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157 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 79 (2010), Heft 3 Das vorliegende Schwerpunktheft von STAHLBAU widmet sich dem Bau und der Erhaltung von Eisenbahnbrücken. Es werden mehrere spezifische Themen des Eisenbahnbrückenbaus in Theorie und An- wendung diskutiert. Eisenbahnbrücken sind im Vergleich zu anderen Brückenbauwerken wahrhaft Hochleistungstragwerke. Ihre vertikalen Verkehrslasten und vor allem die horizontalen Einwirkungen sind deutlich größer als bei Straßenbrücken. Wesentliche technische Herausforderungen stellen sich weiterhin aufgrund der erhöhten An- forderungen an die Gebrauchstauglichkeit. Eisenbahnbrücken sind nicht nur ein wichtiges Infrastrukturelement, sie haben wegen ihrer Größe und Dominanz in Städtebau und Landschaft gleichermaßen Bedeutung als Kulturgut. Die gute Gestaltung der Eisenbahnbrücken und ihre optimale Integration in die Umgebung ist daher im Neubau eine genau so wichtige Aufgabe wie die Sicherstellung von Tragfähig- keit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. Die Einhaltung der Anforderungen der Gebrauchstauglichkeit wird maßgeblich bestimmt durch die Steifigkeit der Bauwerke. Eine hohe Steifigkeit gewährleistet über die Einhaltung von Grenzwerten für die vertikalen und horizontalen Verformungen sowie für die Beschleunigungen einen guten Reisendenkomfort und gewährleistet gleichzeitig die Fahrbahnstabilität. Diese Anforderungen steigen mit den auf der Brücke zulässigen Geschwindigkeiten überproportional an. Soll auf der Brücke noch eine feste Fahrbahn eingebaut werden, kommen weitere Randbedingungen mit hohem technischem Anspruch hinzu. In einem Aufsatz wird die starke Wechselwirkung zwischen dem Brückenbauwerk und der Fahrbahnkonstruktion thematisiert, die im Entwurfskonzept von Beginn an beachtet werden muss. Die Entwicklung im Eisenbahnbrückenbau der letzten Jahrzehnte ist durch eine enorme Erhöhung der Geschwindigkeit gekennzeichnet. Vor 1970 war die Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h beschränkt, dann wurden die ersten Hochgeschwindigkeitsstrecken mit 200 und 250 km/h realisiert. Heute wird auf Neubaustrecken bereits eine Ent- wurfsgeschwindigkeit von bis zu 350 km/h vorgesehen. Daraus resul- tieren neue bzw. verschärfte Forderungen für das Eisenbahnhochge- schwindigkeitsnetz wie beispielsweise die Einhaltung der dynamischen Stabilität der Brückenbauwerke und die Nachweise zur Resonanz- gefährdung. In einem Aufsatz wird dargelegt, dass diese Anforderungen entscheidend für die Realisierbarkeit eines Brückenentwurfs sein können. Auch in anderen europäischen Staaten, insbesondere in Frank- reich und Spanien, wurde in den vergangenen Jahren in erheblichem Ausmaß in neue Hochgeschwindigkeitsstrecken investiert. Dabei wurden, anders als in Deutschland, viele Großbrücken in Verbund- bauweise realisiert. Ein Aufsatz berichtet deshalb über zwei besondere Brückenbauwerke in Verbundbauweise, die auf der Strecke Madrid– Barcelona gebaut wurden. Auch über aktuelle deutsche Entwicklungen Editorial Eisenbahnbrücken DOI: 10.1002/stab.201001319 Karsten Geißler Steffen Marx

Eisenbahnbrücken

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157© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 79 (2010), Heft 3

Das vorliegende Schwerpunktheft von STAHLBAU widmet sich demBau und der Erhaltung von Eisenbahnbrücken. Es werden mehrerespezifische Themen des Eisenbahnbrückenbaus in Theorie und An-wendung diskutiert. Eisenbahnbrücken sind im Vergleich zu anderenBrückenbauwerken wahrhaft Hochleistungstragwerke. Ihre vertikalenVerkehrslasten und vor allem die horizontalen Einwirkungen sinddeutlich größer als bei Straßenbrücken. Wesentliche technischeHerausforderungen stellen sich weiterhin aufgrund der erhöhten An-forderungen an die Gebrauchstauglichkeit. Eisenbahnbrücken sindnicht nur ein wichtiges Infrastrukturelement, sie haben wegen ihrerGröße und Dominanz in Städtebau und Landschaft gleichermaßenBedeutung als Kulturgut. Die gute Gestaltung der Eisenbahnbrückenund ihre optimale Integration in die Umgebung ist daher im Neubaueine genau so wichtige Aufgabe wie die Sicherstellung von Tragfähig-keit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit.

