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Einsatzgruppe Pejolc

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Nr. 273

Einsatzgruppe Pejolc

Unter Profis und Profitmachern ­eine Kampfagentur soll Atlan

managen

von Peter Terrid

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, mit seinen rund 12.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbana­schol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon.

Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen.

Um dieses Zieles willen hat Atlan ein riskantes Spiel begonnen. Der Sieg in den tödlichen Amnestie-KAYMUURTES soll ihm den Weg nach Arkon ebnen – doch noch hat Atlan nicht genau in Erfahrung bringen können, ob er – unter falscher Identität natürlich! – für die bevorstehenden Kampfspiele überhaupt ordnungsgemäß regi­striert worden ist.

Sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ist die Aufgabe von Atlans Fünfter Kolon­ne, der EINSATZGRUPPE PEJOLC …

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Die Hautpersonen des Romans:Fretnorc, Polc-Tanier, Kelsh und Garrason - Vier Männer von Atlans Einsatzgruppe Pejolc.Barak Iter - Ein kosmischer »Müllfahrer«.Barlik - Ein Profikämpfer.Huccard - Der seltsame Leiter einer noch seltsameren Kampfagentur.

1.

Als die POLETSCHT zur Landung an­setzte, atmete Barak Iter erleichtert auf. Zwar konnte er den Landevorgang nicht be­einflussen, aber er sah auf seinem Kontroll­bildschirm, daß der Raumhafen von Keme nicht mehr hermetisch abgeriegelt war. Also stimmten die Berichte; die geheimnisvolle Seuche, die Pejolc tagelang in Atem gehal­ten hatte, war bekämpft. Die Quarantäne war aufgehoben.

Barak Iter war froh darüber. Hätte die Sperre noch bestanden, hätte er die Tage bis zum Ende der Sperrfrist an Bord der PO­LETSCHT verbringen müssen. Nach Baraks Absicht gab es im ganzen Universum keinen widerlicheren Aufenthalt als gerade dieses Schiff.

Barak hörte die Impulsdüsen, und auf dem Bildschirm kam der feste Boden immer näher.

»Endlich!« seufzte Barak Iter. Barak Iter war schlank und hochgewach­

sen, seine Zeugnisse wiesen ihn als fähigen Kosmonauten aus. Daß er trotz seiner guten Zeugnisse an Bord der POLETSCHT Dienst tat, lag daran, daß Iter nur noch ein Auge be­saß. Über der linken Augenhöhle lag eine Stoffklappe; die Ärzte hatten es nicht ge­schafft, ein Kunstauge herzustellen, das sich mit dem Gewebe von Iters Augenhöhle ver­tragen hätte. Damit war die Karriere in der Arkon-Flotte für Barak Iter beendet gewe­sen. Was sollte die Flotte mit einem Mann anfangen, der nur auf einem Auge sehen konnte? Auf dem Boden eines Planeten fühl­te sich Barak immer nur kurze Zeit wohl. Daher war ihm keine andere Möglichkeit mehr geblieben, wenn er wenigstens ab und zu in den freien Raum vorstoßen wollte. Er

hatte auf der POLETSCHT angeheuert. Da­mals hatte er allerdings noch nicht gewußt, für welche Spezialaufträge dieses Schiff vorgesehen war.

Damals, vor mehr als zehn Jahren, war die POLETSCHT ein schmuckes Schiff ge­wesen. Eine mattsilbern schimmernde Stahl­kugel von ein hundert Metern Durchmesser, angetrieben von einem modernen, leistungs­starken Triebwerk und mit allem ausgerü­stet, was für längere Raumfahrten gebraucht wurde. Sogar ein paar Geschütze waren ein­gebaut worden, zwar keine schweren Stahl­kanonen, doch sie besaßen immerhin genug Feuerkraft, um einen Gegner gehörig zu be­schäftigen, wenn es sich nicht gerade um ein Maahkgroßkampfschiff handelte.

Ein kaum wahrnehmbarer Ruck ging durch den Rumpf der POLETSCHT, als das Schiff den Boden berührte. Die Impulstrieb­werke wurden abgeschaltet, die Antigrav­projektoren soweit hochgefahren, daß das Schiff nicht einbrechen konnte.

Barak Iter zog sämtliche Stöpsel aus dem Schaltkasten vor ihm, klappte die Abdeck­haube herunter und verschloß den Schaltka­sten. Zwar stand nicht zu befürchten, daß sich irgend jemand für ausgerechnet diesen Kasten interessieren würde, aber der Kom­mandant der POLETSCHT hatte den fanati­schen Ehrgeiz entwickelt, sein Schiff und seine Besatzung zur absoluten Perfektion zu führen. Perfektion hieß, daß sämtliche Vor­schriften, die jemals über den Betrieb und die Wartung von technischen Anlagen her­ausgegeben worden waren, buchstabenge­treu erfüllt werden mußten.

Der Schaltkasten beispielsweise war viel­leicht vor einigen tausend Jahren einmal ei­ne technische Neuerung und damit geheim gewesen. Jetzt ließen sich entsprechende Anlagen in jedem gutsortierten Kaufhaus für

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Technik erstehen. Trotzdem mußte Barak Iter nach jeder Landung den verflixten Ka­sten sichern, als sei der Maahkgeheimdienst hinter diesen Instrumenten her.

Barak Iter war einer der letzten, die den Rumpf der POLETSCHT verließen. Das lag daran, daß er in dem Teil des Schiffes seine Arbeit tat, die von den Schleusen für Perso­nal am weitesten entfernt war. Natürlich hät­te er auch die große Schleuse benutzen kön­nen, aber Barak hatte seine Gründe, warum er den Umweg vorzog.

Warm strahlte die Sonne Dubnayor auf Pejolc herunter. Es war früher Abend. In der Nähe war gerade ein großer Frachtraumer gelandet. Müde, unrasierte Männer beweg­ten sich langsam auf die Tore in der Absper­rung zu. Offenbar waren diese Männer ein Opfer der Tatsache, daß es im Weltraum keine Tageszeiten gab. Es geschah häufig genug, daß ein Schiff im Laufe von vierund­zwanzig Stunden drei oder mehr Planeten aufsuchte und jedesmal zu einer anderen Ortszeit landete. Das brachte auf die Dauer selbst den abgebrühtesten Raumfahrer zur Verzweiflung. Barak kannte Kollegen, die seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hatten, weil ihre Schiffe konstant auf den Nachtseiten der Planeten gelandet waren.

Einer der Raumfahrer sah zu Barak hin­über und rümpfte die Nase. Barak kannte diese Geste schon, dennoch schmerzte ihn die leise Verachtung. Natürlich wußte der Raumfahrer, daß auch Baraks Arbeit wichtig war für das Leben im Arkonimperium, aber eine gewisse Abneigung war stets bestehen geblieben.

Der Posten am Tor hütete sich, die Nase zu rümpfen. Seit er vor zwei Jahren von ei­nem Besatzungsmitglied der POLETSCHT fürchterlich verprügelt worden war, begeg­nete er den Männern der POLETSCHT mit der Vorsicht eines gebrannten Kindes.

»Achtzehn Stunden«, rechnete sich Barak aus, als er die Kontrolle hinter sich gebracht hatte.

Barak hatte an Bord genug geschlafen, al­so konnte er den größten Teil dieser acht-

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zehn Stunden nach eigenem Ermessen ver­bringen. Als erstes suchte er seine Wohnung auf, ein gemütliches Sechzehn-Zim­mer-Apartment in der Randzone der Haupt­stadt Keme. Wie nicht anders zu erwarten war, glänzte die Wohnung vor Sauberkeit. In allen Räumen hing der Duft eines parfümier­ten Reinigungsmittels, das von Robots reich­lich versprüht worden war.

Die Tür war noch nicht ganz hinter Barak ins Schloß gefallen, als Barak schon die dia­magnetischen Säume seiner Kleidung öffne­te. Mit der Ungeniertheit, die er aus seiner Junggesellenzeit herübergerettet hatte, streif­te er sich ein Kleidungsstück nach dem an­deren ab. Eine deutliche Spur zeigte von der Tür bis zum Hygieneraum; als Barak ihn er­reicht hatte, war er nackt.

Barak brauchte eine geschlagene Stunde, bis er alle Feinheiten des Reinigungsrituals durchexerziert hatte, angefangen beim gründlichen Einseifen bis zur Robotvollmas­sage. Erst als er frische Kleidung angelegt hatte, fühlte er sich wieder als vollwertiger Mensch.

Der Gang war leer. Die emsigen Robots hatten die Kleidungsstücke aufgesammelt und dem Reinigungsautomaten überantwor­tet.

Das Apartmentshaus am Rand von Keme war knapp hundert Meter hoch, und Barak hatte sich den Luxus erlaubt, eine Wohnung unmittelbar unter dem Dach anzumieten. Die Chronners, die er für diesen Vorzug aus­zugeben hatte, wurden von dem Rundblick mehr als wettgemacht. Vor allem konnte Ba­rak von vier seiner sechzehn Zimmer aus den Raumhafen sehen. Irgendwo stand dort, wie verloren unter den vielen Schiffen, die POLETSCHT. Barak schüttelte sich, als er daran dachte.

Wie viele Junggesellen war Barak Iter im Grunde seines Herzens ein Faulpelz und ein Widersacher jeglicher Ordnung. Die einzige Möglichkeit für ihn, an einem Chaos in der Wohnung vorbeizukommen, war der, das Leben in der Wohnung weitestgehend durchzuplanen und bereits im voraus festzu­

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legen. Programmgemäß trat ein Robot mit einem erfrischenden Fruchtsaft in den Raum, als Barak das Medienzimmer betrat. Das Programm sah vor, daß die Maschine den Saft auf dem flachen Tisch absetzte, sei­nem Herrn einen ehrfürchtigen Gruß entbot und dann die Medienwand einschaltete. Erst dann durfte er sich zurückziehen.

Ein halbes Dutzend Bildschirme flamm­ten auf. Flüchtig glitt Baraks Blick über die Wand. Kanal I brachte einen dürftigen Un­terhaltungsfilm, II und III lieferten Vorbe­richte zu den KAYMUURTES, Kanal IV, der Regierungssender auf Arkon, erging sich in lobpreisenden Kommentaren zur Raum­schlacht im Eynorc-System. Barak nahm einen Schluck aus dem Glas und trat dann an die Wand. Beiläufig tippte er seine Wünsche in den Zeitungsdrucker. Er entschied sich für die Abendausgabe des KEME BEOB­ACHTERS; den Unterhaltungsteil ließ er aus, forderte dazu aber die dicke Kommen­tarausgabe an. Baraks Freund, Leitartikler beim BEOBACHTER, wäre sicher verärgert gewesen, hätte er irgendwann zufällig fest­gestellt, daß Barak seine Kolumnen nicht anforderte – schließlich lebte er davon, daß möglichst viele Bewohner Pejolcs den Kom­mentarteil der Zeitung bezogen.

»Allmächtiger, was für ein Geschreibsel«, seufzte Barak bereits nach den ersten zehn Zeilen. Der Kommentar befaßte sich mit der erfolgreichen Bekämpfung der geheimnis­vollen Seuche. Dem Text nach zu schließen, hatte seine Erhabenheit, der Gouverneur, die Viren einzeln gejagt und zur Strecke ge­bracht.

»Speichelleckerei!« urteilte Barak. Hastig überflog er die anderen Kommen­

tare. Die neue Steuererhöhung wurde mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen, die Unruhen im Panither-System reizten den Kommentator dazu, ein noch schärferes Vorgehen der Kolonialflotte zu fordern. Da­zu kam noch ein ziemlich bissiger Kommen­tar zu den Vorbereitungen der KAYMUUR­TES.

Achtlos warf Barak die Zeitung in den

Abfallvernichter. Daß sich allmählich die planetare Nacht

über die Hauptstadt senkte, merkte Barak nur am Stand seiner Uhr. Auch nachts wur­den die Straßen und Plätze der Metropole taghell erleuchtet, jedenfalls solange die KAYMUURTES anhielten. Schließlich konnte man den zahlreichen Besuchern nicht zumuten, einen beträchtlichen Teil ihrer frei­en Zeit in völliger Finsternis zu verbringen.

»Soll ich in die Stadt gehen?« überlegte Barak halblaut.

Ein Knopfdruck ließ auf dem Datensicht­gerät seinen jüngsten Kontoauszug sichtbar werden. Zufrieden registrierte Barak, daß er schon wieder in der Lotterie des Dubnayor-Systems gewonnen hatte. Einige hundert Chronners, nicht allzu viel, aber für Baraks Geschmack reichte es. Die Summe setzte ihn in den Stand, eine Nacht lang alles zu genießen, was Keme an erlaubten und ver­botenen Reizbarkeiten zu bieten hatte. Die Auskunft des Kontoauszugs bestimmte Ba­raks Entscheidung.

Er machte sich stadtfein. Barak Iter war von mittlerem Alter, so je­

denfalls umschrieb er selbst die Tatsache, daß die meisten jüngeren Leute ihm reich­lich dumm und albern erschienen, wohinge­gen er mit älteren Jahrgängen ihrer Sturheit und Arroganz wegen wenig anfangen konn­te.

Als er das Apartmenthaus verließ, sah er im Osten den gewaltigen Lichtdom eines Trainingsstadions. Es war eine von minde­stens zehn Anlagen dieser Art in der Nähe der Hauptstadt. Dort übten die Kämpfer, die zu den KAYMUURTES antreten wollten, feilten an ihren Tricks und versuchten, sich in Höchstform zu bringen.

Barak Iter hatte schon einige KAYMU­URTES miterlebt, daher interessierte er sich nicht mehr so stark für die Spiele. Im Lauf der Zeit gewöhnte man sich daran, an die lärmenden Lautsprecher und die Tausende von Touristen, die Pejolc und die anderen Welten des Dubnayor-Systems über­schwemmten. Für Pejolc allerdings waren

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die Spiele lebenswichtig. Ohne die Ströme von Geld, die aus Touristenbörsen über die Kassen kleiner und großer Händler flossen und von dort aus als Steuern in der Staats­kasse landete, hätte sich Pejolc niemals den Luxus leisten können, für den es berühmt war.

Der Mietgleiter, den Barak schon in der Wohnung angefordert hatte, wartete vor der Tür. Ein buntlackierter Robot steuerte das Fahrzeug.

»Zur Zoltral-Avenue«, bestimmte Barak, nachdem er sich in den Sitz hatte fallen las­sen. Der Gleiter rahm Fahrt auf und raste über die Fernleitspur der Stadt entgegen.

Der Rummel in Keme hielt sich einstwei­len noch in Grenzen. Es würden noch einige Tage vergehen, bis die Touristen stündlich in der Stärke von Raumlandedivisionen über Keme hereinbrechen würden. Am Tag der Schlußkämpfe würden voraussichtlich mehr als zwei Millionen Besucher das Dubnayor-Sy­stem bevölkern, davon mehr als die Hälfte Arkoniden. Der Rest war ein buntes Ge­misch aller Fremdrassen, die vom Großen Imperium beherrscht wurde.

Nach einigen Kilometern Fahrt tauchte der Gleiter mit seinem Passagier in die far­benprächtige Welt des nächtlichen Keme ein. Raffinierte Lichtspiele schossen glit­zernde Farbkaskaden über die Straßen, aus halboffenen Türen drang einschmeichelnde Musik, und über allem lag der betäubende Duft einer lebensfrohen Großstadt. Er setzte sich aus unzähligen verschiedenartigen Be­standteilen zusammen, aus den Parfüms der Frauen, dem Duft von Räucherkerzen, den Ausdünstungen aus Hunderten von Gaststät­ten. Blütenduft und die Aromen von feuri­gen Weinen ergänzten die Mischung.

Barak schnupperte genießerisch. »Zoltral-Avenue«, quäkte der Robot am

Steuer des Gleiters. »Eine bestimmte Adres­se, Herr?«

Barak schüttelte den Kopf, dann verneinte er laut. Er streckte seine Kreditkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz am Kopf des Ro­bots. Die Abrechnung dauerte nur vier Se-

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kunden. In dieser Zeit funkte der Robot die Daten der Karte an den großen Rechner des staatlichen Kreditinstituts. Dort wurde der Fahrpreis mit Baraks Kontostand verglichen, anschließend bekam der Robot das Freizei­chen. Während die Maschine die Karte wie­der zum Vorschein brachte, wurde der Preis für den Transport von Baraks Konto abge­bucht und dem Konto der Transportgesell­schaft gutgeschrieben. Nach insgesamt fünf Sekunden war dieser Vorgang abgeschlos­sen.

Umständlich verließ Barak den Gleiter. Eine junge Frau trat näher, sah Barak fra­gend an und bestieg dann das Fahrzeug. Ba­rak lächelte der Frau zu, zuckte bedauernd mit den Schultern und entfernte sich.

Noch kein Sozialforscher hatte herausfin­den können, warum während der KAYMU­URTES sich das nächtliche Leben in Keme immer auf wenige Straßen beschränkte, die zudem bei jedem Termin wechselten. Manchmal geschah es, daß quasi über Nacht eine Straße sämtliche Kunden verlor und, aus welchen Gründen auch immer, eine an­dere Straße das Publikum wie magnetisch anzog. Barak Iter hatte richtig getippt. Die Adresse für diesen Abend war die Zoltral-Avenue, benannt nach dem berühmten Ge­schlecht Arkons. Ein Zoltral war maßgeblich am Bau Kemes beteiligt gewesen, und es war der Stadt ausgezeichnet bekommen.

Tausende von Menschen bewegten sich auf der Straße. Sie plauderten, blieben vor Läden stehen und besahen sich die Ausla­gen. An malerischen Ständen, die nicht zu erkennen gaben, daß sie über Nacht impro­visiert worden waren, wurden Erfrischungen verkauft, für Spezialkunden gab es auch Stoffe, die von der Polizei nicht gern gese­hen wurden. Wer genügend Geld besaß und die einschlägigen Händler kannte, konnte in Keme alles bekommen, was sich für Geld überhaupt kaufen ließ. Barak Iter war in Ke­me geboren, er kannte die Stadt hervorra­gend, aber er war noch nie in jenen Kreis von Personen geraten, die mit Häuten, Duft­stoffen, Mädchen und mit Rauschgift mit

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der gleichen Selbstverständlichkeit handel­ten. Baraks Kontakte zur Unterwelt von Pe­jolc beschränkten sich darauf, daß er zwei oder drei illegale Wettbüros kannte.

Offiziell war es verboten, auf die Ergeb­nisse der KAYMUURTES zu wetten. Inoffi­ziell wurden Summen umgesetzt, die den Etat mancher Planetenregierung hinter sich ließen. Barak hatte schon einmal gewettet, vor drei Jahren. Damals hatte er den Roten Nuthar favorisiert, einen halbwilden Barba­renabkömmling, der einen Sieg bei den Amnestie-KAYMUURTES dringend nötig gehabt hatte, um dem Henker zu entgehen. Er war im Halbfinale ausgeschieden und hatte Barak etliche Chronners eingebracht.

Das einzige Problem bei den Wetten war, daß die Namen der Teilnehmer erst sehr spät bekannt wurden. Wenn die Wettkampflei­tung ihre Listen herausgab, konnte man zwar immer noch setzen, aber dann verfielen die Quoten in Windeseile. Wer wirklich ver­dienen wollte, mußte vor der offiziellen Be­kanntgabe wetten, und das verstärkte das Ri­siko.

Die Tatsache, daß die Teilnehmer der Amnestie-KAYMUURTES bis zum Tode kämpfen mußten, bedeutete im Endergebnis, daß nur ein einziger Teilnehmer sein Ziel er­reichte. Die anderen blieben auf der Strecke. Dementsprechend gering war meist die Zahl der Männer, die dieses Risiko auf sich nah­men. Viele suchten das Risiko zu mindern, indem sie dafür sorgten, daß ihre Gegner gar nicht erst antreten konnten. Gedungene Mör­der sorgen dafür, daß mancher Kämpfer tot war, bevor er überhaupt den Sand der Arena gesehen hatte. Daher wurden die Namen seit langer Zeit geheimgehalten. Wenn die Kämpfer sich gegenseitig töteten, dann soll­te es in der Arena geschehen, vor aller Au­gen und den Linsen der Kameras, nicht in aller Stille in einer verwinkelten Gasse.

Barak trat an einen Stand und kaufte ein Stück geräuchertes Coelantheriden-Filet. Der Fisch hatte einen langen Weg hinter sich, er kam von Travnor und war entspre­chend teuer. Während Barak zahlte, sah er

den Verkäufer scharf an. Barak kannte den Mann, der den Blick erwiderte und sich um­ständlich die fettigen Finger an einem Stück Papier abputzte. Barak hatte genau hingese­hen. Niemand außer ihm konnte bemerkt ha­ben, daß der Verkäufer bei dieser Reinigung eine Zahl auf das Papier gemalt hatte, bevor er sie wieder mit dem restlichen Fett an sei­nen Händen verwischte.

Barak bedankte sich mit einem leisen Nicken und zog sich zurück. Hinter ihm pries der Verkäufer seine Ware mit gewalti­gem Stimmaufwand an. Engumschlungen ging ein Pärchen an Barak vorbei. Dem Ge­sichtsausdruck nach zu schließen, hätten sie nicht einmal einen Großangriff der Maahks bemerkt. Eine ältere Frau sah den beiden entrüstet nach.

Aus dem Eingang einer Schenke wehte der Geruch von schwerem, harzigem Wein auf die Straße. Barak blieb stehen und schnupperte, während er langsam und ge­nußvoll das Coelantheriden-Filet verzehrte.

Als er seine Mahlzeit beendet hatte, knüll­te Barak das Papier zusammen und ging an den Straßenrand. Dort stand eine Abfallsäu­le. Barak warf das Papier hinein, es fiel einen Meter und wurde von einem schwa­chen Transportfeld erfaßt, das das Papier zu einem Konverter führte, wo es in Energie verwandelt wurde. Die Falltiefe von einem Meter war nötig, um allzu Neugierige daran zu hindern, mit dem Arm hineinzufassen.

Nach zehn Minuten erreichte Barak die Hausnummer, die ihm der Fischverkäufer auf das Papier gemalt hatte. Es war eines je­ner Geschäfte, die nicht mitbekommen hat­ten, daß für die nächsten Tage die Zoltral-Avenue Zentrum von Keme war. In der Eile hatte es der Besitzer nicht mehr geschafft, seinen Laden zu dekorieren. Barak grinste, als er den Laden sah. Welche kundenfangen­de Dekoration hätte sich auch ein Laden zu­legen sollen, der hauptsächlich technische Geräte für Mediziner verkaufte?

Barak trat näher und entdeckte einen alt­modischen Klingelknopf. In dem Rhythmus, der die Eingeweihten untereinander verband,

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drückte er den Knopf. Sekunden später öff­nete sich die Tür.

Ein dunkler Korridor tat sich auf, den Ba­rak langsam durchschritt. Er wußte, daß er trotz der Dunkelheit scharf beobachtet wur­de. Die illegalen Wettbüros gingen kein Ri­siko ein. Wer dieses Geschäft zu leichtsinnig betrieb, konnte mit etwas Glück drei Jahre später bei den glücklicheren Kollegen auf den Teilnehmerlisten für die Amnestie-KAYMUURTES wieder auftauchen. Nie­mand in Keme verspürte Lust zu dieser Art Karriere.

»Kommen Sie herein«, sagte eine dunkle Frauenstimme.

Barak trat näher und sah sich erstaunt um. Er hatte noch nie davon gehört, daß dieses gefahrvolle Geschäft auch von Frauen be­trieben wurde. Fast glaubte er, sich in der Adresse geirrt zu haben. Die rauhe Stimme der Frau riß ihn aus seinen zweifelnden Ge­danken.

»Auf wen wollen Sie setzen, und wie­viel?«

Barak begann zu überlegen, jetzt mußte er eine wichtige Entscheidung treffen.

»Ich weiß noch nicht, wer überhaupt an­tritt«, sagte er vorsichtig.

»Haben Sie eine Liste?« Die Frau nickte. Barak lächelte zufrieden. Er war sicher,

den Mann herausfinden zu können, der die Amnestie-KAYMUURTES gewinnen wür­de, Barak hatte einen Riecher dafür, glaubte er.

2.

»Ich halte diese Warterei nicht länger aus!«

Der Ältere lächelte verhalten. »Ich setze dagegen. Könntest du das War­

ten tatsächlich nicht mehr ertragen, müßtest du im nächsten Augenblick tot umfallen. Zudem sind seit deinem Ausspruch schon et­liche Sekunden vergangen, in denen du ebenfalls gewartet hast. Ich folgere daraus, daß du auch weiteres Warten wirst ertragen

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können. Rein wahrscheinlichkeitsmathema­tisch.«

»Aufhören!« Fretnorc schrie dieses Wort fast. Er stand

am Fenster und starrte auf das nächtliche Keme. Nach seinem Empfinden waren Ewigkeiten vergangen, seit er und Polc-Tanier zusammen mit vierzehn anderen Mit­streitern die SLUCTOOK verlassen hatten. Seither hatten die Männer und Frauen im Untergrund gelebt, hatten sich so unauffällig wie möglich verhalten. Sie sollten warten, bis Atlan ihre Hilfe brauchte.

Das Kreuz bei diesem Unternehmen war, daß der Kristallprinz naturgemäß über wenig Geld verfügte, und seinen Gefolgsleuten ging es nicht anders. Unter normalen Um­ständen war es für einen Arkoniden ziemlich belanglos, ob er Bargeld besaß oder nicht. Wozu hatte er eine Kreditkarte? Untergrund­kämpfer, Renegaten und Rebellen konnten natürlich kein Konto eröffnen. Die Banken erwarteten regelmäßige Einzahlungen, Löh­ne und Gehälter. Es verstand sich von selbst, daß Fretnorc nicht angeben konnte, daß sei­ne Einkäufe aus der Schatulle des in der ge­samten Galaxis gesuchten Atlan stammten.

