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Eine vergessene Pathographie yon Marcus Herz fiber Karl Philipp Moritz aus dem Jahre 1798. Von Dr. Erich Ebstein in Leipzig. (Einffeffangen am 18. Juli 1928.) Es ist sonderbar, da~ Wilhelm Lange-Eichbaum in seinem Buche: ,,Genie-Irrsinn und Ruhm" (Mfinchen ]928) unter der Literatur der Pathographien, die fiber 1600 Nummern umfa6t, mit keinem Worte des Aufsatzes von Marcus Herz gedenkt, der die [Jberschrift tr~gt: ,,Etwas Psychologisch-Medizinisches. Moriz Krankengeschichte." Sie ist 1798 in Bd. 5 yon Hufelands Journal der pract. Heilkunde er- schienen (S. 259--339; bes. S. 278--321) und darf als eine der ersten Pathographien im Sinne yon Paul Julius M6bius bezeichnet werden. Schon aus diesem Grunde ist sic der Beachtung und einer kurzen be- trachtung wert. Noch zu Lebzeiten yon Moritz (geb. 1757, gest. 1793), der kaum 36 Jahre alt wurde, las Lichtenberg, der grol3e Hypochonder, die Patho- graphic yon Herz und ~u6erte sich zu der einen Stelle (S. 295): ,,Es ist ein n~rrischer Gedanke des Hofrath Hertz zu berlin, dal3 er Moritzen, der beklagte, dal~ er so jung sterben mfi~te, antwortete, er solle sich u er w~re anno 1712 geboren. N~rrischer Einfall ist hier natfirlich ein Lob. Die Sache liil3t sich verteidigen." Als Moritz gestorben war, erschien in Schlichtegrolls Nekrolog 1793, 4. Jg., 2. Bd., S. 169--276 eine ausffihrliche Wfirdigung, die, wie aus dem Nachtrag (ebenda Supplementband, 2. Abt., Gotha 1798, S. 182 bis 218) hervorgeht, yon Lenz verfa6t war. Dort findet sich fibrigens (S. 200--217) auch ein Abdruck der Moritzschen Krankengeschichte, der folgender Passus folgt, der darum besonders interessant ist, weil er zeigt, wie ein zeitgenSssischer Arzt sich fiber die Herzsche Patho- graphic ausspricht. Es heist dort: ,,Ein Arzt, den wir fiber dieses ingeniSse Verfahren des Prof. Herz zu befragen Gelegenheit hatten, wollte in dieser Krankengeschichte ffir die Arzneywissenschaft nicht so viel Wichtiges und Neues fin@n, als sie uns Aufkl~rung fiber Moritz zu geben schien. Er sagte: Das eigentliche Brustiibel, woran Moritz litt, sey garnicht bestimmt, die Arzneymittel, welche M. genommen habe, w~iren gar nicht angezeigt

Eine vergessene Pathographie von Marcus Herz über Karl Philipp Moritz aus dem Jahre 1798

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Eine vergessene Pathographie yon Marcus Herz fiber Karl Philipp Moritz aus dem Jahre 1798.

Von

Dr. Erich Ebstein in Leipzig.

(Einffeffangen am 18. Juli 1928.)

Es ist sonderbar, da~ Wilhelm Lange-Eichbaum in seinem Buche: ,,Genie-Irrsinn und Ruhm" (Mfinchen ]928) unter der Literatur der Pathographien, die fiber 1600 Nummern umfa6t, mit keinem Worte des Aufsatzes von Marcus Herz gedenkt, der die [Jberschrift tr~gt: ,,Etwas Psychologisch-Medizinisches. Moriz Krankengeschichte." Sie ist 1798 in Bd. 5 yon Hufelands Journal der pract. Heilkunde er- schienen (S. 259--339; bes. S. 278--321) und darf als eine der ersten Pathographien im Sinne yon Paul Julius M6bius bezeichnet werden. Schon aus diesem Grunde ist sic der Beachtung und einer kurzen be- trachtung wert.

