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Fukushima ohne Ende Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 1 / 2014 > 3 Jahre nach dem Super-GAU in Japan > Atommüll: «Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist» > Was der Atomstrom wirklich kostet

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Page 1: Energie & Umwelt...Fukushima ohne Ende Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 1/2014 > 3 Jahre nach dem Super-GAU in Japan > Atommüll: «Ehrlich bleiben

Fukushima ohne Ende

Energie & UmweltMagazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 1 /2014

> 3 Jahre nach dem Super-GAU in Japan > Atommüll: «Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist»> Was der Atomstrom wirklich kostet

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2 Energie & Umwelt 1/2014

INHALTSVERZEICHNIS

SCHWERPUNKTTHEMA: Fukushima und kein Ende

4 Fukushima: 3 Jahre nach dem Super-GAUAm 11. März 2011 bebte an der japanischen Ostküste die Erde. Die Folge: ein Tsunami, schwere Störfälle und insgesamt drei Kernschmelzen in den Reak toren 1 bis 3 des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi. 150’000 Einwoh ­nerInnen mussten das Gebiet zum Teil dauerhaft verlassen. Die Regierung, die Behörden, der Betreiber Tepco und vor allem die Bevölkerung sehen sich auch nach drei Jahren mit gravierenden Problemen konfrontiert.

8 Japans Ex-Premier korrigiert seine atom politischen Fehler Als Premierminister war Junichiro Koizumi ein eifriger Befür worter der Atomenergie. Heute ist er ein vehementer Gegner, der für diese Mission seinen Ruhestand opfert. Die Ursache seines Engagements ist nicht etwa die Havarie in Fukushima, sondern die ungelöste Atommüll­Frage.

10 Welche Zukunft hat die Atomenergie?Seit Fukushima gibt es ein AKW­Sterben – aber das gab es schon vorher. In den kommenden Jahren wird sich das noch akzentuierter zeigen, vor allem in den westlichen Industriestaaten und ganz speziell in Europa. Demgegenüber findet ein Ausbau der Atomenergienutzung nur ausserhalb der OECD­Länder, vor allem in China und Russland, statt.

12 Tiefenlagersuche: «Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist»Viele und wesentliche Sicherheitsfragen zu den potenziellen Tiefenlagern sind nach wie vor nicht beantwortet. Für die SES ist klar: Die «Regionale Partizipa­tion» zu den Standorten für Oberflächen anlagen ist ein verkehrtes, verfrühtes Vor gehen. Findet via Regional konferenzen wirklich echte Mitsprache statt – oder ist das Partizipations verfahren nur Pseudo­Demokratie?

14 Die ewige Suche nach einem sicheren Endlager AKW produzieren immer weiter Strom und Atommüll, obwohl es auch nach über 40 Jahren Forschung keine sichere Lösung für die Entsorgung von radio­aktivem Abfall gibt. Die Suche nach einer Lösung und die unfassbar lange Zeit­dauer, bis der Müll für Mensch und Umwelt nicht mehr gefährlich ist, werden in einem neuen Kinofilm und einer Ausstellung thematisiert.

16 SES-Studie: Atomvollkosten – was der Atomstrom wirklich kostetIn der Diskussion um die Energiewende stehen die Kosten im Mittel punkt. Oft wird behauptet, die Erneuerbaren seien «teuer». Fakt aber ist: Erneuerbarer Strom ist heute schon billiger als Atomstrom. Wie eine SES­Studie zeigt, müsste eine kWh Atomstrom mindestens 16 bis 59 Rappen kosten.

18 Will Deutschland die Energiewende ausbremsen? Kaum im Amt, präsentierte der neue deutsche SPD­Bundesminister für Wirt­schaft und Energie, Sigmar Gabriel, die neuen Eckpunkte zur Reform der Ene rgiewende. Nur wenn die Förderbeiträge für erneuerbaren Strom gekürzt und die Betreiber von neuen Solar anlagen für den Eigenverbrauch zusätzlich zahlen, bleibe die Energiewende bezahlbar.

20 l News l Aktuelles l Kurzschlüsse l

22 Artikel-Serie: Wir sind Teil der EnergiewendeSchon während des Geographiestudiums wurde Sonja Lüthi vom Thema Energie gepackt und seitdem hat sie das Thema nicht mehr losgelassen. Seit ihrer Dissertation bis zur heutigen Arbeit bei der Energiefachstelle St. Gallen stehen die erneuerbaren Energien im Zentrum ihres Lebens.

