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Ein Verfahren zur Ordnungsreduktion mathematischer ProzeRmodelle* Ulrich Pallaske** Unter Ordnungsreduktion versteht man das Ersetzen eines im allge- meinen groBen mathematischen Modells durch ein Ersatzmodell, das weniger Modellgleichungen enthalt. Ziele der Modellreduktion sind neben kiirzeren Rechenzeiten insbesondere Struktureinsichten, die bei Anwendung eines geeigneten Reduktionsverfahrens gewonnen werden. Notwendige Bedingung fur die Brauchbarkeit eines Reduk- tionsverfahrens ist selbstverstandlich, daB die mit dem verkleinerten ProzeBmodell errechneten Losungen hinreichend nahe bei den kor- respondierenden Losungen des Originalmodells liegen. Bei der Ord- nungsreduktion geht man immer folgendermaaen vor: Das Original- system i = f(x,u) (1) wird einer geeigneten Transformation x = Tz seines ZustandsgroBenvektors x untenvorfen, wobei sich ein zunachst aquivalentes noch unreduziertes System i = g(z,u) ergibt. Die Trans- formation Twird so gewahlt, daB man in dem neuen System einen gro- Ben Teil der Differentialgleichungen durch algebraische Gleichungen ersetzen kann. Das reduzierte Modell lautet also Dabei sind zl, z2 Teilvektoren des Vektors z der neuen Zustandsgro- Ben & mit den dynamischen bzw. algebraischen Komponenten von z. Die bisher entwickelten Reduktionsverfahren setzen Linearitat des mathematischen Modells, also i=Ax+Bu (4) voraus. Als Beispiel seien die besonders bekannt gewordenen moda- len Verfahren [l-31 genannt. Sie wahlen als Achsenrichtungen des neuen Koordinatensystems die Eigenvektoren der Systemmatrix, und die zeitliche binderung der neuen Systemkoordinaten &(t) im Verlauf einer Losungstrajektorie gibt demnach die Eigenbewegungen des Sy- stems wieder. Das hier vorgestellte Reduktionsverfahren ist aufgrund einer Analyse dieser modalen Verfahren entstanden, welche ergab, daB die bei den modalen Verfahren benutzte Koordinaten-Trans- formation haufig zu unbrauchbaren Ergebnissen fiihrt. Das reduzier- te System liefert zwar in den neuen ZustandsgroBen Ci brauchbare Resultate, aber in den eigentlich interessierenden urspriinglichen Zu- standsgoBen ti konnen die Fehler exorbitant sein. Der Grund hierfiir ist darin zu suchen, daB die neuen Achsenrichtungen bei den modalen Verfahren nicht orthogonal sind. Wit haben daher ein Reduktionsver- fahren mit der orthogonalen Koordinaten-Transformation x = xs + wz (5) entwickelt. Dabei ist x, eine vorgegebene stabile stationare Losung von GI. (1) und W eine gesuchte orthogonale Matrix. Das Verfahren * Vortrag auf dem Jahrestreffen der Verfahrens-Ingenieure, 17. bis ** Dr. U. Pallaske, Bayer AG, AG, Venvaltung Informatik, 5090 19. Sept. 1986 in StraRburg. Leverkusen-Bayenverk. geht von der uberlegung aus, daB bei groBen steifen Systemen die Lo- sungen von GI. (1) bis auf ein im allgemeinen kurzes Anfangsstiick sehr nahe bei einem Unterraum U verlaufen, dessen Dimension r weitaus kleiner als die Anzahl n der Komponenten des Vektors x ist. Dabei ist U selbstverstandlich von einer zu wahlenden Menge =an reprasentativen Losungen abhangig. Ein Beispiel fur X ist etwa die Gesamtheit der Antwortfunktionen auf sprungartige Anderungen in den EingangsgroBen. Bei vorgegebener Menge m wird U derart be- stimmt, daB der mittlere relative Fehler Eder orthogonalen Projektio- nen der Losungen auf U eine bestimmte Fehlergrenze E~ nicht uber- steigt und U von minimaler Dimension r ist. Die Losung ergibt sich mit der positiv-definiten Kovarianzmatrix M der betrachteten Losun- gen aus deren Eigenwerten p, 2 2 ... 2 p, > 0 und den zugehori- gen Eigenvektoren w,, ..., w,, welche die Spalten der Matrix W bilden. Dabei ist und U wird von wl, ..., w, aufgespannt. Bezeichnen z1 und z2 die Auf- teilung des Vektors z nach den ersten r und den letzten n-r Kompo- nenten und W, die Matrix aus den ersten r Spalten von W, so ist ein nichtlineares reduziertes System zu GI. (1) durch z, = flf(Xs + W,z,, u) , z2 = 0 und die Transformation (5) gegeben. Die in Tab. 1 wiedergegebenen Rechenergebnisse beziehen sich auf eine Destillationskolonne mit 3 Komponenten und 33 Boden. Die Anzahl n der Differentialgleichun- gen betragt 68. Tab. 1 zeigt den Fehler gals Funktion der Dimension r des reduzierten Systems, und zwar wurde als reprasentative Losungs- gesamtheit die Menge aller Antwortfunktionen auf Spriinge in den EingangsgroBen gewahlt. Der Fehler E wird mit wachsendem r natiir- lich kleiner, bis er fur r = 68 Null ist. Hier ist man ja auch bei dem un- reduzierten Ausgangsmodell angelangt. Die dritte Spalte zeigt die Steifheit des jeweiligen reduzierten Systems, die, wie zu erwarten, i. w. monoton wachsend mit r ist. Dabei ist Steifheit gleich mit Lax = maximaler Eigenwert und kin = minimaler Eigenwert der Systemmatrix bei x = x,. Zu dem skizzierten Reduktionsverfahren wurden einige Erweiterun- gen vorgenommen, die hier nur envahnt werden sollen: Eine meist betrachtliche Erhohung der Genauigkeit wird erreicht, wenn man fur einen Teil der neuen ZustandsgroRen & eine Quasistationaritatsan- nahme macht. Es werden also die ersten r Komponenten C,, ..., Cr, wie bisher besprochen, als Differentialgleichungsvariablen behandelt, weitere 1 Variablen werden als quasistationar betrachtet und demnach Tabelle 1. Fehler Eund Steifheit des reduzierten Systems als Funktion von r; Bei- spiel: Destillationskolonne mit 3 Komponenten und 33 Boden. r & [“%I Steifheit des reduzierten Systems 4 0,532 18,96 5 0,337 18,77 6 0,195 29,02 7 0,124 33,73 8 0,0730 61,15 9 0,0527 80,50 68 04 929,9 604 Chem.-1ng.-Tech. 59 (1987) Nr. 7, S. 604-605 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim, 1987 0009-286X/87/0707-0604 $ 02.50/0

