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24 HautinForm 1/2014 Im Spiegelbild entdeckte Falten können tödlich sein. Das wird jeden- falls in einer Variante des alten grie- chischen Mythos von Narziss geschil- dert. Hiernach soll ein Blatt ins Was- ser gefallen sein, als der schöne Jüng- ling sein Spiegelbild in einem See be- trachtete. Auf der gekräuselten Ober- fläche sieht sich Narziss mit faltigem Gesicht, er erschrickt, stürzt ins Was- ser und ertrinkt. Wegen seiner Gesichtsfalten muss heute niemand mehr ins Wasser ge- hen. Vor sieben Jahren ist in Deutsch- land das erste Präparat mit Botulinum- toxin Typ A zur Behandlung von Zor- nesfalten zugelassen worden. Justinus Kerner hätte sich das wohl nicht träu- men lassen. Der schwäbische Landarzt hatte die Wirkung des Giſtes 1817 in den „Tübinger Blättern“ erstmals be- schrieben, und zwar unter dem Titel: „Beobachtungen über die in Württem- berg so häufig vorfallenden tödlichen Vergiſtungen durch den Genuss geräu- cherter Würste.“ Pierer’s Universal-Le- xikon führt dazu aus: „Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hat man vorzüg- lich in Württemberg die Bemerkung gemacht, daß nach dem Genuß von Le- ber- und Blutwürsten sehr gefährliche Vergiſtungsfälle vorgekommen sind, ohne daß man über das Giſt selbst eine genauere chemische Kenntniß besitzt.“ „Botulus“ heißt „Wurst“ Bis zur genaueren Kenntnis über das Giſt dauerte es noch einige Jahre. Die Bezeichnung „Botulismus“ für diese Art von Vergiſtung bürgerte sich in- des ein. Würste standen bei dieser Namensgebung Pate, denn das latei- nische „botulus“ entspricht dem deut- schen „Wurst“. Dem belgischen Mik- robiologen Emile van Ermengem ge- lang es schließlich 1895, ein Bakteri- um als Produzenten des Toxins zu isolieren – bei der Untersuchung zwar nicht von Wurst, aber von Schinken. Der Keim erhielt später den Namen „Clostridium botulinum“. Erste Versuche, Botulinumtoxin für medizinische Zwecke zu nutzen, fallen in die 70er-Jahre des vergangenen Jahr- hunderts. Als Medikament wird es zu- erst 1980 eingesetzt, gegen das Schielen. Kein Wunder also, dass unter den ers- ten, denen bezüglich der Falten glätten- den Wirkung des Toxins die Augen auf- gehen, eine Augenärztin ist: 1992 ver- öffentlicht Jean Carruthers vom Depart- ment of Ophthalmology der University of British Columbia in Vancouver, Ka nada, zusammen mit ihrem Ehemann Alistair, einem Dermatologen, einen Ar- tikel über die Behandlung von glabellä- ren Stirnfalten mit Botulinumtoxin. Zulassung zur Behandlung von Glabellafalten Zu den Krankheitsbildern, bei denen Botulinumtoxin indiziert ist, gehören eine Reihe neurologischer (wie be- stimmte Formen von Spastik) und urologischer Störungen (wie die über- mtoxin hat viele Gesichter Ein Wurstverderber macht Falten glatt berwürste scheinen auf den ersten Blick wenig mit ästhetischer Dermatologie zu tun zu en zweiten Blick jedoch ziemlich viel: Botulinumtoxin, vor 200 Jahren als Wurstgift erst- eben und 1993 in Deutschland gegen Lid- und Gesichtskrämpfe zugelassen, besitzt seit ne Zulassung zur Behandlung mimischer Falten. Auch Männer greifen gerne zu Botox wie der Schauspieler Mickey Rourke. © picture alliance / Globe-ZUMA © G Die Geschichte von Botox

Ein Wurstverderber macht Falten glatt

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Page 1: Ein Wurstverderber macht Falten glatt

24 HautinForm 1/2014

– Im Spiegelbild entdeckte Falten können tödlich sein. Das wird jeden-falls in einer Variante des alten grie-chischen Mythos von Narziss geschil-dert. Hiernach soll ein Blatt ins Was-ser gefallen sein, als der schöne Jüng-ling sein Spiegelbild in einem See be-trachtete. Auf der gekräuselten Ober-fläche sieht sich Narziss mit faltigem Gesicht, er erschrickt, stürzt ins Was-ser und ertrinkt.

