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Unverkäufliche Leseprobe aus: Elke Heidenreich Alles kein Zufall Kurze Geschichten Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechts- widrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Über- setzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Elke Heidenreich Alles kein Zufall Kurze Geschichten · Puschel Ę∆Ď Putzfrauen Ę ... laut, mit weit geöĻnetem Mund, immer auf demselben dummen Ton, ein künstliches,einfreudlosesLachen.Esquältmich

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Unverkäufliche Leseprobe aus:

Elke Heidenreich

Alles kein Zufall

Kurze Geschichten

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch

auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechts-

widrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Über-

setzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

i n h a l t

Friss, Vogel 7

Allein 10Aushalten 11

Bahnhof 12Balkon 13Bankpost 14Bill Haley 15Blumen 16Börsentränen 17Briefe 18Briefträger 19Brüder I 20Brüder II 21Buddhist 22

Chakra 23Champagner 24Corleone 25

Dallas 27Demo 28Desaster 29Diebstahl 30Don Juan 32Drogen 33

Elienne 34Englisch 35Entdeckung 36Entsetzen 37Erben 38Ernte 39Erzählen 40Exotisch 41

Fenster 42Fernreiki 43Festlich 45Ford 46Frage 48Freaks 49Freund 50Freundin 51Frühstück 52

Geht doch 53Gesichter 54Gespräche 55Glück 56Godot I 57Godot II 58Gold 59Gott 60Großmutter 61

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Haie 62Handy 63Haus 64Heiligabend 66Herzlos 67Hoffnung 68Holland 70Hotel I 71Hotel II 72Hund 73

Irre 75Isabel 77It’s All Over 78

Kind 79Kindergarten 80Klangkörperbewegung 81Klauen 82Koffer 83Kommunismus 84Konzert 85Krähe 86Küssen 87

Lackschuhe 88Lampions 90Lebensretterin 91Leon 92Lesen 93

Lifta 94Lottogewinn 95Lüge 96Lulu 98Luparetta 99Lurchi 100

Mamma 101Männer 102Marotten 103Martin Rütter 104Martin 105Maus 107Mitte 108Mops 109Moral 110Moskau 111Musil 112Mythen 113

Nachbarn 114Nachts 115Nachtschattengewächse117Navigiertes Gespräch 118Nebenverdienst 120Nie und Nimmermehr 121Nietzsche 122Notizbuch 123Nurejew 124

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Ohrfeigenkuss 126Oktoberfest 127Onkel Hans 128Opern und Ohrfeigen 129Osten 131

Parsifal 133Passion 135Paula 136Pech 137Perlen 138Photos 140Poesie 141Politiker 142Post 143Probefahrt 144Puschel 146Putzfrauen 147

Radfahrer 148Rauchen I 150Rauchen II 151Reigen 152Reisegesicht 153Rheinreise 154Ring 156Risse 157Rollschuhe 158Rosen I 159Rosen II 161

Sargdeckel 162Scala 164Schminken 166Schnarchen 167Schnee 168Schönheit 169Sehen 170Sehnse 171Serienfinne 173Shanghai 175Silvester 176Sophokles 178Speicher 179Spielen 181Stall 182Steffi 183Steuerprüfung 185Student 186Studentenmenü 187Stur 188Suizid 190

Tagebuch 191Tages-Du 192Tante 193Telefon 194Tisch 195Touristenglück 196Traum 197Treffen 198

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Trockenfutter 199Tunnel 200

Vater 201Versicherung 202Verstand 203Vogel 204Vorsichtiger 206

Wagner 207Wahrheit 208Weihnachten 209Weißt du noch 213Weiteratmen 214Wert 215Whisky 216Wichtig I 217Wichtig II 218

Wildgänse 219Wirtshausgeschichte 220Wissen 221Wohnwagen 222Wunder 223Wunderkinder 224Wünsche 225Wunschkind 226

Yannick 227

Zettel 228Zu Unrecht 230Zufall 232

Alles kein Zufall 233

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F r i s s , V o G e l

Die Urgroßmutter sah streng über ihre Brille und sagte: Friss,Vogel, oder stirb! In der Erinnerung an sie gibt es nur dieseneinen Satz. Diesen Satz und ein dickes, sepiafarbenes Papp-foto, das sie als alte Frau zeigt, mit straffem, weißem Haar undkleinen, harten Augen. Sie sah aus wie ein General, der Wider-spruch nicht duldet. Nur drei ihrer acht Kinder blieben amLeben: Lina, Moritz und Albert, mein Großvater.

