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Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata

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Page 1: Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata

Rechtsmedizin 2007 · 17:83–88

DOI 10.1007/s00194-007-0429-z

Online publiziert: 1. März 2007

© Springer Medizin Verlag 2007

L. Hecht · H. Klotzbach · H. Schröder · K. Püschel

Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg

Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericataUntersuchungen im Hinblick auf Todeszeitbestimmungen

Originalien

Wenn der Tod eines Menschen länge-

re Zeit unbemerkt bleibt, kommt es

nicht selten zu einer Besiedlung des

Leichnams mit nekrophagen Insek-

ten. Das führt zu einer wesentlich

schnelleren Gewebezerstörung, bie-

tet aber auch neue Möglichkeiten die

Todesumstände und v. a. die Todes-

zeit zu rekonstruieren. Untersu-

chungen auf diesem Gebiet sind die

Domäne der forensischen Entomolo-

gie [1]. Die Methodik der forensisch-

entomologischen Todeszeitbestim-

mung basiert auf der Erkenntnis,

dass die Entwicklungszyklen nekro-

phager Insekten unter definierten

Bedingungen innerhalb reproduzier-

barer Zeiträume ablaufen [11]. In die-

sem Zusammenhang sind u. a. Tem-

peratur, Lichtverhältnisse und Luft-

feuchtigkeit wichtige Einflussgrö-

ßen. Weitere Möglichkeiten der fo-

rensischen Insektenkunde ergeben

sich auf dem Gebiet der Toxikologie.

Die forensische Entomotoxikologie

erschließt zwei Problemfelder. Dazu

gehört zum einen der Nachweis to-

xischer Substanzen in den unter-

schiedlichen Entwicklungsstadien

nekrophager Insekten [4, 5]. Dies

kann in Fällen, in denen nicht genü-

gend Untersuchungsmaterial an

einem stark verwesten Leichnam ge-

wonnen werden kann, noch Hinweise

auf eine Intoxikation liefern. Zum an-

deren wird der Einfluss toxischer

bzw. pharmakologisch wirksamer

Substanzen auf die Entwicklung ne-

krophager Insekten mit Bezug auf

die Todeszeitbestimmung unter-

sucht.

Einleitung

Goff et al. [7] zeigten erstmals, dass das

Vorliegen von Drogen im Nährsubstrat

Abweichungen im Entwicklungsverhalten

nekrophager Insekten zur Folge hat. Es

liegen mehrere Untersuchungen vor, die

den Einfluss pharmakologisch wirksamer

Substanzen, darunter Morphin, Dia-

zepam und Heroin, auf nekrophage Insek-

ten dokumentieren [2, 3, 8, 17, 19].

Unter allen nekrophagen Insekten

nimmt die Schmeißfliegenart Lucilia seri-

cata . Abb. 1 eine besondere Stellung ein.

Die über die Grenzen Europas hinaus ver-

breitete Fliegenart besiedelt den mensch-

lichen Leichnam unter gegebenen Vor-

aussetzungen sehr früh; hieraus ergeben

sich verhältnismäßig geringe Toleranzen

für eine Todeszeitanalyse [18]. Von Grass-

berger u. Reiter [11] liegen bereits umfang-

reiche Untersuchungen über das Entwick-

lungsverhalten von Lucilia sericata bei un-

terschiedlichen Temperaturen vor. Unter-

suchungen von Schröder et al. [15] haben

gezeigt, dass Lucilia sericata die häufigste

an „Wohnungsleichen“ vorkommende Art

in Norddeutschland ist.

Die adulten Weibchen von Lucilia seri-

cata legen mehrere Hundert Eier ab. Nach

dem Schlupf entwickeln sich die Larven in

3 Stadien (1st, 2nd, 3rd instar). Diese kön-

nen anhand morphologischer Charakte-

ristika unterschieden werden. Kurz vor

der Verpuppung stellen die Larven die

Nahrungsaufnahme ein, entleeren den

Verdauungstrakt und verlieren etwas an

Länge. Diese Zeit wird als „Postfeeding-

Stadium“ bezeichnet. Die spindelförmige

Puppe entsteht durch eine Sklerotisierung

der Larvenkutikula; hierzu wird ein tro-

ckenes Milieu bevorzugt.

