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Nr. 273
Einsatzgruppe Pejolc
Unter Profis und Profitmachern eine Kampfagentur soll Atlan
managen
von Peter Terrid
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.
Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, mit seinen rund 12.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbanaschol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon.
Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen.
Um dieses Zieles willen hat Atlan ein riskantes Spiel begonnen. Der Sieg in den tödlichen Amnestie-KAYMUURTES soll ihm den Weg nach Arkon ebnen – doch noch hat Atlan nicht genau in Erfahrung bringen können, ob er – unter falscher Identität natürlich! – für die bevorstehenden Kampfspiele überhaupt ordnungsgemäß registriert worden ist.
Sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ist die Aufgabe von Atlans Fünfter Kolonne, der EINSATZGRUPPE PEJOLC …
3 Einsatzgruppe Pejolc
Die Hautpersonen des Romans:Fretnorc, Polc-Tanier, Kelsh und Garrason - Vier Männer von Atlans Einsatzgruppe Pejolc.Barak Iter - Ein kosmischer »Müllfahrer«.Barlik - Ein Profikämpfer.Huccard - Der seltsame Leiter einer noch seltsameren Kampfagentur.
1.
Als die POLETSCHT zur Landung ansetzte, atmete Barak Iter erleichtert auf. Zwar konnte er den Landevorgang nicht beeinflussen, aber er sah auf seinem Kontrollbildschirm, daß der Raumhafen von Keme nicht mehr hermetisch abgeriegelt war. Also stimmten die Berichte; die geheimnisvolle Seuche, die Pejolc tagelang in Atem gehalten hatte, war bekämpft. Die Quarantäne war aufgehoben.
Barak Iter war froh darüber. Hätte die Sperre noch bestanden, hätte er die Tage bis zum Ende der Sperrfrist an Bord der POLETSCHT verbringen müssen. Nach Baraks Absicht gab es im ganzen Universum keinen widerlicheren Aufenthalt als gerade dieses Schiff.
Barak hörte die Impulsdüsen, und auf dem Bildschirm kam der feste Boden immer näher.
»Endlich!« seufzte Barak Iter. Barak Iter war schlank und hochgewach
sen, seine Zeugnisse wiesen ihn als fähigen Kosmonauten aus. Daß er trotz seiner guten Zeugnisse an Bord der POLETSCHT Dienst tat, lag daran, daß Iter nur noch ein Auge besaß. Über der linken Augenhöhle lag eine Stoffklappe; die Ärzte hatten es nicht geschafft, ein Kunstauge herzustellen, das sich mit dem Gewebe von Iters Augenhöhle vertragen hätte. Damit war die Karriere in der Arkon-Flotte für Barak Iter beendet gewesen. Was sollte die Flotte mit einem Mann anfangen, der nur auf einem Auge sehen konnte? Auf dem Boden eines Planeten fühlte sich Barak immer nur kurze Zeit wohl. Daher war ihm keine andere Möglichkeit mehr geblieben, wenn er wenigstens ab und zu in den freien Raum vorstoßen wollte. Er
hatte auf der POLETSCHT angeheuert. Damals hatte er allerdings noch nicht gewußt, für welche Spezialaufträge dieses Schiff vorgesehen war.
Damals, vor mehr als zehn Jahren, war die POLETSCHT ein schmuckes Schiff gewesen. Eine mattsilbern schimmernde Stahlkugel von ein hundert Metern Durchmesser, angetrieben von einem modernen, leistungsstarken Triebwerk und mit allem ausgerüstet, was für längere Raumfahrten gebraucht wurde. Sogar ein paar Geschütze waren eingebaut worden, zwar keine schweren Stahlkanonen, doch sie besaßen immerhin genug Feuerkraft, um einen Gegner gehörig zu beschäftigen, wenn es sich nicht gerade um ein Maahkgroßkampfschiff handelte.
Ein kaum wahrnehmbarer Ruck ging durch den Rumpf der POLETSCHT, als das Schiff den Boden berührte. Die Impulstriebwerke wurden abgeschaltet, die Antigravprojektoren soweit hochgefahren, daß das Schiff nicht einbrechen konnte.
Barak Iter zog sämtliche Stöpsel aus dem Schaltkasten vor ihm, klappte die Abdeckhaube herunter und verschloß den Schaltkasten. Zwar stand nicht zu befürchten, daß sich irgend jemand für ausgerechnet diesen Kasten interessieren würde, aber der Kommandant der POLETSCHT hatte den fanatischen Ehrgeiz entwickelt, sein Schiff und seine Besatzung zur absoluten Perfektion zu führen. Perfektion hieß, daß sämtliche Vorschriften, die jemals über den Betrieb und die Wartung von technischen Anlagen herausgegeben worden waren, buchstabengetreu erfüllt werden mußten.
Der Schaltkasten beispielsweise war vielleicht vor einigen tausend Jahren einmal eine technische Neuerung und damit geheim gewesen. Jetzt ließen sich entsprechende Anlagen in jedem gutsortierten Kaufhaus für
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Technik erstehen. Trotzdem mußte Barak Iter nach jeder Landung den verflixten Kasten sichern, als sei der Maahkgeheimdienst hinter diesen Instrumenten her.
Barak Iter war einer der letzten, die den Rumpf der POLETSCHT verließen. Das lag daran, daß er in dem Teil des Schiffes seine Arbeit tat, die von den Schleusen für Personal am weitesten entfernt war. Natürlich hätte er auch die große Schleuse benutzen können, aber Barak hatte seine Gründe, warum er den Umweg vorzog.
Warm strahlte die Sonne Dubnayor auf Pejolc herunter. Es war früher Abend. In der Nähe war gerade ein großer Frachtraumer gelandet. Müde, unrasierte Männer bewegten sich langsam auf die Tore in der Absperrung zu. Offenbar waren diese Männer ein Opfer der Tatsache, daß es im Weltraum keine Tageszeiten gab. Es geschah häufig genug, daß ein Schiff im Laufe von vierundzwanzig Stunden drei oder mehr Planeten aufsuchte und jedesmal zu einer anderen Ortszeit landete. Das brachte auf die Dauer selbst den abgebrühtesten Raumfahrer zur Verzweiflung. Barak kannte Kollegen, die seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hatten, weil ihre Schiffe konstant auf den Nachtseiten der Planeten gelandet waren.
Einer der Raumfahrer sah zu Barak hinüber und rümpfte die Nase. Barak kannte diese Geste schon, dennoch schmerzte ihn die leise Verachtung. Natürlich wußte der Raumfahrer, daß auch Baraks Arbeit wichtig war für das Leben im Arkonimperium, aber eine gewisse Abneigung war stets bestehen geblieben.
Der Posten am Tor hütete sich, die Nase zu rümpfen. Seit er vor zwei Jahren von einem Besatzungsmitglied der POLETSCHT fürchterlich verprügelt worden war, begegnete er den Männern der POLETSCHT mit der Vorsicht eines gebrannten Kindes.
»Achtzehn Stunden«, rechnete sich Barak aus, als er die Kontrolle hinter sich gebracht hatte.
Barak hatte an Bord genug geschlafen, also konnte er den größten Teil dieser acht-
Peter Terrid
zehn Stunden nach eigenem Ermessen verbringen. Als erstes suchte er seine Wohnung auf, ein gemütliches Sechzehn-Zimmer-Apartment in der Randzone der Hauptstadt Keme. Wie nicht anders zu erwarten war, glänzte die Wohnung vor Sauberkeit. In allen Räumen hing der Duft eines parfümierten Reinigungsmittels, das von Robots reichlich versprüht worden war.
Die Tür war noch nicht ganz hinter Barak ins Schloß gefallen, als Barak schon die diamagnetischen Säume seiner Kleidung öffnete. Mit der Ungeniertheit, die er aus seiner Junggesellenzeit herübergerettet hatte, streifte er sich ein Kleidungsstück nach dem anderen ab. Eine deutliche Spur zeigte von der Tür bis zum Hygieneraum; als Barak ihn erreicht hatte, war er nackt.
Barak brauchte eine geschlagene Stunde, bis er alle Feinheiten des Reinigungsrituals durchexerziert hatte, angefangen beim gründlichen Einseifen bis zur Robotvollmassage. Erst als er frische Kleidung angelegt hatte, fühlte er sich wieder als vollwertiger Mensch.
Der Gang war leer. Die emsigen Robots hatten die Kleidungsstücke aufgesammelt und dem Reinigungsautomaten überantwortet.
Das Apartmentshaus am Rand von Keme war knapp hundert Meter hoch, und Barak hatte sich den Luxus erlaubt, eine Wohnung unmittelbar unter dem Dach anzumieten. Die Chronners, die er für diesen Vorzug auszugeben hatte, wurden von dem Rundblick mehr als wettgemacht. Vor allem konnte Barak von vier seiner sechzehn Zimmer aus den Raumhafen sehen. Irgendwo stand dort, wie verloren unter den vielen Schiffen, die POLETSCHT. Barak schüttelte sich, als er daran dachte.
Wie viele Junggesellen war Barak Iter im Grunde seines Herzens ein Faulpelz und ein Widersacher jeglicher Ordnung. Die einzige Möglichkeit für ihn, an einem Chaos in der Wohnung vorbeizukommen, war der, das Leben in der Wohnung weitestgehend durchzuplanen und bereits im voraus festzu
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legen. Programmgemäß trat ein Robot mit einem erfrischenden Fruchtsaft in den Raum, als Barak das Medienzimmer betrat. Das Programm sah vor, daß die Maschine den Saft auf dem flachen Tisch absetzte, seinem Herrn einen ehrfürchtigen Gruß entbot und dann die Medienwand einschaltete. Erst dann durfte er sich zurückziehen.
Ein halbes Dutzend Bildschirme flammten auf. Flüchtig glitt Baraks Blick über die Wand. Kanal I brachte einen dürftigen Unterhaltungsfilm, II und III lieferten Vorberichte zu den KAYMUURTES, Kanal IV, der Regierungssender auf Arkon, erging sich in lobpreisenden Kommentaren zur Raumschlacht im Eynorc-System. Barak nahm einen Schluck aus dem Glas und trat dann an die Wand. Beiläufig tippte er seine Wünsche in den Zeitungsdrucker. Er entschied sich für die Abendausgabe des KEME BEOBACHTERS; den Unterhaltungsteil ließ er aus, forderte dazu aber die dicke Kommentarausgabe an. Baraks Freund, Leitartikler beim BEOBACHTER, wäre sicher verärgert gewesen, hätte er irgendwann zufällig festgestellt, daß Barak seine Kolumnen nicht anforderte – schließlich lebte er davon, daß möglichst viele Bewohner Pejolcs den Kommentarteil der Zeitung bezogen.
»Allmächtiger, was für ein Geschreibsel«, seufzte Barak bereits nach den ersten zehn Zeilen. Der Kommentar befaßte sich mit der erfolgreichen Bekämpfung der geheimnisvollen Seuche. Dem Text nach zu schließen, hatte seine Erhabenheit, der Gouverneur, die Viren einzeln gejagt und zur Strecke gebracht.
»Speichelleckerei!« urteilte Barak. Hastig überflog er die anderen Kommen
tare. Die neue Steuererhöhung wurde mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen, die Unruhen im Panither-System reizten den Kommentator dazu, ein noch schärferes Vorgehen der Kolonialflotte zu fordern. Dazu kam noch ein ziemlich bissiger Kommentar zu den Vorbereitungen der KAYMUURTES.
Achtlos warf Barak die Zeitung in den
Abfallvernichter. Daß sich allmählich die planetare Nacht
über die Hauptstadt senkte, merkte Barak nur am Stand seiner Uhr. Auch nachts wurden die Straßen und Plätze der Metropole taghell erleuchtet, jedenfalls solange die KAYMUURTES anhielten. Schließlich konnte man den zahlreichen Besuchern nicht zumuten, einen beträchtlichen Teil ihrer freien Zeit in völliger Finsternis zu verbringen.
»Soll ich in die Stadt gehen?« überlegte Barak halblaut.
Ein Knopfdruck ließ auf dem Datensichtgerät seinen jüngsten Kontoauszug sichtbar werden. Zufrieden registrierte Barak, daß er schon wieder in der Lotterie des Dubnayor-Systems gewonnen hatte. Einige hundert Chronners, nicht allzu viel, aber für Baraks Geschmack reichte es. Die Summe setzte ihn in den Stand, eine Nacht lang alles zu genießen, was Keme an erlaubten und verbotenen Reizbarkeiten zu bieten hatte. Die Auskunft des Kontoauszugs bestimmte Baraks Entscheidung.
Er machte sich stadtfein. Barak Iter war von mittlerem Alter, so je
denfalls umschrieb er selbst die Tatsache, daß die meisten jüngeren Leute ihm reichlich dumm und albern erschienen, wohingegen er mit älteren Jahrgängen ihrer Sturheit und Arroganz wegen wenig anfangen konnte.
Als er das Apartmenthaus verließ, sah er im Osten den gewaltigen Lichtdom eines Trainingsstadions. Es war eine von mindestens zehn Anlagen dieser Art in der Nähe der Hauptstadt. Dort übten die Kämpfer, die zu den KAYMUURTES antreten wollten, feilten an ihren Tricks und versuchten, sich in Höchstform zu bringen.
Barak Iter hatte schon einige KAYMUURTES miterlebt, daher interessierte er sich nicht mehr so stark für die Spiele. Im Lauf der Zeit gewöhnte man sich daran, an die lärmenden Lautsprecher und die Tausende von Touristen, die Pejolc und die anderen Welten des Dubnayor-Systems überschwemmten. Für Pejolc allerdings waren
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die Spiele lebenswichtig. Ohne die Ströme von Geld, die aus Touristenbörsen über die Kassen kleiner und großer Händler flossen und von dort aus als Steuern in der Staatskasse landete, hätte sich Pejolc niemals den Luxus leisten können, für den es berühmt war.
Der Mietgleiter, den Barak schon in der Wohnung angefordert hatte, wartete vor der Tür. Ein buntlackierter Robot steuerte das Fahrzeug.
»Zur Zoltral-Avenue«, bestimmte Barak, nachdem er sich in den Sitz hatte fallen lassen. Der Gleiter rahm Fahrt auf und raste über die Fernleitspur der Stadt entgegen.
Der Rummel in Keme hielt sich einstweilen noch in Grenzen. Es würden noch einige Tage vergehen, bis die Touristen stündlich in der Stärke von Raumlandedivisionen über Keme hereinbrechen würden. Am Tag der Schlußkämpfe würden voraussichtlich mehr als zwei Millionen Besucher das Dubnayor-System bevölkern, davon mehr als die Hälfte Arkoniden. Der Rest war ein buntes Gemisch aller Fremdrassen, die vom Großen Imperium beherrscht wurde.
Nach einigen Kilometern Fahrt tauchte der Gleiter mit seinem Passagier in die farbenprächtige Welt des nächtlichen Keme ein. Raffinierte Lichtspiele schossen glitzernde Farbkaskaden über die Straßen, aus halboffenen Türen drang einschmeichelnde Musik, und über allem lag der betäubende Duft einer lebensfrohen Großstadt. Er setzte sich aus unzähligen verschiedenartigen Bestandteilen zusammen, aus den Parfüms der Frauen, dem Duft von Räucherkerzen, den Ausdünstungen aus Hunderten von Gaststätten. Blütenduft und die Aromen von feurigen Weinen ergänzten die Mischung.
Barak schnupperte genießerisch. »Zoltral-Avenue«, quäkte der Robot am
Steuer des Gleiters. »Eine bestimmte Adresse, Herr?«
Barak schüttelte den Kopf, dann verneinte er laut. Er streckte seine Kreditkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz am Kopf des Robots. Die Abrechnung dauerte nur vier Se-
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kunden. In dieser Zeit funkte der Robot die Daten der Karte an den großen Rechner des staatlichen Kreditinstituts. Dort wurde der Fahrpreis mit Baraks Kontostand verglichen, anschließend bekam der Robot das Freizeichen. Während die Maschine die Karte wieder zum Vorschein brachte, wurde der Preis für den Transport von Baraks Konto abgebucht und dem Konto der Transportgesellschaft gutgeschrieben. Nach insgesamt fünf Sekunden war dieser Vorgang abgeschlossen.
Umständlich verließ Barak den Gleiter. Eine junge Frau trat näher, sah Barak fragend an und bestieg dann das Fahrzeug. Barak lächelte der Frau zu, zuckte bedauernd mit den Schultern und entfernte sich.
Noch kein Sozialforscher hatte herausfinden können, warum während der KAYMUURTES sich das nächtliche Leben in Keme immer auf wenige Straßen beschränkte, die zudem bei jedem Termin wechselten. Manchmal geschah es, daß quasi über Nacht eine Straße sämtliche Kunden verlor und, aus welchen Gründen auch immer, eine andere Straße das Publikum wie magnetisch anzog. Barak Iter hatte richtig getippt. Die Adresse für diesen Abend war die Zoltral-Avenue, benannt nach dem berühmten Geschlecht Arkons. Ein Zoltral war maßgeblich am Bau Kemes beteiligt gewesen, und es war der Stadt ausgezeichnet bekommen.
Tausende von Menschen bewegten sich auf der Straße. Sie plauderten, blieben vor Läden stehen und besahen sich die Auslagen. An malerischen Ständen, die nicht zu erkennen gaben, daß sie über Nacht improvisiert worden waren, wurden Erfrischungen verkauft, für Spezialkunden gab es auch Stoffe, die von der Polizei nicht gern gesehen wurden. Wer genügend Geld besaß und die einschlägigen Händler kannte, konnte in Keme alles bekommen, was sich für Geld überhaupt kaufen ließ. Barak Iter war in Keme geboren, er kannte die Stadt hervorragend, aber er war noch nie in jenen Kreis von Personen geraten, die mit Häuten, Duftstoffen, Mädchen und mit Rauschgift mit
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der gleichen Selbstverständlichkeit handelten. Baraks Kontakte zur Unterwelt von Pejolc beschränkten sich darauf, daß er zwei oder drei illegale Wettbüros kannte.
Offiziell war es verboten, auf die Ergebnisse der KAYMUURTES zu wetten. Inoffiziell wurden Summen umgesetzt, die den Etat mancher Planetenregierung hinter sich ließen. Barak hatte schon einmal gewettet, vor drei Jahren. Damals hatte er den Roten Nuthar favorisiert, einen halbwilden Barbarenabkömmling, der einen Sieg bei den Amnestie-KAYMUURTES dringend nötig gehabt hatte, um dem Henker zu entgehen. Er war im Halbfinale ausgeschieden und hatte Barak etliche Chronners eingebracht.
Das einzige Problem bei den Wetten war, daß die Namen der Teilnehmer erst sehr spät bekannt wurden. Wenn die Wettkampfleitung ihre Listen herausgab, konnte man zwar immer noch setzen, aber dann verfielen die Quoten in Windeseile. Wer wirklich verdienen wollte, mußte vor der offiziellen Bekanntgabe wetten, und das verstärkte das Risiko.
Die Tatsache, daß die Teilnehmer der Amnestie-KAYMUURTES bis zum Tode kämpfen mußten, bedeutete im Endergebnis, daß nur ein einziger Teilnehmer sein Ziel erreichte. Die anderen blieben auf der Strecke. Dementsprechend gering war meist die Zahl der Männer, die dieses Risiko auf sich nahmen. Viele suchten das Risiko zu mindern, indem sie dafür sorgten, daß ihre Gegner gar nicht erst antreten konnten. Gedungene Mörder sorgen dafür, daß mancher Kämpfer tot war, bevor er überhaupt den Sand der Arena gesehen hatte. Daher wurden die Namen seit langer Zeit geheimgehalten. Wenn die Kämpfer sich gegenseitig töteten, dann sollte es in der Arena geschehen, vor aller Augen und den Linsen der Kameras, nicht in aller Stille in einer verwinkelten Gasse.
Barak trat an einen Stand und kaufte ein Stück geräuchertes Coelantheriden-Filet. Der Fisch hatte einen langen Weg hinter sich, er kam von Travnor und war entsprechend teuer. Während Barak zahlte, sah er
den Verkäufer scharf an. Barak kannte den Mann, der den Blick erwiderte und sich umständlich die fettigen Finger an einem Stück Papier abputzte. Barak hatte genau hingesehen. Niemand außer ihm konnte bemerkt haben, daß der Verkäufer bei dieser Reinigung eine Zahl auf das Papier gemalt hatte, bevor er sie wieder mit dem restlichen Fett an seinen Händen verwischte.
Barak bedankte sich mit einem leisen Nicken und zog sich zurück. Hinter ihm pries der Verkäufer seine Ware mit gewaltigem Stimmaufwand an. Engumschlungen ging ein Pärchen an Barak vorbei. Dem Gesichtsausdruck nach zu schließen, hätten sie nicht einmal einen Großangriff der Maahks bemerkt. Eine ältere Frau sah den beiden entrüstet nach.
Aus dem Eingang einer Schenke wehte der Geruch von schwerem, harzigem Wein auf die Straße. Barak blieb stehen und schnupperte, während er langsam und genußvoll das Coelantheriden-Filet verzehrte.
Als er seine Mahlzeit beendet hatte, knüllte Barak das Papier zusammen und ging an den Straßenrand. Dort stand eine Abfallsäule. Barak warf das Papier hinein, es fiel einen Meter und wurde von einem schwachen Transportfeld erfaßt, das das Papier zu einem Konverter führte, wo es in Energie verwandelt wurde. Die Falltiefe von einem Meter war nötig, um allzu Neugierige daran zu hindern, mit dem Arm hineinzufassen.
Nach zehn Minuten erreichte Barak die Hausnummer, die ihm der Fischverkäufer auf das Papier gemalt hatte. Es war eines jener Geschäfte, die nicht mitbekommen hatten, daß für die nächsten Tage die Zoltral-Avenue Zentrum von Keme war. In der Eile hatte es der Besitzer nicht mehr geschafft, seinen Laden zu dekorieren. Barak grinste, als er den Laden sah. Welche kundenfangende Dekoration hätte sich auch ein Laden zulegen sollen, der hauptsächlich technische Geräte für Mediziner verkaufte?
Barak trat näher und entdeckte einen altmodischen Klingelknopf. In dem Rhythmus, der die Eingeweihten untereinander verband,
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drückte er den Knopf. Sekunden später öffnete sich die Tür.
Ein dunkler Korridor tat sich auf, den Barak langsam durchschritt. Er wußte, daß er trotz der Dunkelheit scharf beobachtet wurde. Die illegalen Wettbüros gingen kein Risiko ein. Wer dieses Geschäft zu leichtsinnig betrieb, konnte mit etwas Glück drei Jahre später bei den glücklicheren Kollegen auf den Teilnehmerlisten für die Amnestie-KAYMUURTES wieder auftauchen. Niemand in Keme verspürte Lust zu dieser Art Karriere.
»Kommen Sie herein«, sagte eine dunkle Frauenstimme.
Barak trat näher und sah sich erstaunt um. Er hatte noch nie davon gehört, daß dieses gefahrvolle Geschäft auch von Frauen betrieben wurde. Fast glaubte er, sich in der Adresse geirrt zu haben. Die rauhe Stimme der Frau riß ihn aus seinen zweifelnden Gedanken.
»Auf wen wollen Sie setzen, und wieviel?«
Barak begann zu überlegen, jetzt mußte er eine wichtige Entscheidung treffen.
»Ich weiß noch nicht, wer überhaupt antritt«, sagte er vorsichtig.
»Haben Sie eine Liste?« Die Frau nickte. Barak lächelte zufrieden. Er war sicher,
den Mann herausfinden zu können, der die Amnestie-KAYMUURTES gewinnen würde, Barak hatte einen Riecher dafür, glaubte er.
2.
»Ich halte diese Warterei nicht länger aus!«
Der Ältere lächelte verhalten. »Ich setze dagegen. Könntest du das War
ten tatsächlich nicht mehr ertragen, müßtest du im nächsten Augenblick tot umfallen. Zudem sind seit deinem Ausspruch schon etliche Sekunden vergangen, in denen du ebenfalls gewartet hast. Ich folgere daraus, daß du auch weiteres Warten wirst ertragen
Peter Terrid
können. Rein wahrscheinlichkeitsmathematisch.«
»Aufhören!« Fretnorc schrie dieses Wort fast. Er stand
am Fenster und starrte auf das nächtliche Keme. Nach seinem Empfinden waren Ewigkeiten vergangen, seit er und Polc-Tanier zusammen mit vierzehn anderen Mitstreitern die SLUCTOOK verlassen hatten. Seither hatten die Männer und Frauen im Untergrund gelebt, hatten sich so unauffällig wie möglich verhalten. Sie sollten warten, bis Atlan ihre Hilfe brauchte.
Das Kreuz bei diesem Unternehmen war, daß der Kristallprinz naturgemäß über wenig Geld verfügte, und seinen Gefolgsleuten ging es nicht anders. Unter normalen Umständen war es für einen Arkoniden ziemlich belanglos, ob er Bargeld besaß oder nicht. Wozu hatte er eine Kreditkarte? Untergrundkämpfer, Renegaten und Rebellen konnten natürlich kein Konto eröffnen. Die Banken erwarteten regelmäßige Einzahlungen, Löhne und Gehälter. Es verstand sich von selbst, daß Fretnorc nicht angeben konnte, daß seine Einkäufe aus der Schatulle des in der gesamten Galaxis gesuchten Atlan stammten.
