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31 31 Protokoll  EVA HIRSCHI Bild  PR I VAT Ein Tag im LEbEn Jahr später konnten wir zurück – und standen vor einem Scherbenhaufen. Das Haus war stark geplündert worden, im Garten befanden sich dreizehn scharfe Minen. Während der Renovation lebten wir in einer kleinen Hütte in der Nähe. Die Regierung half uns kein biss- chen. Immerhin erhielten wir Hilfe von NGOs, und ich wurde zum Glück von meinen Söhnen und meinen Nachbarn unterstützt. Mein Ehe- mann ist tot, er kam im Ossetienkrieg in den 1990er-Jahren ums Leben, als Südossetien für die Unabhängigkeit von Georgien kämpfte. Doch selbst als wir das Haus renoviert hatten, dauerte es lange, bis der Alltag wieder einkehrte. Es gab keine Infrastruktur mehr, kein Wasser, kein Strom, der Markt war ge- schlossen. Nur um ein Brot zu kaufen, musste man bis in die dreissig Kilometer entfernte Stadt Gori fahren. Nun ist der Alltag zwar zu- rück, doch der Krieg hat mein Leben in zwei Abschnitte geteilt. Davor war mein Leben sehr interessant, ich hatte ein Mandat der OSZE in Zchinwali und sollte als Reporterin über den seit Jahren herrschenden georgisch-ossetischen Konflikt berichten. Doch jetzt ist alles anders, die Situ- ation ist wie festgefroren, die Regierung tut nichts. Und die Zeit spielt gegen uns: Die jün- geren Generationen identifizieren sich nicht mehr mit Südossetien: Es ist ihnen ganz egal, ob es zu Georgien oder Russland gehört. Mir ist es aber wichtig, dass der Krieg nicht vergessen wird. Deshalb habe ich letztes Jahr im Keller meines Hauses ein kleines Mu- seum eröffnet. Es zeigt Gegenstände von uns und unseren Nachbarn, die ich nach dem Krieg gefunden habe: verkohlte Puppen, durch die Hitze geschmolzene Glasflaschen, die alte Militäruniform meines Mannes, Bom- benteile aus unserem Garten. Umgeben von diesen Gegenständen denke ich über den Krieg nach, versuche ihn aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Jeden Tag kom- me ich hierher, sehe nach dem Rechten, emp- fange mehrmals pro Woche Besucher und er- zähle ihnen meine Geschichte, die auch die jüngere Geschichte meines Landes ist. Natürlich geht das Leben weiter. Ich arbeite nun in Gori als Gemeindeparlamenta- rierin. Doch der Krieg hat uns alle verändert. Wahrscheinlich geniesse ich jeden Morgen auf meinem Balkon deshalb so sehr, weil ich heute weiss, dass es keine Garantie dafür gibt, am nächsten Tag wieder friedlich zu erwa- chen. Jeden Abend danke ich Gott für einen Tag ohne Krieg. Jeden Morgen setze ich mich auf meinen Bal- kon, höre die Vögel zwitschern und schnuppe- re an meinen Rosenstauden. Dann füttere ich die Hühner und kümmere mich um den Gar- ten. Was idyllisch klingt, ist es in Wahrheit nicht: 200 Meter von meinem Haus entfernt sieht man Stacheldraht. Der markiert die Li- nie, die Georgien von Südossetien trennt. Die- se Region, die völkerrechtlich immer noch zu Georgien gehört, ist seit dem Krieg 2008 von Russland besetzt. Die südossetische Haupt- stadt Zchinwali, wo ich geboren und aufge- wachsen bin, kann ich von meinem Haus im georgischen Dorf Ergneti aus sehen – doch zu- rück kann ich nicht mehr. Die Okkupationslinie ist nicht überall klar markiert, es kommt immer wieder vor, dass jemand unwissentlich zu weit geht und ein- fach erschossen wird. Auch wenn der Krieg vorbei ist, hören wir immer wieder Schüsse in der Nacht oder sehen russische Helikopter über unser Haus fliegen. Das erinnert mich je- des Mal wieder an jene