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Special 18 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 Die Wirkung von Arzneimitteln im Organismus ist ein komplexer Vorgang. Um einen suffizi- enten Einsatz zu gewährleisten, sind Kenntnisse der Pharmakodynamik und der Pharmakokinetik der entsprechenden Substanz unerlässlich. Die sichere und optimale Therapie hängt entschei- dend von der richtigen Indikationsstellung, der adäquaten Dosierung sowie der Beachtung von Invasion (Resorption, Verteilung) und Elimination (Biotransformation und Ausscheidung) ab. Bei Unterdosierung werden die notwendigen thera- peutischen Wirkspiegel nicht erreicht. Bei Über- dosierung gelangt man in den toxischen Bereich mit den entsprechenden Nebenwirkungen; dies gilt es unbedingt zu vermeiden. Je enger die therapeutische Breite eines Pharmakons ist, desto wichtiger werden diese Gesichtspunkte. Die Elimination eines Arznei- mittels kann unverändert oder nach entsprechen- der Biotransformation erfolgen (Abb. 1). Das wesentliche Organ für die Biotransformation ist die Leber. Hier werden die Substanzen durch Phase-I- oder -II-Reaktionen in eine ausschei- dungsfähigere Form überführt. Während die Phase-I-Reaktion durch oxidative, reduktive oder hydrolytische Prozesse charakterisiert ist, werden die Substanzen in der Phase-II-Reaktion durch Konjugation in eine besser eliminierbare Form umgewandelt. Die Phase-II-Reaktion kann im Anschluss an die Phase-I-Reaktion erfolgen. Die wichtigsten Eliminationsorgane des Orga- nismus sind Leber und Nieren. Bei Schädigung dieser Organe kann es zur verminderten Aus- scheidung und damit zur Kumulation bei wieder- holter Arzneimittelapplikation kommen. Durch Kumulation besteht die Gefahr gravierender, zum Teil vital bedrohlicher Nebenwirkungen. Um diese zu vermeiden, ist es wichtig, die Dosis rechtzeitig anzupassen und, wenn möglich, bei Patienten mit eingeschränkter Funktion der Eliminationsorgane ein Monitoring des entspre- chenden Pharmakons durchzuführen. Einsatz von niedermolekularen Heparinen bei Niereninsuffizienz HELMUT SCHINZEL, JOHANNES-GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ, II. MEDIZINISCHE KLINIK UND POLIKLINIK Abbildung 1: Eliminationswege von pharmakologischen Substanzen unverändert Ausscheidung Phase-I-Reaktion Phase-II-Reaktion Biotransformation

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Special

18 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12

Die Wirkung von Arzneimitteln im Organismus ist ein komplexer Vorgang. Um einen suffizi-enten Einsatz zu gewährleisten, sind Kenntnisse der Pharmakodynamik und der Pharmakokinetik der entsprechenden Substanz unerlässlich. Die sichere und optimale Therapie hängt entschei-dend von der richtigen Indikationsstellung, der adäquaten Dosierung sowie der Beachtung von Invasion (Resorption, Verteilung) und Elimination (Biotransformation und Ausscheidung) ab. Bei Unterdosierung werden die notwendigen thera-peutischen Wirkspiegel nicht erreicht. Bei Über-dosierung gelangt man in den toxischen Bereich mit den entsprechenden Neben wirkun gen; dies gilt es unbedingt zu vermeiden.

Je enger die therapeutische Breite eines Pharma kons ist, desto wichtiger werden diese Gesichts punkte. Die Elimination eines Arznei-mittels kann unverändert oder nach entsprechen-der Bio trans formation erfolgen (Abb. 1). Das wesent liche Organ für die Biotransformation ist die Leber. Hier werden die Substanzen durch Phase-I- oder -II-Reaktionen in eine aus schei-dungs fähigere Form überführt. Während die Phase-I-Reaktion durch oxidative, reduktive oder hydro lytische Prozesse charakterisiert ist, werden die Sub stanzen in der Phase-II-Reaktion durch Konju gation in eine besser eliminierbare Form umgewandelt. Die Phase-II-Reaktion kann im An schluss an die Phase-I-Reaktion erfolgen.

Die wichtigsten Eliminationsorgane des Orga-nismus sind Leber und Nieren. Bei Schädi gung dieser Organe kann es zur verminderten Aus-scheidung und damit zur Kumulation bei wieder-holter Arzneimittelapplikation kommen. Durch Kumulation besteht die Gefahr gravierender, zum Teil vital bedrohlicher Nebenwirkungen. Um diese zu vermeiden, ist es wichtig, die Dosis recht zeitig anzupassen und, wenn möglich, bei Patienten mit eingeschränkter Funktion der Eliminationsorgane ein Monitoring des entspre-chenden Pharmakons durchzuführen.

