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Einheitliche Grundzüge musikalischer Formgebung Author(s): Ilmari Krohn Source: Acta Musicologica, Vol. 25, Fasc. 1/3 (Jan. - Sep., 1953), pp. 20-39 Published by: International Musicological Society Stable URL: http://www.jstor.org/stable/931675 . Accessed: 13/06/2014 02:11 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . International Musicological Society is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Musicologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.58 on Fri, 13 Jun 2014 02:11:42 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Einheitliche Grundzüge musikalischer Formgebung

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Einheitliche Grundzüge musikalischer FormgebungAuthor(s): Ilmari KrohnSource: Acta Musicologica, Vol. 25, Fasc. 1/3 (Jan. - Sep., 1953), pp. 20-39Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/931675 .

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20 Die musikalische Behandlung der Versarten im Troubadourgesang

vermuten, dass der 3. Modus dem Konduktusrepertoire iiberhaupt urspriing- lich fremd ist, dass also dort, wo ein ganzer Konduktus in diesem Modus steht, eine Vtbernahme aus dem nationalsprachigen Repertoire wahrscheinlich ist. Sicher aber handelt es sich in diesen Faillen um Nachahmungen eines aus dem Liedrepertoire stammenden Aufbauprinzips, - Organa wie Konduktus zeigen den 3. Modus sonst nur in Abwechslung mit dem 1. Modus, nicht aber fiir ein ganzes Stiick. Wie weit dasselbe fiir den 4. Modus zutrifft, der weniger mit dem 3. Modus verwandt ist als vielmehr mit dem 2. (wie auch aus unserem ersten Beispiel hervorgeht), muss sich noch zeigen. Doch sind von H. Spanke bereits mehrere lateinische Konduktus des 4. Modus als Kontrafakta nach- gewiesen worden.44) Mit der Einbeziehung des 3. Modus sind dann freilich auch alle rhythmischen Gestaltungen des Troubadourgesanges erfasst. Er verfiigt damit iiber die ersten fiinf Modi. Der 6. aber tritt auch in den mehrstimmigen Kompositionen (ab- gesehen von besonderen Erscheinungen, Schlussgruppen, Kopula, usw.) nicht als selbstiindiger Modus, sondern nur als Auflaisung des 1. oder 2. Modus auf. Als solche aber ist er wiederum auch in den Troubadourliedern auf Schritt und Tritt anzutreffen. Damit ergibt sich fiir den Troubadourgesang genau dasselbe Gesamtbild, wie ich es fiir das Trouvirelied gezeichnet habe.a) Beiden gegeniiber steht das lateinische Lied, einesteils einfacher, andererseits wesentlich komplizierter, jedenfalls aber von einer ganz anderen Struktur.

41) Vgl. Die Musikforschung 5, S. 123 f. und S. 129 f. 45) Ebda., S. 130/31.

Einheitliche Grundzuige musikalischer

Formgebung Ilmari Krohn (Helsinki)

So sehr die Meinungen iiber Wert und Berechtigung der neuesten Musik aus- einandergehen, ist eines doch einmiitig festzustellen: sie ist auf der Suche. Einerseits das Bestreben, die von den Klassikern ererbten und von den Ro- mantikern weitergefiihrten, bez. entwickelten Formbildungen als veraltet und ausgelebt zu verwerfen; andererseits ein Wiederaufnehmen derselben, um villiger Formlosigkeit zu entgehen. Einerseits zunehmende Farbenpracht und Virtuositait der Instrumentation, als Ersatz fiir die vernachliissigste Proportion plastischer Linienfiihrung; andererseits die >>neuklassische<< Abkehr zu har- monischer Askese, gespickt jedoch (als contradictio in adjecto) mit fortwaih-

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 21

rend zugefiigten Fremdtonen. Kurzum ein bunter Wirrwarr verschiedenster Anstrengungen, um aus dem herrschenden Chaos wieder festen Boden zu ge- winnen. Bei vielen wendet sich der Blick (und das Herz) einigen Meistern der letzt

vergangenen Zeit zu,') deren Werke allmaihlich die friiher sie hemmenden Vor- eingenommenheiten iiberwunden und ein stetig wachsendes Verstaindnis ge- funden haben, in dem man in ihnen instinktiv eine organisch lebendige Ent- wicklung der klassischen Formprinzipe wahrnimmt, weshalb sie auch die For- scher zur Ergriindung des Geheimnisses ihrer Kunstart stark anregen. Hierbei geniigt aber nicht die hergebrachte Kategorisierung der landlaiufigen Formbildungen. Einerseits fehlt ihr die allseitige liickenlose Folgerichtigkeit, andererseits auch das leitende Prinzip fiir die Bewertung der verschiedenen Formarten in ihren aisthetisch-musikalischen Wirkungen. Es wird wohl nicht zu sehr iiberraschen, wenn m. E. der Schliissel zur Lasung dieses Problems - wie so mancher anderer - in der A n t i k e zu finden und auch wirklich gefunden ist. Fast vor einem Jahrhundert hat Rudolph Westphal2) das Wesen der alt- griechischen Tonkunst zu erhellen gesucht und dabei auf die einheitlichen Be- ziehungen in der Metrik der antiken und modernen Musik hingewiesen. Bald darauf hat Heinrich Schmidt3) die entscheidende Bedeutung der d rei A r t e n von Formbildung klargelegt, die in den altgriechischen Tragodien und Festgesiingen den jeweiligen Charakter des Inhalts musikalisch wieder- spiegeln. Er nennt dieselben stichisch (g a n g a r t i g), palinodisch (g e p a a r t) und mesodisch (u m s p a n n e n d), bez. antithetisch (Abart der vorigen). Sie entsprechen dem Gegensatz und Wechsel epische r, lyrischer und dramatischer Stimmungen des Inhalts. In spiiterer Zeit hat Alfred Lorenz4) das Vorkommen entsprechender Formarten in Wagners Biihnenwer- ken erwiesen. Fiir meinen Teil war ich seit liingerer Zeit bestrebt, verschiedenartige Werke der Klassiker und Romantiker auf die Stichhaltigkeit jener Formbeziehungen zu priifen (Lieder von Schubert und Brahms, Sonaten, Quartette und Sym- phonien von Beethoven, das Wohltemperierte Klavier von Bach, sowie die Klavierpoesie von Schumann, Mendelssohn und Chopin), Schritt fiir Schritt iiberraschende bestaitigende Ergebnisse erblickend. Als schliesslich noch ei- nige Biihnenwerke5) das gleiche in noch ausgedehnteren Proportionen ersehen liessen, schien es mir genug iiberzeugend, um daraufhin ein durchgefiihrtes und piidagogisch zu bewertendes System vorzulegen6) und nachher die Sym-

') NIchstliegend Anton Bruckner, Jean Sibelius, Carl Nielsen. 2) in zahlreichen Werken 1854--83. 3) Die Kunstformen in der griechischen Poesie. 1868-72. 4) Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner, 1923. 5) Lohengrins formbyggnad (Der Formenbau im Lohengrin), Svensk Tidskrift fir Musik.

forskning, 1922. - Puccini: Butterfly, Gedenboek aangeboden aan Dr. D. F. Scheurleer, 1925. 6) Muoto-Oppi (Formenlehre), 1937 (finnisch).

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phonien von Jean Sibelius') und Anton Bruckner8) auf dem somit gewonne- nen Grunde zu durchforschen.

Es sei gestattet, zunaichst jenes System darzulegen und darauf die Art der ein- zelnen Bausteine mit Beispielen aus bekannten Tonwerken zu belegen, be- ginnend vom Periodenbau aufwairts.

Das S y s t e m, a priori aufgestellt. 1) Die Folge der Baustufen:

2-6 Taktfiisse bilden die Zeile, 3 oder mehr Zeilen >> >> Periode, 2 >> >> Perioden >> >> Strophe (z. B. Liedform), 2 >> >> Strophen >> >> Reihe (z. B. Rondo), 2 >> >> Reihen > das Gefiige (z. B. Sonatenform), 2 >> >> Gefiige >> den Zyklus (z. B. Symphonie), 2 >> >> Zyklen >> das Vollwerk (z. B. Musikdrama), 2 >> >> Vollwerke >> die Vollwerksfolge (z. B. Tetralogie).

