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XIX. Band. i927. Braunbek, Berechnung der elektrolyt. Leitfithigkeit d. Steinsalzkristalls. 115 Eine giltertheoretische Berechnung der elektrolytischen Leitfiihigkeit des Steinsalzkristails Von Werner Braunbek. I, Einleitung. Die Bornsche ~ Gittertheorie der Krist~alle hat in erster Linie die elastischen, in zweiter Linie die thermischen Eigenschaften kristallisierter fester K6rper zahlen- m~if$ig auf die Wirkung der Atomkrgfte zurtickgefiihrt. Es blieben dabei zun~ichst noch eine Reihe von Erscheinungen unberiicksichtigt, die sich zweifellos auch auf derselben Grundlage erkl~iren lassen mtissen. Inzwischen sind einige dieser Erscheinungen in Angriff genommen w0rden. So z. B. die mechanische ZerreiBfestigkeit von Zwicky a, die VorgS.nge beim Schmelzen von mir 4 und die elektrische Durchbruchfestigkeit von Rogowski '~. Die beiden letzteren Arbeiten maehen Gebrauch von der Auffassung, daf~ ein Teil der Ionen im Kristallgitter sogenannte P 1a t z w e ch s e 1 ausfiihrt. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, eine weitere Gr6fie, n~imlich die IonenMtf~ihigkeit der Kristalle, auf Grund ~ihnlieher Vorstellungen theoretisch zu berechnen. Ich beschr~inke mich dabei auf Kristalle vom Steinsalztyp, die eine besonders einfache, theoretische Behandlung gestatten, und dabei wieder speziell auf NaC1 als den einzigen Stoff dieser Gruppe, ffir den eingehende Messungen der Ionenleitf~ihig- keit vorliegen, fiir den also eine Priifung der Theorie an der Erfahrung m6glich ist. Neuere Messungen der elektrolytischen Leitf~ihigkeit von Steinsalz wurden yon v. Rautenfeld 6 im Temperaturgebiet von 63o--8o0 ~ und yon w Seelen 7 im Temperaturgebiet von 2o--50o 0 C ausgefiihrt. Die Leitffihigkeit steigt dabei von 2. lO-17 ~-1 cm-1 bei 200 bis auf 4" Io-7 ~-t cm* bei 5oo 0 , also in dem gemessenen Temperaturintervall auf das 2omilliardenfache. Diese starke Temperaturabh~ingig- keit der Leitf~ihigkeit l~ifit sich, wie iibrigens auch bei vielen anderen Kristallen dutch die empirische Beziehung C, /4 = Cl'e T (I) oder In ~ = C1 C2 T (2) darstellen. Die Messungen yon v. Seelen befolgen die lineare Beziehung zwischen I ln z und ~-leidlich gut, wie sich aus folgender Tabelle ergibt, in der die ge- messenen Werte yon ln a (a~ in abs. elektrostatischen Einheiten) verglichen sind mit Werten, die aus Gleichung (2) unter Anpassung der Konstanten C 1 und C 2 an die MeBergebnisse errechnet sind: I Vorgetragen auf der Gautagnng d. D. Phys. Ges. in Freiburg i. Br., Juni I927 . Eine besonders in mathematischer Hinsicht etwas ausfiihrlichere Darstellung erscheint in der Zeitschr. f. Physik. 2 Siehe z. B. M. Born, Atomtheorie d. festen Zustandes. a F. Zwicky, Phys. Zeitschr. 24, 131, I923. W. Braunbek, Zeitschr. f. Phys. 38, 549, i926. W. Ro gowski, Arch. f. Elektrot. 18, 123, 1927 . 6 F, v. Rautenfeld, Ann. d. Phys. 72, 617, 1923. D. v. S e e l e n , Zeitschr. f. Phys. 29, 125, 1924. 8*

Eine gittertheoretische Berechnung der elektrolytischen Leitfähigkeit des Steinsalzkristalls

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XIX. Band. i927. B r a u n b e k , Berechnung der elektrolyt. Leitfithigkeit d. Steinsalzkristalls. 115

Eine giltertheoretische Berechnung der elektrolytischen Leitfiihigkeit des Steinsalzkristails

Von

Werner Braunbek.

