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188o KLINISCHE WOCHENSCH Diese Tatsache erm6glichte es, verschiedene Pharmaca bzw. Hormone, die den Zuckerstoffwechsel beeinflussen, einerseits daraufhin zu nntersuchen, ob die betreffenden Stoffe vorwiegend auf dem Wege fiber das GroBhirn ihre Stoffwechselwirkung entfalten, andererseits daraufhin, ob ihre Zuckerstoffwechsehvirkung durch Narkose des GroB- hirnes beeinftuBt wird. In einer frfiheren Mitteilung habe ich erwfihnt, dab Hirn- stammnarkotica, Veronal und auch Luminal, die Pyramidon- hyperglyk~mie regelm~iBig verhindern. Aus dieser Tatsache wurde der SchluB gezogen, dab das Pyramidon im Thalamus bzw. Hypothalamus in den Zuckerstoffwechsel eingreift. Die Versuche mit Chtoralhydrat und Pyramidon (o,25 g pro 2 kg Kaninchen) ergaben, dab Choralhydratnarkose die Pyramidonhyperglyk~mie nicht verhinderL Da das Chloral- hydrat vor allem extrathalamisch wirkt, ist diese Be- obachtung ein weiterer 13eweis ffir die Annahme, dab das Pyramidon im Thalamus bzw. Hypothalamus in den Zucker- stofLvechsel eingreift. ChlorMhydratnarkose verhindert hingegen regetm~Big die ebenfalls zentral ausgel6ste Magnesiumhyperglyk~mie. Aus diesem Unterschiede in der Wirkung der Chloralhydratnarkose auf die beiden eben genannten Hyperglyk~imien wurde der Sehlul3 gezogen, dab die Magnesiumhyperglyk~imie, im Gegen- satze zur Pyramidonhyperglyk~imie, extrathalamisehen Ur- sprunges sein muB. Genauer l~ii3t sich durch diese pharmake- logischen Ausschaltungsversuche der Angriffspunkt des Ma- gnesiums nieht lokalisieren, da es wegen der individuell und zeitlich verschiedenen Empfindlichkeit der Tiere gegenfiber Chloralhydrat nicht immer sieher ist, ob ein und dieselbe RIt?T. II. JAHRGANG. Nr. 45 5. NOVEMBER I932 Menge dieses Mittels nur auf das GroBhirn und nicht auch schon anf tiefer gelegene Hirnteile, wie z. 13, das Corpus stria- turn, eingewirkt hat. Veronal- und Luminalnarkose versfiirken gew6hnlich die periphere Adrenalinhyperglyk~mie. Chloralhydratnarkose fibt auf diese keinen wesenttichen EinfluB aus. W~ihrend VeronaI und Luminal bei sonst unwirksamen Ergotaminmengen zur Ergotarrdnhypoglyk~mie Ifihren, ~ndert Chloralhydrat bei Ausschaltung des Sympathicus dutch Ergo- tamin den 131utzucker nicht einwandfrei. Chloralhydratnarkose verfi,ndert den Blutzucker auch bei gleichzeitiger Ausschaltung des Vagus durch Atropin nieht ein- wandfrei, w~hrend Veronal- und Lmninalnarkose bei sonst un- wirksamen Atropinmengen zur Atropinhyperglyki~mie ffihren. Chloralhydratnarkose beeinfluBt die Wirkung des Insulins auf den Blutzucker nicht regelm~Big, nut ausnahmsweise verst~rkt es diese in geringem AusmaBe. Veronal und Luminal hingegen verst~rken bekanntlich die Wirkung kleiner Insulin- mengen regelm~iBig. In der Veronal- und Luminatnarkose kommt es nicht zu hypoglyk~mischen Kr~impfen (voransgesetzt, dab nicht toxische Insulinmengen gegeben werden). Chloralhydrat- narkose hingegen verhindert die hypoglyk~mischen Kr~impfe auch nach kleinen Insulinmengen nicht. Aus diesen Versuchen geht hervor, dab die Blutzucker- regulation vor allem im Thalamus bzw. I-Iypothalamus, aber auch im Corpus striatum vor sich geht. Die ausffihrliehe Mitteilung dieser Versuche erscheint dem- nachst in der Z. exper. Med. (Au~ der I. Meg. Abteituny de~ Kai.erin Eli.abeth-Spitats, Wien [ Vorstand: Pro]. W. Faltc@) MITTEILUNGEN AUS DEM INSTITUT FOR GESCHICHTE DER UND DER NATURWISSENSCHAFTEN IN BERLIN. EINE ARABISCHE BIOGRAPHIE AVICENNAS. Won Dr. PAUL I~RAUS, Pfivatdozent an der Univelsit~t Berlin~ ABf: ~ AL-HUsAIN BEN *ABDALL/KH IBN SIN~* (AvICENNA), genannt der ffirstliche 3/~eister, ist eine der bedeutendsten Er- scheinungen nicht nur der Medizingeschiehte, sondern der islami- sehen Geistesgesehichte fiberhaupt. Arzt, Philosoph, Astronom, Dichter, Staatsmann in einer Person, repr~isentiert er wie kaum ein anderer den Typns der nniverselten muslimischen Gelehrten. Ein Teit seiner Schriften, besonders sein raedizinisches Hanptwerk, der Canon und das welter unten besprochene Liber S~f/ieientis, wurden frahzeitig ins Lateinische flbersetzt und haben Jahr- hunderte lang europNsche Wissenschaft und Philosophie wesentlich bestimmt. Im Orient gait er noch bis vor kurzem als die gr6t3te " Autorit~it in medizinischen Fragen. Der Schauplatz des Lebens AVICENNAS ist das Persien und Transoxanien um die Wende des io. Jahrhunderts. Um 980 geboren, hat er die schweren politischen Erschfltterungen, die Persien damals durchmaehte, in alien Phasen miterlebt. Sein Wandertrieb und die Suche nach einem F6rderer seiner wissen- schafttichen Interessen ffihrte ihn yon einem der kleinen Fflrstenh6fe zum anderen. Er sah, wie sieh die Dynastien yon Buch~rg, Raj, Ispah~n, Hamadhgn untereinander aufrieben, um zuletzt alle der Macht des nnwiderstehlichen 3/IAHMOD Yon Ghazna zu ertiegen. Eine eingehende Biographie AVmENNAS mfil3te in den Rahmen dieser zeitgeschichtlichen Ereignisse hineingestetlt werden. Sie ist leider bis heute nech nicht geschrieben worden. Wir haben nns hier eine vim bescheidenere Aufgabe gestelit. Wir flbersetzen im folgenden eine kurze Lebensgeschichte AVlCE~- NAS vonder Hand seines Sehfilers ABfJ ~UBAID AL-GfJzdAN~. Sie ist eine Quelle ersten Ranges. Von kaum einem islamischen Gelehrten haben wit eine so genaue und farbenreiche Sehilderung seines Lebens erhalten. Und, was den Text besonders wertvoll * Ich habe die Transkription der arabisehen Eigennamenein ~/enig vereinfacht, t3e- achte: g = dseh; dl~ = stimmhaftes englisehes th; th = stimmtoses engtiscLes th. MEDIZIN macht: der erste Teil, der yon der Jugend AVICENNAS bis zu seinem 3 2. Lebensjahre handelt, ist ein autobiographiseher Bericht des AVICENNA. Nach der Angabe seiner Quelle hat er ihn seinem Schiller selbst diktiert. GfTz~s ist der Lieblingsschfiler AVlCENNAS gewesen. 2 5 Jahre hat er ihn flberall bin begleitet und an seiner Arbeit teilgenommen. Er war besonders mathelnatisch begabt, und einige seiner Werke sind noch erhalten. An ihn richten sich auch mehrere I~piste ! AVlCENNAS. Der Bericht des GI)Z~ANi steh*, fast w6rtlich fibereinstimmend, in der ~rztegeschichte des InN AM USAIBI~ (gestorhen 127o* ) nnd in der Gelehrtengeschichte des In~ AL-QI~Tf (gestorben I248,* ), Er wurde schon oft zur Darstellung des Lebens AVICENNAS be- niitzt***, abet niemals in extenso flbersetzt. Zur Rechtfertigung der ?Jbersetzung muff ich ffir den Arabisten kaum etwas hinzuffigen. Aber auch ffir den Leserkreis dieser ~Vochenschrift erschien uns die Biographie interessant, weil sie einen Einblick in das Werden und die Vielseitigkeit des groi3en Arztes gibt und gleichzeitig ein Milieu schildert, in dem sich aueh das Leben anderer hervorragender islalnischer .~rzte abgespielt hat. In den gelegentliehen Anmerkungen habe ich nur das Allernot- wendigste angeifihrt. Auf die genaue Er6rterung der historischen Angaben des Textes bin ich im allgemeinen nicht n~her eingegangen. ]Fflr den Nichtorientalisten sind St~dte, Landschaften und IVfirsten iln fernen Persien doch nur lqalnen. Die folgende ?Jbersetzung schlieBt sich an die Rezension des IBN ABi USAIBI A an: ,,Der fflrstliche Meister IBN SINi ist viel zu berf~hmt, als dab man yon ihm sprechen mfiBte. Er hat seine eigene Lebensgeschichte * Der arabische Text ist hrsgeg, yon A. MOLLER, Kairo z88~. Der Artike] fiber AVICENNA steht Bd. 2, 2--9. ** IBN-AL-QIFTt's Ta'r~l~ aZ-JFIu]~am~, hrsg. yon .1. LtPPERT,' [Leipzig I9o3. S. 4x3--4~6. *** Zuletzt yon G. SARTON, Introduetio~ in ~heltistory o/Science 1, 7o9ff.,wo volI- st~dige Literaturangaben zu finden sind. Teilweise ist der Text fil:ersetztbei: L. LEC- LERC, Itistoire de la Mddieine Afabe (Paris 1876 ) l, 466--469; CARRADE VAUX, Avieenne (Paris I9OO), S. I3z if, ; CASIRI, ]3ibliotheea Arabieo-ltisBana (Madrid I76o), I, 263; H. SUTER, DieMathematike~'undAstronomen derAraber (Leipzigi9eo), S. 86f,