2) Die B auarte n, auf jeder Baustufe: a. Die (episch) g a n g a r t i g e besteht aus beliebiger (zwei- oder mehr-

maliger) Wiederholung (bez. Veriinderung) desselben Gliedes (in niichst kleine- rer Stufenform). a a' a"............

b. Die (lyrisch) g e p a a r t e enthillt zwei einander entsprechende (re- spondierende) Glieder, a a'

c. Die (dramatisch) u m s p a n n e n d e fiigt zwischen zwei einander ent- sprechende (respondierende) Glieder ein drittes, von jenen geniigend ab- weichendes (>>Bogenform<<), a b a'

d. Eine Erweiterung jeglicher Bauart geschieht beliebig durch ein ei n- leitendes und ein zugesetztes Glied (Einleitung und Zusatz oder Coda)

(e) a a' a" (z), (e) a a' (z), (e) a b a' (z). e. Eine (dramatisch potenzierte) S o n d e r g e s t a l t der umspannenden

Bauart entsteht durch Ausmerzung des mittleren Gliedes (b) und Ver- schmelzung der Eckglieder (a und a') in eins, zu einem K e r n (k), der vom ein- leitenden und zugesetzten Glied >umspannt<< wird: e k z. Die >>umspannenden<< Glieder sind hier nicht

>>iiberziihlig<< oder beliebig, son- dern organisch notwendig, aber motivisch von einander unabhaingig, meistens nicht mit einander respondierend (>>Kernform<<).

f. Gelegentliche nicht genaue, g r a duell e (ab- oder zunehmende) Responsion einander sonst respondierender Glieder verleiht dem Tonsetzer zwar die freieste Elastizittit der Formbehandlung, riicht sich aber, wenn iiber-

7) Der Stimmungsgehalt der Symphonien von Jean Sibelius, 1945-6. 8) unter Arbeit.

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 23

trieben oder ohne kiinstlerische Berechtigung verwendet, durch Verschwom- menheit der plastischen Linien. 3) Sonderbemerkungen zur inneren Gliederung der Strophen und Reihen:

a. Die Gliederung der gepaarten und umspannenden Strophen ist n i c h t immer identisch mit dem Bau der in ihnen befindlichen Perioden, indem die motivischen Beziehungen sich mit den formalen kreuzen kdinnen. Deswegen ist es erforderlich, die Strophen in motivischer Hinsicht in S t o 1 llen einzu- teilen, die zwar grundsaitzlich den Perioden entsprechen, aber oftmals statt einer Periode deren z w e i (als Doppelperiode) enthalten oder aber bloss die H i *If t e einer Periode (so dass zwei Stollen zusammen eine Periode bilden).

b. Gleichermassen gliedern sich gangartige Strophen und Reihen (sog. >>Strophenlieder<<) zu G e s ii t z e n, die innerhalb einer Strophe einer Periode entsprechen, innerhalb der Reihe jedoch einer Strophe.

c. Die Stollen und Gesaitze erscheinen also n i c h t als selbstiindige Bau- stufen (etwa als Mittelgestaltungen zwischen Zeilen, Perioden und Reihen). Sie sind aber notwendigerweise deutlich zu definieren als Arten der Unter- teilung, um Unklarheiten vorzubeugen. In der Folge wird diese Unterschei- dung sich rechtfertigen. Die hiermit systematisch aufgezaihlten Bauelemente (gangartig, gepaart, um- spannend) kehren in ihren gegenseitigen Beziehungen auf j e d e r Stufe der Formbildungen wieder. Somit bieten sie ein vollgeniigendes Geriiste fiir ein- gehende A nal y s e jeglicher Art von Tonwerken, so dass dieselben sich stets ungezwungen zu irgend einer jener Kategorien und ihrer Kombinationen de- finieren lassen. Selbstverstaindlich sind ergiinzend auch alle anderen musikalischen Kunstmittel heranzuziehen, um ein allseitiges Verstiindnis eines Tonwerks zu gewinnen. Eine konsequent durchgefiihrte Kliarung der architektonischen Formgebung desselben gibt aber einen festen und zuverliissigen Untergrund zu allem iibri- gen.

I. PERIODE

Da die Periode sich durch Vereinigung mehrerer Zeilen aufbaut, ist fiir das Ergebnis die Art der Zeilen ausschlaggebend, vor allem die Anzahl der T a k t- f ii s s e in den Zeilen (Dipodie 2-hebig, Tripodie 3-hebig, Tetrapodie 4-hebig, Pentapodie 5-hebig, Hexapodie 6-hebig), dazu aber auch die T a k t a r t der Taktfiisse. In diesem Zusammenhang ist es jedoch iiberfliissig, niiher hierauf einzugehen, weil in jenen kleinsten metrischen Einheiten die Gegensiitze der oben genannten Bauarten sich nur keimhaft angedeutet erkennen lassen. Es geniigt hier, auf friiher vorgefiihrtes hinzuweisen.9)

9) Vgl. des Verf. >Erneuerung des musiktheoretischen UnterrichtsI, I. Rhytmik, 1923 (Bulletin de l'Union musicologique), sowie >Der metrische Takfuss in der modernen Musikc, 1922 (Archiv fiir Musikwissenschaft).

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a. Die g a n g a r t i g e Periode besteht in ihrer einfachsten Art aus belie-

biger Wiederholung (bez. Veriinderung) d e r s e 1 b e n Zeile. Dies kommt in geschlossenen Tonstiicken nicht vor, ausser etwa in Strassenrufen der Ver-

kiiufer'") oder im Traillern kleiner Kinder und Reisegepaick tragender Neger- burschen. Wenn dagegen jedes Glied der Periode aus einem Z e il e n p a a r besteht, wie es im epischen Volksgesang und in der kirchlichen Psalmodie allgemein der Fall ist, kann der Aufbau zu weiterer Ausdehnung und Wirkung gelangen. Die hierin vorkommende primitiv improvisatorische Variation der auf ein- ander folgenden Zeilenpaare wird von Meisterhand kiinstlerisch wunderbar

gesteigert (Passacaglia, Chaconne), wobei eine E i n I e i t u n g und zum Ab- schluss ein Z u s a t z gl i e d noch das ihre dazu beitragen.x") In UTb e r g ai n g e n innerhalb grasserer Formen sind beide Gestaltungen ver- wendbar. Bruckner hat in seinen Symphonien damit grossangelegte allmiihlich an- oder abschwellende Wirkungen erzielt.")

b. Die einfachste Form der g e p a a r t e n Periode entha*lt 2 Zeilenpaare und ist in uniibersehbarer Zahl in Volksliedern vertreten. Obgleich sie meist, als

>>Gesiitz<< hoherer Einheit, gangartig beliebig wiederholt wird, ist sie doch auch an und fiir sich, ohne Wiederholung, von einheitlicher Wirkung. Als solche erscheint sie oft als >>Seitenthema<< in Sonatenslitzen, entweder einfach oder

verdoppelt."3) Aufgebaut aus D r e i z eil 1 e r n und anderen ausgedehnteren Gliedern ge- staltet sich die gepaarte Periode zu mannigfachster Form und Wirkung.

c. Die u m s p a n n e n d e Periode erscheint selten als selbstiindiges Ton-

stiick. Ihre dramatische Energie findet innerhalb so knapper Grenzen schwer- lich geniigende Betiitigung. Es gibt Ausnahmen,"4) die aber meist, als >>Ge- satz<<, gangartig wiederholt werden. Im Rahmen ausgedehnterer Formen las- sen sich umspannende Perioden iiberall feststellen, wo intensive dramatische Spannung mittels der Form zum Ausdruck gelangt.'5) - Der Gegensatz bogen- farmiger und kernf5rmiger Umspannung ist im Periodenbau bloss keimhaft zu erkennen.

d. G r a d u e 11 e Bauelemente sind geeignet, im knappen Bereich einer Pe- riode leicht die Proportion zu stSiren. Deshalb erscheinen sie fast ausnahmslos entweder in gangartig wiederholten Gesaitzen oder innerhalb ausgedehnterer Formen.