I, Einleitung. Die B o r n s c h e ~ Gittertheorie der Krist~alle hat in erster Linie die elastischen,

in zweiter Linie die thermischen Eigenschaften kristallisierter fester K6rper zahlen- m~if$ig auf die Wirkung der Atomkrgfte zurtickgefiihrt. Es blieben dabei zun~ichst noch eine Reihe von Erscheinungen unberiicksichtigt, die sich zweifellos auch auf derselben Grundlage erkl~iren lassen mtissen.

Inzwischen sind einige dieser Erscheinungen in Angriff genommen w0rden. So z. B. die mechanische ZerreiBfestigkeit von Z w i c k y a, die VorgS.nge beim Schmelzen von mir 4 und die elektrische Durchbruchfestigkeit von R o g o w s k i '~. Die beiden letzteren Arbeiten maehen Gebrauch von der Auffassung, daf~ ein Te i l der Ionen im Kristallgitter sogenannte P 1 a t z w e ch s e 1 ausfiihrt. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, eine weitere Gr6fie, n~imlich die IonenMtf~ihigkeit der Kristalle, auf Grund ~ihnlieher Vorstellungen theoretisch zu berechnen.

Ich beschr~inke mich dabei auf Kristalle vom Steinsalztyp, die eine besonders einfache, theoretische Behandlung gestatten, und dabei wieder speziell auf NaC1 als den einzigen Stoff dieser Gruppe, ffir den eingehende Messungen der Ionenleitf~ihig- keit vorliegen, fiir den also eine Priifung der Theor ie an der Erfahrung m6glich ist.

Neuere Messungen der elektrolytischen Leitf~ihigkeit von Steinsalz wurden yon v. R a u t e n f e l d 6 im Temperaturgebie t von 63o--8o0 ~ und yon w S e e l e n 7 im Temperaturgebie t von 2o--50o 0 C ausgefiihrt. D i e Leitffihigkeit steigt dabei von 2. lO -17 ~ - 1 cm-1 bei 200 bis auf 4" Io-7 ~ - t cm* bei 5oo 0 , also in dem gemessenen Temperaturintervall auf das 2omilliardenfache. Diese starke Temperaturabh~ingig- keit der Leitf~ihigkeit l~ifit sich, wie iibrigens auch bei vielen anderen Kristallen dutch die empirische Beziehung

C, /4 = C l ' e T ( I )

oder

In ~ = C1 C2 T (2)

darstellen. Die Messungen yon v. S e e l e n befolgen die lineare Beziehung zwischen I

ln z und ~ - l e i d l i c h gut, wie sich aus folgender Tabelle ergibt, in der die ge-

messenen Wer te yon ln a (a~ in abs. elektrostatischen Einheiten) verglichen sind mit Werten, die aus Gleichung (2) unter Anpassung der Konstanten C 1 und C 2 an die MeBergebnisse errechnet sind:

I Vorge t ragen auf de r Gau tagnng d. D. Phys. Ges. in F re ibu rg i. Br., Juni I927 . E ine besonders in ma thema t i s che r Hins ich t e twas ausf i ihr l ichere Dars te l lung e r sche in t in der Zeitschr. f. Physik.

2 Siehe z. B. M. Born, Atomtheorie d. festen Zustandes. a F. Zwicky, Phys. Zeitschr. 24, 131, I923.

W. B r a u n b e k , Zeitschr. f. Phys. 38, 549, i926. W. Ro gowski , Arch. f. Elektrot. 18, 123, 1927 .

6 F, v. R a u t e n f e l d , Ann. d. Phys. 72, 617, 1923. D. v. S e e l e n , Zeitschr. f. Phys. 29, 125, 1924.

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Archly ftir 116 Braunbek , ]3erechnung der elektrolyt. Leitfg~higkeit d. Steinsalzkristalls. Elektrotechnik.

Tabe l l e I.

to " TO In ~ In gemessen yon v. S e e I e n nach Gleichung (3)

20

I 0 0

200

3OO

4OO

5O0

293 373 473 573 673 773

- - 10,8

- - 2 , 7

+ 3,o + 6,3 + 9,3 q- I2,9

- - 10,6 - - 2,8

+ 3,3 @ 7,2

@ 1 0 0

-}- I2~I

Die Konstanten mugten dabei zu C1 = 25,9 C2 = Io7oo

gew~ihlt werden. Die V. S e e l enschen Mel;ergebnisse sind also durch die Beziehung

I o 700 ln~ = 25,9. T (3)

darstellbar. Die Messungen yon v. R a u t e n f e l d zeigen st~irkere Abweichungen yon der

linearen Beziehung zwischen In~ und ~-, was wohl mit der AnnSherung an die

Schmelztemperatur zusammenhgngt. Da die Werte bei m~ifiigen Temperaturen zweifellos den einfacheren Verhgltnissen entsprechen, sollen die durch Gleichung (3) ausgedriickten v. S e e 1 e n schen Mefiergebnisse zum Vergleich mit der Theorie heran- gezogen werden.