Eine Arabische Biographie Avicennas

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Page 1: Eine Arabische Biographie Avicennas

188o K L I N I S C H E W O C H E N S C H

Diese T a t s a c h e e rm6g l i ch t e es, ve r sch i edene P h a r m a c a bzw. H o r m o n e , die d e n Zuckers to f fwechse l bee inf lussen , e inerse i t s d a r a u f h i n zu n n t e r s u c h e n , o b die b e t r e f f e n d e n Stoffe v o r w i e g e n d auf d e m Wege fiber das GroBhi rn ih re S to f fwechse lwi rkung en t f a l t en , ande re r se i t s d a r a u f h i n , ob ih re Z u c k e r s t o f f w e c h s e h v i r k u n g d u r c h Narkose des GroB- h i rnes bee in f tuBt wird.

I n e iner f r f iheren M i t t e i l u n g h a b e ich erwfihnt , d a b H i r n - s t a m m n a r k o t i c a , Ve rona l u n d a u c h L u m i n a l , die P y r a m i d o n - h y p e r g l y k ~ m i e regelm~iBig ve r h i nde r n . Aus d ieser T a t s a c h e w u r d e der SchluB gezogen, d a b das P y r a m i d o n i m T h a l a m u s bzw. H y p o t h a l a m u s in den Zucker s to f fwechse l e ingreif t .

Die Ve r suche m i t C h t o r a l h y d r a t u n d P y r a m i d o n (o,25 g pro 2 kg K a n i n c h e n ) e rgaben , d a b C h o r a l h y d r a t n a r k o s e die P y r a m i d o n h y p e r g l y k ~ m i e n i c h t v e r h i n d e r L D a das Chloral- h y d r a t vo r a l l em e x t r a t h a l a m i s c h wirk t , i s t diese Be- o b a c h t u n g e in we i t e re r 13eweis ffir die A n n a h m e , d a b das P y r a m i d o n i m T h a l a m u s bzw. H y p o t h a l a m u s in den Zucke r - s tofLvechsel e ingreif t .

C h l o r M h y d r a t n a r k o s e v e r h i n d e r t h i n g e g e n regetm~Big die ebenfa l l s z en t r a l ausgel6s te M a g n e s i u m h y p e r g l y k ~ m i e . Aus d i e s e m U n t e r s c h i e d e in der W i r k u n g de r C h l o r a l h y d r a t n a r k o s e auf die be iden eben g e n a n n t e n Hyperg lyk~imien w u r d e de r Sehlul3 gezogen, d a b die Magnes iumhyperg lyk~imie , i m Gegen- s a t ze zur Pyramidonhyperg lyk~ imie , e x t r a t h a l a m i s e h e n Ur - sp runges se in muB. G e n a u e r l~ii3t s ich d u r c h diese p h a r m a k e - logischen A u s s c h a l t u n g s v e r s u c h e der A n g r i f f s p u n k t des Ma- gnes iums n i e h t lokal is ieren, da es wegen der ind iv idue l l und zei t l ich v e r s c h i e d e n e n E m p f i n d l i c h k e i t de r Tiere gegenf iber C h l o r a l h y d r a t n i c h t i m m e r s ieher ist, ob e in u n d dieselbe

R I t ? T . II . J A H R G A N G . N r . 45 5. NOVEMBER I932

Menge dieses Mi t te l s n u r au f das GroBhi rn u n d n i c h t auch schon an f t ie fer gelegene Hirn te i le , wie z. 13, das Corpus s t r i a - tu rn , e i n g e w i r k t h a t .

Verona l - u n d L u m i n a l n a r k o s e ve rs f i i rken gew6hnl ich die pe r iphe re A d r e n a l i n h y p e r g l y k ~ m i e . C h l o r a l h y d r a t n a r k o s e f ibt au f diese k e i n e n wesen t t i chen Einf luB aus.

W~ihrend VeronaI u n d L u m i n a l bei sons t u n w i r k s a m e n E r g o t a m i n m e n g e n zur E r g o t a r r d n h y p o g l y k ~ m i e Ifihren, ~ n d e r t C h l o r a l h y d r a t be i A u s s c h a l t u n g des S y m p a t h i c u s d u t c h Ergo- t a m i n den 131utzucker n i c h t e inwandf re i .

C h l o r a l h y d r a t n a r k o s e verfi ,ndert den B l u t z u c k e r auch bei g le ichzei t iger A u s s c h a l t u n g des V a g u s d u r c h A t r o p i n n i e h t e in- wandfre i , w ~ h r e n d Verona l - u n d L m n i n a l n a r k o s e bei sons t un - w i r k s a m e n A t r o p i n m e n g e n zur At rop inhyperg lyk i~mie ff ihren.

C h l o r a l h y d r a t n a r k o s e bee in f luBt die W i r k u n g des In su l i n s au f den B l u t z u c k e r n i c h t regelm~Big, n u t a u s n a h m s w e i s e v e r s t ~ r k t es diese in ge r ingem AusmaBe. Verona l u n d L u m i n a l h i n g e g e n v e r s t ~ r k e n b e k a n n t l i c h die W i r k u n g kle iner I n su l i n - m e n g e n regelm~iBig.

I n de r Verona l - u n d L u m i n a t n a r k o s e k o m m t es n i c h t zu h y p o g l y k ~ m i s c h e n Kr~impfen (voransgese tz t , d a b n i c h t tox i sche I n s u l i n m e n g e n gegeben werden) . C h l o r a l h y d r a t - na rkose h i n g e g e n v e r h i n d e r t die h y p o g l y k ~ m i s c h e n Kr~impfe a u c h n a c h k l e inen I n s u l i n m e n g e n n ich t .

Aus d iesen V e r s u c h e n geh t he rvor , d a b die B l u t z u c k e r - r e g u l a t i o n v o r a l l em i m T h a l a m u s bzw. I - Iypo tha lamus , a b e r a u c h im Corpus s t r i a t u m vo r s ich geht .

Die ausff ihr l iehe M i t t e i l u n g dieser Versuche e r s che in t dem- n a c h s t in de r Z. exper . Med. (Au~ der I . Meg. Abtei tuny de~ K a i . e r i n Eli.abeth-Spitats, Wien [ Vorstand: Pro]. W. Faltc@)

M I T T E I L U N G E N A U S D E M I N S T I T U T F O R G E S C H I C H T E D E R U N D D E R N A T U R W I S S E N S C H A F T E N IN B E R L I N .

EINE ARABISCHE BIOGRAPHIE AVICENNAS. Won

Dr. PAUL I~RAUS, Pfivatdozent an der Univelsit~t Berlin~

ABf: ~ AL-HUsAIN BEN *ABDALL/KH IBN SIN~* (AvICENNA), genannt der ffirstliche 3/~eister, ist eine der bedeutendsten Er- scheinungen nicht nur der Medizingeschiehte, sondern der islami- sehen Geistesgesehichte fiberhaupt. Arzt, Philosoph, Astronom, Dichter, S taa t smann in einer Person, repr~isentiert er wie kaum ein anderer den Typns der nniverselten muslimischen Gelehrten. Ein Teit seiner Schriften, besonders sein raedizinisches Hanptwerk, der Canon und das welter unten besprochene Liber S~f/ieientis, wurden frahzeitig ins Lateinische flbersetzt und haben Jahr- hunder te lang europNsche Wissenschaft und Philosophie wesentlich best immt. Im Orient gai t er noch bis vor kurzem als die gr6t3te

" Autorit~it in medizinischen Fragen. Der Schauplatz des Lebens AVICENNAS ist das Persien und

Transoxanien um die Wende des io. Jahrhunder ts . Um 980 geboren, ha t er die schweren politischen Erschflt terungen, die Persien damals durchmaehte, in alien Phasen miterlebt. Sein Wander t r ieb und die Suche nach einem F6rderer seiner wissen- schaftt ichen Interessen ffihrte ihn yon einem der kleinen Fflrstenh6fe zum anderen. Er sah, wie sieh die Dynast ien yon Buch~rg, Raj, Ispah~n, Hamadhgn untereinander aufrieben, um zuletzt alle der Macht des nnwiderstehlichen 3/IAHMOD Yon Ghazna zu ertiegen. Eine eingehende Biographie AVmENNAS mfil3te in den Rahmen dieser zeitgeschichtlichen Ereignisse hineingestetlt werden. Sie ist leider bis heute nech nicht geschrieben worden.