1o) Georg Kastner, >>Les Voix de Paris<<, 1857. .1) Chopin, >Berceuse<. 12) z.B. V Symphonie, Finale, von P 7 bis Q, sowie von Q 9 bis 16. 13) Beethoven, Sonate op. 57, (f) I, sowie op. 31 Nr. 3 (Ess) I. 14) Friedrich Himmel, >>Vater, ich rufe Dicht, e a a' at z

15) z. B. Bruckner, I Symphonie, I, Durchfiihrung (von 0 9 bis Q), 4 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 4 (die Ziffern bedeuten die Hebungszahl der Zeilen)

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 25

II. STROPHE

Die Benennung S t r o p h e fiir die naichst folgende Baustufe, als Einheit von zwei oder mehr Perioden, ist der Antike entnommen. (Sie hat also nichts ge- mein mit dem landlliufigen Begriff eines >>Strophenliedes<<, fiir dessen >>Stro-

phen<<, wie bereits oben bemerkt, m. E. das altdeutsche >>Gesiitz<< vorzuziehen

ware).

a. Somit ist die g a n g a r t i g e Strophe als ein Gebilde zu definieren, worin drei oder mehr Gesaitze, zu je einer Periode, sich an einander reihen. Es be- stehen davon drei verschiedene Arten:

1) schlicht wiederholt, 2) mit Variationen, 3) frei wechselnd.

1. Die s chlicht e Wiederholung derselben Periode, als Gesiitz, ist in Volksliedern gang und gaibe, auch vielfach in Chorailen und anderen >>Stro-

phenliedern<<. Sie erfiihrt eine bemerkbare Erweiterung durch ein Ri t o r- n e 11, welches zu Beginn, zum Ende, sowie zwischen die Gesaitze beliebig an-

gefiigt wird."6) Zu Liedern wird das Ritornell meist der Begleitung iiberwiesen, entweder stets gleich"7) oder sich mehr oder weniger aindernd."s) Das Obergehen zur Variationsform wird durch G r e n z f i Ile vermittelt, wo die Wiederholung gelinde, oft kaum bemerkbare Anderungen erfaihrt. Es

geschieht teils u n w ill k ii r 1 i c h, wie im Volkslied, durch das unbefestigte Gediichtnis des Saingers, teils aber a b s i c h tl i c h, wegen Anderungen in den Silbengruppen des Textes. Zuweilen wird durch den Wechsel des Inhalts eine bedeutendere Anderung der Tongainge erforderlich, besonders im letzten Gesiitz, welches dadurch meist den Eindruck eines Zusatzes macht.19)

2. Die Va ri a ti o n ss t r o p h e (Thema mit Variationen) ist in der Litera- tur mit einer Menge leichtwiegender Kompositionen vertreten, aber auch mit einigen hochbedeutenden Tonwerken, in welchen sich die Wirkung wundervoll von Glied zu Glied steigert.0o) Eine iiberaus originelle Formung enthalt Schu- manns >>Kriegslied<<.21)

3. Die frei wechselnde Strophe, worin jede Periode mit neuem musi- kalischem Material erscheint, wiirde als selbstiindiges Tonstiick allzu zusam- menhanglos wirken. (Es sei denn, dass in der >>Neumusik<< derartiges ausnahms- weise geboten wiirde). Innerhalb ausgedehuterer Tongebilde kann sie jedoch,

16) Schumann, Albumblfitter 5 >Phantasietanz<<. 17) Brahms, >>Aber die See>, >Wenn um den Hollunder?. 18s) Brahms, >Dort in den Weiden<<, >Nachtigall<. 19) Brahms, >>Heimweh<<. 2) Beethoven, 32 Variationen (c). 21) Schumann, Album fiir die Jugend 31: vier Perioden nebst Zusatz, mit vielen >falschen<(

Taktstrichen (die Taktfiisse durchgehend 3/8) und in seltener Weise gebauten und kombinierten Zeilen, 3 3 3 5 3 3 3 5 4 3 3 3 5 4 6 3 3 2 2 3 3 6 64 42 2 6 (+,+ )

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26 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

als Kontrast zwischen fester gefiigten Teilen, eine charaktergemiisse Bedeu-

tung erhalten.")

b. Die g e p a a r t e Strophe erscheint auch in verschiedenen Gestaltungen.

1. Sie entsteht rein f o r m a 1 durch einmalige Wiederholung einer Periode, z. B. in einem Liede mit zwei Gesaitzen. Der hierdurch erzielte Eindruck hat aber meist einen zufiilligen Charakter, da die Zahl der Gesaitze nicht musika- lisch, sondern rein textlich bedingt ist und durch etwaige Fortsetzung des Textes ohne weiteres sich mehren wiirde. Eine kiinstlerisch ergiebige Wirkung entsteht aber sofort durch Hinzufiigen eines Zusatzes (>>Barform<<: V o r- stollen, Nachstollen, tberstollen, bez. Abgesang.23)

2. Eine andere Art kiinstlerischer Ausgestaltung erhailt die gepaarte Strophe durch Kontrastierung ihrer Stollen, im Keim beginnend schon mit Anderun-

gen zufiilliger Art und fortschreitend zu organischeren Bildungen mit gleichem Beginn und abweichender Weiterfiihrung oder wenigstens mit verschiedener Kadenz.24)

3. Eine Sonderart der vorigen herrschte in den Suitensaitzen des 17. und 18.

Jahrhunderts, in welchen der Vorstollen von der Tonika zur Dominante und der Nachstollen umgekehrt von der Dominante zur Tonika sich bewegt, mit stark iihnelndem motivischem Material und ausgedehntem Ausspinnen des- selben in beiden Stollen. Die vorgeschriebene Reprise beider Stollen ist wegen der polyphonisch verschleierten Ausgestaltung des Periodenbaus berechtigt, sogar notwendig. Das Zuriickweichen dieser Formbildung nach dem Hervor- treten der plastisch verdeutlichten >>dreiteiligen Liedform<< ist verstlindlich.

4. Die als >>zweiteilige Liedform<< vielfach bezeichnete Gestaltung ist in mei- sten Faellen tatsiichlich dreiteilig und b o g e n f ii r m i g, so dass allerdings der 2. und 3. Stollen je eine halbe Periode enthalten und somit sie zusammen dem Umfang des 1. Stollens entsprechen, aber motivisch und tonal der 2. Stollen mit ihm kontrastiert und bloss der 3. Stollen respondiert.

c. In den Abarten der bogen fiirmigen Strophe machen sich einige graduelle Elemente geltend.

1. Die einfachste Bildung ist die allbekannte d r e i t e i 1 i g e L i e d f o r m, wo die Stollen (Haupt-, Neben- und Kehrstollen) je eine Periode enthalten.25)

22) z. B. Puccini, >>Butterfly<<, gegen Ende des II Aktes, kurz vor dem Gesang hinter der

Biihne, im Einklang mit der Stimmung des Biihnenbildes, welches sich zu einem hastenden

Hin und Her zersplittert. 23) Brahms, Treue Liebe?. 24) Chopin, Prelude 4 (e), mit tberstollen, sowie 16 (b), dazu auch mit einleitendem

Stollen. 25) Schumann, Album fiir die Jugend 3 >Triillerliedchen<.

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 27

2. Doch gehart zu den allergebrauchlichsten Erscheinungen, dass der Haupt- stollen sich durch Wiederholung v e r d o p p e t26) und damit ein tberge- wicht gegeniiber den iibrigen erhiilt. Durch Verainderungen umwandelt sich die verdoppelte Periode zur D o p p e l p e r i o d e.27) 3. Das Gleichgewicht der Stollen wird dabei durch g e m e i n s a m e W i e- d e r h o I lun g des Neben- und Kehrstollens erreicht28) (I I' II III II' III'). 4. Das naimliche Obergewicht des Hauptstollens tritt hervor, wenn Neben- und Kehrstollen z u s a m m e n e i n e P e r i o d e bilden (obige irrtiimliche >>Zweiteilige Liedform<<), zu je einer Hailfte davon. Der so gelockerte Aufbau der Periode verlangt allerdings eine gemeinsame Wiederholung29) (I II + III II' + III').

5. In den ii ber z ~i h ligen Stollen (dem einleitendem und dem tiber- stollen) tritt das graduelle Prinzip haiufig und sachgemiiss hervor, um das min- der gewichtige derselben gegeniiber den von der Regel gebotenen Stollen her- vorzuheben. Somit enthalten sie oft bloss einen Bruchteil einer Periode.30) Auch der Ne benstollen kann sich gleicherweise auf die Hailfte be- schreinken, obgleich der Kehrstollen in vollem Umfang darauf folgt."l) Hier- durch wird sozusagen das voriibergehende des Kontrastes betont. In alledem Hiussert sich ein allgemeines Formprinzip, gemiiss welchem eine

knappere Baustufe gelegentlich die ausgedehntere v e r t r e t e n kann (pars pro toto) ohne die Logik des Aufbaus zu beeintriichtigen. Auf hiiheren Bau- stufen tritt diese Erscheinung in gesteigertem Masse hervor und ist in vielen Fallen ein unentbehrliches Kunstmittel, um die naitige Elastiziteit der Form-

bildung zu bewahren.