Einsatz von niedermolekularen Heparinen bei NiereninsuffizienzHELMUT SCHINZEL, JOHANNES-GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ, II. MEDIZINISCHE KLINIK UND POLIKLINIK

Abbildung 1: Eliminationswege von pharmakologischen

Substanzen

unverändert

Ausscheidung

Phase-I-Reaktion Phase-II-Reaktion

Biotransformation

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VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 19

Elimination von unfraktionierten und nieder-molekularen Heparinen

Es stellt sich eine Reihe von Fragen:

- Bestehen prinzipielle Unterschiede zwischen den Substanzklassen niedermolekulare (NMH) und unfraktionierte Heparine (UFH)?

- Welchen Eliminationsmechanismen unterliegen Heparine?

- Sind die NMH gleich oder gibt es relevante präparatespezifische Unterschiede?

- Ab welchem Grad der Niereninsuffizienz ist mit Kumulation zu rechnen?

- Ist die Kumulation mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden?

- Wann ist eine Dosisadaptierung indiziert?

- Sind fixe Dosisreduktionsschemata zur Verhinderung von Komplikationen geeignet?

- Kann man mit dem Anti-Xa-Monitoring Komplikationen verhindern (Blutungen durch Überdosierung; Thromboembolien durch Unterdosierung)?

Während bei den UFH die Leber die wesentliche Rolle bei der Elimination spielt, ist bei den NMH die renale Ausscheidung wichtiger [4, 6, 11, 13, 14, 24, 34, 36]. Unfraktionierte Heparine be-sitzen ein mittleres Molekulargewicht von ca. 12.000 bis 15.000 Dalton, niedermolekulare Heparine haben ein mittleres Molekulargewicht von ca. 3.000 bis 7.000 Dalton [12]. Sowohl UFH als auch NMH sind biologische Substanzen, die aus Schweinedarmmukosa gewonnen wer-den. NMH werden aus den UFH durch chemi-sche oder enzymatische Depolymerisation herge-stellt.

Der unterschiedliche Herstellungsprozess der NMH führt zu Präparaten, die sich sowohl struk-turell als auch durch ihre Molekulargewichtsver-teilung unterscheiden. Dies hat eine nachhaltige Wirkung auf die einzelnen Substanzen bezüglich pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Eigenschaften. So ist die Anti-Faktor-Xa/Anti-Faktor-IIa-Ratio deutlich unterschiedlich (Tab. 1). Die NMH sind zwar eine Substanzklasse, die ein-zelnen Präparate jedoch unterschiedlich und damit nicht gegeneinander austauschbar. Dies zeigt sich auch an den unterschiedlichen Dosie-rungsempfehlungen der Hersteller sowohl für die Prophylaxe- wie auch die therapeutische Dosierung. Den Unterschieden wird insbeson-de re aus pharmakoökonomischen Gesichts- punk ten oft nur unzureichend Rechnung getra-gen.

Der unterschiedliche

Herstellungsprozess der NMH

führt zu Präparaten, die sich

sowohl strukturell als auch

durch ihre Molekulargewichts-

verteilung unterscheiden.

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20 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12

Wirkungsmechanismen der Heparine

Die gerinnungshemmende Wirkung von NMH und UFH beruht auf ihrer Bindungsfähigkeit an den wichtigsten Inhibitor der endoplasmatischen Blutgerinnung, dem Antithrombin (AT).

Antithrombin inaktiviert aktivierte Gerinn ungs-faktoren mit einer besonders hohen Affinität zu Faktor Xa und Faktor IIa (Thrombin) (Abb. 2). In Gegenwart von Heparinen wird diese Inakti-vierung beschleunigt. NMH und UFH führen durch eine reversible Bindung an AT zu einer Konformationsänderung des Antithrombin-Moleküls. Dadurch kann AT aktivierte Gerinnungs -faktoren um ein Vielfaches schneller abfangen. Das bedeutet also: Die Heparine wirken bei die-sem Vorgang als Reaktionsbe schleuniger (Katalysatoren) [20, 28].

Die Unterschiede zwischen UFH und NMH sind strukturell bedingt. Heparine sind chemisch Mukopolysaccharide. Um beim Antithrombin-Molekül eine Konformationsänderung zu errei-chen und somit Thrombin (Faktor IIa) zu hem-men, ist eine Monosaccharidsequenz von min destens 18 Zuckereinheiten erforderlich. Für die Inaktivierung von Faktor Xa benötigt man eine Sequenz von fünf Monosaccharideinheiten. Nicht alle NMH-Moleküle sind lang genug, um Thrombin zu inhibieren. Damit erklärt sich der pharmakodynamische Unterschied zwischen den UFH und NMH und auf Grund der divergenten Kettenlängen der einzelnen NMH-Präparate auch deren unterschiedliche Anti-Faktor-Xa/Anti-Faktor-IIa-Ratio [14, 20, 28, 45].