Also mußten Atlans Freunde und Helfer bar bezahlen, und das allein war schon ris­kant genug. Kaum jemand auf Pejolc zahlte bar. Warum sollte jemand Bargeld mit sich herumschleppen, das gestohlen werden konnte, wenn er sich selbst im kleinsten Ge­schäft seiner fälschungssicheren Kreditkarte bedienen konnte?

Der Vermieter des Hauses hatte die bei­den Männer scheel angesehen, als sie die Monatsmiete bezahlt hatten – in bar. Aller­dings gehörte der Vermieter zu der Sorte Menschen, die nichts hörten und sahen, wenn das Geld nur stimmte.

Das Haus war heruntergekommen, fast schäbig. Für Fretnorc und Polc-Tanier gab es nur je zwei Zimmer, dazu eine Küche und eine leidlich moderne Hygienezelle. Zum Glück hatten sich die beiden Männer schon auf Kraumon an eine weniger aufwendige Lebensführung gewöhnt, trotzdem hatten sie

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Mühe, sich mit den Verhältnissen abzufin­den.

Besonders Fretnorc fiel es schwer, seinen Übermut zu zügeln. Fretnorc war erst ein­undzwanzig Arkonjahre alt, durchschnittlich groß, dafür sehr stämmig und muskulös. Er brannte vor Tatendrang.

Polc-Tanier fiel es leichter zu warten; der 68 jährige Positroniker, ein großer hagerer Mann, war nicht vollständig gesund. Er mußte sich schonen. Dies und seine wissen­schaftliche Ausbildung machte ihn zu einem merkwürdigen, aber guten Partner Fretnorcs. Was den beständig hüstelnden Polc-Tanier an Körperkraft fehlte, machte Fretnorc wett. Dessen Übereifer wiederum wurde von Polc-Taniers Besonnenheit gezügelt.

»Wir müssen etwas unternehmen«, for­derte Fretnorc. »Vielleicht sterbe ich nicht an dieser elenden Warterei, aber sie wird mich früher oder später um den Verstand bringen. Schließlich haben wir einen Auf­trag zu erfüllen!«

»Ich weiß«, entgegnete Polc-Tanier mür­risch. Ein leichter Hustenanfall schüttelte ihn.

Besorgt sah Fretnorc auf den alten Mann, der in seinen vom jugendlichen Über­schwang getrübten Augen schon auf der Schwelle zum Grabe stand. An der kränkli­chen Gesichtsfarbe war selbst für Laien ab­zulesen, daß es mit der Gesundheit von Polc-Tanier nicht zum besten stand.

»Was haben wir auf Pejolc zu suchen«, erklärte Fretnorc erregt. »Der Kristallprinz wollte sich davon überzeugen, daß er tat­sächlich für die KAYMUURTES gemeldet ist. Und was haben wir erreicht? Gar nichts! Atlan mußte mit der SLUCTOOK fliehen, und wir blieben zurück. Ein totaler Fehl­schlag.«

»Das stimmt«, gab Polc-Tanier zu. Er schluckte eine kleine Medikamentenkapsel. »Aber worauf willst du hinaus?«

»Warum stellen wir nicht fest, ob Atlans Meldung tatsächlich angenommen worden ist?«

Polc-Tanier lachte unterdrückt.

»Willst du in die zentrale Registratur ein­dringen?« fragte er mit leisem Spott. »Wenn ja, dann gebe ich dir recht, daß das Warten deinen Verstand umnebelt hat. Das wäre glatter Selbstmord.«

»Aber irgend etwas müssen wir doch tun«, begehrte Fretnorc auf. »Wenn wir nichts unternehmen, bleiben wir für alle Zei­ten auf Pejolc hängen. Atlan wird so schnell nicht zurückkehren. Erst wenn er weiß, daß seine Meldung angenommen worden ist, kann er sich wieder melden. Er selbst kann sich nicht davon überzeugen, also müssen wir es für ihn tun. Das liegt doch auf der Hand!«

Polc-Tanier lächelte verhalten. Er ver­stand Fretnorc nur zu gut, er wünschte sich selbst ab und zu etwas von dem Elan des Jüngeren.

»Und wie willst du vorgehen?« Fretnorc grinste triumphierend. Endlich

hatte der alte Mann angebissen. »Es gibt doch Wettbüros auf Pejolc, eine ganze Men­ge sogar, wie ich annehme.«

»Wetten sind illegal«, erinnerte Polc-Tanier.

»Das weiß ich«, entgegnete Fretnorc. Mit einer raschen Handbewegung strich er sich das Haar aus der Stirn. »Ob verboten oder nicht, es wird in jedem Fall gewettet. Wer das Geld setzen will, muß natürlich wissen, auf wen – folglich müssen die Wettbüros über Listen verfügen. Und eine dieser Listen werden wir uns verschaffen!«

Polc-Tanier wiegte nachdenklich den Kopf.

»Einverstanden«, sagte er schließlich. »Aber wie willst du ein solches Wettbüro finden?«

»Laß mich nur machen«, verkündete Fret­norc. »Ich werde suchen und finden. Du wirst staunen!«

Mit diesen Worten verließ er den Raum. Polc-Tanier lächelte ihm nach.

»Hoffentlich erlebst du keine Überra­schung«, wünschte er.

*

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Fretnorc atmete tief durch. Die Luft in der Wohnung war stickig und muffig gewesen, um so erfrischender wirkte jetzt der kühle Nachtwind, der über die Stadt wehte.

Mit weltausgreifenden Schritten wanderte Fretnorc der Innenstadt zu. Die Wohnung lag in der Nähe des Zentrums, in einem ziemlich alten Viertel, dessen Häuser zum größten Teil noch während der ersten Kolo­nisierungsphase gebaut worden waren. Dar­aus erklärten sich auch die Enge und der mangelnde Komfort.

Während er sich der Innenstadt näherte, überfielen Fretnorc die ersten Zweifel. Sein Plan war richtig, daran zweifelte er nicht. Aber er hatte nicht die kleinste Ahnung, wie er ein Wettbüro finden sollte.

Allmählich wurden die Straßen belebter. Fretnorc näherte sich der Zoltral-Avenue. Der Lärm der belebten Straße schlug ihm entgegen. Mit stillem Vergnügen betrachtete Fretnorc das farbenprächtige Bild. Es war sehr lange her, daß Fretnorc soviele Men­schen auf einmal gesehen hatte. Kraumon war vergleichsweise spärlich besiedelt, obendrein fehlte dort der Luxus, der Keme auszeichnete. Kraumon war praktisch orien­tiert, nüchtern, sachlich und rationell. Aber es ließ sich auch dort gut leben, auch Krau­mon hatte seine Reize. Fretnorc dachte an den letzten Jagdausflug zurück, den er mit dem Barbaren Ra unternommen hatte. Scha­de, daß Ra bei diesen Unternehmen fehlen mußte, aber er war inzwischen bei sämtli­chen Polizeidienststellen ausreichend be­kannt. Auf der Zoltral-Avenue hätte er sich keine zehn Minuten behaupten können, dann hätte man ihn verhaftet.

Unwillkürlich beschleunigte sich Fret­norcs Puls, als er an die Polizei dachte. Auch er schwebte ständig in der Gefahr, verhaftet zu werden, und was ihm bevorstand, wenn er der Polizei oder gar der POGIM in die Hände fallen sollte, konnte er sich ausmalen. Günstigstenfalls würde er nach einem Ver­hör und der Psychohaube als lallender Idiot zurückbleiben. Dann wäre sein einziger Trost der gewesen, daß die POGIM trotz

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dieses Verhörs die galaktische Position Kraumons immer noch nicht kannte. Nur die wenigsten Mitarbeiter Atlans kannten die Koordinaten Kraumons.

Fretnorc erreichte die Zoltral-Avenue. Fast wäre er der ausgelassenen Stimmung erlegen, die sich über die hellerleuchtete Straße gebreitet hatte. Es schien an diesem Abend und in dieser Straße keinen schlecht­gelaunten Menschen zu geben. Betrunkene torkelten lauthals singend über die Straße, ohne sich darum zu kümmern, daß sie den Verkehr behinderten. Die Robotfahrer hatten alle Mühe, Unfälle zu vermeiden.

An diesem Abend waren selbst die Unter­drückten fröhlich. Fretnorc sah einen Zaliter, der, eine halbleere Flasche in der Hand, am Mast einer Straßenlaterne lehnte und breit lächelnd die Szenerie betrachtete. Von dem überall vorhandenen Haß auf die Arkoniden war nichts zu spüren.

Fretnorc kaufte sich eine Flasche, deren Inhalt er nicht kannte. Der Händler jeden­falls behauptete, sie enthielte die größte flüs­sige Kostbarkeit der bekannten Galaxis. Fretnorc trank vorsichtig und nickte dann anerkennend. Ein Fachmann hätte wahr­scheinlich feststellen können, daß das Aro­ma des Weines zu einem guten Teil in einem chemischen Laboratorium entstanden war, aber Fretnorc war kein Fachmann. Er trank und ließ es sich schmecken.

Langsam wanderte er die Straße entlang. Wonach er Ausschau halten sollte, wußte er selbst nicht. Er hoffte nur, daß irgend je­mand einen Fehler machen und ihm unge­wollt verraten würde, wo er ein Wettbüro finden konnte.

»Paß doch auf, Idiot!« Fretnorc fühlte sich angerempelt und wäre

fast gestürzt. Ein breitschultriger Mann sah ihn wütend an.

»Kannst du nicht besser aufpassen, du Straßenwanze?« grollte der Unbekannte wü­tend.

»Langsam, Freundchen«, wehrte Fretnorc ab. »Wer hier wen angerempelt hat, ist ja wohl offenkundig. Pack dich und laß mich

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in Ruhe.« »Nur nicht frech werden, Kleiner«, erhielt

Fretnorc zur Antwort. »Es täte mir leid, müßten die Knochenflicker deinetwegen Überstunden einlegen. Wenn du dich bei mir höflich für deine Unverschämtheit entschul­digst, werde ich die Angelegenheit auf sich beruhen lassen.«

Langsam geriet Fretnorc in Wut, zumal sich eine Menschenmenge eingefunden hat­te, die dem Wortgefecht fasziniert zuhörte. Fretnorc war fest entschlossen, nicht einfach davonzuschleichen. Immerhin hatte er auf Kraumon fast jeden bezwingen können. Sein Gegenüber war zwar ziemlich stämmig, aber ein ernsthafter Gegner war er vermutlich nicht.

Der Dialog wurde hitzig. Fretnorc gab dem Rempler eine wohlverdiente Zurück­weisung. Zu Antwort bekam er Bemerkun­gen über seine Abstammung zu hören, die selbst Kaltblütigere, als Fretnorc zu einem Wutanfall verleitet hätte.

Fretnorc nahm die Fäuste hoch und berei­tete sich darauf vor, sein Gegenüber von der Straße zu fegen. Plötzlich drängte sich ein Mann durch die Zuschauerreihen, ein netter, freundlicher Herr in fortgeschrittenem Alter. Er strahlte eine gewisse Ruhe und Würde aus.

»Meine Herren«, begann er feierlich. »Ich sehe, daß Sie sich gerade auf einen kleinen Ehrenhandel einlassen wollen. Warum auch nicht? Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß Sie zufällig vor dem Eingang eines Etablis­sements stehen, das sich für die Erledigung solcher Händel förmlich anbietet. Wollen Sie den Kampf nicht ins Innere verlegen, da­mit ein sachkundiges Publikum entscheiden kann, welcher der beiden Herren der bessere Kämpfer ist.«

»Ich bin einverstanden«, erklärte Fret­norcs Gegner sofort.

Fretnorc wußte, daß er jetzt in der Falle saß. Diese Rempelei war keineswegs ein Zu­fall. Der Flegel, der ihn fast von den Beinen gerissen hatte, arbeitete mit dem würdevoll aussehenden Alten zusammen. Beide hatten

die Aufgabe, ahnungslose Passanten so zu provozieren, daß sie sich auf einen Kampf einließen. Wer nicht sofort einen Rückzieher machte, der saß im Handumdrehen fest. An­gesichts der Menschenmenge wäre es für Fretnorc eine unerträgliche Schmach gewe­sen, den Kampf abzulehnen. Er mußte hin­eingehen und sich dem Schläger stellen, der mit Sicherheit ein Angestellter des Unter­nehmens war. Fretnorc war dem Mann kör­perlich überlegen, das war offenkundig, aber der andere verfügte über langjährige Erfah­rung und kannte bestimmt Hunderte von in­famen Tricks.

Trotzdem gab es kein Zurück. »Unter diesen Umständen würde sich die

Auseinandersetzung sogar lohnen«, lockte der Würdevolle. Auch er war für die Rolle des Besänftigers und Friedenstifters hervor­ragend ausgewählt worden. »Dem Sieger werden sicher einige hundert Chronners winken!«

Fretnorc grinste freudlos. Bargeld konnte er in jedem Fall gut brauchen.

»Also vorwärts«, sagte Fretnorc und schob seinen Gegner in den Eingang. »Sieh dir den Himmel noch einmal an, Freund. Es wird das letzte Mal sein.«

Psychotrick eins gelungen, dachte Fret­norc, als er das Gesicht seines Gegners sah. Der Schläger freute sich sichtlich, das drei­ste Manöver Fretnorcs durchschaut zu ha­ben.

Fretnorc hatte geprahlt mit dieser Bemer­kung. Das war ein beliebter Trick, der dem Gegner klarmachen sollte, daß man sich für stärker hielt. Die zweite Stufe des gleichen Tricks bestand darin, den Gegner erkennen zu lassen, daß es sich um einen Psychotrick handelte. Wer solche Tricks anwendete, ver­traute seiner körperlichen Kraft nicht voll­ständig – und genau diesen Eindruck hatte Fretnorc hervorrufen wollen.

*

Die Halle war erstaunlich groß und bis auf den letzten Platz gefüllt. Fretnorc schätz­

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te, daß sich mindestens tausend Besucher eingefunden hatten. In der Mitte der Halle stand ein Ring, ein Viereck aus Stahlpfosten und dicken Seilen. Im ersten Augenblick war Fretnorc erschrocken.

Der Boden des Ringes hatte eine merk­würdig dunkle Färbung, seine Seitenwände waren sogar schwarz – schwarz von geron­nenem Blut, dessen Geruch deutlich zu spü­ren war. Gerade noch rechtzeitig erkannte Fretnorc, daß dies ein Psychotrick des Un­ternehmers war. Er sollte nicht nur den ah­nungslosen Gegner beeindrucken, er sollte vornehmlich dem Publikum den Eindruck verschaffen, daß in dieser kleinen Arena tat­sächlich um das Leben gekämpft wurde. In den ersten und teuersten Reihen erkannte Fretnorc eine große Zahl von Frauen, die den Blutgeruch förmlich einsogen.

Neben dem Ring stand ein närrisch aufge­putzter kleiner Mann mit einem Mikrophon.

»Meine Damen und Herren«, verkündete er mit dem Gehabe eines Marktschreiers, »wie ich soeben erfahren habe, haben sich zwei Herren dazu entschlossen, einen Ehren­handel in unserem Hause austragen zu wol­len. Das Haus erlaubt sich, für den Sieger ei­ne Prämie von 200 Chronners auszusetzen. Diese Prämie erhöht sich selbstverständlich, entsprechend den Waffen, mit denen die Herren gegeneinander kämpfen wollen, der Zeit, die bis zur Entscheidung vergeht und der Entscheidung selbst. Kommen Sie näher, meine Herren, kommen Sie näher!«

Es gelang Fretnorc vorzüglich, den Ver­wirrten zu spielen. Den Ekel, den er darstell­te, als er in den von Blut schlüpfrigen Ring kletterte, brauchte er nicht einmal zu spielen. Zwar waren hier nur ein paar Liter Kunst­blut vergossen worden, aber der Geruch war erstaunlich echt.

Fretnorc sah sich verwirrt um, während ihn das Publikum begrüßte. Linkisch deutete er eine Erwiderung des Grußes an. Daß sein Kontrahent mit lauterem Beifall begrüßt wurde, wunderte ihn nicht – der größte Teil des Publikums wußte natürlich, daß der Mann ein Angestellter des Hauses war.

Peter Terrid

»Wie wollen Sie kämpfen, und wie hei­ßen Sie?«

Der Veranstalter hielt Fretnorc das Mikro­phon unter die Nase.

»Fretnorc heiße ich«, stotterte er verlegen. »Wie ich kämpfen will …? Ja, was haben Sie denn zu bieten? Strahlwaffen sind wohl nicht zulässig, oder?«

»Das allerdings nicht«, bestätigte der Ver­anstalter und warf seinem Angestellten einen bösen Blick zu.

»Bist du wahnsinnig geworden, mir einen solchen Dummkopf anzuschleppen?« besag­te dieser Blick.

»Wollen Sie nur einen rein sportlichen Kampf führen? Oder vielleicht um die Ehre? Oder gar ums Leben?«

Bei den letzten Worten wurde die Stimme des Veranstalters hörbar süffisant.

Fretnorc nickte. »Ja«, sagte er. »Bravo«, erklang es aus den Reihen des

Publikums. »Bravo, es geht ums Leben!« Es gelang Fretnorc vorzüglich, den restlos

Überraschten zu mimen. Er tat so, als habe er gar nicht vorgehabt, so hoch zu kämpfen, sei aber zu feige, im Angesicht des Publi­kums zu kneifen.

Der Blick des Veranstalters sprach Bände. »Das erhöht die Prämie«, rief er in das

Mikrophon. »Eintausend Chronners für den Sieger, dem Verlierer ein ehrenvolles Be­gräbnis.«

Das Brüllen des Publikums zeigte, daß die Mehrzahl hauptsächlich an dem Begräbnis interessiert war.

Offiziell waren Kämpfe ums Leben ver­boten, aber wenn alle Arkoniden alle Geset­zesübertretungen schlagartig eingestellt hät­ten, wäre das Imperium vermutlich zusam­mengebrochen. Gerade unter dem Regime Orbanaschols hatte sich zwischen Gesetzmä­ßigkeit und Verbrechen eine Grauzone ge­bildet, die von Jahr zu Jahr breiter wurde.

»Waffen?« Fretnorc schüttelte den Kopf. »Nur mit den Händen«, erklärte er. »Zweitausend auf Barlik«, rief einer der

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Zuschauer. »Ich halte«, gab eine andere Stimme

durch. Jetzt wußte Fretnorc wenigstens, wie sein

Gegner hieß. Langsam und umständlich zo­gen sich die beiden Kämpfer in die Kabine zurück, um sich für den Kampf umzuklei­den.

»Kein Öl!« stieß Fretnorc hervor, als er neben Barlik auf die Kabinen zuging.

»Wie du willst«, sagte der grinsend. »Hattest du wenigstens dein Testament ge­macht?«

»Habe ich«, bestätigte Fretnorc grinsend. »Zugunsten deiner Witwe!«

Barliks Unterkiefer sackte herunter, dann schüttelte er fassungslos den Kopf.

»Schade, Bruder«, murmelte er. »Glaube mir, ich werde dich nicht gern töten, aber du hast es so gewollt.«

Er holte aus, um sich mit einem Klaps auf den Rücken zu verabschieden. Rein zufällig reckte Fretnorc den linken Ellenbogen so weit wie möglich nach hinten. Barliks Trick mißlang. Anstatt eine hart geschlagene Handkante in Fretnorcs Rücken zu landen, kollidierte sein Unterarm mit Fretnorcs El­lenbogen. Barlik stöhnte dumpf auf.

Während er sich den schmerzenden Un­terarm rieb, sah er Fretnorc nachdenklich an.

Fretnorc lächelte. »Hast du dir weh getan?« fragte er schein­

heilig. Barlik grunzte nur.

3.

Der Veranstalter verstand sein Geschäft. Bevor Barlik und Fretnorc den Ring betreten konnte, fand noch ein weiterer Kampf statt. Wieder war von den Angestellten der Halle ein Passant hereingelegt worden, ein stäm­miger Raumsoldat, der gegen eine zierliche junge Frau antreten mußte. Die Frau war ei­ne Angestellte, und sie verstand ihr Ge­schäft. Innerhalb von vier Minuten verprü­gelte sie den Soldaten derart gründlich, daß der Mann von zwei Robots aus dem Saal ge­

tragen werden mußte. Barlik stand neben Fretnorc, in einem Si­

cherheitsabstand von drei Metern. »Deine Frau?« erkundigte sich Fretnorc

beiläufig. Barliks gequält klingender Seufzer war

Antwort genug. Dann waren Fretnorc und Barlik an der

Reihe. Beide Männer trugen nur eine knapp sitzende Badehose, und Fretnorc konnte deutlich sehen, daß Barlik sich an die Abma­chung gehalten hatte. Er hatte seinen Körper nicht eingeölt – statt dessen hatte er Seife benutzt, was auf das gleiche Ergebnis hin­auslief. Es würde fast unmöglich sein, ihn zu fassen.

Im Publikum wurde es still. Daß sich zwei Kämpfer ein Gefecht auf

Leben und Tod lieferten, kam nicht allzu häufig vor, und die Kenner im Publikum wußten ziemlich genau, daß sich hier keine Angestellten einen Schaukampf lieferten, wie es meistens der Fall war.

Fretnorc betrat den Ring als erster, Barlik folgte ihm langsam und umständlich. Der Veranstalter fungierte gleichzeitig als Ringrichter. Seine Aufgabe bestand einzig darin, ein zu rasches Ende des Kampfes zu verhindern. Außerdem mußte er dafür sor­gen, daß der Sieger den Unterlegenen nicht tötete, bevor er das Publikum befragt hatte. Erst wenn die Menge ihre Zustimmung ge­geben hatte, durfte der Sieger einen tödli­chen Schlag oder Griff anbringen, vorher war dies nicht erlaubt.

Der Veranstalter ging auf Fretnorc zu. »Wünschen Sie eine Begrenzung der

Kampfzeit?« fragte er. Fretnorc schüttelte den Kopf, obwohl er

damit sein Risiko vergrößerte. Bei einem Kampf mit festgesetzter Dauer konnte es ge­schehen, daß bis zum Ende kein Sieger fest­stand. Der Tod eines der beiden Beteiligten war dann ausgeschlossen.

»Keine Zeitbegrenzung«, wiederholte Fretnorc. Der Veranstalter zuckte mit den Schultern.

»Es ist Ihr Leben«, murmelte er. »Sie

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müssen wissen, was Sie tun!« »Seien Sie versichert, ich weiß es!« Ein unüberhörbarer Sirenenton gab das

Zeichen zum Beginn des Kampfes. Langsam bewegten sich beide Männer auf die Ring­mitte zu. Das Publikum war still.

Eine halbe Minute verging, in der sich die Gegner zu studieren versuchten. Dann setzte Barlik zum Angriff an.

Seine Faust stach hervor und zielte auf Fretnorcs Kopf. Fretnorc hatte den Angriff kommen sehen und wich mit einer ge­schmeidigen Bewegung zur Seite aus. Seine Handkante krachte mit erbarmungsloser Härte in Barliks Ellenbogengelenk, außer­dem nutzte Fretnorc den Schwung seines Körpers, um seinem Gegner einen wuchti­gen Tritt gegen die Beine zu versetzen. Bar­lik stöhnte auf und wich einen Schritt zu­rück. Er war ein viel zu guter Kämpfer, um sich durch diesen fehlgeschlagenen Angriff aus der Ruhe bringen zu lassen. Sein Schwinger traf Fretnorc in die Magengrube, und diesmal war es Fretnorc, der zurücktau­melte. Wieder griff Barlik ungestüm an und rannte in Fretnorcs Fuß, der ihn mit der Wucht eines Katapults in den Bauch ge­rammt wurde. Barlik flog zurück und stürz­te. Sofort war Fretnorc bei ihm und trat er­neut zu. Barlik bekam den Fuß zu fassen und drehte ihn erbarmungslos herum. Wenn Fretnorc sich nicht das Fußgelenk brechen lassen wollte, mußte er die Bewegung mit­machen.

Er drehte sich in der Luft herum, um dem Schmerz in seinem Knöchel zu entgehen. Noch in der Luft ließ er das freie Bein her­abzucken. Die Spitze des Kampfstiefels traf Barliks Magengrube und trieb den Mann das Blut aus dem Gesicht. Unwillkürlich ließ er Fretnorcs Fuß fahren und rollte sich zur Sei­te.

Sekunden später standen beide Kämpfer wieder auf den Beinen. Erneut belauerten sie sich, diesmal um die Erfahrung reicher, daß der Gegner ernst zu nehmen war.

Das Publikum begann zu toben. Jetzt hat­ten alle begriffen, daß sie keinen Schau-

Peter Terrid

kampf vorgesetzt bekamen, sondern ein Ge­fecht, das von beiden Parteien mit tödlicher Entschlossenheit geführt wurde.

Fretnorc deckte seinen Gegner mit einem Hagel von Schlägen ein. Entscheidende Treffer konnte er nicht landen, aber seine Handkante prallte immer wieder hart und schmerzhaft auf Barliks Oberarme. Irgend-wann mußten diese Treffer dazu führen, daß Barlik die Hände nicht mehr heben konnte. Dann hatte Fretnorc leichtes Spiel.

Fretnorc hütete sich davor, Barlik zu un­terschätzen. Auch Barlik kämpfte entschlos­sen und geschickt, seine Fußtritte trafen im­mer wieder Fretnorcs Knöchel, und jedesmal zuckte Fretnorc schmerzerfüllt zusammen.

Beide Kämpfer waren schweißbedeckt, die Haare fielen ihnen in die Stirn, beide keuchten vor Anstrengung. Fretnorc hatte keine Zeit gefunden, auf die große Uhr in der Nähe des Ringes zu sehen. Nach seinem Empfinden mußten bereits zwanzig Minuten vergangen sein, zwanzig Minuten, die au­ßerordentlich viel Kraft gekostet hatten.