Längere Leichenliegezeiten und damit

verbundene postmortale Insektenbesied-

lung finden sich nicht selten bei Verstor-

benen aus dem Drogenmilieu. Drogento-

Abb. 1 8 Lucilia sericata

83Rechtsmedizin 2 · 2007 |

Page 2: Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata

desfälle ereignen sich häufig infolge von

Mischintoxikationen [14]. Heinemann et

al. [12] konnten im Zusammenhang mit

Drogentodesfällen im Raum Hamburg

Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre eine

steigende Mitbeteiligung von Methadon

feststellen.

Im Rahmen toxikologischer Unter-

suchungen an 14 Sektionsfällen von Ver-

storbenen mit Insektenbesiedlung im Jahr

2003 im Institut für Rechtsmedizin Ham-

burg wurde in 5 Fällen Methadon nach-

gewiesen. Aus diesem Grund sollte expe-

rimentell überprüft werden, in welchem

Maß Methadon in den Entwicklungszyk-

lus der Fliegenart Lucilia sericata eingreift

und welche Schlussfolgerungen sich dar-

aus für die forensisch-entomologische To-

deszeitbestimmung ergeben.

Material und Methoden

Für die Versuche stellte die Firma Bio-

monde® professionell gezüchtete Individu-

en der Art Lucilia sericata zur Verfügung.

Die Haltung der adulten Insekten erfolgte

bei Raumtemperatur (24±0,4°C) in Glas-

terrarien mit einer Lichtperiode von

12/24 h. Als Futter dienten Zuckerwasser

und Milchpulver. Die Eiablage wurde mit

Mäusekadavern bzw. Hackfleisch provo-

ziert. Für die Versuchsansätze wurden ei-

ne auf den Menschen bezogene therapeu-

tische (0,1 μg/g), eine toxische (0,5 μg/g)

und eine tödliche (1 μg/g) Gewebekon-

zentration an Methadon (Razemat) ge-

wählt. Die Konzentrationsangaben gelten

für tolerante Drogenabhängige. Schulz u.

Schmoldt [16] geben eine Plasmakonzent-

ration ab 0,2 μg/ml als toxisch und ab

0,4 μg/ml als tödlich an. Die entspre-

chende Menge Methadonstammlösung

wurde mit handelsüblichem Hackfleisch

vermischt. Für jede Methadonkonzentra-

tion wurden jeweils 3 Versuchsansätze her-

gestellt. Als Kontrolle dienten 3 Ansätze

mit Hackfleisch ohne Methadon. Je 30 Lar-

ven wurden kurz nach dem Schlupf auf die

Ansätze gebracht. Während des Beobach-

tungszeitraums betrug die Temperatur

wiederum 24±0,4°C. Die Längenmessung

wurde vom dritten Tag an im 24-stündigen

Rhythmus an allen Individuen durchge-

führt. Dafür wurden die Larven für kurze

Zeit kühleren Temperaturen ausgesetzt.

Die somit stark verminderte Beweglichkeit

ermöglichte eine bessere Handhabung

während der Messung.

Die Verpuppung und der Schlupf der

adulten Insekten wurden dokumentiert.

Als Untersuchungsgrößen dienten Längen-

zunahme, maximale Endlänge, Entwick-

lungszeit der Made und der Puppe sowie

die Mortalitätsrate. Für die Auswertung

wur den die Ergebnisse aus den 3 Tes t reihen

zusammengeführt, da sich alle Individuen

im gleichen Intervall und unter identischen

Bedingungen entwickelten. Zur Überprü-

fung der Validität wurde der gepaarte t-Test

für unabhängige Stichproben angewendet.

Ergebnisse

Die Testgruppen entwickelten sich unter

Methadon bis zum 5. Tag durchweg schnel-

ler als die Kontrollgruppe (. Abb. 2). Die

größte durchschnittliche Längendifferenz be-

trug 3 mm zwischen der 0,5-μg-Gruppe und

der Kontrollgruppe am 4. Tag (p<0,001).