Substanz Handelsname(Hersteller)

Herstellungs-verfahren

Mittleres Mole kular-gewicht (D)

Anti-Xa/IIa-Ratio

Certoparin Mono-Embolex®

(Novartis)Isoamylnitrat-Spaltung

4.200 – 6.200 2,2

Dalteparin Fragmin®

(Pfizer)Nitrit-Spaltung 5.600 – 6.400 2,5

Enoxaparin Clexane®

(Sanofi-Aventis)Benzylierung und alkalische Depolymerisation

3.500 – 5.500 3,6

Nadroparin Fraxiparin®

(GlaxoSmithKline)Nitrit-Spaltung 4.200 – 4.800 3,2

Reviparin Clivarin®

(Abbott)Nitrit-Spaltung 3.150 – 5.150 3,5

Tinzaparin Innohep®

(LEO, ZLB-Behring)Heparinase-Spaltung 5.800 – 6.750 1,9

Tabelle 1: Herstellungsweise und Eigenschaften der in

Deutschland zugelassenen niedermolekularen Heparine

HELMUT SCHINZEL, JOHANNES-GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ, II. MEDIZINISCHE KLINIK UND POLIKLINIK

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VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 21

Während bei den UFH die Ratio 1:1 beträgt, ist sie bei den NMH zugunsten der Anti-Xa-Wir-kung verschoben. Aus diesen unterschiedlichen Ratios ergibt sich eine wichtige Konsequenz für das Monitoring: Die unfraktionierten Heparine werden mittels der aktivierten partiellen Throm-bo plastinzeit (aPTT) gesteu ert. Dieser Parameter ist für die niedermolekularen Heparine ungeeig-net. Eine direkte Messung der NMH-Konzen-tration kann nur mit großem Aufwand erfolgen und ist deshalb nicht alltags tauglich. Als biologi-scher Surrogat- und damit als Monitoring para-meter dient die Anti-Faktor-Xa-Aktivität (aXa) [12, 13, 14, 20]. Nur bei deutlicher Überdosie-rung der NMH ist die aPTT relevant verlängert.

Niedermolekulare Heparine binden im Vergleich zu UFH weniger ausgeprägt an Plasmaproteine sowie an das Endothel und an Makrophagen. Sie weisen eine deutlich bessere Bioverfügbarkeit nach subkutaner Applikation auf (NMH > 90 %; UFH 10 bis 30 %). Die Halbwertszeit von NMH ist etwa doppelt so lang wie die von UFH, wobei es deutliche Unterschiede zwischen den einzel-nen NMH-Präparaten gibt [11, 14, 33, 39, 45].

Die günstigere Pharmakodynamik und insbe-sondere die günstigere Pharmakokinetik haben dazu geführt, dass die NMH in der Thrombo-embolieprophylaxe und auch in der venösen Thrombo embolietherapie die UFH sowohl im chirurgischen als auch im konservativen Bereich weitgehend verdrängt haben. Durch ihre deut-lich bessere Bioverfügbarkeit nach subkutaner Appli kation weisen die NMH neben der besser kalkulierbaren Wirkung auch eine geringere interindividuelle Variabilität auf, was zu einer höheren Therapiesicherheit führt.

Auf ein generelles Labormonitoring unter NMH kann man verzichten. Dies gilt auch für die the-rapeutische körpergewichtsadaptierte Dosierung. Da die Niere das wichtigste Eliminationsorgan für NMH darstellt, besteht bei deutlich einge-schränkter Nierenfunktion Kumulationsgefahr und damit verbunden ein erhöhtes Blutungs-risiko. Leider korrelieren die Anti-Faktor-Xa-Spitzenspiegel nicht streng mit dem klinischen Outcome oder mit den Blutungskomplikationen der Patienten, so dass ihre Bestimmung genau genommen nur die Kumulation anzeigt, jedoch nicht das zu erwartende Nebenwirkungsrisiko [1, 13, 25].

Die Anti-Xa-Bestimmung ist daher nur in speziellen Situationen indiziert, z. B. bei NMH-Appli ka tion bei Neugeborenen, Kindern und Schwan geren, bei Patienten mit niedrigem oder hohem Körpergewicht (< 50 kg, > 150 kg), bei schwerer Niereninsuffizienz, bei Blutungs kompli-kationen sowie bei therapeutischer intravenöser NMH-Gabe. Dabei ist darauf zu achten, dass der Anti-Xa-Spiegel 3,5 bis 4 Stunden nach der subkutanen Applikation ermittelt werden muss, um den maximalen Plasmaspiegel zu erfassen.

Während bei den UFH die

Ratio 1:1 beträgt, ist sie bei

den NMH zugunsten der

Anti-Xa-Wir kung verscho-

ben.

Die günstigere Pharmako-

dynamik und insbesondere

die günstigere Pharmakokine-

tik haben dazu geführt, dass

die NMH in der Thrombo-

embolieprophylaxe und auch

in der venösen Thrombo-

embolietherapie die UFH so-

wohl im chirurgischen als

auch im konservativen Bereich

weitgehend verdrängt haben.