Fretnorc bekam Barliks Arm zu fassen und hebelte den Mann über die Hüfte. Kat­zengewandt kam Barlik wieder auf die Bei-ne und grinste höhnisch. Fretnorc wurde von einer Doublette getroffen und brach in die Knie. Barliks nächster Schlag wischte über Fretnorcs Kopf, und bevor Fretnorc endgül­tig ohnmächtig werden konnte, packte er Barliks Beine und riß sie an sich. Barlik fiel hintenüber und krachte mit dem Nacken auf das Begrenzungsseil.

Im Publikum sprangen viele auf, um die letzten Augenblicke des Kampfes besser se­hen zu können.

Vor Fretnorcs Augen vollführte die Welt einen aberwitzigen Wirbel. Fretnorc konnte gerade noch erkennen, daß Barlik von sei­nem Sturz auf das straffgespannte Seil so benommen war, daß er Fretnorcs Schwäche nicht ausnutzen konnte. Wie betrunken tau­melten die beiden Männer durch den Ring, bis sich der erste wieder an den Kampf erin­nern konnte.

Fretnorc war der erste, der wieder leidlich

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klar denken konnte. Er traf Barlik mit einem Schwinger in die Magengrube und trieb den Mann vor sich hin, bis beide vor den Seilen standen.

Die Vorsätze, die Fretnorc gehabt hatte, als er in den Ring gestiegen war, hatten sich verflüchtigt. Er spürte nur noch einen gren­zenlosen Haß auf den Mann, der ihm Schlä­ge versetzt und kaum erträgliche Schmerzen bereitet hatte. Fretnorc trieb den schwer an­geschlagenen Barlik vor sich her, besin­nungslos vor Wut drosch er mit beiden Fäu­sten auf ihn ein.

Das Publikum raste. Dann setzte Fretnorc zum letzten Griff an.

Barlik war nicht mehr in der Lage, sich ernsthaft zu wehren, obwohl er noch klar ge­nug war, um zu erkennen, daß es ihm ans Leben ging. Mit beiden Händen packte Fret­norc zu.

Das Schreien des Publikums übertönte den Ruf des Veranstalters.

Endlich begriff Fretnorc, daß er erst das Publikum fragen mußte, bevor er Barlik er­würgen durfte. Fretnorc zerrte den halb be­wußtlosen Barlik in die Höhe und sah das Publikum an. Die Antwort fiel aus, wie er es erwartet hatte. Das Publikum kannte Barlik aus vielen siegreichen Kämpfen, jetzt hatte es genug von ihm. Der neue Liebling hieß Fretnorc, der Mann, der Barlik geschlagen hatte. Jetzt mußte er den Sieg so vollständig machen, wie sich dies nur erreichen ließ. Das Publikum forderte stürmisch Barliks Tod.

Barliks letzter Treffer hatte Fretnorc fast besinnungslos werden lassen, er wußte nicht mehr, was er tat. Fast automatisch krümmte er die Finger um Barliks Hals.

Erst als Barlik zu röcheln begann, wurde Fretnorc klar, was er tat. Sofort lockerte er seinen Griff, und im gleichen Augenblick wurde ihm klar, daß er in einer teuflischen Zwickmühle steckte.

Er selbst war es gewesen, der den Kampf bis zu diesem Ende hochgepeitscht hatte. Konnte er jetzt noch zurück? Dem Schreien des entfesselten Publikums nach zu schlie­

ßen, nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben war

Fretnorc ehrlich erleichtert, als das grelle Pfeifen an seine Ohren drang. So kündigte die planetare Polizei ihr Eingreifen an. Se­kundenlang verharrte das Publikum wie ge­lähmt auf den Sitzen, dann brach eine Panik aus. Schreiend und fluchend stürzten die Menschen auf die Ausgänge zu.

Fretnorc richtete Barlik auf. Sein Gegner starrte ihn benommen an, er war noch nicht ganz bei Bewußtsein.

»Vorwärts«, schrie Fretnorc in Barliks Ohr, um den Lärm zu übertönen. »Wir müs­sen verschwinden!«

Barliks Reaktion bestand in einem Blin­zeln der Verständnislosigkeit. Währenddes­sen drangen die Polizisten immer tiefer in die Halle ein. Der größte Teil der Ausgänge war abgeriegelt.

Polizisten wie Publikum steckten in einer Klemme. Beim durchschnittlichen Publikum war der Fall klar; wer erwischt wurde, machte mit dem Gefängnis Bekanntschaft. Bei höhergestellten Personen lag der Fall an­ders; meist blieb es bei geringfügigen Geld­strafen. Natürlich hatten die Polizisten den Auftrag, alle Besucher solcher illegalen Kämpfe zu verhaften, aber das ließ sich meist nur bewerkstelligen, wenn die Beam­ten Paralysatoren einsetzten. Gefährlich für die Polizei wurde es, wenn ein Paralysator­schuß einen hochgestellten Arkoniden traf – dann sah sich bald der entsprechende Poli­zist vor den Schranken des Gerichts. Die Kunst bei diesen Razzien bestand für die Beamten darin, die richtigen Straftäter her­auszufinden und zu verhaften.

Fretnorc konnte deutlich sehen, daß die Polizisten nervös waren. Ihre Paralysator­schüsse landeten meist in der Decke und konnten so keinen Schaden stiften. Offenbar zerrte vor allem das gellende Kreischen der Frauen an den Nerven der Beamten.

Fretnorc hatte schon einige Male Be­kanntschaft mit einem Paralysator gemacht, er wußte, wie sich ein Treffer anfühlte. Vor allem aber wußte er, welche Schmerzen der

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Getroffene auszuhalten hatte, wenn er die Kontrolle über seine Muskulatur langsam wiedergewann.

Fretnorc zuckte zusammen. Der Schuß hatte ihn nur gestreift, er war

nicht einmal stark genug, um die Bewe­gungsfreiheit einschränken zu können. Den­noch ließ sich Fretnorc mit einer bühnenrei­fen Schauspielleistung vornüber fallen. Vor­sichtshalber riß er den benommenen Barlik gleich mit zu Boden.

»Keine Bewegung«, zischte er in Barliks Ohr. »Oder wir sind verloren!«

Die Besucher des Kampfpalasts dachten nicht daran, sich der Polizei einfach zu erge­ben. Immer neue Beamte tauchten auf, um die sich wehrende Männer und Frauen abzu­transportieren. Fretnorc konnte nur staunen, welche Flüche dabei vor allem die Frauen über die Lippen brachten.

»Hier liegen zwei!« rief eine schmerzhaft laute Stimme. Ein Stiefel traf Fretnorc in die Seite. Der Mann hatte nicht hart zugetreten, dennoch kostete es ihn alle Nervenkraft, nicht schmerzhaft zusammenzuzucken.

»Sie sind betäubt, offenbar hat jemand sie getroffen.«

»Laß sie liegen, um die beiden kümmern wir uns zum Schluß. Komm lieber herüber, diese Katze hier will mir die Augen auskrat­zen!«

Fretnorc hörte, wie der Polizist, dessen Stiefel nur unmittelbar vor seinen Augen waren, laut auflachte, dann sah er, daß sich der Mann entfernte.

»Was ist eigentlich los?« Barlik war inzwischen leidlich zu sich ge­

kommen. Es sprach für seine Geistesgegen­wart, daß er nur unmerklich die Lippen be­wegte und sehr leise sprach.

»Polizei!« raunte Fretnorc. »Bleib ganz ruhig. Wir stellen Betäubte dar. Gibt es aus dieser Höhle noch andere Ausgänge als die, die von der Polizei überwacht werden?«

»Gibt es«, gab Barlik flüsternd zurück. »Der gesamte Ring kann abgesenkt werden. Aber dazu müssen wir erst einmal die Steue­rung erreichen. Sie steckt in einer der Stüt-

Peter Terrid

zen!« Ohne den Kopf zu bewegen, betrachtete

Fretnorc seine Umgebung. Es war inzwischen Ruhe eingekehrt. Der

größte Teil des Publikums war verhaftet und abtransportiert worden. An den Türen hatten sich Menschenschlangen gebildet. Die Besu­cher hatten sich offenbar damit abgefunden, daß die Polizei die Oberhand hatte. Folgsam hatten sich die Leute angestellt und warteten darauf, daß ihre Papiere kontrolliert und sie selbst abgeführt wurden. In dem großen Saal lagen Körper auf dem Boden. Fretnorc zähl­te allein in seinem Blickfeld mehr als zwan­zig Paralysierte. Niemand kümmerte sich um sie, da die Paralyse erst in einigen Stun­den wieder weichen würde.

»Das ist unsere Chance«, stellte Fretnorc fest. Barlik stimmte mit einer Bewegung der Augenlider zu.

Die Polizisten waren zu stark damit be­schäftigt, die Unbetäubten zu kontrollieren, um sehen zu können, wie sich die beiden Männer über den Boden des Ringes rollten, bis sie den entscheidenden Pfosten erreicht hatten.

Ein Beamter warf einen prüfenden Blick über die Betäubten in der Halle. Fretnorc und Barlik erstarrten sofort. Der Polizist wandte sich wieder der Kontrolle der Aus­weise zu. Er hatte die Lageveränderung nicht bemerkt.

»Wir müssen uns beeilen!« zischte Barlik. Langsam bewegte er den rechten Arm vor­wärts, bis er den Pfosten mit den Fingern er­reicht hatte. Ein kaum wahrnehmbares Knacken war zu hören, als er den entschei­denden Knopf gefunden und betätigt hatte. Langsam, viel zu langsam für Fretnorcs Ge­fühl, senkte sich der Ring ab. Fretnorc hielt den Atem an. Wenn der Polizei diese Verän­derung auffiel, hatten die Beamten bei dem Tempo des Verschwindens Zeit genug, um eine ganze Brigade außer Gefecht zu setzen.

Fretnorcs Befürchtungen bestätigten sich. Er blieb steif und starr liegen, wie es seiner Rolle entsprach, während einer der Polizi­sten mit gezogener Waffe langsam näher­

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kam. Das Gesicht des Beamten drückte un­verhohlene Skepsis aus. Er wußte aber of­fenbar nicht, was er von der Sache halten sollte. Mißtrauisch betrachtete er die beiden regungslosen Gestalten auf dem Boden des Rings, der sich langsam in die Tiefe senkte. Fretnorc sah, wie der Mann über die Seile kletterte und den Ring betrat.

Es gehörte keine Schauspielkunst dazu, den Augen einen ängstlichen Ausdruck zu verleihen. Beide Männer wußten sehr genau, daß sie in höchster Gefahr schwebten. Sie rührten sich nicht und warteten ab, bis der Beamte unmittelbar vor ihnen stand.

»He, was machst du da?« rief eine wüten­de Stimme. Offenbar war nun ein zweiter Polizist auf den Ring aufmerksam gewor­den.

Der Beamte vor Fretnorc wandte sich um, um antworten zu können. Im gleichen Au­genblick schnellte Fretnorcs Fußspitze in die Höhe. Er traf das Handgelenk des Polizisten, die Waffe flog in hohem Bogen davon, und der Mann stieß einen Schmerzensschrei aus. Barlik kam auf die Füße und setzte einen Hebelgriff an. Der Mann flog aus dem Ring und landete zwischen den Stuhlreihen. Sein Aufschrei verriet, daß die Landung alles an­dere als sanft ausgefallen war. Fretnorc ball­te vor Aufregung die Fäuste.

Langsam hob sich ein Dach über dem Ring, der längst unterhalb des Hallenbodens angekommen war. Sehen konnten die beiden Männer nur die Decke der Kampfhalle, aber sie hörten deutlich das Toben des Polizisten und die Alarmrufe seiner Kollegen. Eine Ewigkeit, schien zu vergehen, währenddes­sen sich der Spalt zwischen den beiden Tei­len der Deckenkonstruktion verringerte.

»Weg von hier!« rief Barlik. »Folge mir!« Fretnorc zögerte nicht. In der Unterwelt

der Halle kannte sich Barlik naturgemäß ent­schieden besser aus als er. Noch während er sich umdrehte, sah Fretnorc etwas, was ihn erbleichen ließ.

Einer der Polizisten hatte den Spalt er­reicht, und ohne jedes Zögern machte sich der Beamte an den Abstieg. Er konnte nicht

sehen, wie tief es hinabging, und noch im­mer verringerte sich der Abstand zwischen den Deckenplatten.

»Ist der Bursche lebensmüde?« stöhnte Fretnorc auf.

»Komm mit!« forderte Barlik erregt, aber Fretnorc verharrte.

Wenn der Polizist von der sich schließen­den Decke zerquetscht wurde, war späte­stens in zehn Minuten ganz Pejolc alarmiert und jagte ihn und Barlik. Fretnorc spürte, wie Barlik nach seiner Hand griff.

»Beeile dich«, drängte der Arenakämpfer. »Der Bursche weiß ganz genau, was er will!«

Fretnorc spürte, wie er von Barlik fortge­rissen wurde. Er konnte seinen Blick nicht von dem Polizisten wenden, der jetzt einge­klemmt war und unterdrückt aufstöhnte.

Fretnorc schloß die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie die Deckenkon­struktion den Mann buchstäblich halbierte. Erst als er über sich einen triumphierenden Schrei hörte, wußte er wieder, was er zu tun hatte.

Der Polizist war keineswegs ein Selbst­mörder gewesen, nur ungewöhnlich risiko­freudig und furchtlos. Er hatte einfach dar­auf spekuliert, daß eine Überwachungsauto­matik existierte, die solche Unfälle zu ver­meiden hatte, und er hatte sich nicht geirrt. Teils erleichtert, teils erschreckt sah Fret­norc, wie die Automatik die beiden Hälften der Deckenkonstruktion wieder auseinander­fahren ließ.

4.

»Willst du warten, bis man dich zusam­menschießt?« rief Barlik unterdrückt.

Endlich erwachte Fretnorc aus seiner Be­nommenheit. Er wußte; daß es jetzt auf jede Sekunde ankam.

»Mir nach«, kommandierte Barlik. »Auf solche Aktionen sind wir bestens vorberei­tet!«

Ohne sich noch einmal umzudrehen, rann­te Fretnorc hinter seinem früheren Gegner

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her. Es war dunkel in den Gängen, aber Bar­lik schien sehr genau zu wissen, wohin er sich zu wenden hatte. Fretnorc spürte Bar­liks Hand, die ihn unerbittlich hinter sich herzog.

»Wohin willst du fliehen?« erkundigte sich Fretnorc keuchend.

»Warte es ab«, lautete der knappe Be­scheid des Profikämpfers. »Nach links!«

Längst hatte Fretnorc die Orientierung verloren. Er konnte nur hoffen, daß Barlik keinen Fehler machte. Die Polizei würde na­türlich auch die unterirdischen Räume ge­nauestens untersuchen. Es würde schwer sein, ein Versteck zu finden, das von Hohl­raumtastern nicht gefunden werden konnte.

»Nach rechts«, rief Barlik, dann lachte er laut auf.

Fretnorc schüttelte verwundert den Kopf. Er wußte nicht, wie Barlik dies fertigge­bracht hatte, aber auf jeden Fall standen die beiden Männer wieder im Umkleideraum. Barlik schlich schnell zur Tür und spähte auf den Gang hinaus. Er grinste zufrieden.

»Sie haben die Kabine schon durchsucht«, stellte er fest. »Auf dem Gang steht ein Po­sten, aber der kann uns nicht gefährlich wer­den. Zieh dich um!«

Hastig schlüpfte Fretnorc in die Kleidung, die er vom Kampf abgelegt hatte. Sobald er damit fertig war, folgte er Barliks Beispiel und verwischte alle Fingerabdrücke, die er vielleicht hinterlassen haben könnte. Erst als er diese Arbeit zu Barliks Zufriedenheit erle­digt hatte, zeigte der Profikämpfer den Fluchtweg. Mit gewaltiger Kraftanstrengung schob er einen der schweren Schränke zur Seite. Verblüfft stellte Fretnorc fest, daß der massive Schrank auf einer Schiene stand. Eine Tür wurde sichtbar. In der Mitte er­kannte Fretnorc einen der kleinen Spione, die es in vielen Türen gab. Barlik spähte kurz hindurch und grinste erneut.

»Los, du gehst als erster!« Die Tür schob sich geräuschlos zur Seite.

Ein dunkler Gang tauchte vor Fretnorc auf. »Los, beeile dich. Ich kann den Schrank

nicht mehr lange halten!«

Peter Terrid

Fretnorc schob sich durch die schmale Öffnung. Barlik folgte mit einem weiten Satz. Blitzartig schloß sich hinter ihm die Tür, und dem dumpfen Rollen nach zu schließen, glitt der schwere Schrank auf der leicht geneigten Schiene von selbst wieder in seine Ausgangsposition.

Barlik grinste zufrieden. »Bis die Polizei diesen Ausgang entdeckt

hat, ist ein Maahk Imperator geworden!« prophezeite er belustigt. »Diese Beamten rechnen mit allen positronischen Finessen, an eine so simple Konstruktion denkt be­stimmt niemand!«

Endlich merkte Fretnorc, wo er sich be­fand.

Die beiden Männer standen auf einer der vielen schmalen Gassen, die auf die Zoltral-Avenue mündeten. Die meisten Passanten hielten die nicht erleuchteten Gassen für Toreinfahrten und kümmerten sich nicht darum. Ein besserer Fluchtweg ließ sich kaum denken.

Untergehakt verließen die beiden Männer den schmalen Seitenweg und kehrten auf die Zoltral-Avenue zurück. In einiger Entfer­nung konnten sie die Menschentraube sehen, die sich vor dem Eingang der Kampfhalle gebildet hatte. Von spöttischen Kommenta­ren schadenfroher Passanten begleitet, wur­den die Verhafteten abtransportiert.

»Glück gehabt«, murmelte Fretnorc. Bar­lik sah ihn skeptisch von der Seite an.

»Apropos Glück«, sagte er gedehnt. »Hättest du mir wirklich den Hals umge­dreht, wenn nicht gerade die Polizei aufge­taucht wäre?«

Fretnorc biß sich auf die Lippen. »Ich weiß es nicht«, gestand er offen.

Barlik nickte bekümmert. »Bevor du dich deswegen grämst«, sagte

er mit leisem Spott. »Ich hätte nicht gezö­gert!«

Fretnorc begann zu lachen. »Wir haben also beide Glück gehabt«,

stellte er fest. »Was wolltest du eigentlich damit errei­

chen?« wollte Barlik wissen. »Du hast doch

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nicht ohne Grund so hoch gespielt?« Fretnorc zuckte mit den Schultern. »Ich habe ein wenig Geld übrig«, erklärte

er. »Und ich wollte es irgendwie vermehren. Am liebsten hätte ich irgendwo auf den Aus­gang der KAYMUURTES gewettet, aber ich bin Tourist und kenne die einschlägigen Adressen nicht.«

Barlik schüttelte den Kopf. »Und deswegen hättest du mich fast um­

gebracht«, seufzte er. » Du hättest mich nur zu fragen brauchen. Ich kenne mich in die­sem Gewerbe aus.«

»Was du nicht sagst«, staunte Fretnorc und unterdrückte ein triumphierendes Grin­sen.

»Natürlich«, bestätigte Barlik. »Ich lebe schließlich lange genug auf Pejolc, und in meinem Beruf muß man alle wichtigen Leu­te kennen. Wettbüros, Agenturen, Hehler und so weiter.«

Fretnorc lächelte vergnügt.

*

Polc-Tanier hustete, als gelte es sein Le­ben. Sein Körper wurde von den Anfällen geschüttelt, sein Gesicht war rot angelaufen. Es sah aus, als werde er im nächsten Augen­blick tot zur Seite fallen.

Fretnorc kannte diese Attacken bereits und kümmerte sich nicht mehr darum. Er wußte, daß sein Partner sich bald wieder er­holt haben würde. Und wirklich ebbte Polc-Taniers Hustenanfall langsam ab.

»Wiederhole bitte«, ächzte Polc-Tanier. »Du hast also ein Wettbüro ausfindig ge­macht.«

»Nicht nur das«, erklärte Fretnorc selbst­zufrieden. »Wenn die Angaben stimmen, die mein Gewährsmann gemacht hat, verfügt dieses Wettbüro über beste Beziehungen. Wenn überhaupt ein Büro im Besitz einer halboffiziellen Teilnehmerliste ist, dann die­ses.«

»Sehr gut«, lobte Polc-Tanier. Er setzte den Inhalator an die Lippen und atmete das krampflösende Aerosol ein. »Und was ver­

sprichst du dir davon? Willst du wetten?« »Kein Interesse«, wehrte Fretnorc ab.

»Dafür fehlt mir das Geld. Mein Gewährs­mann hat mir gesagt, daß dieses Büro nur mit hohen Beträgen arbeitet. Ich sehe nur die Möglichkeit – wir werden dem Büro einen Besuch abstatten, wenn die Inhaber nicht an­wesend sind!«

»Einbruch?« ächzte Polc-Tanier. Ein neu-er Hustenanfall schüttelte ihn. »Willst du ge­gen das Gesetz verstoßen?«

Fretnorc rollte mit den Augen und hob die Hände.

»Freund und Kampfgefährte«, sagte er verzweifelt. »Für das, was wir bis heute an Ungesetzlichem angestellt haben, ist uns der Tod sicher. Auf einen Einbruch kommt es da wahrlich nicht mehr an.«

»Wir haben nur die verbrecherischen Ge­setze Orbanaschols übertreten«, erinnerte ihn Polc-Tanier sanft. »Und dies auch nur, weil die Sorge um das Imperium uns zwang, sozusagen aus Notwehr.«

»In einer Notlage befinden wir uns auch diesmal«, begehrte Fretnorc auf. »Wir haben nämlich keine andere Wahl. Ich habe mich umgesehen und umgehört, es gibt keinen an­deren Weg.«

Polc-Tanier lächelte verhalten. »Oh, das Ungestüm der Jugend«, zitierte

er. »Mit Geduld und Besonnenheit werden wir schon einen anderen Weg finden. Bevor ich ein Gesetz übertrete, will ich genau wis­sen, ob dies unvermeidlich ist oder nicht.«

»Es ist unvermeidlich«, beharrte Fretnorc. »Ich habe alle nur denkbaren Möglichkeiten analysiert und ausgekundschaftet. Es gibt keinen anderen Weg, glaube mir.«

»Und wer ist dieser merkwürdige Ge­währsmann, von dem du deine Kenntnisse der Pejolcschen Halbwelt beziehst?«

Fretnorc erklärte kurz, welchem Gewerbe Barlik nachging. Polc-Tanier schüttelte ent­geistert den Kopf.

»Du glaubst einem Menschen, der kalt­blütig andere Menschen verletzt oder sogar tötet – und das nur um des schnöden Profits willen?«

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Fretnorc schwieg betroffen. Schließlich konnte er dem alten Mann nicht erklären, daß er selbst nahe daran gewesen war, Bar­lik den Hals umzudrehen. Für dergleichen Dinge hatte der alte Polc-Tanier wenig Ver­ständnis.

»Wer krank ist, sucht einen Arzt auf«, sagte Fretnorc langsam. »Wer Informationen über Geologie braucht, bemüht einen Geolo­gen. Und wer etwas über illegale Geschäfte wissen will, tut gut daran, einen Mann zu befragen, der selbst illegale Geschäfte be­treibt. Wen hätte ich sonst fragen sollen, die Polizei vielleicht?«

»Das stimmt«, räumte Polc-Tanier zu Fretnorcs Erleichterung ein. Er stand auf und ging zum Fenster hinüber.

Es war früher Morgen, der Horizont wur­de von der aufsteigenden Sonne rötlich ver­färbt. Es war die Tageszeit, in der fast alle Bürger Pejolcs schliefen – der Schwarm der Nachtbummler hatte sich gerade erst zur Ru­he begeben, den anderen blieben noch kost­bare Viertelstunden, bis sie der Wecker aus dem Schlaf und an die Arbeit treiben würde.

»Wann willst du losschlagen?« fragte Polc-Tanier, ohne sich umzudrehen.

»Morgen«, schlug Fretnorc vor. »Morgen nacht, etwas früher als um diese Tageszeit. Ich habe das Wettbüro bis vor einer Stunde beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt war seit mehr als einer Stunde kein Mensch mehr in den Räumen.«

»Sicherungen?« Fretnorc schüttelte den Kopf. »Soweit ich sehen konnte, gibt es keine

Alarmanlagen«, verkündete er. »Es wird einfach werden, glaube ich.«

Polc-Tanier drehte sich um und lächelte schwach.

»Nichts«, verkündete er mit der Überle­genheit des Alters, »ist einfach, es sieht nur manches so aus.«

Dieser Weisheit hatte Fretnorc nichts ent­gegenzusetzen. Er fühlte sich müde und er­schöpft, und er war ehrlich genug, sich ein­zugestehen, daß er auch nicht mehr nüchtern war. Der Abschied von Barlik war etwas

Peter Terrid

feucht ausgefallen. »Ich lege mich schlafen«, verkündete

Fretnorc. »Nur zu«, sagte Polc-Tanier gönnerhaft.

»Ich werde mich erst in zwei Stunden hinle­gen.«

Um so besser, dachte Fretnorc. Dann wer­de ich beim Einschlafen wenigstens nicht al­le halbe Stunde von einem Hustenanfall er­schreckt.

*

Die beiden Männer gingen langsam und gemächlich, einer von ihnen schwankte leb­haft, und sein Gefährte hatte ziemliche Mü­he, ihn vor dem Umfallen zu bewahren. Ei­nige Nachzügler, die sich auf den Heimweg machten, sahen das seltsame Gespann und lächelten amüsiert.

Üblicherweise zog der Vater aus, um sei­nen betrunkenen Sohn nach Hause zu holen. In diesem Fall schienen die Rollen ver­tauscht. Der Betrunkene war ein alter Mann, dessen Äußeres verriet, daß er in einem Sa­natorium weit besser aufgehoben war als in den Spelunken entlang der Zoltral-Avenue. Seine Stütze – vermutlich sein Sohn – war ein kräftiger junger Mann, dem man weit eher zutraute, daß er einmal über die Stränge schlug.