Wegen seiner Gesichtsfalten muss heute niemand mehr ins Wasser ge-hen. Vor sieben Jahren ist in Deutsch-land das erste Präparat mit Botulinum-toxin Typ A zur Behandlung von Zor-

nesfalten zugelassen worden. Justinus Kerner hätte sich das wohl nicht träu-men lassen. Der schwäbische Landarzt hatte die Wirkung des Gi� es 1817 in den „Tübinger Blättern“ erstmals be-schrieben, und zwar unter dem Titel: „Beobachtungen über die in Württem-berg so häu� g vorfallenden tödlichen Vergi� ungen durch den Genuss geräu-cherter Würste.“ Pierer’s Universal-Le-xikon führt dazu aus: „Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hat man vorzüg-lich in Württemberg die Bemerkung gemacht, daß nach dem Genuß von Le-ber- und Blutwürsten sehr gefährliche Vergi� ungsfälle vorgekommen sind,

ohne daß man über das Gi� selbst eine genauere chemische Kenntniß besitzt.“

„Botulus“ heißt „Wurst“Bis zur genaueren Kenntnis über das Gi� dauerte es noch einige Jahre. Die Bezeichnung „Botulismus“ für diese Art von Vergi� ung bürgerte sich in-des ein. Würste standen bei dieser Namensgebung Pate, denn das latei-nische „botulus“ entspricht dem deut-schen „Wurst“. Dem belgischen Mik-robiologen Emile van Ermengem ge-lang es schließlich 1895, ein Bakteri-um als Produzenten des Toxins zu isolieren – bei der Untersuchung zwar nicht von Wurst, aber von Schinken. Der Keim erhielt später den Namen „Clostridium botulinum“.

Erste Versuche, Botulinumtoxin für medizinische Zwecke zu nutzen, fallen in die 70er-Jahre des vergangenen Jahr-hunderts. Als Medikament wird es zu-erst 1980 eingesetzt, gegen das Schielen. Kein Wunder also, dass unter den ers-ten, denen bezüglich der Falten glätten-den Wirkung des Toxins die Augen auf-gehen, eine Augenärztin ist: 1992 ver-ö� entlicht Jean Carruthers vom Depart-ment of Ophthalmology der University of British Columbia in Vancouver, Ka nada, zusammen mit ihrem Ehemann Alistair, einem Dermatologen, einen Ar-tikel über die Behandlung von glabellä-ren Stirnfalten mit Botulinumtoxin.

Zulassung zur Behandlung von GlabellafaltenZu den Krankheitsbildern, bei denen Botulinumtoxin indiziert ist, gehören eine Reihe neurologischer (wie be-stimmte Formen von Spastik) und urologischer Störungen (wie die über-

Botulinumtoxin hat viele GesichterBotulinumtoxin hat viele Gesichter

Ein Wurstverderber macht Falten glattBlut- und Leberwürste scheinen auf den ersten Blick wenig mit ästhetischer Dermatologie zu tun zu Blut- und Leberwürste scheinen auf den ersten Blick wenig mit ästhetischer Dermatologie zu tun zu haben. Auf den zweiten Blick jedoch ziemlich viel: Botulinumtoxin, vor 200 Jahren als Wurstgift erst-haben. Auf den zweiten Blick jedoch ziemlich viel: Botulinumtoxin, vor 200 Jahren als Wurstgift erst-mals beschrieben und 1993 in Deutschland gegen Lid- und Gesichtskrämpfe zugelassen, besitzt seit mals beschrieben und 1993 in Deutschland gegen Lid- und Gesichtskrämpfe zugelassen, besitzt seit 2006 auch eine Zulassung zur Behandlung mimischer Falten.2006 auch eine Zulassung zur Behandlung mimischer Falten.

Auch Männer greifen gerne zu Botox wie der Schauspieler Mickey Rourke.