Ein Verfahren zur Ordnungsreduktion mathematischer Prozeßmodelle

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Ein Verfahren zur Ordnungsreduktion mathematischer ProzeRmodelle*

Ulrich Pallaske**

Unter Ordnungsreduktion versteht man das Ersetzen eines im allge- meinen groBen mathematischen Modells durch ein Ersatzmodell, das weniger Modellgleichungen enthalt. Ziele der Modellreduktion sind neben kiirzeren Rechenzeiten insbesondere Struktureinsichten, die bei Anwendung eines geeigneten Reduktionsverfahrens gewonnen werden. Notwendige Bedingung fur die Brauchbarkeit eines Reduk- tionsverfahrens ist selbstverstandlich, daB die mit dem verkleinerten ProzeBmodell errechneten Losungen hinreichend nahe bei den kor- respondierenden Losungen des Originalmodells liegen. Bei der Ord- nungsreduktion geht man immer folgendermaaen vor: Das Original- system

i = f(x,u) (1)

wird einer geeigneten Transformation

x = Tz

seines ZustandsgroBenvektors x untenvorfen, wobei sich ein zunachst aquivalentes noch unreduziertes System i = g(z,u) ergibt. Die Trans- formation Twird so gewahlt, daB man in dem neuen System einen gro- Ben Teil der Differentialgleichungen durch algebraische Gleichungen ersetzen kann. Das reduzierte Modell lautet also