Wir haben nns hier eine vim bescheidenere Aufgabe gestelit. Wir flbersetzen im folgenden eine kurze Lebensgeschichte AVlCE~-

NAS v o n d e r Hand seines Sehfilers ABfJ ~UBAID AL-GfJzdAN~. Sie ist eine Quelle ersten Ranges. Von kaum einem islamischen Gelehrten haben wit eine so genaue und farbenreiche Sehilderung seines Lebens erhalten. Und, was den Text besonders wertvoll

* Ich habe die Transkription der arabisehen Eigennamen ein ~/enig vereinfacht, t3e- achte: g = dseh; dl~ = stimmhaftes englisehes th; th = stimmtoses engtiscLes th.

M E D I Z I N

macht: der erste Teil, der yon der Jugend AVICENNAS bis zu seinem 3 2. Lebensjahre handelt, ist ein autobiographiseher Bericht des AVICENNA. Nach der Angabe seiner Quelle hat er ihn seinem Schiller selbst diktiert.

GfTz~s ist der Lieblingsschfiler AVlCENNAS gewesen. 2 5 Jahre hat er ihn flberall bin begleitet und an seiner Arbeit teilgenommen. Er war besonders mathelnatisch begabt, und einige seiner Werke sind noch erhalten. An ihn richten sich auch mehrere I~piste ! AVlCENNAS.

Der Bericht des GI)Z~ANi steh*, fast w6rtlich fibereinstimmend, in der ~rztegeschichte des InN AM USAIBI~ (gestorhen 127o* ) nnd in der Gelehrtengeschichte des In~ AL-QI~Tf (gestorben I248,* ), Er wurde schon oft zur Darstellung des Lebens AVICENNAS be- niitzt***, abet niemals in extenso flbersetzt.

Zur Rechtfertigung der ?Jbersetzung muff ich ffir den Arabisten kaum etwas hinzuffigen. Aber auch ffir den Leserkreis dieser ~Vochenschrift erschien uns die Biographie interessant, weil sie einen Einblick in das Werden und die Vielseitigkeit des groi3en Arztes gibt und gleichzeitig ein Milieu schildert, in dem sich aueh das Leben anderer hervorragender islalnischer .~rzte abgespielt hat. In den gelegentliehen Anmerkungen habe ich nur das Allernot- wendigste angeifihrt. Auf die genaue Er6rterung der historischen Angaben des Textes bin ich im allgemeinen nicht n~her eingegangen. ]Fflr den Nichtorientalisten sind St~dte, Landschaften und IVfirsten iln fernen Persien doch nur lqalnen.

Die folgende ?Jbersetzung schlieBt sich an die Rezension des IBN ABi USAIBI A an:

,,Der fflrstliche Meister IBN SINi ist viel zu berf~hmt, als dab man yon ihm sprechen mfiBte. Er ha t seine eigene Lebensgeschichte

* Der arabische Text ist hrsgeg, yon A. MOLLER, Kairo z88~. Der Artike] fiber AVICENNA steht Bd. 2, 2--9. ** IBN-AL-QIFTt's Ta'r~l~ aZ-JFIu]~am~, hrsg. yon .1. LtPPERT,' [Leipzig I9o3. S. 4x3--4~6. *** Zuletzt yon G. SARTON, Introduetio~ in ~he ltistory o/Science 1, 7o9ff., wo volI- st~dige Literaturangaben zu finden sind. Teilweise ist der Text fil:ersetzt bei: L. LEC- LERC, Itistoire de la Mddieine Afabe (Paris 1876 ) l, 466--469; CARRA DE VAUX, Avieenne (Paris I9OO), S. I3z if, ; CASIRI, ]3ibliotheea Arabieo-ltisBana (Madrid I76o), I, 263; H. SUTER, DieMathematike~'undAstronomen derAraber (Leipzig i9eo), S. 86f,

Page 2: Eine Arabische Biographie Avicennas

5- NOVEMBER 1932 K L I N I S C H E Y V O C H E N S C H R I F T . i i . J A H R G A I x T G . N r . 45 I 8 8 1

erzAhlt u l ld es d a d u r c h ande ren erspar t , f iber ihn zu schreibel l .

Deswegen beschrAllkel l wir nns al lf das, was er yon s ich se lbs t

b e r i c h t e t und was AB~ ~ AL-GI~Z6tNI, der F r e u n d des

Meisters, voi1 se inen L e b e n s u m s t ~ n d e n schre ib t . - - Dies i s t die S u m m e dessen, was tier f f i rs t l iche Meis ter yon sich erz~hl te u l ld

ABI~ "UBAID &L-GI~z6XNI VOI1 i h m f iber l iefer t :

, ,Es s a g t t ier f i i r s t l iche Meis te r :

,,Meii1 Water s t a m m t e aus ]3alch*. Won dor t f ibers iedel te er ill dell Tagel l des Nt~H BEN MANSI~R** nach ]3uch&r~***. Solange dieser lebte, h a t t e er eine A n s t e l l u n g l lnd einel l V e r w a l t n n g s p o s t e n t in e i l lem Dorfe m i t N a m e n C h a r m a i t h a n , das z u d e r 1Andlichen U m g e b u n g yon ]3uch~r~ geh6r te und das b e d e u t e n d s t e u l l t e r den D6rfe rn war. I n der NAEe davol l w a r ein anderes Doff, Afschana ; yon dor t h e i r a t e t e mein Water meine M u t t e r und lieB sich al lch dase lbs t nieder . E r s t wl l rde ich geboren, d a n n b r a c h t e racine M u t t e r auch me inen ]3ruder zur Wel t . SEAter f ibers iede l ten wi r n a c h 13uch&r~ und ich w u r d e zu e i l lem K o r a n l e h r e r und e inem L i t e r a t l l r l e h r e r geschickt . I c h h a t t e k a n m das io. L e b e n s j a h r vo l l ende t und h a t t e m i r scholl dell K o r a n nnd einen groBell Tei l der sch611ell L i t e r a t u r ~t angeeignet , so dab m a n reich als ein W u n - de rk ind bezeichl le te .

,,Meill V a t e r b e k a n n t e s ich zur Lehre der fAt imidischen Emi-ssare und geh6r te den Ism&'i l i ten a n ~ . Von ihnen hbr te er G e d a n k e n fiber die Wel t see l e und den W e l t i n t e l l e k t ~uBern in der Weise, wie sie dar f iber sp rechen und es auf fassen; auch me in ]3ruder schloB sich ihne l l an. M a n c h m a l d i s k u t i e r t e n sic, und ich hbr te zu und begriff, was sie sagten , doch v e r m o c h t e ich ihnen n i eh t ZUZU- s t i m m e n . Sic begal l l le l l , a l lch reich zu ih re r Lehre zu bekehren , und r ede t en v ie l f iber Phi losophic , Geomet r i e und indisches Rech- neE* ~.

, ,Mein Water lieB reich zu e inem Manne gehen, der GemOse ver- k a u f t e und als Kenne r des ind i schen Rechnens galt , und das l e rn t e ich auch von ihm. D a n a c h k a m n a c h Buch~rs AB0 *ABDALL~H AN-NXTILI, den m a n den P h i l o s o p h a s t e r * ~ nann te . Mein V a t e r n a h m ihn in unse rem H a u s e auf, wei l er hoffte, ich wfirde yon i hm e twas lernen. Vor se iner A n k u n f t h a t t e ich reich m i t J u r i s p r n d e n z beschAft igt und w a r dabe i bei I s ~ s ~iL, dem ,Asketen ' , in die Lehre gegangen. I ch wa r e iner seiner be s t en Scht~Ier gewesen und h a t t e m i r die M e t h o d e n der A r g u m e n t a t i o n und die Arten, wie m a n den Gegner wider leg t , angee igne t , und zwar in der Weise, wie s ich ih re r die L e u t e dieses Faches bedienen. Da rau f b e g a n n ich, bei Ns d i e B i s a g o g e * ~ zu s tudieren . Als er mi r nun die Def in i t ion der G a t t u n g n a n n t e (nAmlich: G a t t u n g , is t das, was von v ie len der Ar t n a c h ve r sch iedenen Dingen auf die F r a g e ,~Tas' a u s g e s a g t wird**~) , g ing ich daran , d ieser Def in i t ion allf den Grund zu gehen, wie er es noch hie geh6 r t ha t t e . E r s t a u n t e sehr fiber re ich und r i e t m e i n e m Water, ffir re ich ja ke inen a nde ren Beruf als den der W i s s e n s c h a f t vorzusehen .