Friss, Vogel, oder stirb! Um Zartes, Krankes konnte sich dieUrgroßmutter nicht kümmern. Die Arbeit auf dem Feld warschwer, der Mann, ein jähzorniger Westerwälder Bauer, warfrüh gestorben an einer Blutvergiftung: Im Zorn hatte er sicheinen Zeh abgehackt, als der neue Sonntagsschuh zum Kirch-gang nicht passen wollte. Zwölf Jahre alt war Albert, der Äl-teste,und musste mithelfen,die Familie zu ernähren.Man wararm, es gab oft Schläge von der Mutter, Zärtlichkeit und Liebekannte er nicht, und die konnte er auch selber nicht geben, alser später als Schweißer zu Krupp nach Essen ging. Er heirateteGertrud, eine schmale, gottesfürchtige Frau, meine Großmut-ter, die heimlich Gedichte schrieb und die er schlug, wenn erdahinterkam. Sie schrieb mit zierlicher Schrift in ein Poesie-album, und Albert grölte die Verse durch die dunkle, kleineWohnung, denn wenn er getrunken hatte, konnte er singen:

Die zarteste, zugleich die reinste Blüthe,die Leben spendend aus dem Herzen schwillt,das ist die wahre, echte Herzensgüthe,die alles um sich mit Behagen füllt.

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Gleich einem Feuer, das an kalten Tagenbelebend Wärme giebt und Funken sprüht,weiß Güthe stets mit zartem Wort zu sagen,was wohlthut selbst dem wundesten Gemüth.

Sechs Kinder wurden Albert und Gertrud geboren, sechs Kin-der, in dieser Enge und Armut. Eines starb mit ein paar Wo-chen, es war kränklich, wollte die Augen nicht recht öffnen,hatte der Vater es im Schlaf erdrückt – versehentlich? Zur Be-erdigung ging er nicht, und er war still und trank ein ganzesJahr keinen Tropfen.Den ersten Rausch hatte er erst genau einJahr nach diesem Todestag, und in der Nacht muss Paula ge-zeugt worden sein, meine Mutter.

Großmutter Gertrud verwahrte bis zu ihrem Tod eine ver-gilbte Zeitungsseite aus dem Essener Kirchenblatt,Nr.44, 1913:»Das Kind in der Totenklage. Eine Allerseelenbetrachtung.«

Wie stirbt es schön sich in der Kindheit Tagen,die Knospe welkt, bevor sie sich erschlossen,es stockt das Herz, noch eh es recht geschlagen,und nichts verliert es, das noch nichts genossen.Zum Himmel kehrt die reine Seele wieder,kein finstrer Tod macht sie beim Scheiden beben,es beugt ein Engel sich zum Kinde nieder,und von den Lippen küsst er ihm das Leben.

»Behüt dich Gott!« steht in blassblauer Tinte auf dem brüchig-gelben Papier, in Gertruds schmaler Schrift.

Im Kriegsjahr 1914 tat Albert ein Gelübde: Wenn er nicht inden Krieg müsse,werde er mit dem Saufen aufhören.Er musste

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nicht, Krupp brauchte Männer wie ihn zur Kanonenproduk-tion. Albert hielt sein Gelübde: Er trank fünf Jahre lang nicht,sang aber auch nicht.

Die Söhne von Albert und Gertrud kamen zu Krupp, diedrei Mädchen – Sophie, Hedwig und Paula – lernten nähen:Paula nähte Wäsche, Sophie war Schneiderin bei feinen Herr-schaften, Hedwig machte Hüte. Hedwig und Paula hingenstark aneinander,aber Hedwig starb sehr jung an der Schwind-sucht,sie war gerade verlobt mit einem Friseur,der nach ihremTod Paula nachstellte. Hedwig vererbte Paula ihre Zither,aber die warf sie weg,weil sie sie nicht spielen konnte und weilsie immer alle Erinnerungen wegwarf, ihr Leben lang. Paulawarf die Briefe ihres ersten Geliebten weg, der im KZ starb, siewarf die Briefe ihres Mannes weg wie nach der Trennung denEhering, sie warf fast alles weg, was ihre Tochter ihr bastelte,schrieb, malte. Keine Erinnerungen. Nie ein Blick zurück,vorwärts wird geritten, sagte sie, mit zusammengebissenenZähnen. Alles, was man nicht brauchte, wurde weggeworfen,Erinnerungen brauchte man nicht. Als die Tochter, drei-zehnjährig, aus einem Ferienheim zurückkehrte, fand sie keinSpielzeug mehr – ihre Kinderbücher, Fritz, der Bär, PuppeBärbel – nichts mehr da. »Du bist zu alt dafür, und für Spe-renzchen haben wir keinen Platz«, sagte die Mutter.

Ihre Tochter wurde eine, die alles hortete – Fotos, Bilder,Briefe, Andenken, Erinnerungen, alles wurde in Kisten undKästen verwahrt, und als sie alt war, versank sie in ihnen, mur-melte und las und kramte und schaute.

