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PD Dr. Sefik Tagay
LVR-Klinikum Essen
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Universität Duisburg-Essen
Einführung in die Psychosomatische Diagnostik
Gliederung
1. Diagnostik in der Psychosomatischen Medizin
2. Definitionen zu Gesundheit und Krankheit
3. Interkulturelle Kompetenz in der Diagnostik
4. Psychosomatische Anamnese
5. Fallbeispiel
Wichtige Fragen
Was macht krank? ___Risikofaktoren: Belastungen / Traumata
Was hält gesund? ___Schutzfaktoren: Ressourcen / Resilienz
___Salutogenese
Wie hängen Risiko- und Schutzfaktoren zusammen?
Was hilft Menschen, damit sie mit Belastungen/Stress besser umgehen können?
Hat KULTUR einen Einfluss auf Krankheit und Gesundheit?
Diagnostische Ebenen der Psychosomatischen Medizin
Biologische Ebene • körperliche Symptome
• körperliche und apparative Untersuchungsbefunde
• körperlicher Erkrankungsverlauf
• bisherige Therapiemaßnahmen und therapeutische Notwendigkeiten
Psychische Ebene • psychosoziale Auffälligkeiten und Störungen
• biografische Entwicklung
• Interaktion in der Patient-Therapeut-Beziehung
• Konflikte, psychische Struktur, Persönlichkeit
• Krankheitsverhalten und Behandlungsmotivation
• Ressourcen (Salutogenese, Resilienz)
Soziale und ökologische Ebene • Ausbildung und berufliche Situation
• familiäre Situation
• ökonomische Situation
• soziale Risiken
Mehrebenendiagnostik!
George ENGEL (1914-1999): Bio-Psycho-Soziales Modell
Biologisches, Psychisches und Soziales
sind Teile eines Ganzen, die in Wechselwirkungsbeziehungen
stehen und sich gegenseitig beeinflussen.
Leitgedanke in der Psychosomatik
„Nicht dem Körper weniger, sondern der Seele mehr
Aufmerksamkeit schenken“
(Weiss & English, 1943)
Ebenen der Diagnostik in der
Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie
Befunderhebung / - dokumentation
Störungsdiagnostik
Beziehungsdiagnostik
Ätiologische Diagnostik
Psychosomatische Untersuchungsmethoden
Strukturierte Interview
• Das klinische Gespräch („sprechende Medizin“)
• Klinisches Interview
(frei – semistrukturiert – strukturiert – standardisiert mit Betonung der
verbalen Ebene unter Erfassung der nonverbalen Kommunikation)
• Fremdanamnese (Informationen und Beurteilung durch Angehörige)
• Testverfahren (Intelligenz, neuropsychologische, etc.)
Selbstbeurteilung
• Testverfahren
• Fragebögen
• Tagebücher
Jahr Fragebogen / Screeningbögen Sprachfassungen
2004 ETI, Essener Trauma-Inventar 15
2007 ETI-KJ, Essener Trauma-Inventar für Kinder und
Jugendliche 8
2008 ERI, Essener Ressourcen-Inventar 5
2009 ERI-KJ, Essener Ressourcen-Inventar für Kinder und
Jugendliche 4
2010 EDQOL, Eating Disorders Quality of Life 1
2011 ELI, Essener Lebensqualitäts-Index für Essstörungen 4
2012 ESI-KJ, Essener Selbstwert-Inventar für Kinder und
Jugendliche 1
2013 EMI, Essener Migrations-Inventar 1
2013 EZI, Ezidisches Identitäts-Inventar
7
2015 ETL, Essener Transgender Lebensqualitäts-Inventar 1
ETI ETI-KJ ERI ERI-KJ ELI EMI EKI ESI-KJ EZI EBI
PP Testinstrumente Testinstrumente / Screeningverfahren
Diagnostische Zielsetzungen
1. Ziel:
zeitlicher Zusammenhang zwischen Beginn eines Symptoms und einer
biografisch fassbaren, lebenswichtigen Veränderung
psychodynamisch / verhaltenstherapeutisch verstehbarer
Zusammenhang zu der Symptombildung herstellen,
2. Ziel:
den Patienten als Mitarbeiter gewinnen
ihn für die gemeinsame diagnostische und psychotherapeutische
Arbeit gewinnen und motivieren.