Die bisherigen theoretischen Anschauungen fiber das Wesen der Ionenleitung in Kristallen lassen sich in zwei Gruppen teilen.

Die , , P l a t z w e c h s e l t h e o r i e " , die a u f v . H e r e s y zurfickgeht, stellt sich den Mate r ie -und Elektrizit~itstransport im Kristallgitter so vor, dab die Ionen des Gitters , die bei tiefen Temperaturen nur kleine Schwingungen um feste Ruhelagen ausffihren k6nnen, mit steigender Temperatur allm~ihlich die M6glichkeit bekommen, yon diesen Ruhelagen auf benachbarte Ruhelagen fiberzuspringen, also etwa mit benachbarten Ionen den Platz zu tauschen. Diese F~ihigkeit werden natiirlich nur die ganz wenigen Ionen haben, deren Energie welt fiber den Durchschnitt hinausragt, deren Zahl aber - - entsprechend der mit der Temperatur ver~inderlichen Energie- verteilung unter den Ionen - - rapid m i t steigender Temperatur zunimmt. Die platzwechselnden Ionen verursachen zun~ichst eine allseitige ,,Selbstdiffusion" im Kristallgitter, wie sie ja auch experimentell beobachtet worden ist, und verursachen, wenn ein ~iufieres elektrisches Feld an den Kristall angelegt wird, einen elektrischen Strom, da nun mehr Ionen in Richtung des elektrischen Feldes springen werden, als entgegengesetzt. Eine etwas modifizierte Vorstelhmg d e r Ionenbewegung im Kristall hat F r e n k e l 1 entwickelt, der sich den Platzwechsel der Ionen nicht direkt, sondern fiber einen sogenannten - - zun~ichst allerdings sehr u n b e s t i m m t e n - ,,Zwischengitterraum" vor sich gehen denkt und eine Theorie der Selbstdiffusion auf dieser Grundlage aufgebaut hat .

Im Gegensatz zur ,,Platzwechseltheorie" steht die , , K r i s t a l l p o r e n t h e o r i e " yon S m e k a l 2. Es hat sich n~imlich bei einer Reihe yon Gr6fien (z. B. der Zerreit;- festigkeit, der elektrischen Durchbruchfeldst~irke u. a.) gezeigt, daft die Bornsche Gittertheorie daffir wesentlich (um mehrere Zehnerpotenzen) andere Werte liefert, als die Messungen ergeben, und dab man diese Abweichungen darauf zurfickf/ihren

1 j. F r e n k e l , Zeitschr. f. Phys. &5, 652, I926. S. auch Zeitschr. f. Phys. 26, 137, 1924. 2 A. Smekal , Zeitschr. L Phys. 36, 288, 1926.

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kann, dab ein wirklicher Kristall gar nicht den idealen Gitteraufbau besitzt, den die Bornsche Theorie voraussetzt, sondern aus sehr kleinen, ideal aufgebauten Krist~illchen besteht, die unter sich durch sogenannte Kapillarrisse oder ,,Gitter- poren" getrennt sind. S m e k a l unterscheidet demnach den , ,Realkristall", wie er in Wirklichkeit vorliegt, vom , ,Idealkristall", wie er der Bornschen Theorie ent- sprechen warde. Nach der Auffassung yon S m e k a l soll nun ein ungestSrtes Bornsches Gitter, also ein Idealkristall i i b e r h a u p t k e i n e Selbstdiffusion und Ionenleitung zeigen, sondern diese Erscheinungen sollen beim Realkristall nur auf die gr6f~ere Beweglichkeit der Ionen in den Gitterporen, also auf eine Art inhere Oberfl~ichenleitung, zuriickzuffihren sein.