, ,Welches P r o b l e m er i m m e r mi r vor legte , ich begriff es besser als er. So g ing es, bis ich die e in fachen Teile der Log ik mi t i h m s t u d i e r t ha t t e . Die schwier igen P a r t i e n aber v e r s t a n d er n ich t . Da rau f bega l ln

* Hauptstadt yon ChorasAn (Ostpersien). ** Vonder Dynastie dez Samaniden. t~r herrsehte 976--997. *** Stadt in Transoxanien.

Die Bemerkung, der Vater AVICENNAs sei Beamter gewesen, gibt einen Hinweis auf die Atmosphere, in tier der junge AVIC:ENNA aufwuchs. Die Beamten (Schreiicer) haben zu alien Zeiten im Islam alas Niveau tier allgemeinen Bildung bestimmt. ?t Das heiBt arabische Dichtung und Prosa. ~ Die Ism~~ sind eine schi~itiseh-gnostische Sekte, die in tier Geschichte des Islam eine groBe Rolle spielte. Sie verbanden rnit ihren religibsen Lehren au~ld~relische und revolutionfir-politische Tendenzen. Zu Beginn des IO. Jahrhunderts hatten sic in Nordafrika und 2~gypten eh~en eigenen Staat unter der Dynastie tier F~timiden ge- griindet und versuehten yon hier aus, auch die anderen islamischen L~nder fflr ihre Ideen zu gewinnen. Rfihrige Emiss~re arbeiteten in der ganzen islami~chen Welt flit die politisehen und religi6sen Ziele der F~timiden. Aus ihrem Kreis stammt aneh der Vater AVICENNAs. Von Jugend auf waren AVICENNA die neuplatoniseh- gaostisehen Lehren dieser Leute gel~ufig. Sie sind sieher die erste Anmgung zu seinem philosophischen Interesse gewesen. S. auch I I I . dah~esbericht des Yorschungs-In- stifuts liar Geschiehte der 2qaturwissenscha]ten in ~Berlin (Berlin i93o), S. 3o. *~ Das heiBt das einfache Ziifernrechnen. Die yon uns als arabisch bezeichneten Ziffern stammen bekanntlich aus Indien. *tt Allzu groBe Hochaehtung hat AVICENNA vor seinem Lehrer nicht gehabt. In der Rezension des IBN-AL- QIFT~ wird NATILIals einer bezeichuet, ,,der die Philosophie zu Unrecht fiir sich in Anspruch nahm". Es ist wohl derselbe NATIL~, der im Jahre 99o eiae verbesserte Qbersetzung des Dioskurides herausgab. *~J't Das heii3t die Eisagoge des Neuplatonikers PORPHYRIUS (gestorben um 30o n. Chr.), die als Einleitung dem aristotelisehen Organon vorangestellt ist. **J" Dies bezieht sieh auf das 2. KapiteI der Eisagoge.

ich, ftir m i c h se lbs t zu s t ud i e r en und die K o m m e n t a r e e inzusehen*, bis ich die Log ik abgesch lossen ha t t e . Ebenso t a t ich es m i t dem :Buch des EUKLID. U n t e r seil ler A n l e i t u n g a rbe i t e t e ich die e r s ten

5 oder 6 F i g u r e n durch, und d a n n m a c h t e ich re ich a l le in daran , den ganzen R e s t des Buches mi r k l a r zu machen . D a r a u f g ing ich zum A l m a g e s t * * fiber. Als ich die e in le i t enden S~tze b e e n d e t h a t t e und zu den g e o m e t r i s c h e n F i g u r e n kam, sag te mi r N~TILi: ,Lies j e t z t se lbs tAndig we i t e r und m a c h e dir (die fo lgendel l F iguren) a l le in k l a r l lnd l l achher k o m m zll mir , d a m i t ich d ich lehre, das R i c h t i g e yore F a l s c h e n zu u n t e r s c h e i d e n und dir zeige, was der Verfasser m i t se inem Buche wol l te . ' I ch b e g a n n nun, mi r das B u c h k l a r zu machen . u yon den F i g u r e n h a t t e NXTILI bis zu dem Ze i tpu l lk t , da ich sie i h m vor l eg te und verst /~ndlich mach te , fiber- h a u p t n i c h t g e k a n n t .

, ,Danaeh verlieB michNs ul ld g ing l lach Kurk~na~*** . I ch aber beschAft igte re ich dami t , m i r die ]3ficher fiber P h y s i k und M e t a p h y s i k in T e x t e n und K o m m e n t a r e n anzue ignen . Dabe i 6f fne ten sich mi r die Tore tier Wissenschaf t .

, ,Darauf bemf ih te i c h m i c h u m die ( theoret ische) Medizi l l~ l lnd begann, die darf iber ve r faBten W e r k e zu lesen. Die Mediz in i s t ke ine schwere Wissenschaf t , u l ld ich ze ichne te re ich da r in in der kf i rzes ten Zei t so sehr alls, dab die angesehens t en Arz te bei m i r Medizin zu s tud ie ren begannen . I ch besuch te a u c h Kranke , und dabe i gewanl l ich einel l unbesch re ib l i ch t iefen E i n b l i c k in die Hei l - me thoden , die r o l l tier E r f a h r u n g abge l e i t e t sind. D a n e b e n h a t t e ich das S t u d i u m der J l l r i sp rude l l z l l i ch t aufgegeben und h ie l t auch da r~be r Diskuss ionen ab.

, ,Damals wa r ich ers t 16 J a h r e al t . D a n n las und s t u d i e r t e ich 11/2Jahre la l lg eine Menge. I ch w iede rho l t e die Lek t f i re der Log ik l lnd al ler Teile der Phi losophie .

, , I l l d ieser Zei t schlief ich ke ine N a c h t du rch nnd bei Tage beschAft igte ich reich m i t l l ich ts anderem. I ch leg te mi r Mappe l l an und bei j edem A r g u m e n t , das ich in dell Bf ichern land, s t e l l t e ich die PrAmisse seines Schlusses l e s t u l ld o rdne te sie in j enen Mappen. Dan l l be sah ich, welche R e s u l t a t e s ich aus ihnen ergeben k o n n t e n und b e a b a c h t e t e die ]3edingungen der PrAmisse, his m i r in d ieser Sache die ganze W a h r h e i t zu te i l wurde . W e n n ich bei e inem P r o b l e m l l ich t ills Kla re kam, und bei e inem SchluB n i c h t den m i t t l e r e n Begriff ~ t fes t s te l len konnte , begab ich reich in die Moschee, be t e t e und f lehte so lange zum Sch6pfer des Alls, his s ich mi r alas Verschlossene 6ffnete und das Schwere le ich t wurde . ]3ei N a c h t k e h r t e ich nach H a u s e zurfick, se tz te die L a m p e vor Inich h in und besehAft igte re ich m i t Lesen nnd Schreiben. Und wenl l der Schlaf re ich f i be rmann t e oder ich re ich schwach ffihlte, t r a n k ich e inen Becher Wein, d a m i t ich wiede r zu KrAften komme. D a r a u f las ich weiter . \ u ich l e ich t einschlief, t rAumte ich yon eben je l len Fragen . Wiele s ind mi r so inl Schlafe k l a r gewordel l . Auf diese W~eise w u r d e n ill mir sAmtliche Wi s senscha f t en gefes t ig t , und ich behe r r sch te sie, so gu t es Menschen verm6gen .

, ,Alles was ich d a m a l s wuBte, i s t noch genal l so, wie ich es j e t z t weiB. I ch habe bis heu t e n i ch t s m e h r zu le rnen mfissen. I ch behe r r sch te also die Logik , P h y s i k und M a t h e m a t i k l lnd w a n d t e re ich da rau f zur T h e o l o g i e t ~ . I ch las das (ar is totel ische) B u c h der Me taphys ik , ve r s t a l l d aber l l ich ts yon se inem Inha l t , und die Tendel lz seines Verfassers b l ieb mi r verborgen . I ch las es 4oma l d n r c h und k o n n t e es schon auswendig , aber t r o t z d e m v e r s t a n d ich es nicht , wnBte nicht , w o e s h inaus woll te . Da verzwei fe l te ich da ra l l u l ld sag te : ,Das i s t e in ]3uch, zu dessen VerstAlldl l is m a n n i ch t v o r d r i n g e n kann . ' E ines Tages nu l l wa r ich u m die Zei t des N a c h m i t t a g g e b e t e s bei dell ]3uchhAndlern. I~ill VerkAufer h ie l t e inen B a n d in der H a n d l lnd fief i hn aus. E r re ich te ihn mir, ich a b e t gab ihn verArger t zurfick, wei l ich gla l lb te , dab er in d iesen Wissenscha f t e l l zu l l ich ts nu tze sei. E r sag te mi r : ,Kaufe ihn mi r ab, er i s t j a bill ig, ich gebe ihn dir f a r 3 D r a c h m e n ab. Sein ]3e- s i tzer b r a u c h t das Geld' . I ch kau f t e ihI1 also, und siehe, es w a r

* Fast alas ganze Korpus tier aristotelischen Schriften sowie eine Reihe yon neuplatoni- schen Komluentaren sind im 9. und zu Beginn des io. Jahrhunderts durch syrische Christen ins Arabisehe fibersetzt worden. ** Das Hauptwerk des Astronomen CLAUDIUS PTOLEM~xUS (im 2. jahrhundert m Chr.). *** Stadt und Landschaft in Transoxanien. t AVICENNAs Lehrer in tier Medizin war der christliche Arzt QSA BEN JAHJA (gestorben um lOO9). Er wirkte in Choras~n. AVIC]~NNA hat ihm eine Reihe seiner medizinischen Sehriften gewidmet. ,+* In der aristotelisehen SehluBfigur. 2tt Theologic im Sinne des ARISTOTELES verstanden.

