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Elektrorheologie Red a k t i o n Elektrorheologie in Flussigkeiten Bestimmte Flussigkeiten werden unter der Wirkung eines elektrischen Feldes zah, ja sogar steif. Man kann an ihre Anwendung in Ventilen ohne bewegliche Teile oder an Kupplungen ohne mechanische Verstellung denken. Elektrorheologische oder elektroviskose Flussigkeiten bestehen aus kleinen Teilchen mit Durchmessern von 0,1 bis 100 pm, die in einem elektrisch nichtieitenden Medium dis- pergiert sind. Ohne elektrisches Feld sind die Teiichen statistisch orientiert (Abbildung 1 a). Bei Anwesenheit eines elektrischen Feldes werden die Teilchen poiarisiert und ordnen sich zu fadenahnlichen Gebilden langs der Feldlinien (Abbildung Ib). Diese Faden sind mechanisch belastbar und verursachen eine extreme Erhohung der Viskositat. Als Fius- sigkeiten eignen sich Ole; als Teilchen kom- men Starke, Zeliulose, Glas, Keramik und be- stimmte Polymere in Frage. Die Viskositat nimmt quadratisch mit der elektrischen Feldstarke zu, was man auch er- wartet, wenn man zunachst eine Polarisation aufbauen mug, die dann mit dem elektrischen Feld wechselwirkt. Die besten Resultate erhalt man fur Teilchen- volumenanteile von 10 bis 40 %. Die Zugabe von Wasser verstarkt den Effekt der Teil- chenausrichtung. Mit verschiedenen Hypothesen versuchen Wissenschaftler das Verhaiten der Flussigkeit zu beschreiben: Fur Alice GadStanford University ist das Hauptkriterium der Unterschied in der Di- elektrizitatskonstanten (DK) zwischen Teil- chen und umgebendem Fluid; ohne Unter- schied in der DK gibt es keine Teiichenaus- richtung. Zusammen mit ihrem Studenten P. Adriani, sowie Charles Zukoski/University of Illinois at Urbana und dessen Studenten D. Klingenberg, entwickelte die Wissenschaftle- rin Modelle, bei denen von einer homogenen Flussigkeit mit darin suspendierten Teilchen ausgegangen wird. Die Kettenstrukturen ias- sen sich hiermit zwar modellieren, die Scher- starken der Flussigkeit ergeben sich jedoch eine Zehnerpotenz zu niedrig. Im nachsten Rechenschritt sol1 die Oberflachenrauhigkeit der Teilchen mitberucksichtigt werden. 0 John BradyKaltech, California bringt ne- ben den elektrischen Grogen auch noch hy- drodynamische Beziehungen mit ins Spiel; die Ursache fur die Versteifung der Fiiissig- keiten ist seiner Meinung nach die Anzie- hungskraft zwischen den polarisierten Ted- chen. James Stangroom/England widerspricht diesen Deutungsversuchen vehement; fur ihn sind die elektrischen Krafte zwischen den dieiektrischen Teilchen vie1 zu gering, um die beobachteten Phanomene zu erklaren. Seiner Meinung nach spielt der Wassergehalt der Proben eine entscheidende Rolle. Zusatzlich zur Teilchenpolarisation ist die Anlagerung von Ionen an oder in die Teilchen wichrig. Die Ionen wiederum dienen ais Aggrega- tionszentren fur Wassermolekiile, die lerzt- lich die Teilchenzusammenlagerung bewir- ken. Derartige Wasserbrucken sind fur die Verfe- stigung einer Mehl-01-Mischung (auch ohne eiektrische Felder) verantwortlich, wenn die- ser Wasser zugesetzt wird. Dieses Argument will Ch. Zukowski nicht akzeptieren, der Experimente mit gezielter Dotierung der Kugelchen vornimmt, um de- ren DK zu verandern. Seine experimentellen Ergebnisse stimmen sehr gut mit Modellrech- nungen uberein. Pbysik in unserer Zeit / 21. Jabrg. 1990 / Nr. 5 0 VCH Verlagsgesellscbaft mbH, 0-6940 Weinbeim, 1990 0031-9252/V0/0509-0209 $ 03.50 + .25/0 Abb. 1. a) Ohne elektrisches Feld sind die Teilchen in elektrorheologischen Flussig- keiten statistisch verteilt; b) nach Anlegen eines Feldes lagern sich die Teilchen zu fa- denartigen Strukturen zusammen, welche auch Krafte iibertragen konnen. Die Rolle des Wassers ist dennoch nicht be- friedigend geklart. Oberhalb von 100 "C ver- lieren namlich elektrorheoiogische Flussig- keiten ihre Verfestigungseigenschaften sehr schnell. Andererseits sucht man gezielt nach elektroviskosen Fliissigkeiten, die auch ober- halb von 100 "C ihre Funktionsfahigkeit be- halten. Auch in der Bundesrepublik gibt es For- schungsaktivitaten an eiektroviskosen Flus- sigkeiten. So halt die Bayer AG/Leverkusen eine Reihe von Patenten fur ,,intelligente" Si- iikonole. Hauptziel der Entwicklungsarbeiten ist ihr Einsatz in ABS-Systemen und Kupplungen im PKW. In Japan sollen eiektroviskose Flussigkeiten zur Dampfung von erdbebeninduzierten Ge- baudeerschutterungen eingesetzt werden. (Science 247, 1180 (1990)) 209

Elektrorheologie in Flüssigkeiten

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Elektrorheologie

Red a k t i o n Elektrorheologie in Flussigkeiten Bestimmte Flussigkeiten werden unter der Wirkung eines elektrischen Feldes zah, ja sogar steif. Man kann an ihre Anwendung in Ventilen ohne bewegliche Teile oder an Kupplungen ohne mechanische Verstellung denken.