Die vorliegende, Arbeit legt die reine Platzwechselanschauung zugrunde - - der Einfluf~ der Kristallporen lfif~t sich ja theoretisch schlecht fassen -- und wird dutch ihre Ergebnisse zeigen, dab man auf dieser Grundlage unter Einf~hrung verein- fachender Annahmen die Ionenleitffthigkeit des Steinsalzes berechnen kann und quantitativ in ihrer Temperaturabh~ingigkeit ziemlich richtig herausbekommt, o hne einen Einfluf~ der Smeka l schen Gitterporen anzunehmen.

2. Die v e r e i n f a c h e n d e n A n n a h m e n .

Die W~irmebewegung in Kristallgittern l~igt sich ftir tiefe Temperaturen als harmonische Schwingung der Ionen mit kleinen Amplituden beschreiben. Bei h6heren Temperaturen, also gr6f~eren Amplituden, wird der Charakter der Bewe- gung so kompliziert, dal~ man nur unter Einfi~hrung sehr radikaler Vereinfachungen die Verh~ltnisse rechnerisch verfolgen kann. Eine derartige Methode fiihrt nattir- lich nicht zu Ergebnissen, die das exakte Verhalten des Kristal!s angeben; aber man kann hoffen, auf diese Weise wenigstens mit einer gewissen Ann~iherung den wirklichen Verh~iltnissen gerecht zu werden.

Bei der theoretischen Behandlung des Schmelzvorgangs 1 habe ich die unregel- m~if~ige W~irmebewegung der Gitterionen dahin idealisiert , daf~ ich sie einfach durch eine geordnete -- eine Schwingung zweier in sich starr gedachter Teilgitter gegen- einander - - ersetzte. Ein so grobes Bild kann natiMich keine Theorie der Ionen- leitung ergeben, da ein Platzwechsel nach ihm ja unterhalb des Schmelzpunktes unm6glich ist.

Wir wollen also die N~iherung in diesem Falle insofern einen Schritt welter treiben, als wir die Energie unter den Ionen s t a t i s t i s c h v e r t e i l t denken. Wir wollen abet zur Erm6glichung der Rechnung zun~ichst folgende vereinfachende An- nahmen machen :

I. Wir denken uns nur die Na-Ionen bewegt, die Cl:Ionen dagegen an ihren Gitterpunkten festgehalten. Diese Annahme wird durch die experimen- telle Tatsache nahegelegt, dab immer nur e i n e Ionenart, beim NaCI die Na-Ionen, sich an der elektrolytischen Leitung beteiligen 2.

2. Die Schwingungen der Ionen um ihre Ruhelagen sollen als l i nea r ange- nommen werden, da allgemeine (elliptische) Schwingungen zu kompli- zierte Bedingungen f/ir den Platzwechsel eines Ions liefern wiirden. Die Richtung der linearen Schwingungen soll im /~brigen statistisch im Raum verteilt sein (alle Richtungen gleich wahrscheinlich).

Wir miissen uns nnn noch ein geometrisches Bild yon der Art und Weise machen, auf welche ein Na-Ion seinen normalen Gitterplatz verlassen kann. Den Aufbau des NaC1-Gitters veranschaulicht Bild I. Denken wir uns z. B. alle Ionen auger dem Na-Ion (I) festgehalten, und verschieben das letztere in irgendeiner geradlinigen Richtung, so ist dabei zunSichst gegen die Born schen Abstof~ungskr~ifte

1 W, Braunbek, 1. c. Siehe z. B. D. v. Seelen, 1. c.

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Archiv flit 118 Braunbek~ Berechnung der elektrolyt. Leitfghigkeit d. Steinsalzkrista.lls. Elektrotechnik~

derNachbarionen Arbeit zu leisten, bis das ton sozusagen sich zwischen den n~ichsten Nachbarn ,,durchgedrfickt" hat, und um bei noch weiterer Entfernung selbst Arbeit zu leisten ~ imstande ist. Es folgt dann ein ,Durchdrficken" dutch eine weitere Schicht usw.

Das Ion mug also yon seiner ursprfinglichen Lage ab, deren potentielle Energie wit als Null annehmen wolten, auf eine Schwelle 9 potentieller Energi e - - wo es seinen Nachbarionen am n~ichsten liegt - - gehoben werden. Erst wenn diese Schwelle/iberschritten ist, hat das Ion seine ursprfingliche Gleichgewichtslage dauernd verlassen. Solange seine gesamte Energie kleiner als q0 bleibt, fNlt es immer wieder in seine alte Lage zuriick.