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I 8 8 2 t f L I N I S C H E W O C H E N S C H

eine Schrift des ABlY NASRAL-FARs i~ber die Zwecke des Buches der Metaphysik. Ich kehrte nach Hause zurfick und beeilte reich, sie zu lesen. Da ging mir mit einem Male der Sinn der aristotelisehen Metaphysik auf, die ich ja W o r t fflr Wor t auswendig kannte. Ich freute reich darfiber nnd gab, Gott zum Dank, am folgenden Tage den Armen reiche Almosen.

, ,Damals herrschte in Buch~rg NOH BEN MANSfJR. Der ha t t e gerade eine Krankhei t , bei der die 24rzte versagten. Ich war wegen meiner umfassenden Lektfire bei ihnen bekannt , und daher nann ten sie meinen Namen vor ibm und ersuchten ihn, mich zu be- rufen. Ich kam, bemfihte mich zusammen mit ihnen u m seine Heilung und wurde bei ihm angestellt.

, ,Eines Tages ba t ich ihn, mir zu gestatten, ihre Bibliothek zu be t re ten und die darin enthal tenen medizinischen Werke einzusehen und zu lesen. Er gesta t te te es mir, und ich ging hinein. Es war ein GeMiude, das aus zahlreichen HXusern bestand, in deren jedem Regale mi t aufeinander geschichteten Bficherm sich befanden; in einem Hause waren die Bflcher fiber arabische Sprachwissen- schaft und Poesie, in einem anderen die fiber Ju r i sprudenz usw.; jedes Hans war fflr die Bficher einer besonderen Wissenschaf t ein- gerichtet. Ich sah den IKatalog der ant iken Bficher durch und suchte mir die, die ich brauchte , heraus. Da bekam ich Bficher zu sehen, deren Namen nu t wenigen Lenten zu Ohren gekommen sind. Weder frfiher noch sparer habe ich sie wiedergesehen. In diesen Biiehern studierte ich, eignete mir ihre wertvollen Gedanken an und erkannte den wissenschaft l ichen Rang eines j eden Autors**. Als ich 18 Jahre alt war, war ich mi t allen diesen Wissenschaf ten zu Ende. Damals konnte ich das Wissen besser im GedXchtnis behal ten; heute aber ist es reifer geworden. I m fibrigen ist das Wissen ein und dasselbe geblieben, und seit damals babe ich nichts Neues mehr zugelernt.

, , In meiner Nachbarschaf t befand sich ein Mann namens ABU'L-HusAIN AL-~ARflDI. Der ba t mich, ibm ein N o m p e n d i u m fiber diese Wissenschaf ten zu verfassen. Ich ta t es und widmete es ihm und behandel te darin alle Wissenschaf ten auBer der Mathe- mat ik***. Damals war ich 21 Jahre alt.

,,Zu meinen Bekannten geh6rte aueh ein Mann namens AB@ BAKR AL-BARQL Der s t a m m t e aus Chw~razm~, war auBerordent- lich scharfsinnig, ein Spezialist in Jur isprudenz, Koranexegese und Moraltheologie, und ha t te Interesse f fir diese Wissenschaften. Er ba t mich, ihm die Bficherf~ zu kommentieren. Ich verfaBte tfir ihn das Buch des Resultats und des Ergebnisses in ann~hernd 20 Biinden. Und fiber E th ik verfal3te ich ffir ihn ein Bueh, dem ieh den Namen Buch der tZrOmmigkeit und Si~nde gab. Diese beiden Bficher befinden sich nu r bei ihm; er lieh sie n iemandem zum Abschreiben.

, ,Danach s tarb mein Vater, und damit t r a t eine Ver~nderung in meinem Leben ein. Ich n a h m einen Verwal tungspos ten bei der Regierung an, dann sah ich mich aber veranlaBt, Buch~rg zu ver- lassen und nach Kurkgna~ zu z i e h e n ) ~ . Dor t war ABU'L-HUSAIN As'-SA~LL der fflr diese Wissenschaften groBes Interesse hatte, \u Ich wurde dem Ffirs ten ~AL* BEN MA'MflX vorgestellt . Damals ging ich noch in der Trach t der Rechtsgelehr ten mi t Nackenschleier und I ( innbinde hernm. Sie erwiesen mir grol3e Ehre, wie ich es nicht besser h~itte e rwar ten k6nnen.

,,Bald aber muBte ich wieder fort. Ich begab reich nach Nasg, dann naeh Bgward, yon dor t nach Tfis, Schaqqfin, Samanqgn,

nach Gg~urm an der Grenze von Choras&n und endlich nach

G u r ~ n * ~ . Ich wollte reich zu dem Ffirsten QAB0s*+, ~ begeben. Der war abet inzwischen gefangengenommen worden; m a n ha t te ihn in eine Fes tung gebraeht, und dort war er gestorben. Ich begab mich darauf nach Dahistan, wo ich schwer k rank wurde und nach

* Der beka:mte islamische Philosoph, gestorben 95 ~ in Damaskus, der eigentliehe Be- griinder des Aristotelismus im Islam. Die yon ibm hier zitierte Sehriff ist erhalten. ** Die sp~tere Legende behauptet, AVICENNA habe die Bibliothek, nachdem er sie ganz durehstudiert hatte, selbst in Brand gesteekt. *** Dieses Erstlingswerk des AVICENNA ist ill einer Handschrift in Uppsala erhalten.

Transoxanien. ~-~ Die Obersetzungen grieehischer Orlginalschriiten, wahrseheinlieh besonders die Schriften des ARISTOTELES. - ~ DieseFlucht aus seiner Heimatstadthatteihren Grund wohl darin, dab der mgchtige Sultan IVfAHMUD yon Ghazna seine Aspirafionen auf Buch~r~ geltend maehte. *t St~idte und Lalldschaften ist Os t -und Nordpersien. *$~ Von der Dynastie derZij~riden in Gurgan (dem alten Hyrkanien) am Siidende des Kaspisehen Meeres. Er regierte 976--IOI~. Be[ seinem Tod war AVICENNA etwa 32 Jahre alt.

R I F T. I I. J A H R G A N G. N r. 45 5- NOVEMBER 1932

G u r ~ . n zurfickkehren muBte, t t ier schloB sich mir ABD *UBAID

AL-GI?z~AN~ an. Auf mein Wander leben habe ich ein Gedicht gemacht , in dem der Vers v o r k o m m t :

,Da ich grog ward, ist jedes Land mir zu eng,

,Da mein Preis hoch ward, gibts niemanden, der mich kaufen will ["

,,AB0 *UBAID AL-G~ZGANI , der Gefghrte des Meisters, sagt: Dieses ha t mir der Meister w6rtl ich erz~ihlt. Von da an n a h m ich an seinen Lebensums tgnden Anteil (und fahre mit ihrer Schilderung fort :).

, , In Gur~s war ein Mann namens ABO MUHAMMAD ASCH- SCHiRAzl, der die Wissenschaf ten liebte. E r ha t te dem Meister ein Haus in der Nachbarschaf t gekauft und ihn darin wohnen lassen. Dor th in begab ich reich jeden Tag, las ihm den Almagest vor* und lieB mir die Logik diktieren. Er diktierte mir n~mlich das mittlere Kompendium der Logik**. -- Er verfaBte ffir ABD MUHA~- MAD ASc~-SCHiRAZ~ das Buch der Kosmogonie und der Eschatologie und das Buch der gesamten astronomischen Beobachtungen und schrieb dort auch sonst noch zahlreiche Bficher, wie den ersten Teil des Canon, das Kompendium des Almagest und viele Abhand-

lungen. In der Landschaf t Gib~I*** ha t er nachher seine anderen Schriften verfaBt."

(Hier gibt GfJzdiNi ein Verzeichnis der wichtigeren bis zu jenem Zei tpunkt verfaBten Schriften des AVlCEXNA, das wir fiber- gehen.)