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a l l e i n

Ganz allein sein, irgendwo, wo man fremd ist, das ist einfachinteressant. Man entdeckt Neues, ist offen, bereit für Über-raschungen.

Ganz allein sein an Orten, an denen man glücklich war, dasist schwer.Da sitzt einer mit Hund – ich saß dort auch mal miteinem Hund, den es nicht mehr gibt. Nur jetzt nicht weinen,allein an diesem Tisch. Wem wollte man die Tränen erklären,und wie? Orte, an denen man glücklich war, darf man imUnglück nicht wieder aufsuchen. Sie erlegen einem »all dieFlechtarbeit nicht abgestimmter Zustände« auf, so nennt DonDeLillo die Fülle der Erinnerungen. Sie erlegen einem zu vielauf. Glück darf man, ist es vergangen, nie wieder heraufbe-schwören. Seine Zwillingsschwester heißt Kummer.

Ich kenne einen Mann,der mit jeder neuen Freundin an dieOrte fährt, wo er mit seiner ersten Frau war, die er liebte unddie ihn verließ. Er wundert sich, dass es nie mehr so schön istwie damals. Er sollte allein fahren und überlegen, warum sieihn verlassen hat.Er wäre dann dort zwar nicht glücklich, abervielleicht einen Schritt weiter?

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a u s h a l t e n

Ich sitze im Speisesaal eines österreichischen Hotels. ZweiTische weiter eine Frau, die immerzu lacht, laut, mit weitgeöffnetem Mund, immer auf demselben dummen Ton, einkünstliches, ein freudloses Lachen. Es quält mich. Ich schreibeauf die Serviette: »Wenn Sie noch einmal lachen, bringe ichSie um.« Ich würde ihr die Serviette gern durch den extremblasierten Restaurant- oder Hotelchef zustellen lassen, der imTrachtenjankerl und mit Stechschritt von Tisch zu Tisch mar-schiert und schnarrt: »Gott!« oder »Zeit!«

Was meint er? Soll ich mir mehr Zeit für Gott nehmen? HatGott jetzt Zeit für mich?

Irgendwann versteh ich es, er meint »Grüß Gott!« und»Mahlzeit!«

Auf der Speisekarte stehen Breinwurst, Bohnschlotengu-lasch, Ganserl, Erdäpfelgnocchi, Sulzerl mit Kernöl, ich weißnicht, was das ist und was davon ich essen könnte. Ein Schildmit Pudel drauf besagt: »Mein Platz ist am Boden!« DürftenSchäferhunde und Möpse auf die Tische und Bänke?

Der Nachtisch heißt »Mohr im Hemd« und ist eine Art war-mer Schokoladenkuchen mit Sahne. Der Ober fragt: »War beiIhnen der Schluss in Ordnung?« Was meint er? Mein Lebens-ende? Den Mohren?

Zwei alte Damen am Nebentisch: »Ich sag immer, es gibtSchmerzen, die man aushalten kann, weil man sie aushaltenmuss.«

Manche Restaurantbesuche kann man auch nur aushalten,weil man sie aushalten muss.

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B a h n h o F

Lesung in Darmstadt, ich fahre mit dem Taxi zurück zumBahnhof. Also sage ich: »Zum Bahnhof, bitte.«

Der Taxifahrer fragt: »Zu welchem?«Ich sage: »Hat Darmstadt mehrere Bahnhöfe?«Er sagt: »Es gibt Bahnhöfe in Darmstadt, Mainz, Frankfurt

und Wiesbaden.«Ich sage: »Aber wir sind doch hier in Darmstadt?«Er antwortet: »Ja, aber man muss sich präzise ausdrücken.

Könnte ja sein, dass Sie zum Flughafen müssen, und dannwürden Sie zum Bahnhof in Frankfurt wollen.«

Ich schweige, aber ihn hat es nun gepackt, er lässt nicht lo-cker.

»Außerdem gibt es Bahnhöfe in Kassel, in Köln, in Ham-burg, in München …«

Ich hätte gern einen Schuss frei.

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B a l K o n

Wir wohnten Altbau, zweiter Stock, das ist hoch. An unsererKüche, nach hinten raus zu einem Hof voller Müll und Dreck,gab es einen kleinen Balkon,der war unsere Speisekammer imWinter und unser Garten im Sommer. Ich war ein mageresKind, schlechter Esser, viele Allergien, die man damals nochnicht kannte. Ich wusste nur: Esse ich Fisch, kriege ich keineLuft mehr. Meine Mutter hatte alles versucht, mir den Fischreinzuzwingen: Ich musste stundenlang, am Stuhl festgebun-den, vor dem Teller mit Fisch sitzen, ich musste Erbrocheneswieder essen, ich kriegte ein Pflaster auf den Mund, nachdemdie Gabel mit Fisch drin war, ich erbrach durch die Nase, eshalf alles nichts. Dann stieg sie auf die Balkonbrüstung undsagte: »Wenn du den Fisch nicht isst, springt die Mutti jetztrunter.«

Nie werde ich meine abgrundtiefe Verzweiflung verges-sen, in diesem schlimmsten Augenblick meines Kinderlebens.Aber ich konnte den Fisch nicht essen, ich konnte nicht, nichtmal um diesen Preis.