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22 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12

Bestimmung bzw. Abschätzung der Nierenfunktion

Die Nierenfunktion kann durch prärenale, renale und postrenale Ursachen eingeschränkt sein, z. B. durch ungenügende Flüssigkeitszufuhr, Er -kran kungen der Nieren selbst (auch toxische Nieren schädigung) und durch renale Abflussbe-hin derungen (Nierenaufstau). Im Alter nimmt die Nierenfunktion physiologischerweise ab und erreicht bei 80-Jährigen nur noch ca. 50 % der Norm.

Wodurch lässt sich die Nierenfunktion beschreiben?

Die Nierenfunktion wird am besten durch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beschrieben. Die GFR ist das Gesamtvolumen des Primärharns, der von allen Glomeruli beider Nieren in einer definierten Zeiteinheit produziert wird. Leider lässt sich die GFR nur mit aufwendigen Metho-den bestimmen und ist damit für die klinische Routine nicht geeignet. Zwischen dem Plasma-kreatinin und der GFR besteht kein linearer Zusammenhang, so dass die Plasmakreatinin-bestimmung nur sehr unzureichend die Nieren-funktion repräsentiert. Verantwortlich hierfür ist vor allem, dass der Serumkreatininspiegel nicht nur von der Nierenfunktion alleine abhängt, sondern auch noch von der Kreatininbildungs-rate in der Muskulatur. Durch die Abnahme der Muskel masse besonders bei älteren Patienten kann sich hinter einem normalen Serumkreatinin-wert be reits eine deutliche Nierenfunktionsein-schränkung verbergen. Erfahrungsgemäß steigt der Serumkreatininwert erst bei einer Abnahme der Nierenfunktion von > 50 % an. Dies ist eine unbefriedigende Situation.

Um die Nierenfunktion abzuschätzen, kann die endogene Kreatinin-Clearance (CrCl) mit der Sammelurinmethode herangezogen werden. Unerlässliche Voraussetzung hierbei ist, dass der Patient sorgfältig den Urin sammelt. Dies ist aber nicht immer gewährleistet und schränkt die Aussagekraft oft deutlich ein.

HELMUT SCHINZEL, JOHANNES-GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ, II. MEDIZINISCHE KLINIK UND POLIKLINIK

Abbildung 2: Angriffspunkte der Antikoagulanzien im

Gerinnungssystem

FXa

intrinsisch

Pentasaccharid (AT)

Hirudin

Argatroban

Bivalirudin

extrinsisch

Danaparoid (AT)

NMH (AT)

UFH (AT)

HCo II-Dermatansulfat

Thrombin

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VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 23

Um einfacher an Informationen über den Funk-tions zustand der Nieren zu gelangen, wurde eine Reihe von Formeln zur Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) oder der Kreatinin-Clearance (CrCl) entwickelt. Eine der wichtigsten und relativ einfachsten Formeln stellt die Cockcroft-Gault-Formel dar (Abb. 3) [9]. Die GFR lässt sich auch aus der Kreatinin-Clearance durch Multiplikation mit 0,81 berechnen. Zur Nierenfunktionsabschätzung stehen noch ver-schiedene andere Formeln wie z. B. die MDRD- oder Mayo klinik-Formeln zur Verfügung, die im Ver gleich zur Cockcroft-Gault-Formel genauer sein sollen, jedoch komplizierter in der Anwen-dung sind [26, 29, 38]. Die MDRD-Formel von LEVY, BOSCH UND LEWIS, 1999 [26], wird der-zeit von der National Kidney Foundation zur Nierenfunktionsabschätzung empfohlen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass die MDRD-Formel im hohen GFR-Bereich die tatsächliche GFR unterschätzt. Auch hat die Formel eventuell Schwächen bei extrem unter- oder übergewich-tigen Patien ten. Bei Schwangeren und Kindern wurde die Aussagekraft dieser Formel noch nicht hinreichend untersucht.

Möglicherweise bietet in Zukunft die Be stim-mung des Cystatin C eine gute Alternative zur Abschätzung der Nierenfunktion. Das Cystatin C fällt im Zellstoffwechsel an und ist unabhängig vom Alter, der Muskelmasse und dem Ge schlecht. Die Substanz wird rein glomerulär ausgeschie-den. Der Cystatinspiegel ist damit aussagekräfti-ger als der des Serumkreatinins. Diese Messung hat jedoch bislang noch keinen breiten Eingang in den klinischen Alltag zur Nierenfunktionsab-schätzung gefunden. Die Nieren insuffi zienz wird nach den praktischen Richtlinien der National Kidney Foundation in fünf Stadien gemäß Tabelle 2 eingeteilt [32].

Warum liegen nur wenige Daten zu niedermolekularen Heparinen und Niereninsuffizienz vor?