Noch zu Lebzeiten yon Moritz (geb. 1757, gest. 1793), der kaum 36 Jahre alt wurde, las Lichtenberg, der grol3e Hypochonder, die Patho- graphic yon Herz und ~u6erte sich zu der einen Stelle (S. 295): ,,Es ist ein n~rrischer Gedanke des Hofrath Hertz zu berlin, dal3 er Moritzen, der beklagte, dal~ er so jung sterben mfi~te, antwortete, er solle sich u er w~re anno 1712 geboren. N~rrischer Einfall ist hier natfirlich ein Lob. Die Sache liil3t sich verteidigen."

Als Moritz gestorben war, erschien in Schlichtegrolls Nekrolog 1793, 4. Jg., 2. Bd., S. 169--276 eine ausffihrliche Wfirdigung, die, wie aus dem Nachtrag (ebenda Supplementband, 2. Abt., Gotha 1798, S. 182 bis 218) hervorgeht, yon Lenz verfa6t war. Dort findet sich fibrigens (S. 200--217) auch ein Abdruck der Moritzschen Krankengeschichte, der folgender Passus folgt, der darum besonders interessant ist, weil er zeigt, wie ein zeitgenSssischer Arzt sich fiber die Herzsche Patho- graphic ausspricht. Es heist dort:

,,Ein Arzt, den wir fiber dieses ingeniSse Verfahren des Prof. Herz zu befragen Gelegenheit hatten, wollte in dieser Krankengeschichte ffir die Arzneywissenschaft nicht so viel Wichtiges und Neues fin@n, als sie uns Aufkl~rung fiber Moritz zu geben schien. Er sagte: Das eigentliche Brustiibel, woran Moritz litt, sey garnicht bestimmt, die Arzneymittel, welche M. genommen habe, w~iren gar nicht angezeigt

514 E. Ebstein: Eine vergessene Pathographie

worden. So bedenklich, als es nach einigen angefiihrten Symptomen seheinen k6nne, mfisse die Krankheit nieht gewesen seyn, weil sonst Herz nieht so gewig hi~tte die Heilung erwarten kSnnen, da bey ehro- nisehen Brustfibeln die Kunst gar wenig auszuriehten verm6ge. ~ber- dies babe das ausgesproehene Todesurtheil nut ein Hindernis der Heilung gehoben, sie nieht selbst bewirkt, Ifir die Hfilfsmittel nur empf~nglieh gemaeht usw. Die Situation, in der Moritz war, sey gar nieht so selten; denn wie oft ffihle der Kranke sieh in Gefahr, wi~hrend der Arzt ent- weder die Krankheit nieht ffirehtet oder seinen Mitteln gegen sie alles zutraut. DaB dieses Sehwanken des Gemfithes sieh bey M. so naeh- theilig bewies, sey ihm unerkl~rlieh -- u n d e r sey geneigt, die Erkl~rung anzunehmen, dag M., d e r n u r ein Phantasiemenseh war, habe einen besonderen Reiz darinn gefunden, yon dem Arzt f6rmlieh aufgegeben worden zu seyn, seinen ffiihen unvermeidliehen Tod selbst bemitleiden und yon der Vorbereitung spreehen zu kSnnen, weise zu sterben, ein Gedanke, der, wie aus allem erhellt, ihn sehr Irappirt habe. Dieser Reiz habe die Todesgefahr selbst in Sehatten gestellt. -- Was unser skeptiseher Arzt noeh fiber die Unwahrseheinliehkeit i~ul3erte, dag ganz so gesproehen worden sey, als der beredte Dialog Herzens aussagt, fiber den Missbraueh, welehen Ji_rzte mit Erregung und Kfinstelung yon Leidensehaften auf Veranlassung einer so grogen Autoriti~t treiben k6nnten usw., geh6rt nieht hierher."

Gegeniiber dieser zeitgenSssisehen iirztliehen Krit ik mag auf das verwiesen werden, was Karl Birnbaum in seinen ,,Psyehopathologisehen Dokumenten" (Berlin 1920, S. 52, 68f., 80ft.) -- ohne Kenntnis der oben herangezogenen Quellen - nur auf Grund yon Moritz auto- biographisehem Roman, Anton Reiser, fiber ihn zu sagen hat. Birn. baum h~lt Moritz ffir den Typus eines pathologisehen Phantasten, der sehlieBlich zum unbewugten Sehwindler wird, der sieh selbst und anderen die selbsterfundene Phantasierolle vorspielt, der selbst an den selbst inszenierten Betrug glaubt.