Also mußten Atlans Freunde und Helfer bar bezahlen, und das allein war schon riskant genug. Kaum jemand auf Pejolc zahlte bar. Warum sollte jemand Bargeld mit sich herumschleppen, das gestohlen werden konnte, wenn er sich selbst im kleinsten Geschäft seiner fälschungssicheren Kreditkarte bedienen konnte?
Der Vermieter des Hauses hatte die beiden Männer scheel angesehen, als sie die Monatsmiete bezahlt hatten – in bar. Allerdings gehörte der Vermieter zu der Sorte Menschen, die nichts hörten und sahen, wenn das Geld nur stimmte.
Das Haus war heruntergekommen, fast schäbig. Für Fretnorc und Polc-Tanier gab es nur je zwei Zimmer, dazu eine Küche und eine leidlich moderne Hygienezelle. Zum Glück hatten sich die beiden Männer schon auf Kraumon an eine weniger aufwendige Lebensführung gewöhnt, trotzdem hatten sie
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Mühe, sich mit den Verhältnissen abzufinden.
Besonders Fretnorc fiel es schwer, seinen Übermut zu zügeln. Fretnorc war erst einundzwanzig Arkonjahre alt, durchschnittlich groß, dafür sehr stämmig und muskulös. Er brannte vor Tatendrang.
Polc-Tanier fiel es leichter zu warten; der 68 jährige Positroniker, ein großer hagerer Mann, war nicht vollständig gesund. Er mußte sich schonen. Dies und seine wissenschaftliche Ausbildung machte ihn zu einem merkwürdigen, aber guten Partner Fretnorcs. Was den beständig hüstelnden Polc-Tanier an Körperkraft fehlte, machte Fretnorc wett. Dessen Übereifer wiederum wurde von Polc-Taniers Besonnenheit gezügelt.
»Wir müssen etwas unternehmen«, forderte Fretnorc. »Vielleicht sterbe ich nicht an dieser elenden Warterei, aber sie wird mich früher oder später um den Verstand bringen. Schließlich haben wir einen Auftrag zu erfüllen!«
»Ich weiß«, entgegnete Polc-Tanier mürrisch. Ein leichter Hustenanfall schüttelte ihn.
Besorgt sah Fretnorc auf den alten Mann, der in seinen vom jugendlichen Überschwang getrübten Augen schon auf der Schwelle zum Grabe stand. An der kränklichen Gesichtsfarbe war selbst für Laien abzulesen, daß es mit der Gesundheit von Polc-Tanier nicht zum besten stand.
»Was haben wir auf Pejolc zu suchen«, erklärte Fretnorc erregt. »Der Kristallprinz wollte sich davon überzeugen, daß er tatsächlich für die KAYMUURTES gemeldet ist. Und was haben wir erreicht? Gar nichts! Atlan mußte mit der SLUCTOOK fliehen, und wir blieben zurück. Ein totaler Fehlschlag.«
»Das stimmt«, gab Polc-Tanier zu. Er schluckte eine kleine Medikamentenkapsel. »Aber worauf willst du hinaus?«
»Warum stellen wir nicht fest, ob Atlans Meldung tatsächlich angenommen worden ist?«
Polc-Tanier lachte unterdrückt.
»Willst du in die zentrale Registratur eindringen?« fragte er mit leisem Spott. »Wenn ja, dann gebe ich dir recht, daß das Warten deinen Verstand umnebelt hat. Das wäre glatter Selbstmord.«
»Aber irgend etwas müssen wir doch tun«, begehrte Fretnorc auf. »Wenn wir nichts unternehmen, bleiben wir für alle Zeiten auf Pejolc hängen. Atlan wird so schnell nicht zurückkehren. Erst wenn er weiß, daß seine Meldung angenommen worden ist, kann er sich wieder melden. Er selbst kann sich nicht davon überzeugen, also müssen wir es für ihn tun. Das liegt doch auf der Hand!«
Polc-Tanier lächelte verhalten. Er verstand Fretnorc nur zu gut, er wünschte sich selbst ab und zu etwas von dem Elan des Jüngeren.
»Und wie willst du vorgehen?« Fretnorc grinste triumphierend. Endlich
hatte der alte Mann angebissen. »Es gibt doch Wettbüros auf Pejolc, eine ganze Menge sogar, wie ich annehme.«
»Wetten sind illegal«, erinnerte Polc-Tanier.
»Das weiß ich«, entgegnete Fretnorc. Mit einer raschen Handbewegung strich er sich das Haar aus der Stirn. »Ob verboten oder nicht, es wird in jedem Fall gewettet. Wer das Geld setzen will, muß natürlich wissen, auf wen – folglich müssen die Wettbüros über Listen verfügen. Und eine dieser Listen werden wir uns verschaffen!«
Polc-Tanier wiegte nachdenklich den Kopf.
»Einverstanden«, sagte er schließlich. »Aber wie willst du ein solches Wettbüro finden?«
»Laß mich nur machen«, verkündete Fretnorc. »Ich werde suchen und finden. Du wirst staunen!«
Mit diesen Worten verließ er den Raum. Polc-Tanier lächelte ihm nach.
»Hoffentlich erlebst du keine Überraschung«, wünschte er.
*
10
Fretnorc atmete tief durch. Die Luft in der Wohnung war stickig und muffig gewesen, um so erfrischender wirkte jetzt der kühle Nachtwind, der über die Stadt wehte.
Mit weltausgreifenden Schritten wanderte Fretnorc der Innenstadt zu. Die Wohnung lag in der Nähe des Zentrums, in einem ziemlich alten Viertel, dessen Häuser zum größten Teil noch während der ersten Kolonisierungsphase gebaut worden waren. Daraus erklärten sich auch die Enge und der mangelnde Komfort.
Während er sich der Innenstadt näherte, überfielen Fretnorc die ersten Zweifel. Sein Plan war richtig, daran zweifelte er nicht. Aber er hatte nicht die kleinste Ahnung, wie er ein Wettbüro finden sollte.
Allmählich wurden die Straßen belebter. Fretnorc näherte sich der Zoltral-Avenue. Der Lärm der belebten Straße schlug ihm entgegen. Mit stillem Vergnügen betrachtete Fretnorc das farbenprächtige Bild. Es war sehr lange her, daß Fretnorc soviele Menschen auf einmal gesehen hatte. Kraumon war vergleichsweise spärlich besiedelt, obendrein fehlte dort der Luxus, der Keme auszeichnete. Kraumon war praktisch orientiert, nüchtern, sachlich und rationell. Aber es ließ sich auch dort gut leben, auch Kraumon hatte seine Reize. Fretnorc dachte an den letzten Jagdausflug zurück, den er mit dem Barbaren Ra unternommen hatte. Schade, daß Ra bei diesen Unternehmen fehlen mußte, aber er war inzwischen bei sämtlichen Polizeidienststellen ausreichend bekannt. Auf der Zoltral-Avenue hätte er sich keine zehn Minuten behaupten können, dann hätte man ihn verhaftet.
Unwillkürlich beschleunigte sich Fretnorcs Puls, als er an die Polizei dachte. Auch er schwebte ständig in der Gefahr, verhaftet zu werden, und was ihm bevorstand, wenn er der Polizei oder gar der POGIM in die Hände fallen sollte, konnte er sich ausmalen. Günstigstenfalls würde er nach einem Verhör und der Psychohaube als lallender Idiot zurückbleiben. Dann wäre sein einziger Trost der gewesen, daß die POGIM trotz
Peter Terrid
dieses Verhörs die galaktische Position Kraumons immer noch nicht kannte. Nur die wenigsten Mitarbeiter Atlans kannten die Koordinaten Kraumons.
Fretnorc erreichte die Zoltral-Avenue. Fast wäre er der ausgelassenen Stimmung erlegen, die sich über die hellerleuchtete Straße gebreitet hatte. Es schien an diesem Abend und in dieser Straße keinen schlechtgelaunten Menschen zu geben. Betrunkene torkelten lauthals singend über die Straße, ohne sich darum zu kümmern, daß sie den Verkehr behinderten. Die Robotfahrer hatten alle Mühe, Unfälle zu vermeiden.
An diesem Abend waren selbst die Unterdrückten fröhlich. Fretnorc sah einen Zaliter, der, eine halbleere Flasche in der Hand, am Mast einer Straßenlaterne lehnte und breit lächelnd die Szenerie betrachtete. Von dem überall vorhandenen Haß auf die Arkoniden war nichts zu spüren.
Fretnorc kaufte sich eine Flasche, deren Inhalt er nicht kannte. Der Händler jedenfalls behauptete, sie enthielte die größte flüssige Kostbarkeit der bekannten Galaxis. Fretnorc trank vorsichtig und nickte dann anerkennend. Ein Fachmann hätte wahrscheinlich feststellen können, daß das Aroma des Weines zu einem guten Teil in einem chemischen Laboratorium entstanden war, aber Fretnorc war kein Fachmann. Er trank und ließ es sich schmecken.
Langsam wanderte er die Straße entlang. Wonach er Ausschau halten sollte, wußte er selbst nicht. Er hoffte nur, daß irgend jemand einen Fehler machen und ihm ungewollt verraten würde, wo er ein Wettbüro finden konnte.
»Paß doch auf, Idiot!« Fretnorc fühlte sich angerempelt und wäre
fast gestürzt. Ein breitschultriger Mann sah ihn wütend an.
»Kannst du nicht besser aufpassen, du Straßenwanze?« grollte der Unbekannte wütend.
»Langsam, Freundchen«, wehrte Fretnorc ab. »Wer hier wen angerempelt hat, ist ja wohl offenkundig. Pack dich und laß mich
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in Ruhe.« »Nur nicht frech werden, Kleiner«, erhielt
Fretnorc zur Antwort. »Es täte mir leid, müßten die Knochenflicker deinetwegen Überstunden einlegen. Wenn du dich bei mir höflich für deine Unverschämtheit entschuldigst, werde ich die Angelegenheit auf sich beruhen lassen.«
Langsam geriet Fretnorc in Wut, zumal sich eine Menschenmenge eingefunden hatte, die dem Wortgefecht fasziniert zuhörte. Fretnorc war fest entschlossen, nicht einfach davonzuschleichen. Immerhin hatte er auf Kraumon fast jeden bezwingen können. Sein Gegenüber war zwar ziemlich stämmig, aber ein ernsthafter Gegner war er vermutlich nicht.
Der Dialog wurde hitzig. Fretnorc gab dem Rempler eine wohlverdiente Zurückweisung. Zu Antwort bekam er Bemerkungen über seine Abstammung zu hören, die selbst Kaltblütigere, als Fretnorc zu einem Wutanfall verleitet hätte.
Fretnorc nahm die Fäuste hoch und bereitete sich darauf vor, sein Gegenüber von der Straße zu fegen. Plötzlich drängte sich ein Mann durch die Zuschauerreihen, ein netter, freundlicher Herr in fortgeschrittenem Alter. Er strahlte eine gewisse Ruhe und Würde aus.
»Meine Herren«, begann er feierlich. »Ich sehe, daß Sie sich gerade auf einen kleinen Ehrenhandel einlassen wollen. Warum auch nicht? Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß Sie zufällig vor dem Eingang eines Etablissements stehen, das sich für die Erledigung solcher Händel förmlich anbietet. Wollen Sie den Kampf nicht ins Innere verlegen, damit ein sachkundiges Publikum entscheiden kann, welcher der beiden Herren der bessere Kämpfer ist.«
»Ich bin einverstanden«, erklärte Fretnorcs Gegner sofort.
Fretnorc wußte, daß er jetzt in der Falle saß. Diese Rempelei war keineswegs ein Zufall. Der Flegel, der ihn fast von den Beinen gerissen hatte, arbeitete mit dem würdevoll aussehenden Alten zusammen. Beide hatten
die Aufgabe, ahnungslose Passanten so zu provozieren, daß sie sich auf einen Kampf einließen. Wer nicht sofort einen Rückzieher machte, der saß im Handumdrehen fest. Angesichts der Menschenmenge wäre es für Fretnorc eine unerträgliche Schmach gewesen, den Kampf abzulehnen. Er mußte hineingehen und sich dem Schläger stellen, der mit Sicherheit ein Angestellter des Unternehmens war. Fretnorc war dem Mann körperlich überlegen, das war offenkundig, aber der andere verfügte über langjährige Erfahrung und kannte bestimmt Hunderte von infamen Tricks.
Trotzdem gab es kein Zurück. »Unter diesen Umständen würde sich die
Auseinandersetzung sogar lohnen«, lockte der Würdevolle. Auch er war für die Rolle des Besänftigers und Friedenstifters hervorragend ausgewählt worden. »Dem Sieger werden sicher einige hundert Chronners winken!«
Fretnorc grinste freudlos. Bargeld konnte er in jedem Fall gut brauchen.
»Also vorwärts«, sagte Fretnorc und schob seinen Gegner in den Eingang. »Sieh dir den Himmel noch einmal an, Freund. Es wird das letzte Mal sein.«
Psychotrick eins gelungen, dachte Fretnorc, als er das Gesicht seines Gegners sah. Der Schläger freute sich sichtlich, das dreiste Manöver Fretnorcs durchschaut zu haben.
Fretnorc hatte geprahlt mit dieser Bemerkung. Das war ein beliebter Trick, der dem Gegner klarmachen sollte, daß man sich für stärker hielt. Die zweite Stufe des gleichen Tricks bestand darin, den Gegner erkennen zu lassen, daß es sich um einen Psychotrick handelte. Wer solche Tricks anwendete, vertraute seiner körperlichen Kraft nicht vollständig – und genau diesen Eindruck hatte Fretnorc hervorrufen wollen.
*
Die Halle war erstaunlich groß und bis auf den letzten Platz gefüllt. Fretnorc schätz
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te, daß sich mindestens tausend Besucher eingefunden hatten. In der Mitte der Halle stand ein Ring, ein Viereck aus Stahlpfosten und dicken Seilen. Im ersten Augenblick war Fretnorc erschrocken.
Der Boden des Ringes hatte eine merkwürdig dunkle Färbung, seine Seitenwände waren sogar schwarz – schwarz von geronnenem Blut, dessen Geruch deutlich zu spüren war. Gerade noch rechtzeitig erkannte Fretnorc, daß dies ein Psychotrick des Unternehmers war. Er sollte nicht nur den ahnungslosen Gegner beeindrucken, er sollte vornehmlich dem Publikum den Eindruck verschaffen, daß in dieser kleinen Arena tatsächlich um das Leben gekämpft wurde. In den ersten und teuersten Reihen erkannte Fretnorc eine große Zahl von Frauen, die den Blutgeruch förmlich einsogen.
Neben dem Ring stand ein närrisch aufgeputzter kleiner Mann mit einem Mikrophon.
»Meine Damen und Herren«, verkündete er mit dem Gehabe eines Marktschreiers, »wie ich soeben erfahren habe, haben sich zwei Herren dazu entschlossen, einen Ehrenhandel in unserem Hause austragen zu wollen. Das Haus erlaubt sich, für den Sieger eine Prämie von 200 Chronners auszusetzen. Diese Prämie erhöht sich selbstverständlich, entsprechend den Waffen, mit denen die Herren gegeneinander kämpfen wollen, der Zeit, die bis zur Entscheidung vergeht und der Entscheidung selbst. Kommen Sie näher, meine Herren, kommen Sie näher!«
Es gelang Fretnorc vorzüglich, den Verwirrten zu spielen. Den Ekel, den er darstellte, als er in den von Blut schlüpfrigen Ring kletterte, brauchte er nicht einmal zu spielen. Zwar waren hier nur ein paar Liter Kunstblut vergossen worden, aber der Geruch war erstaunlich echt.
Fretnorc sah sich verwirrt um, während ihn das Publikum begrüßte. Linkisch deutete er eine Erwiderung des Grußes an. Daß sein Kontrahent mit lauterem Beifall begrüßt wurde, wunderte ihn nicht – der größte Teil des Publikums wußte natürlich, daß der Mann ein Angestellter des Hauses war.
Peter Terrid
»Wie wollen Sie kämpfen, und wie heißen Sie?«
Der Veranstalter hielt Fretnorc das Mikrophon unter die Nase.
»Fretnorc heiße ich«, stotterte er verlegen. »Wie ich kämpfen will …? Ja, was haben Sie denn zu bieten? Strahlwaffen sind wohl nicht zulässig, oder?«
»Das allerdings nicht«, bestätigte der Veranstalter und warf seinem Angestellten einen bösen Blick zu.
»Bist du wahnsinnig geworden, mir einen solchen Dummkopf anzuschleppen?« besagte dieser Blick.
»Wollen Sie nur einen rein sportlichen Kampf führen? Oder vielleicht um die Ehre? Oder gar ums Leben?«
Bei den letzten Worten wurde die Stimme des Veranstalters hörbar süffisant.
Fretnorc nickte. »Ja«, sagte er. »Bravo«, erklang es aus den Reihen des
Publikums. »Bravo, es geht ums Leben!« Es gelang Fretnorc vorzüglich, den restlos
Überraschten zu mimen. Er tat so, als habe er gar nicht vorgehabt, so hoch zu kämpfen, sei aber zu feige, im Angesicht des Publikums zu kneifen.
Der Blick des Veranstalters sprach Bände. »Das erhöht die Prämie«, rief er in das
Mikrophon. »Eintausend Chronners für den Sieger, dem Verlierer ein ehrenvolles Begräbnis.«
Das Brüllen des Publikums zeigte, daß die Mehrzahl hauptsächlich an dem Begräbnis interessiert war.
Offiziell waren Kämpfe ums Leben verboten, aber wenn alle Arkoniden alle Gesetzesübertretungen schlagartig eingestellt hätten, wäre das Imperium vermutlich zusammengebrochen. Gerade unter dem Regime Orbanaschols hatte sich zwischen Gesetzmäßigkeit und Verbrechen eine Grauzone gebildet, die von Jahr zu Jahr breiter wurde.
»Waffen?« Fretnorc schüttelte den Kopf. »Nur mit den Händen«, erklärte er. »Zweitausend auf Barlik«, rief einer der
13 Einsatzgruppe Pejolc
Zuschauer. »Ich halte«, gab eine andere Stimme
durch. Jetzt wußte Fretnorc wenigstens, wie sein
Gegner hieß. Langsam und umständlich zogen sich die beiden Kämpfer in die Kabine zurück, um sich für den Kampf umzukleiden.
»Kein Öl!« stieß Fretnorc hervor, als er neben Barlik auf die Kabinen zuging.
»Wie du willst«, sagte der grinsend. »Hattest du wenigstens dein Testament gemacht?«
»Habe ich«, bestätigte Fretnorc grinsend. »Zugunsten deiner Witwe!«
Barliks Unterkiefer sackte herunter, dann schüttelte er fassungslos den Kopf.
»Schade, Bruder«, murmelte er. »Glaube mir, ich werde dich nicht gern töten, aber du hast es so gewollt.«
Er holte aus, um sich mit einem Klaps auf den Rücken zu verabschieden. Rein zufällig reckte Fretnorc den linken Ellenbogen so weit wie möglich nach hinten. Barliks Trick mißlang. Anstatt eine hart geschlagene Handkante in Fretnorcs Rücken zu landen, kollidierte sein Unterarm mit Fretnorcs Ellenbogen. Barlik stöhnte dumpf auf.
Während er sich den schmerzenden Unterarm rieb, sah er Fretnorc nachdenklich an.
Fretnorc lächelte. »Hast du dir weh getan?« fragte er schein
heilig. Barlik grunzte nur.
3.
Der Veranstalter verstand sein Geschäft. Bevor Barlik und Fretnorc den Ring betreten konnte, fand noch ein weiterer Kampf statt. Wieder war von den Angestellten der Halle ein Passant hereingelegt worden, ein stämmiger Raumsoldat, der gegen eine zierliche junge Frau antreten mußte. Die Frau war eine Angestellte, und sie verstand ihr Geschäft. Innerhalb von vier Minuten verprügelte sie den Soldaten derart gründlich, daß der Mann von zwei Robots aus dem Saal ge
tragen werden mußte. Barlik stand neben Fretnorc, in einem Si
cherheitsabstand von drei Metern. »Deine Frau?« erkundigte sich Fretnorc
beiläufig. Barliks gequält klingender Seufzer war
Antwort genug. Dann waren Fretnorc und Barlik an der
Reihe. Beide Männer trugen nur eine knapp sitzende Badehose, und Fretnorc konnte deutlich sehen, daß Barlik sich an die Abmachung gehalten hatte. Er hatte seinen Körper nicht eingeölt – statt dessen hatte er Seife benutzt, was auf das gleiche Ergebnis hinauslief. Es würde fast unmöglich sein, ihn zu fassen.
Im Publikum wurde es still. Daß sich zwei Kämpfer ein Gefecht auf
Leben und Tod lieferten, kam nicht allzu häufig vor, und die Kenner im Publikum wußten ziemlich genau, daß sich hier keine Angestellten einen Schaukampf lieferten, wie es meistens der Fall war.
Fretnorc betrat den Ring als erster, Barlik folgte ihm langsam und umständlich. Der Veranstalter fungierte gleichzeitig als Ringrichter. Seine Aufgabe bestand einzig darin, ein zu rasches Ende des Kampfes zu verhindern. Außerdem mußte er dafür sorgen, daß der Sieger den Unterlegenen nicht tötete, bevor er das Publikum befragt hatte. Erst wenn die Menge ihre Zustimmung gegeben hatte, durfte der Sieger einen tödlichen Schlag oder Griff anbringen, vorher war dies nicht erlaubt.
Der Veranstalter ging auf Fretnorc zu. »Wünschen Sie eine Begrenzung der
Kampfzeit?« fragte er. Fretnorc schüttelte den Kopf, obwohl er
damit sein Risiko vergrößerte. Bei einem Kampf mit festgesetzter Dauer konnte es geschehen, daß bis zum Ende kein Sieger feststand. Der Tod eines der beiden Beteiligten war dann ausgeschlossen.
»Keine Zeitbegrenzung«, wiederholte Fretnorc. Der Veranstalter zuckte mit den Schultern.
»Es ist Ihr Leben«, murmelte er. »Sie
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müssen wissen, was Sie tun!« »Seien Sie versichert, ich weiß es!« Ein unüberhörbarer Sirenenton gab das
Zeichen zum Beginn des Kampfes. Langsam bewegten sich beide Männer auf die Ringmitte zu. Das Publikum war still.
Eine halbe Minute verging, in der sich die Gegner zu studieren versuchten. Dann setzte Barlik zum Angriff an.
Seine Faust stach hervor und zielte auf Fretnorcs Kopf. Fretnorc hatte den Angriff kommen sehen und wich mit einer geschmeidigen Bewegung zur Seite aus. Seine Handkante krachte mit erbarmungsloser Härte in Barliks Ellenbogengelenk, außerdem nutzte Fretnorc den Schwung seines Körpers, um seinem Gegner einen wuchtigen Tritt gegen die Beine zu versetzen. Barlik stöhnte auf und wich einen Schritt zurück. Er war ein viel zu guter Kämpfer, um sich durch diesen fehlgeschlagenen Angriff aus der Ruhe bringen zu lassen. Sein Schwinger traf Fretnorc in die Magengrube, und diesmal war es Fretnorc, der zurücktaumelte. Wieder griff Barlik ungestüm an und rannte in Fretnorcs Fuß, der ihn mit der Wucht eines Katapults in den Bauch gerammt wurde. Barlik flog zurück und stürzte. Sofort war Fretnorc bei ihm und trat erneut zu. Barlik bekam den Fuß zu fassen und drehte ihn erbarmungslos herum. Wenn Fretnorc sich nicht das Fußgelenk brechen lassen wollte, mußte er die Bewegung mitmachen.
Er drehte sich in der Luft herum, um dem Schmerz in seinem Knöchel zu entgehen. Noch in der Luft ließ er das freie Bein herabzucken. Die Spitze des Kampfstiefels traf Barliks Magengrube und trieb den Mann das Blut aus dem Gesicht. Unwillkürlich ließ er Fretnorcs Fuß fahren und rollte sich zur Seite.
Sekunden später standen beide Kämpfer wieder auf den Beinen. Erneut belauerten sie sich, diesmal um die Erfahrung reicher, daß der Gegner ernst zu nehmen war.
Das Publikum begann zu toben. Jetzt hatten alle begriffen, daß sie keinen Schau-
Peter Terrid
kampf vorgesetzt bekamen, sondern ein Gefecht, das von beiden Parteien mit tödlicher Entschlossenheit geführt wurde.
Fretnorc deckte seinen Gegner mit einem Hagel von Schlägen ein. Entscheidende Treffer konnte er nicht landen, aber seine Handkante prallte immer wieder hart und schmerzhaft auf Barliks Oberarme. Irgend-wann mußten diese Treffer dazu führen, daß Barlik die Hände nicht mehr heben konnte. Dann hatte Fretnorc leichtes Spiel.
Fretnorc hütete sich davor, Barlik zu unterschätzen. Auch Barlik kämpfte entschlossen und geschickt, seine Fußtritte trafen immer wieder Fretnorcs Knöchel, und jedesmal zuckte Fretnorc schmerzerfüllt zusammen.
Beide Kämpfer waren schweißbedeckt, die Haare fielen ihnen in die Stirn, beide keuchten vor Anstrengung. Fretnorc hatte keine Zeit gefunden, auf die große Uhr in der Nähe des Ringes zu sehen. Nach seinem Empfinden mußten bereits zwanzig Minuten vergangen sein, zwanzig Minuten, die außerordentlich viel Kraft gekostet hatten.
