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Ein Team in der Schule
Rahmenbedingungen fürSchüler mit Autismus
Martina SteinhausDiplom-Psychologin, Leiterin ATZ Oldenburg
Therapie Beratung Supervision Fortbildung
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Worum geht es?
Fahrplan!
Ein Team in der Schule
• Es geht um die …
• Grundprobleme des Schülers mit Autismus
bzw. die Folgen auf der Verhaltensebene.
• Welche Unterstützungsangebote passen,
welche Hilfen durch die Schulbegleitung
sind angemessen?
• Aufgabenbereiche / Abgrenzungen
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Ein Team in der Schule
• Der Besuch einer Schule signalisiert die
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben,
Zugehörigkeit und „Normalität“.
• Das Ziel eines Schulabschlusses besitzt
gewöhnlich einen sehr hohen Stellenwert
für alle Kinder.
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Symbolwirkung
• Die Aussicht auf eine gelingende
schulische Förderung hat besonders für
autistische Menschen eine große
Symbolwirkung.
• Erfahrungen des Scheiterns im
schulischen Zusammenhang haben oft
eine entsetzliche Wirkung auf das
Selbstbild.
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Späte Diagnose
• Viele Kinder mit Autismus werden oft spät
diagnostiziert. In der Schule werden sie
vor der Diagnose häufig als „irgendwie
seltsam“ wahrgenommen.
• Damit werden sie noch mehr zum
Individualisten und Außenseiter, als es
ihrem Wesen ohnehin entspricht.
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Fehleinschätzung
• Die autismustypischen Schwierigkeiten in
der Verständigung führen vielfach zu
Fehleinschätzungen der kognitiven
Fähigkeiten.
• Schüler mit Autismus leiden häufig
darunter, in ihren Möglichkeiten
unterschätzt zu werden.
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Schüler mit Asperger-Syndrom haben oft den alles bestimmenden Wunsch, „normal“ zu sein.
8
…
… so, wie alle anderen Kinder auch. 9
„Der soziale Stundeplan“
• Sie sind in der Schule in ganz besonderer
Weise gefordert.
• Die sozialen Anforderungen stellen eine
kaum nachvollziehbare Belastung dar.
• Gleichzeitig leiden autistische Kinder
daran, an „normalen“ Maßstäben
gemessen zu werden.
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Teufelskreis
• Diese Belastung bzw. Überforderung
verstärkt autismustypische
Verhaltensweisen.
• Manche wehren die überfordernden
Erwartungen durch kasperhaftes Verhalten
oder durch skurril wirkende Gebärden ab.
Auf diese Weise wird ihre soziale Isolation
verstärkt.
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• Dieser Teufelskreis führt nicht selten zum
Abbruch von Schulversuchen und zur
weiteren Stigmatisierung.
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Ein Schüler wie Lars in meiner
Klasse…
• „Es ist schon 8.03 Uhr!“
• „Das hast Du ja toll geschrieben!“
• „Du siehst aber kaputt aus!“
• „Könntest Du das Fenster öffnen?“
• „Wir haben Eier im Kühlschrank“
• „Wollen wir heute über Dinos reden?“
• „Ich habe nicht gesehen, dass Sie mich angeschaut haben!“
• „Sie riechen heute irgendwie komisch!“
• „Nie bin ich als erster dran“
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Lars auf dem Schulhof
Lars:• „Ich würde lieber in der
Bibliothek bleiben!“
• „Warum heult die so laut?“
• „Ein Freund muss sein wie ich!“
• „Ich sage Dir, wie das geht!“
• „Der hat mich so doll geschubst!“
LehrerIn• Ob Lars gemobbt wird?
• Warum merkt er nicht, dass die anderen von seinem Gerede genervt sind?
• Er könnte sich doch mal verabreden!
• Ich habe mich sehr erschrocken, als er plötzlich ausgeflippt ist!
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Autismus ist besonders
• Besondere Wahrnehmungsverarbeitung
– Mangelhafte Filterfunktionen:
Sinneseindrücke werden nicht sinnvoll
verbunden, Details überbetont, Gehörtes und
Gesehenes wird nur unvollständig
wahrgenommen.
• Missverständnisse und unangemessene
Reaktionen sind die Folge.
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Anders – aber nicht dumm!