8 8

a ,

Nun ist die Schwellenenerg!e natfirlich abh~ingig yon der R i c h t u n g , in der es sich aus seiner Ruhe- lage herausbewegt. Aus Bild I sehen wir, daft jedes Na-Ion (z. B. I) im Mittelpunkt eines Oktaeders yon Cl-Ionen (2--7) liegt. Um in irgendeiner Richtung aus diesem ,,K~ifig" hinauszugelangen, mug es eine Energieschwelle q0 fiberschreiten, die flit die Richtungen I--->2, I ~ 3 usw. bis I ~ 7 unendlich w~ire, weil es sich hier d i r e k t auf die Nachbarionen zu bewegt, fiir alle anderen Richtungen im Raum aber endliche Werte besitzt. Gewisse Richtungen werden sich nun durch ein Mini In u m der Schwellenenergie auszeichnen, und dies sind in unserem Fall aus Symmetriegriinden

Bild i. Ionengitter vom Na CI-Typ. die 8 Richtungen, die dutch die Mittelpunkte der Okta-

ederfl~ichen ffihren (also z.B. die Richtung I ~ M ) . Die Schwellenenergie in diesen ,,Minimumrichtungen" m6ge q~0 heil;en.

In diesen Minimumrichtungen werden also die Na-Ionen den Cl-Oktaeder v o r - z u g s w e i s e verlassenl In zweiter Linie kommen Richtungen in Frage, die den Minimumrichtungen eng benachbart sind, also nur wenig h6here Schwellenenergie besitzen.

Gelangt nun ein Na-Ion z. B. in der Riehtung I -~M dutch die Oktaederfl~iche 234, so befindet es sich im Innern eines C1-Tetraeders 2348 und kann yon hier aus dutch die Fl~ichen 238, 248 oder 348 in die Gleichgewichtslagen 9, IO oder I I springen, wenn einer dieser Punkte frei ist.

Wir wollen nun als dritte vereinfachende Annahme postulieren, daf~ immer, wenn ein Na-Ion yon (1) in den Tetraeder 2348 gesprungen ist, dadurch die 3 Ionen 9, IO und I I selbst eine so erh6hte Sprungwahrscheinlichkeit erhalten, dag eines yon ihnen springt und dem zuerst gesprungenen Ion seinen Platz frei macht usw. . . Dutch diese Annahme haben wit den Vorteil, dag wir uns immer nur um die Sprungwarscheinlichkeit e i n e s Ions (I) zu kfimmern brauchen, und daft mit dem eingetretenen Sprung dieses Ions die ,,Verdr~ingung" eines andern, und damit die Fortpflanzung des Sprunges durch den ganzen Kristall kausal Verknfipft ist.

3. Die Theorie der Ionenleitf~ihigkeit. Nach dem vorher .Gesagten k6nnen wir die Wahrscheinlichkeit des Sprunges

eines Na-Ions angeben, wenn wit den Bruchteil der Na-Ionen kennen, der eine ffir den Sprung ausreichende Energie besitzt.

Nach der klassischen Statistik ist die Wahrscheinlichkeit w Id e daffir, dag ein harmonischer linearer Oszillator - - als den, wir ja unser Na-Ion ann~ihern - - im Temperaturgleichgewicht eine Energie zwischen e u n d e q-de lbes i tz t :

I e w l d s = kT- e kT de (4)

(k B o l t z m a n n s c h e Konstante).

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XIX. Band. ~927. Braunbek , Berechnung der elektrolyt. Leitf/ihigkeit d. Steinsalzkristalls. 119

Der Bruchteil aller Ionen, deren Energie gr6fier als 90 ist, ist demnach:

w . , = f W l d e = e k r (5) 9o

Da nun die Schwellenenergie 90 yon der Richtung abh~ingt, m/issen wit noch fiber alle (gleichwahrscheinlichen) Richtungen des Raums mitteln, um hieraus den Bruchteil aller Ionen zu erhalten, der einen Sprung ausffihrt. F i i r diesen Bruchteil erhalten wit also, wenn w das Raumwinkelelement bedeutet:

I / w 4t / e wa = 4~ ~ d co = k 'r d to. (6)