Fretnorc kümmerte sich nicht um die Blicke, die ihm und Polc-Tanier galten. Für seinen Geschmack spielte Polc-Tanier die Rolle des angetrunkenen alten Herrn ent­schieden zu gut. Fretnorc hatte allerhand zu tun. Polc-Tanier lallte leise einige Verse mit einem Vokabular, das Fretnorc bei seinem Kameraden niemals vermutet hatte. Immer wieder ließ sich Polc-Tanier schwer auf Fretnorcs Schultern sinken, er stolperte über seine eigenen Füße. Zu Fretnorcs größtem Staunen hatte er bisher nicht ein einziges Mal gehustet. Simuliert der Alte vielleicht?

»Mach dich nicht ganz so schwer!« zisch­te Fretnorc. »Wenn du zu dick aufträgst, kommt bald ein Gleiter der Polizei und schleppt dich in eine Ausnüchterungszelle!«

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»Du hast keinen Respekt, Sohn«, stam­melte Polc-Tanier. »Nimm dich zusammen, wenn du mit deinem vor Sorgen frühzeitig gealterten Vater sprichst!«

Eine ältere Dame, die den kurzen Dialog gehört hatte, nickte zustimmend und sah Fretnorc verweisend an. Fretnorc errötete leicht.

»Wir sind bald am Ziel«, flüsterte er in Polc-Taniers Ohr. »Und wenn du dich nicht zusammennimmst, lasse ich dich auf die Straße fallen. Dann kannst du zusehen, wo du bleibst!«

Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Polc-Tanier rasch die Umgebung musterte. Natürlich war Polc-Tanier nüchtern, und die Aufmerksamkeit und Konzentration, mit der er blitzartig die Umgebung kontrollierte, verriet deutlich, warum der alte Mann zu dem Einsatzkommando gehörte, das Atlan für Pejolc abgestellt hatte. Ohne triftige Gründe hätte der Kristallprinz niemals einen so kränklich wirkenden Mann für ein sol­ches Risikounternehmen eingesetzt.

Eine Gasse tauchte auf, eine schmale, dunkle Öffnung zwischen zwei Häusern. Die Gasse war nicht erleuchtet, nur die ersten Meter wurden von den Straßenlaternen er­hellt, die für die Zoltral-Avenue gedacht wa­ren.

»Ich muß mich ein wenig ausruhen, Sohn«, stöhnte Polc-Tanier vernehmlich und schwankte zur Seite.

Fretnorc folgte der Bewegung sofort. Für einen unvoreingenommenen Beobachter mußte es so aussehen, als wollte sich der al­te Mann ein wenig ausruhen, wahrscheinlich auf einer Treppenstufe.

Fretnorc sah sich vorsichtig um. Für eine halbe Minute war niemand auf der Zoltral-Avenue zu sehen, und sofort rannten die bei­den Männer los. Polc-Tanier legte ein Tem­po vor, das Fretnorc in höchstes Erstaunen versetzte. Nach dem Keuchen und Pusten zu schließen, mit denen Polc-Tanier seine Hu­stenanfälle einzuleiten pflegte, hätte er nach zehn Metern bereits atemlos zu Boden sin­ken müssen.

»Stop!« rief Fretnorc halblaut. »Der Ein­gang ist hier!«

Er deutete auf eine Tür, die sich in der Dunkelheit der Gasse kaum vom Hinter­grund der Hauswand abhob. »Hier muß das Büro sein!«

»Haupt- und Nebeneingang?« »Nebeneingang«, erklärte Fretnorc. Polc-Tanier beschäftigte sich mit dem

Schloß. »Hmm!« machte er. Er war nicht sehr erfreut, als er feststellen

mußte, daß es sich um ein Impulsschloß handelte, das sich nur öffnete, wenn die Handfläche des Besitzers auf die Kontakt­platte gedrückt wurde.

Polc-Tanier holte einen kleinen Kasten aus der Tasche, die er über die Schulter ge­hängt hatte. Der Kasten war ein positronisch gesteuerter Impulsgeber, der dem Impuls­schloß der Tür die exakt gleiche Kombinati­on von Daten überspielen sollte, die auch der echte Handdruck geliefert hätte. Polc-Tanier ging mit der Nase dicht an das Schloß und schnüffelte. Ein zufriedenes Lä­cheln flog über sein Gesicht.

»Das Schloß ist auf eine Frau eingestellt«, erklärte er triumphierend.

»Und?« fragte Fretnorc achselzuckend. »Was ist daran besonders?«

Polc-Tanier verzichtete darauf, den Sach­verhalt zu erklären.

Eine der ersten Informationen, die das Im­pulsschloß anmaß, waren Umfang und Grö­ße der Hand und der einzelnen Finger. Da Frauen im allgemeinen schlankere Hände hatten als Männer, war dies verhältnismäßig leicht anzumessen:

Es gab viele Impulsschlösser, und dieses war eines davon, die als erstes Männlichkeit oder Weiblichkeit prüften. Dies wurde um so schwieriger, je geringer die Abweichung der zu messenden Hand vom errechneten Mittelwert war.

Es erleichterte dem Impulsgeber die Ar­beit, wenn dieses Problem schnell zu korri­gieren, die er beim Durchprobieren unwei­gerlich machen mußte, mußte er nach eini­

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ger Zeit die richtigen Datenkombinationen finden, die die Tür öffnen würde. Im ande­ren Fall wurde automatisch ein Alarm aus­gelöst, der binnen weniger Minuten die Poli­zei auf den Plan rufen mußte.

Es knackte leise, als die Riegel des Schlosses zurückgezogen wurden. Polc-Tanier steckte den Impulsgeber weg und stieß die Tür auf. Fretnorc sicherte unterdes­sen die Gasse. Er gab Polc-Tanier ein Zei­chen. Die Luft war rein.

Rasch schlüpften beide Männer in das In­nere des Gebäudes.

Der Strahl eines kleinen Scheinwerfers glitt durch das Dunkel. Sorgfältig achtete Fretnorc darauf, daß der Lichtschein sich nur am Boden bewegte. Als erstes galt es, die Fenster zu entdecken, durch die der Lichtschein verräterisch an die Außenwelt dringen konnte. Fretnorc entdeckte vier Fen­ster, drei davon mit heruntergelassenem Sichtschutz. Vorsichtig, um kein Möbel­stück umzuwerfen, ging Fretnorc zu dem vierten Fenster hinüber und aktivierte auch hier den Sichtschutz. Dann erst gab er Polc-Tanier das Zeichen, daß das Licht einge­schaltet werden durfte.

Einen Augenblick lang schloß Fretnorc die Augen, als die großen Leuchtkörper an der Decke den Raum mit greller Helligkeit erfüllten. Dann sah er sich rasch und gründ­lich um.

Auf den ersten Blick war zu sehen, daß dieses Büro illegal betrieben wurde. Sämtli­che Einrichtungsgegenstände waren entwe­der schäbig und alt, oder aber so leicht kon­struiert, daß sie in kürzester Zeit abtranspor­tiert werden konnten. Zu der zweiten Grup­pe zählte vor allem ein transportabler Rech­ner, der naturgemäß nur eine geringe Kapa­zität haben konnte. Immerhin, für die Zwecke eines illegalen Wettbüros würde es ausreichen, überlegte sich Fretnorc.

Polc-Tanier machte sich als gelernter Po­sitroniker sofort daran, den Rechner einer gründlichen Kontrolle zu unterziehen. Nach kurzer Zeit verzog er enttäuscht das Gesicht.

»Nichts«, stellte er niedergeschlagen fest.

Peter Terrid

»Die Positronik hat nur die Wettbeträge ge­speichert, die Quoten und die Deckadressen der Wetter. Falls es dich interessiert – die Amnestie-KAYMUURTES sind in diesem Programm nicht enthalten.«

»Also keine Aussage?« fragte Fretnorc enttäuscht.

Polc-Tanier zuckte mit den Schultern. »Keine Aussage«, wiederholte er. »Wir wissen also immer noch nicht, ob

Atlans Anmeldung registriert worden ist.« »Vielleicht findet sich hier etwas«, meinte

Fretnorc und deutete auf den Panzerschrank. »Ich vermute, daß der Inhaber …«

»Inhaberin«, verbesserte Polc-Tanier pe­dantisch.

»… Inhaberin also, nicht nur ihre Früh­stücksutensilien darin verstaut hat.«

»Möglich«, murmelte Polc-Tanier und trat näher. Neugierig musterte er den Pan­zerschrank und wiegte nachdenklich den Kopf.

»Das Ding gefällt mir nicht«, erklärte er, während er sich am Kopf kratzte. »Ich bin kein gelernter Safeknacker, aber ich verstehe genug davon, um zu wissen, daß dieser Pan­zerschrank ein überaus harter Brocken ist. Ich werde mindestens zwei Stunden brau­chen, um ihn aufzubekommen.«

Diesmal war es Fretnorc, der sich hinter dem Ohr kratzte.

»Zwei Stunden?« murmelte er. In zwei Stunden würde es auf der Straße

so hell sein, daß die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet werden konnte. Vielleicht kehrte der Inhaber des Büros zurück, es konnte auch sein, daß sich ein Kunde melde­te. Vor allem war es zu bedenken, daß dann eine Flucht in vollem Tageslicht stattfinden mußte.

»Versuche es«, entschied Fretnorc. Polc-Tanier zog ironisch die Brauen in die Höhe. Natürlich war er derjenige, der im Zweifels­fall Anweisungen und Befehle zu geben hat­te.

Fretnorc setzte sich auf einen freien Stuhl und sah zu, wie Polc-Tanier dem Tresor zu Leibe rückte. Das Schloß eines Panzer­

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schrankes zu knacken, war eine erheblich schwierigere Aufgabe als das Öffnen eines Türimpulsschlosses. Wieder mußte der Im­pulsgeber in Aktion treten, aber zuvor mußte Polc-Tanier ihn für seine neue Aufgabe um­programmieren. Was das bedeutete, konnte nur ein Positroniker ermessen.

Impulsgeber wurden im allgemeinen ge­brauchsfertig geliefert, zwar nicht von Kauf­häusern, wohl aber vom schwarzen Markt für Gebrauchsartikel der Unterwelt. Natür­lich konnten solche Geräte auch zum Öffnen von Safes verwendet werden, dann aber wa­ren sie entschieden teurer – die Arbeit, ein entsprechendes Programm einzuspeisen, war wesentlich höher. Ein professioneller Ein­brecher hätte in diesem Fall zwei Impulsge­ber mitgenommen, einen für die Tür und den zweiten für das Schloß des Panzerschranks. Jetzt fiel Polc-Tanier die undankbare Aufga­be zu, den Impulsgeber umzuprogrammie­ren, und das mit einem Minimum an Werk­zeug.

Das eigentliche Öffnen des Schrankes würde vermutlich nur zehn Minuten in An­spruch nehmen, die restliche Zeit würde Polc-Tanier für das neue Programm brau­chen.

Fretnorc wußte, daß er bei dieser kniffli­gen Arbeit nur hinderlich sein konnte, also zog er sich in einen Sessel zurück und war­tete ab. Bereits nach wenigen Minuten war seine Geduld erschöpft, er stand auf und ging zur Tür. Dort war nichts Auffälliges zu entdecken. Aus dem Fenster zu sehen, ver­bot sich von selbst, und ein Bücherfreund war der Inhaber des Büros auch nicht. Lan­geweile begann Fretnorc zu plagen.

Er wußte, daß er jetzt nicht aufstehen und im Raum auf und ab laufen durfte, wie er es normalerweise wahrscheinlich getan hätte. Deshalb begann Fretnorc mit der Gründlich­keit des zu Tode Gelangweilten, die Papiere auf dem Schreibtisch durchzusehen. Zu sei­nem Leidwesen fand er nur statistische Be­rechnungen, ein wenig geschäftliche Korre­spondenz und eine zehn Tage alte Zeitung. Eine halbe Stunde beschäftigte sich Fretnorc

damit, das Blatt von der ersten bis zur letz­ten Zeile durchzulesen, er ließ nicht einmal die Anzeigen aus.

Eine Reihe von Annoncen erregte sein In­teresse. Es handelte sich um die Werbeakti­on einiger großer Agenturen, die – ihren Sprüchen nach zu schließen – dem von ih­nen betreuten Kämpfer den Sieg im Finale geradezu garantierten. Dies allerdings gegen entsprechend hohe Honorare.

Fretnorc faltete die Zeitung wieder zu­sammen und legte sie zurück. Er war kein sonderlich ordentlicher Mensch, aber bei ei­ner Situation wie dieser war er von peinli­cher Genauigkeit. Nicht das kleinste Zeichen würde dem Besitzer am nächsten Tag verra­ten, daß ein Fremder in den Papieren herum­gewühlt hatte. Fretnorc sorgte sogar dafür, daß die Eselsohren wieder so erkennbar wa­ren wie zuvor.

»Fertig?« erkundigte er sich bei Polc-Tanier. Der Alte schüttelte unwillig den Kopf.

»Es ist schwieriger, als ich dachte«, murr­te er.

In diesem Augenblick hörte Fretnorc ein Geräusch. Schritte näherten sich der Tür.

5.

»Verschwinden wir!« stieß er zwischen zusammengepreßten Kiefern hervor. »Es kommt jemand!«

Es blieb keine Zeit herauszufinden, um wen es sich handelte. Wenn es lediglich die Besitzerin des Büros war, hätte man sie viel­leicht kampfunfähig machen können. War es aber die Polizei, die sich aus irgendwelchen Gründen für das Büro interessierte, dann galt es, schnellstens das Weite zu suchen.

»In den Keller!« zischte Fretnorc. Er rannte als erster los und löschte dabei

das Licht. Als er sich umdrehte, um die Treppe erreichen zu können, stieß er mit dem Unterschenkel gegen einen harten Ge­genstand. Fretnorc stöhnte unterdrückt auf. Offenbar war er gegen den Verschluß des Panzerschranks gerannt. Er biß die Zähne

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24

zusammen, während er sich bückte, um nach einem freien Weg zu tasten. Dabei bekam er den Verschluß zu fassen.

Am liebsten hätte er laut aufgelacht. Der Panzerschrank war überhaupt nicht

verschlossen gewesen. Es hätte nur eines Griffes bedurft, um ihn zu öffnen. Zu Fret­norcs Leidwesen blieb ihm jetzt keine Zeit mehr, aus dieser Erkenntnis Kapital zu schlagen. Das einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, mit einem raschen Griff in den Panzerschrank das zu nehmen, was sich ge­rade fand. Fretnorc griff zu und fühlte ra­schelnde Papiere zwischen seinen Fingern. Leise knackend wurde die Tür geöffnet.

Fretnorc fand gerade noch die Zeit, das Bündel Papiere an sich zu nehmen und die Tür des Panzerschranks wieder zu schließen, dann war es für ihn höchste Zeit, das Weite zu suchen.

Er hatte aufs Geradewohl gesagt, daß Polc-Tanier in den Keller flüchten sollte. Jetzt blieb nur zu hoffen, daß es einen sol­chen Keller überhaupt gab. Während Fret­norc hastig flüchtete, erklangen hinter ihm Schritte, und als der junge Mann endlich die Kellertreppe erreicht hatte und sie hinabzu­steigen begann, flammte hinter ihm das Licht auf.

Lautlos huschte Fretnorc weiter, die Trep­pe hinab in das Dunkel des Kellers.

»Polc-Tanier!« rief er unterdrückt. »Hier, Sohn!« Fretnorc spürte eine Hand, die aus dem

Dunkel nach ihm griff. »Komm mit, ich habe einen Ausgang ent­

deckt!« Polc-Taniers Stimme bebte vor Erregung.

Hoffentlich bekommt er keinen Hustenanfall, dachte Fretnorc erschrocken, als er diese Stimme hörte. Polc-Tanier zerrte ihn vor­wärts. Fretnorc stolperte und wäre fast ge­stürzt. Unwillkürlich verharrten die beiden Männer.

Waren sie gehört worden? Der Alarmpfiff der Polizei blieb aus. »Weiter!« zischte Polc-Tanier. »Hier ist

eine Öffnung.«

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»Ich rieche es bereits«, murmelte Fret­norc.

Ein widerlicher Gestank schlug ihm ent­gegen. Offenbar hatte Polc-Tanier trotz der Dunkelheit die Verbindung zwischen dem Haus und der öffentlichen Kanalisation ge­funden. Fretnorc wurde bei dem Gestank fast übel.

»Weshalb hast du gezögert?« fragte Polc-Tanier, während er durch das Loch in der Wand kletterte.

»Ich habe noch ein paar Unterlagen zu­sammengerafft«, erklärte Fretnorc würgend. »Der Panzerschrank war nämlich offen, du Positroniker!«

Fretnorc streckte seine Hand aus, aber in der Dunkelheit fand er sein Ziel nur sehr schlecht. Er kam zu spät, als er seine Hand auf Polc-Taniers Mund legte, hatte dieser seinen ersten Hustenanfall bereits hinter sich.

»Es ist jemand im Keller!« hörten die bei­den Männer eine dunkle Stimme rufen. »Ihnen nach!«

»Jetzt müssen wir uns wirklich beeilen«, knurrte Fretnorc. »Hör auf zu husten und komm mit!«

Jetzt war er derjenige, der den anderen voranschleppte und zerrte. Es war stockdun­kel in dem Kanal, dessen Luft erfüllt war mit einem Gestank, den Fretnorc kaum er­tragen konnte. Es hatte den Anschein, als seien sie in die Hauptader des städtischen Kanalsystems von Keme geraten, die die ge­sammelten Abwässer der Riesenstadt dem Meer zuführte. Geklärt wurde der faulende Schlamm leider erst in der Nähe der Küste.

Bis zu den Knöcheln watete Fretnorc in der Brühe, die er nicht sehen konnte, deren Geruch aber mehr als genug über ihre Zu­sammensetzung aussagte. Langsam begann Fretnorc die Gefahr, kopfüber in diesen Schlamm zu fallen, mehr zu fürchten als das Risiko, von den Verfolgern erwischt zu wer­den. Die Jäger erlaubten sich zudem den ent­scheidenden Fehler, sich mit lauten Zurufen zu verständigen. So erleichterten sie unge­wollt die Flucht der Arkoniden.

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25 Einsatzgruppe Pejolc

Als die Geräusche der Jäger schwächer wurden, wagte Fretnorc zum ersten Mal, den Scheinwerfer einzuschalten. Unwillkürlich schloß er angeekelt die Augen, als er sah, durch was er in den letzten Minuten gestapft war.

»Hätte ich doch nur Nasenfilter mitge­nommen«, stöhnte er angewidert.

Ein Seitenkanal wurde sichtbar. Fretnorc deutete auf die Öffnung, und Polc-Tanier nickte kurz. Rasch verschwanden die beiden Männer in dem neuen Kanal. Er war wesent­lich schmaler als der Hauptkanal, dafür aber war die Strömung entschieden stärker. Die Männer brauchten alle Kräfte und ein Höchstmaß an Konzentration, um nicht von der Strömung umgerissen zu werden.

Immer weiter ging die Flucht, nicht so schnell wie zuvor, aber mit gleicher Energie. Jetzt galt es, aus diesem Labyrinth einen Ausweg zu finden. Fretnorc hatte nicht die leiseste Ahnung, unter welchem Viertel der großen Stadt er sich bewegte. Sein Orientie­rungssinn hatte im Dunkel völlig versagt.

»Hier ist etwas!« flüsterte Polc-Tanier plötzlich. »Eine Leiter!«

»Endlich!« seufzte Fretnorc erleichtert auf. »Laß mich nachsehen, wohin die Leiter führt. Nimm solange die Papiere!«

Er drückte das Bündel in die Hände seines Partners und begann den Aufstieg. Die Lei­ter war lang, mindestens dreißig Meter führ­te sie senkrecht in die Höhe. Fretnorc fühlte sein Herz wie rasend schlagen, als er das Ende erreichte. Vor seinen Augen schien das Dunkel des Schachtes mit seltsamen, bunten Leuchtkörpern erfüllt zu sein, die vor den geschlossenen Lidern ein verwirrtes Ballett aufführten.

Der Leiterschacht wurde oben von einem Deckel abgeschlossen. Vergeblich suchte Fretnorc nach einem Knopf oder einem He­bel, mit dem man einen Öffnungsmechanis­mus hätte betätigen können.

»Geiziges Volk!« schimpfte Fretnorc un­terdrückt.

Ihm blieb nichts anderes übrig, er mußte den Deckel in die Höhe stemmen. Für einen

Mann seiner Statur sollte dies eigentlich ein leichtes sein, aber Fretnorc mußte sich den­noch erheblich anstrengen, bis er die schwe­re Platte in die Höhe und dann zur Seite ge­wuchtet hatte.

Über seinem Kopf waren Geräusche zu hören, Maschinengeräusche, wie Fretnorc nach kurzem Hinhören feststellte. Langsam schob sich der junge Mann in die Höhe. Am fehlenden Luftzug spürte er sofort, daß er sich in einem geschlossenen Raum aufhielt. Offenbar war er in einem anderen Keller wieder aus der Unterwelt aufgetaucht.

Fretnorc wartete einige Zeit, dann schalte­te er den Scheinwerfer ein. Mehr als nackten Beton bekam Fretnorc nicht zu sehen, außer einer stählernen Tür. Die Tür führte in einen Nebenraum, aus dem die Maschinenge­räusche kamen. Vorsichtig schlich sich Fret­norc näher, und ebenso vorsichtig öffnete er die Tür.

Der erste Blick verriet, daß er offenbar in einer städtischen Anlage aus dem Boden hervorgekrochen war. Maschinen solcher Abmessungen konnte sich kein Privatmann leisten. Auch die Maschinenhalle war leer. Der einzige Ausgang lag auf der gegenüber­liegenden Seite und war verschlossen.

Erfrischend kühle Luft schlug Fretnorc entgegen, als er die Tür öffnete. Er schätzte die Temperatur auf knapp 12 bis 14 Einhei­ten, ein wenig ungewöhnlich für einen Raum, der offenkundig klimatisiert war.

Erst beim zweiten Hinsehen begriff Fret­norc, wo er gelandet war. Seine Augen wei­teten sich.

*

»Du hältst es nicht für möglich«, berichte­te er Polc-Tanier. »Ich kann es selbst kaum glauben.«

»Solange du mir nicht erzählt hast, was du gesehen hast, kann ich dazu keinen Kom­mentar abgeben.«

»Du errätst nie, wo wir gelandet sind«, ki­cherte Fretnorc. »Genau unter dem Amtssitz des Gouverneurs. Der merkwürdig tief tem­

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perierte Raum war nichts anderes als der Weinkeller des hohen Herren. Zehntausende von Flaschen, alle mit dem persönlichen Siegel des Gouverneurs.«

Polc-Tanier verschlug es die Sprache. Die Vorstellung, daß zwei Rebellen auf

der Flucht ausgerechnet im Palast des Gou­verneurs erscheinen sollten, hatte etwas un­gemein Befremdliches. Wahrscheinlich wä­ren sie nach Verlassen des Weinkellers kei­ne zehn Schritte weit gekommen.

»Hast du wenigstens eine Flasche mitge­nommen?« erkundigte sich Polc-Tanier hoffnungsvoll.

»Keine einzige«, erklärte Fretnorc seuf­zend. »Die Flaschen waren durchnumeriert, da gab es keine Chance.«

Minutenlang schwiegen die beiden Män­ner niedergeschlagen. Da war man unter Le­bensgefahr bis an das Heiligtum des Palasts gekommen, – wenn auch zugegebenermaßen unfreiwillig –, und dort durfte man von den Köstlichkeiten nicht einmal eine kleine Stichprobe mitnehmen.

»Das Leben ist wahrlich hart«, seufzte Polc-Tanier wehmütig. »Und was nun?«

Fretnorc improvisierte eine Stadtkarte, in­dem die Linie mit dem Scheinwerfer auf das Gestein des Kanals zeichnete.

»Hier ist ein Gouverneurspalast, und unter dem Gebäude stecken wir. Folglich muß ei­nige hundert Meter westlich eine Station der Magnetuntergrundbahn zu finden sein. Ich schlage vor, wir schleichen uns dorthin und tauchen in der Menge der Passagiere unter.«

Polc-Tanier sah an sich herab. In dieser Aufmachung konnte von einem »Verschwinden« schwerlich die Rede sein. Allein die Duftspur hätte gereicht, sie unter Millionen ausfindig zu machen.

»Vorher müssen wir uns säubern«, be­stimmte er.

Fretnorc lachte laut auf. »Wir befinden uns sozusagen im absolu­

ten Zentrum des Sauberkeitssystems von Keme«, kicherte er. »Aber du hast recht, erst müssen wir uns baden.«

Schlagartig kam ihm das Absurde der Si-

Peter Terrid

tuation zum Bewußtsein. Die Abwasserlei­tungen sämtlicher Duschen und Bäder der Stadt Keme mündeten in diesen Kanal, aber es sah ganz danach aus, als hätten Polc-Tanier und Fretnorc keinerlei Möglichkeit, ihrerseits in ein Bad einzudringen.

Noch einmal zeichnete Fretnorc mit dem Scheinwerfer eine Karte auf die Wand des Kanals, nachdenklich betrachtete er die Wanderung des Strahls.

»Wenn ich mich richtig erinnere«, mur­melte er, »gibt es hier« – er deutete mit dem Scheinwerferstrahler auf ein Stück seiner imaginären Karte – »eine öffentliche Bade­anstalt. Mit etwas Glück müßten wir den Zu­gang finden. Das dürfte der einzige Ort in Keme sein, wo ein einzelner Abwässerkanal groß genug ist, um uns durchzulassen.«

Polc-Tanier nickte nachdenklich.

*

Die Sache war einfacher, als Fretnorc ge­dacht hatte. Sie brauchten eine knappe halbe Stunde, um den Abfluß der Badeanstalt zu erreichen. Eine weitere, kräfteraubende Stunde brauchten sie, um sich gegen die rei­ßende Strömung bis zum Ende des Schach­tes durchzukämpfen. Noch einmal mußte sich Fretnorc anstrengen, um den Deckel des Schachtes beiseite zu räumen.