6. Das R i t o r n e ll bietet der bogenfoirmigen Strophe, gleichwie der gang- artigen, eine ausdrucksvolle Bereicherung, besonders in der Liedbegleitung. 7. Ahnlich dem Ritornell, aber mit gesteigerter Wirkung, wird an den Stollen-

grenzen, vorziiglich zwischen Neben- und Kehrstollen, ein A n s a t z einge- fiigt, dessen Umfang entweder eine Zeile,a3) ein Zeilenpaar33) oder auch eine

ganze Periode34) betragen kann.

8. Eine weitere Bereicherung erhailt der Bau der Strophe durch einen z w e i- ten Ne benstolle n, der an die Stelle der Wiederholung des ersten

26) Schumann, Album fiir die Jugend 8 >>Wilder Reiter<. 27) Brahms, >Die Liebende schreibt<<. 28) Schumann, Album fiir die Jugend 2 >Soldatenmarsch?. 29) > >>> > > 5 >Stiickchenc. 30) > Albumbliitter 11 >>Romanze<. 31) > Album fiir die Jugend 6 >Armes Waisenkind<. 32) Schumann, Albumbliitter 11 >Romanzec. 33) > Album fiir die Jugend 7 >Jiigerliedchen<. 34) >> Kinderscenen 12 >Kind im Einschlummern<<.

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28 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

tritt35) (I II III IV III'). Eine aihnliche Wirkung hat die blosse V e r s e t z u n g der Melodie auf andere Tonstufe."6) Eine organische Erweiterung der Form geschieht noch durch den Wiedereintritt des ersten Nebenstollens37) (nebst nochmaliger Wiederholung des Kehrstollens) I II III IV III' II' III". Noch weiter gefiihrte Wiederholungen (bez. Verainderungen) der Stollen fiihren zu einem Auflockern des Aufbaus, welches sich naturgemaiss auf Sonderf ille be- schrainkt.38)

d. Die ke rn fi r mige Strophe (einleitender Stollen, K ernstolle n, Oberstollen) erscheint meist innerhalb ausgedehnterer Baustufen, wo ihr stark potenzierter Charakter ihre volle Berechtigung und Betaitigung findet. Wegen des iiberaus lockeren Zusammenhanges ihrer Glieder macht sie als einzelnes

Tonstiick den Eindruck, einer weiteren Ergainzung zu bediirfen.39) Ihr Aufbau liisst sich zu z w e i- oder d r e i k e r n i g e r Strophe ausdehnen. Dabei werden zwischen die Kernstollen tbergainge eingefiigt, die (meist gang- artig) dieselben verbinden (bez. trennen) e L.k ii 2.k (ii 3.k) z. In Durchfiihrungsteilen breit angelegter Meisterwerke gelangen diese Formun- gen zu miichtig steigernder Wirkung.

III. REIHE

a. Die gangartige Reihe formt sich in dreierlei Art, gleich denen der entsprechenden Strophen.

1. Die schlicht wiederholte oder G e s a t z r e i h e ist allgemein gebriiuchlich in einfacheren Kunstliedern, sowie umfangsreicheren Choral- und Volksmelo- dien, in welchen derselbe Tongang, im Umfang einer Strophe, drei oder vier Mal zu fortgesetztem Text des Gedichtes verwendet wird. Eine griSssere An- zahl Wiederholungen wirkt leicht eintoinig. Auch sowieso erfordert diese Bau- art lebensvolle Frische in Wort und Ton, um das Interesse durchweg zu fesseln. In Instrumentalkompositionen kommt sie deshalb als solche iiber- haupt nicht vor. In Liedern werden einzelne Verschiedenheiten von zufiilligem Charakter hin und wieder vom Text veranlasst, ohne den Gesamteindruck der Reihe zu indern. Eine starkere Umwandlung im letzten Gliede stempelt dieses zur Zusatzstrophe (Coda). - Eingefiigte Ritornelle erhohen die Wirkung mit willkommener Abwechslung.

S i e b e n z e ili g e Choralmelodien, die in betrichtlicher Zahl in Gebrauch sind, sind zu locker gebaut, um als Periode zu gelten (und als Folge mehrerer Ges!itze einer Strophe zu entsprechen). Als Strophe definiert, sind sie zwar

35) Schumann, Waldscenen 1 >>Eintritt<<. 36) >> Faschingschwank 4 >Intermezzo<. 37) > Kinderscenen 11 >Fiirchtenmachen<. 38) > Carnaval 7 >Coquette<<, sowie Bunte Bliitter 14 >>Geschwindmarsch<. 39) Chopin, Prtlude 18 (f), Beethoven, Sonate op. 53 (C) II >Introduzione<.

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 29

iiberaus knapp gehalten: Hauptstollen 4-zeilig (bez. wiederholt 2-zeilig), Ne- benstollen als Zeilenpaar, Kehrstollen von einer einzigen Zeile vertreten. Sie ist jedoch in ihren motivischen Beziehungen durchaus klar hervorgehoben (auch die Schlusszeile sondert sich ab charaktergemiiss). Somit ist die Folge der Gesiitze einer Reihe gleich zu bewerten.4) 2. Unter die Rubrik der V a r i a t i o n s r e i h e kommt die grosse Mehrzahl der Kompositionen, genannt >>Thema mit Variationen<<. Anfangs wird oft eine einleitende Strophe, zum Schluss noch ofter eine Zusatzstrophe angefiigt. Die Stilunterschiede dieser Gattung (koloristisch, polyphon, organisch) bringen keine Anderung der formellen Bauart mit sich.

3. F r e i gefiigte Reihen waren im 17. und 18. Jahrhundert im Gebrauch als

Folge von Instrumentaltinzen (S u i t e), wobei die Strophen meist in gepaar- ter Form erschienen. Anfangs als Variationen derselben Motive in verschiede- nen vom Tanz bedingten Rhythmen, entwickelten die Strophen sich zu voller melodischen Selbstiindigkeit, so dass bloss die gemeinsame Tonart und der

tinzerische Charakter sie mit einander verband. In neueren Tainzen (W a 1 z e r usw.) tritt das umgekehrte Verhailtnis zum Vorschein; eine Folge von Strophen im Rhythmus desselben Tanzes, aber mit (fast) stets wechselnder Melodie und Tonart. Schliesslich entstanden mit der Romantik L i e d e r k r e i s e, sowie Folgen ganz selbstiindiger C h a r a k t e r s t ii c k e, deren Einheit bloss in der Stim- mung (bez. in ihrem Wechsel) bestand (meist durch programmatische Ober- schriften ausgedriickt), doch auch durch die Verwandtschaft und Reihenfolge der Tonarten verstiirkt.41) Wenn inmitten der Strophenfolge drei Strophen sich enger an einander schliessen und sozusagen eine Reihe innerhalb der Reihe bilden (um- gekehrt zur Vertretung des pars pro toto), wird der formale Charakter des Ganzen kaum dadurch beeintraichtigt. Eine derartige gelegentliche Anstauung im Fluss der Strophen kann sogar charakteristischem Ausdruck dienen.')

b. Die g e p a a r t e Reihe entsteht am schlichtesten durch einfache Wieder- holung einer strophenfiirmigen Liedmelodie zum zweiten Vers des Textes. In

Instrumentalstiicken ist grassere Gegensiitzlichkeit erforderlich. Von den ge- paarten Gestaltungen der Altklassik, denen der tonale Gang Tonika-Domi- nante und Dominante-Tonika das Gepriige gab, sind manche so weitliiufig auf- gebaut, das die Glieder nicht als Perioden, sondern als Strophen aufzufassen sind und somit das Ganze eine gepaarte Reihe darstellt. Noch schiirfer trat die Gegensiitzlichkeit der Glieder dadurch zu Tage, dass die Na c h s t r o p h e entweder eine rhythmische Umbildung oder eine kolorierte Variation der V o r s t r o p h e ergab (Pavana + Galliarda, Sarabande + Double).

40) z. B. >Nun freut euch, liebe Christeng'meint, >Jesu, meine Freude<. 41) Schumann, Kinderscenen, Albumbliitter, Waldscenen, Gesiinge der Friihe, Dichterliebe,

Frauenliebe und -Leben; Schubert, Die schine Miillerin, Winterreise. 42) Schumann, Albumbliitter 16 >Schlummerlied<, Waldscenen 8 >Jagdlied<<.