Fretnorc bekam Barliks Arm zu fassen und hebelte den Mann über die Hüfte. Katzengewandt kam Barlik wieder auf die Bei-ne und grinste höhnisch. Fretnorc wurde von einer Doublette getroffen und brach in die Knie. Barliks nächster Schlag wischte über Fretnorcs Kopf, und bevor Fretnorc endgültig ohnmächtig werden konnte, packte er Barliks Beine und riß sie an sich. Barlik fiel hintenüber und krachte mit dem Nacken auf das Begrenzungsseil.
Im Publikum sprangen viele auf, um die letzten Augenblicke des Kampfes besser sehen zu können.
Vor Fretnorcs Augen vollführte die Welt einen aberwitzigen Wirbel. Fretnorc konnte gerade noch erkennen, daß Barlik von seinem Sturz auf das straffgespannte Seil so benommen war, daß er Fretnorcs Schwäche nicht ausnutzen konnte. Wie betrunken taumelten die beiden Männer durch den Ring, bis sich der erste wieder an den Kampf erinnern konnte.
Fretnorc war der erste, der wieder leidlich
15 Einsatzgruppe Pejolc
klar denken konnte. Er traf Barlik mit einem Schwinger in die Magengrube und trieb den Mann vor sich hin, bis beide vor den Seilen standen.
Die Vorsätze, die Fretnorc gehabt hatte, als er in den Ring gestiegen war, hatten sich verflüchtigt. Er spürte nur noch einen grenzenlosen Haß auf den Mann, der ihm Schläge versetzt und kaum erträgliche Schmerzen bereitet hatte. Fretnorc trieb den schwer angeschlagenen Barlik vor sich her, besinnungslos vor Wut drosch er mit beiden Fäusten auf ihn ein.
Das Publikum raste. Dann setzte Fretnorc zum letzten Griff an.
Barlik war nicht mehr in der Lage, sich ernsthaft zu wehren, obwohl er noch klar genug war, um zu erkennen, daß es ihm ans Leben ging. Mit beiden Händen packte Fretnorc zu.
Das Schreien des Publikums übertönte den Ruf des Veranstalters.
Endlich begriff Fretnorc, daß er erst das Publikum fragen mußte, bevor er Barlik erwürgen durfte. Fretnorc zerrte den halb bewußtlosen Barlik in die Höhe und sah das Publikum an. Die Antwort fiel aus, wie er es erwartet hatte. Das Publikum kannte Barlik aus vielen siegreichen Kämpfen, jetzt hatte es genug von ihm. Der neue Liebling hieß Fretnorc, der Mann, der Barlik geschlagen hatte. Jetzt mußte er den Sieg so vollständig machen, wie sich dies nur erreichen ließ. Das Publikum forderte stürmisch Barliks Tod.
Barliks letzter Treffer hatte Fretnorc fast besinnungslos werden lassen, er wußte nicht mehr, was er tat. Fast automatisch krümmte er die Finger um Barliks Hals.
Erst als Barlik zu röcheln begann, wurde Fretnorc klar, was er tat. Sofort lockerte er seinen Griff, und im gleichen Augenblick wurde ihm klar, daß er in einer teuflischen Zwickmühle steckte.
Er selbst war es gewesen, der den Kampf bis zu diesem Ende hochgepeitscht hatte. Konnte er jetzt noch zurück? Dem Schreien des entfesselten Publikums nach zu schlie
ßen, nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben war
Fretnorc ehrlich erleichtert, als das grelle Pfeifen an seine Ohren drang. So kündigte die planetare Polizei ihr Eingreifen an. Sekundenlang verharrte das Publikum wie gelähmt auf den Sitzen, dann brach eine Panik aus. Schreiend und fluchend stürzten die Menschen auf die Ausgänge zu.
Fretnorc richtete Barlik auf. Sein Gegner starrte ihn benommen an, er war noch nicht ganz bei Bewußtsein.
»Vorwärts«, schrie Fretnorc in Barliks Ohr, um den Lärm zu übertönen. »Wir müssen verschwinden!«
Barliks Reaktion bestand in einem Blinzeln der Verständnislosigkeit. Währenddessen drangen die Polizisten immer tiefer in die Halle ein. Der größte Teil der Ausgänge war abgeriegelt.
Polizisten wie Publikum steckten in einer Klemme. Beim durchschnittlichen Publikum war der Fall klar; wer erwischt wurde, machte mit dem Gefängnis Bekanntschaft. Bei höhergestellten Personen lag der Fall anders; meist blieb es bei geringfügigen Geldstrafen. Natürlich hatten die Polizisten den Auftrag, alle Besucher solcher illegalen Kämpfe zu verhaften, aber das ließ sich meist nur bewerkstelligen, wenn die Beamten Paralysatoren einsetzten. Gefährlich für die Polizei wurde es, wenn ein Paralysatorschuß einen hochgestellten Arkoniden traf – dann sah sich bald der entsprechende Polizist vor den Schranken des Gerichts. Die Kunst bei diesen Razzien bestand für die Beamten darin, die richtigen Straftäter herauszufinden und zu verhaften.
Fretnorc konnte deutlich sehen, daß die Polizisten nervös waren. Ihre Paralysatorschüsse landeten meist in der Decke und konnten so keinen Schaden stiften. Offenbar zerrte vor allem das gellende Kreischen der Frauen an den Nerven der Beamten.
Fretnorc hatte schon einige Male Bekanntschaft mit einem Paralysator gemacht, er wußte, wie sich ein Treffer anfühlte. Vor allem aber wußte er, welche Schmerzen der
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Getroffene auszuhalten hatte, wenn er die Kontrolle über seine Muskulatur langsam wiedergewann.
Fretnorc zuckte zusammen. Der Schuß hatte ihn nur gestreift, er war
nicht einmal stark genug, um die Bewegungsfreiheit einschränken zu können. Dennoch ließ sich Fretnorc mit einer bühnenreifen Schauspielleistung vornüber fallen. Vorsichtshalber riß er den benommenen Barlik gleich mit zu Boden.
»Keine Bewegung«, zischte er in Barliks Ohr. »Oder wir sind verloren!«
Die Besucher des Kampfpalasts dachten nicht daran, sich der Polizei einfach zu ergeben. Immer neue Beamte tauchten auf, um die sich wehrende Männer und Frauen abzutransportieren. Fretnorc konnte nur staunen, welche Flüche dabei vor allem die Frauen über die Lippen brachten.
»Hier liegen zwei!« rief eine schmerzhaft laute Stimme. Ein Stiefel traf Fretnorc in die Seite. Der Mann hatte nicht hart zugetreten, dennoch kostete es ihn alle Nervenkraft, nicht schmerzhaft zusammenzuzucken.
»Sie sind betäubt, offenbar hat jemand sie getroffen.«
»Laß sie liegen, um die beiden kümmern wir uns zum Schluß. Komm lieber herüber, diese Katze hier will mir die Augen auskratzen!«
Fretnorc hörte, wie der Polizist, dessen Stiefel nur unmittelbar vor seinen Augen waren, laut auflachte, dann sah er, daß sich der Mann entfernte.
»Was ist eigentlich los?« Barlik war inzwischen leidlich zu sich ge
kommen. Es sprach für seine Geistesgegenwart, daß er nur unmerklich die Lippen bewegte und sehr leise sprach.
»Polizei!« raunte Fretnorc. »Bleib ganz ruhig. Wir stellen Betäubte dar. Gibt es aus dieser Höhle noch andere Ausgänge als die, die von der Polizei überwacht werden?«
»Gibt es«, gab Barlik flüsternd zurück. »Der gesamte Ring kann abgesenkt werden. Aber dazu müssen wir erst einmal die Steuerung erreichen. Sie steckt in einer der Stüt-
Peter Terrid
zen!« Ohne den Kopf zu bewegen, betrachtete
Fretnorc seine Umgebung. Es war inzwischen Ruhe eingekehrt. Der
größte Teil des Publikums war verhaftet und abtransportiert worden. An den Türen hatten sich Menschenschlangen gebildet. Die Besucher hatten sich offenbar damit abgefunden, daß die Polizei die Oberhand hatte. Folgsam hatten sich die Leute angestellt und warteten darauf, daß ihre Papiere kontrolliert und sie selbst abgeführt wurden. In dem großen Saal lagen Körper auf dem Boden. Fretnorc zählte allein in seinem Blickfeld mehr als zwanzig Paralysierte. Niemand kümmerte sich um sie, da die Paralyse erst in einigen Stunden wieder weichen würde.
»Das ist unsere Chance«, stellte Fretnorc fest. Barlik stimmte mit einer Bewegung der Augenlider zu.
Die Polizisten waren zu stark damit beschäftigt, die Unbetäubten zu kontrollieren, um sehen zu können, wie sich die beiden Männer über den Boden des Ringes rollten, bis sie den entscheidenden Pfosten erreicht hatten.
Ein Beamter warf einen prüfenden Blick über die Betäubten in der Halle. Fretnorc und Barlik erstarrten sofort. Der Polizist wandte sich wieder der Kontrolle der Ausweise zu. Er hatte die Lageveränderung nicht bemerkt.
»Wir müssen uns beeilen!« zischte Barlik. Langsam bewegte er den rechten Arm vorwärts, bis er den Pfosten mit den Fingern erreicht hatte. Ein kaum wahrnehmbares Knacken war zu hören, als er den entscheidenden Knopf gefunden und betätigt hatte. Langsam, viel zu langsam für Fretnorcs Gefühl, senkte sich der Ring ab. Fretnorc hielt den Atem an. Wenn der Polizei diese Veränderung auffiel, hatten die Beamten bei dem Tempo des Verschwindens Zeit genug, um eine ganze Brigade außer Gefecht zu setzen.
Fretnorcs Befürchtungen bestätigten sich. Er blieb steif und starr liegen, wie es seiner Rolle entsprach, während einer der Polizisten mit gezogener Waffe langsam näher
17 Einsatzgruppe Pejolc
kam. Das Gesicht des Beamten drückte unverhohlene Skepsis aus. Er wußte aber offenbar nicht, was er von der Sache halten sollte. Mißtrauisch betrachtete er die beiden regungslosen Gestalten auf dem Boden des Rings, der sich langsam in die Tiefe senkte. Fretnorc sah, wie der Mann über die Seile kletterte und den Ring betrat.
Es gehörte keine Schauspielkunst dazu, den Augen einen ängstlichen Ausdruck zu verleihen. Beide Männer wußten sehr genau, daß sie in höchster Gefahr schwebten. Sie rührten sich nicht und warteten ab, bis der Beamte unmittelbar vor ihnen stand.
»He, was machst du da?« rief eine wütende Stimme. Offenbar war nun ein zweiter Polizist auf den Ring aufmerksam geworden.
Der Beamte vor Fretnorc wandte sich um, um antworten zu können. Im gleichen Augenblick schnellte Fretnorcs Fußspitze in die Höhe. Er traf das Handgelenk des Polizisten, die Waffe flog in hohem Bogen davon, und der Mann stieß einen Schmerzensschrei aus. Barlik kam auf die Füße und setzte einen Hebelgriff an. Der Mann flog aus dem Ring und landete zwischen den Stuhlreihen. Sein Aufschrei verriet, daß die Landung alles andere als sanft ausgefallen war. Fretnorc ballte vor Aufregung die Fäuste.
Langsam hob sich ein Dach über dem Ring, der längst unterhalb des Hallenbodens angekommen war. Sehen konnten die beiden Männer nur die Decke der Kampfhalle, aber sie hörten deutlich das Toben des Polizisten und die Alarmrufe seiner Kollegen. Eine Ewigkeit, schien zu vergehen, währenddessen sich der Spalt zwischen den beiden Teilen der Deckenkonstruktion verringerte.
»Weg von hier!« rief Barlik. »Folge mir!« Fretnorc zögerte nicht. In der Unterwelt
der Halle kannte sich Barlik naturgemäß entschieden besser aus als er. Noch während er sich umdrehte, sah Fretnorc etwas, was ihn erbleichen ließ.
Einer der Polizisten hatte den Spalt erreicht, und ohne jedes Zögern machte sich der Beamte an den Abstieg. Er konnte nicht
sehen, wie tief es hinabging, und noch immer verringerte sich der Abstand zwischen den Deckenplatten.
»Ist der Bursche lebensmüde?« stöhnte Fretnorc auf.
»Komm mit!« forderte Barlik erregt, aber Fretnorc verharrte.
Wenn der Polizist von der sich schließenden Decke zerquetscht wurde, war spätestens in zehn Minuten ganz Pejolc alarmiert und jagte ihn und Barlik. Fretnorc spürte, wie Barlik nach seiner Hand griff.
»Beeile dich«, drängte der Arenakämpfer. »Der Bursche weiß ganz genau, was er will!«
Fretnorc spürte, wie er von Barlik fortgerissen wurde. Er konnte seinen Blick nicht von dem Polizisten wenden, der jetzt eingeklemmt war und unterdrückt aufstöhnte.
Fretnorc schloß die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie die Deckenkonstruktion den Mann buchstäblich halbierte. Erst als er über sich einen triumphierenden Schrei hörte, wußte er wieder, was er zu tun hatte.
Der Polizist war keineswegs ein Selbstmörder gewesen, nur ungewöhnlich risikofreudig und furchtlos. Er hatte einfach darauf spekuliert, daß eine Überwachungsautomatik existierte, die solche Unfälle zu vermeiden hatte, und er hatte sich nicht geirrt. Teils erleichtert, teils erschreckt sah Fretnorc, wie die Automatik die beiden Hälften der Deckenkonstruktion wieder auseinanderfahren ließ.
4.
»Willst du warten, bis man dich zusammenschießt?« rief Barlik unterdrückt.
Endlich erwachte Fretnorc aus seiner Benommenheit. Er wußte; daß es jetzt auf jede Sekunde ankam.
»Mir nach«, kommandierte Barlik. »Auf solche Aktionen sind wir bestens vorbereitet!«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte Fretnorc hinter seinem früheren Gegner
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her. Es war dunkel in den Gängen, aber Barlik schien sehr genau zu wissen, wohin er sich zu wenden hatte. Fretnorc spürte Barliks Hand, die ihn unerbittlich hinter sich herzog.
»Wohin willst du fliehen?« erkundigte sich Fretnorc keuchend.
»Warte es ab«, lautete der knappe Bescheid des Profikämpfers. »Nach links!«
Längst hatte Fretnorc die Orientierung verloren. Er konnte nur hoffen, daß Barlik keinen Fehler machte. Die Polizei würde natürlich auch die unterirdischen Räume genauestens untersuchen. Es würde schwer sein, ein Versteck zu finden, das von Hohlraumtastern nicht gefunden werden konnte.
»Nach rechts«, rief Barlik, dann lachte er laut auf.
Fretnorc schüttelte verwundert den Kopf. Er wußte nicht, wie Barlik dies fertiggebracht hatte, aber auf jeden Fall standen die beiden Männer wieder im Umkleideraum. Barlik schlich schnell zur Tür und spähte auf den Gang hinaus. Er grinste zufrieden.
»Sie haben die Kabine schon durchsucht«, stellte er fest. »Auf dem Gang steht ein Posten, aber der kann uns nicht gefährlich werden. Zieh dich um!«
Hastig schlüpfte Fretnorc in die Kleidung, die er vom Kampf abgelegt hatte. Sobald er damit fertig war, folgte er Barliks Beispiel und verwischte alle Fingerabdrücke, die er vielleicht hinterlassen haben könnte. Erst als er diese Arbeit zu Barliks Zufriedenheit erledigt hatte, zeigte der Profikämpfer den Fluchtweg. Mit gewaltiger Kraftanstrengung schob er einen der schweren Schränke zur Seite. Verblüfft stellte Fretnorc fest, daß der massive Schrank auf einer Schiene stand. Eine Tür wurde sichtbar. In der Mitte erkannte Fretnorc einen der kleinen Spione, die es in vielen Türen gab. Barlik spähte kurz hindurch und grinste erneut.
»Los, du gehst als erster!« Die Tür schob sich geräuschlos zur Seite.
Ein dunkler Gang tauchte vor Fretnorc auf. »Los, beeile dich. Ich kann den Schrank
nicht mehr lange halten!«
Peter Terrid
Fretnorc schob sich durch die schmale Öffnung. Barlik folgte mit einem weiten Satz. Blitzartig schloß sich hinter ihm die Tür, und dem dumpfen Rollen nach zu schließen, glitt der schwere Schrank auf der leicht geneigten Schiene von selbst wieder in seine Ausgangsposition.
Barlik grinste zufrieden. »Bis die Polizei diesen Ausgang entdeckt
hat, ist ein Maahk Imperator geworden!« prophezeite er belustigt. »Diese Beamten rechnen mit allen positronischen Finessen, an eine so simple Konstruktion denkt bestimmt niemand!«
Endlich merkte Fretnorc, wo er sich befand.
Die beiden Männer standen auf einer der vielen schmalen Gassen, die auf die Zoltral-Avenue mündeten. Die meisten Passanten hielten die nicht erleuchteten Gassen für Toreinfahrten und kümmerten sich nicht darum. Ein besserer Fluchtweg ließ sich kaum denken.
Untergehakt verließen die beiden Männer den schmalen Seitenweg und kehrten auf die Zoltral-Avenue zurück. In einiger Entfernung konnten sie die Menschentraube sehen, die sich vor dem Eingang der Kampfhalle gebildet hatte. Von spöttischen Kommentaren schadenfroher Passanten begleitet, wurden die Verhafteten abtransportiert.
»Glück gehabt«, murmelte Fretnorc. Barlik sah ihn skeptisch von der Seite an.
»Apropos Glück«, sagte er gedehnt. »Hättest du mir wirklich den Hals umgedreht, wenn nicht gerade die Polizei aufgetaucht wäre?«
Fretnorc biß sich auf die Lippen. »Ich weiß es nicht«, gestand er offen.
Barlik nickte bekümmert. »Bevor du dich deswegen grämst«, sagte
er mit leisem Spott. »Ich hätte nicht gezögert!«
Fretnorc begann zu lachen. »Wir haben also beide Glück gehabt«,
stellte er fest. »Was wolltest du eigentlich damit errei
chen?« wollte Barlik wissen. »Du hast doch
19 Einsatzgruppe Pejolc
nicht ohne Grund so hoch gespielt?« Fretnorc zuckte mit den Schultern. »Ich habe ein wenig Geld übrig«, erklärte
er. »Und ich wollte es irgendwie vermehren. Am liebsten hätte ich irgendwo auf den Ausgang der KAYMUURTES gewettet, aber ich bin Tourist und kenne die einschlägigen Adressen nicht.«
Barlik schüttelte den Kopf. »Und deswegen hättest du mich fast um
gebracht«, seufzte er. » Du hättest mich nur zu fragen brauchen. Ich kenne mich in diesem Gewerbe aus.«
»Was du nicht sagst«, staunte Fretnorc und unterdrückte ein triumphierendes Grinsen.
»Natürlich«, bestätigte Barlik. »Ich lebe schließlich lange genug auf Pejolc, und in meinem Beruf muß man alle wichtigen Leute kennen. Wettbüros, Agenturen, Hehler und so weiter.«
Fretnorc lächelte vergnügt.
*
Polc-Tanier hustete, als gelte es sein Leben. Sein Körper wurde von den Anfällen geschüttelt, sein Gesicht war rot angelaufen. Es sah aus, als werde er im nächsten Augenblick tot zur Seite fallen.
Fretnorc kannte diese Attacken bereits und kümmerte sich nicht mehr darum. Er wußte, daß sein Partner sich bald wieder erholt haben würde. Und wirklich ebbte Polc-Taniers Hustenanfall langsam ab.
»Wiederhole bitte«, ächzte Polc-Tanier. »Du hast also ein Wettbüro ausfindig gemacht.«
»Nicht nur das«, erklärte Fretnorc selbstzufrieden. »Wenn die Angaben stimmen, die mein Gewährsmann gemacht hat, verfügt dieses Wettbüro über beste Beziehungen. Wenn überhaupt ein Büro im Besitz einer halboffiziellen Teilnehmerliste ist, dann dieses.«
»Sehr gut«, lobte Polc-Tanier. Er setzte den Inhalator an die Lippen und atmete das krampflösende Aerosol ein. »Und was ver
sprichst du dir davon? Willst du wetten?« »Kein Interesse«, wehrte Fretnorc ab.
»Dafür fehlt mir das Geld. Mein Gewährsmann hat mir gesagt, daß dieses Büro nur mit hohen Beträgen arbeitet. Ich sehe nur die Möglichkeit – wir werden dem Büro einen Besuch abstatten, wenn die Inhaber nicht anwesend sind!«
»Einbruch?« ächzte Polc-Tanier. Ein neu-er Hustenanfall schüttelte ihn. »Willst du gegen das Gesetz verstoßen?«
Fretnorc rollte mit den Augen und hob die Hände.
»Freund und Kampfgefährte«, sagte er verzweifelt. »Für das, was wir bis heute an Ungesetzlichem angestellt haben, ist uns der Tod sicher. Auf einen Einbruch kommt es da wahrlich nicht mehr an.«
»Wir haben nur die verbrecherischen Gesetze Orbanaschols übertreten«, erinnerte ihn Polc-Tanier sanft. »Und dies auch nur, weil die Sorge um das Imperium uns zwang, sozusagen aus Notwehr.«
»In einer Notlage befinden wir uns auch diesmal«, begehrte Fretnorc auf. »Wir haben nämlich keine andere Wahl. Ich habe mich umgesehen und umgehört, es gibt keinen anderen Weg.«
Polc-Tanier lächelte verhalten. »Oh, das Ungestüm der Jugend«, zitierte
er. »Mit Geduld und Besonnenheit werden wir schon einen anderen Weg finden. Bevor ich ein Gesetz übertrete, will ich genau wissen, ob dies unvermeidlich ist oder nicht.«
»Es ist unvermeidlich«, beharrte Fretnorc. »Ich habe alle nur denkbaren Möglichkeiten analysiert und ausgekundschaftet. Es gibt keinen anderen Weg, glaube mir.«
»Und wer ist dieser merkwürdige Gewährsmann, von dem du deine Kenntnisse der Pejolcschen Halbwelt beziehst?«
Fretnorc erklärte kurz, welchem Gewerbe Barlik nachging. Polc-Tanier schüttelte entgeistert den Kopf.
»Du glaubst einem Menschen, der kaltblütig andere Menschen verletzt oder sogar tötet – und das nur um des schnöden Profits willen?«
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Fretnorc schwieg betroffen. Schließlich konnte er dem alten Mann nicht erklären, daß er selbst nahe daran gewesen war, Barlik den Hals umzudrehen. Für dergleichen Dinge hatte der alte Polc-Tanier wenig Verständnis.
»Wer krank ist, sucht einen Arzt auf«, sagte Fretnorc langsam. »Wer Informationen über Geologie braucht, bemüht einen Geologen. Und wer etwas über illegale Geschäfte wissen will, tut gut daran, einen Mann zu befragen, der selbst illegale Geschäfte betreibt. Wen hätte ich sonst fragen sollen, die Polizei vielleicht?«
»Das stimmt«, räumte Polc-Tanier zu Fretnorcs Erleichterung ein. Er stand auf und ging zum Fenster hinüber.
Es war früher Morgen, der Horizont wurde von der aufsteigenden Sonne rötlich verfärbt. Es war die Tageszeit, in der fast alle Bürger Pejolcs schliefen – der Schwarm der Nachtbummler hatte sich gerade erst zur Ruhe begeben, den anderen blieben noch kostbare Viertelstunden, bis sie der Wecker aus dem Schlaf und an die Arbeit treiben würde.
»Wann willst du losschlagen?« fragte Polc-Tanier, ohne sich umzudrehen.
»Morgen«, schlug Fretnorc vor. »Morgen nacht, etwas früher als um diese Tageszeit. Ich habe das Wettbüro bis vor einer Stunde beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt war seit mehr als einer Stunde kein Mensch mehr in den Räumen.«
»Sicherungen?« Fretnorc schüttelte den Kopf. »Soweit ich sehen konnte, gibt es keine
Alarmanlagen«, verkündete er. »Es wird einfach werden, glaube ich.«
Polc-Tanier drehte sich um und lächelte schwach.
»Nichts«, verkündete er mit der Überlegenheit des Alters, »ist einfach, es sieht nur manches so aus.«
Dieser Weisheit hatte Fretnorc nichts entgegenzusetzen. Er fühlte sich müde und erschöpft, und er war ehrlich genug, sich einzugestehen, daß er auch nicht mehr nüchtern war. Der Abschied von Barlik war etwas
Peter Terrid
feucht ausgefallen. »Ich lege mich schlafen«, verkündete
Fretnorc. »Nur zu«, sagte Polc-Tanier gönnerhaft.
»Ich werde mich erst in zwei Stunden hinlegen.«
Um so besser, dachte Fretnorc. Dann werde ich beim Einschlafen wenigstens nicht alle halbe Stunde von einem Hustenanfall erschreckt.
*
Die beiden Männer gingen langsam und gemächlich, einer von ihnen schwankte lebhaft, und sein Gefährte hatte ziemliche Mühe, ihn vor dem Umfallen zu bewahren. Einige Nachzügler, die sich auf den Heimweg machten, sahen das seltsame Gespann und lächelten amüsiert.
Üblicherweise zog der Vater aus, um seinen betrunkenen Sohn nach Hause zu holen. In diesem Fall schienen die Rollen vertauscht. Der Betrunkene war ein alter Mann, dessen Äußeres verriet, daß er in einem Sanatorium weit besser aufgehoben war als in den Spelunken entlang der Zoltral-Avenue. Seine Stütze – vermutlich sein Sohn – war ein kräftiger junger Mann, dem man weit eher zutraute, daß er einmal über die Stränge schlug.