Gesundheit: Definitionen
Schopenhauer (1788-1860):
„Gesundheit ist alles, ohne Gesundheit ist alles nichts.“
Freud (1856-1939 ):
„Gesundheit ist die Fähigkeit lieben und arbeiten zu können.“
WHO (1946):
„Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und
sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit
und Gebrechen.“
WHO (1987):
„Gesundheit ist die Fähigkeit und die Motivation, ein wirtschaftlich
und sozial aktives Leben zu führen.“
„Gesundheit ist überhaupt nicht nur ein medizinischer,
sondern überwiegend ein gesellschaftlicher Begriff.
Gesundheit wieder herzustellen heißt in Wahrheit: Den
Kranken zu jener Art von Gesundheit zu bringen, die in
der jeweiligen Gesellschaft die jeweils anerkannte ist, ja
in der Gesellschaft selbst erst gebildet wird“
(Ernst Bloch, 1955)
Gesundheit: Definition
Subjektive Gesundheitsvorstellungen sind nicht allein „individuell erzeugte
Kognitionen“, sondern stehen im Zusammenhang historisch-gesellschaftlicher
Diskurse. Gesundheit ist somit auch ‚kulturell’ bedingt.
Ernst Bloch (1885-1977)
BILD
Häufige Kriterien der Gesundheit in der Literatur (Franke, 1993; Becker, 2006)
• Störungsfreiheit
• Leistungsfähigkeit
• Rollenerfüllung
• Homöostase/Gleichgewichtszustand
• Flexibilität
• Anpassung
• Wohlbefinden
Krankheit: Definitionen…
Medizinlexikon
Eine Krankheit ist eine Störung der normalen physischen oder psychischen
Funktionen, die einen Grad erreicht, der die Leistungsfähigkeit und das
Wohlbefinden eines Lebewesens subjektiv oder objektiv wahrnehmbar negativ
beeinflusst. Die Grenze zwischen Krankheit und Befindlichkeitsstörung ist fließend.
Medizinische Psychologie
Schmidt & Unsicker, 2003:
„Als Krankheit wird das Vorliegen von Symptomen und/oder Befunden bezeichnet, die
als Abweichung von einem physiologischen Gleichgewicht oder einer Regelgröße
(Norm) interpretiert werden können und die auf definierte Ursachen innerer oder
äußerer Schädigungen zurückgeführt werden können.“
Krankheit aus Sicht des Kranken
Beschwerden (Symptomwahrnehmung)
Vermindertes Wohlbefinden
Vermindertes Handlungsvermögen
Krankheit aus Sicht des Arztes
Befund Diagnose Therapie
Befund:
• Anamnese – Entwicklung von Beschwerden
• Körperliche Untersuchung
• Verhaltensbeobachtung
• Laborbefunde
• Apparative Befunde (Bildgebung, EEG)
Diagnose: Klassifikation von Krankheiten (z.B.
nach ICD, international classification of diseases)
Biomedizinisches Krankheitsmodell
Noxe
Chemisch
Biologisch
Physikalisch
Pathologie
Struktur- und
Funktionsstörung
Wiederherstellung
Defektheilung
Tod
Ätiologie
Lehre von
den
Krankheits-
ursachen
Pathogenese
Entstehung
eines
krankhaften
Geschens
BILD
Probleme des Biomedizinischen
Krankheitsmodells
• Bei vielen Erkrankungen gibt es keine eindeutigen Noxen, sondern multiple
Risiken (z.B. genetische Disposition, Umweltfaktoren – z.B. Ernährung)
• Psychische und soziale Ursachen sind in den Modell nicht abgebildet
Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell
Der Kultur-Eisberg
A = klar erkennbare Merkmale
B = diffus erkennbare Merkmale
C = nicht sichtbare Merkmale
Der Kultur-Eisberg
Sinnlich wahrnehmbar
Essen, Kleidung, Begrüßungsrituale Literatur,
Theater, Musik, Festivitäten, etc.