Bei den großen randomisierten Thrombose-studien und bei den Studien zum akuten Koro-nar syndrom waren Patienten mit Niereninsuffi-zienz explizit ausgeschlossen. Auf Grund der pharmakokinetischen Unterschiede sind die Daten eines speziellen NMHs nicht auf die ande-ren übertragbar, so dass jede einzelne Substanz untersucht werden muss. Es wurde eine Reihe pharmakologischer Studien mit einer Single-dose-Applikation (intravenös bzw. subkutan) durchgeführt [5, 7, 15, 16, 19, 24, 42]. Hierbei wurden die Maximalkonzentrationen und das Verteilungsvolumen bestimmt und die Daten von niereninsuffizienten Patienten mit den Daten von gesunden Probanden verglichen. Dabei zeigte sich zwar kein Unterschied in der Maximal-konzentration und im Verteilungsvolumen; abhängig vom Schweregrad der Niereninsuffi-zienz ergab sich aber eine Zunahme der AUC (area under the curve) und der Eliminationshalb-wertszeit [14, 16].

Cockcroft-Gault-Formel

Kreatinin-Clearance (ml/min) = (140-Alter) x Gewicht x FG

Serumkreatininkonz. x 72

*FG = Faktor Geschlecht: Frauen = 0,85; Männer = 1

Abbildung 3: Abschätzung der Nierenfunktion

nach der Cockcroft-Gault-Formel

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Special

24 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12

STÖBE et al. applizierten einen einmaligen Bolus von 50 I.E. Dalteparin/kg Körpergewicht intra-venös bei Patienten mit moderater bis schwerer Niereninsuffizienz (CrCl: 13,1 bis 56,5 ml/min), bei Hämodialysepatienten und bei nierengesun-den Kontrollprobanden [42]. Bei den Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bzw. bei den Hämodialysepatienten war die Anti-Xa-Clearance signifikant eingeschränkt im Vergleich zur Kon-troll gruppe. Die Anti-Xa-Elimination erfolgte in allen drei Gruppen gemäß einer Kinetik 1. Ord-nung. Bei den gesunden Probanden normalisier-ten sich die Anti-Xa-Werte nach acht Stun den. In den beiden anderen Versuchs gruppen dauerte dies mit zehn bis 14 Stunden signifikant länger. Die Eliminationshalbwertszeit war jedoch ledig-lich um 0,5 Stunden (1,3 Std. vs. 1,8 Std.) ver-längert.

Die Clearance der Anti-IIa-Aktivität erfolg te eben-falls nach einer Kinetik 1. Ordnung. Die Anti-IIa-Aktivität normalisierte sich beim Kontroll kollektiv innerhalb von fünf Stunden, bei den Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bzw. bei den Hämodialyse patien ten innerhalb von acht bzw. zehn Stunden.

Entscheidend für den Kliniker sind jedoch nicht die Daten zur Single-dose-Applikation, sondern die Daten bei wiederholter Gabe. Eine richtungs-weisende Arbeit wurde hierzu von SANDERINK et al. mit Enoxaparin in der Hochrisiko-Prophy-laxe dosierung (40 mg s.c./Tag) durchgeführt [37]. Es wurden vier Kollektive mit jeweils zwölf Patienten und unterschiedlicher Nierenfunktion gebildet:

- Gesunde mit einer CrCl > 80 ml/min - leichte Niereninsuffizienz mit CrCl 50 bis

80 ml / min - mittlere Niereninsuffizienz mit CrCl 30 bis

50 ml / min - schwere Niereninsuffizienz < 30 ml / min

In der Studie wurden jeweils die Anti-Xa-Spitzen- und Talspiegel bestimmt und das Kumu-lationsverhalten über eine Zeitspanne von ins-gesamt vier Tagen untersucht. Bei den Pa tien ten mit gering- und mittelgradiger Nierenfunktions-einschränkung zeigte sich kein relevanter Anstieg der Anti-Xa-Spiegel. Die AUC stieg bei diesen beiden Kollektiven im Vergleich zu den Nieren gesunden lediglich um 20 bzw. 21 % an. Bei den Patienten mit schwerer Nieren insuffi-zienz dagegen war der maximale Anti-Xa-Spiegel signifikant erhöht, auch die AUC stieg um 65 % an. Dies zeigt ein signifikantes Kumu-lationsverhalten bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz im Vergleich zu Gesunden an (p=0,0001) (Abb.4).

Stadium der Nieren insuffi zienz

Charakterisierung (GFR ml/min/1,73 m2)

I: > 90 normale oder erhöhte GFR

II: 60-89 geringgradige Funktionseinschränkung

III: 30-59 moderate Funktionseinschränkung

IV: 15-29 schwere Funktionseinschränkung

V: < 15 Nierenversagen

Tabelle 2: Stadieneinteilung der Nierenfunktion nach der

National Kidney Foundation [32]

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VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 25

Die Eliminationshalbwertszeit verlängerte sich mit zunehmender Niereninsuffizienz und betrug bei schwerer Niereninsuffizienz (CrCl < 30 ml/min) 15,9 Stunden (Normalkollektiv 6,87 Stunden) (Abb.5). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass bei milder und moderater Nieren-insuffizienz keine Dosisadjustierung notwendig ist, jedoch bei Patienten mit schwerer Nieren-insuffizienz eine solche vorgenommen werden muss.