, ,Danach fibersiedelte er nach Raj und begab sich in den Dienst der Ffirstin SAJJIDA nnd ihres Sohnes MAGD AD-DAULA. Sie

wnl3ten yon ihm durch Bride, die zugleieh mit ihm ankamen und

auf seinen hohen Rang aufmerksam machten. MAGD AD-DAULA

wurde damals yon einer schweren Melancholie heimgesueht, und der Meister beschgftigte sich damit, ihn zu heilen. Dort verfaI3te er

da8 Buch des Eschatologie. E r blieb daselbst so lange, bis SCHAMS AD-DAULA nach der E r m o r d n u n g des H I L s BEN SADR BEN

HASAN6JE und der Niederiage des Heeres yon Bagdad heranzog. Dann ereigneten sich Dinge, die ihn dazu zwangen, nach Qazwin und yon dor t nach Hamadhgm~ zu ziehen nnd sich in den Dienst d e r I~ADHB~N6JE Zll stellen und ihre Angelegenheiten zu verwalten. Da erfuhr SCHAMS AD-DAULA yon ihm und zog ihn an seinen Hof, weil ihn eine IKolik betroffen hatte. E r behandel te ihn so lange, his Got t ihn heilte, e rwarb sich am Hole viele Ehrengeschenke und kehrte nach Hause zurfick, nachdem er dort 4 ~ Tage und Niichte verweilt hat te . Von da an geh6rte er zu den Tischgenossen des Ffirsten. Als der Ffirst nach Q a r m i s i n ~ aufbrach, um die ~ zu bek~mpfen, zog der Meister in seinen Diensten mit. SCRAMS AD-DAULA muBte aber fliehen und wandte sich nach H a m a d h ~ n zurfick. Bald darauf ersuchte man den Meister, Minister zu werden. Er t a t es, aber danach brach eine Revoke des Heeres gegen ihn aus, sein Haus wurde belagert, er selbst ins GefXngnis geworfen, sein Besitz geplfindert und alles, was er hat te , ihm Ior tgenommen. Die Soldaten iorder ten vom Ffirsten seine t t in r ich tung; dieser weigerte sieh aber und beschr~inkte sich darauf, ihn yon der Regie- rung auszuschliegen, da er ihnen zu Gefallen sein wollte. Der Meister verbarg sich in dem Hause des AB0 SAr BEN DACHDOQ

4 ~ Tage Iang; als aber der F first SCHAMS AD-DAULA einen er- neuten Anfall yon ~ol ik bekam, da liel3 er den Meister suchen. :Er begab sich darauf an seinen Hof, und der Fflrst entsehuldigte sich bei ihm. Er besch~ftigte sieh damit , ihn zu heilen und wurde yon ihm hochgeehrt , ja das Minis teramt wurde ihm wieder fibertragen.

,,Damals bat ich ihn, die Bficher des ARISTOTELES ZU kommen- tieren. Er antwortete: ,Zu einem so groBen Unternehmen habe ich jetzt keine Zeit. Wenn du aber damit einverstanden bist, dab ich ein ]3uch verfasse, in dem ich diese Wissenschaften, soweit sie mir richtig erscheinen, unter Verzicht auf die Polemik und Ansein- andersetzung mit Gegnern darlege, so tue ich es gerne.' Ieh war natfirlich damit einverstanden. Er begann rnit dem physikalischen

* Das Studium in islamischen L~ndern bestand und besteht noeh heute darin, daI3 der Schiiler ein ~7erk vorliest und der Lehrer dazu seine Erkl~rungen gibt. ** Das heil3t, ein Kompendium mittlerer Gr6ge. Die arabischen Kommentatoren aristoteliseher Sehriften untersehieden meist kleine, mittlere und grofle t~earbeitungen des gleichen Werks. *** Das heigt Medien. t Dem alten Ekbatana. t l Stadt in der N~he yon Hamadh~n.

Page 4: Eine Arabische Biographie Avicennas

5. NOVEMBER 1932 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I I . J A H R G A N G . N r . 45 1883

Teil eines Bnches, das er das Buch der Heilung* nannte . Damals ha t te er schon das erste Buch des Canon abgeschlossen. Jede Nach t versarnrnelten sieh die Studenten ill seillern Hause, und ich las aus dem Buch der Heilung vor ulld ein anderer abwechselnd aus dern' Canon. Waren wit darnit fertig, so karnell S~tnger aller Art, ein richtiges Symposium, rnit allern, was dazu gehSrt, wurde her- gerichtet und wir besch~ft igten uns darnit**. Das Studiurn falld abet bei Nach t start , weil ihrn der Dienst des Ffirstell bei Tage keine Zeit lieB.

, ,Das dauerte eine Zeitlang, danach wandte sich SCI~AMS AD-DAuLA nach Tgrim, u m den dortigell Ffirstell zu bek~rnpfen; ill der N~he jenes Ortes bekarn er aber wieder einen s tarken Kolik- anfall, dazu kamen noch andere Krankhei ten, ve rursach t durch seine liederliche Lebellsweise und weil er auf denMeister nicht hSren wollte. Das Heer ffirchtete seinei1 Tod, ulld rnall t rug ihn daher in einer S~nfte naeh H a m a d h s er s ta rb unterwegs in der SXnfte.

, ,Dann wurde der Sohn des SCI~AMS A D - D A U L A * * * zurn Fflrsten ernallllL Mall ersuchte den ~eis ter , das Minis teramt wieder anzullehmen, er schlug es abet ab. I m Geheimen sandte er Briefe an ~ALs AD-D~uLA~ und ba t ihn, ihn in seinen Dienst aufzu- llehmen. Illzwischell Melt er sich im t i ause des A~0 GHs AL-'ATTs (des Gewflrzh~ndlers) verborgen. Ich ersuchte ihn, das Buch der Heilung zu beenden. Da lieB er den ABI~ GHs kommen, ver langte Papier und Tinte, und als dieser ihm beides bereitgestellt hatte, schrieb der Meister auf etwa 2o Oktavbogen die Titel der Hal lptprobleme. Kaurn 2 Tage waren vergangen, bis er alle Haup tp rob l em e niedergeschrieben hatte, ohne ein Bueh vorzunehrnen oder eiI1 Original einzusehell, vielmehr schrieb er alles aus dem Ged~chtllis und auswendig. Dallach legte der Meister die Bogen vor sich hin, nahrn das Papier, sah sich jede Frage an und schrieb einen K o m m e n t a r dazu. I n einern Tage schrieb er 5 ~ Bla t t ro l l und war bald rnit der gesamten Physik und Meta- physik mi t Ausnahme der Zoologie und Botanik fertig. N u n begann er die Logik und s ch r i eb auch davon einen Bogen. Da verdXchtigte ihn aber Ts AL-MULK wegen seiner Korrespondenz mit ~ALs AD-DAIJLA, die er ihm sehr flbelnahm. E r lieB ihll fiberall suchen, und einer seiller Feinde verriet ihll. Man llahrn ihn ge- ~angen und ffihrte ihll auf eine Fes tung mit Namen F a r d a g g n ~ . Dor t ha t er ein Gedicht gemacht, in dem es heigt :

,DaB ich hereingekomrnell, ist, wie du siehst, ganz evident, Aber sehr zu bezweifeln ist, ob ich jemals wieder h inaus-

komme. ' , ,Er blieb dor t 4 Monate. Dann zog ~AL~, AD-DAULA gegen

H a m a d h ~ n und n a h m es ein. Ts AL-MULK wurde in die F luch t geschlagell und zog sich in ebei1 die Fes tung zurfick, wo der Meister saB. Als aber ~163 AD-DAuL~ sick yon H a m a d h ~ n zurfickzog, da kehrte Ts AL-~V[ULK und der Sohn des SCHAMS AD-DAULA

naeh Harnadhgn zurt~ek und sie llahrnell den 3/ieister mit sich. Er stieg irn l-Iause eilles Schfiten ab und beschXftigte sieh dort rnit

der Ablassllng des Logikteiles aus dern Bueh der Heilung. Ill der

Fes tung ha t t e er da8 J~ueh der Leitungen, die Abhandlung des Ha]] ben J a q z d n ~ , das Buch der Kolik, verfaBt. Dagegen verfaBte er das Buch i~ber die Heilmittel gegen Herzkrankheiten*~ gleich llach seiner Ankunf t in Harnadh~Xn. Darfiber verging eille Zeitlang, wXhrend Ts AL-~'V2ULK ihll mi t seh6nen Verspreehungell ffir sich zu gewinllen suchte. Dem Meister aber bot sich eine Gelegenheit, nach I spahgn zu gehen. Unerkannt , in M6nchskleiderll, verlieBen wit, der Meister, ich, sein Bruder und 2 Sklaven, die Stadt , bis wit nach Tabar~n vor den Toren yon I spah~n anlangten. Auf der Reise ha t t en wir groge N6te er t ragen rnnflssen. Dor t empfingen uns die Freullde des Meisters, die Tischgenossen und Nahes tehenden

* Das philosophisehe Hauptwerk AVICENNAs, eine Darstellung des ganzen Geb~iudes der Wissensehaft, gegliedert in Logik, Physik, Mathematik und Theologie. Ins Lateini- sche wurde es unter dem Titel JSiber Suf]icientis iibertragen. ** (Jber die Weingelage bei AVICENNA ist in der Biographie wiederholt die Rede. Seine Gegner maehten ihm den WeingenuB zum Vorwurf (der Koran verbietet bekal~ntlieh alle berausehenden GetrS.nke), worauf er antwortete, er trinke nur, weft es ~r Gestmdheit erfordere. Mehrere Weingedichte sind yen ibm elhalten.