Innerhalb der Testgruppen bestanden

ge ringe Längenunterschiede, die signifi-

kant, jedoch nicht forensisch relevant wa-

ren. Um den 5. Tag waren kaum signifikan-

te Längenunterschiede messbar. Zu diesem

Zeitpunkt hatten die 0,5-μg-Gruppe und

die 1-μg-Gruppe bereits die maximale End-

länge erreicht, um in das Postfeeding-Sta-

dium überzugehen. Die Kontrollgruppe

und die 0,1-μg-Gruppe erreichten die ma-

ximale Endlänge am 6. Tag. Die Individu-

en der Kontrollgruppe wurden insgesamt

am längsten. Die maximalen Endlängen

nahmen mit zunehmender Methadonkon-

zentration ab (. Abb. 2). Wie bereits oben

erwähnt, kommt es im Postfeeding-Stadi-

um zu einer Längenreduktion der Larven

nach dem Erreichen der maximalen End-

länge. Da die Larven der Kontrollgruppe

das Postfeeding-Stadium später erreichten,

0

2

4

6

8

10

12

14

3 4 5 6 7 8 9 10

Zeit in Tagen

Läng

e in

mm 0,0 µg/g

0,1 µg/g

0,5 µg/g

1,0 µg/g

0,0 µg/g

0,1 µg/g

0,5 µg/g

1,0 µg/g

Tag

mittl. Länge n

mittl. Länge

n

mittl. Länge n

mittl. Länge n

3

4,64 ± 0,74 90

5,38 ± 0,69

89

5,86 ± 0,83 90

5,60 ± 0,54 90

4

6,70 ± 0,69 89

8,42 ± 0,93

89

9,73 ± 0,83 90

8,74 ± 1,02 90

5

11,99 ± 0,68 89

12,27 ± 0,69

88

12,25 ±0,68 89

11,81 ± 0,83 90

6

12,58 ± 0,69 88

12,28 ± 0,84

88

11,95 ± 0,93 88

11,45 ± 0,77 89

7

11,22 ± 0,75 87

11,01 ± 0,84

86

10,99 ± 0,97 87

11,04 ± 0,84 89

8

10,84 ± 0,82 57

10,40 ± 0,58

43

10,50 ± 0,88 27

10,57 ± 0,73 65

9

10,00 ± 0 4

10,00 ± 0

5

10,37 ± 0,49 30

10

10,00 ± 0 6

Abb. 2 9 Wachstumsver-lauf von Lucilia sericata bei verschiedenen Methadon-konzentrationen im Nähr-substrat

84 | Rechtsmedizin 2 · 2007

Originalien

Page 3: Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata

konnte am 6. Tag eine Längendifferenz

zwischen der Kon troll grup pe und der 1-μg-

Gruppe von 1,1 mm (p<0,001) registriert

werden.

Bei Analyse der Entwicklungsdauer im

Larvenstadium (. Tab. 1) ist festzustellen,

dass sich die Larven beim Vorliegen einer

therapeutischen und einer toxischen Me-

thadonkonzentration im Substrat gegenü-

ber der Kontrollgruppe schneller ent-

wickelten. Es zeigten sich maximale durch-

schnittliche Zeitdifferenzen von 4,3 h zwi-

schen der 0,1-μg-Gruppe und der Kon-

trollgruppe (p<0,001) sowie 9,7 h zwi-

schen der 0,5-μg-Gruppe und der Kon-

trollgruppe (p<0,001). Die 1-μg-Gruppe

entwickelte sich hingegen langsamer. Es

bestanden durchschnittliche Zeitdiffe-

renzen von 4,2 h zur Kontrollgruppe und

13,9 h zur 0,5-μg-Gruppe (alle p<0,001).

Die Entwicklung in der Puppe folgte einem

gleichartigen Trend. Die Entwicklungs-

zeiten nahmen zunächst mit steigender

Methadonkonzentration ab, in der 1-μg-

Gruppe zeigte sich hingegen kaum ein Un-

terschied zur Kontrollgruppe. Die Zeitdif-

ferenzen waren insgesamt nur gering. Si-

gnifikante Unterschiede bestanden zwi-

schen der Kontrollgruppe und der 0,5-μg-

Gruppe mit 2 h (p=0,004) sowie zwischen

der 0,5-μg-Gruppe und der 1-μg-Gruppe

mit 1,8 h (p=0,024). Die Mortalitätsrate er-

wies sich in der Kontrollgruppe mit 7,2%

als am höchsten. In den Testgruppen star-

ben insgesamt weniger Larven. Die nied-

rigste Mortalität war in der 1-μg-Gruppe

mit 2,7% zu verzeichnen.