In einer retrospektiven Analyse von 620 Patien-ten mit Niereninsuffizienz (CrCl < 60 ml/min) unter therapeutisch intravenöser UFH-Applika-tion versus gewichtsadaptierter subkutaner NMH-Gabe (Enoxaparin) war die Rate schwerer Blutungen mit 26,3 versus 20,7 pro 1.000 Patien-tentagen vergleichbar. Die Inzidenz schwerer Blutungen nahm mit dem Grad der Nierenfunk-tionseinschränkung sowohl unter UFH als auch unter NMH zu [43].

Obwohl in den großen kardiologischen Studien zum akuten Koronarsyndrom die Niereninsuffi-zienz ein Ausschlusskriterium darstellte, wurden trotzdem einige Patienten mit schwerer Nieren-funktionsstörung (CrCl < 30 ml/min) einge-schlossen und ausgewertet [10]. Schwere Blutun-gen traten bei diesen Patienten unter UFH in 7 % und unter NMH (Enoxaparin) in 14 % der Fälle auf. Im Gesamtkollektiv betrug die Rate schwerer Blutungen 6,7 % (UFH = 7 %; NMH = 6,5 %).

Ein anderes Bild ergab eine Metaanalyse der ESSENCE- und der TIMI-11B-Studien bezüglich der Subgruppen (n= 139) mit Nierenversagen. Der Grad der Nierenfunktionseinschränkung war in den Behandlungskollektiven gleich (UFH: CrCl 25,3 +/- 4,4 ml/min; Enoxaparin: 24,8 +/-5,1 ml/min). Es zeigten sich in beiden Patientengruppen signifikant mehr schwere Blutungen im Vergleich zu den Nierengesunden [41]. Unterschiede zwi-schen UFH und NMH wurden nicht beobachtet.

Insgesamt ergaben die Untersuchungen zu Enoxaparin, dass bei Patienten mit eingeschränk-ter Nierenfunktion sowohl die Einzel- als auch die Mehrfachapplikationen zu einer verlangsam-ten Ausscheidung führen [2, 3, 7, 8, 17, 21, 22, 37].

60

40

20

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gesund > 80 milde 50–80

20

moderate 30–50

21

schwere < 30

65

Niereninsuffizienz / Kreatinin-Clearance ml / min

Abbildung 4: Kumulationsverhalten von Enoxaparin in

der Hochrisiko-Prophylaxedosierung (40 mg s.c./Tag) in

Abhängigkeit von der Nierenfunktion

Abbildung 5: Halbwertszeiten von Enoxaparin

(40 mg s.c./Tag) in Abhängigkeit von der Nierenfunktion

Eliminationshalbwertszeit in Stunden

6,87 Std.

gesund

9,94 Std.

milde

11,3 Std.

moderate Niereninsuffizienz

15,9 Std.

schwere

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26 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12

Pharmakologische Unterschiede der verschiedenen niedermolekularen Heparine

In Tabelle 1 sind die in Deutschland verfüg-baren niedermolekularen Heparine aufgeführt. Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die einzelnen niedermolekularen Heparine in ihrem Her stellungsverfahren, ihrem mittleren Mole-kulargewicht und auch in der Intensität ihres Einflusses auf das Gerinnungssystem (Anti-Xa/IIa-Ratio). Während die Anti-Xa/IIa-Ratio bei den unfraktionierten Heparinen 1:1 beträgt, liegt sie bei den NMH zwischen 1,9 bis 3,6. Die Ratio ist abhängig von der Molekulargewichtsver tei-lung der Substanz, d.h. je geringer das Mole kular-gewicht, desto stärker die Faktor-Xa-inhibieren de Wirkung des entsprechenden Präparats (Abb.6).

Auch die renale Ausscheidung der NMH hängt entscheidend vom Molekulargewicht ab [3, 16, 23, 30, 31, 33, 39]. Hierbei gilt: je länger die Kettenlänge des Heparinmoleküls, desto gerin-ger die renale Elimination (Abb. 7). Dies bedeu-tet, dass die NMH mit einer niedrigeren Moleku-largewichtsverteilung zu stärkerer Kumulation bei Niereninsuffizienz führen. Eine stärkere Ku-mu lation birgt ein erhöhtes Risiko von Blutungs-komplikationen. Die Kumulationsgefahr ist dabei nicht nur vom Grad der Niereninsuffizienz ab -hängig, sondern auch von der repetitiv applizier-ten Dosis und wahrscheinlich auch von der Dauer der Medikation. Die Datenlage diesbezüg-lich ist derzeit noch begrenzt. Untersuchungen für jedes einzelne Präparat sind notwendig.