Unbewusst, verborgen
Werte und Normen, Einstellungen,
Erwartungen, Haltungen, Bedürfnisse, etc.
BILD
Definition: Kultur
Es gibt unzählige Definitionen von Kultur. 1992 wurden über 150 Definitionen gezählt und miteinander verglichen (Kroeber & Kluckhorn 1992).
Definition nach G. Hofstede (2007)
Kultur ist „mentale Software“, die in einem Sozialisationsprozess kulturell
„programmiert“ wird. Im Laufe dieser Sozialisation und vor allem in der Kindheit,
der Primärsozialisation, erwirbt das Individuum bestimmte Muster des Denkens,
Fühlens und Handels, die als Werte und Haltungen umschrieben werden.
Nach Hofstede ist Kultur so etwas wie das kollektive Bewusstsein.
Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder
der jeweiligen Gesellschaft (Thomas, 2003).
Kulturelle Vielfalt somatischer Symptome
bei Euroamerikanern (Machleidt, 2007)
Bei Deutschen
Herzbesweschwerden
Bei Franzosen
Beschwerden mit der Leber
Bei Engländern
• Verdauungsbeschwerden
Bei Amerikanern
Virusmentalität
Latinos und mediterrane Kulturen
„Nervos“
Kopfschmerzen
Chinesen und Asiat. Kulturen
Schwäche
Müdigkeit
„Ying-Yang-Imbalance“
Mittelöstliche Kulturen
Herzbeschwerden
Türken
Bauchschmerzen
Es gibt unterschiedliche Vorlieben seelisches
Leid auf bestimmte Organe zu projezieren:
Mikrozensus 2014: 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund
Im Jahr 2014 lebten rund 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland.
Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis des Mikrozensus 2014 weiter mitteilt,
entspricht dies einem Bevölkerungsanteil von 20,5%. Die Bevölkerung mit
Migrationshintergrund besteht aus den seit 1950 nach Deutschland Zugewanderten und deren
Nachkommen sowie der ausländischen Bevölkerung. Mit 9,7 Millionen hatte der Großteil der
Bevölkerung mit Migrationshintergrund einen deutschen Pass, gut 6,8 Millionen waren
Ausländerinnen und Ausländer. Insgesamt wird von ca. 200 verschiedenen Ethnien in
Deutschland berichtet (Statistisches Bundesamt, 2014).
Migranten stellen inzwischen eine nicht zu vernachlässigende große Gruppe dar. Es handelt
sich dabei um eine wachsende, allerdings nicht homogene, sondern vielmehr sehr
heterogene Gruppe, auf die es sich einzustellen gilt.
Migranten in Deutschland
Migration und Gesundheit
Politik, Gesellschaft und das Gesundheitssystem greifen
zunehmend die damit verbundenen Schwierigkeiten und Probleme
aber auch die Chancen und Herausforderungen auf.
In den letzten Jahren ist die Zahl an empirisch-wissenschaftlichen
Studien zu dem Themenkomplex von „Migration und Gesundheit“
deutlich angestiegen. Fachzeitschriften haben dazu
Schwerpunkthefte gemacht, um die empirische Datenlage zu
systematisieren und vor allem die besonderen Schwierigkeiten und
Defizite in der Versorgung von Menschen mit
Migrationshintergrund aufzuzeigen und zu diskutieren.