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30 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

Zu vielseitigster Wirkung gelangte die Bauart der gepaarten Reihe in den D o p p el w e r k e n: Prailudium und Fuge, Toccata und Fuge, Phantasie und

Fuge, Passacaglia und Fuge. Von Meisterhand gebaut, wird die natige Einheit

geniigend durch die gemeinsame Haupttonart bewahrt und die Gegensaitzlich- keit durch die Gegeniiberstellung allerstrengster Logik der Fugenpolyphonie zu freier gehandhabten vorbereitenden Formbildungen ausgedriickt.

Bei gleichzeitiger Gepaartheit sowohl der Reihe als ihrer beiden Strophen kann eine potenzierte charakterisierende Wirkung erzielt

werden.43) Durch Anfiigen einer Zusatzstrophe erweitert sich die gepaarte Reihe zur B a r f o r m44) (in gleicher Weise wie die gepaarte Strophe).

c. Die bogen f armige Reihe hat verschiedene Ausdehnung, je nach der Anzahl der Nebenstrophen (und der dadurch bedingten Kehr-

strophen). Demgemaiss gestaltet sich die Reihe 3-, 5- oder 7-strophisch (Dreierreihe, Fiinferreihe, Siebenerreihe). Durch Anfiigen

iiberziihliger Strophen (Einleitung, tbergainge, Zusatz) kann jede dieser Un- terarten sich noch bedeutend erweitern. In jeder von ihnen entsteht ausserdem ein wesentlicher Unterschied durch die verschiedene B a u a r t der Nebenstrophen, gemeinhin ausgedriickt durch die Bennenungen >>Lied- und Rondoform<<. Der allgemeine Rahmen des je- weiligen Aufbaus bleibt jedoch von dieser Gegensaitzlichkeit unberiihrt.

1. Dreierreihe.

Am schlichtesten bildet sie sich aus drei Strophen, die alle b o g e n f i r m i g sind, sowie so dass die Hauptstrophe nach der Nebenstrophe als K e h r s t r o p h e wieder eintritt (>>Erweiterte Liedform<<, mit >>Trio<<) AB A'.

Etwaige Verainderungen bei der Wiederholung st6ren nichts wesentliches im Eindruck des Ganzen (gleich den Stollen innerhalb der Strophen). Ist die Nebenstrophe gepaar t, wird das liedmdissige einigermassen ver-

hiillt;45) und wenn alle Strophen gepaart sind, wird der Gesamtausdruck vol- lends triiumerisch.46) Die Zutat des gepaarten Elementes reicht jedoch nicht aus, in den fliissigeren Charakter eines >>Rondo<< iiberzufiihren. Dieser tritt erst durch Verwendung gangartiger oder kernfiirmiger Gestal-

tung der Nebenstrophe entschieden zum Vorschein (I Rondoform).47) Bei-

43) Schumann, Carnaval 8 >R>pliquec. 44) Brahms, >Nachtwandlerm. 4) Beethoven, Sonate op. 10 Nr. 3 (D) III.

46) Chopin, Nocturne op. 15 Nr. 1 (F). 47) In hergebrachten Darlegungen wird die I Rondoform auf den Fall gangartiger Gestalt

der Nebenstrophe beschriinkt und ihre festere (etwa kernfiirmige) Formung als Kennzeichen einer JII Rondoform? angefiihrt. Dieser Gegensatz ist m. E. hierfiir nicht geniigend wesentlich.

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 31

spiele mit gangartiger Nebenstrophe sind selten.48) Die kernfoirmige kommt Sfter vor.49) Durch Verwendung iiberz*ihliger Strophen in verschiedenen Gestaltungen, be- liebig zum Beginn, zum Ende und zwischen die normalen Strophen angefiigt, erhillt die Dreierreihe, als erweiterte Liedform ebenso wie als I Rondoform, eine Mannigfaltigkeit, deren Beispiele hier anzufiihren zu weit gehen wiirde. Es sei bloss darauf hingewiesen, dass in den Y b e r g ai n g e n besonders oft anstatt der ausgefiihrten Strophenformen eine Vertretung durch 1 - s t o I 1 i g e Gebilde vorkommt, und zwar mit entsprechender Sonderwirkung.

2. Fiinferreihe.

Die Reihe gestaltet sich fiinfstrophisch in zweierlei Weise, je nachdem ob als 2. Nebenstrophe die erste w i e d e r h o 1 t wird (gleich oder geaindert) oder aber eine n e u e Nebenstrophe eintritt (A B A' B' A" oder A B A' C A"). Hierzu tritt dieselbe Gegensaitzlichkeit, wie in der Dreierreihe, zwischen Lied- und Rondoform. (Die >>iiberzaihligen<< Strophen kiSnnen nunmehr iibergangen werden, als beliebig und selbsverstaindlich). Wenn a 11 e Nebenstrophen bogenf irmig sind, entsteht die d o p p e 1 t er- weiterte Liedform, mit zwei >Trios<<. Diese sind entweder gleich50) oder ver-

schieden.51) Gleichwie in der Dreierreihe, wirkt die Verwendung g e p a a r t e r Strophen- form (auch zu 1-stollig abgekiirzter) auflockernd. In der Fiinferreihe ist diese Wirkung, wegen der gr6sseren Ausdehnung, dermassen gesteigert, dass hier- durch eine v e r m i t t e 1 n d e Bauart sich zwischen die entschieden lied- und rondofarmige einstellt.52) Der rondoartige Charakter tritt deutlich hervor, sobald nur e i n e der Ne- benstrophen k e r n f i0 r m i g (oder gangartig) gebaut ist. Bei gleichen Neben- strophen entsteht die II Rondoform,53) bei verschiedenen die III Rondo- form.54)

Statt dessen wiire als II Rondoform die Reihe mit zwei gleichen Nebenstrophen (entweder gangartigen oder kernfoirmigen) zu erachten (A B A' B' A,"). Diese gebriiuchliche Bauart bliebe sonst zu Unrecht ausserhalb stehen (Vincent d'Indy namte sie >Lied-Sonate<< und Martin Wegelius sogar >;Bastardform<).

48) Schumann, Bunte Bliitter 11 >Marsch?. 49) Chopin, Polonaise op. 53 (Ass), Nocturne op. 15 Nr. 2 (Fiss) und op. 55 Nr. 1 (f),

alle mit gekiirzter Kehrstrophe; Beethoven, Sonate op. 2 Nr. 1 (f) II, sowie op. 31 Nr. 1 (G) II, beide mit kernfbirmiger Zusatzstrophe.

50) Beethoven, IV Symphonie (B) II, VII Symphonie (A) III, VI Symphonie (F) III (mit 2-kerniger Zusatzstrophe als tbergang zum Finale).

51) Schumann, Kreisleriana 8 und 2 (nebst Vtbergang nach der 2. Nebenstrophe). 52) Beethoven, Sonate op. 54 (F) I und op. 2 Nr. 3 (C) II. 53) > 3 op. 10 Nr. 1 (c) II und op. 31 Nr. 2 (d) II. 54) > > op. 13 (c) II, op. 14 Nr. 2 (G) III, op. 49 Nr. 2 (G) II, op. 53 (C)

III, op. 79 (G) III.

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32 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

Ausnahmsweise erscheinen d r e i Nebenstrophen nach einander, umrahmt von Haupt- und Kehrstrophe"5) (A B C B' A' oder A B C D A').