Sie sprang, aber nach innen, verhaute mich, und mit jedemSchlag wurde ich mehr zum Stein.

Noch heute, wenn ich Fisch rieche oder Menschen Fischessen sehe, muss ich weggehen, um nicht zu zerbrechen.

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B a n K P o s t

Mehrmals täglich ruft die achtzigjährige Mutter an.»Ich war eben einkaufen«, »Heute ist es aber sehr heiß«,

»Hast du gestern den Krimi gesehen?«Bis die Tochter, etwas entnervt, sagt: »Mama, bitte ruf doch

nicht dauernd wegen jedem Kleinkram an. Ich sitz hier auchan meiner Arbeit, und das bringt mich immer raus. Ruf nuran, wenn wirklich was los ist oder wenn wieder Post von derBank kommt. Das besprechen wir dann zusammen.«

»Ist gut«, sagt die Mutter, leicht gekränkt.Nach zehn Minuten ruft sie wieder an. Die Tochter reagiert

heftig: »Ich habe dich doch eben gebeten …«»Es ist Post von der Bank gekommen!«, triumphiert die

Mutter. »Du hast gesagt, dann soll ich anrufen.«Kleinlaut lenkt die Tochter ein. »Dann ist es gut. Was schrei-

ben sie denn?«»Ist nur Werbung!«, sagt die Mutter.

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B i l l h a l e Y

Als ich ein Teenager war, sang Bill Haley »Shake, rattle androll« und »Rock around the clock«. Wir wussten nichts vonGetto-Hits aus der Bluesszene, nichts von Gettos im Zwei-ten Weltkrieg, aber wir lebten im Nachkriegsgetto vermuffterSpießigkeit, in dem alles Störende verdrängt wurde. Haupt-sache, Wiederaufbau, Hauptsache, wieder dazugehören.

Wir wollten nicht dazugehören. Wir waren dreizehn, fünf-zehn. Wir sahen im Kino »Saat der Gewalt«. Unsere Eltern sa-hen Försterfilme. Was hätten wir mit ihnen reden sollen?

Als ich vierzehn war, kam Bill Haley mit seinen »Comets«nach Essen, und die Fans machten aus der Grugahalle Klein-holz. Die Zeitungen bezeichneten das als »Orgie der Unkul-tur«, und der Rheinische Merkur schrieb: »Ausgerechnet amTag der Papstwahl so ein Komet der Triebentfesselung!«

Über den Papst im Dritten Reich schrieben sie noch vieleJahre lang nichts.

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B l u M e n

Einmal ging ich etwas angeschlagen durch das schöne Villen-viertel – so viele Prachthäuser, so riesige Gärten, so viel Geld,wo kam das her? Wie lebte man da drin? Mein kleines Lebenin meinem kleinen Haus war gerade mal wieder zusammenge-kracht, ich hielt es draußen besser aus als drinnen, ging stun-denlang durch die stillen Straßen, dachte mir Geschichtenvon anderen Leben aus.

Vor einer Villa in der Lindenallee hielt ein Jaguar.Ein Mannstieg aus mit einem großen Blumenstrauß. Er wickelte ihn ausdem Papier, hielt ihn in der Hand, sah ihn nachdenklich an.Dann sah er hoch, ich war gerade bei ihm angekommen, un-sere Blicke trafen sich: seiner müde,angestrengt, ratlos,meinerwohl eher melancholisch, hoffnungslos, aber doch auch inter-essiert. Wir sahen uns etwas länger an als nötig. Dann reichteer mir den Strauß und sagte: »Nehmen Sie ihn. Sie freut sichsowieso nicht.« Gab mir die Blumen, warf das Papier auf dieRückbank, schloss das Auto, ging zum Tor, klingelte, stütztesich mit einer Hand an der Mauer ab, sah auf seine Schuhe,wartete, sah mich nicht mehr an. Ich stand da, bis das Tor sichhinter ihm schloss.

Ich bin jahrelang immer wieder an diesem Haus vorbeige-gangen, habe ihn oder sein Auto nie mehr gesehen. Ich hoffe,er hat sich von einer Frau, die sich über solche Blumen nichtfreut, getrennt und ist jetzt glücklich. Ich hätte gern seine Ad-resse, um mich zu bedanken.

Diese Geschichte ist mein Dank.

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