BILD
Kufungisisa (zu viel nachdenken)
Region/Kultur: Simbabwe
Auch neu im DSM-5-Katalog ist die Erkrankung Kufungisisa oder „zu viel nachdenken“. Sie stellt eine
Störung dar, die bei dem Volk der Shona in Simbabwe beschrieben ist. Der Begriff spiegelt sowohl die
Ursache von Störungen wie Angst und Depression (z.B.: „Mein Herz ist schwer, weil ich zu viel
nachdenke“) wider, als auch das Idiom psychosozialer Stressfaktoren wie finanzielle oder eheliche
Probleme. Die Symptome können sich mit denen verschiedener DSM-Diagnosen einschließlich der
Angststörung, der Panikstörung und der Depression überschneiden.
BILD
Piblokto/Pibloktog
Region/Kultur: Arktische und subarktische Eskimos
Die Piblokto-Störung, auch bekannt als „arktische Hysterie“, beschreibt dissoziative
Episoden, während derer Patienten länger dauernde, extreme Erregungszustände erfahren,
denen manchmal Anfälle oder Koma folgen. Ein Prodromalstadium mit Reizbarkeit kann
vorkommen. Während der Episode zeigen betroffene Patienten gefährliche, irrationale
Verhaltensweisen (d.h. Zerstörung von Eigentum, sich nackt ausziehen).
BILD
Maladi Moun (menschlich verursachte Krankheit)
Region/Kultur: Haiti
Das „Maladi Moun“-Syndrom (menschlich verursachte Krankheit) wird in haitianischen
Bevölkerungsgruppen angetroffen und dient als Erklärung einer Vielzahl an medizinischen und
psychiatrischen Symptomen. Allgemeiner Glaube ist, dass eine Krankheit wort-wörtlich durch jemand
anderen aufgrund von Neid und Hass „geschickt“ wird. Das Syndrom kann Psychosen, depressive
Symptome und sogar akademische oder soziale Probleme umfassen. Die Störung weist gemeinsame
Eigenschaften mit Wahnstörungen und paranoiden Schizophrenien auf.
BILD
Taijin Kyofusho
Region/Kultur: Japan
Patienten mit „Taijin Kyofusho“ (wörtlich: „Störung durch Angst“) erfahren ein extremes
Eigenbewusstsein bezüglich ihrer Erscheinung. Sie leiden an intensiver, lähmender Angst,
dass ihre Körper andere Menschen beschämen oder für andere beleidigend sind. Diese
Kultur-bezogene Störung zeigt überlappende Eigenschaften mit der sozialen Phobie und der
dysmorphen Körperstörung.
BILD
Shenjing Shuairuo (Neurasthenie)
Region/Kultur: China
Bei der Shenjing Shuairuo-Störung handelt es sich um einen weit verbreiteten
Volksglauben, der charakterisiert wird durch Abgeschlagenheit,
Konzentrationsschwäche, Reizbarkeit, Schmerzen und eine Reihe weiterer somatischer
Beschwerden. Traditionell umfasste sie zahlreiche Geistesstörungen und begleitende somatische
Symptome, die aufgrund ihrer Kriterien in der heutigen Fassung der DSM-5-Klassifikation unter Angststörungen
und affektiver Störung zusammengefasst würden. In allen Kulturen ist es nicht ungewöhnlich, dass affektive
Störungen sich durch somatische Symptome eher als durch geistige Symptome ausdrücken, teilweise auch, um die
mit Geistesstörungen assoziierte Stigmatisierung zu vermeiden. Dies würde zu somatoformen Störungen wie
Konversionsstörungen oder Somatisierungsstörungen passen.
BILD
Susto
Region/Kultur: USA, Lateinamerika, Südamerika
Aus dem Spanischen für „Schrecken“ und weit verbreitet in bestimmten Latino-
Populationen bezieht sich der Begriff „Susto“ auf das Scheiden der Seele aus dem Körper
als Antwort auf eine schreckliche Erfahrung. Die Symptome können über mehrere Jahre
wiederkehren und stehen in Einklang mit zahlreichen Diagnosen nach DSM-5, zu denen u.a.
die Major-Depression, die posttraumatische Störung und somatische Symptom- sowie
assoziierte Störungen gehören.