Leise bewegten sich Fretnorc und Polc-Tanier durch die verlassenen Räume. Die größte Gefahr für die beiden Männer be­stand jetzt darin, daß sie sich in die Abtei­lung für Damen verirrten und dort eine uner­freuliche Sensation auslösten. Als Fretnorc das erste entsprechende Hinweisschild ent­deckte, atmete er erleichtert auf. Dem Lärm­pegel nach zu schließen, war das Bad zu die­ser Stunde gut besucht, daher war nicht dar­an zu denken, einfach durch die Menschen­menge hindurchzulaufen und zu verschwin­den. Sie mußten sich behutsam durchschlän­geln und durften um keinen Preis auffallen.

Ein verlassener Umkleideraum gab ihnen die erste Chance. Die beiden Männer wu­schen sich oberflächlich und ließen ihre pe­

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netrant stinkende Kleidung in einem Behäl­ter für Schmutzwäsche verschwinden. Dann versorgten sie sich aus dem angrenzenden Magazin zwei Anzüge, wie sie vom Auf­sichtspersonal getragen wurden. Mit dieser Uniform erwies es sich als leicht, in die be­lebteren Räumlichkeiten vorzudringen.

»Das Dampfbad!« flüsterte Polc-Tanier. Seine Stimme hatte einen sehnsüchtigen Un­terton. Fretnorc lächelte verständnisvoll.

Noch immer hing den beiden Männern ein stark verdächtiges Aroma nach Kanalisation an. Es wurde höchste Zeit, diesen verräte­rischen Geruch loszuwerden.

Innerhalb des Bades gab es keine Kontrol­len. Die Chancen waren günstig.

Zum zweiten Mal wechselten die beiden Männer die Kleidung. Die Uniform der Auf­seher ließen sie verschwinden, dann reinig­ten sie sich so gründlich, wie es die Mög­lichkeiten des Bades zuließen.

»Ich wüßte gern, wen es erwischt hat«, sagte Fretnorc grinsend, als er die frische Kleidung überstreifte. Er hatte sie aus dem Reinigungsschrank geholt, wo sie auf ihren Besitzer wartete. Das kleine Impulsschloß des Schrankes zu knacken, war für Polc-Tanier nicht mehr als eine Fingerübung ge­wesen.

In einigen Stunden spätestens würde es im städtischen Bad allerhand Aufregung geben, dann nämlich, wenn zwei hochgestellte Her­ren feststellen mußten, daß sie ihrer Klei­dung verlustig gegangen waren. Fretnorc fand ein stilles Vergnügen daran, sich die Szenen auszumalen, die sich dann abspielen würden. Zwei empörte Männer, ein halbes Dutzend verschreckter Aufseher und ein peinlich betroffener Leiter der Badeanstalt. Fretnorc fand es schade, daß er dem Spekta­kel nicht selbst beiwohnen konnte.

»Sieh einmal, was ich gefunden habe«, sagte Fretnorc grinsend und brachte eine be­achtliche Menge Chronners zum Vorschein. »Unser Freund scheint es mit Bargeld zu halten.«

»Leg das Geld wieder zurück«, forderte ihn Polc-Tanier auf. »Wir sind schließlich

nicht nach Keme gekommen, um uns per­sönlich zu bereichern!«

Das klang moralisch einwandfrei, aber Fretnorc dachte an die Konzentratnahrung, die zum Mittagessen auf ihn wartete. Wäh­rend Polc-Tanier sich mit seinen Kleidern beschäftigte, ließ Fretnorc die Chronners schnell in seinen Taschen verschwinden. Geräuschvoll schloß er dann den Reini­gungsschrank.

»Fertig!« verkündete er. »Wir können ge­hen!«

Die Ausstattung des Badehauses ent­sprach dem Luxus, in dem die Bürger von Keme zu leben gewohnt waren. Für jedes nur denkbare Reinigungsverfahren gab es ei­gene Abteilungen, angeschlossen waren eine wohlausgestattete Parfümerieabteilung, mehrere Restaurants, dazu Juwelierläden, Kleidungsgeschäfte und Büchereien.

Unbehelligt verließen die beiden Männer die Anstalt. Sie lächelten sich zu, als sie die freie Straße erreicht hatten. Das erste Aben­teuer war bestanden, ohne daß es zu einer Katastrophe gekommen war. Langsam schlenderten Polc-Tanier und Fretnorc die Straße entlang. Zu dieser Tageszeit wäre ei­ne schnellere Bewegungsart nur aufgefallen. Wer zu arbeiten hatte, saß in den Büros; die Menschen, die sich um diese Zeit auf den Straßen bewegten, brauchten nicht zu arbei­ten. Nach einigen Minuten erreichten Fret­norc und Polc-Tanier die nächste Station der Magnetbahn, die sie in kurzer Zeit zu ihrem Quartier brachte.

6.

»Nichts!« schnaubte Fretnorc verächtlich. »Listen über Listen, aber nichts, was wir ge­brauchen könnten. Aufstellungen vom Deli­katessenhändler, vom Schneider und so wei­ter. Nichts, was mit den KAYMUURTES zu tun hätte!«

Polc-Tanier zog die Stirn in Falten. »Überhaupt kein Hinweis?« fragte er

zweifelnd. Wütend warf Fretnorc das Bündel Papier

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auf den Tisch zurück. »Sieh selbst nach, ob du etwas findest!« Bedächtig machte sich Polc-Tanier daran,

die Papiere durchzusuchen. Er hatte beob­achtet, daß Fretnorc die Listen nur durchge­blättert hatte. Es war typisch für das Naturell des Jüngeren, daß er nach diesem oberfläch­lichen Versuch sofort aufgegeben hatte.

Zu seinem Leidwesen mußte Polc-Tanier feststellen, daß auch er keine Liste finden konnte, die etwas mit den Kampfspielen zu tun gehabt hätte.

»Kaum zu glauben«, murmelte er nach­denklich, dann erhellten sich seine Züge.

Es war ziemlich widersinnig, derart be­langlose Aufstellungen in den Panzer­schrank zu legen, selbst wenn der Safe nicht verschlossen war. Wichtige Dokumente, Geld und der vor dem Chef zu versteckende Schnaps gehörten in Panzerschränke, nicht aber Abrechnungen vom Delikatessenhänd­ler. Wenn diese Papiere dennoch im Safe ge­legen haben, dann mußte es dafür einen Grund geben.

Polc-Tanier kalkulierte weiter. Niemand der bei Sinnen war, ließ einen

schweren und teuren Panzerschrank offen­stehen, es sei denn …

Polc-Tanier lächelte verlegen. Es war der alte, immer wieder neue Trick.

Wer etwas zu verstecken hatte, konnte zwi­schen zwei Möglichkeiten wählen. Die eine bestand darin, das geheimnisvolle Doku­ment bestmöglich zu verstecken, so, daß es niemand finden konnte. Diese Methode hatte ihre Vorteile, aber auch einen großen Nach­teil. Es gab nicht sonderlich viele Möglich­keiten, ein Dokument unsichtbar zu machen. Vor allem dann, wenn Spezialisten am Werk waren, fanden sie die meisten Verstecke.

Die andere Möglichkeit bestand darin, das Gesuchte offen zu präsentieren. Selbst aus­gefuchste Spezialisten fielen immer wieder auf den Trick herein. Wer, der auf der Suche nach geheimen Papieren war, beschäftigte sich schon mit dem vergilbten Lesezeichen in dem Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch liegt?

Peter Terrid

Es gab Hunderte von Rätselspielen und Denksportaufgaben, die sich dieses Tricks bedienten. Beispielsweise jenes, bei dem der Ahnungslose aufgefordert wurde, aus sechs gleichlangen Holzstäbchen vier gleichseitige Dreiecke zu bilden, ohne die Stäbchen zu knicken oder zu zerbrechen. Wenn die Stäb­chen geschickt auf einem Stück weißen Pa­pier präsentiert wurden, gab es kaum jeman­den, der nicht auf den Trugschluß verfiel, die vier Dreiecke müßten in einer Ebene lie­gen – obwohl davon kein Wort gesagt wor­den war. Nur wenige schafften es, sich über die psychologische Barriere hinwegzusetzen und die Dreiecke in drei Dimensionen anzu­legen. Die Lösung bestand in einem gleich­seitigen Tetraeder.

Der Safe hatte offengestanden, und die Papiere darin waren, das verriet schon der erste Blick, vollkommen nutzlos und un­wichtig. Weg damit – genau das sollte der Beobachter denken. Gerade die zu dick auf­getragene Bedeutungslosigkeit der Papiere hatte Polc-Tanier stutzig gemacht.

Noch einmal ging er langsam und gründ­lich die Listen durch. Plötzlich lachte er auf.

»Was gibt es?« forschte Fretnorc. »Hast du eine Spur?«

»Was kostet in Keme ein Kilo Fischbutter von Travnor?« konterte Polc-Tanier lä­chelnd. Fretnorc rollte mit den Augen.

»Etwas Besseres ist dir nicht eingefal­len?« protestierte er.

»Auf dieser Liste ist ein Kilo Fischbutter aufgeführt. Es soll fast einen Chronner ko­sten – und das ist, selbst wenn man die be­sonderen Verhältnisse während der KAY­MUURTES berücksichtigt, ein Wahnsinns­preis. Zudem wissen wir, daß das Wettbüro von einer Frau geleitet wird. Wenn sie auch nur ein wenig dem klassischen Ideal einer Frau entspricht, wird sie die Preise entschie­den besser kennen als ein Mann. Und eine kluge Frau würde niemals travnorsche Fischbutter zu diesem Preis kaufen.«

Fretnorc rang die Hände. »Was soll das?« fauchte er. »Willst du

mir einen Vortrag in Ökotrophologie hal­

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ten?« »Wenn du älter wärest und etwas geschei­

ter, dann wüßtest du, was ich meine. Dieser Einkaufszettel ist das Dokument, das wir su­chen. Unsere kluge Frau hat die Wettliste als Einkaufszettel getarnt, keine schlechte Idee. Welcher Polizeibeamte kommt schon auf die Idee, die aufgeführten Preise mit den Markt­verhältnissen zu vergleichen?«

»Und woher weißt du, was ein Kilo Fisch­butter von Travnor kostet?«

»Ich hatte einmal eine Partnerin«, verriet Polc-Tanier, und sein Lächeln bekam einen leichten wehmütigen Zug, »die mir den Haushalt nicht führen wollte. Also mußte ich mir selbst helfen, und zufällig mag ich Fischbutter von Travnor.«

Fretnorc hatte inzwischen genug von der Fischbutter gehört. Bevor Polc-Tanier dar­auf ein philosophisch-politisches Gedanken­gebäude errichten konnte, fragte Fretnorc:

»Und was steht nun auf der Liste, ent­schlüsselt meine ich?«

»Das muß ich erst noch herausfinden.« Einem Mann, der die perfektionierte Lo­

gik positronischer Gehirne zu seinem Beruf gemacht hatte, konnte die Liste keine großen Schwierigkeiten bereiten. Rasch hatte Polc-Tanier herausgefunden; daß die aufgeführten Delikatessen in verschlüsselter Form die Na­men der Teilnehmer enthielt. Die Mengen-und Preisangaben entsprechen den Quoten und den bisher getätigten Einsätzen. Nach einer halben Stunde war die Liste entschlüs­selt.

»Man müßte dieses Weib verprügeln«, kommentierte Fretnorc empört das Ergebnis. »Sie hatte also die Frechheit, den Kristall­prinzen auf ihrer Liste in der vermaledeiten Fischbutter zu verstecken? Eine Unver­schämtheit!«

Polc-Tanier zuckte mit den Schultern. Es war schwierig genug gewesen, aus den Be­zeichnungen die Namen herauszutüfteln.

»Was soll's?« fragte er nachlässig. »Wir wissen jetzt immerhin, daß Atlan unter dem Namen Darbeck gemeldet ist. Es wird unter anderem gegen Zordec und Mana-Konyr an­

treten müssen, und das wird schwierig wer­den. Sie werden entschieden höher gewettet als Atlan.«

»Er wird sie schlagen«, behauptete Fret­norc selbstsicher. »Da gibt es überhaupt kei­nen Zweifel!«

»Deine Zuversicht bleibe dir erhalten«, wünschte Polc-Tanier leise.

Elf Namen hatten auf der Liste gestanden. Elf Verzweifelte, die in einem Kampf auf Leben und Tod ihre einzige Chance sahen. Nur einer der elf würde die KAYMUUR­TES überleben, einer von elf.

*

»Letzte Nachrichten von Pejolc«, meldete der Funker.

Karmina Arthamin winkte ihn heran. Noch immer standen die drei Einheiten unter ihrem Befehl in der Nähe des Dubnayor-Sy­stems und hielten Wache. Ihre Einsatzmög­lichkeiten waren naturgemäß beschränkt. Es war nicht verborgen geblieben, daß das Dubnayor-System zusätzlich von zwei großen Schiffen des Imperiums behütet wur­de, und diesen beiden Achthundert-Me­ter-Riesen hatte Karmina nichts entgegenzu­setzen. An ein aktives Vorgehen war daher nicht zu denken. Das einzige, was Karmina zu tun blieb, war, das System zu beobachten und Nachrichten zu sammeln.

»Was gibt es?« »Es scheint nunmehr festzustehen, daß

Orbanaschol nicht an den KAYMUURTES teilnehmen wird.«

Karmina verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.

»Ich hatte nie erwartet, daß Orbanaschol gehen würde«, bemerkte sie.

»Verzeihung, ich wollte sagen …« »Sagen Sie es!« Der Funker geriet zusehends in Verwir­

rung. Fast tat er Karmina leid, aber sie wuß­te aus langer Erfahrung, daß es unumgäng­lich war, ein Raumschiff zu beherrschen, bis jeder an Bord mit der nötigen Präzision ar­beitete. Ein undeutlich oder fehlerhaft wie­

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dergegebener Funkspruch konnte im Ernst­fall lebensgefährlich werden.

»Orbanaschol wird aller Voraussicht nach nicht die Schirmherrschaft über die KAY­MUURTES übernehmen.«

»Das klingt schon besser. Quellen?« »Nachrichtensendung von Pejolc. Sie

wurden allerdings noch nicht offiziell bestä­tigt.«

»Welche Gründe werden für die Absage angegeben?«

»Der Imperator sei leicht erkrankt. An­geblich habe ihn die Schlacht beim Eynorc-System, die er persönlich zu einem glanz­vollen Triumph gemacht habe, körperlich und geistig stark beansprucht.«

Karmina lachte unterdrückt und schüttelte den Kopf. Das halbe Imperium wußte mitt­lerweile, daß die Schlacht im Eynorc-Sy­stem nicht mehr als ein Geplänkel gewesen war, das zudem noch eine Niederlage gewe­sen sein sollte. Trotzdem wurde immer wie­der in den Nachrichten rühmend davon be­richtet, als sei mit dieser Schlacht der Me­thankrieg entschieden worden.

»Gibt es Nachrichten von Atlan?« »Der Kristallprinz ist auf dem Weg nach

Kraumon. Die Funksprüche von Bord der SLUCTOOK klingen nicht sehr optimi­stisch.«

»Kein Wunder«, kommentierte Karmina Arthamin bitter. Sie hatte Atlans Flucht nur aus der Ferne über ihre Instrumente beob­achten können. Es war bitter genug gewe­sen.

»Bleiben Sie weiter auf Posten. Vielleicht werden wir doch noch gebraucht!«

Der Funker nickte und zog sich zurück. Er ließ Karmina Arthamin mit ihren bedrücken­den Gedanken zurück.

Die Kommandantin wußte, daß die Zeit gegen Atlan und seine Freunde arbeitete. Ir­gendwann einmal mußte ein Imperiums­schiff Kraumon entdecken, und je größer die Zahl von Atlans Mitstreitern war, desto grö­ßer wurde auch die Gefahr für sie. Hundert Menschen konnten schnell von Kraumon verschwinden, bei Tausenden wurde ein

Peter Terrid

kaum lösbares Problem daraus. Natürlich war es von Vorteil, wenn Atlan Freunde und Helfer gewann, aber mit der Größe der Wi­derstandsorganisation wuchs auch ihre Ver­letzlichkeit. Vielleicht gelang es der PO­GIM, einen Mann einzuschleusen, wurde ei­ner aus Geldgier oder Ehrgeiz abtrünnig und verriet seine Freunde.

Die Zukunft sah alles anders als rosig aus. Und zudem schien es, als sei der bisher ver­wegenste Plan des Kristallprinzen bereits im Ansatz gescheitert. Vielleicht lag es gerade an dieser Kühnheit.

Karmina versuchte sich vorzustellen, was Orbanaschol sagen würde, wenn er ent­decken mußte, daß der Sieger der Amnestie-KAYMUURTES ausgerechnet jener Atlan war, dessen Kopf er schon seit Jahren zu ha­ben wünschte. Und Orbanaschol hätte nicht einmal etwas gegen Atlan unternehmen kön­nen, jedenfalls nicht offiziell. Wer die Amnestie-KAYMUURTES überstand, ging straffrei aus, was immer er auch in der Ver­gangenheit angestellt haben mochte.

Jetzt aber sah es so aus, als würde Atlan an den KAYMUURTES nicht einmal teil­nehmen können.

*

»Also!« Fretnorc hatte eine Schwäche dafür, seine

Ausführungen mit diesen Worten zu eröff­nen.

»Also, wir wissen jetzt, daß Atlan unter dem Namen Darbeck gemeldet ist und an den Spielen teilnehmen kann. Damit ist der erste Teil unseres Auftrags erfüllt. Frage: was unternehmen wir nun?«

Polc-Tanier lächelte über soviel Unge­stüm. Er war mit dem bisher Erreichten mehr als zufrieden. Es stand nicht nur fest, daß Atlan gemeldet war. Obendrein konnte man anhand der erbeuteten Wettliste auch feststellen, wie seine Chancen von Außen­stehenden beurteilt wurden.

Da bisher niemand etwas von Darbeck ge­hört hatte, war es nicht verwunderlich, wenn

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Darbeck als Schlußlicht der Liste figurierte. Wer auf ihn gesetzt hatte, konnte ein Ver­mögen verdienen, wenn Darbeck Sieger werden sollte.

»Wie wäre es, wenn wir bereits den näch­sten Schritt einleiten würden?« schlug Fret­norc vor. Der Erfolg der letzten Tage hatte ihn fast übermütig werden lassen. »Ich habe erfahren, daß die Kämpfer bei den KAY­MUURTES ausnahmslos von Kampfagentu­ren betreut werden.«

»Agenturen?« fragte Polc-Tanier zer­streut. Er hüstelte leicht.

»Kampfagenturen«, wiederholte Fretnorc. »Sie trainieren die Kämpfer, sorgen dafür, daß die Waffen in erstklassigem Zustand sind, und sie beobachten die Bemühungen anderer Kämpfer. Sie spionieren deren Transportmethoden aus, erkunden die Stär­ken und Schwächen … und so fort. Ich halte es für nötig, daß Atlan ebenfalls bei einer Agentur angemeldet wird.«

Polc-Tanier lächelte etwas verzerrt. Der Hustenreiz wurde fast unerträglich. Es wird Zeit, dachte er, daß ich dagegen etwas un­ternehme. Wenn dies alles hinter mir liegt, werde ich mir einen schönen ruhigen Plane­ten als Ruhesitz aussuchen, vielleicht Xoaixo.

»Glaubst du«, fragte er mit leisem Spott, »daß eine der Agenturen Atlan noch etwas beibringen könnte, was Fartuloon ihn noch nicht gelehrt hätte?«

»Auch Bauchaufschneider sind nicht per­fekt«, warf Fretnorc ein. »Vor allem beden­ke eines. Wenn Atlan von einer Agenturbe­treut wird, hat er neue Helfer – zwar nur sol­che, die gegen Bezahlung arbeiten, aber im­merhin Helfer. Das würde unsere Arbeit be­trächtlich erleichtern.«

»Mag sein«, räumte Polc-Tanier ein. Ihm behagte der Gedanke nicht, daß Atlan sozu­sagen unter den Augen der Öffentlichkeit trainieren sollte, wenn das überhaupt nötig war. Vielleicht war es besser, wenn Atlan solange wie möglich im Hintergrund blieb und erst am Vorabend der Kämpfe auf Pe­jolc eintraf.

»Überlege, Alter: wenn Atlan bei einer Agentur trainiert, ist er ständig von Men­schen umgeben, und zwar von ausgesucht guten Kämpfern. Es sind einige Männer dar­unter, die früher bei den KAYMUURTES gewonnen haben. Er wird viel sicherer sein, wenn er diese Beschützer hat.«

Dieses Argument gab den Ausschlag. »Also gut«, stimmte Polc-Tanier zu. »Wie

hast du dir die Angelegenheit vorgestellt?« »Die drei führenden Agenturen sind die

PEMMAN, die HORCON und die SCC, und von denen scheint mir die SCC die beste zu sein. Wir sollten dort vorsprechen.«

»Einfach so?« »Wenn wir das nicht tun, wie sollten wir

Atlan erreichen und über seine Meldung in­formieren? Seit die SLUCTOOK geflüchtet ist, wimmelt es in Pejolc von Sicherungs­streitkräften, Geheimagenten, Schnüfflern und Spionen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind unerhört verschärft worden. Nur mit Hilfe einer Agentur können wir Atlan heil und ungefährdet nach Pejolc bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich der Gou­verneur mit einer der drei großen Agenturen anlegen will.«

»Gehen wir!« bestimmte Polc-Tanier und erhob sich hüstelnd aus seinem Sessel. »Ich hoffe nur, daß wir damit keinen schwerwie­genden Fehler machen.«

*

Die Magnetbahn brachte Fretnorc und Polc-Tanier ins Zentrum von Keme. In den letzten Tagen waren noch mehr Touristen angekommen, darunter etliche tausend Ar­koniden von den Stammwelten des Großen Imperiums. Sie waren an der Haltung un­schwer zu erkennen, noch mehr aber an ihrer Fassungslosigkeit, die unverkennbar war, während sie durch die Straßen von Keme flanierten. Vermutlich hatten sie Pejolc, ob­wohl deren Bewohner reinblütige Arkoniden waren, für eine Art Primitivwelt gehalten. Nun mußten sie feststellen, daß Keme etli­chen Städten auf Arkon kaum nachstand.

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Fretnorc und Polc-Tanier tauschten Blicke, als sie eine Gruppe von Arkon-Touristen sahen, die offenbar verwundert waren, daß es in Keme sogar eine robotische Straßenreinigung gab. Es war diese Form von Hochmut und Herrschaftsdünkel, die die Arkoniden bei vielen Völkern so verhaßt ge­macht hatten.

Die beiden Männer trugen wieder ihre ei­gene Kleidung. Es war ihnen zu gefährlich erschienen, in den gestohlenen Kleidungs­stücken herumzulaufen. Vielleicht hätte der Besitzer oder einer seiner Freunde die Stücke erkannt und die Polizei alarmiert.

Außerdem hatte Fretnorc das gestohlene Geld seinem Besitzer wieder zustellen las­sen. Polc-Tanier hatte weder den Diebstahl noch die Rückerstattung mitbekommen.

Nach kurzem Fußmarsch erreichten die beiden Männer die SCC.

»Alle Wetter!« staunte Polc-Tanier. Eines war gewiß, die SCC war kein Mini-

Unternehmen, vielmehr ein ausgewachsener Konzern, mit etlichen Filialen allein in Ke­me. Das Hauptgebäude stand in der Nähe des geographischen Zentrums der Haupt­stadt, ein Trichterbau, der mehr als hundert Meter in die klare Luft ragte. Auf der Au­ßenwand des Trichters waren die fluoreszie­renden Buchstaben des Firmennamens ange­bracht. Vom Boden aus schraubte sich ein Bildband an der Außenfläche empor. Darauf waren die Männer abgebildet, die durch die Betreuung der SCC Sieger bei den KAY­MUURTES geworden waren. Der Länge dieses Bandes nach zu schließen, mußte die SCC überaus erfolgreich gewesen sein.

»Wenn die SCC uns nicht helfen kann?« orakelte Fretnorc. Der Anblick des Gebäu­des bestätigte ihn in seiner Meinung, daß der Erfolg für Atlan nur über eine Agentur, am besten der größten, zu erreichen war.

Die beiden Männer betraten das Gebäude. Ein prächtig lackierter Robot nahm sie in Empfang und führte sie zum zentralen Anti­gravschacht, der sie sanft in die Höhe beför­derte. In den Wänden des Schachtes waren weitere Sieger zu sehen. Fretnorc riß er-

Peter Terrid

staunt die Augen auf, als er in einem Relief seinen alten Freund Barlik wiedererkannte. Bei diesem Anblick fühlte sich Fretnorc ver­sucht, sich ebenfalls zu bewerben, natürlich nicht für diese Spiele, wohl aber für die nächsten.

In den Räumen des SCC-Gebäudes herrschte geschäftiges Treiben. Hunderte von Menschen wimmelten scheinbar plan-und ziellos durcheinander. Männern mit zer­narbten Gesichtern sorgten für Ordnung auf den Gängen und Fluren. Durch eine Glastür konnte Fretnorc die wütende Gestik eines bulligen Mannes sehen, der sich über irgend etwas zu beschweren versuchte.

»Wir möchten einen Kampf für die KAY­MUURTES anmelden«, erklärte Fretnorc am Informationsschalter. »An wen müssen wir uns wenden?«

Der Blick des Angestellten glitt von Fret­norc zu Polc-Tanier und dann wieder zu­rück. Er zuckte mit den Schultern und wink­te dann einen Robot heran.

»Er wird Sie führen«, versprach er. »Zum Aufnahmebüro!«

Ein Quäken des Robots verriet, daß er den Befehl verstanden hatte. Es handelte sich um eine alte Kampfmaschine, die längst außer Dienst gestellt worden war. Zwar trug der Robot immer noch die überschwere Bewaff­nung, aber Fretnorc sah sofort, daß es sich nur um Attrappen handelte. Offenbar ver­suchte die SCC, ihren Ruf dadurch zu stei­gern, daß sie sich ein möglichst martiali­sches Gehabe zulegte. Dafür sprach auch, daß die Wände im Inneren des Hauses von Waffen starrten, die aus allen Winkeln der Galaxis zusammengetragen worden waren. Seltsame Exemplare waren darunter, die das Herz jedes Sammlers höher schlagen ließen.