Impressum

ENERGIE & UMWELT Nr. 1, März 2014

Herausgeberin:  Schweizerische Energie-Stiftung SES, Sihlquai 67, 8005 Zürich, Telefon 044 275 21 21, Fax 044 275 21 20 [email protected], www.energiestiftung.chSpenden-Konto: 80-3230-3

Redaktion & Layout: Rafael Brand, Scriptum,    Telefon 041 870 79 79, [email protected]

Redaktionsrat:  Jürg Buri, Rafael Brand, Tina Berg, Florian Brunner, Felix Nipkow, Bernhard Piller, Katia Schär

Re-Design: fischerdesign, Würenlingen  Korrektorat: Vreni Gassmann, Altdorf

Druck: ropress, Zürich, Auflage: 10’700, erscheint 4 x jährlich

Abdruck mit Einholung einer Genehmigung und  unter Quellenangabe und Zusendung eines Beleg-exemplares an die Redaktion erwünscht.

Abonnement (4 Nummern):Fr.   30.–  Inland-AboFr.   40.–  Ausland-AboFr.   50.–  Gönner-Abo

SES-Mitgliedschaft (inkl. E & U-Abonnement)Fr. 400.–  KollektivmitgliederFr. 100.–  Paare / FamilienFr.   75.–  VerdienendeFr.   30.–  Nichtverdienende

E&U-Artikel von externen AutorInnen können und dürfen von der SES-Meinung abweichen.

Das E&U wird auf FSC-Papier, klimaneutral und mit erneuerbarer Energie gedruckt.

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EDITORIAL

Tschernobyl, Fukushima, Mühleberg?

Von JÜRG BURI Geschäftsleiter SES

Vor drei Jahren sind in Fukushi­ma drei Reaktorkerne durchge­schmolzen. Noch heute fliesst radioaktives Wasser ins Meer.

Die Gefahr, dass die Brenn ele ment becken zusammen­brechen, ist noch immer akut. Die Menschen rund um Fukushima sorgen sich um ihre Kinder, insbesondere um die entarteten Zellteilungen in ihren Schilddrüsen. Ihre Häuser in der evakuierten Zone haben sie längst abgeschrieben. Ihre Jobs haben sie mehrheitlich verlo­ren. Das Leben mit der unsichtbaren Strahlengefahr macht müde und lähmt. Kann ich diesen Salat wirk­lich essen? Ist der Fisch in der Kinderkrippe meiner Tochter wirklich nicht verstrahlt? In etwa so fühlt sich heute das Leben rund um Fukushima an.

Die Hasel hat bei uns schon geblüht. Etwas zu früh, gerade als wir uns gegen die «Masseneinwanderung» und für die moderne Sklaverei entschieden haben. Die Abstimmung im zu warmen Winter führte auch zu frostigen Verhältnissen im Stromhandel. Die EU hat nach dem Verdikt gegen den Personenverkehr die Verhandlungen über den freien Elektronenverkehr mit der Schweiz sistiert. Das hat nicht nur die Tem pe­ratur bei den Stromhändlern ins Fiebrige getrieben. Auch höchste Beamte sahen plötzlich gar die hiesige Stromwende in Gefahr.

Gut kommt bald der Frühling. Und eigentlich auch gut, wenn die dreckigen und billigsten Überschuss­elektronen aus den deutschen und französischen Gross­kraftwerken nicht mehr so billig in die Schweiz und in unsere Pumpspeicher transportiert werden können.

Das gibt Platz im Netz für den heimischen und sau­beren Wasser­, Wind­ und Sonnenstrom, also Platz für die eigentliche Stromwende!

Aber auch dieser Frühling wird warm werden. Beson­ders im Kanton Bern. Dort kann die Bevölkerung am 18. Mai per Volksabstimmung ihr uraltes Atomkraft­werk in Mühleberg endlich vom Netz nehmen. Ein Ja ist eigentlich logisch wenn man bedenkt, dass die Abschalt­Ankündigung der BKW keine Verbindlichkeit hat und die Sicherheitsmängel selbst unserer atom­freundlichen Aufsichtsbehörde ENSI Angst machen.