Was heißt interkulturelle Kompetenz?
- Kulturwissen: Wissen primär nicht über kulturelle Fakten und „Normen“ als vielmehr über deren
kulturelle Hintergründe und die Systemzusammenhänge der eigenen und der fremden Lebenswelt
- Kulturen sind Lebenswelten, die sich Menschen durch ihr Handeln geschaffen haben und ständig
neu schaffen.
- Kulturen sind historisch Resultat interkultureller Prozesse. Zwischen Kulturen existieren mehr oder
minder große Überlappungen.
- Kulturen repräsentieren im Wesentlichen Produkte jahrtausendelanger Kommunikationsprozesse.
- Empathie: Einfühlungsvermögen in Bezug auf die Befindlichkeiten und Denkweisen der
fremdkulturellen Partner
- Flexibilität: Bereitschaft, Neues zu lernen, Spontaneität. Fähigkeit, sich auf ungewohnte/fremde
Situationen schnell einstellen zu können
- Interkulturelle Lernbereitschaft: Bereitschaft , interkulturelle Situationen als Lernsituation und
nicht als Bedrohung oder notwendiges Übel betrachten. Dies sollte verknüpft sein mit einer
Neugierde auf Fremdes.
- Ambiguitätstoleranz: Fähigkeit, das Spannungsverhältnis zwischen unvereinbaren Gegensätzen
und Mehrdeutigkeiten „aushalten“ zu können.
- Akzeptanzgrenzen erkennen und Akzeptanzspielräume aushandeln können.
Was heißt interkulturelle Kompetenz ?
Interkulturelle Kompetenz hängt auch mit der Vielfalt der eigenen
Fremdheitserfahrungen zusammen:
Wer häufig und in sehr unterschiedlichen Kontexten Fremdheitserfahrungen
sammeln konnte, wird in interkulturellen Situationen erheblich flexibler
reagieren (können) als jemand, der über derartige Erfahrungen nicht oder nur
im geringen Umfang verfügt. In einem solchen Erfahrungsmangel liegt eine
Ursache für Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit (Bierhoff, 2004).
Psychosomatische Anamnese
5. Bild der
Persönlichkeit,
Psychodynamik
4. Lebensgeschichtlicher
Rückblick (Kindheit,
Beziehung zu Eltern,
Entwicklung von Beruf,
Sexualität etc.)
2. genauer Zeitpunkt des
Beschwerdenbeginns
– Körperliche Untersuchung -
3. Lebenssituation bei
Beschwerdebeginn
(alle Veränderungen,
Schicksalseinbrüche)
Situation bei Rückfällen
1. Beschwerden,
Gründe des Kommens
(Symptomatik)
Art der erhobenen Daten
Objektive Informationen
Sachliche Angabe, biografische Fakten, beobachtbare Verhaltensweisen
und Persönlichkeitseigentümlichkeiten
Subjektive Informationen
Subjektive Bedeutung berichteter Daten, subjektive
Bedeutungszusammenhänge zwischen berichteten Daten
Szenische Informationen
Erlebnis der interaktuellen Situation mit allen Gefühlsregungen und
Vorstellungsabläufen, szenische Darstellung des unbewussten
Beziehungsfeldes
Übertragung und Gegenübertragung
Psychosomatische Anamnese: Gesprächsführung
Eröffnung mit allgemein gehaltener Frage („Was führt Sie her?“)
Fragen offene statt geschlossene Fragen; erst zuhören, dann fragen (subjektive Krankheitstheorien); Wertungen vermeiden
Gegenübertragung eigene Gefühlsregungen im Gespräch beachten
Arbeitsbündnis beidseitige Verantwortung zum Ausdruck bringen
Zusammenfassung „Haben Sie mich verstanden?“
Spezielle Fragestellung
in der psychosomatischen Anamnese
Welche (aktuellen/früheren) Belastungen liegen vor?