Mit einer abgehackten Bewegung deutete der Robot an, daß das Ziel erreicht war. Fretnorc betätigte den Türsummer.

»Herein!« rief eine energische Stimme.

7.

Der Mann hinter dem schweren Schreib­

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tisch sah seine beiden Besucher prüfend an. Fretnorc taxierte er wie ein Stück Schlacht­vieh. Das kleine Schild auf der Fläche des Tisches verriet, daß der Benutzer des Büros Mefgon hieß.

»Sie wünschen?« Mit einer knappen Handbewegung forder­

te er Fretnorc und Polc-Tanier auf, Platz zu nehmen.

»Wir wollen einen Kämpfer anmelden. Sie nehmen noch Kunden an?«

»Sicher. Wollen Sie selbst …?« Fretnorc verneinte die an ihn gerichtete

Frage mit einem Kopfschütteln. »Ein Freund von uns, der sich bisher sehr

zurückgehalten hat. Sein Name ist Dar­beck.«

Polc-Tanier wartete darauf, daß Mefgon zusammenzuckte, aber der Mann hinter dem Schreibtisch rührte sich nicht.

»Hat er sich schon angemeldet?« wollte er wissen. Fretnorc nickte.

»Lassen Sie mich sehen«, murmelte Mef­gon und begann in einer Liste. »Dies hier ist übrigens nur eine Liste der Meldungen. Ob ihr Mann angenommen worden ist, geht dar­aus nicht hervor. Wir übernehmen die Ver­tretung natürlich nur dann, wenn die Mel­dung bestätigt worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt geht der Service auf Kosten des Hauses.«

Mefgon lächelte verbindlich, während er die Liste ein zweites Mal, diesmal mit grö­ßerer Aufmerksamkeit, durchstöberte.

»Ich kann hier keinen Darbeck finden, weder in den geschlossenen noch in den of­fenen KAYMUURTES. Sind Sie sicher, daß Ihr Freund sich auch wirklich angemeldet hat? Es gibt da Fälle …«

»Unser Freund will in den Amnestie-KAYMUURTES antreten«, eröffnete Fret­norc.

Mefgon begann zu lachen. Er lachte so laut und herzhaft, daß ein erschrockener Se­kretär die Tür zum Nachbarraum öffnete und verwirrt nach seinem Chef sah. Kichernd wies Mefgon den Mann mit einer Handbe­wegung zurück.

»Das ist der beste Witz, den ich seit lan­gem gehört habe«, prustete Mefgon. »Sagten Sie wirklich: Amnestie-KAYMUURTES?«

»Das sagte ich«, bestätigte Fretnorc und sah sein Gegenüber verweisend an. Langsam beruhigte sich Mefgon wieder.

»Hören Sie, mein Bester, Sie müssen ent­schuldigen, daß ich lache, aber ein derartiges Ansinnen ist mir völlig neu. Was sollen wir mit einem Kämpfer für die Amnestiespiele anfangen? Von den Teilnehmern bleibt nur einer am Leben, der ganze Aufwand wäre vergebens. Wir vermitteln Sieger, keine Selbstmörder.«

»Aber …«, begann Fretnorc. Mefgon schnitt ihm das Wort ab.

»Wir würden uns vielleicht dazu bereit er­klären, wenn die finanzielle Seite der Ange­legenheit stimmen würde. Amnestie-Kämp­fer sind aber für gewöhnlich keine reichen Leute. Sie haben sich vergebens herbe­müht.«

»Dann werden wir es bei der Konkurrenz versuchen«, erklärte Fretnorc ergrimmt.

»Sparen Sie sich die Mühe«, empfahl ihm Mefgon. »Ich kenne die anderen Agenturen ziemlich genau. Bei allen großen Agenturen werden Sie die gleiche Antwort zu hören be­kommen wie bei mir. Geben Sie die Sache auf, niemand betreut Amnestie-Kämpfer, je­denfalls kein seriöses Unternehmen.«

Wieder begann Mefgon zu lachen. »Vielleicht versuchen Sie es einmal mit

HUCCARD«, riet er, lauthals lachend. Fretnorc deutete einen Gruß an und ver­

ließ zusammen mit Polc-Tanier den Raum. Noch durch die geschlossene Tür konnte er Mefgons Lachen hören.

»Huccard, hahaha«, hörte er ihn kichern. »Huccard!«

*

Fretnorc zeigte alle Zeichen der Verände­rung, als er wieder auf die Straße trat. Mit diesem Ergebnis hatte er gerechnet. Vor al­lem aber hatten die Bemerkungen Mefgons über die Siegesaussichten bei den Amnestie­

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KAYMUURTES ihm zu denken gegeben. Er fragte sich, was er selbst empfinden wür­de, wenn er bei diesen Spielen angetreten wäre, jederzeit den Tod vor Augen, der ent­weder ihn selbst ereilen würde, oder den er seinem Gegner zu bereiten hatte. Fretnorc fragte sich, wieso die KAYMUURTES in dieser Kategorie überhaupt noch Spiele ge­nannt wurden.

»Willst du es noch bei den anderen Agen­turen versuchen?« fragte Polc-Tanier halb­laut.

Fretnorc schüttelte den Kopf. Er glaubte, daß Mefgon die Wahrheit gesagt hatte; er glaubte es um so mehr, als er selbst – in der Rolle eines Agenten – wahrscheinlich eben­falls darauf verzichtet hätte, einen Todes­kandidaten zu betreuen.

»Und Huccard?« Polc-Tanier warf die Frage wie einen Kö­

der hin. In den letzten Tagen hatte fast im­mer Fretnorc die Führung übernommen, jetzt hielt Polc-Tanier die Zeit für gekom­men, daß er selbst wieder die Initiative er­griff. Er rechnete damit, daß Fretnorc darauf verzichten würde, den ominösen Huccard zu bemühen. Wenn die SCC und die beiden an­deren großen Agenturen auf die Amnestie-Kämpfer verzichteten, dann konnte eine kleine Agentur mit Sicherheit nicht viel aus­richten.

»Ich versuche es!« stieß Fretnorc hervor. »Noch gebe ich nicht auf.«

»Und wo finden wir Huccard?« »Über das Video-Netz«, verkündete Fret­

norc. Er hatte gerade eine öffentliche Sprech­

stelle entdeckt. Rasch betrat er die Kabine und betätigte die Ruftaste. Der Bildschirm flammte auf und zeigte Sekunden später die ersten Seiten der Teilnehmerkartei. Fretnorc hatte nicht mehr zu tun, als die Liste ablau­fen zu lassen und eine zweite Taste zu betä­tigen, wenn der Name und der Anschluß Huccards von dem Leuchtpfeil der Anzeige berührt wurde.

Rasch ließ Fretnorc die Kartei bis zu der Buchstabenkombination HU durchlaufen,

Peter Terrid

dann verlangsamte er das Tempo. Sorgfältig begann er nach Huccard zu suchen, ergeb­nislos. Danach ging er alle nur denkbaren Kombinationen durch, mit denen sich Huc­card verwechseln ließ. Schließlich ging aus dem gesprochenen Namen nicht ohne weite­res die Schreibweise hervor. Er fand einen Hooggard, aber das Kürzel hinter dem Na­men wies den Mann als hohen Polizeioffi­zier aus.

»Kein Anschluß«, stellte Fretnorc erbittert fest. »Wenn dieser Huccard tatsächlich eine Agentur betreibt, scheint sie so kümmerlich zu sein, daß sie sich nicht einmal einen Vi­deo-Anschluß leisten kann.«

»Eine Tatsache, die Vertrauen erweckt«, spottete Polc-Tanier.

Fretnorcs Grimm wuchs. Er spürte, daß Polc-Tanier ihn zurückdrängen würde, wenn er einen Fehler machen sollte. Noch war er nicht gewillt, aufzugeben. Fretnorc winkte einen Gleiter heran. Polc-Tanier sah ihm verwundert zu, nahm aber ebenfalls Platz in dem Fahrzeug.

»Zoltral-Avenue«, bestimmte Fretnorc, und eine halbe Stunde danach setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Während der Fahrt fütterte Fretnorc den Schädel des Fahrerro­bots mit Münzen, bis eine Anzeige aufleuch­tete, die besagte, daß der voraussichtliche Fahrpreis bezahlt sei.

Vom Gebäude der SCC bis zur Zoltral-Avenue dauerte die Fahrt nur wenige Minu­ten. Vor dem Kampfpalast, der ihm fast zum Verhängnis geworden wäre, ließ Fretnorc den Gleiter anhalten. Er kassierte das Wech­selgeld, dann verließen die beiden Männer das Fahrzeug.

Zielstrebig ging Fretnorc auf den Eingang der Kampfhalle zu. Es sprach für das Ge­schick des Besitzers, daß die polizeiliche Sperre binnen weniger Stunden aufgehoben worden war. Natürlich fanden jetzt nur Schaukämpfe statt, bei denen es nur selten zu Verletzungen kam. Daß das Publikum auch diese Veranstaltungen in großer Zahl besuchte, hatte einen einfachen Grund: nur dort konnten die Zuschauer erfahren, an

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welchem Ort und wann die Kämpfe in ihrer verschärften, lebensgefährlichen Form wie­der aufgenommen werden sollten.

An der Kasse blieb Fretnorc stehen. »Ich suche Barlik«, erklärte er dem Kas­

sierer. »Warten Sie, ich rufe jemanden, der Sie hinführen kann.«

»Besten Dank«, gab Fretnorc freundlich zurück. »Ich kenne mich aus.«

Vorbei an dem verblüfften Kassierer mar­schierten Polc-Tanier und Fretnorc in die Halle.

Sie trafen Barlik in den Umkleideräumen. Er hatte gerade einen Kampf gegen einen seiner Kollegen bestritten und auch gewon­nen. Er grinste, als er Fretnorc erkannte.

»Was treibt dich her, Halsumdreher?« fragte er. Er mußte sich etwas zusammen­nehmen, um dem schwächlichen Polc-Ta­nier nicht die. Handknochen zu zermalmen.

»Wir sind auf der Suche«, erklärte Fret­norc seufzend.

Barlik grinste anzüglich. »Was darf es sein? Geld, Schnaps, Wei­

ber? Barlik kennt jede Adresse.« »Nichts davon«, wehrte Fretnorc ab. Er

sah, wie Polc-Tanier mißtrauisch die Ein­richtung der Umkleidekabine betrachtete, dann zum Ausgang ging und durch den Vor­hang das Geschehen in der Halle verfolgte.

»Ich suche einen Mann namens Huccard, er ist mir empfohlen worden.«

»Von wem?« »Von der Kampfagentur SCC, ich nehme

an, du kennst sie!« »Allerdings«, meinte Barlik und zeigte ei­

ne Narbe am linken Knie. »Das ist mein per­sönliches Andenken an die SCC. Was hat dieser Huccard mit der SCC zu tun?«

»Er betreibt angeblich ebenfalls eine Agentur, aber ich konnte keinen Video-Anschluß finden, der zu diesem Namen ge­hört.«

Barlik überlegte eine Zeitlang, dann wei­teten sich seine Augen.

»Den Huccard meinst du? Heiliges Ar­kon!«

Barliks Formulierung brachte Fretnorcs

Selbstsicherheit erneut ins Wanken. »Was ist mit Huccard? Hat der Mann eine

Besonderheit?« Barlik nickte. »Ja, so kann man es nennen. Huccard be­

treibt die Agentur GLORIOC. Willst du ihn engagieren? Für dich selbst?«

»Vielleicht«, murmelte Fretnorc abweh­rend. »Kannst du mir die Adresse geben?«

Barlik legte Fretnorc eine Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen.

»Du bekommst die Adresse, aber ich war­ne dich. Huccard hat seine Eigenheiten, sei also nicht überrascht, wenn du ihm begeg­nest. Und vor allem: gib acht auf dein Geld!«

Mit einigen anderen Empfehlungen dieser Art machte sich Fretnorc auf den Weg.

*

Als Fretnorc die Räumlichkeiten der GLORIOC von außen betrachtete, wurde ihm langsam klar, warum Barlik ihn vor der Agentur gewarnt hatte. Polc-Tanier hatte er zurückgeschickt in die Wohnung, um den Kontakt zu den anderen Freunden des Kri­stallprinzen aufrechtzuerhalten.

Schäbig war noch die freundlichste Be­zeichnung für die Büros der GLORIOC. Von den Buchstaben an der rauchge­schwärzten Wand hingen drei schräg herun­ter, bei allen war die Farbe von der Witte­rung zerfressen. Früher einmal waren es Leuchtbuchstaben gewesen, jetzt zeugten nur noch Drahtstummel von der einstigen Pracht.

Das Gebäude war vierstöckig. Der Schriftzug GLORIOC zog sich über den Zwischenraum zwischen dem zweiten und dem dritten Stockwerk. Von den Fenstern waren einige gesprungen, andere fehlten ganz und waren durch eine halbtransparente Folie ersetzt worden.

»Bei allen Sternengeistern!« staunte Fret­norc.

Die GLORIOC residierte in einem Stadt­viertel, das schon vor zwei Jahren zur Sanie­

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rung freigegeben worden war. In diesem Fall konnte eine Sanierung nur auf totalen Abriß hinauslaufen. Die benachbarten Häu­ser waren ohnehin bereits zusammengefal­len. Bevor Fretnorc das Gebäude betrat, suchte er vorsichtshalber nach einem baupo­lizeilichen Hinweis. Er fand keinen. Viel­leicht, so überlegte Fretnorc beklommen, hatte der Besitzer auch das Schild, das auf die drohende Einsturzgefahr hinweisen soll­te, einfach entfernt.

Vorsichtig prüfte Fretnorc mit der Fuß­spitze die Festigkeit der Außenwand. Einen kräftigen Tritt vertrug sie noch, aber mehr wollte Fretnorc ihr nicht zumuten. Er pries sich glücklich, daß er Polc-Tanier zurückge­lassen hatte. Ein Hustenanfall des Alten hät­te das Schicksal des Gemäuers wahrschein­lich besiegelt und das seiner Bewohner da­zu.

Früher einmal … Alles, was Fretnorc bei seinem Gang

durch das Haus zu Gesicht bekam, lief auf diese Formulierung hinaus. Das gesamte Haus schien ihm wie Fuge und Variation über das Thema: früher einmal …

An den Wänden hatten einst selbstleuch­tende Tapeten mit kostbaren Mustern ge­klebt. Jetzt waren nur noch verschimmelte Fetzen zu erkennen. Die Mehrzahl der Leuchtkörper hatte den Dienst quittiert, die Scherben knirschten unter Fretnorcs Füßen. Die Wände waren anscheinend mit einer weißlichen Masse bestrichen worden, erst bei näherem Hinsehen entdeckte Fretnorc, daß es sich um einen pilzigen Belag handel­te.

Daß sich auf den Gängen kleine Nager fröhlich balgten, verwunderte nach dem An­blick der Räume niemanden. Löcher gab es für die Tiere in großer Zahl, in den Wänden, unter den krummen Stufen der Treppen und Fretnorc traute seinen Augen kaum – auch in der Decke.

Langsam schritt Fretnorc durch das Haus. Er suchte nach einem Raum, der dem Besit­zer der GLORIOC als Büro dienen konnte.

Leise Zweifel keimten in Fretnorc auf,

Peter Terrid

während er den Raum nach dem anderen in­spizierte. Das Innere des Hauses stand dem Äußeren in nichts nach. Die Brüchigkeit des Gemäuers war unverkennbar. Alle Räume wirkten verwahrlost und heruntergekom­men. Ungeziefer jeglicher Art hatte sich in den Räumen breitgemacht. In den Ecken la­gen verfaulte Kadaver von kleineren Tieren. An einigen Stellen wies der Boden durch lautes Knirschen auf seine Baufälligkeit hin.

Am Ende eines langen Ganges endlich stieß Fretnorc auf die Tür. Ausnahmsweise standen die Buchstaben des Schriftzugs auf­recht. Fretnorc erkannte, daß sie mit einem billigen Kleber an der Wand angebracht worden waren.

Sehr behutsam klopfte Fretnorc an die Tür. Die Buchstaben über ihm wackelten be­drohlich.

»Herein!« Die Stimme war schrill und überschlug

sich fast. Fretnorc zögerte einen Augenblick, aber dann sagte er sich, daß er nicht viel zu verlieren habe. Er hatte einige Schwierigkei­ten gehabt, die Adresse überhaupt zu finden. Es erschien ihm unsinnig, so kurz vor dem Ziel aufzugeben.

Sehr vorsichtig öffnete Fretnorc die Tür. Er hatte eine Steigerung nicht für möglich

gehalten, aber es gab sie. Das Büro der Kampfagentur GLORIOC bestand lediglich aus einem vergleichsweise winzigen Raum, der zum Bersten mit Akten vollgestopft war. Allerdings ließ sich auf den ersten Blick nicht feststellen, ob es sich bei dem überall herumliegenden Papier um wichtige Doku­mente oder um Bündel von Abfallpapier handelte. In einer Ecke war ein Turm aus geleerten Schnapsflaschen errichtet worden, der bei jedem Luftzug schwankte – und Luftzug gab es dank des geborstenen Fen­sters genügend.

Auf dem Boden wuchsen Pilze, nicht sehr hoch, aber dafür in großer Zahl. Die Wände waren, soweit sie nicht mit irgendeinem klebrigen Material überzogen waren, von ei­ner Schimmelschicht bedeckt. Auf dem Kle­bstoff hingen einige handtellergroße Spin­

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nen fest, die verzweifelt mit den freien Bei­nen ruderten, als seien sie zu der Einsicht gekommen, daß dieses Büro selbst für Spin­nen nicht zu ertragen war.

»Treten Sie näher, mein Freund!« Wenn es ein Lebewesen in der Galaxis

gab, mit dem Fretnorc um keinen Preis be­freundet sein wollte, dann war es der Mann, der in diesem Raum hauste.

»Sie sind Huccard?« erkundigte sich Fret­norc vorsichtig. Wenn es sich nicht um Huc­card handelte, konnte er vielleicht das Weite suchen.

»Allerdings, und das in voller Lebensgrö­ße.«

Das Wort Größe war in diesem Zusam­menhang blanker Hohn. Huccard war be­stenfalls 160 Zentimeter groß, dazu noch er­schreckend hager. Wie er es fertiggebracht hatte, einen Anzug aufzutreiben, der trotz seiner Winzigkeit noch entschieden zu eng war, blieb Huccards Geheimnis. Von der Statur her mochte er es geschafft haben, sich in die Jugendabteilung eines Kaufhauses einzuschleichen, aber die eingefallenen Wangen und die wie gegerbt wirkende, falti­ge Gesichtshaut ließen sein Alter unver­kennbar werden. Fretnorc schätzte, daß Huc­card etwa sechzig überaus turbulente Jahre hinter sich gebracht hatte. Er sah zwar mehr nach Neunzig als nach Sechzig aus, aber Fretnorc führte diese Abweichung auf Huc­cards Lebenswandel zurück, der in dem Bü­ro einen unübersehbaren Niederschlag ge­funden hatte.

Auf dem wackligen, schmierigen Schreib­tisch stand eine angebrochene Flasche. Huc­cards Atem verriet, daß es sich bei dem In­halt um hochprozentigen Schnaps handeln mußte. In einem Bücherregal, das notdürftig vor dem unvermeidlichen Zusammenbruch bewahrt worden war, entdeckte Fretnorc ei­nige Bücher, stark angegriffen und mit Ti­teln, die normalerweise nur unter dem La­dentisch gehandelt wurden.

»Sie sind der Inhaber der Kampfagentur GLORIOC?«

Es gehörte einige Phantasie dazu, sich

ausgerechnet den mickrigen Huccard als Be­treuer von Kämpfern vorzustellen.

Etwas Heruntergekommeneres als dieses Büro ließ sich kaum mehr denken. Die Stüh­le, die an der Wand lehnten, waren mit ei­nem schmierigen Film überzogen, über des­sen Herkunft und Zusammensetzung nur ein erfahrener Chemiker etwas hätte sagen kön­nen. Weiter standen in dem Raum noch ein Schreibtisch, dessen Oberfläche zur Hälfte von halbzerfetzten Akten bedeckt wurde, während die andere Hälfte von Essensresten und Schnapsflecken starrte, ein Tisch, den ein Kind mit einem Zugriff in Splitter ver­wandelt hätte, und eine Kühlbox, die ihren Dienst längst eingestellt hatte. Beweis genug dafür war der Schwarm Fliegen, der über der Box kreiste und offenbar den Hohlraum für Zuchtzwecke ausnutzte. Eine Klimaanlage gab es nicht, sie hätte auch wenig auszurich­ten vermocht gegen den Gestank, der den Raum erfüllte. Vergeblich versuchte Fret­norc, die einzelnen Bestandteile herauszufil­tern. Deutlich wahrzunehmen war der Alko­hol, dazu kam die Ausdünstung verfaulter Lebensmittel, ein penetranter Schweißge­ruch und der Gestank einer verwesenden Ratte, die vermutlich einige Minuten zu spät versucht hatte, das Büro zu verlassen.

»Richtig, ich leite die GLORIOC, die be­deutendste Kampfagentur am Ort!«

Woher der Zwerg angesichts des Chaos die Frechheit zu solchen Behauptungen nahm, blieb unerfindlich. Fretnorc jedenfalls wußte, woran er war. Früher einmal war die GLORIOC vielleicht eine Kampfagentur ge­wesen, vielleicht bei den allerersten KAY­MUURTES, die jemals stattgefunden hatten. Seither hatte der Zahn der Zeit an der Agen­tur und ihrem Besitzer genagt, und das gründlich. Huccard mußte wahnsinnig sein, daß er diesen abgewirtschafteten Laden überhaupt noch am Leben erhielt. Kein ver­nünftiger Mensch würde mit ihm ein Ge­spräch eingehen.

Fretnorc war noch halb benommen von dem Anblick, der sich ihm bot.

Und zu seinem eigenen Erschrecken hörte

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er sich sagen: »Ich möchte Ihnen einen Kunden zufüh­

ren!«

8.

Huccard nickte, als seien solche Angebote für ihn eine Selbstverständlichkeit.

»Das spricht für Ihre Menschenkenntnis«, lobte er Fretnorc, dem bei dieser Bemerkung noch unbehaglicher zumute wurde. »Ich werde die Angelegenheit in die Hand neh­men. Ihr Mann ist schon so gut wie ein Sie­ger!«

Fretnorc nickte benommen. Huccard be­deutete ihm, sich zu setzen. Ohne an die Ge­brechlichkeit der Stühle zu denken, nahm Fretnorc Platz. Etwas Kaltes, Klebriges durchfeuchtete den Stoff auf seiner Sitzflä­che, aber Fretnorc nahm dies nicht wahr.

»Darf ich fragen, welcher meiner Werber Ihr Augenmerk auf mich renommiertes Un­ternehmen gelenkt hat?«

Soviel Anmaßung verschlug Fretnorc fast die Sprache.

»Ich bekam einen Tip von der SCC«, ge­stand er.

In die zerbrechlich wirkende Gestalt Huc­cards, kam Leben. Der Mann sprang auf und ballte die Fäuste.

»Diese Halunken«, tobte er. »Das sieht ih­nen ähnlich, sie wollen mich herabsetzen, demütigen, meinen erstklassigen Ruf unter­graben. Schufte, Halsabschneider, Lumpen­gesindel. Ausgerechnet die SCC. Sie haben mir die Kunden weggenommen, mich an die Wand gedrängt, und das alles nur, weil sie allesamt Angst vor mir haben. Natürlich ha­ben sie Angst, diese unfähigen Hohlköpfe. Schließlich kennen sie Huccard und seine Fähigkeiten. Ich werde ihnen noch zeigen, wem sie da zu nahe getreten sind. Vernich­ten werde ich sie.«

»Mich?« fragte Fretnorc entgeistert. Die Flut von Beschimpfungen hatte ihn über­rascht.

»Nicht Sie. Kunden von Ihrem Scharf­blick und Ihrer Intelligenz sind mir immer

Peter Terrid

willkommen. Ich garantiere für alles. Es gibt kein Problem, das die GLORIOC nicht lösen könnte. Das ist der Wahlspruch unseres Hauses.«

Unseres? dachte Fretnorc erschrocken. Laufen hier etwa noch andere Huccards herum? Der Gedanke hatte etwas Er­schreckendes an sich …

Fretnorc kam zu dem Entschluß, die Pro­zedur abzukürzen.

»Unser Mann heißt Darbeck!« eröffnete er dem Inhaber der berühmten Kampfagen­tur GLORIOC.

»Aha«, machte Huccard. Er begann in sei­nen Papieren herumzuwühlen. Nach einiger Zeit brachte er einen Fetzen zum Vorschein, den man zur Not sauber nennen konnte. Nach einer ähnlich aufwendigen Prozedur förderte er auch ein Schreibgerät zutage. Umständlich schrieb er den Namen Darbeck auf den Zettel.

»Darf ich um nähere Angaben bitten?« »Darbeck hat sich für die Amnestie-

KAYMUURTES gemeldet.« Es tat gut, diesen Satz über die Lippen ge­

bracht zu haben. Jetzt würde der Giftzwerg endlich Ruhe geben und kapitulieren. Nichts dergleichen geschah.

»Sehr gut«, stellte Huccard zufrieden fest. Er brachte eine Grimasse zuwege, die ein Lächeln darstellen sollte. »Unser Unterneh­men ist für solche Aufträge wie geschaffen. Es ist nur eine Frage des Preises.«

Er hob den Kopf und starrte Fretnorc an. Nackte Habgier stand in den Augen ge­schrieben.

»Zehntausend Chronners«, sagte Huccard.