Dieses Integral k6nnen wir n~iherungsweise auswerten, wenn wir die Tatsaehe benOtzen , daft weitaus die meisten Sprfinge sich eng an die 8 Minimumrichtungen ansehliegen. Charakterisieren wir eine Nachbarrichtung e i n e r solchen Minimum- richtung dutch die kleinen Winkelabweichungen a und ~r (in zwei zueinander senk- rechten Ebenen), so k6nnen wir das 90 der Naehbarrichtung auf das 900 der Minimum- richtung zurfiekffihren durch die Reihenentwieklung:

9 ~ 2 + ~ = ) + . . "], (7) wo c eine Konstante ist, die den Anstieg der Schwellenenergie 90 bei Abweichung yon der Minimumriehtung angibt, und die spfiter aus den Ionenkr~ften berechnet werden soll.

Wit k6nnen nun (7) in (6) einsetzen, und da die e-Potenz sehr rasch mit wachsendem a und /5' abnimmt, da wit uns also auf k l e i n e a und ~ beschr~inken k6nnen, d ~o durch d a d/3 ersetzen. Aus demselben Grund k6nnen wir auch das Integral, ohne einen grofien Fehler zu begehen, yon - - o o bis "-t-ec in a und erstrecken, und erhalten ffir die Umgebung aller 8 Minimumrichtungen, also fiir die gesamte Sprungwahrscheinlichkeit:

+oo q-oo 8// W a = ~ e- - k T da do '=

- -m --oo q-m -kin

2 - - - - - -

- - e e kT d a e kT d / ~

--o0 --x~

(8)

Integrale haben als Fehlerintegrale je den Wert - / ] / i ~ k T Die beiden letzten F c Cfo

und wir erhalten: 2 k T ~oo

W s - - - - - - e k T (9 ) c 900

Dies ist der Bruchteil aller Na-Ionen, die springen. Wir mflssen nur noch untersuchen , in welcher Zeit. Offenbar kann ein Ion auch bei ausreichender Energie w~ihrend e i n e r Schwingung nur e i n e n Sprung ausffihren, w8 stellt also den Bruchteil aller Ionen dar, der w~thrend der Schwingungsdauer ~ springt. Bei wirklich springenden Ionen verliert offenbar' der Begriff der Schwingungsdauer seine Bedeutung und ist sinngemgfi durch die doppelte Sprungzeit (Zeit yon Ruhelage zu Ruhelage) zu ersetzen, die etwas g r6 f l e r sein wird als die Schwingungsdauer ~r bei kleinen Amplituden. Wit wollen aber hier, da es sieh doch nur um eine Obersehlagrechnung handelt, mit der Schwingungsdauer z, die aus der ultraroten Reststrahlfrequenz des Na-CI bekannt ist, rechnen.

Wir erhalten also als Bruchteil aller Na-I0nen, der w~ihrend I Sekunde springt: w 3 2 k T ~Oo kY w = -- e (IO) ~r c t, oo~

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Archiv fill" 120 Braunbek, Berechnung der elektrolyt. Leitffihigkeit d. Steinsalzkristalls. Elektrotechnik.

Die Sprfinge geschehen, wenn kein ~iut3eres' Feld vorhanden ist, gleichm~if~ig nach allen Richtungen, also insbesondere springt mit einer Komponente in der (+ x)-

Richtung der Bruchteil, w und mit einer Komponente in der (--x)-Richtung auch 2

W der Bruchteil --.

2

Ein ~iufieres elektrisches Feld st6rt diese Symmetrie. Der potentiellen Energie, die das springende Na-Ion durch die Nachbarionen besitzt, tiberlagert sich jetzt die potentielle Energie ( - - E e x) des Feldes, wenn E die elektrische FeldstS.rke und e -- in den Formeln nicht zu verwechseln mit der Basis e der natiirlichen Logarithmen - - die Ladung eines Na-Ions, also das elektrische Elementarquantum bedeutet. Diese l[lberlagerung veranschaulicht Bild 2. Da die Wegkomponente eines Sprunges I ~ M

a a " (Bild I) in der x-Richtung f~r alle 80ktaederfl~ichen gleich ~ bzw. - - ~- ist (a Wtirfel-

kante des Na-Teilgitters), wird die Schwellenenergie in Richtung des Feldes um

eE 6 erniedrigt, in der entgegengesetzten Richtung um denselben Betrag erh6ht.