Fretnorc kümmerte sich nicht um die Blicke, die ihm und Polc-Tanier galten. Für seinen Geschmack spielte Polc-Tanier die Rolle des angetrunkenen alten Herrn entschieden zu gut. Fretnorc hatte allerhand zu tun. Polc-Tanier lallte leise einige Verse mit einem Vokabular, das Fretnorc bei seinem Kameraden niemals vermutet hatte. Immer wieder ließ sich Polc-Tanier schwer auf Fretnorcs Schultern sinken, er stolperte über seine eigenen Füße. Zu Fretnorcs größtem Staunen hatte er bisher nicht ein einziges Mal gehustet. Simuliert der Alte vielleicht?
»Mach dich nicht ganz so schwer!« zischte Fretnorc. »Wenn du zu dick aufträgst, kommt bald ein Gleiter der Polizei und schleppt dich in eine Ausnüchterungszelle!«
21 Einsatzgruppe Pejolc
»Du hast keinen Respekt, Sohn«, stammelte Polc-Tanier. »Nimm dich zusammen, wenn du mit deinem vor Sorgen frühzeitig gealterten Vater sprichst!«
Eine ältere Dame, die den kurzen Dialog gehört hatte, nickte zustimmend und sah Fretnorc verweisend an. Fretnorc errötete leicht.
»Wir sind bald am Ziel«, flüsterte er in Polc-Taniers Ohr. »Und wenn du dich nicht zusammennimmst, lasse ich dich auf die Straße fallen. Dann kannst du zusehen, wo du bleibst!«
Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Polc-Tanier rasch die Umgebung musterte. Natürlich war Polc-Tanier nüchtern, und die Aufmerksamkeit und Konzentration, mit der er blitzartig die Umgebung kontrollierte, verriet deutlich, warum der alte Mann zu dem Einsatzkommando gehörte, das Atlan für Pejolc abgestellt hatte. Ohne triftige Gründe hätte der Kristallprinz niemals einen so kränklich wirkenden Mann für ein solches Risikounternehmen eingesetzt.
Eine Gasse tauchte auf, eine schmale, dunkle Öffnung zwischen zwei Häusern. Die Gasse war nicht erleuchtet, nur die ersten Meter wurden von den Straßenlaternen erhellt, die für die Zoltral-Avenue gedacht waren.
»Ich muß mich ein wenig ausruhen, Sohn«, stöhnte Polc-Tanier vernehmlich und schwankte zur Seite.
Fretnorc folgte der Bewegung sofort. Für einen unvoreingenommenen Beobachter mußte es so aussehen, als wollte sich der alte Mann ein wenig ausruhen, wahrscheinlich auf einer Treppenstufe.
Fretnorc sah sich vorsichtig um. Für eine halbe Minute war niemand auf der Zoltral-Avenue zu sehen, und sofort rannten die beiden Männer los. Polc-Tanier legte ein Tempo vor, das Fretnorc in höchstes Erstaunen versetzte. Nach dem Keuchen und Pusten zu schließen, mit denen Polc-Tanier seine Hustenanfälle einzuleiten pflegte, hätte er nach zehn Metern bereits atemlos zu Boden sinken müssen.
»Stop!« rief Fretnorc halblaut. »Der Eingang ist hier!«
Er deutete auf eine Tür, die sich in der Dunkelheit der Gasse kaum vom Hintergrund der Hauswand abhob. »Hier muß das Büro sein!«
»Haupt- und Nebeneingang?« »Nebeneingang«, erklärte Fretnorc. Polc-Tanier beschäftigte sich mit dem
Schloß. »Hmm!« machte er. Er war nicht sehr erfreut, als er feststellen
mußte, daß es sich um ein Impulsschloß handelte, das sich nur öffnete, wenn die Handfläche des Besitzers auf die Kontaktplatte gedrückt wurde.
Polc-Tanier holte einen kleinen Kasten aus der Tasche, die er über die Schulter gehängt hatte. Der Kasten war ein positronisch gesteuerter Impulsgeber, der dem Impulsschloß der Tür die exakt gleiche Kombination von Daten überspielen sollte, die auch der echte Handdruck geliefert hätte. Polc-Tanier ging mit der Nase dicht an das Schloß und schnüffelte. Ein zufriedenes Lächeln flog über sein Gesicht.
»Das Schloß ist auf eine Frau eingestellt«, erklärte er triumphierend.
»Und?« fragte Fretnorc achselzuckend. »Was ist daran besonders?«
Polc-Tanier verzichtete darauf, den Sachverhalt zu erklären.
Eine der ersten Informationen, die das Impulsschloß anmaß, waren Umfang und Größe der Hand und der einzelnen Finger. Da Frauen im allgemeinen schlankere Hände hatten als Männer, war dies verhältnismäßig leicht anzumessen:
Es gab viele Impulsschlösser, und dieses war eines davon, die als erstes Männlichkeit oder Weiblichkeit prüften. Dies wurde um so schwieriger, je geringer die Abweichung der zu messenden Hand vom errechneten Mittelwert war.
Es erleichterte dem Impulsgeber die Arbeit, wenn dieses Problem schnell zu korrigieren, die er beim Durchprobieren unweigerlich machen mußte, mußte er nach eini
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ger Zeit die richtigen Datenkombinationen finden, die die Tür öffnen würde. Im anderen Fall wurde automatisch ein Alarm ausgelöst, der binnen weniger Minuten die Polizei auf den Plan rufen mußte.
Es knackte leise, als die Riegel des Schlosses zurückgezogen wurden. Polc-Tanier steckte den Impulsgeber weg und stieß die Tür auf. Fretnorc sicherte unterdessen die Gasse. Er gab Polc-Tanier ein Zeichen. Die Luft war rein.
Rasch schlüpften beide Männer in das Innere des Gebäudes.
Der Strahl eines kleinen Scheinwerfers glitt durch das Dunkel. Sorgfältig achtete Fretnorc darauf, daß der Lichtschein sich nur am Boden bewegte. Als erstes galt es, die Fenster zu entdecken, durch die der Lichtschein verräterisch an die Außenwelt dringen konnte. Fretnorc entdeckte vier Fenster, drei davon mit heruntergelassenem Sichtschutz. Vorsichtig, um kein Möbelstück umzuwerfen, ging Fretnorc zu dem vierten Fenster hinüber und aktivierte auch hier den Sichtschutz. Dann erst gab er Polc-Tanier das Zeichen, daß das Licht eingeschaltet werden durfte.
Einen Augenblick lang schloß Fretnorc die Augen, als die großen Leuchtkörper an der Decke den Raum mit greller Helligkeit erfüllten. Dann sah er sich rasch und gründlich um.
Auf den ersten Blick war zu sehen, daß dieses Büro illegal betrieben wurde. Sämtliche Einrichtungsgegenstände waren entweder schäbig und alt, oder aber so leicht konstruiert, daß sie in kürzester Zeit abtransportiert werden konnten. Zu der zweiten Gruppe zählte vor allem ein transportabler Rechner, der naturgemäß nur eine geringe Kapazität haben konnte. Immerhin, für die Zwecke eines illegalen Wettbüros würde es ausreichen, überlegte sich Fretnorc.
Polc-Tanier machte sich als gelernter Positroniker sofort daran, den Rechner einer gründlichen Kontrolle zu unterziehen. Nach kurzer Zeit verzog er enttäuscht das Gesicht.
»Nichts«, stellte er niedergeschlagen fest.
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»Die Positronik hat nur die Wettbeträge gespeichert, die Quoten und die Deckadressen der Wetter. Falls es dich interessiert – die Amnestie-KAYMUURTES sind in diesem Programm nicht enthalten.«
»Also keine Aussage?« fragte Fretnorc enttäuscht.
Polc-Tanier zuckte mit den Schultern. »Keine Aussage«, wiederholte er. »Wir wissen also immer noch nicht, ob
Atlans Anmeldung registriert worden ist.« »Vielleicht findet sich hier etwas«, meinte
Fretnorc und deutete auf den Panzerschrank. »Ich vermute, daß der Inhaber …«
»Inhaberin«, verbesserte Polc-Tanier pedantisch.
»… Inhaberin also, nicht nur ihre Frühstücksutensilien darin verstaut hat.«
»Möglich«, murmelte Polc-Tanier und trat näher. Neugierig musterte er den Panzerschrank und wiegte nachdenklich den Kopf.
»Das Ding gefällt mir nicht«, erklärte er, während er sich am Kopf kratzte. »Ich bin kein gelernter Safeknacker, aber ich verstehe genug davon, um zu wissen, daß dieser Panzerschrank ein überaus harter Brocken ist. Ich werde mindestens zwei Stunden brauchen, um ihn aufzubekommen.«
Diesmal war es Fretnorc, der sich hinter dem Ohr kratzte.
»Zwei Stunden?« murmelte er. In zwei Stunden würde es auf der Straße
so hell sein, daß die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet werden konnte. Vielleicht kehrte der Inhaber des Büros zurück, es konnte auch sein, daß sich ein Kunde meldete. Vor allem war es zu bedenken, daß dann eine Flucht in vollem Tageslicht stattfinden mußte.
»Versuche es«, entschied Fretnorc. Polc-Tanier zog ironisch die Brauen in die Höhe. Natürlich war er derjenige, der im Zweifelsfall Anweisungen und Befehle zu geben hatte.
Fretnorc setzte sich auf einen freien Stuhl und sah zu, wie Polc-Tanier dem Tresor zu Leibe rückte. Das Schloß eines Panzer
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schrankes zu knacken, war eine erheblich schwierigere Aufgabe als das Öffnen eines Türimpulsschlosses. Wieder mußte der Impulsgeber in Aktion treten, aber zuvor mußte Polc-Tanier ihn für seine neue Aufgabe umprogrammieren. Was das bedeutete, konnte nur ein Positroniker ermessen.
Impulsgeber wurden im allgemeinen gebrauchsfertig geliefert, zwar nicht von Kaufhäusern, wohl aber vom schwarzen Markt für Gebrauchsartikel der Unterwelt. Natürlich konnten solche Geräte auch zum Öffnen von Safes verwendet werden, dann aber waren sie entschieden teurer – die Arbeit, ein entsprechendes Programm einzuspeisen, war wesentlich höher. Ein professioneller Einbrecher hätte in diesem Fall zwei Impulsgeber mitgenommen, einen für die Tür und den zweiten für das Schloß des Panzerschranks. Jetzt fiel Polc-Tanier die undankbare Aufgabe zu, den Impulsgeber umzuprogrammieren, und das mit einem Minimum an Werkzeug.
Das eigentliche Öffnen des Schrankes würde vermutlich nur zehn Minuten in Anspruch nehmen, die restliche Zeit würde Polc-Tanier für das neue Programm brauchen.
Fretnorc wußte, daß er bei dieser kniffligen Arbeit nur hinderlich sein konnte, also zog er sich in einen Sessel zurück und wartete ab. Bereits nach wenigen Minuten war seine Geduld erschöpft, er stand auf und ging zur Tür. Dort war nichts Auffälliges zu entdecken. Aus dem Fenster zu sehen, verbot sich von selbst, und ein Bücherfreund war der Inhaber des Büros auch nicht. Langeweile begann Fretnorc zu plagen.
Er wußte, daß er jetzt nicht aufstehen und im Raum auf und ab laufen durfte, wie er es normalerweise wahrscheinlich getan hätte. Deshalb begann Fretnorc mit der Gründlichkeit des zu Tode Gelangweilten, die Papiere auf dem Schreibtisch durchzusehen. Zu seinem Leidwesen fand er nur statistische Berechnungen, ein wenig geschäftliche Korrespondenz und eine zehn Tage alte Zeitung. Eine halbe Stunde beschäftigte sich Fretnorc
damit, das Blatt von der ersten bis zur letzten Zeile durchzulesen, er ließ nicht einmal die Anzeigen aus.
Eine Reihe von Annoncen erregte sein Interesse. Es handelte sich um die Werbeaktion einiger großer Agenturen, die – ihren Sprüchen nach zu schließen – dem von ihnen betreuten Kämpfer den Sieg im Finale geradezu garantierten. Dies allerdings gegen entsprechend hohe Honorare.
Fretnorc faltete die Zeitung wieder zusammen und legte sie zurück. Er war kein sonderlich ordentlicher Mensch, aber bei einer Situation wie dieser war er von peinlicher Genauigkeit. Nicht das kleinste Zeichen würde dem Besitzer am nächsten Tag verraten, daß ein Fremder in den Papieren herumgewühlt hatte. Fretnorc sorgte sogar dafür, daß die Eselsohren wieder so erkennbar waren wie zuvor.
»Fertig?« erkundigte er sich bei Polc-Tanier. Der Alte schüttelte unwillig den Kopf.
»Es ist schwieriger, als ich dachte«, murrte er.
In diesem Augenblick hörte Fretnorc ein Geräusch. Schritte näherten sich der Tür.
5.
»Verschwinden wir!« stieß er zwischen zusammengepreßten Kiefern hervor. »Es kommt jemand!«
Es blieb keine Zeit herauszufinden, um wen es sich handelte. Wenn es lediglich die Besitzerin des Büros war, hätte man sie vielleicht kampfunfähig machen können. War es aber die Polizei, die sich aus irgendwelchen Gründen für das Büro interessierte, dann galt es, schnellstens das Weite zu suchen.
»In den Keller!« zischte Fretnorc. Er rannte als erster los und löschte dabei
das Licht. Als er sich umdrehte, um die Treppe erreichen zu können, stieß er mit dem Unterschenkel gegen einen harten Gegenstand. Fretnorc stöhnte unterdrückt auf. Offenbar war er gegen den Verschluß des Panzerschranks gerannt. Er biß die Zähne
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zusammen, während er sich bückte, um nach einem freien Weg zu tasten. Dabei bekam er den Verschluß zu fassen.
Am liebsten hätte er laut aufgelacht. Der Panzerschrank war überhaupt nicht
verschlossen gewesen. Es hätte nur eines Griffes bedurft, um ihn zu öffnen. Zu Fretnorcs Leidwesen blieb ihm jetzt keine Zeit mehr, aus dieser Erkenntnis Kapital zu schlagen. Das einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, mit einem raschen Griff in den Panzerschrank das zu nehmen, was sich gerade fand. Fretnorc griff zu und fühlte raschelnde Papiere zwischen seinen Fingern. Leise knackend wurde die Tür geöffnet.
Fretnorc fand gerade noch die Zeit, das Bündel Papiere an sich zu nehmen und die Tür des Panzerschranks wieder zu schließen, dann war es für ihn höchste Zeit, das Weite zu suchen.
Er hatte aufs Geradewohl gesagt, daß Polc-Tanier in den Keller flüchten sollte. Jetzt blieb nur zu hoffen, daß es einen solchen Keller überhaupt gab. Während Fretnorc hastig flüchtete, erklangen hinter ihm Schritte, und als der junge Mann endlich die Kellertreppe erreicht hatte und sie hinabzusteigen begann, flammte hinter ihm das Licht auf.
Lautlos huschte Fretnorc weiter, die Treppe hinab in das Dunkel des Kellers.
»Polc-Tanier!« rief er unterdrückt. »Hier, Sohn!« Fretnorc spürte eine Hand, die aus dem
Dunkel nach ihm griff. »Komm mit, ich habe einen Ausgang ent
deckt!« Polc-Taniers Stimme bebte vor Erregung.
Hoffentlich bekommt er keinen Hustenanfall, dachte Fretnorc erschrocken, als er diese Stimme hörte. Polc-Tanier zerrte ihn vorwärts. Fretnorc stolperte und wäre fast gestürzt. Unwillkürlich verharrten die beiden Männer.
Waren sie gehört worden? Der Alarmpfiff der Polizei blieb aus. »Weiter!« zischte Polc-Tanier. »Hier ist
eine Öffnung.«
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»Ich rieche es bereits«, murmelte Fretnorc.
Ein widerlicher Gestank schlug ihm entgegen. Offenbar hatte Polc-Tanier trotz der Dunkelheit die Verbindung zwischen dem Haus und der öffentlichen Kanalisation gefunden. Fretnorc wurde bei dem Gestank fast übel.
»Weshalb hast du gezögert?« fragte Polc-Tanier, während er durch das Loch in der Wand kletterte.
»Ich habe noch ein paar Unterlagen zusammengerafft«, erklärte Fretnorc würgend. »Der Panzerschrank war nämlich offen, du Positroniker!«
Fretnorc streckte seine Hand aus, aber in der Dunkelheit fand er sein Ziel nur sehr schlecht. Er kam zu spät, als er seine Hand auf Polc-Taniers Mund legte, hatte dieser seinen ersten Hustenanfall bereits hinter sich.
»Es ist jemand im Keller!« hörten die beiden Männer eine dunkle Stimme rufen. »Ihnen nach!«
»Jetzt müssen wir uns wirklich beeilen«, knurrte Fretnorc. »Hör auf zu husten und komm mit!«
Jetzt war er derjenige, der den anderen voranschleppte und zerrte. Es war stockdunkel in dem Kanal, dessen Luft erfüllt war mit einem Gestank, den Fretnorc kaum ertragen konnte. Es hatte den Anschein, als seien sie in die Hauptader des städtischen Kanalsystems von Keme geraten, die die gesammelten Abwässer der Riesenstadt dem Meer zuführte. Geklärt wurde der faulende Schlamm leider erst in der Nähe der Küste.
Bis zu den Knöcheln watete Fretnorc in der Brühe, die er nicht sehen konnte, deren Geruch aber mehr als genug über ihre Zusammensetzung aussagte. Langsam begann Fretnorc die Gefahr, kopfüber in diesen Schlamm zu fallen, mehr zu fürchten als das Risiko, von den Verfolgern erwischt zu werden. Die Jäger erlaubten sich zudem den entscheidenden Fehler, sich mit lauten Zurufen zu verständigen. So erleichterten sie ungewollt die Flucht der Arkoniden.
25 Einsatzgruppe Pejolc
Als die Geräusche der Jäger schwächer wurden, wagte Fretnorc zum ersten Mal, den Scheinwerfer einzuschalten. Unwillkürlich schloß er angeekelt die Augen, als er sah, durch was er in den letzten Minuten gestapft war.
»Hätte ich doch nur Nasenfilter mitgenommen«, stöhnte er angewidert.
Ein Seitenkanal wurde sichtbar. Fretnorc deutete auf die Öffnung, und Polc-Tanier nickte kurz. Rasch verschwanden die beiden Männer in dem neuen Kanal. Er war wesentlich schmaler als der Hauptkanal, dafür aber war die Strömung entschieden stärker. Die Männer brauchten alle Kräfte und ein Höchstmaß an Konzentration, um nicht von der Strömung umgerissen zu werden.
Immer weiter ging die Flucht, nicht so schnell wie zuvor, aber mit gleicher Energie. Jetzt galt es, aus diesem Labyrinth einen Ausweg zu finden. Fretnorc hatte nicht die leiseste Ahnung, unter welchem Viertel der großen Stadt er sich bewegte. Sein Orientierungssinn hatte im Dunkel völlig versagt.
»Hier ist etwas!« flüsterte Polc-Tanier plötzlich. »Eine Leiter!«
»Endlich!« seufzte Fretnorc erleichtert auf. »Laß mich nachsehen, wohin die Leiter führt. Nimm solange die Papiere!«
Er drückte das Bündel in die Hände seines Partners und begann den Aufstieg. Die Leiter war lang, mindestens dreißig Meter führte sie senkrecht in die Höhe. Fretnorc fühlte sein Herz wie rasend schlagen, als er das Ende erreichte. Vor seinen Augen schien das Dunkel des Schachtes mit seltsamen, bunten Leuchtkörpern erfüllt zu sein, die vor den geschlossenen Lidern ein verwirrtes Ballett aufführten.
Der Leiterschacht wurde oben von einem Deckel abgeschlossen. Vergeblich suchte Fretnorc nach einem Knopf oder einem Hebel, mit dem man einen Öffnungsmechanismus hätte betätigen können.
»Geiziges Volk!« schimpfte Fretnorc unterdrückt.
Ihm blieb nichts anderes übrig, er mußte den Deckel in die Höhe stemmen. Für einen
Mann seiner Statur sollte dies eigentlich ein leichtes sein, aber Fretnorc mußte sich dennoch erheblich anstrengen, bis er die schwere Platte in die Höhe und dann zur Seite gewuchtet hatte.
Über seinem Kopf waren Geräusche zu hören, Maschinengeräusche, wie Fretnorc nach kurzem Hinhören feststellte. Langsam schob sich der junge Mann in die Höhe. Am fehlenden Luftzug spürte er sofort, daß er sich in einem geschlossenen Raum aufhielt. Offenbar war er in einem anderen Keller wieder aus der Unterwelt aufgetaucht.
Fretnorc wartete einige Zeit, dann schaltete er den Scheinwerfer ein. Mehr als nackten Beton bekam Fretnorc nicht zu sehen, außer einer stählernen Tür. Die Tür führte in einen Nebenraum, aus dem die Maschinengeräusche kamen. Vorsichtig schlich sich Fretnorc näher, und ebenso vorsichtig öffnete er die Tür.
Der erste Blick verriet, daß er offenbar in einer städtischen Anlage aus dem Boden hervorgekrochen war. Maschinen solcher Abmessungen konnte sich kein Privatmann leisten. Auch die Maschinenhalle war leer. Der einzige Ausgang lag auf der gegenüberliegenden Seite und war verschlossen.
Erfrischend kühle Luft schlug Fretnorc entgegen, als er die Tür öffnete. Er schätzte die Temperatur auf knapp 12 bis 14 Einheiten, ein wenig ungewöhnlich für einen Raum, der offenkundig klimatisiert war.
Erst beim zweiten Hinsehen begriff Fretnorc, wo er gelandet war. Seine Augen weiteten sich.
*
»Du hältst es nicht für möglich«, berichtete er Polc-Tanier. »Ich kann es selbst kaum glauben.«
»Solange du mir nicht erzählt hast, was du gesehen hast, kann ich dazu keinen Kommentar abgeben.«
»Du errätst nie, wo wir gelandet sind«, kicherte Fretnorc. »Genau unter dem Amtssitz des Gouverneurs. Der merkwürdig tief tem
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perierte Raum war nichts anderes als der Weinkeller des hohen Herren. Zehntausende von Flaschen, alle mit dem persönlichen Siegel des Gouverneurs.«
Polc-Tanier verschlug es die Sprache. Die Vorstellung, daß zwei Rebellen auf
der Flucht ausgerechnet im Palast des Gouverneurs erscheinen sollten, hatte etwas ungemein Befremdliches. Wahrscheinlich wären sie nach Verlassen des Weinkellers keine zehn Schritte weit gekommen.
»Hast du wenigstens eine Flasche mitgenommen?« erkundigte sich Polc-Tanier hoffnungsvoll.
»Keine einzige«, erklärte Fretnorc seufzend. »Die Flaschen waren durchnumeriert, da gab es keine Chance.«
Minutenlang schwiegen die beiden Männer niedergeschlagen. Da war man unter Lebensgefahr bis an das Heiligtum des Palasts gekommen, – wenn auch zugegebenermaßen unfreiwillig –, und dort durfte man von den Köstlichkeiten nicht einmal eine kleine Stichprobe mitnehmen.
»Das Leben ist wahrlich hart«, seufzte Polc-Tanier wehmütig. »Und was nun?«
Fretnorc improvisierte eine Stadtkarte, indem die Linie mit dem Scheinwerfer auf das Gestein des Kanals zeichnete.
»Hier ist ein Gouverneurspalast, und unter dem Gebäude stecken wir. Folglich muß einige hundert Meter westlich eine Station der Magnetuntergrundbahn zu finden sein. Ich schlage vor, wir schleichen uns dorthin und tauchen in der Menge der Passagiere unter.«
Polc-Tanier sah an sich herab. In dieser Aufmachung konnte von einem »Verschwinden« schwerlich die Rede sein. Allein die Duftspur hätte gereicht, sie unter Millionen ausfindig zu machen.
»Vorher müssen wir uns säubern«, bestimmte er.
Fretnorc lachte laut auf. »Wir befinden uns sozusagen im absolu
ten Zentrum des Sauberkeitssystems von Keme«, kicherte er. »Aber du hast recht, erst müssen wir uns baden.«
Schlagartig kam ihm das Absurde der Si-
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tuation zum Bewußtsein. Die Abwasserleitungen sämtlicher Duschen und Bäder der Stadt Keme mündeten in diesen Kanal, aber es sah ganz danach aus, als hätten Polc-Tanier und Fretnorc keinerlei Möglichkeit, ihrerseits in ein Bad einzudringen.
Noch einmal zeichnete Fretnorc mit dem Scheinwerfer eine Karte auf die Wand des Kanals, nachdenklich betrachtete er die Wanderung des Strahls.
»Wenn ich mich richtig erinnere«, murmelte er, »gibt es hier« – er deutete mit dem Scheinwerferstrahler auf ein Stück seiner imaginären Karte – »eine öffentliche Badeanstalt. Mit etwas Glück müßten wir den Zugang finden. Das dürfte der einzige Ort in Keme sein, wo ein einzelner Abwässerkanal groß genug ist, um uns durchzulassen.«
Polc-Tanier nickte nachdenklich.
*
Die Sache war einfacher, als Fretnorc gedacht hatte. Sie brauchten eine knappe halbe Stunde, um den Abfluß der Badeanstalt zu erreichen. Eine weitere, kräfteraubende Stunde brauchten sie, um sich gegen die reißende Strömung bis zum Ende des Schachtes durchzukämpfen. Noch einmal mußte sich Fretnorc anstrengen, um den Deckel des Schachtes beiseite zu räumen.