• Besonderheiten im Denken und Lernen:
– Gedächtnis (gedanklicher „Overflow“)
– Probleme bei der Vorstellung von Situationen
– TOM
– eigene Logik, autistischer „Perfektionismus“
– Arbeitstempo: oft verlangsamt oder verzögert,
oder an eine bestimmte Aufgabendarbietung
gebunden.
– Wenig Motivation für neue Anforderungen
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Probleme in der Selbststeuerung
• Aufmerksamkeit, motorische Unruhe, geringe Konzentrationsspanne.
• Handlungshemmung, Handlungsplanung-und Umsetzung
• Schwierigkeiten dabei, alleine Problemlösestrategien zu entwickeln …
• … gleichzeitig fällt es ihnen schwer, mitzuteilen, dass sie Unterstützung brauchen.
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Orientierung
• Schwierigkeiten mit der räumlichen
Orientierung und zeitlichen Organisation
• Stereotype Interessen, selbstbezogene
Beschäftigungen, sie sind nur schwer für
die täglichen Unterrichtsthemen zu
gewinnen.
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• Viele autistische Schüler sind unflexibel,
ritualisierte Handlungsabläufe oder einen
einmal eingeschlagenen Lösungsweg zu
verlassen und sich auf etwas Neues
einzustimmen.
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Störung des Sozialverhaltens
• Unfähigkeit mit Gleichaltrigen zu interagieren
• Fehlende Empathie bzw. „Theory of Mind“
• Unangemessene Gefühlsäußerungen (Mimik, Gestik)
• Kein Verständnis von Körpersprache
• Probleme beim Verstehen sozialer Situationen
• Schwierigkeiten beim Bilden und Erhalten von Freundschaften und Beziehungen
• Scheitern bei sozialem und imaginativem Spiel
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Emotionale Probleme• Probleme:
– Geraten schnell unter Druck, v.a. durch Unflexibilität
– Geringes Selbstwertgefühl
– Hohe Selbstkritik
– Mit zunehmendem Alter werden dem Betroffenen die eingeschränkten sozialen Fähigkeiten deutlicher
• Folgen:
– Entwicklung von Depressionen und Ängsten
– Gefühlsausbrüche und „aggressives Verhalten“
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Ungewöhnliche Interessen
und Routinen
• Spezielle Interessen und Fähigkeiten
• Beharren auf Routinen
• Angst bei Veränderungen
• Stereotype oder repetitive Bewegungen oder Handlungsmuster
• Fokussierung auf Details
• Probleme in der Handlungsplanung
• Wahrnehmungsauffälligkeiten
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Eingeschränkte und repetitive
Interessen
• Bevorzugen im Alltag immer gleiche
Abläufe
• Wollen Angefangenes unbedingt zu Ende
führen
• Entwickeln Ängste und Phobien aufgrund
einer einzelnen Erfahrung
• Brauchen Vorbereitung für Veränderungen
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Im Klassenzimmer
• Pedantisch um Ordnung
bemüht
• Probleme bei
Stundenausfall oder
Lehrerwechsel
• Panik bei Tischetausch
• Perseverierende
Handlungen
• Großes Wissen im
naturwissenschaftlichen
Bereich
• Vorbildliche
Rechtschreibfähigkeiten
• Braucht für manche
Dinge wie Tornister
einpacken eine Ewigkeit!
• Fühlt sich durch manche
Dinge gestört
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Kognitive Beeinträchtigungen
• Trotz normalen IQs ist die Fähigkeit zu abstraktem Denken und dem Erfassen von Zusammenhängen eingeschränkt
• Der Wortschatz ist oft groß, das Verständnis vor allem abstrakter Begrifflichkeiten nicht vorhanden („Freundschaft“)
• Schwierigkeiten, eine erfundene Geschichte zu schreiben
• Geringe Organisations- und Problemlösefähigkeiten
• Probleme bei Sinn entnehmendem Lesen (Textaufgaben Mathematik)
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Probleme verstehen
• Bevor wir Hilfe anbieten, müssen wir die
Probleme und Bewältigungsstrategien
verstehen.
• Was braucht der Schüler mit Autismus?
Welche Unterstützungssysteme
ermöglichen den Schulbesuch?