Es ist bislang nicht klar belegt, wie wertvoll die Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität ist und ins besondere ab welchen Anti-Xa-Spiegeln man mit einer Blutung rechnen muss. Eigene Erfahrungen haben gezeigt, dass bei Anti-Xa-Spiegeln > 1,5 I.E./l vermehrt Blutungen auftre-ten und eine Dosis reduktion erforderlich ist.

Ein besonders wichtiger Aspekt bezüglich Blutungen unter NMH ist die Beachtung der Begleitmedikation. Viele der zu beobachtenden Blutungen werden durch blutverdünnende oder die Blutverdünnung verstärkende Co-Medi-kationen mitverursacht. In erster Linie ist hierbei an die gleichzeitige Gabe von Thrombozyten-funktionshemmern wie Aspirin, Clopidogrel oder GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonisten zu denken. Aber auch Schmerzmittel, die einen thrombozyten-funktionshemmenden Effekt besitzen, z. B. zahl-reiche nicht steroidale Antirheumatika, können ursächlich für Blutungen mitverantwortlich sein.

Abbildung 6: Molekulargewichtsabhängigkeit der

Anti-Xa/Anti-IIa-Ratio niedermolekularer Heparine

HELMUT SCHINZEL, JOHANNES-GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ, II. MEDIZINISCHE KLINIK UND POLIKLINIK

Anti-Xa-/Anti-IIa-Ratio

Niedermolekulare Heparine

Reviparin

Enoxaparin 3.500–5.500

Nadroparin

Dalteparin

Certoparin 4.200–6.200

Tinzaparin

2.000 4.000 8.000 MG (D)

0 6.000

5.600–6.400

5.800– 6.750

3.150–5.150

4.200–4.800

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VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 27

In Tabelle 3 sind die derzeitigen Empfehlungen der Hersteller bei Niereninsuffizienz aufgeführt. Sie reichen von Kontraindikationen, über Dosis-reduktionen bis zu allgemeinen Warnhinweisen. Zum Teil wird auf die Möglichkeit des Anti-Xa-Monitorings hingewiesen.

Tabelle 4: Aus den aktuellen Studien abgeleitete

Empfehlungen bei eingeschränkter Nierenfunktion (nicht

Dialysepatienten) und wiederholter Gabe niedermole-

kularer Heparine

Produkt (Handelsname) Grad der NiereninsuffizienzCrCl (ml/min)

Empfehlungen

Dalteparin (Fragmin®) Keine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz*.

Enoxaparin (Clexane®) < 30 ml/min Dosisreduktion bei der Hochrisiko-Prophylaxedosierung um 25%, bei der gewichtsadaptierten therapeutischen Dosierung um 50%, Anti-Xa-Kontrollen.

Tinzaparin (Innohep®) ≥ 20 ml/min Keine Dosisreduktion bis CrCl ≥ 20 ml/min.Keine Dosisanpassung bei älteren Patienten.

Nadroparin (Fraxiparin®) < 30 ml/min Es liegen keine Daten bei Niereninsuffizienz vor.

Certoparin (Mono-Embolex®) < 30 ml/min Es liegen keine Daten bei Niereninsuffizienz vor.

Reviparin (Clivarin®) Es liegen keine Daten bei Niereninsuffizienz vor.

* Die Datenlage ist hierzu begrenzt, für die therapeutische Dosierung > 3 Tage bei schwerer Niereninsuffizienz ist sie derzeit noch nicht ausreichend.

Substanz (Handelsname) Grad der Niereninsuffizienz CrCl (ml/min)

Empfehlungen des Herstellers

Reviparin (Clivarin®) < 30 ml/min Darf nicht angewendet werden bei schwerer Nierenfunktions-einschränkung. Kein Hinweis auf Anti-Xa-Bestimmungen.

Enoxaparin (Clexane®) < 30 ml/min Dosisreduktion bei der Hochrisiko-Prophylaxedosierung um 25%, bei der gewichtsadaptierten therapeutischen Dosierung um 50%, Anti-Xa-Kontrollen. Auf Blutungszeichen achten.

Nadroparin (Fraxiparin®) < 30 ml/min Darf nicht angewendet werden bei schwerer Nierenfunktions-einschränkung.

Dalteparin (Fragmin®) Bei Nierenversagen Anti-Xa-Kontrollen empfohlen.

Certoparin (Mono-Embolex®) < 30 ml/min Darf nicht angewendet werden bei schwerer Nierenfunktions-einschränkung, bei Überdosierung Anti-Xa-Bestimmungen und Dosisanpassung empfohlen.

Tinzaparin (Innohep®) Vorsicht bei Niereninsuffizienz!