Sehlieftlieh hat Moritz den Weg der Wirkliehkeit aus der Phantasie- welt der Jugendjahre zurfiekgefunden, ist freilieh aueh dann noeh ein abnormer Menseh geblieben (Birnbaum).

Moritz hatte einst auf das Vorsatzblatt seines ,,Anton Reiser" einem Freunde die eigenh~ndige Widmung geschrieben:

,,Du weisst, wen dieses Btichlein meint - - Lieb' ihn, und sey sein Freund!"

Etwa um die gleiehe Zeit (1783) begrfindete Moritz sein ,,Magazin Ifir Erfahrungsmi~ssige Seelenkunde", indem er auf wertvolle auto- biographisehe und sonstige dokumentarische Beitriige hinwies.

Moritz, dessen gr613tes Lebensglfiek es war, dag er Goethes Freund- sehaft erwarb, die ihm sehlieBlieh zu Amt und Wfirden verhalf, erlag

yon Marcus Herz tiber Karl Philipp Moritz aus dem Jahre 1798. 515

a m 26. J u n i e inem erneu ten Bluts turze . I n R o m ve rdank te Moritz e inem Fa l l yore Pferde, der e inen A r m b r u c h zur Folge ha t t e , sein in t imes Zusammense in mi t Goethe, der selbst bei dem Wundf ieber - k r a n k e n die N~chte wachte und viel yon ihm lernte ( J a nua r 1787). Als Goethe im Sommer dieses J a h r e s naeh R o m zurf ickkehr te , muBte er bekermen: ,,Moritz i s t se i tdem mein l iebs ter Gesells 'chafter geblieben, oh ieh gleich bei ihm ff i rehtete und fas t noch f i i rehte, er m6chte aus me inem Umgange nur klfiger und weder r ieht iger , besser, noeh glfick- l icher werden, eine Sorge, die reich immer zurf iekhiel t , ganz often zu

se in ." Herzens P a t h o g r a p h i e fiber Moritz daf t bei e iner sp~teren genaueren

U n t e r s u c h u n g fiber ihn n ich t vergessen werden. W a r sich Herz auch klar , ,,wie unvol l s t~ndig die psychische D i a g n o s t i k " damal s war, so g ib t sie doch die wer tvo l l s ten E inb l i cke des Mannes, der Goethes F r e u n d desha lb wurde, well auch er selbst ihm viel zu danken ha t t e .

Literaturverzeichnis. Bi~baum, Psychologische Dokumente. Berlin 1920. S. 52, 68f., 80f. - - Ey-

bisch, H., Anton Reiser, Untersuehungen zur Lebensgeschichte yon K. Ph. Moritz und zur Kritik seiner Autobiographie. Leipzig 1909. - - F[atow, E., Markus Herz, ein Vork~mpfer der bewul~tcn Psyehotherapie vor 150 Jahren. Dtsch. reed. Wschr. 1928, Nr. 29, S. 1220--1221. -- Herz, Marcus, Portr~t vor Bd. 3 yon Schlichtegrolls Nekrolog der Teutschen. Gotha 1805. (0ffenbar nach dem yon Schadow gezeiehneten und yon Rick gestochenen Blatt gezeichnet, das ich be- sitze.) - - Herz, Marcus, Versuch fiber den Schwindel. Berlin 1786, S. 17. - - Etwas Psychologisch-Medizinisches. Moriz Krankengeschichte. In: Hufelands Journal tier practischen Arzneykunde Bd 5. 2. Stiick, S. 259--339, besonders S. 278--321. Jena 1 7 9 8 . - Klaiber, Th., Die deutsche Selbstbiographie. Stuttgart 1921, he- sonders S. 101ft. - - Karl Philipp Moritz (Nekrolog), in: Schlichtegroll, Nekrolog auf alas Jahr 1793. Jg 4, Bd 2, 169--276. Gotha 1795. - - Pr6hle, H., Karl Philipp Moritz, in: Abhandlungen iiberGoethe, Schiller, Biirger. Potsdam 1889. S. 149--169. - - Stern, Adol], Karl Philipp Moritz (Anton Reiser), in : Aus dem 18. Jahrhundert. Berlin und Leipzig, Verlag yon Fr. Luckhardt (o. J. 1873).

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