Nacht im August, als der Krieg ausbrach und wir in den Keller hin- unterrannten, ich, meine zwei Söhne und die Nachbarn. Dieser Keller hat uns das Leben ge- rettet, denn unser Haus wurde von Molotow- cocktails getroffen. Der ganze erste Stock brannte aus, nur die Grundmauern blieben stehen. Wir mussten fliehen, fanden Zuflucht bei Freunden in der Hauptstadt Tiflis. Erst ein Ein Stacheldraht vor ihrem Haus trennt L I A C H L A C H I D Z E (65) von ihrer Heimat Südossetien. Um an die Teilung zu erinnern, betreibt sie ein Privatmuseum. «Das Magazin» ist die wöchentliche Beilage des «Tages-Anzeigers», der «Basler Zeitung», der «Berner Zeitung» und von «Der Bund». HERAUSGEBERIN Tamedia AG, Werdstrasse 21 8004 Zürich Verleger: Pietro Supino REDAKTION Das Magazin Werdstrasse 21, Postfach 8021 Zürich Telefon 044 248 45 01 E-Mail: [email protected] Chefredaktor: Finn Canonica, Bruno Ziauddin (Stv. Chefredaktor) Redaktion: Sven Behrisch, Mikael Krogerus, Anuschka Roshani, Paula Scheidt Artdirektion: Nathan Aebi Bildredaktion: Dorothea Fiedler Abschlussredaktion: Isolde Durchholz Redaktionelle Mitarbeit: Christof Gertsch, Hannes Grassegger, Max Küng, Trudy Müller-Bosshard, Christian Seiler, Jan Christoph Wiechmann Honorar: Claire Wolfer VERLAG Das Magazin Werdstrasse 21, Postfach, 8021 Zürich Telefon 044 248 41 11 Verlag: Marcel Tappeiner (Leitung), Louisa Gisler, Gabriela Wettstein Tamedia Advertising: Philipp Mankowski (Chief Sales Officer), Sascha Müller (Head of Advertising), Jean-Claude Plüss (Head of Sales) Sales Administration Print: Gabriela Holenstein (Department Manager) Anzeigen: Tamedia AG Werdstrasse 21, Postfach, 8004 Zürich Telefon Deutschschweiz +41 44 248 42 30 [email protected], www.advertising.tamedia.ch Trägertitel: «Tages-Anzeiger», Werdstrasse 21 Postfach, 8021 Zürich, Tel. 044 404 64 64 [email protected]; «Berner Zeitung», Tel. 0844 844 466 [email protected]; «Basler Zeitung», Tel. 061 639 13 13 [email protected]; «Der Bund», Tel. 0844 385 144 [email protected]; Nachbestellung: [email protected] Ombudsmann der Tamedia AG: Ignaz Staub, Postfach 837, 6330 Cham 1 [email protected] Bekanntgabe von namhaften Beteiligungen der Tamedia AG i.S.v. Art. 322 StGB: Actua Immobilier SA, Adagent AG, autoricardo AG, 20 minuti Ticino SA, Adextra AG, Basler Zeitung AG, Berner Oberland Medien AG BOM, BOOK A TIGER Switzerland AG, CIL Centre d’Impression Lausanne SA, DJ Digitale Medien GmbH, Doodle AG, Doodle Deutschland GmbH, dreifive AG, Konstanz, dreifive GmbH, Wien, dreifive (Switzerland) AG, DZB Druckzentrum Bern AG, DZZ Druckzentrum Zürich AG, Edita S.A., Goldbach Audience Austria GmbH, Goldbach Audience (Switzerland) AG, Goldbach Austria GmbH, Goldbach Digital Services AG, Goldbach DooH (Germany) GmbH, Goldbach Germany GmbH, Goldbach Group AG, Goldbach Management AG, Goldbach Media Austria GmbH, Goldbach Media (Switzerland) AG, Goldbach SmartTV GmbH, Goldbach TV (Germany) GmbH, Goldbach Video GmbH, Homegate AG, ImmoStreet.ch S.A., Jaduda GmbH, JobCloud AG, Jobsuchmaschine AG, Jointvision E-Services GmbH, LC Lausanne-cités S.A., Meekan Solutions Ltd., MetroXpress Denmark A/S, Neo Advertising AG, Olmero AG, ricardo.ch AG, ricardo France Sàrl, Schaer Thun AG, Société de Publications Nouvelles SPN SA, Starticket AG, swiss radioworld AG, Tamedia Espace AG, Tamedia Publications romandes SA, Trendsales ApS, Verlag Finanz und Wirtschaft AG, Zürcher Oberland Medien AG, Zürcher Regionalzeitungen AG EINE MARKE VON TAMEDIA