3. Siebenerreihe.

Durch Wiederaufnahme der 1. Nebenstrophe erweitert sich die Reihe zur siebenstrophigen. Dabei wird oft die Tonart geaindert, auch nebst sonstigen Abweichungen der Gestaltung (A B A' C A" B' A"'). Der Gegensatz der Lied- und Rondoform waltet hier gleicherweise wie friiher, wobei die Bedeutung der vermittelnden Bauart zunimmt. In der somit d r e i f a c h erweiterten Liedform"G) (mit drei >>Trios<<) wird zuweilen die 2. Kehrstrophe ausgelassen, um den Eindruck der letzten nicht

abzuschwlichen.57) In Tonstiicken der v e r m i t t e 1 n d e n Bauart niihert sich der allgemeine Charakter dem rondomiissigen, weil wegen der gr6sseren Ausdehnung den ge- paarten und 1-stolligen Gestaltungen (die >>iiberzaihligen<< einberechnet) ein

verhiiltnismlissig breiter Raum sich darbietet.58) Die IV R o n d o f o r m tritt klar hervor, wenn schon bloss eine der Neben- strophen kernf rmig oder gangartig gebaut ist. Meistens sind deren zwei da, gewohnlich die erste und dritte.i59) - In diesen Zusammenhang gehart eigent- lich auch die Abart siebenstrophiger Reihe, worin d i e s e 1 b e Nebenstrophe dreimal erscheint (A B A' B' A" B" A'").6O) Von griisserer Bedeutung ist die Sondergestalt, worin die m i t t 1 e r e Ne- benstrophe kernf irmig gebaut und motivisch aus Elementen der vorigen >>durchgefiihrt<< ist. Sie kann mit Recht den Namen >>Durchfiihrungsstrophe<< tragen. Die Reihe als Ganzes erhailt hierdurch einen so ausgepraigten, von den iibrigen Siebenerreihen abgesonderten Charakter, dass man sie m. E. fiiglich als V R o n d o f o r m zu bezeichnen hat."') (Die bisjetzt als V Rondoform benannte Gestaltung ist eher als Abart der >>Sonatenform<< zu erachten, die als VI Rondoform spaiter in betreffenden Zusammenhang erwiihnt werden soill).

4. Ubergedehnte Reihe.

Die Ausdehnung der Reihe iiber das Mass der 7-strophigen hinaus zu 9- oder 11-strophiger (nebst beliebiger >>iiberziihliger<<) gefiihrdet stark die Einheit- lichkeit des Ganzen, und der Eindruck niihert sich dem einer frei wechselnd

55) Chopin, Ballade op. 47 (Ass) und Walzer op. 34 Nr. 2 (a), beide mit vielen thbergiingen, im Walzer alles gepaart, ausser der kernfirmigen Zusatzstrophe (aus Teilen der vorigen zusam- imengesetzt).

56) Schumann, Bunte Blaitter 13 >Scherzo<< und Romanze 3 (H). 57) > Nachtstiicke 2. 5S) Beethoven, Sonate op. 14 Nr. 1 (E) III und op. 10 Nr. 3 (D) IV. 59) Beethoven, Sonate op. 2 Nr. 2 (A) IV, op. 2 Nr. 3 (C) IV (letzte Kehrstrophe fehlt). 60) >> > op. 78 (Fiss) IV. 01) > > op. 28 (D) IV, op 31 Nr. 1 (G) III, op. 90 (e) II.

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 33

gangartigen, worin die stets aufs neue wiederholte Hauptstrophe einem Ritor- nell nahe kommt. Beispiele hierfiir sind auch selten zu finden:2) A B A' B' A" B" A"' B"' A"" Z, A B A' C A" D A"' B' Z, A B A' C A" C' A'" B' A"" Z, A B A' C A" D A"' E A"" F A""' Z. d. Die k e r n f i r mi g e Reihe entsteht (entsprechend der kernfSrmigen Strophe) durch Umrahmung ihrer K e r n s t r o p h e durch eine einleitende und eine Zusatzstrophe (E K Z). Im Zusammenhang hSherer Baustufen ge- langt sie zur besten Geltung."3) In u n e i g e n t 1 i c h e r Weise entsteht in einer bogenfoirmigen Dreierreihe eine der kernfoirmigen aihnelnde Wirkung, wenn Haupt- und Kehrstrophe kernf irmig gebaut sind, waihrend die Nebenstrophe allein die Bogenf6rmig- keit vertritt.64)

IV. GEFtGE

Bisjetzt hat die Weiterfiihrung des vorgelegten Systems einigermassen mit der iiblichen Kategorisierung der musikalischen Formen Schritt gehalten. Nun aber wird gewissermassen Halt geboten. Denn erstens fehlt iiberhaupt der Begriff einer den bisherigen iibergeordneten Baustufe. Andererseits ist sie auch nicht mehr durch fortgesetzte aiusserliche Ausdehnung ohne weiteres er- reichbar. Denn bei der Siebenerreihe, nebst ihren iiberziihligen Zutaten, so- wie ihren 9- und 11-strophigen Ausliiufern, diirfte die iiusserste Grenze dieser- artiger Entwicklung in nahe Sicht getreten sein. Mit der Ausdehnung der Formbildung hat sich eine Lockerung ihrer Einheit verbunden, die schliesslich zur Auflasung fiihren muss.

Deswegen ist auf der niichst hSheren Baustufe neben oder anstatt der weiter fortschreitenden Ausdehnung das Prinzip der K o n z e n t r a t i o n wahrzuneh- men, wodurch statt der iusseren eine innere Steigerung der Gestaltung ge- wonnen wird. Diesem entsprechend miisste auch die naitige Bezeichnung der Baustufe zu erfinden sein. Als Vorschlag mSige das hier angebrachte Wort ,>Gefiige<< gelten. Die B a u a r t e n sind fortgesetzt dieselben, wie in den vorigen Baustufen. In den gegenseitigen Beziehungen und in den Unterarten sind jedoch bemerk- bare Unterschiede zu verzeichnen.

a. Gangartiges Gefiige. Weder Gesit z- noch Variationsgef ii ge sind anzutreffen. Sie wiir- den auch gewiss zu eintanig und reizlos wirken. Somit kSnnte man meinen, dass das f r e i e Gefiige, mit drei oder mehreren

62) Beethoven, Sonate op. 54 (F) II; Schumann, Novelette 5 (letzte Kehrstrophe fehlt, Zusatzstrophe = 2. Nebenstrophe); Sibelius, IV Symphonie (a) IV; Schumann, Fasching- schwank (11 Strophen + Zusatz).

63) Schumann, Carnaval 1; Sibelius, V Symphonie (Ess) II (anschliessend zum I Satz). 64) Schubert, Impromptu op. 90 Nr. 4.

Acta Musicologica, XXV, I-III 3

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34 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

verschiedenen Reihen nacheinander, als zu locker aufgebaut, noch weniger Aussicht auf einheitlich befriedigende Wirkung haben miisste. Dem wider-

sprechen aber eine Anzahl reizvoller Tonwerke.M) Bei weit gefiihrter Ausdehnung lassen sich manche der Reihen durch Strophen vertrete n66) (gleichwie friiher gelegentlich die Strophen durch Perioden oder die Perioden durch Zeilenpaare). Hierin spricht sich auch die Notwendig- keit aus, vor der drohenden tberwucherung der Ausdehnung Halt zu machen.

b. Gepaartes Gefiige.

Gepaartheit gehairt zu den Seltenheiten auf dieser Baustufe. Von Meisterhand

gebildet gelangt sie jedoch zu wunderbar proportionierter Wirkung. Die beiden

angegliederten Reihen sind in ihrem Aufbau entweder gegensiitzlich,67) iihn-

lich68) oder gleich. Fiir die zwei ersteren Arten sprechen die angefiihrten Bei-

spiele geniigend klar. Aber die dritte bedarf eingehenderer Beleuchtung. Bei g 1 e i c h e r dreistrophiger Bauart und gleichen Motiven der ent-

sprechenden Strophen sollte man meinen, einer drohenden Einf Srmigkeit nicht entgehen zu koinnen. Da kommt die vorhin erwaihnte Konzentration der Bauart zu Hilfe, die in der Ausarbeitung der E x p o s i t i o n der klassischen Sonatenform zur Reife gelangt ist. Die darin hervortretenden Themengruppen (gemeiniglich >>Haupt-, Seiten- und Schluss-Satz<< genannt) sind niimlich im Grunde genommen nichts anderes als eine Konzentrierung von drei kernf"irmigen Strophen, die eine freie Reihe bilden. Es sind bloss die angrenzenden tberstollen und ein- leitenden Stollen zu Obergiingen zusammengeschmolzen. (Dabei ist der erste einleitende meist ausgelassen; aber der letzte ]tberstollen hat seinen regel- rechten Platz als >>Anhang<< behauptet). Da die Bezeichnung >>Satz<< eine vielfache und demgemaiss ungenaue Bedeu- tung bekommen hat, diirfte sie hier zu ersetzen sein, und zwar, wegen der Beziehung zur urspriinglichen KernfSrmigkeit der Gestaltung, mit: H a u p t- kern, Seitenkern, Schlusskern. Das Ganze einer Exposition kuinnte demgemaiss D r e i e r k e r n heissen.