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Individuelle Unterstützungssysteme
• Gestaltung einer individuellen ambulanten
Hilfe, welche dabei hilft, das vorhandene
Potential zu entfalten, die konkreten
Ressourcen zu nutzen und die Resilienz
des Schülers stärkt.
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Grundsätzliches Ziel
• … ist eine weitestgehende
Selbstständigkeit und Integration des
Schülers in sein soziales Umfeld,
• eine zunehmende Befähigung zur
Eigenständigkeit
• und somit eine wachsende
Unabhängigkeit von der entsprechenden
Unterstützung.
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Grundbedürfnisse
• Deutlichkeit
• „Klarer“ Kontakt, eindeutige Beziehung
• Vorhersehbarkeit
• Verlässlichkeit
• Normalität und Zugehörigkeit
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Schulbegleitung
• Was macht ein Schulbegleiter?
• Ein Schulbegleiter ist eine Person, die während eines Teils oder auch während der gesamten Schulzeit (einschließlich des Schulweges oder zusätzliche Schulveranstaltungen) bei einem Schüler ist, um dessen behinderungsbedingte Defizite zu kompensieren und Hilfestellungen zu geben.
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• Schulbegleitung ermöglicht dem Schüler mit
Autismus den Besuch der für sie geeigneten
Schulform. Sie richtet sich an Kinder und
Jugendliche, die aufgrund ihrer Behinderung
zum Schulbesuch auf individuelle
Unterstützung angewiesen sind.
• Schulbegleitung stellt für den Betroffenen ein
Hilfs- und ein Kommunikationsmittel dar und
unterstützt ihn, die klassenbezogenen
Angebote des Lehrers anzunehmen und zu
verarbeiten.
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Entwicklung des Schülers im Blick!
• Die jeweiligen Schwerpunkte und
Notwendigkeiten der Hilfe sollte sich
immer am individuellen „Fall“ sowie an den
äußeren Gegebenheiten orientieren und
fortlaufend der Entwicklung des Schülers
angepasst werden.
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Verschiedene Rollen des
Schulbegleiters
• Teil des sozialen Netzwerks
• Beobachter und Sprachrohr
• Vermittler und Dolmetscher
• Beschützer
• Krisenhelfer
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Aufgaben der Schulbegleiter
• Beispiele:
• Strukturierung des Schulalltags
• Strukturierung der Lerninhalte
• Hilfen bei der Aufmerksamkeitssteuerung
• Hilfen bei Kommunikationsproblemen
• Hilfen beim Aufbau von Beziehungen zu anderen Mitschülern
• Anleitungen zur Selbständigkeit, …
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Aufgaben der Schulbegleiter
• Relevante soziale Signale identifizieren
• Ermutigen und positives Feedback
• Aufklärung, Anleitung und Rückmeldung
an Gleichaltrige
• Hilfe mit Gefühlen und Konflikten
umzugehen
• Handlungsplanung trainieren
• „Übersetzen“
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Die Aufgaben einer Begleitperson
• Orientierung, Ordnung, Struktur
• Schutz
• Soziales Lernen
• Kooperation und Vernetzung
• Krisenintervention
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Orientierung
• Räumliche Orientierung
Schulweg, Schulgelände,
Unterrichtsgebäude, Klassenraum
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Orientierung
• Zeitliche Orientierung
– Erstellung von Wochen- und Tagesplänen,
zeitliche Vorhersehbarkeit schaffen, Einführung
von Zeitmessern wie Uhr, Wecker, „Time-timer“
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• Kleine Schritte
– Gliederung von Handlungsabläufen bei
schulischen Aufgaben, bei lebenspraktischen
Handlungen, bei der Nutzung von
Arbeitsmaterialien.
• Hilfen zur Lenkung der Aufmerksamkeit
– Nicht relevante Aufgaben oder Textstellen
abdecken. Bei Unruhe oder Abschweifen der
Konzentration kurze Ansprache / Berührung.
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Schutz
• Reale Gefahren (Straßenverkehr, Wetter,
Klettern: Was ist erlaubt, was muss
unterbunden werden)
• Reizüberflutung (Dosierung von Reizen:
Gegebenenfalls Verlassen der Situation
oder Rückzug ermöglichen)
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Schutz
• Schutz in sozialen Situationen
– Provokation, Hänseleien, Manipulation und
Ausbeutung, Mobbing durch Mitschüler:
Schutz durch Präsenz der Begleitperson, vor
allem in sonst unbeaufsichtigten Situationen
• Entsprechende Verhaltensweisen
möglichst schon im Ansatz ansprechen
und unterbinden
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Soziales Lernen
• Vermittlung sozialer Regeln im Unterricht,
Pausen oder freien Zeiten.