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3131Protokoll  E VA H I R S C H IBild  PR I VAT

E i n Tag i m L E bE n

Jahr später konnten wir zurück – und standen vor einem Scherbenhaufen. Das Haus war stark geplündert worden, im Garten befanden sich dreizehn scharfe Minen. Während der Renovation lebten wir in einer kleinen Hütte in der Nähe. Die Regierung half uns kein biss-chen. Immerhin erhielten wir Hilfe von NGOs, und ich wurde zum Glück von meinen Söhnen und meinen Nachbarn unterstützt. Mein Ehe-mann ist tot, er kam im Ossetienkrieg in den 1990er-Jahren ums Leben, als Südossetien für die Unabhängigkeit von Georgien kämpfte.

Doch selbst als wir das Haus renoviert hatten, dauerte es lange, bis der Alltag wieder einkehrte. Es gab keine Infrastruktur mehr, kein Wasser, kein Strom, der Markt war ge-schlossen. Nur um ein Brot zu kaufen, musste man bis in die dreissig Kilometer entfernte Stadt Gori fahren. Nun ist der Alltag zwar zu-rück, doch der Krieg hat mein Leben in zwei Abschnitte geteilt.

Davor war mein Leben sehr interessant, ich hatte ein Mandat der OSZE in Zchinwali und sollte als Reporterin über den seit Jahren herrschenden georgisch-ossetischen Konflikt berichten. Doch jetzt ist alles anders, die Situ-ation ist wie festgefroren, die Regierung tut nichts. Und die Zeit spielt gegen uns: Die jün-geren Generationen identifizieren sich nicht mehr mit Südossetien: Es ist ihnen ganz egal, ob es zu Georgien oder Russland gehört.

Mir ist es aber wichtig, dass der Krieg nicht vergessen wird. Deshalb habe ich letztes Jahr im Keller meines Hauses ein kleines Mu-seum eröffnet. Es zeigt Gegenstände von uns und unseren Nachbarn, die ich nach dem Krieg gefunden habe: verkohlte Puppen, durch die Hitze geschmolzene Glasflaschen, die alte Militäruniform meines Mannes, Bom-benteile aus unserem Garten. Umgeben von diesen Gegenständen denke ich über den Krieg nach, versuche ihn aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Jeden Tag kom-me ich hierher, sehe nach dem Rechten, emp-fange mehrmals pro Woche Besucher und er-zähle ihnen meine Geschichte, die auch die jüngere Geschichte meines Landes ist.

Natürlich geht das Leben weiter. Ich arbeite nun in Gori als Gemeindeparlamenta-rierin. Doch der Krieg hat uns alle verändert. Wahrscheinlich geniesse ich jeden Morgen auf meinem Balkon deshalb so sehr, weil ich heute weiss, dass es keine Garantie dafür gibt, am nächsten Tag wieder friedlich zu erwa-chen.

Jeden Abend danke ich Gott für einen Tag ohne Krieg.

Jeden Morgen setze ich mich auf meinen Bal-kon, höre die Vögel zwitschern und schnuppe-re an meinen Rosenstauden. Dann füttere ich die Hühner und kümmere mich um den Gar-ten. Was idyllisch klingt, ist es in Wahrheit nicht: 200 Meter von meinem Haus entfernt sieht man Stacheldraht. Der markiert die Li-nie, die Georgien von Südossetien trennt. Die-se Region, die völkerrechtlich immer noch zu Georgien gehört, ist seit dem Krieg 2008 von Russland besetzt. Die südossetische Haupt-stadt Zchinwali, wo ich geboren und aufge-wachsen bin, kann ich von meinem Haus im georgischen Dorf Ergneti aus sehen – doch zu-rück kann ich nicht mehr.

Die Okkupationslinie ist nicht überall klar markiert, es kommt immer wieder vor, dass jemand unwissentlich zu weit geht und ein-fach erschossen wird. Auch wenn der Krieg vorbei ist, hören wir immer wieder Schüsse in der Nacht oder sehen russische Helikopter über unser Haus fliegen. Das erinnert mich je-des Mal wieder an jene Nacht im August, als der Krieg ausbrach und wir in den Keller hin-unterrannten, ich, meine zwei Söhne und die Nachbarn. Dieser Keller hat uns das Leben ge-rettet, denn unser Haus wurde von Molotow-cocktails getroffen. Der ganze erste Stock brannte aus, nur die Grundmauern blieben stehen.