Dabei sind z l , z2 Teilvektoren des Vektors z der neuen Zustandsgro- Ben & mit den dynamischen bzw. algebraischen Komponenten von z. Die bisher entwickelten Reduktionsverfahren setzen Linearitat des mathematischen Modells, also

i = A x + B u (4)

voraus. A l s Beispiel seien die besonders bekannt gewordenen moda- len Verfahren [l-31 genannt. Sie wahlen als Achsenrichtungen des neuen Koordinatensystems die Eigenvektoren der Systemmatrix, und die zeitliche binderung der neuen Systemkoordinaten &(t) im Verlauf einer Losungstrajektorie gibt demnach die Eigenbewegungen des Sy- stems wieder. Das hier vorgestellte Reduktionsverfahren ist aufgrund einer Analyse dieser modalen Verfahren entstanden, welche ergab, daB die bei den modalen Verfahren benutzte Koordinaten-Trans- formation haufig zu unbrauchbaren Ergebnissen fiihrt. Das reduzier- te System liefert zwar in den neuen ZustandsgroBen Ci brauchbare Resultate, aber in den eigentlich interessierenden urspriinglichen Zu- standsgoBen ti konnen die Fehler exorbitant sein. Der Grund hierfiir ist darin zu suchen, daB die neuen Achsenrichtungen bei den modalen Verfahren nicht orthogonal sind. Wit haben daher ein Reduktionsver- fahren mit der orthogonalen Koordinaten-Transformation

x = xs + wz ( 5 )

entwickelt. Dabei ist x, eine vorgegebene stabile stationare Losung von GI. (1) und W eine gesuchte orthogonale Matrix. Das Verfahren

* Vortrag auf dem Jahrestreffen der Verfahrens-Ingenieure, 17. bis

** Dr. U. Pallaske, Bayer AG, AG, Venvaltung Informatik, 5090 19. Sept. 1986 in StraRburg.

Leverkusen-Bayenverk.

geht von der uberlegung aus, daB bei groBen steifen Systemen die Lo- sungen von GI. (1) bis auf ein im allgemeinen kurzes Anfangsstiick sehr nahe bei einem Unterraum U verlaufen, dessen Dimension r weitaus kleiner als die Anzahl n der Komponenten des Vektors x ist. Dabei ist U selbstverstandlich von einer zu wahlenden Menge =an reprasentativen Losungen abhangig. Ein Beispiel fur X ist etwa die Gesamtheit der Antwortfunktionen auf sprungartige Anderungen in den EingangsgroBen. Bei vorgegebener Menge mwird U derart be- stimmt, daB der mittlere relative Fehler Eder orthogonalen Projektio- nen der Losungen auf U eine bestimmte Fehlergrenze E~ nicht uber- steigt und U von minimaler Dimension r ist. Die Losung ergibt sich mit der positiv-definiten Kovarianzmatrix M der betrachteten Losun- gen aus deren Eigenwerten p, 2 2 ... 2 p, > 0 und den zugehori- gen Eigenvektoren w,, ..., w,, welche die Spalten der Matrix W bilden. Dabei ist

und U wird von wl, ..., w, aufgespannt. Bezeichnen z1 und z2 die Auf- teilung des Vektors z nach den ersten r und den letzten n-r Kompo- nenten und W, die Matrix aus den ersten r Spalten von W, so ist ein nichtlineares reduziertes System zu GI. (1) durch

z, = flf(Xs + W,z,, u) , z2 = 0

und die Transformation (5) gegeben. Die in Tab. 1 wiedergegebenen Rechenergebnisse beziehen sich auf eine Destillationskolonne mit 3 Komponenten und 33 Boden. Die Anzahl n der Differentialgleichun- gen betragt 68. Tab. 1 zeigt den Fehler gals Funktion der Dimension r des reduzierten Systems, und zwar wurde als reprasentative Losungs- gesamtheit die Menge aller Antwortfunktionen auf Spriinge in den EingangsgroBen gewahlt. Der Fehler E wird mit wachsendem r natiir- lich kleiner, bis er fur r = 68 Null ist. Hier ist man ja auch bei dem un- reduzierten Ausgangsmodell angelangt. Die dritte Spalte zeigt die Steifheit des jeweiligen reduzierten Systems, die, wie zu erwarten, i. w. monoton wachsend mit r ist. Dabei ist Steifheit gleich mit Lax = maximaler Eigenwert und kin = minimaler Eigenwert der Systemmatrix bei x = x,. Zu dem skizzierten Reduktionsverfahren wurden einige Erweiterun- gen vorgenommen, die hier nur envahnt werden sollen: Eine meist betrachtliche Erhohung der Genauigkeit wird erreicht, wenn man fur einen Teil der neuen ZustandsgroRen & eine Quasistationaritatsan- nahme macht. Es werden also die ersten r Komponenten C,, ..., Cr, wie bisher besprochen, als Differentialgleichungsvariablen behandelt, weitere 1 Variablen werden als quasistationar betrachtet und demnach