Elektrorheologische oder elektroviskose Flussigkeiten bestehen aus kleinen Teilchen mit Durchmessern von 0,1 bis 100 pm, die in einem elektrisch nichtieitenden Medium dis- pergiert sind. Ohne elektrisches Feld sind die Teiichen statistisch orientiert (Abbildung 1 a). Bei Anwesenheit eines elektrischen Feldes werden die Teilchen poiarisiert und ordnen sich zu fadenahnlichen Gebilden langs der Feldlinien (Abbildung Ib). Diese Faden sind mechanisch belastbar und verursachen eine extreme Erhohung der Viskositat. Als Fius- sigkeiten eignen sich Ole; als Teilchen kom- men Starke, Zeliulose, Glas, Keramik und be- stimmte Polymere in Frage.

Die Viskositat nimmt quadratisch mit der elektrischen Feldstarke zu, was man auch er- wartet, wenn man zunachst eine Polarisation aufbauen mug, die dann mit dem elektrischen Feld wechselwirkt.

Die besten Resultate erhalt man fur Teilchen- volumenanteile von 10 bis 40 %. Die Zugabe von Wasser verstarkt den Effekt der Teil- chenausrichtung.

Mit verschiedenen Hypothesen versuchen Wissenschaftler das Verhaiten der Flussigkeit zu beschreiben:

Fur Alice GadStanford University ist das Hauptkriterium der Unterschied in der Di- elektrizitatskonstanten (DK) zwischen Teil- chen und umgebendem Fluid; ohne Unter- schied in der DK gibt es keine Teiichenaus- richtung. Zusammen mit ihrem Studenten P. Adriani, sowie Charles Zukoski/University of Illinois at Urbana und dessen Studenten D. Klingenberg, entwickelte die Wissenschaftle- rin Modelle, bei denen von einer homogenen Flussigkeit mit darin suspendierten Teilchen ausgegangen wird. Die Kettenstrukturen ias- sen sich hiermit zwar modellieren, die Scher- starken der Flussigkeit ergeben sich jedoch eine Zehnerpotenz zu niedrig. Im nachsten Rechenschritt sol1 die Oberflachenrauhigkeit der Teilchen mitberucksichtigt werden.

0 John BradyKaltech, California bringt ne- ben den elektrischen Grogen auch noch hy- drodynamische Beziehungen mit ins Spiel; die Ursache fur die Versteifung der Fiiissig- keiten ist seiner Meinung nach die Anzie- hungskraft zwischen den polarisierten Ted- chen.

James Stangroom/England widerspricht diesen Deutungsversuchen vehement; fur ihn sind die elektrischen Krafte zwischen den dieiektrischen Teilchen vie1 zu gering, um die beobachteten Phanomene zu erklaren. Seiner Meinung nach spielt der Wassergehalt der Proben eine entscheidende Rolle. Zusatzlich zur Teilchenpolarisation ist die Anlagerung von Ionen an oder in die Teilchen wichrig. Die Ionen wiederum dienen ais Aggrega- tionszentren fur Wassermolekiile, die lerzt- lich die Teilchenzusammenlagerung bewir- ken.

Derartige Wasserbrucken sind fur die Verfe- stigung einer Mehl-01-Mischung (auch ohne eiektrische Felder) verantwortlich, wenn die- ser Wasser zugesetzt wird.

Dieses Argument will Ch. Zukowski nicht akzeptieren, der Experimente mit gezielter Dotierung der Kugelchen vornimmt, um de- ren DK zu verandern. Seine experimentellen Ergebnisse stimmen sehr gut mit Modellrech- nungen uberein.

Pbysik in unserer Zeit / 21. Jabrg. 1990 / Nr. 5 0 VCH Verlagsgesellscbaft mbH, 0-6940 Weinbeim, 1990 0031-9252/V0/0509-0209 $ 03.50 + .25/0

Abb. 1. a) O h n e elektrisches Feld sind die Teilchen in elektrorheologischen Flussig- keiten statistisch verteilt; b) nach Anlegen eines Feldes lagern sich die Teilchen zu fa- denartigen Strukturen zusammen, welche auch Krafte iibertragen konnen.

Die Rolle des Wassers ist dennoch nicht be- friedigend geklart. Oberhalb von 100 "C ver- lieren namlich elektrorheoiogische Flussig- keiten ihre Verfestigungseigenschaften sehr schnell. Andererseits sucht man gezielt nach elektroviskosen Fliissigkeiten, die auch ober- halb von 100 "C ihre Funktionsfahigkeit be- halten.

Auch in der Bundesrepublik gibt es For- schungsaktivitaten an eiektroviskosen Flus- sigkeiten. So halt die Bayer AG/Leverkusen eine Reihe von Patenten fur ,,intelligente" Si- iikonole.

Hauptziel der Entwicklungsarbeiten ist ihr Einsatz in ABS-Systemen und Kupplungen im PKW.

In Japan sollen eiektroviskose Flussigkeiten zur Dampfung von erdbebeninduzierten Ge- baudeerschutterungen eingesetzt werden.

(Science 247, 1180 (1990))

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