*

Eintausend Chronners mußte jeder bezah­len, der an den geschlossenen KAYMUUR­TES teilnehmen wollte. Die Summe war mit Absicht so hoch angesetzt worden. Es ging nicht an, daß Edle der Arkonwelten sich mit Ekhi und Zali in der Arena herumraufen mußten.

Zehntausend Chronners!

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Eine Wahnsinnssumme, durchfuhr es Fretnorc. Wie durch einen Watteschleier hörte er sich sagen:

»Einverstanden. Aber ich habe nicht so viel Geld bei mir, und ich werde auch einige Schwierigkeiten haben, es zu beschaffen.«

»Das stört mich nicht«, versetzte Huc­card, den die Aussicht auf bares Geld zu be­flügeln schien. »Ich bin einstweilen mit ei­ner kleinen Anzahlung zufrieden.«

Chronner für Chronner zählte Fretnorc seine karge Barschaft auf den fleckigen Tisch. Eine der Münzen blieb in einer siru­partigen Substanz liegen und wollte sich nicht wieder von der Stelle rühren. Erst als Huccard, der solche Mißhelligkeiten offen­bar öfter zu überwinden gehabt hatte, dem Sirup mit konzentriertem Alkohol zu Leibe rückte, ließ sich die Münze wieder aufheben.

»Das wäre dies«, erklärte Huccard. »Dann würde ich Darbeck natürlich gern einmal se­hen.«

»Ist das unbedingt nötig?« fragte Fret­norc, auf üble Überraschungen gefaßt.

»Unbedingt!« versteifte sich Huccard. »Schließlich muß ich wissen, wen ich trai­nieren soll.«

Erneut war Fretnorc sprachlos. Die Vorstellung, daß der wie ausgetrock­

net aussehende Huccard den durchtrainierten Atlan trainieren sollte, war mehr als kurios. Fretnorc war sicher, daß er nur einen Griff anzubringen brauchte, um dem Zwerg das Genick zu brechen. Angesichts der Tatsa­che, daß er gerade einen zwar nur mündli­chen, trotzdem aber rechtsverbindlichen Vertrag über zehntausend Chronners abge­schlossen hatte, erschien ihm diese Lösung fast schon sympathisch.

»Nun, wie ist es? Kann ich Darbeck se­hen?«

Fretnorc leckte sich die Lippen. Hatte er jetzt vielleicht eine Möglichkeit, sich aus dem unüberlegt geschlossenen Vertrag her­auszuwinden?

»Es gibt da gewisse Probleme«, gestand er.

»Unwichtig«, wehrte Huccard ab. Mit be­

merkenswerter Schnelligkeit hatte er inzwi­schen das Geld in seinen Taschen verstaut. »Zum Lösen von Problemen haben Sie schließlich unser Unternehmen engagiert. Was ist das Problem?«

»Darbeck ist noch nicht auf Pejolc«, be­kannte Fretnorc. »Da er sich zu den Amne­stie-KAYMUURTES gemeldet hat, werden Sie verstehen, daß es nicht einfach ist, ihm eine Information zukommen zu lassen. Noch schwieriger wird es werden, ihn nach Pejolc zu schmuggeln!«

»Hm«, überlegte Huccard halblaut. »Was kann man da machen?«

Zur Förderung seiner geistigen Tätigkeit nahm er erst einmal einen gewaltigen Schluck aus der Flasche. Fretnorc pries sei­nen Schöpfer, daß Huccard nicht auf den Gedanken kam, seinem Gast eine Probe des Giftzeugs anzubieten.

»Die beste Lösung wäre es, wenn wir ein Schiff zur Verfügung hätten. Damit könnten wir in den Raum vorstoßen und dort eine kurze, verschlüsselte Botschaft abgeben.«

»Das ist es!« rief Huccard triumphierend. »Wie ich sehe, macht sich Ihre Intelligenz wieder voll bemerkbar. Nächst Ihrer Idee, mich aufzusuchen, war dies Ihre beste Ein­gebung.«

Zur Belohnung gönnte er sich einen wei­teren Schluck aus der Flasche.

»Es wird ein Kinderspiel werden«, ver­sprach Huccard selbstsicher.

Fretnorc war ausgesprochen unwohl zu­mute. Er traute Huccard nicht über den Weg. Nicht daß er den Inhaber der Agentur GLO­RIOC für einen Gauner hielt, dazu hatte er keinen Anlaß. Für Fretnorcs Geschmack nahm Huccard aber den Mund allzu voll. Zwischen seinen prahlerischen Reden und der Schäbigkeit seines Büros klaffte ein un­überbrückbar erscheinender Widerspruch.

»Kommen Sie morgen wieder«, schlug Huccard vor und streichelte zärtlich die Fla­sche. »Ich werde bis dahin alles Nötige ar­rangiert haben. Verlassen Sie sich auf die Agentur GLORIOC, und Sie sind nie verlas­sen!«

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Das Gefühl, mit dem Fretnorc das Büro und das Haus verließ, hatte mit Verlassen­heit wenig zu tun – es war die schiere Ver­zweiflung.

*

»Und er vermittelt nur Kämpfer?« erkun­digte sich Kelsh traurig.

Polc-Tanier lächelte verhalten. Diese Fra­ge war typisch für den jungen Kelsh. Jung, das galt allerdings nur aus der Sicht von Polc-Tanier. Mit seinen einhundertdreißig Jahren war Kelsh aus Fretnorcs Blickwinkel wahrscheinlich schon ein alter Mann. An­sonsten war Kelsh groß, 18o Zentimeter, durchtrainiert und ein ausgesprochen heite­rer Kampfgefährte. Mit seiner Zuverlässig­keit war es allerdings eine Sache; solange sich keine Frauen in seiner Nähe befanden, konnte man ihm durchaus vertrauen. War aber ein gelockter Kopf sichtbar, verlor Kelsh den seinen mit schöner Regelmäßig­keit.

Wie bei Fretnorc und Polc-Tanier hatte Atlan bei der Zusammenstellung der Teams auch hier wieder nach Ergänzung und Aus­gleich gesucht. Kelshs Partner war Garra­son, ein sehr kalt und beherrscht wirkender Mann. Dies war die Folge eines fast vierjäh­rigen Fronteinsatzes im Methan-Krieg. Gar­rason war fünf Jahre jünger als Kelsh, dafür aber fünf Zentimeter länger. Während Kelsh mit seinem pausbäckigen Gesicht und den kindlich großen Augen vor allem bei Frauen Eindruck machen konnte, fiel bei Garrason der knochige Körperbau auf und das hart wirkende Gesicht mit den schmalen Augen.

»Keine Weiber, alter Freund«, bemerkte Garrason kalt. »Du wirst dich gedulden müssen, bis wir Kraumon erreicht haben. Wenn ich dich dabei erwische, daß du mit deinen Liebesabenteuern unseren Einsatz gefährdest, drehe ich dir das Gesicht auf den Rücken.«

Kelsh grinste, obwohl er genau wußte, daß Garrason seine Worte ernst meinte. Gar­rason hatte oft und zu erbittert um sein Le-

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ben kämpfen müssen, als daß er Nachlässig­keit oder Schwäche bei anderen geduldet hätte.

»Was du über diesen Huccard erzählt hast, Fretnorc, gefällt mir gar nicht. Ich ver­mute, daß der Mann ein Schwindler ist. Wahrscheinlich ist er mit dem Vorschuß, den du ihm leichtsinnigerweise gezahlt hast, längst über alle Berge!«

Fretnorc fröstelte. Garrason hatte das Pro­blem nicht einmal geduldet. Fretnorc hatte fast alle Barmittel der kleinen Gruppe an Huccard abgegeben. Wenn sich der GLO­RIOC-Inhaber damit davonmachte, saß die Gruppe auf dem Trockenen. Und für diesen Fall verhieß Garrasons Blick nichts Gutes. Es gab Gerüchte, die wissen wollten, Garra­son sei früher einmal ein bezahlter Mörder gewesen, aber es hatten sich keine Beweise dafür gefunden. Bekannt war nur, daß Gar­rason eine ausgesprochen undurchsichtige Person war.

»Wir müssen warten«, versuchte sich Fretnorc zu verteidigen. »Huccard hat ge­sagt, daß wir uns heute bei ihm treffen sol­len. Vielleicht hat er schon etwas erreichen können.«

Polc-Tanier hüstelte verhalten. Fretnorc, der in seiner Gemütsverfassung

jedes Geräusch für eine Art Tadel hielt, zuckte zusammen.

»Wir müssen nur noch zwei Stunden war­ten, dann werden wir mehr erfahren«, erklär­te er. Wieder traf ihn ein Blick aus Garra­sons Augen.

Fretnorc begann herumzudrucksen. »Ich muß allerdings, bevor wir uns auf

den Weg machen, einiges zur Person dieses Huccard erklären …«

Gebannt hörten ihm seine Gefährten zu. Ihre Reaktionen entsprachen ihrem jeweili­gen Temperament. Während Kelsh sich das Lachen kaum verbeißen konnte, schüttelte Polc-Tanier unausgesetzt den Kopf. Garra­son ballte die Fäuste und bedachte Fretnorc mit einem mörderischen Blick. Fretnorc wä­re fast erschrocken, als auch Garrason plötz­lich lauthals zu lachen begann. Offenbar war

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der unterkühlte Garrason doch nicht ganz so finster, wie er sich oft gab.

»Fretnorc, Fretnorc«, murmelte Garrason kopfschüttelnd. »Für diese Dummheit sollte ich dich eigentlich einen Kopf kürzer ma­chen, aber ich glaube, es wird weit wir­kungsvoller sein, wenn die Geschichte dei­ner Pleite auf Kraumon die Runde macht. Fretnorc, der Starke, läßt sich von einem geldgierigen Giftzwerg aufs Kreuz legen. Soviel Dummheit ist fast schon strafbar!«

»Wartet nur ab, Huccard wird schon zei­gen, was er kann«, protestierte Fretnorc, der sich arg in die Enge gedrängt fühlte, und das – wie er sich selbst zugab – nicht einmal zu Unrecht. Insgeheim hoffte er darauf, daß Huccard sich als besser erweisen würde, als er es dem Anschein nach war.

*

Vorsichtshalber bildete Fretnorc das Schlußlicht der Gruppe, als sich die vier Männer der Agentur GLORIOC näherten. Als Kelsh das Gebäude entdeckte, in dem Huccard hauste, stieß er einen leisen Pfiff aus.

»Darin soll ein Mensch leben?« fragte er. »Mir scheint, als vermittle Huccard keine

Kämpfer für die Spiele, sondern bestenfalls Handwerker zum Abbruch dieser Ruinen. Besteht Einsturzgefahr?«

Fretnorc beantwortete Garrasons Frage mit einem Nein, das energisch klingen soll­te, aber eher kläglich anzuhören war.

Polc-Tanier, der wie Kelsh und Garrason das halbverfallene Haus zum ersten Mal sah, brauchte einige Energie, um seine aufkei­mende Angst zu unterdrücken. Unter einem zusammenstürzenden Haus begraben zu werden, war kein sehr rühmlicher Tod für einen Rebellen.

Garrason verhielt sich schweigsam, wie es seine Art war. Aber der Blick, mit dem er die Ruine musterte, sprach Bände. Vorsich­tig betraten die Männer das Haus. Fretnorc übernahm die Führung, vor allem, um seinen Kameraden keine Zeit zu geben, in die ande­

ren Räume zu blicken. Zu seinem Erstaunen hielt der billige Kle­

ber die Buchstaben des Firmenzeichens im­mer noch an Ort und Stelle. Aus dem Büro kam fröhlicher Gesang. Fretnorc lächelte verzerrt und klopfte an.

Ein Schmerzensschrei hallte durch den Gang. Polc-Tanier hüpfte auf einem Bein über den Boden und griff mit beiden Händen nach seinem Fuß. Jetzt hieß die Kampfagen­tur GLORIC. Das zweite O lag in Trümmern auf dem Boden, der bedrohlich ächzte. Gar­rason stieß ein Schnauben aus.

Huccard öffnete eigenhändig die Tür, um seine Gäste einzulassen. Den Männern weh­te eine Schnapsfahne entgegen, die man in Tüten hätte verpacken können. Polc-Tanier verzog angewidert das Gesicht.

»Treten Sie näher, meine Herren!« rief Huccard fröhlich aus. Mit der linken Hand machte er eine einladende Geste, die Rechte hielt den Hals einer Flasche umklammert. Die gerade erst angebrochene Flasche und der Atem Huccards ließen nur den einen Schluß zu, daß er bereits eine zweite Flasche angefangen hatte. Fretnorc warf einen Blick auf das Etikett.

»Hören Sie, Huccard!« begann er scharf. Er spürte die Blicke seiner Gefährten in sei­nem Rücken. Nach seiner Schätzung blieben ihm knapp zwei Minuten. Soviel Zeit wür­den die drei anderen brauchen, bis sie den Anblick von Huccards Büro verkraftet hat­ten.

»Ich habe ihnen den Vorschuß nicht ge­zahlt, damit Sie sich betrinken können« – Fretnorc warf einen Blick auf das Etikett – »noch dazu mit einem der teuersten Schnäp­se, die es überhaupt gibt.«

Huccard grinste bösartig. »Wenn ich kein Geld habe, kann ich mir

diesen Schnaps nicht leisten. Jetzt habe ich welches, und sie verbieten mir, diesen Schnaps zu trinken. Wann bitte soll ich ihn dann trinken, hä?«

Dieser Logik gegenüber war Fretnorc machtlos. Garrason hatte sich mittlerweile von seinem ersten Schock erholt und riß das

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Gespräch an sich. »Was haben Sie erreicht. Huccard?« frag­

te er scharf. »Huccard erreicht stets, was er will«, ver­

kündete der Agent prahlerisch. »Und erhält, was er verdient«, konterte

Garrason kalt und betrachtete angelegentlich seine Fäuste.

»Kommen Sie heute abend zum Raumha­fen«, verkündete Huccard. »Ich habe alles arrangiert. Wir werden an Bord der NEC­CON gehen, dort wird sich das weitere fin­den.«

»Wieviele Personen sollen mitfliegen?« »Fünf«, erklärte Huccard. Er schwankte

lebhaft und hielt sich krampfhaft an der Fla­sche fest.

»Also können wir noch einen Mann ab­stellen«, überlegte Polc-Tanier halblaut.

Huccard kicherte unterdrückt. »Nicht doch«, sagte er unsicher. »Ich wer­

de Sie selbstverständlich begleiten. Huccard kämpft immer in vorderster Front!«

Garrason warf einen zweifelnden Blick auf die Flasche in Huccards Hand, die wäh­rend des Gesprächs fortlaufend an Inhalt verlor.

»Wenn Sie im Kampf gegen einen Gegner ähnlich gute Leistungen bringen wie an der Schnapsfront, soll es mich freuen!«

»Der Mann, der die berühmte Agentur GLORIOC aufgebaut hat, kennt keine Furcht!« erklärte Huccard.

Mit diesen Worten brach er zusammen. Sein Oberkörper krachte auf den Schreib­tisch, der unter diesem Anprall fast zusam­mengebrochen wäre.

Garrason zuckte hilflos mit den Schultern. Polc-Tanier schüttelte den Kopf, während Fretnorc kläglich grinste. Einzig Kelsh be­hielt die Ruhe.

»Als man mir sagte«, murmelte er, »dieser Auftrag könne gefährlich werden, habe ich mit allem gerechnet. Aber das da …«

Huccard begann zu schnarchen.

*

Peter Terrid

Der Abend senkte sich über Keme, soweit er nicht von den grellen Lichtreklamen ver­drängt wurde. Die vier Männer verschwen­deten an die bunte Pracht keinen Blick. Ihr Interesse galt den Schiffen auf dem Raum­hafen von Keme.

Das Gelände wurde durchaus streng be­wacht, an einen Durchgang war nicht zu denken. Fretnorc hatte seine Zweifel, ob Huccard es tatsächlich geschafft hatte, ein Schiff zu besorgen, das die kleine Gruppe in den Raum bringen konnte.

»Ich bin gespannt, in welchem Zustand sich Huccard präsentieren wird«, rätselte Kelsh. »Das heißt, wenn er überhaupt er­scheint.«

»Er wird«, versprach Fretnorc voreilig. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf Huc­card zu hoffen. Wenn der großmäulige Agent versagte, war es Fretnorcs Schuld, wenn die Gruppe in Bedrängnis geriet.

In der Nähe des Raumhafens gab es einen Park. An dem kitschigen Denkmal, das einen siegreichen Admiral darstellen sollte, wollten sich die Männer mit Huccard tref­fen.

Zum Erstaunen aller erschien Huccard tat­sächlich.

Sein faltiges Gesicht strahlte Zufrieden­heit aus. Fretnorc stellte verblüfft fest, daß Huccard sich sogar einen frischen Anzug an­gezogen hatte. Er machte den Eindruck, als habe er gerade erfahren, daß man ihn zum Imperator ernennen wolle.

»Guten Abend, Freunde«, grüßte er über­schwenglich. Garrason zog eine Grimasse.

»Was haben Sie erreicht?« Huccard blinzelte überlegen. »Alles«, begann er. »Ich werde Sie jetzt

zum Start bringen. Folgen Sie mir!« Huccard setzte sich in Bewegung. Zum

Erstaunen der Gruppe marschierte er keines­wegs in Richtung des Portals, sondern schlug sich seitwärts in die Büsche. Polc-Tanier zuckte mit den Schultern und setzte sich dann ebenfalls in Bewegung. Kelsh und Fretnorc folgten, die Sicherung übernahm Garrason. Die Männer waren bewaffnet, je­

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der von ihnen hatte unter der Kleidung einen Lähmstrahler versteckt. Ob Huccard eben­falls eine Waffe trug, ließ sich nicht feststel­len, aber Fretnorc konnte sich nicht vorstel­len, daß Huccard wußte, wie man mit einer Waffe umzugehen hatte. Leise bewegten sich die Männer durch den nachtdunklen Park.

9.

Von einer Passage auf einem Raumschiff konnte keine Rede sein. Huccard hatte ledig­lich Vorbereitungen für ein gefahrvolles Un­ternehmen getroffen, mehr nicht.

»Wir sind am Ziel«, verkündete Huccard strahlend.

»Das ist kein Raumschiff«, stellte Fret­norc verblüfft fest. »Das ist nicht mehr als eine Halle für Container. Was sollen wir hier?«

»Glauben Sie, ich könnte Ihnen einen Platz auf einem Luxusschiff besorgen?« keifte Huccard. »Sie müssen, wie ich, mit dem vorliebnehmen, was sich findet. Hier habe ich einen Doppelschlüssel samt Im­pulsgeber. Wir werden in die Halle eindrin­gen, uns in einem Container verstecken und damit Pejolc verlassen. Was ist, haben Sie keinen Mut?«

Fretnorc ballte die Fäuste. Sich von Huc­card derartig beschimpfen zu lassen, war mehr, als er ertragen konnte. Immerhin, ein Feigling war der schmächtige Mann nicht.

»Also, Freunde?« »Was bleibt uns anderes übrig«, knurrte

Garrason. »Vorwärts!« Dank des Doppelschlüssels hatten die

fünf Männer das Innere der Containerhalle nach kurzer Zeit erreicht. Lautlos schloß sich die Tür hinter ihnen.

Es mußte sich um eine sehr wichtige Hal­le handeln. Trotz der eingebrochenen Nacht wurde in der Halle gearbeitet. Container wurden aufgestapelt, andere zum Abtrans­port fertiggemacht. In der Halle herrschte lebhafte Geschäftigkeit.

»Keine Müdigkeit vorschützen«, flüsterte

Huccard. Er schien in seinem Element zu sein. Kein Wunder, dachte Fretnorc. Ein Mann, der in einem regelrechten Rattenloch hauste, konnte keine Schwierigkeit haben, sich wie eine Ratte in einer Containerhalle zu bewegen.

Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursa­chen, schlichen die Männer durch die Gän­ge. Huccard wagte einen kurzen Vorstoß und kehrte rasch wieder zurück. Sein Ge­sicht spiegelte seine Selbstzufriedenheit wi­der.

»Wir sind am Ziel«, versprach er. »Diese Gruppe von Containern ist für uns wie ge­schaffen.«

Es waren Behälter einer Bauserie, die Fretnorc noch nicht kannte. Fünf Meter hoch, zehn Meter breit und mehr als zwan­zig Meter lang. Wenn der Innenraum nicht allzu vollgestopft war, war es ein leichtes, die fünf Männer darin unterzubringen.

»Kriechen wir alle in einen Container, oder sollen wir uns trennen«, wollte Kelsh wissen. Etwas beunruhigt sah er das Metall der Außenhaut an. Wenn die Gruppe Pech hatte, kam sie aus dem metallenen Gefäng­nis nicht wieder heraus.

Irgend etwas kreischte über den Köpfen der Männer. Huccard sah auf seine Uhr.

»Schneller, Freunde!« flüsterte er. »Die NECCON wird in kurzer Zeit starten. Dies sind die letzten Container, die an Bord ge­bracht werden!«

Er kniete sich nieder, um den Impulsgeber des Containers zu halten. Nach einer halben Minute öffnete sich das Schloß, die Riegel sprangen zurück. Fretnorc setzte seine Mus­kelkraft ein und stemmte die Vorderplatte in die Höhe. Nacheinander schlüpften die Män­ner in das Dunkel, das im Innern des Contai­ners herrschte.

Fretnorc sah nach oben. Der automatische Kran kam bedrohlich schnell näher. Mit letzter Kraftanstrengung stieß Fretnorc die Frontplatte in die Höhe, dann huschte er sei­nen Gefährten nach. Krachend fiel die Platte in ihre Halterung zurück, die Schlösser schnappten geräuschvoll zu.

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»Da wären wir!« stellte Huccard entgei­stert fest.

Es war finster und es stank grauenvoll. »Was wird in den Dingern eigentlich

transportiert?« wollte Kelsh wissen. »Nachschub für eine Depotwelt, etwa sie­

ben Lichtjahre entfernt. Dort steht auch eine leistungsstarke Funkstation.«

Fretnorc liefen Schauer über den Rücken. Dieser Huccard war wirklich größenwahn­sinnig. Eine Funkstation auf einer Depotwelt des Großen Imperiums! Ein gefährlicheres Ziel hätte er sich kaum aussuchen können.

Ein harter Ruck ging durch den Contai­ner, als der Behälter angehoben wurde. Die Männer konnten das Rumpeln hören, mit dem sich ein Transporter bewegte, dann er­neut das Kreischen eines stark überlasteten Krans. Ein zweiter Stoß ging durch den Container und warf die Männer von den Beinen. Garrason und. Huccard blieben still, während die anderen je nach Temperament fluchten und schimpften.

Eine Viertelstunde verging, in der sich nichts rührte. Dann aber waren Laute zu hö­ren, die den Männern wie Musik in den Oh­ren klangen. Die unverkennbaren Ge­räusche, die beim Start eines Raumschiffs auftraten. Garrason legte den Kopf etwas auf die Seite und horchte aufmerksam.

»Ist die NECCON ein neueres Schiff?« fragte er vorsichtig. »Ziemlich neu«, bestä­tigte Huccard arglos.

»Entweder versteht der Kommandant sein Handwerk nicht, oder wir sind im falschen Schiff«, behauptete Garrason nach erneutem Horchen. »Die Triebwerke machen einen Lärm, als wären sie altersschwach oder hoff­nungslos überlastet.«

Huccard stieß ein Kichern aus. »Wie oft haben Sie schon einen Start in

einem geschlossenen Container erlebt?« er­kundigte er sich.

»Dies war das erste Mal«, gab Garrason zu.

»Na also« wehrte sich Huccard. »Wann macht endlich einmal jemand

Licht«, schimpfte Kelsh aus dem Dunkel.

Peter Terrid

Schuldbewußt griff Fretnorc nach dem Handscheinwerfer. Als das Licht aufge­flammt war, wurde es plötzlich sehr still.

*

»Sagen Sie«, stieß Garrason hervor. »Ist das vielleicht Ihre transportable Zweitwoh­nung?«

Huccard lächelte betroffen. Kelsh starrte mit offenem Mund an die

Ladung des Containers. Müll, Abfall, Unrat – tonnenweise. So erklärte sich auch der unerträgliche

Gestank. Es handelte sich um alle Arten von Abfall, die sich nicht wieder regenerieren oder aufarbeiten ließen. Die Gruppe war fas­sungslos.

Die Ähnlichkeit mit Huccards Büro war nicht zu verkennen, allerdings mußte Fret­norc zugeben, daß das Büro doch ein klein wenig aufgeräumter und ordentlicher ge­wirkt hatte. Ansonsten aber waren die Paral­lelen verblüffend.

»Wir sind im falschen Schiff gelandet!« rief Fretnorc aus.

Erst jetzt wurde ihm klar, in welcher Ge­fahr die kleine Gruppe schwebte.

Was aus den Müllcontainern wurde, lag auf der Hand. Das Schiff würde mit ihnen in den Raum starten und einen bestimmten Punkt im freien Raum ansteuern. Dort wur­den die Container von Robotgreifern außen­bords gebracht und geöffnet. Der Inhalt trieb dann auf die Sonne zu und wurde von ihr verbrannt. Angesichts der Größe der Sonne war dieses Verfahren außerordentlich risiko­los. Selbst der gesammelte Abfall von zwan­zig Welten hätte den Haushalt der Sonne nicht belastet.

In diesem Fall allerdings bestand die aku­te Gefahr, daß zusammen mit dem Müll fünf Leichen auf die Sonne zutreiben würden. In Gedanken spürte Fretnorc schon, wie die Greifer den Container anhoben, er hörte schon das tödliche Zischen und Brausen, mit dem die Luft aus dem Container in den frei­en Raum expandieren würde.

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Der einzige Trost der fünf Männer be­stand darin, daß der Tod infolge explosiver Dekompression sehr rasch eintrat.

»Laßt mich überlegen«, murmelte Polc-Tanier.