Leise bewegten sich Fretnorc und Polc-Tanier durch die verlassenen Räume. Die größte Gefahr für die beiden Männer bestand jetzt darin, daß sie sich in die Abteilung für Damen verirrten und dort eine unerfreuliche Sensation auslösten. Als Fretnorc das erste entsprechende Hinweisschild entdeckte, atmete er erleichtert auf. Dem Lärmpegel nach zu schließen, war das Bad zu dieser Stunde gut besucht, daher war nicht daran zu denken, einfach durch die Menschenmenge hindurchzulaufen und zu verschwinden. Sie mußten sich behutsam durchschlängeln und durften um keinen Preis auffallen.
Ein verlassener Umkleideraum gab ihnen die erste Chance. Die beiden Männer wuschen sich oberflächlich und ließen ihre pe
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netrant stinkende Kleidung in einem Behälter für Schmutzwäsche verschwinden. Dann versorgten sie sich aus dem angrenzenden Magazin zwei Anzüge, wie sie vom Aufsichtspersonal getragen wurden. Mit dieser Uniform erwies es sich als leicht, in die belebteren Räumlichkeiten vorzudringen.
»Das Dampfbad!« flüsterte Polc-Tanier. Seine Stimme hatte einen sehnsüchtigen Unterton. Fretnorc lächelte verständnisvoll.
Noch immer hing den beiden Männern ein stark verdächtiges Aroma nach Kanalisation an. Es wurde höchste Zeit, diesen verräterischen Geruch loszuwerden.
Innerhalb des Bades gab es keine Kontrollen. Die Chancen waren günstig.
Zum zweiten Mal wechselten die beiden Männer die Kleidung. Die Uniform der Aufseher ließen sie verschwinden, dann reinigten sie sich so gründlich, wie es die Möglichkeiten des Bades zuließen.
»Ich wüßte gern, wen es erwischt hat«, sagte Fretnorc grinsend, als er die frische Kleidung überstreifte. Er hatte sie aus dem Reinigungsschrank geholt, wo sie auf ihren Besitzer wartete. Das kleine Impulsschloß des Schrankes zu knacken, war für Polc-Tanier nicht mehr als eine Fingerübung gewesen.
In einigen Stunden spätestens würde es im städtischen Bad allerhand Aufregung geben, dann nämlich, wenn zwei hochgestellte Herren feststellen mußten, daß sie ihrer Kleidung verlustig gegangen waren. Fretnorc fand ein stilles Vergnügen daran, sich die Szenen auszumalen, die sich dann abspielen würden. Zwei empörte Männer, ein halbes Dutzend verschreckter Aufseher und ein peinlich betroffener Leiter der Badeanstalt. Fretnorc fand es schade, daß er dem Spektakel nicht selbst beiwohnen konnte.
»Sieh einmal, was ich gefunden habe«, sagte Fretnorc grinsend und brachte eine beachtliche Menge Chronners zum Vorschein. »Unser Freund scheint es mit Bargeld zu halten.«
»Leg das Geld wieder zurück«, forderte ihn Polc-Tanier auf. »Wir sind schließlich
nicht nach Keme gekommen, um uns persönlich zu bereichern!«
Das klang moralisch einwandfrei, aber Fretnorc dachte an die Konzentratnahrung, die zum Mittagessen auf ihn wartete. Während Polc-Tanier sich mit seinen Kleidern beschäftigte, ließ Fretnorc die Chronners schnell in seinen Taschen verschwinden. Geräuschvoll schloß er dann den Reinigungsschrank.
»Fertig!« verkündete er. »Wir können gehen!«
Die Ausstattung des Badehauses entsprach dem Luxus, in dem die Bürger von Keme zu leben gewohnt waren. Für jedes nur denkbare Reinigungsverfahren gab es eigene Abteilungen, angeschlossen waren eine wohlausgestattete Parfümerieabteilung, mehrere Restaurants, dazu Juwelierläden, Kleidungsgeschäfte und Büchereien.
Unbehelligt verließen die beiden Männer die Anstalt. Sie lächelten sich zu, als sie die freie Straße erreicht hatten. Das erste Abenteuer war bestanden, ohne daß es zu einer Katastrophe gekommen war. Langsam schlenderten Polc-Tanier und Fretnorc die Straße entlang. Zu dieser Tageszeit wäre eine schnellere Bewegungsart nur aufgefallen. Wer zu arbeiten hatte, saß in den Büros; die Menschen, die sich um diese Zeit auf den Straßen bewegten, brauchten nicht zu arbeiten. Nach einigen Minuten erreichten Fretnorc und Polc-Tanier die nächste Station der Magnetbahn, die sie in kurzer Zeit zu ihrem Quartier brachte.
6.
»Nichts!« schnaubte Fretnorc verächtlich. »Listen über Listen, aber nichts, was wir gebrauchen könnten. Aufstellungen vom Delikatessenhändler, vom Schneider und so weiter. Nichts, was mit den KAYMUURTES zu tun hätte!«
Polc-Tanier zog die Stirn in Falten. »Überhaupt kein Hinweis?« fragte er
zweifelnd. Wütend warf Fretnorc das Bündel Papier
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auf den Tisch zurück. »Sieh selbst nach, ob du etwas findest!« Bedächtig machte sich Polc-Tanier daran,
die Papiere durchzusuchen. Er hatte beobachtet, daß Fretnorc die Listen nur durchgeblättert hatte. Es war typisch für das Naturell des Jüngeren, daß er nach diesem oberflächlichen Versuch sofort aufgegeben hatte.
Zu seinem Leidwesen mußte Polc-Tanier feststellen, daß auch er keine Liste finden konnte, die etwas mit den Kampfspielen zu tun gehabt hätte.
»Kaum zu glauben«, murmelte er nachdenklich, dann erhellten sich seine Züge.
Es war ziemlich widersinnig, derart belanglose Aufstellungen in den Panzerschrank zu legen, selbst wenn der Safe nicht verschlossen war. Wichtige Dokumente, Geld und der vor dem Chef zu versteckende Schnaps gehörten in Panzerschränke, nicht aber Abrechnungen vom Delikatessenhändler. Wenn diese Papiere dennoch im Safe gelegen haben, dann mußte es dafür einen Grund geben.
Polc-Tanier kalkulierte weiter. Niemand der bei Sinnen war, ließ einen
schweren und teuren Panzerschrank offenstehen, es sei denn …
Polc-Tanier lächelte verlegen. Es war der alte, immer wieder neue Trick.
Wer etwas zu verstecken hatte, konnte zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Die eine bestand darin, das geheimnisvolle Dokument bestmöglich zu verstecken, so, daß es niemand finden konnte. Diese Methode hatte ihre Vorteile, aber auch einen großen Nachteil. Es gab nicht sonderlich viele Möglichkeiten, ein Dokument unsichtbar zu machen. Vor allem dann, wenn Spezialisten am Werk waren, fanden sie die meisten Verstecke.
Die andere Möglichkeit bestand darin, das Gesuchte offen zu präsentieren. Selbst ausgefuchste Spezialisten fielen immer wieder auf den Trick herein. Wer, der auf der Suche nach geheimen Papieren war, beschäftigte sich schon mit dem vergilbten Lesezeichen in dem Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch liegt?
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Es gab Hunderte von Rätselspielen und Denksportaufgaben, die sich dieses Tricks bedienten. Beispielsweise jenes, bei dem der Ahnungslose aufgefordert wurde, aus sechs gleichlangen Holzstäbchen vier gleichseitige Dreiecke zu bilden, ohne die Stäbchen zu knicken oder zu zerbrechen. Wenn die Stäbchen geschickt auf einem Stück weißen Papier präsentiert wurden, gab es kaum jemanden, der nicht auf den Trugschluß verfiel, die vier Dreiecke müßten in einer Ebene liegen – obwohl davon kein Wort gesagt worden war. Nur wenige schafften es, sich über die psychologische Barriere hinwegzusetzen und die Dreiecke in drei Dimensionen anzulegen. Die Lösung bestand in einem gleichseitigen Tetraeder.
Der Safe hatte offengestanden, und die Papiere darin waren, das verriet schon der erste Blick, vollkommen nutzlos und unwichtig. Weg damit – genau das sollte der Beobachter denken. Gerade die zu dick aufgetragene Bedeutungslosigkeit der Papiere hatte Polc-Tanier stutzig gemacht.
Noch einmal ging er langsam und gründlich die Listen durch. Plötzlich lachte er auf.
»Was gibt es?« forschte Fretnorc. »Hast du eine Spur?«
»Was kostet in Keme ein Kilo Fischbutter von Travnor?« konterte Polc-Tanier lächelnd. Fretnorc rollte mit den Augen.
»Etwas Besseres ist dir nicht eingefallen?« protestierte er.
»Auf dieser Liste ist ein Kilo Fischbutter aufgeführt. Es soll fast einen Chronner kosten – und das ist, selbst wenn man die besonderen Verhältnisse während der KAYMUURTES berücksichtigt, ein Wahnsinnspreis. Zudem wissen wir, daß das Wettbüro von einer Frau geleitet wird. Wenn sie auch nur ein wenig dem klassischen Ideal einer Frau entspricht, wird sie die Preise entschieden besser kennen als ein Mann. Und eine kluge Frau würde niemals travnorsche Fischbutter zu diesem Preis kaufen.«
Fretnorc rang die Hände. »Was soll das?« fauchte er. »Willst du
mir einen Vortrag in Ökotrophologie hal
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ten?« »Wenn du älter wärest und etwas geschei
ter, dann wüßtest du, was ich meine. Dieser Einkaufszettel ist das Dokument, das wir suchen. Unsere kluge Frau hat die Wettliste als Einkaufszettel getarnt, keine schlechte Idee. Welcher Polizeibeamte kommt schon auf die Idee, die aufgeführten Preise mit den Marktverhältnissen zu vergleichen?«
»Und woher weißt du, was ein Kilo Fischbutter von Travnor kostet?«
»Ich hatte einmal eine Partnerin«, verriet Polc-Tanier, und sein Lächeln bekam einen leichten wehmütigen Zug, »die mir den Haushalt nicht führen wollte. Also mußte ich mir selbst helfen, und zufällig mag ich Fischbutter von Travnor.«
Fretnorc hatte inzwischen genug von der Fischbutter gehört. Bevor Polc-Tanier darauf ein philosophisch-politisches Gedankengebäude errichten konnte, fragte Fretnorc:
»Und was steht nun auf der Liste, entschlüsselt meine ich?«
»Das muß ich erst noch herausfinden.« Einem Mann, der die perfektionierte Lo
gik positronischer Gehirne zu seinem Beruf gemacht hatte, konnte die Liste keine großen Schwierigkeiten bereiten. Rasch hatte Polc-Tanier herausgefunden; daß die aufgeführten Delikatessen in verschlüsselter Form die Namen der Teilnehmer enthielt. Die Mengen-und Preisangaben entsprechen den Quoten und den bisher getätigten Einsätzen. Nach einer halben Stunde war die Liste entschlüsselt.
»Man müßte dieses Weib verprügeln«, kommentierte Fretnorc empört das Ergebnis. »Sie hatte also die Frechheit, den Kristallprinzen auf ihrer Liste in der vermaledeiten Fischbutter zu verstecken? Eine Unverschämtheit!«
Polc-Tanier zuckte mit den Schultern. Es war schwierig genug gewesen, aus den Bezeichnungen die Namen herauszutüfteln.
»Was soll's?« fragte er nachlässig. »Wir wissen jetzt immerhin, daß Atlan unter dem Namen Darbeck gemeldet ist. Es wird unter anderem gegen Zordec und Mana-Konyr an
treten müssen, und das wird schwierig werden. Sie werden entschieden höher gewettet als Atlan.«
»Er wird sie schlagen«, behauptete Fretnorc selbstsicher. »Da gibt es überhaupt keinen Zweifel!«
»Deine Zuversicht bleibe dir erhalten«, wünschte Polc-Tanier leise.
Elf Namen hatten auf der Liste gestanden. Elf Verzweifelte, die in einem Kampf auf Leben und Tod ihre einzige Chance sahen. Nur einer der elf würde die KAYMUURTES überleben, einer von elf.
*
»Letzte Nachrichten von Pejolc«, meldete der Funker.
Karmina Arthamin winkte ihn heran. Noch immer standen die drei Einheiten unter ihrem Befehl in der Nähe des Dubnayor-Systems und hielten Wache. Ihre Einsatzmöglichkeiten waren naturgemäß beschränkt. Es war nicht verborgen geblieben, daß das Dubnayor-System zusätzlich von zwei großen Schiffen des Imperiums behütet wurde, und diesen beiden Achthundert-Meter-Riesen hatte Karmina nichts entgegenzusetzen. An ein aktives Vorgehen war daher nicht zu denken. Das einzige, was Karmina zu tun blieb, war, das System zu beobachten und Nachrichten zu sammeln.
»Was gibt es?« »Es scheint nunmehr festzustehen, daß
Orbanaschol nicht an den KAYMUURTES teilnehmen wird.«
Karmina verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
»Ich hatte nie erwartet, daß Orbanaschol gehen würde«, bemerkte sie.
»Verzeihung, ich wollte sagen …« »Sagen Sie es!« Der Funker geriet zusehends in Verwir
rung. Fast tat er Karmina leid, aber sie wußte aus langer Erfahrung, daß es unumgänglich war, ein Raumschiff zu beherrschen, bis jeder an Bord mit der nötigen Präzision arbeitete. Ein undeutlich oder fehlerhaft wie
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dergegebener Funkspruch konnte im Ernstfall lebensgefährlich werden.
»Orbanaschol wird aller Voraussicht nach nicht die Schirmherrschaft über die KAYMUURTES übernehmen.«
»Das klingt schon besser. Quellen?« »Nachrichtensendung von Pejolc. Sie
wurden allerdings noch nicht offiziell bestätigt.«
»Welche Gründe werden für die Absage angegeben?«
»Der Imperator sei leicht erkrankt. Angeblich habe ihn die Schlacht beim Eynorc-System, die er persönlich zu einem glanzvollen Triumph gemacht habe, körperlich und geistig stark beansprucht.«
Karmina lachte unterdrückt und schüttelte den Kopf. Das halbe Imperium wußte mittlerweile, daß die Schlacht im Eynorc-System nicht mehr als ein Geplänkel gewesen war, das zudem noch eine Niederlage gewesen sein sollte. Trotzdem wurde immer wieder in den Nachrichten rühmend davon berichtet, als sei mit dieser Schlacht der Methankrieg entschieden worden.
»Gibt es Nachrichten von Atlan?« »Der Kristallprinz ist auf dem Weg nach
Kraumon. Die Funksprüche von Bord der SLUCTOOK klingen nicht sehr optimistisch.«
»Kein Wunder«, kommentierte Karmina Arthamin bitter. Sie hatte Atlans Flucht nur aus der Ferne über ihre Instrumente beobachten können. Es war bitter genug gewesen.
»Bleiben Sie weiter auf Posten. Vielleicht werden wir doch noch gebraucht!«
Der Funker nickte und zog sich zurück. Er ließ Karmina Arthamin mit ihren bedrückenden Gedanken zurück.
Die Kommandantin wußte, daß die Zeit gegen Atlan und seine Freunde arbeitete. Irgendwann einmal mußte ein Imperiumsschiff Kraumon entdecken, und je größer die Zahl von Atlans Mitstreitern war, desto größer wurde auch die Gefahr für sie. Hundert Menschen konnten schnell von Kraumon verschwinden, bei Tausenden wurde ein
Peter Terrid
kaum lösbares Problem daraus. Natürlich war es von Vorteil, wenn Atlan Freunde und Helfer gewann, aber mit der Größe der Widerstandsorganisation wuchs auch ihre Verletzlichkeit. Vielleicht gelang es der POGIM, einen Mann einzuschleusen, wurde einer aus Geldgier oder Ehrgeiz abtrünnig und verriet seine Freunde.
Die Zukunft sah alles anders als rosig aus. Und zudem schien es, als sei der bisher verwegenste Plan des Kristallprinzen bereits im Ansatz gescheitert. Vielleicht lag es gerade an dieser Kühnheit.
Karmina versuchte sich vorzustellen, was Orbanaschol sagen würde, wenn er entdecken mußte, daß der Sieger der Amnestie-KAYMUURTES ausgerechnet jener Atlan war, dessen Kopf er schon seit Jahren zu haben wünschte. Und Orbanaschol hätte nicht einmal etwas gegen Atlan unternehmen können, jedenfalls nicht offiziell. Wer die Amnestie-KAYMUURTES überstand, ging straffrei aus, was immer er auch in der Vergangenheit angestellt haben mochte.
Jetzt aber sah es so aus, als würde Atlan an den KAYMUURTES nicht einmal teilnehmen können.
*
»Also!« Fretnorc hatte eine Schwäche dafür, seine
Ausführungen mit diesen Worten zu eröffnen.
»Also, wir wissen jetzt, daß Atlan unter dem Namen Darbeck gemeldet ist und an den Spielen teilnehmen kann. Damit ist der erste Teil unseres Auftrags erfüllt. Frage: was unternehmen wir nun?«
Polc-Tanier lächelte über soviel Ungestüm. Er war mit dem bisher Erreichten mehr als zufrieden. Es stand nicht nur fest, daß Atlan gemeldet war. Obendrein konnte man anhand der erbeuteten Wettliste auch feststellen, wie seine Chancen von Außenstehenden beurteilt wurden.
Da bisher niemand etwas von Darbeck gehört hatte, war es nicht verwunderlich, wenn
31 Einsatzgruppe Pejolc
Darbeck als Schlußlicht der Liste figurierte. Wer auf ihn gesetzt hatte, konnte ein Vermögen verdienen, wenn Darbeck Sieger werden sollte.
»Wie wäre es, wenn wir bereits den nächsten Schritt einleiten würden?« schlug Fretnorc vor. Der Erfolg der letzten Tage hatte ihn fast übermütig werden lassen. »Ich habe erfahren, daß die Kämpfer bei den KAYMUURTES ausnahmslos von Kampfagenturen betreut werden.«
»Agenturen?« fragte Polc-Tanier zerstreut. Er hüstelte leicht.
»Kampfagenturen«, wiederholte Fretnorc. »Sie trainieren die Kämpfer, sorgen dafür, daß die Waffen in erstklassigem Zustand sind, und sie beobachten die Bemühungen anderer Kämpfer. Sie spionieren deren Transportmethoden aus, erkunden die Stärken und Schwächen … und so fort. Ich halte es für nötig, daß Atlan ebenfalls bei einer Agentur angemeldet wird.«
Polc-Tanier lächelte etwas verzerrt. Der Hustenreiz wurde fast unerträglich. Es wird Zeit, dachte er, daß ich dagegen etwas unternehme. Wenn dies alles hinter mir liegt, werde ich mir einen schönen ruhigen Planeten als Ruhesitz aussuchen, vielleicht Xoaixo.
»Glaubst du«, fragte er mit leisem Spott, »daß eine der Agenturen Atlan noch etwas beibringen könnte, was Fartuloon ihn noch nicht gelehrt hätte?«
»Auch Bauchaufschneider sind nicht perfekt«, warf Fretnorc ein. »Vor allem bedenke eines. Wenn Atlan von einer Agenturbetreut wird, hat er neue Helfer – zwar nur solche, die gegen Bezahlung arbeiten, aber immerhin Helfer. Das würde unsere Arbeit beträchtlich erleichtern.«
»Mag sein«, räumte Polc-Tanier ein. Ihm behagte der Gedanke nicht, daß Atlan sozusagen unter den Augen der Öffentlichkeit trainieren sollte, wenn das überhaupt nötig war. Vielleicht war es besser, wenn Atlan solange wie möglich im Hintergrund blieb und erst am Vorabend der Kämpfe auf Pejolc eintraf.
»Überlege, Alter: wenn Atlan bei einer Agentur trainiert, ist er ständig von Menschen umgeben, und zwar von ausgesucht guten Kämpfern. Es sind einige Männer darunter, die früher bei den KAYMUURTES gewonnen haben. Er wird viel sicherer sein, wenn er diese Beschützer hat.«
Dieses Argument gab den Ausschlag. »Also gut«, stimmte Polc-Tanier zu. »Wie
hast du dir die Angelegenheit vorgestellt?« »Die drei führenden Agenturen sind die
PEMMAN, die HORCON und die SCC, und von denen scheint mir die SCC die beste zu sein. Wir sollten dort vorsprechen.«
»Einfach so?« »Wenn wir das nicht tun, wie sollten wir
Atlan erreichen und über seine Meldung informieren? Seit die SLUCTOOK geflüchtet ist, wimmelt es in Pejolc von Sicherungsstreitkräften, Geheimagenten, Schnüfflern und Spionen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind unerhört verschärft worden. Nur mit Hilfe einer Agentur können wir Atlan heil und ungefährdet nach Pejolc bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich der Gouverneur mit einer der drei großen Agenturen anlegen will.«
»Gehen wir!« bestimmte Polc-Tanier und erhob sich hüstelnd aus seinem Sessel. »Ich hoffe nur, daß wir damit keinen schwerwiegenden Fehler machen.«
*
Die Magnetbahn brachte Fretnorc und Polc-Tanier ins Zentrum von Keme. In den letzten Tagen waren noch mehr Touristen angekommen, darunter etliche tausend Arkoniden von den Stammwelten des Großen Imperiums. Sie waren an der Haltung unschwer zu erkennen, noch mehr aber an ihrer Fassungslosigkeit, die unverkennbar war, während sie durch die Straßen von Keme flanierten. Vermutlich hatten sie Pejolc, obwohl deren Bewohner reinblütige Arkoniden waren, für eine Art Primitivwelt gehalten. Nun mußten sie feststellen, daß Keme etlichen Städten auf Arkon kaum nachstand.
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Fretnorc und Polc-Tanier tauschten Blicke, als sie eine Gruppe von Arkon-Touristen sahen, die offenbar verwundert waren, daß es in Keme sogar eine robotische Straßenreinigung gab. Es war diese Form von Hochmut und Herrschaftsdünkel, die die Arkoniden bei vielen Völkern so verhaßt gemacht hatten.
Die beiden Männer trugen wieder ihre eigene Kleidung. Es war ihnen zu gefährlich erschienen, in den gestohlenen Kleidungsstücken herumzulaufen. Vielleicht hätte der Besitzer oder einer seiner Freunde die Stücke erkannt und die Polizei alarmiert.
Außerdem hatte Fretnorc das gestohlene Geld seinem Besitzer wieder zustellen lassen. Polc-Tanier hatte weder den Diebstahl noch die Rückerstattung mitbekommen.
Nach kurzem Fußmarsch erreichten die beiden Männer die SCC.
»Alle Wetter!« staunte Polc-Tanier. Eines war gewiß, die SCC war kein Mini-
Unternehmen, vielmehr ein ausgewachsener Konzern, mit etlichen Filialen allein in Keme. Das Hauptgebäude stand in der Nähe des geographischen Zentrums der Hauptstadt, ein Trichterbau, der mehr als hundert Meter in die klare Luft ragte. Auf der Außenwand des Trichters waren die fluoreszierenden Buchstaben des Firmennamens angebracht. Vom Boden aus schraubte sich ein Bildband an der Außenfläche empor. Darauf waren die Männer abgebildet, die durch die Betreuung der SCC Sieger bei den KAYMUURTES geworden waren. Der Länge dieses Bandes nach zu schließen, mußte die SCC überaus erfolgreich gewesen sein.
»Wenn die SCC uns nicht helfen kann?« orakelte Fretnorc. Der Anblick des Gebäudes bestätigte ihn in seiner Meinung, daß der Erfolg für Atlan nur über eine Agentur, am besten der größten, zu erreichen war.
Die beiden Männer betraten das Gebäude. Ein prächtig lackierter Robot nahm sie in Empfang und führte sie zum zentralen Antigravschacht, der sie sanft in die Höhe beförderte. In den Wänden des Schachtes waren weitere Sieger zu sehen. Fretnorc riß er-
Peter Terrid
staunt die Augen auf, als er in einem Relief seinen alten Freund Barlik wiedererkannte. Bei diesem Anblick fühlte sich Fretnorc versucht, sich ebenfalls zu bewerben, natürlich nicht für diese Spiele, wohl aber für die nächsten.
In den Räumen des SCC-Gebäudes herrschte geschäftiges Treiben. Hunderte von Menschen wimmelten scheinbar plan-und ziellos durcheinander. Männern mit zernarbten Gesichtern sorgten für Ordnung auf den Gängen und Fluren. Durch eine Glastür konnte Fretnorc die wütende Gestik eines bulligen Mannes sehen, der sich über irgend etwas zu beschweren versuchte.
»Wir möchten einen Kampf für die KAYMUURTES anmelden«, erklärte Fretnorc am Informationsschalter. »An wen müssen wir uns wenden?«
Der Blick des Angestellten glitt von Fretnorc zu Polc-Tanier und dann wieder zurück. Er zuckte mit den Schultern und winkte dann einen Robot heran.
»Er wird Sie führen«, versprach er. »Zum Aufnahmebüro!«
Ein Quäken des Robots verriet, daß er den Befehl verstanden hatte. Es handelte sich um eine alte Kampfmaschine, die längst außer Dienst gestellt worden war. Zwar trug der Robot immer noch die überschwere Bewaffnung, aber Fretnorc sah sofort, daß es sich nur um Attrappen handelte. Offenbar versuchte die SCC, ihren Ruf dadurch zu steigern, daß sie sich ein möglichst martialisches Gehabe zulegte. Dafür sprach auch, daß die Wände im Inneren des Hauses von Waffen starrten, die aus allen Winkeln der Galaxis zusammengetragen worden waren. Seltsame Exemplare waren darunter, die das Herz jedes Sammlers höher schlagen ließen.