• Klassenregeln vereinbaren: Wir hören
einander zu! Ich rede nur, wenn ich das
Wort erteilt bekomme! Ich bin leise und
gebe keine störenden Geräusche von mir!
Autoritätspersonen respektieren – auch,
wenn ich sie nicht kenne.
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Soziale Kompetenzen „trainieren“
• Geduld, Achtung vor dem anderen
(ausreden lassen, nicht beleidigen),
Frustrationstoleranz (verlieren lernen,
Kritikfähigkeit aufbauen), Spielregeln
anerkennen, Angemessen um Hilfe bitten
bzw. eigene Grenzen und Bedürfnisse
äußern.
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Soziale Kompetenzen „trainieren“
• Aufgabe der Begleitperson: Diese Themen
besprechen, Sinn und Zweck
verdeutlichen, gemeinsam Hilfsstrategien
erarbeiten, die Interessen der anderen
verbalisieren und erklären, angemessene
Verhaltensweisen zur Kontaktaufnahme
vorschlagen und üben
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Kooperation und Vernetzung
• Transparenz und Informationsfluss,
Dokumentationen• E-Mail-Protokolle, Wochenberichte, Tagesreflexion
• Fachberatung, Intervision
• Krisenplan
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Personelle Voraussetzungen
• Welche persönlichen und fachlichen
Voraussetzungen muss eine Begleitperson
für einen Schüler mit Autismus mitbringen,
damit die Maßnahme sinnvoll und Erfolg
versprechend und die Person selbst nicht
überfordert wird?
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• Fachkraft oder Laie?
– Breites Spektrum
– Finanzielle Gesichtspunkte
• Beziehungsaspekt
– Vertrauensvoller und förderlicher Kontakt
– „Die Menschenchemie muss stimmen.“
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• Kompetenzen und Weisungsrecht
– Hohe personelle Anforderungen durch
komplexe Kompetenz- und
Entscheidungsbereiche
– Eindeutige und transparente Absprachen,
schriftlich dokumentiert
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• Einbindung der Begleitperson– Therapeuten vom ATZ: Vorbereitung und Einführung
ins Arbeitsfeld, Ansprechpartner, gemeinsame
Reflexions- und Planungsprozesse,
Wochenprotokolle
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Autismus-Therapie-Zentrum Oldenburg
Vernetzung wichtig
• Schulbegleitung nicht im Alleingang
• Wichtig! Kooperation aller Beteiligten:
Eltern, Lehrer/Innen, Therapeut/Innen,
jeweilige Kostenträger, Begleitperson.
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• Im Zusammenspiel mit den Lehrern, den
Fachlehrern des mobilen Dienstes, den
Therapeuten und den Eltern soll die
Befähigung zum selbst verantwortlichen
Lernen trainiert werden.
51Hille Wittenberg, Fachberaterin Autismus
Sozialrechtliche Ansprüche
• Kaum Einheitlichkeit beim Einsatz einer Begleitperson, den Regelungen zur Finanzierung und der Vorgehensweise bei der Planung der Maßnahme
• Die Zuständigkeit der Bildungsministerien beschränkt sich i.d.R. auf den pädagogischen Auftrag. Die notwendige Unterstützung zur Ermöglichung eines angemessenen Schulbesuchs geht allerdings weit darüber hinaus.
• Begleitung in der Schule wird vielfach als Integrationshilfe definiert und fällt somit in den Zuständigkeitsbereich der Sozial- und Jugendämter. Insbesondere für die Integration von Schülern mit Asperger-Syndrom in Regelschulen
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Rechtliche Grundlagen
• Die rechtlichen Grundlagen für die Schulbegleitung als Teilbereich der Eingliederungshilfe sind in §§ 53, 54 SGB XII geregelt. In § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ist bestimmt, dass zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch „Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht“ zählen. Die Hilfe umfasst danach heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen der Schulbildung zu Gunsten behinderter Kinder und Jungendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Kind oder Jugendlichen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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