Diskussion

Bei längerer Leichenliegezeit gelten die

Methoden der forensischen Entomologie

als Mittel der Wahl zur Eingrenzung der

Todeszeit [1]. Wenn im Leichnam phar-

makologisch wirksame Substanzen vor-

liegen, ist die forensische Entomotoxiko-

logie eine essenzielle Ergänzung. Zahl-

reiche Untersuchungen belegen den Ein-

fluss von Drogen und Medikamenten auf

nekrophage Insekten hinsichtlich der Ent-

wicklungsgeschwindigkeit und -dauer [2,

6, 7, 8, 9, 10, 13, 17, 19].

Das Vorliegen von Methadon in der

Futterquelle beschleunigt das Wachstum

der Larven von Lucilia sericata. Ungeach-

tet der Methadonkonzentration nahmen

die Larven der Testgruppen schneller an

Länge zu als die Larven der Kontrollgrup-

pe. Der größte Längenunterschied ist am

4. Tag zwischen der 0,5-μg-Gruppe und

der Kontrollgruppe mit 3 mm registriert

worden. O’Brian u. Turner [19] machten

hinsichtlich der Wachstumsrate ähnliche

Beobachtungen mit der Schmeißfliege

Calliphora vicina. Die Larven entwickelten

sich beim Vorliegen der Testsubstanz Pa-

racetamol schneller als die Larven der

Kontrollgruppe. Zwischen den einzelnen

Testgruppen bestanden keine signifi-

kanten Unterschiede. Ähnliche Effekte

sind mit den Testsubstanzen Heroin und

Kokain bei der Fleischfliegenart Boettche-

risca peregrina erzielt worden [4, 5].

Heroin beschleunigte die Entwick-

lung in niedrigen und in hohen Konzent-

rationen gleichermaßen, während Ko-

kain nur in hohen Dosen (tödliche und

doppelte tödliche Dosis bezogen auf den

Menschen) die Wachstumsgeschwindig-

keit erhöhte.

Bourel et al. [2] hatten bereits den Ein-

fluss des Methadon verwandten Mor-

phins auf die Entwicklung von Lucilia se-

ricata getestet. Die Ergebnisse dieser Un-

tersuchungen stehen im Gegensatz zu den

eigenen Ergebnissen. Die morphinexpo-

nierten Larven entwickelten sich lang-

samer und erreichten eine größere ma-

Zusammenfassung · Abstract

Rechtsmedizin 2007 · 17:83–88

DOI 10.1007/s00194-007-0429-z

© Springer Medizin Verlag 2007

L. Hecht · H. Klotzbach · H. Schröder ·

K. Püschel

Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata. Untersuchungen im Hinblick auf Todeszeitbestimmungen

Zusammenfassung

Lucilia sericata ist unter den nekrophagen

Insekten, die den menschlichen Leichnam be-

siedeln, bei der Eingrenzung der Todeszeit von

großer forensischer Bedeutung. In der vorlie-

genden Arbeit wurde untersucht, welchen

Einfluss Methadon auf die Entwicklung dieser

Fliegenart hat. Es konnte eine signifikante Be-

schleunigung des Wachstums der Larven zwi-

schen dem 3. und 5. Tag bei metha don halti-

gem Substrat festgestellt werden. Die Gesamt-

entwicklungsdauer im Larven- und Puppen-

stadium war bei einer therapeutischen

(Methadonsubstitution) und einer toxischen

Methadonkonzentration gegen über der Kon-

trollgruppe um bis zu 15 h verkürzt. Diese

Ergebnisse sollten bei entsprechenden foren-

sisch-entomologischen Begutachtungsfällen

Berücksichtigung finden.