65) Schubert, 20 Menuette: Dreierreihen in wohlgeordneter Folge der Tonarten (Schluss auf der DD, statt der T, zum Ausdruck >>gehobener<< Stimmung); Beethoven, Sonate op. 26 (Ass): Variationsreihe + 2 Dreierreihen + III Rondoform; op. 27 Nr. 1 (Ess): III Rondoform + Dreierreihe + IV Rondoform (letzte Kehrstrophe fehlt); Schumann, Humoreske: 3 Dreier- reihen + freie Reihe; Kreisleriana: 1 und 3-7 Dreierreihen, 2 und 8 Fiinferreihen; Novel- letten: 3 Dreierreihen + Zusatzreihe (mit motivischer Verwertung der vorigen).

6G) Schumann, Davidsbiindlertiinze und Carnaval (wobei als Voraussetzung fiir das einheit- liche Erfassen der Werke das Verstiindnis des einigermassen versteckten Programms erforder- lich ist, sogar eine genaue Kenntnis der tatsiichlichen Vorgeschichte).

67) Schumann, Impromptus op. 5: Variationsreihe + I Rondoform; etudes Symphoniques: Variationsreihe - II Rondoform; Papillons: freie Reihe + I Rondoform (mit gangartiger Zusatzstrophe); Beethoven, IX Symphonie, Finale: Variationsreihe (bis Alla Marcia 6/8) + III Rondoform (mit ausgebreiteter Zusatzstrophe).

68) Beethoven, Sonate op. 54 (F): II Rondoform + Neunerreihe.

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 35

Als freie Dreierreihe steht der Dreierkern zur allgemeinen bogenf6rmigen Dreierreihe in der Beziehung gegensiitzlich, dass der Schlusskern k eine

Wiederholung zum Hauptkern ergibt. Gerade hierin liegt der Keim zur Monu-

mentalitiit und Steigerungsfiihigkeit der Sonatenform. Die daraus entstehende

Auflockerung wird durch die charakteristischen Merkmale der >>Kerne<< reich- lich aufgewogen: die miinnliche Kraft im Hauptkern, die weibliche Lyrik im Seitenkern und der knabenhafte Schwung im Schlusskern (als >>verjiingte<< Miinnlichkeit eine gewisse Responsion des Charakters dem Hauptkern gegen- uber ergebend). Wenn ein gepaartes Gefiige aus zwei gleichen Dreierkernen sich aufbaut (unterschieden bloss durch tonartliche und sonstige nicht beeintriichtigende Anderungen), gleicht es einem >>Sonatensatz ohne Durchfiihrung<<.69) Die Konzentration des Dreierkerns wird nicht immer streng durchgefiihrt. Die Idee des Tonwerks verlangt gelegentlich die Ausweitung eines Kerns zu voller B o g en f i r m i g k e i t. Was hierdurch an Eindringlichkeit abge- schwiicht wird, liisst breiterer Stimmungswirkung mehr Raum. (Diese Aus- nahmen bestlitigen m. E. die hier aufgestellte Annahme vom dreistrophigen Ursprung des Dreierkerns). Ausnahmsweise wird ein gepaartes Gefiige zu v i e r g 1 i e d i g e r erweitert, indem beiden Reihen eine bogenfoirmige Strophe sich anfiigt.T0)

c. Bogenfi0rmiges Gefii g e.

Gleichwie die Reihe aus Strophen, liisst sich das Gefiige aus 3, 5 oder 7 Reihen aufbauen (Dreiergefiige, Fiinfergefiige, Siebenergefiige).

1. Dreiergefiige. Aus drei >>erweiterten Liedformen<< zusammengesetzt diirfte wohl kaum ein selbstaindiges Tonstiick vorkommen (A B A', C D C', A" B' A"'). Doch in Opern und Oratorien iilterer Gattung k6nnte der einigermassen befriedigende Zusammenhang (bei proportionierten tonartlichen Beziehungen und nebst re- zitativischen Obergiingen) aus einer diesbeziiglichen Gestaltung zu erkliiren sein. Durch Verwendung gepaarter und kernf irmiger Elemente in Strophen oder Reihen wird die Wirkung elastischer.71) Die weitaus gebraiuchlichste und zu griisster kiinstlerischer Bedeutung ge- langte Gestaltung des Dreiergefiiges ist die >>Sonatenform<< (als selbstiindiges

69) Schumann, Phantasie op. 17 (C) III (>Langsam getragen<) und Sonate (f) I; Sibelius, V Symphonie (Ess) I (ohne den angefiigten II Satz, Allegro moderato).

70) Schubert, Wanderer-Phantasie: Vorreihe (Allegro), Zwischenstrophe (Adagio), Nach- reihe (Presto), Zusatzstrophe (Allegro).

'71) Schubert, Impromptu op. 142 Nr. 4; Schumann, Novelletten 6; Chopin, Walzer op. 18 (Ess) und Polonaise-Phantasie op. 61.

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36 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

Tonstiick ha*ufig in K onz er t- und Opernu vert ii re n). Sie besteht eigentlich aus 3 Dreierkernen (Exposition, Durchfiihrung, Reprise). Doch er- scheint die Dreikernigkeit in der Durchfiihrung nur ausnahmsweise.7) In der Regel ist sie durch eine kernf irmige Reihe vertreten, seltener durch eine 2-

kernige.73) Eine A b a r t der Sonatenform entsteht, wenn anstatt der kernfiirmigen Durchfiihrung die mittlere Reihe sich bogenfoirmig (auch gangartig oder ge- paart) gestaltet. Trotz der Dreikernigkeit der beiden Eckreihen erhailt das Ganze hierdurch ein rondomiissiges Gepraige. Deshalb diirfte dafiir die Be- zeichnung als VI (bisjetzt V) R o n d o f o r m zutreffend sein. Diese Gestal-

tung ist in Finalsaitzen der Klassiker (und ihrer Epigonen) zu finden.7") Die Romantiker haben damit auch in selbstiindigen Tonwerken probiert.5)

2. Fiinfergefiige. Die Ausweitung des Gefiiges zu fiinf Reihen entsteht von selbst durch die

gem e i n s a m e Wi e d e r h olu n g der Durchfiihrung und Reprise, analog der entsprechenden Stollenwiederholung in einer Strophe. Dass ebenfalls die Exposition sich vorher wiederholt, entspricht der iiblichen Wiederholung des Hauptstollens in der Strophe und aindert nicht das Wesentliche der fiinfreihigen Gestaltung. Diese Art von Ausweitung war friiher allgemein iiblich und diente sicherlich dern Erfassen der als Neuheit auftretenden Formbildung des Dreier- kerns. Auch Beethoven hat nur ausnahmsweise das Wiederholungszeichen weg- gelassen, zu besonderem Hervorheben einer damit verbundenen dramatischen Spannung.

Eine reizvolle Art der Ausweitung hat Schubert verwendet, indem bei der Wiederholung die Nebenreihe in anderer Tonart auftritt, wobei die Kehrreihe sich auf den blossen Hauptkern beschriinkt.")

3. Siebenergefiige. Die Ausweitung zu sieben Reihen vollzieht sich so, dass zwischen zwei (haupt- saichlich aihnliche) Dreiergefiige eine M i t t e 1 r e i h e (oder Strophe) sich ein- fiigt;77) ein ganzes Gefiige an dieser Stelle wiirde wohl das Gleichgewicht der Komposition sehr gefaihrden. Im Z u s a t z g Ilie d (Coda) findet in der Regel eine Vertretung statt durch eine (meist kernfiirmige;) Strophe.

72) Beethoven, Sonate op. 106 (B) I; Chopin, Allegro de Concert op. 46. 73) > > op. 54 (f) I, sowie Symphonien I--III, V, IX (I Siitze). '74) > > op. 2 Nr. 1 (f) IV; Schumann, Phantasie op. 17 (C) I.

75) Chopin, Scherzo op. 31 (b), Phantasie op. 49. 76) Schubert, Impromptu op. 142 Nr. 1. 77) Chopin, Scherzo op. 54 (E); Beethoven, IX Symphonie (d) II; Schubert, Sonate 1 (a)

III; Brahms, Rhapsodie (h).

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Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung 37

d. Kernf irmiges Gefiige.

