellen

Cosima Bellersen Quirini (*1960)„märz“ (S. 111)

Nina Herrenkind (*1992)„Cajus“ (S. 43)

Verfasser unbekannt

„An die die ich liebe und die mich lieben“ (S. 74)„A thousand winds“ (S. 75)„Wenn ich nicht mehr da bin, dann lasst mich los“ (S. 170)„Ein Mensch der uns verlässt ist wie die Sonne“ (S. 171)Indianischer Sonnengesang (S. 103)Irischer Reisesegen (S. 103)

Musik

Kreyol Syndikat„Roots ragga“ (S. 59)

Dougie Maclean„Caledonia“ (S. 59)

Mandakh Nar„Rising sun“ (S. 100)

Film

Dr. Rainer Fromm, Simone KienastMatthias-Film, Reportage (60 Min.) „An der Schwelle zum Jenseits“Nahtod-Erlebnisse aus der Sicht von Wissenschaftlern und Betroffenen (S. 92, 93)

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Ein Netz, das trägt

Gelebte Trauer in Briefen, Bildern und Textenvon einer Trauerbegleiterin nach dem Tod ihres Sohnes

SANTIAGO VERLAGSANTIAGO VERLAG

Gelebte Trauer ist geschenkte Zeit, umsorgt sein von anderen, die fühlend verstehen, wovon der andere spricht, wenn er schweigt, wenn er weint. Nicht gelebte Trauer ist wie ein ungeöffneter Brief, verschlossen, verlegt, aus den Augen verloren.

Nachdem ihr Sohn mit 17 Jahren tödlich verunglückte, verarbeitete die Künstlerin und Trauerbegleiterin Dorothea Stockmar ihre Trauer der ersten 271 Tage zu einem Netzwerk.

Aus dem Inhalt:

- verlassen, schutzlos, ohnmächtig am Anfang eines Trauerprozesses - Schmerz, Sehnsucht und Liebe verlangen nach Ausdruck - sich trauen, sich öffnen, weiter gehen auf dem Weg des Lebens

Wenn die Trauer ein Meer ist,dann ist die Liebe ein jeder Tropfenaus dem dieses Meer zusammengesetzt ist.

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Dorothea Stockmar

(D) € 20,00ISBN: 978-3-937212-37-1