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25HautinForm 1/2014

Anwendungsgebiete für Botulinumtoxin

+ Lidkrampf

+ Gesichtskrämpfe

+ Spastischer Schiefhals

+ Spastizität des Handgelenks und der Hand bei erwachsenen Schlaganfallpa-tienten

+ Übermäßiges Schwitzen unter der Achsel

+ Überaktive Blase mit Harninkontinenz, Harndrang und abnorm häufigem Wasserlassen bei Erwachsenen

+ Harninkontinenz bei Erwachsenen infolge einer Rückenmarksverletzung oder Multiplen Sklerose

+ Chronische Migräne

+ Mittelstarke bis starke vertikale Falten zwischen den Augenbrauen beim Stirn-runzeln bei Erwachsenen unter 65 Jahren, sofern sie psychisch erheblich belasten

aktive Blase). Berühmt gemacht hat das Toxin vor allem die Indikation, für die in Deutschland in den Jahren 2006 und 2009 insgesamt drei Präpa-rate zugelassen worden sind – zur vo-rübergehenden Verbesserung des Aussehens bei psychisch stark belas-tenden Gesichtsfalten, wie es im Bei-packzettel heißt: Zornesfalten und Krähenfüße.

Mag der Name des Toxins auch von der Wurst herrühren, ist es doch kei-neswegs wurst, auf welchen Typ man zurückgrei� . Inzwischen sind neun Typen bekannt. In der Medizin ver-wendet werden die Typen A und B. Die für die kosmetische Anwendung zugelassenen Präparate bedienen sich des Typs A. Botulinumtoxin blockiert die Freisetzung von Acetylcholin, das die Muskelkontraktion bewirkt. Der betro� ene Muskel wird gelähmt – oder

ästhetischer ausgedrückt: entspannt. Weil dies zugleich die mimischen Fal-tet glättet, gilt das Toxin als Jungbrun-nen für alternde Gesichter.

Ein Gift geht um die WeltAbgesehen von den schon erwähnten Falten wird Botulinumtoxin auch ge-gen horizontale Stirn- und Halsfalten, zum Brauenli� en und im Kinn- und Nasenbereich eingesetzt, allerdings außerhalb seiner Zulassung. Weltweit ist derzeit von etwa zehn Millionen Anwendungen pro Jahr auszugehen, sechs Millionen davon allein in den USA.

Die E� ekte gehen jedoch o� enbar über die physiologischen Wirkungen auf die muskuläre Entspannung hin-aus. In einer Studie, die Schweizer und deutsche Psychiater unternommen ha-ben, besserte die Behandlung von Zor-

nesfalten mit Botulinumtoxin sogar das Krankheitsbild von Patienten mit schweren Depressionen, die auf die me-dikamentöse � erapie nur unzurei-chend angesprochen hatten. „Das un-terstützt das Konzept, wonach die Ge-sichtsmuskulatur Gefühlszustände nicht nur ausdrückt, sondern auch re-guliert“, schreiben die Forscher.

Nichts im ÜbermaßDer Botulinumtoxin-Spezialist Andy Pickett von Toxin Science Limited im britischen Wrexham verweist auf Un-tersuchungen zur Patientenzufrie-denheit, die den Nutzen ebenfalls nicht nur im ästhetischen Bereich ver-orteten. „Deutlich wurde die Rele-vanz von Faktoren, die über den As-pekt Schönheit hinausgingen, wie beispielsweise ein höheres Selbstbe-wusstsein oder ein verbessertes Selbstvertrauen“, betont er.

Mancher freilich übertreibt es. Prof. Dr. Wolfgang Harth, Dermatologe am Vivantes Klinikum Spandau, berich-tet von Regisseuren, die das schrump-fende Angebot toxinfreier Schauspie-ler beklagen: Es sei schwierig gewor-den, jemanden zu � nden, der Gefüh-le noch ohne Worte ausdrücken könne [7]. Den US-amerikanischen Akteur Mickey Rourke hat die allzu häu� ge Inanspruchnahme von Botu-linumtoxin angeblich schon eine Rol-le gekostet. Seine Mimik soll so redu-ziert gewesen sein, dass sein Gesicht wie eingefroren gewirkt habe.

Wer sich hier an Narziss erinnert fühlt, liegt vermutlich nicht völlig falsch. Nicht umsonst hat der Satz „Nichts im Übermaß“ schon im alten Griechen-land gegolten. Dr. Robert Bublak

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Synthetische, perfekte Körper als Kapital im Show-Business: Cher und Demi Moore Starrer Star mit zu wenig Mimik: Nicole Kidman