Uns bleibt zu hoffen, dass das Berner Volk die realen Gefahren in Mühleberg richtig einzuschätzen weiss und dem Hin und Her zwischen BKW und Atomaufsicht endlich ein Ende bereitet. Denn weder Bundesrätin Leuthard noch das Parlament wollen die nuklearen Risiken unserer Oldtimer­AKW wirklich ernst nehmen und minimieren. Lieber haben sie blindes Vertrauen ins ENSI, eine Aufsichtsbehörde, die mit Wahr ­schein lichkeitsmodellen à la Finanzmarktaufsicht funktioniert und so tut, als ob das mit Fukushima bau­gleiche AKW Flugzeugabstürze, schwerste Erd beben und grösste Hochwasser überstehen würde – und selber weiss, dass dem nicht so ist.

Wir geben Fukushima und seinen Opfern in diesem Heft Platz, damit sie nicht vergessen gehen. Im Ge­genzug verlangen wir vom Parlament ein neues Kern­energiegesetz ohne Gummiformeln und mit Laufzeit­begrenzung. Damit verhindern wir, dass Mühleberg oder Beznau in der Weltpresse plötzlich ganz gross raus kommen.

Ich wünsche Ihnen viel Frühling. <

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4 Energie & Umwelt 1/2014

DIE LAGE IN FUKUSHIMA IST NOCH NICHT UNTER KONTROLLE

Am 11. März 2011 bebte an der japanischen Ostküste die Erde. Die Folge: Ein Tsunami, schwere Störfälle und insgesamt drei Kernschmelzen in den Reaktoren 1 bis 3 des Atom-kraftwerks Fukushima Daiichi. 150’000 EinwohnerInnen mussten das Gebiet zum Teil dauerhaft verlassen. Die Regierung, die Behörden, der Betreiber Tepco und vor allem die Bevölkerung sehen sich auch nach drei Jahren mit gravierenden Problemen konfrontiert.

Fukushima: 3 Jahre nach dem Super-GAU

Von FLORIAN BRUNNERProjektleiter Atomenergie&Strom

Drei Jahre nach der Katastrophe in Fukushima sind die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden: Die Behörden haben die Lage noch immer nicht im Griff. Hat nach dem Erdbeben die Notabschaltung

noch funktioniert und konnte wegen der Unterbre­chung der Kühlkreisläufe die anstehende Kettenreak­tion gestoppt werden, so waren die darauffolgenden – durch den Tsunami ausgelösten – Störfälle mehr­heitlich nicht mehr zu bewältigen. Es ist hinlänglich bekannt, dass die bei einer Kettenreaktion entstehen­de Strahlung und die Spaltprodukte in hohen Dosen für Mensch und Tier schon nach kurzer Zeit tödlich sein können oder langfristig Krebs auslösen. Deshalb muss eine Kettenreaktion im Reaktor von der Umwelt abgeschirmt werden – was in Fukushima noch immer nicht gelungen ist.

Über die Behörden, die Kosten und fehlende ExpertenDie drei Jahre nach der nuklearen Katastrophe beim AKW Daiichi waren geprägt von Pleiten und Pannen:

Vertuschungen, Lügen, Lecks, neue Gefahren wie Taifune und Erdbeben, Probleme mit den Wasser­kreisläufen und der Kühlung der Abklingbecken sowie Kostensteigerungen.

Tepco1, die Betreibergesellschaft der havarierten Atomreaktoren in Fukushima, sieht sich mit vielen Vorwürfen über Vertuschungsmanöver und Lügen konfrontiert (siehe Textbox), sodass nun auch die japanische Aufsichtsbehörde NRA an der Fähigkeit des Tepco­Managements zweifelt, AKW sicher zu betreiben. Finanziell befindet sich das Unternehmen fast am Boden. Die andauernde Pannenserie bei den Aufräumarbeiten kostet Unsummen. Hinzu kommen steigende Kosten für Erdöl­ und Gasimporte, mit denen Tepco die (Energie­)Verluste aus den stillgelegten AKW kompensiert. Aber auch die erneuerbaren Energien, in die Tepco nicht investiert, verspüren in Japan nun ein wenig Aufwind. So wurde auf dem Meer ein erster riesiger Solarpark gebaut.