Welche Ressourcen haben den Patienten bisher gesund gehalten?
Welche Funktion (Ausdruck, Krankheitsgewinn) hat das Symptom?
Warum kommt er jetzt zu mir?
Wie gestaltet er die Umweltsituation?
Wie reagiere ich selbst auf die Situation?
Psychosomatische Anamnese:
Gesprächsführung
Auf Stimmungen, Gefühlslagen aufmerksam sein:
„Wie ist Ihre Stimmung?“
„Wie fühlen Sie sich jetzt hier, wenn Sie das erzählen?“
„Sind Sie viel alleine?“
„Können Sie mit jemanden über diese Fragen sprechen?“
Subjektive Bedeutungen:
Welche Bedeutungen werden den Ereignissen, Erlebnissen zugeschrieben?
Gesprächsszene beobachten:
Wie geht der Patient in dem Gespräch mit mir um?
Ist sein Verhalten typisch für ihn?
Ist es von seiner Konfliktlage, seiner Belastung verstehbar?
Ist sein Verhalten im Beruf, in der Familie verstehbar?
Stöungsdiagnostik
Diagnosestellung körperlicher Erkrankungen gemäß somatischer Standards
Diagnosestellung psychischer Störungen gemäß deskriptiver
Klassifikationssysteme nach Interview (ICD-10, DSM-IV)
Beziehungsdiagnostik
Wie erlebt der Patient andere?
Wie reagiert der Patient auf Beziehungen?
Welches Beziehungsangebot macht er anderen mit seiner Reaktion (unbewusst)?
Welche Antwort legt er anderen damit (unbewusst) nahe?
Ätiologische Diagnostik
Biographische Anamnese
Genetische Faktoren?
Biographische Risikofaktoren?
- Vorerkrankungen?
- Lebensveränderungen?
- Verluste?
- Traumata?
- Chronischer Stress?
Protektive Faktoren / Ressourcen?
Umweltfaktoren?
Ziel: Hypothesenbildung, keine Schublade!
Häufige konfliktträchtige Lebensbereiche
Herkunftsfamilie
Partnerschaft / Bindung / Sexualität
Eigene Elternrolle
Berufs- / Leistungsverhalten
Einkommens- und Besitzverhältnisse
Soziokulturelle Ressourcen…
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Institutsambulanz: Erstdiagnostik
Diagnosen aus unserem Fachgebiet:
Psychische Vorerkrankungen:
Somatische Diagnosen:
Erste Szene:
Konsulation/auf Initiative von:
Symptomatik:
Auslösende Situation:
Psychischer Befund, Auffälligkeiten:
Psychotherapeutische oder psychiatrische Vorbehandlungen:
Somatik:
Medikation:
Suchtmittel (schädlicher Gebrauch) und Selbstmedikation:
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Institutsambulanz: Erstdiagnostik
Biographische Anamnese (traumatische Aspekte / Ressourcen)
Ressourcen:
Aktuelle Lebenssituation, Besonderheiten:
Soziale Daten
Berufliche Perspektive (zurück an Arbeitsplatz, Rente …)
Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik – Erhebungsbogen
- Objektivierende Bewertung der Erkrankung / des Problems
- Krankheitserleben,- darstellung und –konzepte des Patienten
- Veränderungskonzepte des Patienten
- Veränderungsressourcen/Veränderungshemmnisse
„Was hat im Mittelpunkt Ihrer Beschwerden gestanden?“
• Angst um das Herz
• Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz unregelmäßig lief
• Ich hatte das Gefühl, manchmal, das Herz bleibt stehen
• Es war so die Angst ums Herz
Symptomatik
Vorgeschichte und Motivation
• Die Adresse bekam ich gleich am Anfang, als meine Krankheit anfing.
• Ich habe es aber sofort als unsinnig hingestellt.