*** Naraens SAMA AD-DAULA. Er wurde im Jahre lO23 von dem Herrseher yen Ispahg~n abgesetzt.

Herrseher yon Ispah~.n, yon der Dynastie der Kfikwaihiden. Er regierte leO7-- lO41. $~ Festung in der N~ihe yon Hamadh~n. Im' British Museum ist eine Meine Schrift erhalten, die AVICENNA ilia Gef~ingnis in Fardag~n schrieb. ~ * Eine Sehrift tiber den Weltintellekt. DerTite! erinnert an das bekannte Werk des spaniseh-arabisehen Philosophen IBN TUFAIL (gestorben 1185). *~ Aueh lateinisch erhalten unter dem Titel de viribus cordis seu de medieamentis eordialis.

des Ffirsten ~AL,~ AD-DAULA, man brachte ihm Kleider und einen Galawagen und lieB ihn in einem Quarr ier narnens I t f inkanbad im Hause des *~A~BDALL.~It BEN B.~BI wohnen, w o e s alles, was er an Einr ich tung brauchte , gab. Von dor t begab er sich an den Hof des ~163 AD-DAULA und wurde daselbst mit Eh ru n g en flberh~uft, wie sie seillesgleichen gebfihren. Der Ffirst ~ AD-DAoLA setzte fflr die Freitagabellde phflosophische Zusammenkf inf te ill seiner Gegenwart lest, zu denen Gelehrte der verschiedensten Rich tungen eingeladen waren. Der Meister war rnit dabei, llnd niernalld ver- rnochte, ihi1 in irgendeiner Wissensehaf t zu fibertreffell.

, , In I spah~n besch~ftigte er sich mi t dem AbschlnB des Buehes der Heilung, auf3erdem ha t te er die Logik und den Almagest fertig- gestellt und Kompendien zu Euklid, zur Ar i thmef ik und Musik geschrieben. Bei allen mathernat i schen Bfichern ffigte er noch Zusgtze an, die er fflr unbedil lgt notwendig erachtete. I m Almagest fflhrte er IO Figuren fiber die Verschiedenheit des Blickpullktes an und am Ende des Almagest t rug er vOllig originelle as t ronomische Lehrell vor. I m Euklid ffihrte er Zweifel an, in der Ar i thmet ik einige sch6ne Beobaehtungen lllld in der Musik einige Fragell, die die Alten fibersehen bat ten. Das Buch der Heilung war jetzt rnit Ausnahrne der Botan4k nnd Zoologie fertig. Diese beiden ver- faBte er nnterwegs ill dem Jahre, in dem ~ALs AD-I)AULA nach S&pfirch6st zog. Auf dieser Reise verfal3te er auch das Bueh der Rettung*. Er schloB sich ~ AD-DAIJLA all und geh6rte zu seinen Tischgenossen, und als ~ALs AD-DAULA gegen H a m a d h s auf- brach, begleitete ihll der Meister.

, ,Eines Nachts sprach man in Gegenwart des *ALs AD-DAuLA fiber die Lficken, die in dell llach den alten Beobachtungel l her- gestellten as t ronomischen Tabellen vorhandell silld. Da befahl der Ffirst dem Meister, sich mi t der Beobach tung dieser Sterne zu besch~ftigen, und stellte ihrn frei, jede beliebige Summe dafflr zu verwenden. Der Meister begalln damit nnd be t rau te reich mi t der Herstel lung der I n s t r u m e n t e und der Aufsicht fiber die Hilfsarbeiter, bis die meisten Fragen gel6st waren. Die kleine Lficke, die in den Beobachtungen lloch geblieben ist, ist auf unsere vielell ulld be- schwerlichell Reisen zurfickzufflhrell. I n I spah~n verfagte der Meister das ~ Buch**.

,,Zu den bewunderllswertel l Zfigen des Meisters geh6rt es, dab ich, der ich 2 5 Jahre ihrn Gesellsehaft leistete und ihll bediente, niemals sah, dab er ein neues Bueh yon Anfallg bis zurn Ellde durchgelesen h~tte; vielmehr suchte er sieh die schwierigen Stellen und die komplizierten Fragen heraus und sah nach, was der Ver- fasser fiber sie sagte. Und auf diese Weise erkallllte er den wissen- schaftliehen Rang des Verfassers.

, ,Eines Tages saB der Meister vor dern Ffirs ten llnd auch

ABO MANSOR AL-GuBBs w a r anwesend. Man unterhiel t sich fiber eine grammat i sche Frage nlld der Meister brachte vor, was er darfiber wugte . Da walldte sich AB~ MANSOR zurn Meister und sagte: ,Du bist ein Phi losoph und ein Weiser, aber fiber Grarnmat ik has t du kaum etwas gelesell, was deinen Vor t rag fiber sie gefMliger machen k61111te.' Den Meister ~rgerten diese Wor te u n d e r widmete sich 3 Jahre lang dern S tud ium grammat i scher Werke. Von Chorass ha t te er sich das Bueh der grammatischen Erziehung, ver- fagt yon AB~ ~V~ANSI2IR AL-AZHAR~***, kornmen lassell. So erlangte der Meister auch in der Grammat ik eine Stufe, wie m a n sie n u t seltell antrifft . E r verfaBte 3 Qasiden (Gedichte), die rol l der selteI1- s ten sprachlichen Ansdrficke waren~, ulld schrieb 3 Bficher, eilles im Stil des IBN AL-*AMID, das zweite im Stil des Ss und das dri t te irn Stil des S s Er befahl, sie zu billden und das Leder kfinstlich alt zu rnachei1. Dallll ersuchte er den Ffirsten,

den Band dem AB0 MA~SflR AL-GUBBs vorzulegen. Der Ffirst t a t es und sagte: , Ich habe diesen Band auf der Jagd in der \u gefundell, ich bi t te dich, ihn zu un te rsuchen und mir zu sagen, was darin ist. ' ABI~ MA?CS0R sah sich das Bueh an, vers tand aber vieles von seinem Inha l t nicht. Da sagte i h m der Meister: ,Die Dinge, die du in diesem Buch nicht verstehst , werdell all der und der Stelle in gramrnat ischen Werken erw~hnt ' . Ulld der Meister

* Eia Kompendium des Buehes der Heilung.

** Das heiBt das dem*A~.A AD-LDAULA gewidmete Bueh. Es ist eine in persischer Sprache verfaBte philosophische Enzyklop~idie. *** Einem bekannten Philologen, gestorhen 980.

Darauf legten die arabisehen Philologen einen groBen Weft. +,t Die drei bedeutendsten islamisehen Literaten des Io. Jahrhunderts. AVICENNAs Virtuosit~it ging so welt, dab er den StiI flier drei nachahmen konnte.

Page 5: Eine Arabische Biographie Avicennas

1884 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I I . J A H R G A N G . N r . 45 5- NOVEMBER i932

zitierte ibm vieles aus bekann ten g rammat i schen Werken, aus denen er sich jene Ausdrflcke gemerkt hat te . AB0 3/IA~s0R k a m arts dem Staunen fiber seine Zitate nicht heraus, t r au te abet der Sache nicht. Da ging ibm auf, dab der Meister selbst die Abhand- lungen ver fagt habe und dab der Grund dafflr seine 13eleidigung yon damals gev~esen set. E r entschuldigte sich daffir und ba t ihn um Verzeihung. - - Dann verfaBte der Meister noch ein Buch fiber die Grammat ik , das er die Spraehe der Araber nannte ; niemals ist ein solches 13uch fiber die Grammat ik verfal3t worden. Er fiber- t rug es aber nicht ins Reine, und als er starb, blieb es im Konzept und n iemand sah sich veranlaBt, es zu ordnen.

, ,Der Meister ha t te sieh auf Grund eigener Praxis reiche Er- fahrungen auf dem Gebiet der t le i lkunde erworben und er be- schloB, sie dem Canon einzuverleiben. Er ha t te die Notizen auf einzelnen Bogen gesammelt , diese gingen aber verloren, bevor noeh der Canon abgesehlossen war. Eine solche Beobachtung war z. B. die iolgende: Eines Tages ha t te er Kopfweh und da kam es ihm vor, dab eine Materie ihm zur t t i r n h a u t steigen wollte und dab er sich des Juckens, das dabei entsteht , nicht erwehren wfirde. Da liel3 er sich viel Schnee bringen, zerkleinerte ihn, wickelte ihn in ein Tuch und machte sich damit Umschl~ige auf den Kopf. Das t a t er so lange, bis jene Stelle wieder kr~ftig geworden war und sich der Materie erwehren konnte. - - Ein anderes ]3eispiel: Einer schwindsfichtigen Frau in Chw~razm schrieb er vor, nichts anderes auBer zuckersfiBem IRosenwasser einzunehmen. I m Laufe der Zeit verzehrte sie 40o Doppelpfund davon und wurde ge- heilt.