Mit einer abgehackten Bewegung deutete der Robot an, daß das Ziel erreicht war. Fretnorc betätigte den Türsummer.
»Herein!« rief eine energische Stimme.
7.
Der Mann hinter dem schweren Schreib
33 Einsatzgruppe Pejolc
tisch sah seine beiden Besucher prüfend an. Fretnorc taxierte er wie ein Stück Schlachtvieh. Das kleine Schild auf der Fläche des Tisches verriet, daß der Benutzer des Büros Mefgon hieß.
»Sie wünschen?« Mit einer knappen Handbewegung forder
te er Fretnorc und Polc-Tanier auf, Platz zu nehmen.
»Wir wollen einen Kämpfer anmelden. Sie nehmen noch Kunden an?«
»Sicher. Wollen Sie selbst …?« Fretnorc verneinte die an ihn gerichtete
Frage mit einem Kopfschütteln. »Ein Freund von uns, der sich bisher sehr
zurückgehalten hat. Sein Name ist Darbeck.«
Polc-Tanier wartete darauf, daß Mefgon zusammenzuckte, aber der Mann hinter dem Schreibtisch rührte sich nicht.
»Hat er sich schon angemeldet?« wollte er wissen. Fretnorc nickte.
»Lassen Sie mich sehen«, murmelte Mefgon und begann in einer Liste. »Dies hier ist übrigens nur eine Liste der Meldungen. Ob ihr Mann angenommen worden ist, geht daraus nicht hervor. Wir übernehmen die Vertretung natürlich nur dann, wenn die Meldung bestätigt worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt geht der Service auf Kosten des Hauses.«
Mefgon lächelte verbindlich, während er die Liste ein zweites Mal, diesmal mit größerer Aufmerksamkeit, durchstöberte.
»Ich kann hier keinen Darbeck finden, weder in den geschlossenen noch in den offenen KAYMUURTES. Sind Sie sicher, daß Ihr Freund sich auch wirklich angemeldet hat? Es gibt da Fälle …«
»Unser Freund will in den Amnestie-KAYMUURTES antreten«, eröffnete Fretnorc.
Mefgon begann zu lachen. Er lachte so laut und herzhaft, daß ein erschrockener Sekretär die Tür zum Nachbarraum öffnete und verwirrt nach seinem Chef sah. Kichernd wies Mefgon den Mann mit einer Handbewegung zurück.
»Das ist der beste Witz, den ich seit langem gehört habe«, prustete Mefgon. »Sagten Sie wirklich: Amnestie-KAYMUURTES?«
»Das sagte ich«, bestätigte Fretnorc und sah sein Gegenüber verweisend an. Langsam beruhigte sich Mefgon wieder.
»Hören Sie, mein Bester, Sie müssen entschuldigen, daß ich lache, aber ein derartiges Ansinnen ist mir völlig neu. Was sollen wir mit einem Kämpfer für die Amnestiespiele anfangen? Von den Teilnehmern bleibt nur einer am Leben, der ganze Aufwand wäre vergebens. Wir vermitteln Sieger, keine Selbstmörder.«
»Aber …«, begann Fretnorc. Mefgon schnitt ihm das Wort ab.
»Wir würden uns vielleicht dazu bereit erklären, wenn die finanzielle Seite der Angelegenheit stimmen würde. Amnestie-Kämpfer sind aber für gewöhnlich keine reichen Leute. Sie haben sich vergebens herbemüht.«
»Dann werden wir es bei der Konkurrenz versuchen«, erklärte Fretnorc ergrimmt.
»Sparen Sie sich die Mühe«, empfahl ihm Mefgon. »Ich kenne die anderen Agenturen ziemlich genau. Bei allen großen Agenturen werden Sie die gleiche Antwort zu hören bekommen wie bei mir. Geben Sie die Sache auf, niemand betreut Amnestie-Kämpfer, jedenfalls kein seriöses Unternehmen.«
Wieder begann Mefgon zu lachen. »Vielleicht versuchen Sie es einmal mit
HUCCARD«, riet er, lauthals lachend. Fretnorc deutete einen Gruß an und ver
ließ zusammen mit Polc-Tanier den Raum. Noch durch die geschlossene Tür konnte er Mefgons Lachen hören.
»Huccard, hahaha«, hörte er ihn kichern. »Huccard!«
*
Fretnorc zeigte alle Zeichen der Veränderung, als er wieder auf die Straße trat. Mit diesem Ergebnis hatte er gerechnet. Vor allem aber hatten die Bemerkungen Mefgons über die Siegesaussichten bei den Amnestie
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KAYMUURTES ihm zu denken gegeben. Er fragte sich, was er selbst empfinden würde, wenn er bei diesen Spielen angetreten wäre, jederzeit den Tod vor Augen, der entweder ihn selbst ereilen würde, oder den er seinem Gegner zu bereiten hatte. Fretnorc fragte sich, wieso die KAYMUURTES in dieser Kategorie überhaupt noch Spiele genannt wurden.
»Willst du es noch bei den anderen Agenturen versuchen?« fragte Polc-Tanier halblaut.
Fretnorc schüttelte den Kopf. Er glaubte, daß Mefgon die Wahrheit gesagt hatte; er glaubte es um so mehr, als er selbst – in der Rolle eines Agenten – wahrscheinlich ebenfalls darauf verzichtet hätte, einen Todeskandidaten zu betreuen.
»Und Huccard?« Polc-Tanier warf die Frage wie einen Kö
der hin. In den letzten Tagen hatte fast immer Fretnorc die Führung übernommen, jetzt hielt Polc-Tanier die Zeit für gekommen, daß er selbst wieder die Initiative ergriff. Er rechnete damit, daß Fretnorc darauf verzichten würde, den ominösen Huccard zu bemühen. Wenn die SCC und die beiden anderen großen Agenturen auf die Amnestie-Kämpfer verzichteten, dann konnte eine kleine Agentur mit Sicherheit nicht viel ausrichten.
»Ich versuche es!« stieß Fretnorc hervor. »Noch gebe ich nicht auf.«
»Und wo finden wir Huccard?« »Über das Video-Netz«, verkündete Fret
norc. Er hatte gerade eine öffentliche Sprech
stelle entdeckt. Rasch betrat er die Kabine und betätigte die Ruftaste. Der Bildschirm flammte auf und zeigte Sekunden später die ersten Seiten der Teilnehmerkartei. Fretnorc hatte nicht mehr zu tun, als die Liste ablaufen zu lassen und eine zweite Taste zu betätigen, wenn der Name und der Anschluß Huccards von dem Leuchtpfeil der Anzeige berührt wurde.
Rasch ließ Fretnorc die Kartei bis zu der Buchstabenkombination HU durchlaufen,
Peter Terrid
dann verlangsamte er das Tempo. Sorgfältig begann er nach Huccard zu suchen, ergebnislos. Danach ging er alle nur denkbaren Kombinationen durch, mit denen sich Huccard verwechseln ließ. Schließlich ging aus dem gesprochenen Namen nicht ohne weiteres die Schreibweise hervor. Er fand einen Hooggard, aber das Kürzel hinter dem Namen wies den Mann als hohen Polizeioffizier aus.
»Kein Anschluß«, stellte Fretnorc erbittert fest. »Wenn dieser Huccard tatsächlich eine Agentur betreibt, scheint sie so kümmerlich zu sein, daß sie sich nicht einmal einen Video-Anschluß leisten kann.«
»Eine Tatsache, die Vertrauen erweckt«, spottete Polc-Tanier.
Fretnorcs Grimm wuchs. Er spürte, daß Polc-Tanier ihn zurückdrängen würde, wenn er einen Fehler machen sollte. Noch war er nicht gewillt, aufzugeben. Fretnorc winkte einen Gleiter heran. Polc-Tanier sah ihm verwundert zu, nahm aber ebenfalls Platz in dem Fahrzeug.
»Zoltral-Avenue«, bestimmte Fretnorc, und eine halbe Stunde danach setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Während der Fahrt fütterte Fretnorc den Schädel des Fahrerrobots mit Münzen, bis eine Anzeige aufleuchtete, die besagte, daß der voraussichtliche Fahrpreis bezahlt sei.
Vom Gebäude der SCC bis zur Zoltral-Avenue dauerte die Fahrt nur wenige Minuten. Vor dem Kampfpalast, der ihm fast zum Verhängnis geworden wäre, ließ Fretnorc den Gleiter anhalten. Er kassierte das Wechselgeld, dann verließen die beiden Männer das Fahrzeug.
Zielstrebig ging Fretnorc auf den Eingang der Kampfhalle zu. Es sprach für das Geschick des Besitzers, daß die polizeiliche Sperre binnen weniger Stunden aufgehoben worden war. Natürlich fanden jetzt nur Schaukämpfe statt, bei denen es nur selten zu Verletzungen kam. Daß das Publikum auch diese Veranstaltungen in großer Zahl besuchte, hatte einen einfachen Grund: nur dort konnten die Zuschauer erfahren, an
35 Einsatzgruppe Pejolc
welchem Ort und wann die Kämpfe in ihrer verschärften, lebensgefährlichen Form wieder aufgenommen werden sollten.
An der Kasse blieb Fretnorc stehen. »Ich suche Barlik«, erklärte er dem Kas
sierer. »Warten Sie, ich rufe jemanden, der Sie hinführen kann.«
»Besten Dank«, gab Fretnorc freundlich zurück. »Ich kenne mich aus.«
Vorbei an dem verblüfften Kassierer marschierten Polc-Tanier und Fretnorc in die Halle.
Sie trafen Barlik in den Umkleideräumen. Er hatte gerade einen Kampf gegen einen seiner Kollegen bestritten und auch gewonnen. Er grinste, als er Fretnorc erkannte.
»Was treibt dich her, Halsumdreher?« fragte er. Er mußte sich etwas zusammennehmen, um dem schwächlichen Polc-Tanier nicht die. Handknochen zu zermalmen.
»Wir sind auf der Suche«, erklärte Fretnorc seufzend.
Barlik grinste anzüglich. »Was darf es sein? Geld, Schnaps, Wei
ber? Barlik kennt jede Adresse.« »Nichts davon«, wehrte Fretnorc ab. Er
sah, wie Polc-Tanier mißtrauisch die Einrichtung der Umkleidekabine betrachtete, dann zum Ausgang ging und durch den Vorhang das Geschehen in der Halle verfolgte.
»Ich suche einen Mann namens Huccard, er ist mir empfohlen worden.«
»Von wem?« »Von der Kampfagentur SCC, ich nehme
an, du kennst sie!« »Allerdings«, meinte Barlik und zeigte ei
ne Narbe am linken Knie. »Das ist mein persönliches Andenken an die SCC. Was hat dieser Huccard mit der SCC zu tun?«
»Er betreibt angeblich ebenfalls eine Agentur, aber ich konnte keinen Video-Anschluß finden, der zu diesem Namen gehört.«
Barlik überlegte eine Zeitlang, dann weiteten sich seine Augen.
»Den Huccard meinst du? Heiliges Arkon!«
Barliks Formulierung brachte Fretnorcs
Selbstsicherheit erneut ins Wanken. »Was ist mit Huccard? Hat der Mann eine
Besonderheit?« Barlik nickte. »Ja, so kann man es nennen. Huccard be
treibt die Agentur GLORIOC. Willst du ihn engagieren? Für dich selbst?«
»Vielleicht«, murmelte Fretnorc abwehrend. »Kannst du mir die Adresse geben?«
Barlik legte Fretnorc eine Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen.
»Du bekommst die Adresse, aber ich warne dich. Huccard hat seine Eigenheiten, sei also nicht überrascht, wenn du ihm begegnest. Und vor allem: gib acht auf dein Geld!«
Mit einigen anderen Empfehlungen dieser Art machte sich Fretnorc auf den Weg.
*
Als Fretnorc die Räumlichkeiten der GLORIOC von außen betrachtete, wurde ihm langsam klar, warum Barlik ihn vor der Agentur gewarnt hatte. Polc-Tanier hatte er zurückgeschickt in die Wohnung, um den Kontakt zu den anderen Freunden des Kristallprinzen aufrechtzuerhalten.
Schäbig war noch die freundlichste Bezeichnung für die Büros der GLORIOC. Von den Buchstaben an der rauchgeschwärzten Wand hingen drei schräg herunter, bei allen war die Farbe von der Witterung zerfressen. Früher einmal waren es Leuchtbuchstaben gewesen, jetzt zeugten nur noch Drahtstummel von der einstigen Pracht.
Das Gebäude war vierstöckig. Der Schriftzug GLORIOC zog sich über den Zwischenraum zwischen dem zweiten und dem dritten Stockwerk. Von den Fenstern waren einige gesprungen, andere fehlten ganz und waren durch eine halbtransparente Folie ersetzt worden.
»Bei allen Sternengeistern!« staunte Fretnorc.
Die GLORIOC residierte in einem Stadtviertel, das schon vor zwei Jahren zur Sanie
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rung freigegeben worden war. In diesem Fall konnte eine Sanierung nur auf totalen Abriß hinauslaufen. Die benachbarten Häuser waren ohnehin bereits zusammengefallen. Bevor Fretnorc das Gebäude betrat, suchte er vorsichtshalber nach einem baupolizeilichen Hinweis. Er fand keinen. Vielleicht, so überlegte Fretnorc beklommen, hatte der Besitzer auch das Schild, das auf die drohende Einsturzgefahr hinweisen sollte, einfach entfernt.
Vorsichtig prüfte Fretnorc mit der Fußspitze die Festigkeit der Außenwand. Einen kräftigen Tritt vertrug sie noch, aber mehr wollte Fretnorc ihr nicht zumuten. Er pries sich glücklich, daß er Polc-Tanier zurückgelassen hatte. Ein Hustenanfall des Alten hätte das Schicksal des Gemäuers wahrscheinlich besiegelt und das seiner Bewohner dazu.
Früher einmal … Alles, was Fretnorc bei seinem Gang
durch das Haus zu Gesicht bekam, lief auf diese Formulierung hinaus. Das gesamte Haus schien ihm wie Fuge und Variation über das Thema: früher einmal …
An den Wänden hatten einst selbstleuchtende Tapeten mit kostbaren Mustern geklebt. Jetzt waren nur noch verschimmelte Fetzen zu erkennen. Die Mehrzahl der Leuchtkörper hatte den Dienst quittiert, die Scherben knirschten unter Fretnorcs Füßen. Die Wände waren anscheinend mit einer weißlichen Masse bestrichen worden, erst bei näherem Hinsehen entdeckte Fretnorc, daß es sich um einen pilzigen Belag handelte.
Daß sich auf den Gängen kleine Nager fröhlich balgten, verwunderte nach dem Anblick der Räume niemanden. Löcher gab es für die Tiere in großer Zahl, in den Wänden, unter den krummen Stufen der Treppen und Fretnorc traute seinen Augen kaum – auch in der Decke.
Langsam schritt Fretnorc durch das Haus. Er suchte nach einem Raum, der dem Besitzer der GLORIOC als Büro dienen konnte.
Leise Zweifel keimten in Fretnorc auf,
Peter Terrid
während er den Raum nach dem anderen inspizierte. Das Innere des Hauses stand dem Äußeren in nichts nach. Die Brüchigkeit des Gemäuers war unverkennbar. Alle Räume wirkten verwahrlost und heruntergekommen. Ungeziefer jeglicher Art hatte sich in den Räumen breitgemacht. In den Ecken lagen verfaulte Kadaver von kleineren Tieren. An einigen Stellen wies der Boden durch lautes Knirschen auf seine Baufälligkeit hin.
Am Ende eines langen Ganges endlich stieß Fretnorc auf die Tür. Ausnahmsweise standen die Buchstaben des Schriftzugs aufrecht. Fretnorc erkannte, daß sie mit einem billigen Kleber an der Wand angebracht worden waren.
Sehr behutsam klopfte Fretnorc an die Tür. Die Buchstaben über ihm wackelten bedrohlich.
»Herein!« Die Stimme war schrill und überschlug
sich fast. Fretnorc zögerte einen Augenblick, aber dann sagte er sich, daß er nicht viel zu verlieren habe. Er hatte einige Schwierigkeiten gehabt, die Adresse überhaupt zu finden. Es erschien ihm unsinnig, so kurz vor dem Ziel aufzugeben.
Sehr vorsichtig öffnete Fretnorc die Tür. Er hatte eine Steigerung nicht für möglich
gehalten, aber es gab sie. Das Büro der Kampfagentur GLORIOC bestand lediglich aus einem vergleichsweise winzigen Raum, der zum Bersten mit Akten vollgestopft war. Allerdings ließ sich auf den ersten Blick nicht feststellen, ob es sich bei dem überall herumliegenden Papier um wichtige Dokumente oder um Bündel von Abfallpapier handelte. In einer Ecke war ein Turm aus geleerten Schnapsflaschen errichtet worden, der bei jedem Luftzug schwankte – und Luftzug gab es dank des geborstenen Fensters genügend.
Auf dem Boden wuchsen Pilze, nicht sehr hoch, aber dafür in großer Zahl. Die Wände waren, soweit sie nicht mit irgendeinem klebrigen Material überzogen waren, von einer Schimmelschicht bedeckt. Auf dem Klebstoff hingen einige handtellergroße Spin
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nen fest, die verzweifelt mit den freien Beinen ruderten, als seien sie zu der Einsicht gekommen, daß dieses Büro selbst für Spinnen nicht zu ertragen war.
»Treten Sie näher, mein Freund!« Wenn es ein Lebewesen in der Galaxis
gab, mit dem Fretnorc um keinen Preis befreundet sein wollte, dann war es der Mann, der in diesem Raum hauste.
»Sie sind Huccard?« erkundigte sich Fretnorc vorsichtig. Wenn es sich nicht um Huccard handelte, konnte er vielleicht das Weite suchen.
»Allerdings, und das in voller Lebensgröße.«
Das Wort Größe war in diesem Zusammenhang blanker Hohn. Huccard war bestenfalls 160 Zentimeter groß, dazu noch erschreckend hager. Wie er es fertiggebracht hatte, einen Anzug aufzutreiben, der trotz seiner Winzigkeit noch entschieden zu eng war, blieb Huccards Geheimnis. Von der Statur her mochte er es geschafft haben, sich in die Jugendabteilung eines Kaufhauses einzuschleichen, aber die eingefallenen Wangen und die wie gegerbt wirkende, faltige Gesichtshaut ließen sein Alter unverkennbar werden. Fretnorc schätzte, daß Huccard etwa sechzig überaus turbulente Jahre hinter sich gebracht hatte. Er sah zwar mehr nach Neunzig als nach Sechzig aus, aber Fretnorc führte diese Abweichung auf Huccards Lebenswandel zurück, der in dem Büro einen unübersehbaren Niederschlag gefunden hatte.
Auf dem wackligen, schmierigen Schreibtisch stand eine angebrochene Flasche. Huccards Atem verriet, daß es sich bei dem Inhalt um hochprozentigen Schnaps handeln mußte. In einem Bücherregal, das notdürftig vor dem unvermeidlichen Zusammenbruch bewahrt worden war, entdeckte Fretnorc einige Bücher, stark angegriffen und mit Titeln, die normalerweise nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden.
»Sie sind der Inhaber der Kampfagentur GLORIOC?«
Es gehörte einige Phantasie dazu, sich
ausgerechnet den mickrigen Huccard als Betreuer von Kämpfern vorzustellen.
Etwas Heruntergekommeneres als dieses Büro ließ sich kaum mehr denken. Die Stühle, die an der Wand lehnten, waren mit einem schmierigen Film überzogen, über dessen Herkunft und Zusammensetzung nur ein erfahrener Chemiker etwas hätte sagen können. Weiter standen in dem Raum noch ein Schreibtisch, dessen Oberfläche zur Hälfte von halbzerfetzten Akten bedeckt wurde, während die andere Hälfte von Essensresten und Schnapsflecken starrte, ein Tisch, den ein Kind mit einem Zugriff in Splitter verwandelt hätte, und eine Kühlbox, die ihren Dienst längst eingestellt hatte. Beweis genug dafür war der Schwarm Fliegen, der über der Box kreiste und offenbar den Hohlraum für Zuchtzwecke ausnutzte. Eine Klimaanlage gab es nicht, sie hätte auch wenig auszurichten vermocht gegen den Gestank, der den Raum erfüllte. Vergeblich versuchte Fretnorc, die einzelnen Bestandteile herauszufiltern. Deutlich wahrzunehmen war der Alkohol, dazu kam die Ausdünstung verfaulter Lebensmittel, ein penetranter Schweißgeruch und der Gestank einer verwesenden Ratte, die vermutlich einige Minuten zu spät versucht hatte, das Büro zu verlassen.
»Richtig, ich leite die GLORIOC, die bedeutendste Kampfagentur am Ort!«
Woher der Zwerg angesichts des Chaos die Frechheit zu solchen Behauptungen nahm, blieb unerfindlich. Fretnorc jedenfalls wußte, woran er war. Früher einmal war die GLORIOC vielleicht eine Kampfagentur gewesen, vielleicht bei den allerersten KAYMUURTES, die jemals stattgefunden hatten. Seither hatte der Zahn der Zeit an der Agentur und ihrem Besitzer genagt, und das gründlich. Huccard mußte wahnsinnig sein, daß er diesen abgewirtschafteten Laden überhaupt noch am Leben erhielt. Kein vernünftiger Mensch würde mit ihm ein Gespräch eingehen.
Fretnorc war noch halb benommen von dem Anblick, der sich ihm bot.
Und zu seinem eigenen Erschrecken hörte
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er sich sagen: »Ich möchte Ihnen einen Kunden zufüh
ren!«
8.
Huccard nickte, als seien solche Angebote für ihn eine Selbstverständlichkeit.
»Das spricht für Ihre Menschenkenntnis«, lobte er Fretnorc, dem bei dieser Bemerkung noch unbehaglicher zumute wurde. »Ich werde die Angelegenheit in die Hand nehmen. Ihr Mann ist schon so gut wie ein Sieger!«
Fretnorc nickte benommen. Huccard bedeutete ihm, sich zu setzen. Ohne an die Gebrechlichkeit der Stühle zu denken, nahm Fretnorc Platz. Etwas Kaltes, Klebriges durchfeuchtete den Stoff auf seiner Sitzfläche, aber Fretnorc nahm dies nicht wahr.
»Darf ich fragen, welcher meiner Werber Ihr Augenmerk auf mich renommiertes Unternehmen gelenkt hat?«
Soviel Anmaßung verschlug Fretnorc fast die Sprache.
»Ich bekam einen Tip von der SCC«, gestand er.
In die zerbrechlich wirkende Gestalt Huccards, kam Leben. Der Mann sprang auf und ballte die Fäuste.
»Diese Halunken«, tobte er. »Das sieht ihnen ähnlich, sie wollen mich herabsetzen, demütigen, meinen erstklassigen Ruf untergraben. Schufte, Halsabschneider, Lumpengesindel. Ausgerechnet die SCC. Sie haben mir die Kunden weggenommen, mich an die Wand gedrängt, und das alles nur, weil sie allesamt Angst vor mir haben. Natürlich haben sie Angst, diese unfähigen Hohlköpfe. Schließlich kennen sie Huccard und seine Fähigkeiten. Ich werde ihnen noch zeigen, wem sie da zu nahe getreten sind. Vernichten werde ich sie.«
»Mich?« fragte Fretnorc entgeistert. Die Flut von Beschimpfungen hatte ihn überrascht.
»Nicht Sie. Kunden von Ihrem Scharfblick und Ihrer Intelligenz sind mir immer
Peter Terrid
willkommen. Ich garantiere für alles. Es gibt kein Problem, das die GLORIOC nicht lösen könnte. Das ist der Wahlspruch unseres Hauses.«
Unseres? dachte Fretnorc erschrocken. Laufen hier etwa noch andere Huccards herum? Der Gedanke hatte etwas Erschreckendes an sich …
Fretnorc kam zu dem Entschluß, die Prozedur abzukürzen.
»Unser Mann heißt Darbeck!« eröffnete er dem Inhaber der berühmten Kampfagentur GLORIOC.
»Aha«, machte Huccard. Er begann in seinen Papieren herumzuwühlen. Nach einiger Zeit brachte er einen Fetzen zum Vorschein, den man zur Not sauber nennen konnte. Nach einer ähnlich aufwendigen Prozedur förderte er auch ein Schreibgerät zutage. Umständlich schrieb er den Namen Darbeck auf den Zettel.
»Darf ich um nähere Angaben bitten?« »Darbeck hat sich für die Amnestie-
KAYMUURTES gemeldet.« Es tat gut, diesen Satz über die Lippen ge
bracht zu haben. Jetzt würde der Giftzwerg endlich Ruhe geben und kapitulieren. Nichts dergleichen geschah.
»Sehr gut«, stellte Huccard zufrieden fest. Er brachte eine Grimasse zuwege, die ein Lächeln darstellen sollte. »Unser Unternehmen ist für solche Aufträge wie geschaffen. Es ist nur eine Frage des Preises.«
Er hob den Kopf und starrte Fretnorc an. Nackte Habgier stand in den Augen geschrieben.
»Zehntausend Chronners«, sagte Huccard.