Wir mussten fliehen, fanden Zuflucht bei Freunden in der Hauptstadt Tiflis. Erst ein

Ein Stacheldraht vor ihrem Haus trennt L I A C H L AC H I DZ E (65) von ihrer Heimat Südossetien. Um an die Teilung zu erinnern, betreibt sie ein Privatmuseum.

«Das Magazin» ist die wöchentliche Beilage des «Tages-Anzeigers», der «Basler Zeitung», der «Berner Zeitung» und von «Der Bund».

HERAUSGEBERINTamedia AG, Werdstrasse 21 8004 ZürichVerleger: Pietro Supino

REDAKTION Das MagazinWerdstrasse 21, Postfach8021 ZürichTelefon 044 248 45 01E-Mail: [email protected]

Chefredaktor: Finn Canonica, Bruno Ziauddin (Stv. Chefredaktor)Redaktion: Sven Behrisch, Mikael Krogerus, Anuschka Roshani, Paula ScheidtArtdirektion: Nathan AebiBildredaktion: Dorothea Fiedler Abschlussredaktion: Isolde DurchholzRedaktionelle Mitarbeit: Christof Gertsch, Hannes Grassegger, Max Küng, Trudy Müller-Bosshard, Christian Seiler, Jan Christoph Wiechmann Honorar: Claire Wolfer

VERLAG Das MagazinWerdstrasse 21, Postfach, 8021 ZürichTelefon 044 248 41 11Verlag: Marcel Tappeiner (Leitung), Louisa Gisler, Gabriela WettsteinTamedia Advertising: Philipp Mankowski (Chief Sales Officer), Sascha Müller (Head of Advertising), Jean-Claude Plüss (Head of Sales)Sales Administration Print: Gabriela Holenstein (Department Manager) Anzeigen: Tamedia AGWerdstrasse 21, Postfach, 8004 Zürich Telefon Deutschschweiz +41 44 248 42 30 [email protected], www.advertising.tamedia.chTrägertitel:«Tages-Anzeiger», Werdstrasse 21Postfach, 8021 Zürich, Tel. 044 404 64 [email protected];«Berner Zeitung», Tel. 0844 844 466 [email protected];«Basler Zeitung», Tel. 061 639 13 [email protected];«Der Bund», Tel. 0844 385 [email protected];Nachbestellung: [email protected]

Ombudsmann der Tamedia AG:Ignaz Staub, Postfach 837, 6330 Cham [email protected]

Bekanntgabe von namhaften Beteiligungen der Tamedia AG i.S.v. Art. 322 StGB:Actua Immobilier SA, Adagent AG, autoricardo AG, 20 minuti Ticino SA, Adextra AG, Basler Zeitung AG, Berner Oberland Medien AG BOM, BOOK A TIGER Switzerland AG, CIL Centre d’Impression Lausanne SA, DJ Digitale Medien GmbH, Doodle AG, Doodle Deutschland GmbH, dreifive AG, Konstanz, dreifive GmbH, Wien, dreifive (Switzerland) AG, DZB Druckzentrum Bern AG, DZZ Druckzentrum Zürich AG, Edita S.A., Goldbach Audience Austria GmbH, Goldbach Audience (Switzerland) AG, Goldbach Austria GmbH, Goldbach Digital Services AG, Goldbach DooH (Germany) GmbH, Goldbach Germany GmbH, Goldbach Group AG, Goldbach Management AG, Goldbach Media Austria GmbH, Goldbach Media (Switzerland) AG, Goldbach SmartTV GmbH, Goldbach TV (Germany) GmbH, Goldbach Video GmbH, Homegate AG, ImmoStreet.ch S.A., Jaduda GmbH, JobCloud AG, Jobsuchmaschine AG, Jointvision E-Services GmbH, LC Lausanne-cités S.A., Meekan Solutions Ltd., MetroXpress Denmark A/S, Neo Advertising AG, Olmero AG, ricardo.ch AG, ricardo France Sàrl, Schaer Thun AG, Société de Publications Nouvelles SPN SA, Starticket AG, swiss radioworld AG, Tamedia Espace AG, Tamedia Publications romandes SA, Trendsales ApS, Verlag Finanz und Wirtschaft AG, Zürcher Oberland Medien AG, Zürcher Regionalzeitungen AG

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