Tabelle 3: Empfehlungen der Hersteller bei einge-

schränkter Nierenfunktion

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Special

28 VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12

Abbildung 7: Kumulationsgefahr der niedermolekularen

Heparine bei Niereninsuffizienz in Abhängigkeit vom

Molekulargewicht

Zusammenfassung

Obwohl die niedermolekularen Heparine eine Substanzklasse darstellen, sind ihre pharmako-dynamischen und pharmakokinetischen Eigen-schaften doch sehr divergent. Sie unterscheiden sich in ihrem Herstellungsverfahren, ihrem mitt-leren Molekulargewicht, der Anti-Faktor-Xa/-IIa-Ratio und nicht zuletzt in ihrer Kumulations-neigung bei Niereninsuffizienz.

Die bislang vorliegenden Daten zeigen zwei wesentliche Einflüsse des Molekulargewichts auf die Eigenschaften der verschiedenen niedermole-kularen Heparine (Abb. 6 und 7):

1. Je kleiner das Molekulargewicht, desto größer die Anti-Faktor-Xa/-IIa-Ratio.

2. Je kleiner das Molekulargewicht, desto größer der Anteil der renalen NMH-Elimi-nation und desto größer das Kumulations-risiko bei Niereninsuffizienz.

Unter der Voraussetzung, dass die Anti-Xa-Spie-gel als Marker für die Kumulation herangezogen werden können, gilt, dass bei den NMH mit großem Molekulargewicht wie Dalteparin und Tinza parin auch bei schwerer Nieren insuffi zienz keine relevante Kumulation zu erwarten ist (Tab. 4, 5). Unter diesen Substanzen erscheint selbst bei schwerer Niereninsuffizienz nach den der -zeit vorliegenden, wenn auch noch begrenzten Daten keine Dosisreduktion notwendig (Abb. 7).

Tabelle 5: Anti-Faktor-Xa-Spitzenspiegel unter thera-

peutischer subkutaner Dalteparin-Gabe (2 x 100 I.E. pro

kg Körpergewicht pro Tag) am 3. Behandlungstag [40]

Niereninsuffiziente Patienten

Nierengesunde Kontrollpersonen

Anti-Xa I.E. /ml CrCl < 40 ml/min (n=11) CrCl > 80 ml/min (n=11)

Range 0,1 – 1,0 0,3 – 0,9

Median 0,5 0,6

Mittelwert und SD 0,47 +/- 0,25 0,55 +/- 0,20

HELMUT SCHINZEL, JOHANNES-GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ, II. MEDIZINISCHE KLINIK UND POLIKLINIK

Kumulation bei Niereninsuffizienz

Niedermolekulare Heparine

Reviparin

Enoxaparin 3.500–5.500

Nadroparin

Dalteparin

Certoparin 4.200–6.200

Tinzaparin

2.000 4.000 8.000 MG (D)

0 6.000

5.600–6.400

5.800– 6.750

3.150–5.150

4.200–4.800

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VASCULAR CARE 1/2007 VOL. 12 29

Für Tinzaparin konnte explizit gezeigt werden, dass der Anti-Xa-Spiegel bis zu einer Kreatinin-Clearance von 20 ml/min auch unter therapeuti-scher Dosierung (175 I.E./kg KG pro Tag über zehn Tage) nicht ansteigt [39]. Die allgemeine Empfehlung, NMH bei einer CrCl < 30 ml/min entweder gar nicht oder nur unter Anti-Xa-Monitoring zu geben, ist vor diesem Hintergrund so nicht haltbar.

Einen allgemeingültigen Cut-off, ab dem mit Kumulation zu rechnen ist, gibt es nicht. Es gilt die Präparateunterschiede zu beachten. Die Ergebnisse zur NMH-Gabe bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz müssen durch wei-tere Untersuchungen für jedes einzelne Präparat untermauert werden. Insbesondere zur thera-peutischen NMH-Dosierung über einen längeren Zeitraum bei niereninsuffizienten Patienten sind weitere Daten erforderlich.

Zu den Anti-Xa-Bestimmungen muss man kritisch feststellen, dass bislang immer noch kein Grenzwert ermittelt ist, ab dem mit einem er höhten Blutungsrisiko gerechnet werden muss. Eigene Erfahrungen zeigen, dass Spitzenspiegel ≥ 1,5 I.E./ml das Entstehen von Blutungs kompli-kationen begünstigen. In diesen Fällen sollte man die NMH-Dosis unter weiterem Monitoring um ca. 25 bis 30 % reduzieren. Zahlreiche Blutungs komplikationen unter NMH-Behandlung sind jedoch nicht nur durch die niedermolekula-ren Heparine, sondern insbesondere durch die Be gleitmedikation bedingt. Hier ist an erster Stelle die Co-Medikation mit Thrombozytenfunk-tionshemmern oder Schmerzmitteln mit blut-plättcheninhibierender Wirkung zu nennen.

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Prof. Dr. med. Dr. phil. nat. Helmut SchinzelJohannes-Gutenberg-Universität MainzII. Medizinische Klinik und PoliklinikLangenbeckstraße 155131 Mainz