Tabelle 1. Fehler Eund Steifheit des reduzierten Systems als Funktion von r; Bei- spiel: Destillationskolonne mit 3 Komponenten und 33 Boden.

r & [“%I Steifheit des reduzierten Systems

4 0,532 18,96 5 0,337 18,77 6 0,195 29,02 7 0,124 33,73 8 0,0730 61,15 9 0,0527 80,50

68 0 4 929,9

604 Chem.-1ng.-Tech. 59 (1987) Nr. 7, S. 604-605 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim, 1987 0009-286X/87/0707-0604 $ 02.50/0

ihre zugehorigen Differentialgleichungen durch formales Nullsetzen der Ableitungen in algebraische Gleichungen verwandelt, und der meist groSe Rest der neuen ZustandsgroSen Ci ist von so untergeord- neter Bedeutung, daS man sie einfach auf Null setzt und ihre zugeho- rigen Differentialgleichungen ersatzlos weglaBt. Die meisten Systemmodelle bestehen nicht nur aus Differentialglei- chungen, sondern enthalten auch (haufig sehr viele) algebraische Gleichungen. Wenn man bei einem solchen System

i, = fl(X1, x2, u) , 0 = f2(x1, x2, u ) (84, (8b)

die Beziehungen (8b) nach dem Vektor x2 der algebraischen Varia- blen auflost und in das Differentialgleichungssystem i, = fl(xl, x2, u) einsetzt, erhalt man natiirlich ein Problem der bisher besprochenen Form. Eine solche ,,unterlagerte" Behandlung der Variablen x2, bei der diese im Reduktionsverfahren also formal gar nicht mehr vor- kommen, ist allerdings nicht invariant gegeniiber der speziellen Auf- teilung der ZustandsgroBen in Differentialgleichungsvariablen x1 und ,,algebraische" Variablen x2. Tatsachlich ist ja diese Aufteilung bei der Modellbildung nicht immer eindeutig vorgegeben. Um die angestreb- te Invarianz des Reduktionsergebnisses zu erreichen, miissen offen- bar alle Variablen formal gleichberechtigt auf der gleichen Hierar- chie-Ebene behandelt werden, wie es mit einer bestimmten Modifi- kation des Reduktionsverfahrens moglich ist.

Vektor der EingangsgroSen (Stor- und StellgroSen) optimal gewahlter Unterraum der Dimension r, in dem die Losungen des reduzierten Systems verlaufen auf die Lange 1 normierte Eigenvektoren von M orthogonale Transformationsmatrix Matrix aus ersten r Spalten von W Vektor aus & stationare Systemlosung Teilvektor von x , Differentialgleichungsvariablen Teilvektor von x, algebraische Variablen Vektor aus Ci Teilvektor von z (r-dimensional), Differentialgleichungsva- riablen Teilvektor von z, algebraische Variablen Menge der Startpunkte von ausgewahlten (reprasentativen) Systemlosungen relativer Fehler (gemittelt iiber t und m) der Losungen des reduzierten Systems vorgegebener Wert von E

betraglich minimaler Eigenwert von A betraglich maximaler Eigenwert von A Eigenwerte von M originale ZustandsgroBen neue ZustandsgroSen

Literatur Eingegangen am 12. November 1986

Formelzeichen

A B i I M

r t T

n

Systemmatrix, Jacobi-Matrix Eingangsmatrix des Systems Index Anzahl der quasistationaren ci Kovarianzmatrix der ti Ordnung des unreduzierten Systems Ordnung des reduzierten Systems Zeitvariable Tranformation zwischen ci und ti

[l] Davison, E. J.: IEEE Trans. AC (1966) S. 93/101. [2] Marshall, S. A.: Control Dec. (1966) S. 642/643. [3] Litz, L.: Hochschulsammlung Ingenieurwissenschaft Datenverar-

beitung 4 (1979), Hochschulverlag Stuttgart.

Schfiisselworte: ProzeSmodelle, Ordnungsreduktion, Destillation.

605 Chem.-1ng.-Tech. 59 (1987) Nr. 7, S. 604-605

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