- " - ~ - x .... >

, ;~ ~--w----~._

-eE=

Bild 2. Potentielle Energie eines Na-Ions bei der Verschiebung.

r Statt e kT haben wir also jetzt zu schreiben:

& ~ro-T- e E ~ -

e k T J

a oder wenn wir uns auf so kleine Felder beschr~inken, dab e E ~ - < g J 0 ist 1,

~o +eE~ v. ( eEa~ e k T e - ~ e kT.I+6~T~T/.

Die Bruchteile aller Na-Ionen, die jetzt pro sec in der ( + x)- bzw. ( - -x ) - Richtung springen, sind damit:

k T _90~( a E e ~ / w+- -c<~o ,e kT I + 6 k T ]

k T _ ~ ( i _ _ a E e ~ ] (II) w - - c r 6~g'/

2 Da jede (ooI)-Netzebene des NaC1-Gitters pro cm 2 ~ Na-Ionen enth~ilt, springen

pro cm 2 und sec:

2 w+ Na-Ionen a.2

in Richtung des Feldes und 2 W-- - - Na-Ionen a 2

1 D i e s e B e s c h r ~ n k u n g au f , , k l e i n e " F e l d e r i s t p r a k t i s c h o h n e B e d e u t u n g , d a d a s d e r

E o 6 = 9~o e n t s p r e c h e n d e F e l d E o y o n d e r G r / 3 f S e n o r d n u n g . lO s V o l t / c m W~re, s o Gleichung e

daft alle praktisch erzielbaren Felder klein dagegen sind.

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X I X . Band. ~927. B r a u n b e k , Berechnung der elektrolyt. Leitfkhigkeit d. Steinsalzkristalls. 191

in entgegengesetzter Richtung dutch einen gegebenen Querschnitt . Da jedes Ion die Ladung e m i t sich ffihrt, i s t die pro sec und cm ~' in Richtung des Feldes fliefiende Elektrizit~itsmenge oder die S t r o m d i c h t e :

2 e j = ~ ( w + -w_) (13)

und die L e i t f f i h i g k e i t : j 2 e

z - - E - - a~E (w+ - - w-) . (14)

Setzt man hierin ffir w+ und w - die Wer te der Gleichung ( I I ) ein, so wird: 2 fi 2 ~~

- - e k T - ( I 5 ) 3 . a c 9 o

oder

lnz=-- In 2 e 2 90 (16) 3 , ac990 kT"

4. D e r V e r g l e i c h m i t d e r E r f a h r u n g .

Unser theoret isches Ergebnis (I6) zeigt, daft die Leitf~ihigkeit 2, des Steinsalz- kristalls ffir normale Feldst~irken unabh~ingig yon der Feldst/irke ist, d. h., dab das O h m s c h e Gesetz gilt und daft die Temperaturabh~ingigkeit der Leitf~ihigkeit gerade in der Form herauskommt, die nach (2) auch die Messungen e r g e b e n haben.

Es bleibt nur noch iibrig, die Konstanten C 1 und C= quantitativ zu vergleichen. Diese Konstanten ergeben sich nach Gleichung (I6) zu"

2 e 2 C 1 = In

3 *ac rp~ (i7) C 2 - 9o

k Von den zur Ausrechnung n6tigen Gr613en sind bekannt :

e - 4 , 7 7 " IO-l~ el. st. Einh. a = 5,63" IO - s cm k = 1,37" IO -16 Erg/Grad

Ffir , wollen wir, wie schon erw~ihnt, die aus der Reststrahlfrequenz berechnete Schwingungsdauer

l : = 2 , I " I O - 1 3 s e c

einsetzen. Eine e ingehende Untersuchung erfordern nur noch die Gr6fien 90 und c. Man k6nnte diese GrSl~en direkt errechnen aus dem Ionenkraftgesetz, das bei

den Alkalihalogeniden nach B o r n 1 die Form hat" e 2 b

~ P - r + ~ - ffir ungleichartige Ionen

e ~ I b (18) ~V = + - r 2 r 8 ffir gleichartige Ionen

wo /p das gegenseitige Potential zweier Ionen im Abstand r bedeute t und b eine Konstante ist, die sich aus der Gleichgewichtsbedingung des ungest6rten Gitters ergibt.