, , In Gur~&n hat te der Meister das klelne KomTendium der Logil~ verfaBt; es ist dasselbe, welches er nachher als ersten Teil dem Buche der Rettung einverleibte. Eine Handschr i f t davon gelangte nach Schirfiz und eine Gruppe yon Gelehrten daselbst s tudierte es. Da kamen ihnen Zweifel an einigen darin behandel ten Fragen. Diese schrieben sie auf einem 13ogen auf und der Richter von Schir~z, der mi t zu diesen Leuten geh6rte, schickte den 13ogen an ABU'L-Q\~sIM AL-KIRM3.NI, den Genossen des IBRs 13EN B.~BA AD-DAILAMI, der sich mit gnostischer* V~;issenschaft be-

sch~ftigte. Er legte ibm einen Brief an ABU'L-Qs bet, schickte

beides durch einen ExpreBboten an ihn nnd bat ihn, den Bogen dem

.'Vieister vorzulegen und ihn um kurze Antworten zu bitten. ABU'L-

QASlM traf an einem Sommertage vor Sonnenuntergang beim

Meister ein und legte ihm den 13rief und den 13ogen vor. Der las den Brief, gab ihn wieder zuriick, legte den 13ogen vor sich bin und

sah ihn genau durch, wXhrend die Leute ringsum sich unterhielten.

Dann ging ABU'L-QASlM hinaus und der Meister befahl mir, Papier ffir die Reinschrift zu holen und in 13ogen zn schneiden. Ich band

5 13ogen zusammen, die jeder IO 131art ~gyptischen Quartformats

hatten. Wir sagten das Abendgebet und man stellte die Kerzen auf; da lieB er \u auftragen, hiel3 reich und seinen Bruder setzen und

dem Weine zusprechen, wiihrend er sich daran machte, jene Fragen

zu beantworten. Er schrieb und trank bis IViitternacht, und als reich und seinen 13ruder der Schlaf fibermannte, fief3 er uns nach

Hause gehen. Am anderen IVIorgen klopfte es an die T fir: der 13ore

des Meisters war da, der reich zu sich bat. Als ich kam, kniete er

auf dem Gebetteppich, und vor ihm lagen die 5 Bogen. ]~r sagte

mir: ,Nimm sie und gehe damit zu ABU'L-Q~SIM AL-KIRM$.NI und richte ihm aus, ich babe reich mit der Antwort beeilt, damit der

13ore nicht aufgehal ten werde. ' Als ich ibm die 13ogen brachte, wunder te sich dieser sehr. E r schickte den t tur ie r fort und teilte

den Lenten in Schir~z die ganzen Umst~inde mit. Diese Geschichte wurde zum Stadtgesprach un te r den Lenten.

,,Ffir die as t ronomischen Beobachtungen konstruier te er Ins t ru - mente, wie sie vor ihm niemand verwendet ha t te und verfaBte fiber sie eine Abhandlung. Ich beschAftigte reich 8 Jahre lang mit der as t ronomischen 13eobachtung. Meine Absicht war, die Angaben des PTOL~KUS fiber seine as t ronomischen 13eobachtungen auf- zuklgren. Ein Tell davon gelang mir wirklich. Der Meister ver- faBte das Buch der Billigkeit, als aber der Ffirst MAS~D gegen Ispah&n zog, plfinderte sein Heer das Quarr ier des Meisters, und dieses 13uch ging un te r anderem verloren. Man ha t niemals mehr eine Spur davon wiedergefunden.

, ,Der Meister ha t te alle XrXfte gleichmttBig entwickelt. Am meisten war er abet yon seiner erotischen Leidenschaft beher rscht nnd das wirkte sich auf seine k6rperliche Kons t i tu t ion aus. E r verlieB sich framer auf seine kr~ftige Konst i tut ion, bis er in dem Jabre, als "ALs AD-DAuLA T~sch-Fargsch vor den Toren yon Karch belagerte, einen Kolikanfall bekam. Aus ]3esorgnis, dab ihn bet der zu erwar tenden Niederlage seine Krankhei t an der F lucht h indern wfirde, wollte er unbedingt wieder gesund werden und lieB sich an einem Tage 8maI I~listiere geben. Dabei entzfin- deten sick seine Eingeweide und er bekam Dysenterie. E r muBte mit ~ALs AD-DAzLA eilends nach Idha~ Iliehen und def t ha t te er einen Ohnmachtsanfal l , wie er gew6hnlieh die Nolik begleitet. Tro tzdem behandel te er sich wetter und n a h m gegen die Dysenterie und Kolik Nlisfiere. Eines Tages befahl er, 2 Gran Petersilien- samen als Nlysma zu nehmen, um damit die Winde zu brechen. Da- bet ha t nun einer der ~rzte , der beauf t rag t war, ihn zu bebandeln, 5 Di rham Petersi l iensamen hineingeworfen. Ich well3 nicht, ob er es absichtlich oder irrtfimlicherweise getan hat, denn ich war nieht mit dabei. Die scharfen Petersi l iensamen erhShten die Dysenterie. E r n a h m auch Mithr idat icum* gegen die Ohnmachts - anfiille, einer seiner Sklaven t a t aber vim Opium herein, das er zu sich nahm. Der Grund daffir war, dab sie aus seiner Kasse viel Geld en twendet ha t t en und ant seinen Tod hofften, n m der Strafe ffir ihre Hand lungen zu entgehen. In diesem Zustand wurde der Meister nach I spahgn gebracht und besch~iftigte sich selbst mit seiner Heilung. Er war so schwach, dab er nicht ant den Ffil3en stehen konnte, behandel te sich aber so lange, bis er wieder gehen und an der Sitzung bet ~ALA AD-DAuLA tei lnehmen konnte. Obzwar er yon seiner Krankhe i t n icht ganz genesen war, s a h e r sich doch nicht vor und gab sein ausschweifendes Leben nicht auf. E r ha t te hgufige Rfickfiille und wurde wieder gesund. Dann zog ~163 AD-DAULA nach Hamadhgn , und der Meister reiste mi t ihm. Unterwegs fiberfiel ihn wieder die ~ r a n k h e i t und als er nach H a m a d h ~ n gelangt war, wul3te er, dab seine Kraf t gebrochen set und nicht mehr der Nrankhe i t Widers tand leisten k6nne. Da gab er es auf, sich zu heilen. E r sagte: ,Der Arzt, der meinen t (6rper behandel t hat, ha t dazu nicht getangt. Je tz t nu tz t alles t lei len nichts mehr . ' In diesem Zustand verblieb er einige Tage und dann n a h m ihn sein Her r zu sich. Er ist 53 Jah re alt geworden, lEr s ta rb im Jahre 428 H. (lO36 n. Chr.) und war im Jahre 375 H. (985 n. Chr.) geboren.

, ,Hier enden die Ausff ihrungen des AB~ ~UBAID fiber die Lebens- umst~tnde des ffirstlichen Meisters. Sein Grab ist un te r der Mauer yon H a m a d h ~ n in der Qibla-Richtung**. Man sagt abet, dab man ibn nach I spah~n fiberffihrt und an einer Stelle am Tore yon Kf inkanbad begraben babe ."

REFERATENTEIL. BUCHBESPRECHUNGEN.

Entstehung, Erkennung und Behandlung innerer Krankheiten. Bd. i. Die Entstehung innerer Krankheiten. Pathologische Physiolo- gie. Von L. K R E H L . 14. Aufl. X I I , 716 S. 13erlin : F. C. VC Vogel. I932. Geh. R1Vi. 39.60, geb. RM. 42. - .

Rasch ist der 13. die 14. Auf]age gefolgt. Wie man das bet dem Werke gewohnt ist, ist manches zeitgemgB erg~inzt, einiges neu geschrieben, z. ]3. der Abschni t t fiber Tuberkulose und die sehr eingehende Wfirdigung der Chronaxie. Einiges k6nnte vielleicht noch eingehender behandel t werden, z. ]3. die Sys temerkrankungen

* So nach dem Text bet IBN AL-QIFT~.

des Nervensys tems und das VerhMtnis der s ichtbaren Degenerat ion zum Funkt ionsausfa l l (Tabes, mult iple Sklerose). 13el der Allergie dfirfte neben DOERR auch 13LOCH genannt werden. Doch das sind Einzelheiten. ~Es erregt ]~rstaunen und 13ewunderung, dab ein einzelner das weite Gebiet bis in seine neuesten Ausl~ufer kritiseh beherrscht und ich bezweifle, ob eine kommende Generation noch ~hniicher Leistungen f~ihig sein wird. Die Generation KRxI~Ls wuchs noch a~f breiterer Basis auf, als der heutige Internist. 3/16ehten

* Bekanntes Antidot. �9 ** Das heil3t in der Richtung nach l~{ekka (Sfid-~Test).