Schlüsselwörter

Forensische Entomologie · Entomotoxikologie ·

Entwicklungsrate · Lucilia sericata · Methadon

Effect of methadone on the development of Lucilia sericata. Investigations regarding estima tion of postmortem interval

Abstract

The greenbottle fly Lucilia sericata is an in-

sect of great forensic interest for estimating

the postmortem interval. The present study

investigated the influence of methadone on

the development of Lucilia sericata larvae.

The results of the study showed a significant

acceleration of larval development between

day 3 and 5 when methadone is present in

the food source. The total development times

where shortened by up to 15 h in the group

with therapeutic and toxic methadone con-

centrations. These results should be consid-

ered when undertaking forensic entomologi-

cal examinations.

Keywords

Forensic entomology · Entomotoxicology ·

Development rate · Lucilia sericata · Methadone

Tab. 1 Entwicklungsdauer und Mortalität der Larven von Lucilia sericata bei

verschiedenen Methadonkonzentrationen im Nährsubstrat

Ansatz

[μg/g]

Dauer der Larven-

entwicklung, durch-

schnittlich [h]

Dauer der Entwicklung

in der Puppe, durch-

schnittlich [h]

Gesamtentwicklungs-

dauer [h]

Mortali-

tät [%]

Mittel-

wert

Variati-

onsbreite

Mittel-

wert

Variations-

breite

Mittel-

wert

Variations-

breite

0 185,4 168–216 225,4 216–240 410,8 384–456 7,2

0,1 181,1 144–216 224,6 216–240 405,7 360–456 5,4

0,5 175,7 168–192 223,4 216–240 399,1 384–432 6,3

1 189,6 168–216 225,2 216–240 414,8 384–456 2,7

85Rechtsmedizin 2 · 2007 |

Page 4: Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata

ximale Endlänge als die Larven der Kon-

trollgruppe. Die eigenen Untersuchungen

haben gezeigt, dass die Larven unter Ein-

fluss von Methadon eine geringere maxi-

male Endlänge als die Larven der Kon-

trollgruppe erreichten. Die in den Versu-

chen von Bourel et al. verwendeten durch-

weg sehr hohen Morphinkonzentrationen

sind eine mögliche Erklärung für die dis-

krepanten Untersuchungsergebnisse.

Die Entwicklungsdauer von der Larve

bis zum adulten Insekt ist bei einer thera-

peutischen und einer toxischen Methadon-

konzentration um bis zu 15 h verkürzt. Bei

einer für den Menschen tödlichen Metha-

donkonzentration hingegen verlängert sie

sich gegenüber der Kontrollgruppe gering-

fügig. Die größten Zeitunterschiede be-

standen im Larvenstadium. Die Entwick-

lungszeiten im Puppenstadium differierten

nur gering. Als Ursache hierfür könnten

Metabolisierung und Ausscheidung der

Droge in der Fliegenlarve angesehen wer-

den. Andererseits hatten Bourel et al. [3] ge-

zeigt, dass es bei der Fliegenart Calliphora

vomitoria zu einer Kumulation von Mor-

phin in der Larvenkutikula kommt.

Eindrucksvollere Resultate erbrachten

die Untersuchungen von Goff et al. [10] mit

der Fleischfliegenart Parasarcophaga rufi-

cornis und dem Antidepressivum Amitrip-

tylin als Testsubstanz. Beim Vorliegen einer

auf den Menschen bezogenen tödlichen

Dosis der Testsubstanz im Substrat verlän-

gerte sich die Entwicklungszeit der Larven

im Durchschnitt um 30 h gegenüber der

Kontrollgruppe. Beim Vorliegen einer dop-

pelten letalen Dosis verlängerte sich das

Puppenstadium im Durchschnitt um 34 h.

Bei der Gesamtentwicklungsdauer bestan-

den zwischen der Kontrollgruppe und den

Testgruppen Zeitdifferenzen von bis zu

47 h. Die gleichfalls von Goff et al. [9]

durchgeführten Untersuchungen mit Me-

thamphetamin zeigten, ähnlich wie in den

eigenen Untersuchungen, eine Verkürzung

der larvalen Entwicklungszeit von Parasar-

cophaga ruficornis bei geringen und mittle-

ren Konzentrationen (subletale und töd-

liche Konzentration bezogen auf den Men-

schen). Die maximale Zeitdifferenz betrug

durchschnittlich 18 h. Das Puppenstadium

verkürzte sich in den Testgruppen im Ver-

gleich zur Kontrollgruppe um bis zu 48 h.