*
Eintausend Chronners mußte jeder bezahlen, der an den geschlossenen KAYMUURTES teilnehmen wollte. Die Summe war mit Absicht so hoch angesetzt worden. Es ging nicht an, daß Edle der Arkonwelten sich mit Ekhi und Zali in der Arena herumraufen mußten.
Zehntausend Chronners!
39 Einsatzgruppe Pejolc
Eine Wahnsinnssumme, durchfuhr es Fretnorc. Wie durch einen Watteschleier hörte er sich sagen:
»Einverstanden. Aber ich habe nicht so viel Geld bei mir, und ich werde auch einige Schwierigkeiten haben, es zu beschaffen.«
»Das stört mich nicht«, versetzte Huccard, den die Aussicht auf bares Geld zu beflügeln schien. »Ich bin einstweilen mit einer kleinen Anzahlung zufrieden.«
Chronner für Chronner zählte Fretnorc seine karge Barschaft auf den fleckigen Tisch. Eine der Münzen blieb in einer sirupartigen Substanz liegen und wollte sich nicht wieder von der Stelle rühren. Erst als Huccard, der solche Mißhelligkeiten offenbar öfter zu überwinden gehabt hatte, dem Sirup mit konzentriertem Alkohol zu Leibe rückte, ließ sich die Münze wieder aufheben.
»Das wäre dies«, erklärte Huccard. »Dann würde ich Darbeck natürlich gern einmal sehen.«
»Ist das unbedingt nötig?« fragte Fretnorc, auf üble Überraschungen gefaßt.
»Unbedingt!« versteifte sich Huccard. »Schließlich muß ich wissen, wen ich trainieren soll.«
Erneut war Fretnorc sprachlos. Die Vorstellung, daß der wie ausgetrock
net aussehende Huccard den durchtrainierten Atlan trainieren sollte, war mehr als kurios. Fretnorc war sicher, daß er nur einen Griff anzubringen brauchte, um dem Zwerg das Genick zu brechen. Angesichts der Tatsache, daß er gerade einen zwar nur mündlichen, trotzdem aber rechtsverbindlichen Vertrag über zehntausend Chronners abgeschlossen hatte, erschien ihm diese Lösung fast schon sympathisch.
»Nun, wie ist es? Kann ich Darbeck sehen?«
Fretnorc leckte sich die Lippen. Hatte er jetzt vielleicht eine Möglichkeit, sich aus dem unüberlegt geschlossenen Vertrag herauszuwinden?
»Es gibt da gewisse Probleme«, gestand er.
»Unwichtig«, wehrte Huccard ab. Mit be
merkenswerter Schnelligkeit hatte er inzwischen das Geld in seinen Taschen verstaut. »Zum Lösen von Problemen haben Sie schließlich unser Unternehmen engagiert. Was ist das Problem?«
»Darbeck ist noch nicht auf Pejolc«, bekannte Fretnorc. »Da er sich zu den Amnestie-KAYMUURTES gemeldet hat, werden Sie verstehen, daß es nicht einfach ist, ihm eine Information zukommen zu lassen. Noch schwieriger wird es werden, ihn nach Pejolc zu schmuggeln!«
»Hm«, überlegte Huccard halblaut. »Was kann man da machen?«
Zur Förderung seiner geistigen Tätigkeit nahm er erst einmal einen gewaltigen Schluck aus der Flasche. Fretnorc pries seinen Schöpfer, daß Huccard nicht auf den Gedanken kam, seinem Gast eine Probe des Giftzeugs anzubieten.
»Die beste Lösung wäre es, wenn wir ein Schiff zur Verfügung hätten. Damit könnten wir in den Raum vorstoßen und dort eine kurze, verschlüsselte Botschaft abgeben.«
»Das ist es!« rief Huccard triumphierend. »Wie ich sehe, macht sich Ihre Intelligenz wieder voll bemerkbar. Nächst Ihrer Idee, mich aufzusuchen, war dies Ihre beste Eingebung.«
Zur Belohnung gönnte er sich einen weiteren Schluck aus der Flasche.
»Es wird ein Kinderspiel werden«, versprach Huccard selbstsicher.
Fretnorc war ausgesprochen unwohl zumute. Er traute Huccard nicht über den Weg. Nicht daß er den Inhaber der Agentur GLORIOC für einen Gauner hielt, dazu hatte er keinen Anlaß. Für Fretnorcs Geschmack nahm Huccard aber den Mund allzu voll. Zwischen seinen prahlerischen Reden und der Schäbigkeit seines Büros klaffte ein unüberbrückbar erscheinender Widerspruch.
»Kommen Sie morgen wieder«, schlug Huccard vor und streichelte zärtlich die Flasche. »Ich werde bis dahin alles Nötige arrangiert haben. Verlassen Sie sich auf die Agentur GLORIOC, und Sie sind nie verlassen!«
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Das Gefühl, mit dem Fretnorc das Büro und das Haus verließ, hatte mit Verlassenheit wenig zu tun – es war die schiere Verzweiflung.
*
»Und er vermittelt nur Kämpfer?« erkundigte sich Kelsh traurig.
Polc-Tanier lächelte verhalten. Diese Frage war typisch für den jungen Kelsh. Jung, das galt allerdings nur aus der Sicht von Polc-Tanier. Mit seinen einhundertdreißig Jahren war Kelsh aus Fretnorcs Blickwinkel wahrscheinlich schon ein alter Mann. Ansonsten war Kelsh groß, 18o Zentimeter, durchtrainiert und ein ausgesprochen heiterer Kampfgefährte. Mit seiner Zuverlässigkeit war es allerdings eine Sache; solange sich keine Frauen in seiner Nähe befanden, konnte man ihm durchaus vertrauen. War aber ein gelockter Kopf sichtbar, verlor Kelsh den seinen mit schöner Regelmäßigkeit.
Wie bei Fretnorc und Polc-Tanier hatte Atlan bei der Zusammenstellung der Teams auch hier wieder nach Ergänzung und Ausgleich gesucht. Kelshs Partner war Garrason, ein sehr kalt und beherrscht wirkender Mann. Dies war die Folge eines fast vierjährigen Fronteinsatzes im Methan-Krieg. Garrason war fünf Jahre jünger als Kelsh, dafür aber fünf Zentimeter länger. Während Kelsh mit seinem pausbäckigen Gesicht und den kindlich großen Augen vor allem bei Frauen Eindruck machen konnte, fiel bei Garrason der knochige Körperbau auf und das hart wirkende Gesicht mit den schmalen Augen.
»Keine Weiber, alter Freund«, bemerkte Garrason kalt. »Du wirst dich gedulden müssen, bis wir Kraumon erreicht haben. Wenn ich dich dabei erwische, daß du mit deinen Liebesabenteuern unseren Einsatz gefährdest, drehe ich dir das Gesicht auf den Rücken.«
Kelsh grinste, obwohl er genau wußte, daß Garrason seine Worte ernst meinte. Garrason hatte oft und zu erbittert um sein Le-
Peter Terrid
ben kämpfen müssen, als daß er Nachlässigkeit oder Schwäche bei anderen geduldet hätte.
»Was du über diesen Huccard erzählt hast, Fretnorc, gefällt mir gar nicht. Ich vermute, daß der Mann ein Schwindler ist. Wahrscheinlich ist er mit dem Vorschuß, den du ihm leichtsinnigerweise gezahlt hast, längst über alle Berge!«
Fretnorc fröstelte. Garrason hatte das Problem nicht einmal geduldet. Fretnorc hatte fast alle Barmittel der kleinen Gruppe an Huccard abgegeben. Wenn sich der GLORIOC-Inhaber damit davonmachte, saß die Gruppe auf dem Trockenen. Und für diesen Fall verhieß Garrasons Blick nichts Gutes. Es gab Gerüchte, die wissen wollten, Garrason sei früher einmal ein bezahlter Mörder gewesen, aber es hatten sich keine Beweise dafür gefunden. Bekannt war nur, daß Garrason eine ausgesprochen undurchsichtige Person war.
»Wir müssen warten«, versuchte sich Fretnorc zu verteidigen. »Huccard hat gesagt, daß wir uns heute bei ihm treffen sollen. Vielleicht hat er schon etwas erreichen können.«
Polc-Tanier hüstelte verhalten. Fretnorc, der in seiner Gemütsverfassung
jedes Geräusch für eine Art Tadel hielt, zuckte zusammen.
»Wir müssen nur noch zwei Stunden warten, dann werden wir mehr erfahren«, erklärte er. Wieder traf ihn ein Blick aus Garrasons Augen.
Fretnorc begann herumzudrucksen. »Ich muß allerdings, bevor wir uns auf
den Weg machen, einiges zur Person dieses Huccard erklären …«
Gebannt hörten ihm seine Gefährten zu. Ihre Reaktionen entsprachen ihrem jeweiligen Temperament. Während Kelsh sich das Lachen kaum verbeißen konnte, schüttelte Polc-Tanier unausgesetzt den Kopf. Garrason ballte die Fäuste und bedachte Fretnorc mit einem mörderischen Blick. Fretnorc wäre fast erschrocken, als auch Garrason plötzlich lauthals zu lachen begann. Offenbar war
41 Einsatzgruppe Pejolc
der unterkühlte Garrason doch nicht ganz so finster, wie er sich oft gab.
»Fretnorc, Fretnorc«, murmelte Garrason kopfschüttelnd. »Für diese Dummheit sollte ich dich eigentlich einen Kopf kürzer machen, aber ich glaube, es wird weit wirkungsvoller sein, wenn die Geschichte deiner Pleite auf Kraumon die Runde macht. Fretnorc, der Starke, läßt sich von einem geldgierigen Giftzwerg aufs Kreuz legen. Soviel Dummheit ist fast schon strafbar!«
»Wartet nur ab, Huccard wird schon zeigen, was er kann«, protestierte Fretnorc, der sich arg in die Enge gedrängt fühlte, und das – wie er sich selbst zugab – nicht einmal zu Unrecht. Insgeheim hoffte er darauf, daß Huccard sich als besser erweisen würde, als er es dem Anschein nach war.
*
Vorsichtshalber bildete Fretnorc das Schlußlicht der Gruppe, als sich die vier Männer der Agentur GLORIOC näherten. Als Kelsh das Gebäude entdeckte, in dem Huccard hauste, stieß er einen leisen Pfiff aus.
»Darin soll ein Mensch leben?« fragte er. »Mir scheint, als vermittle Huccard keine
Kämpfer für die Spiele, sondern bestenfalls Handwerker zum Abbruch dieser Ruinen. Besteht Einsturzgefahr?«
Fretnorc beantwortete Garrasons Frage mit einem Nein, das energisch klingen sollte, aber eher kläglich anzuhören war.
Polc-Tanier, der wie Kelsh und Garrason das halbverfallene Haus zum ersten Mal sah, brauchte einige Energie, um seine aufkeimende Angst zu unterdrücken. Unter einem zusammenstürzenden Haus begraben zu werden, war kein sehr rühmlicher Tod für einen Rebellen.
Garrason verhielt sich schweigsam, wie es seine Art war. Aber der Blick, mit dem er die Ruine musterte, sprach Bände. Vorsichtig betraten die Männer das Haus. Fretnorc übernahm die Führung, vor allem, um seinen Kameraden keine Zeit zu geben, in die ande
ren Räume zu blicken. Zu seinem Erstaunen hielt der billige Kle
ber die Buchstaben des Firmenzeichens immer noch an Ort und Stelle. Aus dem Büro kam fröhlicher Gesang. Fretnorc lächelte verzerrt und klopfte an.
Ein Schmerzensschrei hallte durch den Gang. Polc-Tanier hüpfte auf einem Bein über den Boden und griff mit beiden Händen nach seinem Fuß. Jetzt hieß die Kampfagentur GLORIC. Das zweite O lag in Trümmern auf dem Boden, der bedrohlich ächzte. Garrason stieß ein Schnauben aus.
Huccard öffnete eigenhändig die Tür, um seine Gäste einzulassen. Den Männern wehte eine Schnapsfahne entgegen, die man in Tüten hätte verpacken können. Polc-Tanier verzog angewidert das Gesicht.
»Treten Sie näher, meine Herren!« rief Huccard fröhlich aus. Mit der linken Hand machte er eine einladende Geste, die Rechte hielt den Hals einer Flasche umklammert. Die gerade erst angebrochene Flasche und der Atem Huccards ließen nur den einen Schluß zu, daß er bereits eine zweite Flasche angefangen hatte. Fretnorc warf einen Blick auf das Etikett.
»Hören Sie, Huccard!« begann er scharf. Er spürte die Blicke seiner Gefährten in seinem Rücken. Nach seiner Schätzung blieben ihm knapp zwei Minuten. Soviel Zeit würden die drei anderen brauchen, bis sie den Anblick von Huccards Büro verkraftet hatten.
»Ich habe ihnen den Vorschuß nicht gezahlt, damit Sie sich betrinken können« – Fretnorc warf einen Blick auf das Etikett – »noch dazu mit einem der teuersten Schnäpse, die es überhaupt gibt.«
Huccard grinste bösartig. »Wenn ich kein Geld habe, kann ich mir
diesen Schnaps nicht leisten. Jetzt habe ich welches, und sie verbieten mir, diesen Schnaps zu trinken. Wann bitte soll ich ihn dann trinken, hä?«
Dieser Logik gegenüber war Fretnorc machtlos. Garrason hatte sich mittlerweile von seinem ersten Schock erholt und riß das
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Gespräch an sich. »Was haben Sie erreicht. Huccard?« frag
te er scharf. »Huccard erreicht stets, was er will«, ver
kündete der Agent prahlerisch. »Und erhält, was er verdient«, konterte
Garrason kalt und betrachtete angelegentlich seine Fäuste.
»Kommen Sie heute abend zum Raumhafen«, verkündete Huccard. »Ich habe alles arrangiert. Wir werden an Bord der NECCON gehen, dort wird sich das weitere finden.«
»Wieviele Personen sollen mitfliegen?« »Fünf«, erklärte Huccard. Er schwankte
lebhaft und hielt sich krampfhaft an der Flasche fest.
»Also können wir noch einen Mann abstellen«, überlegte Polc-Tanier halblaut.
Huccard kicherte unterdrückt. »Nicht doch«, sagte er unsicher. »Ich wer
de Sie selbstverständlich begleiten. Huccard kämpft immer in vorderster Front!«
Garrason warf einen zweifelnden Blick auf die Flasche in Huccards Hand, die während des Gesprächs fortlaufend an Inhalt verlor.
»Wenn Sie im Kampf gegen einen Gegner ähnlich gute Leistungen bringen wie an der Schnapsfront, soll es mich freuen!«
»Der Mann, der die berühmte Agentur GLORIOC aufgebaut hat, kennt keine Furcht!« erklärte Huccard.
Mit diesen Worten brach er zusammen. Sein Oberkörper krachte auf den Schreibtisch, der unter diesem Anprall fast zusammengebrochen wäre.
Garrason zuckte hilflos mit den Schultern. Polc-Tanier schüttelte den Kopf, während Fretnorc kläglich grinste. Einzig Kelsh behielt die Ruhe.
»Als man mir sagte«, murmelte er, »dieser Auftrag könne gefährlich werden, habe ich mit allem gerechnet. Aber das da …«
Huccard begann zu schnarchen.
*
Peter Terrid
Der Abend senkte sich über Keme, soweit er nicht von den grellen Lichtreklamen verdrängt wurde. Die vier Männer verschwendeten an die bunte Pracht keinen Blick. Ihr Interesse galt den Schiffen auf dem Raumhafen von Keme.
Das Gelände wurde durchaus streng bewacht, an einen Durchgang war nicht zu denken. Fretnorc hatte seine Zweifel, ob Huccard es tatsächlich geschafft hatte, ein Schiff zu besorgen, das die kleine Gruppe in den Raum bringen konnte.
»Ich bin gespannt, in welchem Zustand sich Huccard präsentieren wird«, rätselte Kelsh. »Das heißt, wenn er überhaupt erscheint.«
»Er wird«, versprach Fretnorc voreilig. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf Huccard zu hoffen. Wenn der großmäulige Agent versagte, war es Fretnorcs Schuld, wenn die Gruppe in Bedrängnis geriet.
In der Nähe des Raumhafens gab es einen Park. An dem kitschigen Denkmal, das einen siegreichen Admiral darstellen sollte, wollten sich die Männer mit Huccard treffen.
Zum Erstaunen aller erschien Huccard tatsächlich.
Sein faltiges Gesicht strahlte Zufriedenheit aus. Fretnorc stellte verblüfft fest, daß Huccard sich sogar einen frischen Anzug angezogen hatte. Er machte den Eindruck, als habe er gerade erfahren, daß man ihn zum Imperator ernennen wolle.
»Guten Abend, Freunde«, grüßte er überschwenglich. Garrason zog eine Grimasse.
»Was haben Sie erreicht?« Huccard blinzelte überlegen. »Alles«, begann er. »Ich werde Sie jetzt
zum Start bringen. Folgen Sie mir!« Huccard setzte sich in Bewegung. Zum
Erstaunen der Gruppe marschierte er keineswegs in Richtung des Portals, sondern schlug sich seitwärts in die Büsche. Polc-Tanier zuckte mit den Schultern und setzte sich dann ebenfalls in Bewegung. Kelsh und Fretnorc folgten, die Sicherung übernahm Garrason. Die Männer waren bewaffnet, je
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der von ihnen hatte unter der Kleidung einen Lähmstrahler versteckt. Ob Huccard ebenfalls eine Waffe trug, ließ sich nicht feststellen, aber Fretnorc konnte sich nicht vorstellen, daß Huccard wußte, wie man mit einer Waffe umzugehen hatte. Leise bewegten sich die Männer durch den nachtdunklen Park.
9.
Von einer Passage auf einem Raumschiff konnte keine Rede sein. Huccard hatte lediglich Vorbereitungen für ein gefahrvolles Unternehmen getroffen, mehr nicht.
»Wir sind am Ziel«, verkündete Huccard strahlend.
»Das ist kein Raumschiff«, stellte Fretnorc verblüfft fest. »Das ist nicht mehr als eine Halle für Container. Was sollen wir hier?«
»Glauben Sie, ich könnte Ihnen einen Platz auf einem Luxusschiff besorgen?« keifte Huccard. »Sie müssen, wie ich, mit dem vorliebnehmen, was sich findet. Hier habe ich einen Doppelschlüssel samt Impulsgeber. Wir werden in die Halle eindringen, uns in einem Container verstecken und damit Pejolc verlassen. Was ist, haben Sie keinen Mut?«
Fretnorc ballte die Fäuste. Sich von Huccard derartig beschimpfen zu lassen, war mehr, als er ertragen konnte. Immerhin, ein Feigling war der schmächtige Mann nicht.
»Also, Freunde?« »Was bleibt uns anderes übrig«, knurrte
Garrason. »Vorwärts!« Dank des Doppelschlüssels hatten die
fünf Männer das Innere der Containerhalle nach kurzer Zeit erreicht. Lautlos schloß sich die Tür hinter ihnen.
Es mußte sich um eine sehr wichtige Halle handeln. Trotz der eingebrochenen Nacht wurde in der Halle gearbeitet. Container wurden aufgestapelt, andere zum Abtransport fertiggemacht. In der Halle herrschte lebhafte Geschäftigkeit.
»Keine Müdigkeit vorschützen«, flüsterte
Huccard. Er schien in seinem Element zu sein. Kein Wunder, dachte Fretnorc. Ein Mann, der in einem regelrechten Rattenloch hauste, konnte keine Schwierigkeit haben, sich wie eine Ratte in einer Containerhalle zu bewegen.
Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, schlichen die Männer durch die Gänge. Huccard wagte einen kurzen Vorstoß und kehrte rasch wieder zurück. Sein Gesicht spiegelte seine Selbstzufriedenheit wider.
»Wir sind am Ziel«, versprach er. »Diese Gruppe von Containern ist für uns wie geschaffen.«
Es waren Behälter einer Bauserie, die Fretnorc noch nicht kannte. Fünf Meter hoch, zehn Meter breit und mehr als zwanzig Meter lang. Wenn der Innenraum nicht allzu vollgestopft war, war es ein leichtes, die fünf Männer darin unterzubringen.
»Kriechen wir alle in einen Container, oder sollen wir uns trennen«, wollte Kelsh wissen. Etwas beunruhigt sah er das Metall der Außenhaut an. Wenn die Gruppe Pech hatte, kam sie aus dem metallenen Gefängnis nicht wieder heraus.
Irgend etwas kreischte über den Köpfen der Männer. Huccard sah auf seine Uhr.
»Schneller, Freunde!« flüsterte er. »Die NECCON wird in kurzer Zeit starten. Dies sind die letzten Container, die an Bord gebracht werden!«
Er kniete sich nieder, um den Impulsgeber des Containers zu halten. Nach einer halben Minute öffnete sich das Schloß, die Riegel sprangen zurück. Fretnorc setzte seine Muskelkraft ein und stemmte die Vorderplatte in die Höhe. Nacheinander schlüpften die Männer in das Dunkel, das im Innern des Containers herrschte.
Fretnorc sah nach oben. Der automatische Kran kam bedrohlich schnell näher. Mit letzter Kraftanstrengung stieß Fretnorc die Frontplatte in die Höhe, dann huschte er seinen Gefährten nach. Krachend fiel die Platte in ihre Halterung zurück, die Schlösser schnappten geräuschvoll zu.
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»Da wären wir!« stellte Huccard entgeistert fest.
Es war finster und es stank grauenvoll. »Was wird in den Dingern eigentlich
transportiert?« wollte Kelsh wissen. »Nachschub für eine Depotwelt, etwa sie
ben Lichtjahre entfernt. Dort steht auch eine leistungsstarke Funkstation.«
Fretnorc liefen Schauer über den Rücken. Dieser Huccard war wirklich größenwahnsinnig. Eine Funkstation auf einer Depotwelt des Großen Imperiums! Ein gefährlicheres Ziel hätte er sich kaum aussuchen können.
Ein harter Ruck ging durch den Container, als der Behälter angehoben wurde. Die Männer konnten das Rumpeln hören, mit dem sich ein Transporter bewegte, dann erneut das Kreischen eines stark überlasteten Krans. Ein zweiter Stoß ging durch den Container und warf die Männer von den Beinen. Garrason und. Huccard blieben still, während die anderen je nach Temperament fluchten und schimpften.
Eine Viertelstunde verging, in der sich nichts rührte. Dann aber waren Laute zu hören, die den Männern wie Musik in den Ohren klangen. Die unverkennbaren Geräusche, die beim Start eines Raumschiffs auftraten. Garrason legte den Kopf etwas auf die Seite und horchte aufmerksam.
»Ist die NECCON ein neueres Schiff?« fragte er vorsichtig. »Ziemlich neu«, bestätigte Huccard arglos.
»Entweder versteht der Kommandant sein Handwerk nicht, oder wir sind im falschen Schiff«, behauptete Garrason nach erneutem Horchen. »Die Triebwerke machen einen Lärm, als wären sie altersschwach oder hoffnungslos überlastet.«
Huccard stieß ein Kichern aus. »Wie oft haben Sie schon einen Start in
einem geschlossenen Container erlebt?« erkundigte er sich.
»Dies war das erste Mal«, gab Garrason zu.
»Na also« wehrte sich Huccard. »Wann macht endlich einmal jemand
Licht«, schimpfte Kelsh aus dem Dunkel.
Peter Terrid
Schuldbewußt griff Fretnorc nach dem Handscheinwerfer. Als das Licht aufgeflammt war, wurde es plötzlich sehr still.
*
»Sagen Sie«, stieß Garrason hervor. »Ist das vielleicht Ihre transportable Zweitwohnung?«
Huccard lächelte betroffen. Kelsh starrte mit offenem Mund an die
Ladung des Containers. Müll, Abfall, Unrat – tonnenweise. So erklärte sich auch der unerträgliche
Gestank. Es handelte sich um alle Arten von Abfall, die sich nicht wieder regenerieren oder aufarbeiten ließen. Die Gruppe war fassungslos.
Die Ähnlichkeit mit Huccards Büro war nicht zu verkennen, allerdings mußte Fretnorc zugeben, daß das Büro doch ein klein wenig aufgeräumter und ordentlicher gewirkt hatte. Ansonsten aber waren die Parallelen verblüffend.
»Wir sind im falschen Schiff gelandet!« rief Fretnorc aus.
Erst jetzt wurde ihm klar, in welcher Gefahr die kleine Gruppe schwebte.
Was aus den Müllcontainern wurde, lag auf der Hand. Das Schiff würde mit ihnen in den Raum starten und einen bestimmten Punkt im freien Raum ansteuern. Dort wurden die Container von Robotgreifern außenbords gebracht und geöffnet. Der Inhalt trieb dann auf die Sonne zu und wurde von ihr verbrannt. Angesichts der Größe der Sonne war dieses Verfahren außerordentlich risikolos. Selbst der gesammelte Abfall von zwanzig Welten hätte den Haushalt der Sonne nicht belastet.
In diesem Fall allerdings bestand die akute Gefahr, daß zusammen mit dem Müll fünf Leichen auf die Sonne zutreiben würden. In Gedanken spürte Fretnorc schon, wie die Greifer den Container anhoben, er hörte schon das tödliche Zischen und Brausen, mit dem die Luft aus dem Container in den freien Raum expandieren würde.
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Der einzige Trost der fünf Männer bestand darin, daß der Tod infolge explosiver Dekompression sehr rasch eintrat.
»Laßt mich überlegen«, murmelte Polc-Tanier.