Schon bei meiner Theor ie des Schmelzvorgangs* hat sich aber gezeigt, dab die s tark vereinfachenden Annahmen, die man zur zahlenm~ifiigen Berechnung der Schwellenenergie q0 zu machen gezwungen ist,. viel zu einschneidend sind, um einen brauchbaren Zahlenwert von qo 0 aus den Git terkdif ten zu erhalten. Nur die richtige Gr6fienordnung l~.flt sich auf diese Weise feststellen.

' M . B o r n , l . c .

W . B r a u n b e k , 1. c.

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Archiv fflr 122 B r a u n b e k, Berechnung der elektrolyt. Leitf~higkeit d. Steinsatzkristalls. Elektrotechnik.

Nun bietet aber gerade diese Theorie des Schmelzens eine M6glichkeit, un- abh~ingig von irgendwelchen spezialisierten Vorstelhmgen die Schwellenenergie zu erhalten, wenn man nur die plausible Annahme macht, dai~ es sich hier um d i e - s e l b e Schwellenenergie handelt, die auch beim Schmelzvorgang eine Rolle spielt. Man kann dann die yon mir erhaltene Beziehung zwischen Schmelztemperatur Tsm und Schwellenenergie : A

T~m = o ,3I . 3 R (19)

benfitzen, wo A die Schwellenenergie pro Mol und R die Gaskonstante ist. Es ist also: A _ qOo

R k

und damit : rf0 = 9,7 k Tsm. (20)

Fiir die dimensionslose Gr6f~e c , die den Anstieg der Schwellenenergie in der Umgebung der Minimumrichtung charakterisiert, steht keine solche Methode zur Verfiigung, und es bleibt daher nur die Ausrechnung aus den Ionenkdiften fibrig. Diese Berechnung, die nach den gewbhnlichen Methoden der Git tersummation durch- gefiihrt wird, und auf die hier nicht n~iher eingegangen werden soil, liefert den Wer t

C = 8,3. (21) Diesem Wef t haftet natfirlich die Unsicherheit an, die eben dutch die gitter-

theoretische Ausrechnung unter idealisierenden Annahmen bedingt i s t . Es wird daher ffir die Konstante C 1 die den unsicheren c-Wert und augerdem auch den ungenauen Wef t ftir , enthiilt, keine sehr groge Genauigkeit zu erwarten sein.

Einsetzen yon (2o) und (21) in (I7) ergibt nun, wenn fiir den Schmelzpunkt Tsm des Steinsalzes lO73 ~ gesetzt wird:

CI = In I 4 , 6 , a c k T ~ = 27,7 (22)

C2 = 9 , 7 T~m = IO4OO Die Gegenfiberstellung unseres theoretischen Ergebnisses mit der empirischen

Formel (3) liefert also:

lng = 25,9- I ~ 1 7 6 1 7 6 (experimentell) T

(23) 1o4oo (theoretisch) In z = 27,7 T

Die Ubereinstimmung ist so gut, als man sie bei der starken Idealisierung, die die Theorie darstellt, fiberhaupt erwarten kann. Besonders befriedigend ist die gute ~bereinst immung der temperaturabh/ingigen Glieder, in deren theoret ischen Wef t ja keine spezielle Vorstellung fiber den Sprungmechanismus eingeht, sondern nut die Annahme, dab ein- und dieselbe Schwellenergie sowohl die Sprfinge beim Schmelzen, wie die bei der Ionenleitung beherrscht. Diese Annahme erh~ilt durch das Ergebnis eine wesentliche Stiitze.

Der Unterschied 1,8 in den temperaturunabh~ingigen Gliedern entspricht einer Diskrepanz der g-Werte um einen Faktor 6, die infolge der Unsicherheit der Wer te yon c und r nicht verwunderlich ist, bes0nders wenn man berficksichtigt, dab die Messungen der Leitf/ihigkeit v e r s c h i e d e n e r Steinsalzkristalle u n t e r s i c h oft Diskrepanzen um Faktoren 2 bis 3 aufweisen.

So scheint mir der zahlenm~ii;ige Erfolg der mi t den B o rn sch en Kraftans~itzen durchgeffihrten Platzwechselanschauung mindestens ein starkes Argument g e g e n einen wesentlichen Einfluf~ der S m e k a l schen Gitterporen auf die Leitf~ihigkeit yon Kristallen v0n Na CI-Typ zu bilden.

S t u t t g a r t , Juli 1927. Physikalisches Institut der Technischen Hochschule.

Abgeschlossen am 25. Oktober i927,