Innerhalb der Testgruppen zeigten sich je-

doch keine signifikanten Zeitunterschiede.

Das Barbiturat Methohexital bewirkt eben-

falls eine zeitliche Verschiebung der larva-

len Entwicklung [13]. Larven der Fleisch-

fliege Sarcophaga tibialis benötigten unter

Exposition der Substanz eine längere Zeit

bis zur Verpuppung als die Individuen der

Kontrollgruppe. Während des Puppensta-

diums war ein gegenläufiger Effekt zu be-

obachten, sodass in der Gesamtentwick-

lungsdauer keine signifikanten Unterschie-

de zwischen Testgruppen und der Kontroll-

gruppe bestanden.

Fazit für die Praxis

In der vorliegenden Untersuchung konn-

te gezeigt werden, dass Methadon den

Entwicklungszyklus von Lucilia sericata

manipuliert. Daraus ergeben sich beach-

tenswerte Konsequenzen für die foren-

sisch-entomologische Todeszeitbestim-

mung. Für eine exakte Analyse sollten

die Insekten beim Vorliegen von Metha-

don im Leichnam unter entsprechenden

Substanzkonzentrationen nachgezüch-

tet werden.

Korrespondierender AutorDr. L. HechtInstitut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfButenfeld 34, 22529 [email protected]

Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-

flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-

ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in

dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-

kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation

des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-

halte produktneutral.

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Originalien

Page 5: Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata
Page 6: Einfluss von Methadon auf die Entwicklung von Lucilia sericata

88 | Rechtsmedizin 2 · 2007

H.-D. Laum, U. Smentkowski

Ärztliche Behandlungs fehler – Statut der Gutachter kommissionDeutscher Ärzte Verlag 2006, 208 S.,

(ISBN 3-7691-3272-6), 24.95 EUR

Der Kommentar stellt die Praxis der seit mehr

als 30 Jahren arbeitenden Gutachterkom-

mission für ärztliche Behandlungsfehler bei

der Ärztekammer Nordrhein dar. Die zweite

Auflage berücksichtigt die mit dem Gesetz

zur Modernisierung des Schuldrechts und

dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadens-

ersatzrechtlicher Vorschriften 2002 in Kraft

getretenen, für den Bereich der ärztlichen

Haftung bedeutsamen Änderungen.

Den roten Faden der Abhandlung bildet da-

bei das Statut der Gutachterkommission bei

der Ärztekammer Nordrhein, welches in den

Kammerbezirken, die sich für die Einrichtung

von Gutachterkommissionen (Nichtschlich-

tungsstellen) entschieden haben, mit gering-

fügigen Abweichungen im Detail ebenfalls

gilt. Entstanden ist ein mit Fallbeispielen aus

der eigenen Praxis angereichertes Kompen-

dium für die Arbeit einer Gutachterkommis-

sion. Aus dieser speziellen Sicht bietet es

einen Überblick über das Recht der ärztlichen

Haftung unter Einbeziehung der ärztlichen

Aufklärung. Das freiwillige Verfahren vor der

Gutachterkommission folgt inzwischen eige-

nen Regeln und hat sich - wie das Buch ganz

gute Zeit - verselbstständigt (vgl. hierzu auch

die heute noch lesenswerten Ausführungen

bei: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte für

Medizinrecht (Hrsg.) Gutachterkommissionen

und Schlichtungsstellen, Schriftenreihe

MedR, 1990). Dennoch steht das Verfahren

neben dem gerichtlichen welches dieses im

günstigsten Fall überflüssig macht, im un-

günstigen zumindest zeitlich hinauszögert.

Das Werk will den Mitgliedern der Gutachter-

kommissionen, den betroffenen Patienten

und Ärzten sowie ihren Verfahrensbevoll-

mächtigten zusätzliche Arbeitshilfen geben.