Er war auch jetzt der ruhigste in der Grup­pe, obwohl ihm deutlich anzusehen war, daß er sich des Risikos voll bewußt war. Sein Gesicht war fast blutleer.

»Wir haben nur eine Chance«, stellte Polc-Tanier fest. »Wir müssen diesen Con­tainer so schnell wie möglich verlassen und uns in einem anderen Winkel des Schiffes verstecken. Was wir danach unternehmen, ist eine andere Sache.«

Garrason griff nach Huccards Impulsge­ber. Er überlegte kurz, an welcher Stelle der Frontplatte das Schloß gesessen hatte, dann preßte er den Impulsgeber gegen das Metall.

Die anderen Männer zählten förmlich die Sekunden. Das Öffnen des Containers hatte eine halbe Minute gedauert.

Zwei Minuten waren verstrichen, und es hatte sich nichts gerührt. Garrason sprang auf und hielt Huccard den Impulsgeber unter die Nase.

»Wo haben Sie diesen positronischen Schrotthaufen gekauft, Sie Wahnsinnsmen­sch? Wollten Sie uns umbringen?«

Huccard machte eine Geste, die andeute­te, daß er diesen Zwischenfall für eine Lap­palie hielt. Polc-Tanier schob sich nach vorn.

»Zeig einmal her«, forderte er Garrason auf.

Umständlich nahm Polc-Tanier das Gerät auseinander. Nach einer kurzen Prüfung nahm er die Einzelteile und warf sie auf den Müllhaufen im anderen Ende des Contai­ners.

»Defekt«, verkündete er dumpf. »Völlig unbrauchbar geworden. Wir sitzen fest!«

*

Barak Iter pfiff leise vor sich hin, obwohl ihm nach Pfeifen überhaupt nicht zumute war. Es gab aber keine andere Möglichkeit,

während des Dienstes seine schlechte Laune abzureagieren.

Und Barak Iter fühlte sich schlecht. Zum einen wurde er von einem ziemlich groß ausgefallenen Kater geplagt, zum anderen quälte ihn der Gedanke, ob es richtig gewe­sen war, einen ganzen Monatslohn auf den Sieger der Amnestie-KAYMUURTES zu verwetten. Zugegeben, dieser Darbeck hatte nur Außenseiterchancen, aber bis ins Halbfi­nale sollte er es schaffen. Dann wäre wenig­stens der Einsatz gerettet, dachte Barak Iter. Und wenn Darbeck es gar schaffen sollte, ins Finale vorzudringen, konnte Iter endlich seinen Job aufgeben. Dann hatte er genug gewonnen, um für den Rest seines Lebens bequem von den Zinsen seines Vermögens zehren zu können.

Das wäre endlich die Kompensation für die Unannehmlichkeiten seines Berufs ge­wesen. Wer war schon gern Müllkutscher? Nicht ohne Grund verbrachte Iter einen be­trächtlichen Teil seiner Freizeit mit dem hartnäckigen, erbittert geführten Kampf ge­gen den Geruch, der die ganze PO­LETSCHT durchzog, sich förmlich in die Poren fraß.

Auf diesen Tag hatte sich Barak Iter seit Monaten gefreut. Heute nämlich war eine Generalreinigung der POLETSCHT ange­setzt worden. Das hieß, daß alle Räume des Schiffes, die nicht notwendigerweise Atem­luft enthalten mußten, dem Vakuum des Raumes ausgesetzt wurden. Wenn diese große Schleuse geöffnet worden war, wur­den sämtliche Container über Bord gesto­ßen. Sie hatten lange genug Müll enthalten und waren so heruntergekommen, daß sie selbst kaum mehr zu verwenden waren. Beim größten Teil der Container war zudem in der langen Zeit das Schloß defekt gewor­den. Daher sollten sie samt Inhalt abgewor­fen werden und in der Sonne verglühen.

Zusätzlich wurde das Schiff soweit wie möglich gelüftet. Dies war das einzige Ver­fahren, dem hartnäckigen Gestank zu Leibe zu rücken. Es hatte sich gezeigt, daß selbst widerstandsfähige Schmierfilme sich ver­

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flüchteten, wenn sie länger als eine Stunde dem Vakuum ausgesetzt waren. An die vie­len Ritzen und Winkel, die jedes Schiff auf­zuweisen hatte, und in denen sich der Ge­stank festgesetzt hatte, war mit herkömmli­chen Reinigungsmitteln ohnehin nicht her­anzukommen.

Während er fröhlich pfiff, bereitete Barak Iter die Schaltungen für die Entlüftung vor.

*

Es war erstaunlich, welche Ruhe Huccard trotz der lebensgefährlichen Lage zeigte. Auch die Tatsache, daß der Impulsgeber versagt hatte, warf ihn nicht um. Im Gegen­teil, er grinste triumphierend.

»Ich sagte doch«, verkündete er schrill, »daß es kein Problem gibt …«

»… in das uns die Kampfagentur GLO­RIOC nicht hineinreiten könnte«, setzte Kelsh fort. Polc-Tanier lächelte.

»Wenn Sie mir nicht glauben …« »Was haben Sie anzubieten?« fragte Gar­

rason hart. Er war an der Grenze seiner Ge­duld angelangt.

Huccard zog etwas Metallisches aus der Tasche und hielt es in die Höhe.

»Damit werden wir uns den Weg in die Freiheit bahnen. Was sagen Sie jetzt?«

Zu dem Blaster, den Huccard in die Höhe hielt, gab es allerhand zu sagen. Möglich war, daß der Gestank, der immer unerträgli­cher wurde, eine gehörige Portion Faulgase enthielt, die bei der ersten Betätigung des Blasters explodieren und den Container samt Inhalt in Fetzen reißen konnten. Selbst wenn man diese Gefahr außer acht ließ, war es zu bedenken, daß ein Teil der Hitze des Bla­sters sich ins Innere des Containers entladen würde. Leichte Verbrennungen waren das mindeste, was dabei auftreten konnte. Au­ßerdem brauchte der Blaster Sauerstoff. Wenn er den Stahl der Containerhülle aus­reichend erhitzte, würde das Metall verbren­nen und dabei die Atemluft im Innern be­drohlich knapp werden lassen. Und zum gu­ten Schloß konnte die Energieentwicklung

Peter Terrid

des Blasters ohne Mühe gemessen werden. Garrason kannte diese Einwände, aber er

hielt sich zurück. Huccards kleiner Blaster war, wenn er überhaupt funktionierte, die einzige Möglichkeit, das Lachen zu retten.

»Geben Sie her«, ordnete Garrason an. Er griff nach dem Blaster und machte sich an die Arbeit.

Weiße Schmelzbäche liefen an den Wän­den des Containers entlang. Funken stoben auf und brannten kleine Löcher in die. Klei­dung, aber das störte die Männer nicht. Fas­ziniert sahen sie zu, wie der Strahl des Bla­sters das Metall durchtrennte. Garrason hatte sich für die Seitenwand entschieden. Es war möglich, daß die Ladefront an der Vorder­seite mit Alarmanlagen ausgerüstet war, die eine Beschädigung sofort meldete.

Die Sekunden verstrichen mit quälender Langsamkeit, dann endlich war Garrason mit seiner Arbeit fertig. Das Loch in der Metallwand war groß genug, um auch den stämmigen Fretnorc durchzulassen, aber erst mußten die Ränder auskühlen. Durch die Öffnung drang der Lärm der Triebwerke in das Innere des Containers. Solange die Ma­schinen noch arbeiteten, bestand keine Ge­fahr. Erst wenn sie verstummten, konnte es nicht mehr lange dauern, bis die Container entleert wurden.

»Ich gehe als erster«, entschied Garrason. Bevor ihn jemand aufhalten konnte, war er geschmeidig durch die Öffnung geschlüpft. Die Ränder waren noch heiß und scharfkan­tig, aber das hinderte die Männer nicht. Nach kurzer Zeit waren sie im Freien.

Sie mußten feststellen, daß sich ihre Lage dadurch nur unwesentlich verbessert hatte.

Der Container, in dem sie gesteckt hatten, war der oberste in einer Reihe von minde­stens zwölf Containern, die senkrecht über­einander standen. Der Zwischenraum zwi­schen den einzelnen Stapeln war gerade groß genug, um einen Mann passieren zu lassen – wenn dieser Mann geschickt und wenig war.

Zum ersten Mal sah Fretnorc, daß Huc­card sich beeindruckt zeigte. Mit käsigem

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Gesicht starrte Huccard in die Tiefe. »Können wir nicht so …?« Er deutete auf die Fläche, die von der

obersten Schicht von Containern gebildet wurde. Garrasson verneinte sofort.

»Wenn der Raum überwacht wird, kann man uns sehen. Wir müssen uns durch die Reihen schlängeln, bis wir eine Tür oder ein Schott erreichen und …«

Garrason brauchte nicht weiterzuspre­chen, die anderen hatten es ebenfalls be­merkt.

Die Maschinen hatten zu arbeiten aufge­hört. Das Schiff trieb ohne Antrieb durch den Raum.

Jetzt kam es auf jede Sekunde an.

*

Barak Iter nahm seine Arbeit ernst. Sorgfältig überwachte er das Lademanö­

ver. Stählerne Greifer packten nach den Containern und stießen sie in den Leerraum. Früher hatte man das Verfahren weniger aufwendig gestaltet. Man hatte nur dafür ge­sorgt, daß für einige Zeit die Gravitation im Laderaum auf Null gestellt wurde – so lan­ge, bis die große Ladeschleuse geöffnet war. Dann brauchte die Schwerkraft nur wieder eingeschaltet zu werden. Die Container fie­len einfach aus dem Schiff. Zwar wurde der Fall einige Meter hinter der Schleusenöff­nung nicht weiter beschleunigt, aber es reichte aus, um die Container weit genug vom Schiff zu entfernen. Leider hatte es frü­her dabei einige Unfälle gegeben. Container waren gegeneinandergestoßen, hatten ihre Fallrichtung geändert und einige Male sogar die Wand des Schiffes durchschlagen. Seit­her wurden die Behälter einzeln ins Vakuum befördert.

Obwohl die Greifer ihre Arbeit unter po­sitronischer Überwachung ausführten, hatte man nicht darauf verzichtet, das Ausladema­növer zusätzlich von einem Besatzungsmit­glied kontrollieren zu lassen.

Daher saß Barak Iter vor einem Bild­schirm und sah zu, wie die Robotarme nach

den Containern griffen. Langsam ließ er die Kamera den gesamten Laderaum abtasten. Es gab immer wieder defekte Container, aus denen der Müll herausfallen konnte. Dieser Unrat mußte dann gesondert außenbords ge­bracht werden.

Diesmal schienen alle Container in Ord­nung zu sein. Bei der Schlußkontrolle fand Barak Iter kein herumliegendes Stück. Der Laderaum war vollkommen leer.

»Phase zwei«, murmelte Iter vergnügt. Er wußte aus leidvoller Erfahrung, daß

die Sauberkeit der POLETSCHT nicht lange vorhalten würde. Spätestens nach der dritten Fahrt würden sämtliche Räume wieder den unverkennbaren aromatischen Stempel ha­ben, der diese Arbeit kennzeichnete. Aber die Tage, in denen das Schiff wieder roch wie alle anderen Schiffe auch, waren ausge­sprochen genußvoll. Sogar das Essen schmeckte dann wieder einigermaßen nor­mal.

»Bei Ihnen ist alles klar, Iter?« Nacheinander rief der Kommandant der

POLETSCHT alle Stationen auf und über­zeugte sich davon, daß alle Besatzungsmit­glieder sich in vakuumdichten Räumen auf­hielten. Erst als er sicher war, nichts überse­hen zu haben, ließ er die Verbindung zwi­schen Laderaum und allen anderen Räumen des Schiffes herstellen.

Vergnügt sah Barak Iter zu, wie der kost­bare Sauerstoff im Raum verwehte. Der Be­satzung konnte nichts geschehen, aber in den nächsten Stunden würden die Männer genug damit zu tun haben, die Ratten und anderes Kleingetier aufzusammeln, das dem Vakuum zum Opfer gefallen war.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, am Bildschirm zuzusehen, wie sich das Vakuum ausbreitete, rasend schnell und absolut töd­lich.

10.

»Venco-Nar! Was sollen wir auf Venco-Nar?«

Fretnorcs Frage bekam keine Antwort.

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Die Männer waren erschöpft. Die Anspan­nung der letzten Stunden hatten sie schwer belastet. Erst in buchstäblich letzter Sekunde war es ihnen gelungen, ein Rettungsboot ausfindig zu machen und in die Raumanzüge zu schlüpfen, die dort gelagert waren. An­dernfalls wären sie der überraschenden Säu­berungsaktion zum Opfer gefallen.

»Keine Sorge, Freunde!« versuchte Huc­card seine Kunden zu beruhigen. »Die GLO­RIOC verfügt natürlich auf Venco-Nar über eine leistungsfähige Filiale. Auch dort kann die GLORIOC ihren wichtigen Aufgaben je­derzeit gerecht werden!«

»Eine Filiale?« staunte Fretnorc. Er dachte an Huccards Büro auf Pejolc.

Wenn der Mann nicht einmal in der Lage war, einen Video-Anschluß zu mieten, wie konnte er dann den Unterhalt einer Filiale bezahlen?

»Vertrauen Sie auf Huccard und die GLORIOC«, posaunte Huccard. »Wir wer­den sehen!«

Nach den Fehlschlägen der letzten Tage und Stunden schien es keine Steigerung mehr zu geben. Vor allem aber schien den Männern unbegreiflich, woher Huccard sein Selbstvertrauen nahm. Dieser Mann hatte bisher nichts geboten außer Pannen und da­für ein horrendes Honorar verlangt. Zweifel­los war Huccard intelligent, hochintelligent sogar, außerdem mußte er über gewisse Ta­lente verfügen. Anders ließ sich nicht erklä­ren, daß Huccard trotz seiner Intelligenz weiterhin die Agentur betrieb. Auf irgendei­ne Art und Weise mußte er schließlich für seinen Lebensunterhalt sorgen.

»Warten Sie ab, bis wir gelandet sind«, prophezeite Huccard selbstsicher.

»Sie müssen uns zu einer Funkstation füh­ren«, beschwor ihn Fretnorc. »Alles andere ist jetzt unwichtig geworden.«

»Eine Kleinigkeit«, gab Huccard an. »Sie brauchen eine Funkstation, Huccard wird ei­ne Funkstation besorgen. Es gibt nichts, was die GLORIOC nicht zuwege brächte!«

»So viel Optimismus möchte ich auch einmal haben«, murmelte Polc-Tanier.

Peter Terrid

Die POLETSCHT setzte zur Landung an. Schon auf den ersten Blick war zu sehen, daß die Anlagen auf Venco-Nar bei weitem nicht so sorgfältig bewacht wurden wie der Raumhafen von Keme. Es würde nicht schwerfallen, den Hafen unbemerkt zu ver­lassen.

Das größte Problem bestand einstweilen darin, unbehelligt aus dem Schiff zu kom­men. Schließlich wußte die Besatzung ge­nau, wer an Bord etwas zu suchen hatte und wer nicht. Außerdem war der Geruch, der in den Kleidern haftete, überaus verräterisch.

Ein Ruck ging durch die POLETSCHT, als das Schiff den Boden des Planeten be­rührte. Noch war es dunkel über diesem Be­reich des Planeten, in wenigen Stunden wür­de es zu dämmern beginnen.

Die Männer warteten einfach ab. Die Besatzung der POLETSCHT verließ

das Schiff, die Schleusen wurden verschlos­sen, alle Energieanlagen stillgelegt. Sobald Polc-Tanier sicher war, daß die Gruppe al­lein an Bord war, schaltete er die Innenbe­leuchtung der kleinen Mannschleuse ein. Er nickte zufrieden, als er sah, daß sich die Schleuse ohne Schwierigkeit auch von innen per Hand öffnen ließ.

Eine Stunde warteten die Männer, dann verließen sie das Schiff. Das Verlassen er­wies sich als einfach, aber Polc-Tanier hatte einige Zeit gebraucht, bis er ein anderes Pro­blem gelöst hatte – die Anwesenheit Frem­der an Bord zu vertuschen. Von innen öff­nen ließ sich die Schleuse ohne Mühe, auch die kleine Rampe fuhr anstandslos aus. Schwierig war, die Rampe von außen wieder zufahren zu lassen. Der Kommandant der POLETSCHT benutzte dazu ein Funkgerät, mit dem er seine Befehle an die entspre­chende Positronik durchgeben konnte. Die­ses Gerät stand der Gruppe nicht zur Verfü­gung.

Daher mußte Polc-Tanier die Positronik entsprechend programmieren. Sie sollte zu­nächst die Schleuse öffnen, dann wieder nach einer bestimmten Zeit schließen und – was das Schwierigste war – anschließend die

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entsprechende Programmierung einfach ver­gessen.

Polc-Tanier konnte nur hoffen, daß dieser Trick funktionieren würde. Einen Teilerfolg konnte er verbuchen, als sich die Mann­schleuse selbsttätig wieder schloß. Ob auch der zweite Teil funktionieren würde, blieb der Zukunft überlassen.

Unbemerkt von den Wachen verließen die Männer den Raumhafen. Als sie den Zaun hinter sich gebracht hatten,, atmeten sie zum ersten Mal an diesem Tag auf.

*

»So können wir uns wieder unter Men­schen wagen«, stellte Fretnorc zufrieden fest.

Die Gruppe hatte einen ausgedehnten Aufenthalt in einer Badeanstalt hinter sich. Von dem Müllgeruch war nichts mehr zu spüren.

»Folgen Sie mir!« forderte Huccard seine Begleiter auf. »Wir machen uns auf die Su­che nach einer Funkstation. Ich bin sicher, daß wir eine finden werden.«

Fretnorc schüttelte den Kopf. »Kennen Sie keine Station? Was heißt in

diesem Zusammenhang: suchen?« »Ich kenne mich hier nicht aus«, gab Huc­

card zu. »Ich muß erst einmal feststellen, wo wir überhaupt sind.«

»Was bleibt uns anderes übrig«, murmelte Polc-Tanier, der es längst aufgegeben hatte, sich über Huccard zu wundern. Der Mann war ein Phänomen, damit war alles gesagt.

Langsam trottete Huccard durch die Stra­ßen. Er betrachtete die Häuser, schüttelte immer wieder den Kopf und murmelte vor sich hin. Keiner verstand, was er zu sagen hatte, und keiner wagte ihn zu fragen. Wie Schulkinder hinter ihrem strengen Lehrer trotteten die Männer hinter Huccard her, stets auf eine Überraschung gefaßt.

Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten.

DIE UNTERSCHRIFT, DIE SIE ZUM SIEGER MACHT – bei der SCC.

In meterhohen Leuchtbuchstaben sprang diese Zeile dem Betrachter in die Augen. Fretnorc sah, wie Huccard die Fäuste ballte.

Das große Haus war mit Werbesprüchen förmlich überkrustet, und ganz offensicht­lich versuchte die SCC den Eindruck zu er­wecken, daß sie eine große und reiche Agen­tur sei, die diesen Reichtum ihrem Erfolg bei den KAYMUURTES zu verdanken hatte. Dieser Zweck wurde vollkommen erreicht.

Auf einer großen Projektionsfläche liefen pausenlos Filme, die die berühmtesten Kämpfer in voller Aktion zeigten. Vor dem Haus hatte sich trotz des frühen Morgens ei­ne beachtliche Menschenmenge versammelt, die fasziniert die Kämpfer betrachteten. Im­mer wieder war das gleiche Bild zu sehen: ein spannender Kampf, dann die Siegereh­rung – und schließlich der Hinweis, daß die­ser Kämpfer von der SCC betreut und geför­dert worden war.

Das ganze wurde von einer stimulieren­den Musik untermalt und war sichtlich ef­fektvoll.

Huccard setzte sich in Bewegung. Fret­norc versuchte nach seinem Arm zu fassen, aber der kleine Mann entzog sich seinem Griff.

»Gesindel!« keifte Huccard. »Betrüger, Halsabschneider!«

Blind vor Wut rannte er auf das Haus zu. Die Zuschauer sahen ihn, erkannten seinen Geisteszustand und freuten sich auf ein Spektakel. Ungehindert konnte Huccard in die Gebäude eindringen.

Fretnorc sah seine Begleiter flehend an. »Wir müssen ihn herausholen, sonst sind

wir ebenfalls in Gefahr. Er wird uns verra­ten!«

»Wir hätten ihn mitsamt dem Müll in den Raum befördern sollen«, knurrte Garrason wütend.

Die vier Männer marschierten Huccard nach.

»Viel Vergnügen!« rief ein spöttischer Zuschauer. Fretnorc überhörte die Kommen­tare.

Die Zuschauer wollten sich das Spektakel

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nicht entgehen lassen und versuchten die Männer abzudrängen. Fretnorcs Geduld war bald erschöpft, er begann seine Körperkräfte auszuspielen. Mühsam kämpften sich die Männer durch die Menge.

Im Innern des Büros war das Chaos unbe­schreiblich.

Huccard wütete. Akten flogen wie Schneeflocken durch

den Raum, und mit allem, was sich als Wurfgeschoß eignete, zielte Huccard auf die Bildschirme im Hintergrund des Raumes. Bildschirm nach Bildschirm platzte und spie Splitter in den Raum. Kabelbrände brachen aus, das Personal suchte sein Heil in soforti­ger Flucht. Ein untersetzter Mann riß in sei­nem Eifer eine Leiter um; die junge Frau, die gerade nach einigen Dokumenten ge­sucht hatte, schrie auf und klammerte sich an dem Regal fest. Es neigte sich langsam und kippte dann mit lautem Getöse vorn­über. Das Oberteil landete auf einem Schreibtisch und wurde von einem Wust von Blättern begraben. Ein Mann, wahrschein­lich der Filialleiter, versuchte Huccard zu besänftigen, hatte aber damit wenig Erfolg. Huccard packte ihn und hebelte ihn gekonnt über die Schulter. Laut schreiend flog der Mann durch die Luft und prallte mit zwei muskelbepackten Angestellten zusammen, die ihm zu Hilfe eilen wollten. Die Dreier­gruppe rutschte über den glatten Steinboden und landete in einem großen Bassin. Das Wasser schwappte über den Rand und ver­teilte sich auf dem Boden.

»Huccard!« brüllte Fretnorc, aber gegen das Organ des Inhabers der GLORIOC kam er nicht an.

»Ich werde euch lehren, gegen mich zu arbeiten«, schäumte Huccard. »Ruiniert habt ihr mich, ihr Lumpenpack!«

Er bedachte die Angestellten der SCC mit einer Kanonade von Schimpfworten und Flüchen. Erst als ihm das Büro hinreichend verwüstet erschien, beruhigte er sich etwas.

Es wurde auch höchste Zeit, daß er wieder zu sich fand. Im Hintergrund war deutlich das Heulen von Polizeisirenen zu hören.

Peter Terrid

»Los, weg von hier!« Garrason hatte das Kommando übernom­

men. Hastig suchten die Männer das Weite; den noch immer keifenden Huccard schlepp­ten sie untergehakt hinter sich her.

Der Kopf des Filialleiters tauchte vorsich­tig über dem Rand des Beckens auf. Als er sah, was der Wahnsinnige innerhalb weniger Minuten aus seinem Büro gemacht hatte, fiel er in das Becken zurück.

*

Die beiden Männer bewegten sich leise und vorsichtig. Sie kannten ihre Aufgabe, und sie führten sie mit der Ruhe erfahrener Profis aus. Vorsichtig, um sich nicht zu infi­zieren, betrachteten sie die Dokumente. Sie lasen jede Zeile, die ihnen vor die Augen kam, sie entdeckten auch das getarnte Vi­deo.

Sie fanden die Geheimtür unter dem Schreibtisch, sie entdeckten den schweren Safe, der im Keller stand. Der Keller konnte nur durch die Geheimtür betreten werden.

Der Auftrag der beiden Männer lautete: Feststellen, was es mit Huccard auf sich

hat! Sie gehörten der Einsatzgruppe Pejolc an,

die von Atlan in Keme abgesetzt worden war, um die Aktionen des Kristallprinzen zu schützen und zu fördern. Sie hatten davon gehört, daß vier Männer der Einsatzgruppe sich an den ominösen Huccard gewandt hat­ten und nun mit dem Inhaber der GLORIOC verschwunden waren.

»Hier!« sagte der größte der beiden Män­ner. »Ein Kontoauszug!«

Der andere pfiff leise durch die Zähne. Der Betrag stand im krassen Gegensatz

zur Schäbigkeit des Büros, desgleichen der Safe, eine hochmoderne Konstruktion, die den beiden Männern das letzte abverlangte. Die Männer ahnten bereits, was sie erwarten würde, wenn sie den Safe geknackt hatten.

Ein neues Bündel von Dokumenten, säu­berlich abgeheftet. Die Unterlagen waren mit pedantischer Sorgfalt ausgearbeitet wor­

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den. Die Stimme des Kleineren deutete etwas Der Größere faßte das Ergebnis zusam- von dem Schrecken an, der den Mann erfaßt

men: hatte. »Huccard ist kein normaler Agent, jeden- »Vielleicht ist er nur Bote, Zuträger, ein

falls nicht für die Kampfspiele. Er arbeitet kleiner Informant«, versuchte der Größere mit dem Geheimdienst Arkons zusammen.« seinen Freund zu beruhigen. Der Kleinere

Der Kleinere nickte düster. zuckte mit den Schultern. »Huccard hat sogar gute Verbindungen Er sah auf seine Uhr, auf die Datumsan­

zur Zentrale des Geheimdienstes auf Arkon. zeige. Diese Kontakte sind einwandfrei nachweis- In zwölf Tagen begannen die KAYMU-bar!« URTES!

»Und Fretnorc und seine Gruppe arbeiten mit Huccard zusammen. Sie werden versu­chen, Atlan nach Pejolc zurückzuholen.«

E N D E

Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 274: Treffpunkt der Gaukler von Marianne Sydow Vier Freunde gegen eine Stadt – Kemjack im Taumel der KAYMUURTES