Die Einhaltung der Anforderungen der Gebrauchstauglichkeitwird maßgeblich bestimmt durch die Steifigkeit der Bauwerke. Einehohe Steifigkeit gewährleistet über die Einhaltung von Grenzwertenfür die vertikalen und horizontalen Verformungen sowie für dieBeschleunigungen einen guten Reisendenkomfort und gewährleistetgleichzeitig die Fahrbahnstabilität. Diese Anforderungen steigen mitden auf der Brücke zulässigen Geschwindigkeiten überproportionalan. Soll auf der Brücke noch eine feste Fahrbahn eingebaut werden,kommen weitere Randbedingungen mit hohem technischem Anspruchhinzu. In einem Aufsatz wird die starke Wechselwirkung zwischendem Brückenbauwerk und der Fahrbahnkonstruktion thematisiert, dieim Entwurfskonzept von Beginn an beachtet werden muss.

Die Entwicklung im Eisenbahnbrückenbau der letzten Jahrzehnteist durch eine enorme Erhöhung der Geschwindigkeit gekennzeichnet.Vor 1970 war die Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h beschränkt,dann wurden die ersten Hochgeschwindigkeitsstrecken mit 200 und250 km/h realisiert. Heute wird auf Neubaustrecken bereits eine Ent-wurfsgeschwindigkeit von bis zu 350 km/h vorgesehen. Daraus resul-tieren neue bzw. verschärfte Forderungen für das Eisenbahnhochge-schwindigkeitsnetz wie beispielsweise die Einhaltung der dynamischenStabilität der Brückenbauwerke und die Nachweise zur Resonanz-gefährdung. In einem Aufsatz wird dargelegt, dass diese Anforderungenentscheidend für die Realisierbarkeit eines Brückenentwurfs seinkönnen.

Auch in anderen europäischen Staaten, insbesondere in Frank-reich und Spanien, wurde in den vergangenen Jahren in erheblichemAusmaß in neue Hochgeschwindigkeitsstrecken investiert. Dabeiwurden, anders als in Deutschland, viele Großbrücken in Verbund-bauweise realisiert. Ein Aufsatz berichtet deshalb über zwei besondereBrückenbauwerke in Verbundbauweise, die auf der Strecke Madrid–Barcelona gebaut wurden. Auch über aktuelle deutsche Entwicklungen

Editorial

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DOI: 10.1002/stab.201001319

Karsten Geißler

Steffen Marx

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im Eisenbahn-Verbundbrückenbau sowie über die Anwendung vonNetzwerkbögen als neue Bauart im Eisenbahnbrückenbau wird imvorliegenden Heft berichtet. Ein weiterer Aufsatz beschäftigt sich mitden im Rahmen der Bemessung derartiger Bauwerke meist relevantenGrundlagen der Temperatureinwirkungen für Brücken.

Viele ältere Eisenbahnbrücken prägen in ganz besonderem Maßeunser Umfeld. Die zutreffende Beurteilung ihrer Tragfähigkeit undRestnutzungsdauer ist aus Sicherheitsaspekten sowie aus volkswirt-schaftlichen als auch baukulturellen Gründen notwendig. Die Schweizwar auf diesem Gebiet schon immer „Vorreiter“ dieser Entwicklungen.Anhand von Beispielen aus der Schweiz wird deshalb in einem Aufsatzaufgezeigt, dass bei der Erhaltung genieteter Bahnbrücken von hohemkulturellem Wert die Interessen von Infrastruktur und Denkmalschutzübereinstimmen können.

Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Prof. Dr.-Ing. Steffen MarxTechnische Universität Berlin Technische Universität Dresden

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