Ob das Buch diesen doch umfänglich gera-

tenen Adressatenkreis vor allem auch außer-

halb der Kommissionsmitglieder mit seinen

Ausführungen gleichermaßen anzusprechen

und zufrieden zu stellen vermag, möchte

man mit einem dicken Fragezeichen verse-

hen. Könnte es nicht so sein, dass die Autoren

des in Aussicht genommenen Adressaten-

kreises schlicht überschätzen? Dass ein von

einem Behandlungsfehler betroffener Patient

dieses Buch gelesen wird, dürfte eher un-

wahrscheinlich sein. Dem forensisch tätigen

Arzthaftungsrechtler bringt es mit seiner auf

das Verfahren vor der Gutachterkommission

fokussierten Sicht nicht genug und schon gar

nicht genügend Hinweise auf weiterführende

Literatur, den Arzt wird der Stoff in aller Regel

nicht interessieren oder gar überfordern.

Bleibt der Rechtsmediziner als Weltkind in

der Mitten: ihm kann das Fallmaterial bei der

Begutachtung von Nutzen sein, aber eigent-

lich auch nicht wirklich. Es ist ein Buch für

interdisziplinäre Spezialisten.

Dr. Hans-Dieter Lippert (Ulm).

Hans Josef Kullmann, Rolf Bischoff,

Wolf-Dieter Dressler

Arzthaftpflicht-Rechtsprechung, Teil IIIErich Schmidt Verlag 2006,

(ISBN 3-503-08382-0)

Mit der 3.-8. Lieferung (Oktober 2005 bis

August 2006) wird Teil III des bewährten

Loseblattwerks fortgesetzt. Diese Rechtspre-

chungssammlung darf sich mittlerweile als

Klassiker auf dem Gebiet des Arzthaftpflicht-

rechts bezeichnen. Neben höchstrichter-

lichen Entscheidungen wurden auch schwer

zugängliche Entscheidungen der unteren

Instanzen, soweit sie rechtskräftig geworden

sind, aufgenommen. Die klare Gliederung

ermöglicht eine problemlose Orientierung

innerhalb der komplexen Materie. Für den

hohen fachlichen Anspruch stehen kompe-

tente Fachleute, die durchweg als Richter in

den zuständigen Spezialsenaten amtieren

und die einzelnen Entscheidungen sorgfältig

auswählen. Das Werk ist eine Arbeitsgrund-

lage für alle Fachleute und Institutionen, die

sich mit der Arzthaftpflicht befassen müssen.

Es sollte im Bücherregal des medizinischen

Sachverständigen nicht fehlen.

Joar Berge (Mannheim)

Buchbesprechungen

Dettmeyer, R.

Medizin und RechtHeidelberg: Springer-Verlag 2006, 2. Auflage,

(ISBN 3-540-29863-0), 49.00 EUR

Nur relativ kurze Zeit nach Erscheinen der ersten

Auflage ist nunmehr die zweite Auflage dieses

Medizinrecht-Buches erschienen. Die erste

Auflage wurde überarbeitet und das Buch hat

an Übersichtlichkeit und Klarheit noch einmal

deutlich hinzugewonnen. Darüber hinaus fan-

den sich zahlreiche Ergänzungen zu aktuellen

Themen, die durch gesetzliche Änderungen und

weitere Entwicklungen notwendig wurden.

Zahlreiche zusätzliche Fallbeispiele wurden

ergänzt und machen die häufig als „trocken“

beschriebene Thematik sehr anschaulich. Das

Buch empfiehlt sich für alle Ärzte, insbesondere

auch für PJ-Studenten und ist überhaupt nicht

nur als Nachschlagewerk, sondern auch sowohl

für Dozenten als auch für Studierende für den

Unterricht bestens geeignet.

Fazit: Ein in diesem Format unvergleichbar

gutes Buch, das die mitunter nicht leichte The-

matik auch dem eiligen Leser gut vermittelt.

Der didaktische Aufbau des Buches sowie das

Layout und die Verarbeitung des Bandes an sich

sind vor dem Hintergrund des relativ günstigen

Preises als unschlagbar gut zu bewerten.

Markus A. Rothschild (Köln)