• Ich hab`s doch nicht an den Nerven, was soll ich da, ich hab doch da nichts, mir fehlt nur körperlich was.
• Seelisch krank sein und seelische Behandlung? Das kommt einem abwegig vor.
Psychosomatische Anamnese
3. Lebenssituation bei Beschwerdebeginn
Zeitpunkt des Beschwerdebeginns
„Wann haben Sie das zum ersten mal gehabt?“
Lebenssituation zum Zeitpunkt des Beschwerdebeginns
„Was war damals, als das in Ihrem Leben auftrat?“
„Was hat sich in Ihrem Leben damals verändert?“
„Wer ist in Ihr Leben eingetreten; wer ist daraus
verschwunden?“
Symptomauslösende Situation
• Ich hatte an einer neuen Arbeitsstelle angefangen.
• Ich hatte eine nicht ganz unproblematische Zweierbeziehung.
• Die Loslösung vom Elternhaus war mir auch noch nicht geglückt.
Psychosomatische Anamnese
5. Bild der
Persönlichkeit,
Psychodynamik
4. Lebensgeschichtlicher
Rückblick (Kindheit,
Beziehung zu Eltern,
Entwicklung von Beruf,
Sexualität etc.)
2. genauer Zeitpunkt des
Beschwerdenbeginns
– Körperliche Untersuchung -
3. Lebenssituation bei
Beschwerdebeginn
(alle Veränderungen,
Schicksalseinbrüche)
Situation bei Rückfällen
1. Beschwerden,
Gründe des Kommens
(Symptomatik)
Psychosomatische Anamnese
4. Lebensgeschichtlicher Rückblick
Kindheit, Jugendzeit, Adoleszenz
„Schwellensituationen“ der Lebensentwicklung:
Geburt von Geschwistern, Kindergarten, Einschulung, erste Beziehung, Studium, Verlassen des Elternhauses, etc.
„Erzählen Sie doch noch mehr von sich, aus Ihrer Kindheit.“
„Erzählen Sie mir von Ihren Eltern.“
„Wie waren Sie als Kind?“
„Können Sie mir einen Überblick über Ihre schulische, berufliche
Entwicklung geben?“
„Können Sie mir etwas über Ihre Partnerschaften berichten?“
„Gab es besondere Belastungen in Ihrem Leben?“
Lebensgeschichtlicher Rückblick
„Können Sie mal sagen, wie war denn Ihre Kindheit?“
• Einzelkind
• Beide Eltern berufstätig in einer wichtigen Phase
• Häufig umgezogen, deshalb wenig Kontakt mit Gleichaltrigen
• Auf das Haus bezogen
• Weniger Freiheiten als andere Kinder
Persönlichkeit?
• Urvertrauen gegen Misstrauen?
• Autonomie gegen Scham und Zweifel?
• Initiative gegen Schuldgefühl?
• Leistung gegen Minderwertigkeitsgefühl?
• Identität gegen Rollenkonfusion?
• Intimität gegen Isolierung?
Zusammenfassung
Psychosomatische Diagnostik = Mehrebenendiagnostik
Grundlage: Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell (Engel, 1977)
Ergänzung durch somatische, psychopathologische, psychometrische und
psychophysiologische Befunde
Integration von Anamnese und Befunden in psychologische / behaviorale
Hypothesen und Störungsdiagnosen
Überprüfung im Behandlungsprozess, kein Schubladendenken
Diagnostik ist ein Prozess!
Literatur
Senf & Broda, 2012
Das Standardwerk der Psychotherapie
Alle wissenschaftlich anerkannten
psychotherapeutischen Verfahren von den
jeweils führenden Fachvertretern:
Psychoanalyse, Verhaltenstherapie,
Systemische Therapie, Humanistische
Therapie
Aktueller Wissensstand zu diagnostischen
Verfahren und Behandlungstechniken:
detailliert und systematisch
Viele praktische Hinweise für den
Behandlungsalltag
Ideal für Ausbildung und Praxis