Er war auch jetzt der ruhigste in der Gruppe, obwohl ihm deutlich anzusehen war, daß er sich des Risikos voll bewußt war. Sein Gesicht war fast blutleer.
»Wir haben nur eine Chance«, stellte Polc-Tanier fest. »Wir müssen diesen Container so schnell wie möglich verlassen und uns in einem anderen Winkel des Schiffes verstecken. Was wir danach unternehmen, ist eine andere Sache.«
Garrason griff nach Huccards Impulsgeber. Er überlegte kurz, an welcher Stelle der Frontplatte das Schloß gesessen hatte, dann preßte er den Impulsgeber gegen das Metall.
Die anderen Männer zählten förmlich die Sekunden. Das Öffnen des Containers hatte eine halbe Minute gedauert.
Zwei Minuten waren verstrichen, und es hatte sich nichts gerührt. Garrason sprang auf und hielt Huccard den Impulsgeber unter die Nase.
»Wo haben Sie diesen positronischen Schrotthaufen gekauft, Sie Wahnsinnsmensch? Wollten Sie uns umbringen?«
Huccard machte eine Geste, die andeutete, daß er diesen Zwischenfall für eine Lappalie hielt. Polc-Tanier schob sich nach vorn.
»Zeig einmal her«, forderte er Garrason auf.
Umständlich nahm Polc-Tanier das Gerät auseinander. Nach einer kurzen Prüfung nahm er die Einzelteile und warf sie auf den Müllhaufen im anderen Ende des Containers.
»Defekt«, verkündete er dumpf. »Völlig unbrauchbar geworden. Wir sitzen fest!«
*
Barak Iter pfiff leise vor sich hin, obwohl ihm nach Pfeifen überhaupt nicht zumute war. Es gab aber keine andere Möglichkeit,
während des Dienstes seine schlechte Laune abzureagieren.
Und Barak Iter fühlte sich schlecht. Zum einen wurde er von einem ziemlich groß ausgefallenen Kater geplagt, zum anderen quälte ihn der Gedanke, ob es richtig gewesen war, einen ganzen Monatslohn auf den Sieger der Amnestie-KAYMUURTES zu verwetten. Zugegeben, dieser Darbeck hatte nur Außenseiterchancen, aber bis ins Halbfinale sollte er es schaffen. Dann wäre wenigstens der Einsatz gerettet, dachte Barak Iter. Und wenn Darbeck es gar schaffen sollte, ins Finale vorzudringen, konnte Iter endlich seinen Job aufgeben. Dann hatte er genug gewonnen, um für den Rest seines Lebens bequem von den Zinsen seines Vermögens zehren zu können.
Das wäre endlich die Kompensation für die Unannehmlichkeiten seines Berufs gewesen. Wer war schon gern Müllkutscher? Nicht ohne Grund verbrachte Iter einen beträchtlichen Teil seiner Freizeit mit dem hartnäckigen, erbittert geführten Kampf gegen den Geruch, der die ganze POLETSCHT durchzog, sich förmlich in die Poren fraß.
Auf diesen Tag hatte sich Barak Iter seit Monaten gefreut. Heute nämlich war eine Generalreinigung der POLETSCHT angesetzt worden. Das hieß, daß alle Räume des Schiffes, die nicht notwendigerweise Atemluft enthalten mußten, dem Vakuum des Raumes ausgesetzt wurden. Wenn diese große Schleuse geöffnet worden war, wurden sämtliche Container über Bord gestoßen. Sie hatten lange genug Müll enthalten und waren so heruntergekommen, daß sie selbst kaum mehr zu verwenden waren. Beim größten Teil der Container war zudem in der langen Zeit das Schloß defekt geworden. Daher sollten sie samt Inhalt abgeworfen werden und in der Sonne verglühen.
Zusätzlich wurde das Schiff soweit wie möglich gelüftet. Dies war das einzige Verfahren, dem hartnäckigen Gestank zu Leibe zu rücken. Es hatte sich gezeigt, daß selbst widerstandsfähige Schmierfilme sich ver
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flüchteten, wenn sie länger als eine Stunde dem Vakuum ausgesetzt waren. An die vielen Ritzen und Winkel, die jedes Schiff aufzuweisen hatte, und in denen sich der Gestank festgesetzt hatte, war mit herkömmlichen Reinigungsmitteln ohnehin nicht heranzukommen.
Während er fröhlich pfiff, bereitete Barak Iter die Schaltungen für die Entlüftung vor.
*
Es war erstaunlich, welche Ruhe Huccard trotz der lebensgefährlichen Lage zeigte. Auch die Tatsache, daß der Impulsgeber versagt hatte, warf ihn nicht um. Im Gegenteil, er grinste triumphierend.
»Ich sagte doch«, verkündete er schrill, »daß es kein Problem gibt …«
»… in das uns die Kampfagentur GLORIOC nicht hineinreiten könnte«, setzte Kelsh fort. Polc-Tanier lächelte.
»Wenn Sie mir nicht glauben …« »Was haben Sie anzubieten?« fragte Gar
rason hart. Er war an der Grenze seiner Geduld angelangt.
Huccard zog etwas Metallisches aus der Tasche und hielt es in die Höhe.
»Damit werden wir uns den Weg in die Freiheit bahnen. Was sagen Sie jetzt?«
Zu dem Blaster, den Huccard in die Höhe hielt, gab es allerhand zu sagen. Möglich war, daß der Gestank, der immer unerträglicher wurde, eine gehörige Portion Faulgase enthielt, die bei der ersten Betätigung des Blasters explodieren und den Container samt Inhalt in Fetzen reißen konnten. Selbst wenn man diese Gefahr außer acht ließ, war es zu bedenken, daß ein Teil der Hitze des Blasters sich ins Innere des Containers entladen würde. Leichte Verbrennungen waren das mindeste, was dabei auftreten konnte. Außerdem brauchte der Blaster Sauerstoff. Wenn er den Stahl der Containerhülle ausreichend erhitzte, würde das Metall verbrennen und dabei die Atemluft im Innern bedrohlich knapp werden lassen. Und zum guten Schloß konnte die Energieentwicklung
Peter Terrid
des Blasters ohne Mühe gemessen werden. Garrason kannte diese Einwände, aber er
hielt sich zurück. Huccards kleiner Blaster war, wenn er überhaupt funktionierte, die einzige Möglichkeit, das Lachen zu retten.
»Geben Sie her«, ordnete Garrason an. Er griff nach dem Blaster und machte sich an die Arbeit.
Weiße Schmelzbäche liefen an den Wänden des Containers entlang. Funken stoben auf und brannten kleine Löcher in die. Kleidung, aber das störte die Männer nicht. Fasziniert sahen sie zu, wie der Strahl des Blasters das Metall durchtrennte. Garrason hatte sich für die Seitenwand entschieden. Es war möglich, daß die Ladefront an der Vorderseite mit Alarmanlagen ausgerüstet war, die eine Beschädigung sofort meldete.
Die Sekunden verstrichen mit quälender Langsamkeit, dann endlich war Garrason mit seiner Arbeit fertig. Das Loch in der Metallwand war groß genug, um auch den stämmigen Fretnorc durchzulassen, aber erst mußten die Ränder auskühlen. Durch die Öffnung drang der Lärm der Triebwerke in das Innere des Containers. Solange die Maschinen noch arbeiteten, bestand keine Gefahr. Erst wenn sie verstummten, konnte es nicht mehr lange dauern, bis die Container entleert wurden.
»Ich gehe als erster«, entschied Garrason. Bevor ihn jemand aufhalten konnte, war er geschmeidig durch die Öffnung geschlüpft. Die Ränder waren noch heiß und scharfkantig, aber das hinderte die Männer nicht. Nach kurzer Zeit waren sie im Freien.
Sie mußten feststellen, daß sich ihre Lage dadurch nur unwesentlich verbessert hatte.
Der Container, in dem sie gesteckt hatten, war der oberste in einer Reihe von mindestens zwölf Containern, die senkrecht übereinander standen. Der Zwischenraum zwischen den einzelnen Stapeln war gerade groß genug, um einen Mann passieren zu lassen – wenn dieser Mann geschickt und wenig war.
Zum ersten Mal sah Fretnorc, daß Huccard sich beeindruckt zeigte. Mit käsigem
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Gesicht starrte Huccard in die Tiefe. »Können wir nicht so …?« Er deutete auf die Fläche, die von der
obersten Schicht von Containern gebildet wurde. Garrasson verneinte sofort.
»Wenn der Raum überwacht wird, kann man uns sehen. Wir müssen uns durch die Reihen schlängeln, bis wir eine Tür oder ein Schott erreichen und …«
Garrason brauchte nicht weiterzusprechen, die anderen hatten es ebenfalls bemerkt.
Die Maschinen hatten zu arbeiten aufgehört. Das Schiff trieb ohne Antrieb durch den Raum.
Jetzt kam es auf jede Sekunde an.
*
Barak Iter nahm seine Arbeit ernst. Sorgfältig überwachte er das Lademanö
ver. Stählerne Greifer packten nach den Containern und stießen sie in den Leerraum. Früher hatte man das Verfahren weniger aufwendig gestaltet. Man hatte nur dafür gesorgt, daß für einige Zeit die Gravitation im Laderaum auf Null gestellt wurde – so lange, bis die große Ladeschleuse geöffnet war. Dann brauchte die Schwerkraft nur wieder eingeschaltet zu werden. Die Container fielen einfach aus dem Schiff. Zwar wurde der Fall einige Meter hinter der Schleusenöffnung nicht weiter beschleunigt, aber es reichte aus, um die Container weit genug vom Schiff zu entfernen. Leider hatte es früher dabei einige Unfälle gegeben. Container waren gegeneinandergestoßen, hatten ihre Fallrichtung geändert und einige Male sogar die Wand des Schiffes durchschlagen. Seither wurden die Behälter einzeln ins Vakuum befördert.
Obwohl die Greifer ihre Arbeit unter positronischer Überwachung ausführten, hatte man nicht darauf verzichtet, das Auslademanöver zusätzlich von einem Besatzungsmitglied kontrollieren zu lassen.
Daher saß Barak Iter vor einem Bildschirm und sah zu, wie die Robotarme nach
den Containern griffen. Langsam ließ er die Kamera den gesamten Laderaum abtasten. Es gab immer wieder defekte Container, aus denen der Müll herausfallen konnte. Dieser Unrat mußte dann gesondert außenbords gebracht werden.
Diesmal schienen alle Container in Ordnung zu sein. Bei der Schlußkontrolle fand Barak Iter kein herumliegendes Stück. Der Laderaum war vollkommen leer.
»Phase zwei«, murmelte Iter vergnügt. Er wußte aus leidvoller Erfahrung, daß
die Sauberkeit der POLETSCHT nicht lange vorhalten würde. Spätestens nach der dritten Fahrt würden sämtliche Räume wieder den unverkennbaren aromatischen Stempel haben, der diese Arbeit kennzeichnete. Aber die Tage, in denen das Schiff wieder roch wie alle anderen Schiffe auch, waren ausgesprochen genußvoll. Sogar das Essen schmeckte dann wieder einigermaßen normal.
»Bei Ihnen ist alles klar, Iter?« Nacheinander rief der Kommandant der
POLETSCHT alle Stationen auf und überzeugte sich davon, daß alle Besatzungsmitglieder sich in vakuumdichten Räumen aufhielten. Erst als er sicher war, nichts übersehen zu haben, ließ er die Verbindung zwischen Laderaum und allen anderen Räumen des Schiffes herstellen.
Vergnügt sah Barak Iter zu, wie der kostbare Sauerstoff im Raum verwehte. Der Besatzung konnte nichts geschehen, aber in den nächsten Stunden würden die Männer genug damit zu tun haben, die Ratten und anderes Kleingetier aufzusammeln, das dem Vakuum zum Opfer gefallen war.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, am Bildschirm zuzusehen, wie sich das Vakuum ausbreitete, rasend schnell und absolut tödlich.
10.
»Venco-Nar! Was sollen wir auf Venco-Nar?«
Fretnorcs Frage bekam keine Antwort.
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Die Männer waren erschöpft. Die Anspannung der letzten Stunden hatten sie schwer belastet. Erst in buchstäblich letzter Sekunde war es ihnen gelungen, ein Rettungsboot ausfindig zu machen und in die Raumanzüge zu schlüpfen, die dort gelagert waren. Andernfalls wären sie der überraschenden Säuberungsaktion zum Opfer gefallen.
»Keine Sorge, Freunde!« versuchte Huccard seine Kunden zu beruhigen. »Die GLORIOC verfügt natürlich auf Venco-Nar über eine leistungsfähige Filiale. Auch dort kann die GLORIOC ihren wichtigen Aufgaben jederzeit gerecht werden!«
»Eine Filiale?« staunte Fretnorc. Er dachte an Huccards Büro auf Pejolc.
Wenn der Mann nicht einmal in der Lage war, einen Video-Anschluß zu mieten, wie konnte er dann den Unterhalt einer Filiale bezahlen?
»Vertrauen Sie auf Huccard und die GLORIOC«, posaunte Huccard. »Wir werden sehen!«
Nach den Fehlschlägen der letzten Tage und Stunden schien es keine Steigerung mehr zu geben. Vor allem aber schien den Männern unbegreiflich, woher Huccard sein Selbstvertrauen nahm. Dieser Mann hatte bisher nichts geboten außer Pannen und dafür ein horrendes Honorar verlangt. Zweifellos war Huccard intelligent, hochintelligent sogar, außerdem mußte er über gewisse Talente verfügen. Anders ließ sich nicht erklären, daß Huccard trotz seiner Intelligenz weiterhin die Agentur betrieb. Auf irgendeine Art und Weise mußte er schließlich für seinen Lebensunterhalt sorgen.
»Warten Sie ab, bis wir gelandet sind«, prophezeite Huccard selbstsicher.
»Sie müssen uns zu einer Funkstation führen«, beschwor ihn Fretnorc. »Alles andere ist jetzt unwichtig geworden.«
»Eine Kleinigkeit«, gab Huccard an. »Sie brauchen eine Funkstation, Huccard wird eine Funkstation besorgen. Es gibt nichts, was die GLORIOC nicht zuwege brächte!«
»So viel Optimismus möchte ich auch einmal haben«, murmelte Polc-Tanier.
Peter Terrid
Die POLETSCHT setzte zur Landung an. Schon auf den ersten Blick war zu sehen, daß die Anlagen auf Venco-Nar bei weitem nicht so sorgfältig bewacht wurden wie der Raumhafen von Keme. Es würde nicht schwerfallen, den Hafen unbemerkt zu verlassen.
Das größte Problem bestand einstweilen darin, unbehelligt aus dem Schiff zu kommen. Schließlich wußte die Besatzung genau, wer an Bord etwas zu suchen hatte und wer nicht. Außerdem war der Geruch, der in den Kleidern haftete, überaus verräterisch.
Ein Ruck ging durch die POLETSCHT, als das Schiff den Boden des Planeten berührte. Noch war es dunkel über diesem Bereich des Planeten, in wenigen Stunden würde es zu dämmern beginnen.
Die Männer warteten einfach ab. Die Besatzung der POLETSCHT verließ
das Schiff, die Schleusen wurden verschlossen, alle Energieanlagen stillgelegt. Sobald Polc-Tanier sicher war, daß die Gruppe allein an Bord war, schaltete er die Innenbeleuchtung der kleinen Mannschleuse ein. Er nickte zufrieden, als er sah, daß sich die Schleuse ohne Schwierigkeit auch von innen per Hand öffnen ließ.
Eine Stunde warteten die Männer, dann verließen sie das Schiff. Das Verlassen erwies sich als einfach, aber Polc-Tanier hatte einige Zeit gebraucht, bis er ein anderes Problem gelöst hatte – die Anwesenheit Fremder an Bord zu vertuschen. Von innen öffnen ließ sich die Schleuse ohne Mühe, auch die kleine Rampe fuhr anstandslos aus. Schwierig war, die Rampe von außen wieder zufahren zu lassen. Der Kommandant der POLETSCHT benutzte dazu ein Funkgerät, mit dem er seine Befehle an die entsprechende Positronik durchgeben konnte. Dieses Gerät stand der Gruppe nicht zur Verfügung.
Daher mußte Polc-Tanier die Positronik entsprechend programmieren. Sie sollte zunächst die Schleuse öffnen, dann wieder nach einer bestimmten Zeit schließen und – was das Schwierigste war – anschließend die
49 Einsatzgruppe Pejolc
entsprechende Programmierung einfach vergessen.
Polc-Tanier konnte nur hoffen, daß dieser Trick funktionieren würde. Einen Teilerfolg konnte er verbuchen, als sich die Mannschleuse selbsttätig wieder schloß. Ob auch der zweite Teil funktionieren würde, blieb der Zukunft überlassen.
Unbemerkt von den Wachen verließen die Männer den Raumhafen. Als sie den Zaun hinter sich gebracht hatten,, atmeten sie zum ersten Mal an diesem Tag auf.
*
»So können wir uns wieder unter Menschen wagen«, stellte Fretnorc zufrieden fest.
Die Gruppe hatte einen ausgedehnten Aufenthalt in einer Badeanstalt hinter sich. Von dem Müllgeruch war nichts mehr zu spüren.
»Folgen Sie mir!« forderte Huccard seine Begleiter auf. »Wir machen uns auf die Suche nach einer Funkstation. Ich bin sicher, daß wir eine finden werden.«
Fretnorc schüttelte den Kopf. »Kennen Sie keine Station? Was heißt in
diesem Zusammenhang: suchen?« »Ich kenne mich hier nicht aus«, gab Huc
card zu. »Ich muß erst einmal feststellen, wo wir überhaupt sind.«
»Was bleibt uns anderes übrig«, murmelte Polc-Tanier, der es längst aufgegeben hatte, sich über Huccard zu wundern. Der Mann war ein Phänomen, damit war alles gesagt.
Langsam trottete Huccard durch die Straßen. Er betrachtete die Häuser, schüttelte immer wieder den Kopf und murmelte vor sich hin. Keiner verstand, was er zu sagen hatte, und keiner wagte ihn zu fragen. Wie Schulkinder hinter ihrem strengen Lehrer trotteten die Männer hinter Huccard her, stets auf eine Überraschung gefaßt.
Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten.
DIE UNTERSCHRIFT, DIE SIE ZUM SIEGER MACHT – bei der SCC.
In meterhohen Leuchtbuchstaben sprang diese Zeile dem Betrachter in die Augen. Fretnorc sah, wie Huccard die Fäuste ballte.
Das große Haus war mit Werbesprüchen förmlich überkrustet, und ganz offensichtlich versuchte die SCC den Eindruck zu erwecken, daß sie eine große und reiche Agentur sei, die diesen Reichtum ihrem Erfolg bei den KAYMUURTES zu verdanken hatte. Dieser Zweck wurde vollkommen erreicht.
Auf einer großen Projektionsfläche liefen pausenlos Filme, die die berühmtesten Kämpfer in voller Aktion zeigten. Vor dem Haus hatte sich trotz des frühen Morgens eine beachtliche Menschenmenge versammelt, die fasziniert die Kämpfer betrachteten. Immer wieder war das gleiche Bild zu sehen: ein spannender Kampf, dann die Siegerehrung – und schließlich der Hinweis, daß dieser Kämpfer von der SCC betreut und gefördert worden war.
Das ganze wurde von einer stimulierenden Musik untermalt und war sichtlich effektvoll.
Huccard setzte sich in Bewegung. Fretnorc versuchte nach seinem Arm zu fassen, aber der kleine Mann entzog sich seinem Griff.
»Gesindel!« keifte Huccard. »Betrüger, Halsabschneider!«
Blind vor Wut rannte er auf das Haus zu. Die Zuschauer sahen ihn, erkannten seinen Geisteszustand und freuten sich auf ein Spektakel. Ungehindert konnte Huccard in die Gebäude eindringen.
Fretnorc sah seine Begleiter flehend an. »Wir müssen ihn herausholen, sonst sind
wir ebenfalls in Gefahr. Er wird uns verraten!«
»Wir hätten ihn mitsamt dem Müll in den Raum befördern sollen«, knurrte Garrason wütend.
Die vier Männer marschierten Huccard nach.
»Viel Vergnügen!« rief ein spöttischer Zuschauer. Fretnorc überhörte die Kommentare.
Die Zuschauer wollten sich das Spektakel
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nicht entgehen lassen und versuchten die Männer abzudrängen. Fretnorcs Geduld war bald erschöpft, er begann seine Körperkräfte auszuspielen. Mühsam kämpften sich die Männer durch die Menge.
Im Innern des Büros war das Chaos unbeschreiblich.
Huccard wütete. Akten flogen wie Schneeflocken durch
den Raum, und mit allem, was sich als Wurfgeschoß eignete, zielte Huccard auf die Bildschirme im Hintergrund des Raumes. Bildschirm nach Bildschirm platzte und spie Splitter in den Raum. Kabelbrände brachen aus, das Personal suchte sein Heil in sofortiger Flucht. Ein untersetzter Mann riß in seinem Eifer eine Leiter um; die junge Frau, die gerade nach einigen Dokumenten gesucht hatte, schrie auf und klammerte sich an dem Regal fest. Es neigte sich langsam und kippte dann mit lautem Getöse vornüber. Das Oberteil landete auf einem Schreibtisch und wurde von einem Wust von Blättern begraben. Ein Mann, wahrscheinlich der Filialleiter, versuchte Huccard zu besänftigen, hatte aber damit wenig Erfolg. Huccard packte ihn und hebelte ihn gekonnt über die Schulter. Laut schreiend flog der Mann durch die Luft und prallte mit zwei muskelbepackten Angestellten zusammen, die ihm zu Hilfe eilen wollten. Die Dreiergruppe rutschte über den glatten Steinboden und landete in einem großen Bassin. Das Wasser schwappte über den Rand und verteilte sich auf dem Boden.
»Huccard!« brüllte Fretnorc, aber gegen das Organ des Inhabers der GLORIOC kam er nicht an.
»Ich werde euch lehren, gegen mich zu arbeiten«, schäumte Huccard. »Ruiniert habt ihr mich, ihr Lumpenpack!«
Er bedachte die Angestellten der SCC mit einer Kanonade von Schimpfworten und Flüchen. Erst als ihm das Büro hinreichend verwüstet erschien, beruhigte er sich etwas.
Es wurde auch höchste Zeit, daß er wieder zu sich fand. Im Hintergrund war deutlich das Heulen von Polizeisirenen zu hören.
Peter Terrid
»Los, weg von hier!« Garrason hatte das Kommando übernom
men. Hastig suchten die Männer das Weite; den noch immer keifenden Huccard schleppten sie untergehakt hinter sich her.
Der Kopf des Filialleiters tauchte vorsichtig über dem Rand des Beckens auf. Als er sah, was der Wahnsinnige innerhalb weniger Minuten aus seinem Büro gemacht hatte, fiel er in das Becken zurück.
*
Die beiden Männer bewegten sich leise und vorsichtig. Sie kannten ihre Aufgabe, und sie führten sie mit der Ruhe erfahrener Profis aus. Vorsichtig, um sich nicht zu infizieren, betrachteten sie die Dokumente. Sie lasen jede Zeile, die ihnen vor die Augen kam, sie entdeckten auch das getarnte Video.
Sie fanden die Geheimtür unter dem Schreibtisch, sie entdeckten den schweren Safe, der im Keller stand. Der Keller konnte nur durch die Geheimtür betreten werden.
Der Auftrag der beiden Männer lautete: Feststellen, was es mit Huccard auf sich
hat! Sie gehörten der Einsatzgruppe Pejolc an,
die von Atlan in Keme abgesetzt worden war, um die Aktionen des Kristallprinzen zu schützen und zu fördern. Sie hatten davon gehört, daß vier Männer der Einsatzgruppe sich an den ominösen Huccard gewandt hatten und nun mit dem Inhaber der GLORIOC verschwunden waren.
»Hier!« sagte der größte der beiden Männer. »Ein Kontoauszug!«
Der andere pfiff leise durch die Zähne. Der Betrag stand im krassen Gegensatz
zur Schäbigkeit des Büros, desgleichen der Safe, eine hochmoderne Konstruktion, die den beiden Männern das letzte abverlangte. Die Männer ahnten bereits, was sie erwarten würde, wenn sie den Safe geknackt hatten.
Ein neues Bündel von Dokumenten, säuberlich abgeheftet. Die Unterlagen waren mit pedantischer Sorgfalt ausgearbeitet wor
51 Einsatzgruppe Pejolc
den. Die Stimme des Kleineren deutete etwas Der Größere faßte das Ergebnis zusam- von dem Schrecken an, der den Mann erfaßt
men: hatte. »Huccard ist kein normaler Agent, jeden- »Vielleicht ist er nur Bote, Zuträger, ein
falls nicht für die Kampfspiele. Er arbeitet kleiner Informant«, versuchte der Größere mit dem Geheimdienst Arkons zusammen.« seinen Freund zu beruhigen. Der Kleinere
Der Kleinere nickte düster. zuckte mit den Schultern. »Huccard hat sogar gute Verbindungen Er sah auf seine Uhr, auf die Datumsan
zur Zentrale des Geheimdienstes auf Arkon. zeige. Diese Kontakte sind einwandfrei nachweis- In zwölf Tagen begannen die KAYMU-bar!« URTES!
»Und Fretnorc und seine Gruppe arbeiten mit Huccard zusammen. Sie werden versuchen, Atlan nach Pejolc zurückzuholen.«
E N D E
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 274: Treffpunkt der Gaukler von Marianne Sydow Vier Freunde gegen eine Stadt – Kemjack im Taumel der KAYMUURTES