Die kernformige Gestalt des Gefiiges wird dadurch erzielt, dass die m i t t 1 e r e Reihe das motivische Hauptgewicht erhailt und die Eckreihen in einleitendem und abschliessendem Charakter gestaltet sind. Beispiele lassen sich in Biihnen- werken auffinden, im Anschluss an demgemaisse Entfaltung der dramatischen

Lage.7s)

V. ZYKLUS

Fiir den Eindruck der im Zyklus zu erreichenden hSheren Baustufe geniigt das Vorhandensein der Gefiigenform (namentlich der Sonatenform) in e i n e m der Siitze, vor allem im I Satz (H a u p t s a t z). Durch Beteiligung auch des K e h r s a t z e s daran wird die monumentale Wirkung wesentlich gesteigert. Die Ausdehnung des Gefiigenbaus auf die Mittelsaitze (Ne be ns a tz, Z w i s c h e n s a t z) fiihrt zwar zur Vertiefung der Stimmungen, aber auch zur Hemmnis der Leichtfasslichkeit. Das Prinzip der V e r t r e t u n g (durch Reihen, seltener durch blosse Strophen) findet demnach von dieser Baustufe an eine immer vermehrte Erfordernis und Berechtigung.

a. Ein g a n g a r t i g e r Zyklus mit lauter Gliedern in Gefiigeform ist nir- gends vorhanden. Aber Folgen von frei an einander sich schliessenden Ton- werken, von denen wenigstens e i n e s ein Gefiige ist, kSnnen in wohldurch- dachten Konzertprogrammen vorkommen (z. B. beginnend mit einer Uvertiire in Sonatenform) und somit die Wirkung eines einheitlichen Zyklus hinter- lassen.

b. Als g e p a a r t e Zyklen sind einige Sonaten Beethovens anzufiihren, in welchen nebst einem Satz in Sonatenform bloss noch einer in anderer Bauart sich vorfindet.79) Ebenfalls Schuberts >>unvollendete<< Symphonie (h).

c. Die Grundform des b o g e n f 0 rm i g e n Zyklus entha*lt d r e i Saitzeso) (D r e i e r z y k 1 u s), die in Zeitmass, Taktart und Tonart einander verwandt- schaftlich oder gleich gegeniiberstehen (z. B. Allegro, Adagio, Finale). Sie be- reichert sich durch Einschieben eines ii b e r z i h 1 i g e n und in der Regel leichter aufgebauten Satzes (Menuett, Scherzo) entweder v o r oder n a c h dem Nebensatz oder auch an b e i d e n Stellensl) (in der Praxis allerdings meist nach demselben, als Vorbereitung und UVbergang zum Finale). Als tatsaichlicher F ii n f e r z y k 1 u s diirfte allenfalls derjenige gelten, wo z w e i Nebensaitze durch einen Zwischensatz verbunden sind.82)

7s) Puccini, >Butterfly<, Finale des I Aktes. 79) Beethoven, Sonaten op. 78 (Fiss), op. 90 (e) und op. 111 (c). so) Die vielfach verwirrend angewendete Bezeichnung >Satz< steht hier fiiglich am rechten

Platz, als Unterteilung des Zyklus (vgl. das vorhin iiber Stollen und Ges~itz gesagte). 81) Beethoven, Quartett op. 132 (a). 82) > > op. 18 Nr. 6 (B); Schumann, Faschingschwank (Sonatenform im

Finale).

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38 Einheitliche Grundziige musikalischer Formgebung

d. Der k e r n f 0 r m i g e Zyklus ist eine Seltenheit.83) Das motivische Haupt- gewicht faillt dem mittleren Satze zu, wobei die iibrigen den Charakter eines einleitenden und zugesetzten annehmen. Eine Sonderart bildet der u n u n t e r b r o c h e n e Zyklus, worin die Siitze durch Uberglinge (oder andere Mittel) in einander iibergleiten.84) Dies kann auch teilweise stattfinden, insbesondere zu steigernder Vorbereitung des Finale.") Zu vollster Wirkung gelangt diese Verkettung der Siitze in dramatischen Ton- werken, wie sie Wagner zuerst in seinem ,>Lohengrin<< folgerichtig zur Ge-

staltung gebracht hat. Jeder A k t entspricht niimlich einem ununterbrochenem Zyklus, mit dem einzigen Unterschied, dass die Sonatenform (die in ihrer Be- stimmtheit sich schwer zu dramatischer Handlung einfiigt) n i c h t vorkommt und trotzdem die monumentale Wirkung eines Zyklus erlangt ist.

VI. VOLLWERK

a. G a n g a r t i g e Vollwerke konnen gelegentlich in Konzertprogrammen hergestellt werden (z. B. als Folge von 3 Klavierkonzerten eines Jubilars).

b. Als g e p a a r t e Vollwerke ko*nnte die Matthiiuspassion von Bach gelten. deren ungekiirzte Auffiihrung (mit Ausnahme einer einzigen Arie) in zwei getrennten Abschnitten (mit Zwischenpause von 3-4 Stunden), in der Leip- ziger Thomaskirche, zu meinen ergreifendsten Erlebnissen gehoirt. Eine b a r f i r m i g e Ausweitung dieser Form besteht in Wagners >>Meister- singer<<.

c. Bogenformige Vollwerke sind Wagners >>Lohengrin<< und Puccinis >>Butter.

fly<, wahrscheinlich auch manche andere Biihnenwerke.

d. Fiir k e r n f o rm i g e Vollwerke liefern den Beleg Wagners >>Parzifal<< und Pfitzners >>Palestrina<<.

VII. VOLLWERKSFOLGE

Ausser den antiken Grossmeistern der Tragoidie (und ihrer Musik), Aiskylos und Sofokles, hat in der Neuzeit als erster Richard Wagner sich die Aufgabe gesetzt, eine Folge von Vollwerken, als einheitliches >>Biihnenfestspiel<<, zur Trilogie, bez. Tetralogie, organisch zu verbinden. Die hierbei hervortretenden mannigfachen Kombinationen von Bauarten innerhalb der verschiedenen Bau- stufen beschrlinkt sich keinesfalls auf die bloss formale Vielseitigkeit im Auf- bau des Tonwerks. Die Charaktereigenschaften der gangartigen, gepaarten, bogen- und kernfirmigen Gestaltungen verleihen den jeweilig wechselnden oder

83) Sonate op. 109 (E); Schumann, Phantasie op. 17; Puccini, >Butterfly<<, III Akt.

84) Klavier- und Violinkonzerte von Liszt und Pfitzner. 85) Beethoven, V und VI Symphonie.

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zusammenwirkenden epischen, lyrischen und dramatischen Stimmungen und ihren unendlichen Kreuzungen den notigen festen Untergrund, worauf alle

iibrigen musikalischen Kunstmittel sich allseitig beziehen.

VIII. SCHLUSSWORT

Ob es noch weitere hohere Baustufen gibt oder geben kann, auf dem Grunde der hier angefiihrten? - etwa als eine iiber liingere Zeitraume verteilte Vor-

fiihrung der Hauptwerke eines Tondichters oder einer Epoche? - Die Zu- kunft moge die Frage beantworten. Alles vorhergehende aber maichte nun als ein >>Vorschlag zur Giite<< angesehen sein, nebst der Bitte um Kritik des zu ergainzenden oder zu berichtigenden. Jedenfalls steht zu hoffen, dass die Notwendigkeit einer einheitlichen Durch-

fiihrung des hier behandelten Gegenstandes anerkannt werden kann. Das

wiirde m. E. nicht bloss zum Besten einer eingehenden musikalischen Analyse dienen, sondern auch schaffenden Tonkiinstlern behilflich sein, den Blick auf die architektonischen Kunstmittel der Musik zu erweitern und zu vertiefen. Eine vielseitigere Bewertung derselben diirfte aber in unserer Zeit des Suchens ein gesundes Gegengewicht zu dem vielfach iiberwuchernden Anarchismus der Tonwelt verleihen.

Die >Opella ecclesiastica<< des Joseph Anton Planicky (1691?-1732), eine Studie zur Geschichte der katholischen Solomotette im Mittel- und Hochbarock

Camillo Schoenbaum (Kopenhagen)

Einleitung. In den letzten drei Jahrzehnten ist ein immer wachsendes Interesse der Mu- sikwissenschaft fiir die konzertante und symphonische katholische Kirchen- musik des 17. u. 18. Jh. zu beobachten. Die Zeit der unversShnlichen Stellung- nahme caecilianisch orientierter Kreise, wie sie noch durch Griesbacher') re-

priisentiert wird, scheint einer objektiveren, mehr auf den musikalischen Wert ausgerichteten gewichen zu sein. Einzelstudien und historische Vtberblicke

1) Griesbacher: Kirchenmusikalische Stilistik und Formenlehre, I, 1919.

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