Seit dem folgenschweren Desaster in Fukushima sind mittlerweile alle 50 Reaktoren im Lande ausser Betrieb. Tepco braucht dringend Geld. Die Betreiber­gesellschaft hat sich durch die Atomruine bereits Verluste von 27 Milliarden Dollar eingehandelt und ist immer wieder auf Geldspritzen aus Steuermitteln angewiesen. Das Unternehmen ist mittlerweile weit­gehend verstaatlicht und sieht sich mit hohen Kosten für die Beseitigung der Schäden in Fukushima sowie für Entschädigungen konfrontiert. Die Entschädigungs­zahlungen für die 150’000 Menschen und die Auf­räumarbeiten bei der Atomruine sind durch die Geld­sorgen von Tepco akut gefährdet. Wie in der Schweiz haben auch in Japan AKW keine Haftpflichtversiche­rungen, die den Namen verdienen. Letztlich bezahlen also der Staat bzw. die SteuerzahlerInnen.

In welchem Bereich die Kosten für die Aufräumar­beiten liegen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Da die Kosten bei einem nuklearen Unfall jeweils über einen sehr langen Zeitraum anfallen, ist deren Berechnung sehr schwierig. Ein halbes Jahr nach der Katastrophe rechnete die japanische Regierung mit Kosten von über 50 Milliarden Franken – ohne die Entsorgung der Abfälle, die gesundheitlichen Spätfol­Messstelle einer NGO: Eine Strahlenkarte zeigt die radioaktive Verseuchung in  Fukushima. 

Foto

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«  Auch wenn noch niemand die genauen Kosten voraussagen kann: Tatsache ist, es wird

letzten Endes eine astronomische Summe sein.  »

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gen sowie die Dekontamination mit einzu be rech nen. Für Letztere schätzt die japanische Forschungs orga­nisation AIST2 die Kosten auf 53 Milliarden Franken (die Regierung ging für diese Arbeiten von 9 Milliar­den Franken aus). Mycle Schneider, unabhäng iger Nuklear­ und Energiepolitik­Experte, bezeichnet die von der japanischen Regierung erwarteten Kosten als «Witz». Die Schäden werden die genannte Zahl zweifel los übersteigen.

Ebenfalls kurz nach der Katastrophe wurden denn die Gesamtkosten für die Aufräumarbeiten von der Non­profit­Forschungsinstitution JCER3 auf 180 Milliarden Franken geschätzt. Und der japanische Ökonom und Professor Masatake Uezone der Universität Shimane schliesslich geht gar von Gesamtkosten (ohne Erd­beben und Tsunami) von bis zu 940 Milliarden Franken aus, je nachdem wie gross die Gebiete sind, die man dekontaminieren muss und wer wie lange Entschä­digungszahlungen erhalten soll. Auch wenn noch niemand die genauen Kosten voraussagen kann: Tatsache ist, es wird letzten Endes eine astronomische Summe sein.

Schneider warnt in einem der wenigen unabhängigen und globalen Atomberichte (World Nuclear Industry Status Report4) vor den weiteren Entwicklungen und Gefahren in Fukushima. Ein Problem sei vor allem, dass die Regierung und die Aufsichtsbehörde die Firma Tepco alleine vor Ort arbeiten lassen. Tepco ist ein Stromversorgungsunternehmen und kein Spe­zialist für Aufräumarbeiten in einer hoch kontami­nierten Desasterzone. Bei der anstehenden Stilllegung des AKW in Fukushima wird nun deutlich, dass Japan grundsätzlich total überfordert ist und dass das tech­nische Know­how für die Aufräumarbeiten fehlt. Ein Grund dafür ist unter anderem der Mangel an Ex­perten. Und weil Japan vor allem die Probleme mit dem radioaktiv verseuchten Wasser nicht in den Griff bekommt, wurden nun erstmals auch internationale Experten um Hilfe gebeten. Für die weitere Zukunft könnte es jedoch kritisch werden, was die Fachleute betrifft, die im zerstörten Kraftwerk arbeiten können. So werden die meisten demnächst ihre Strahlen­höchstdosis erreichen. Eine internationale Task­Force, bestehend aus den besten Wissenschaftlern der Welt, ist dringend erforderlich.

Matrosen dekontaminieren das Schiff beim Einsatz vor der Küste Japans. 

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1  Tokyo Electric Power Company2  National Institute of Advanced Industrial Science and Technology3  Japan Center for Economic Research4  Siehe auch: www.worldnuclearreport.org

«  Auch wenn noch niemand die genauen Kosten voraussagen kann: Tatsache ist, es wird

letzten Endes eine astronomische Summe sein.  »

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Radioaktiver Müll (Erde, Dreck, Gras) wird zwischen Wohnhaus und Strasse zwischengelagert. 

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Grosse Gefahren rund ums WasserFukushima birgt für die Stilllegung viele hoch kom­plexe Herausforderungen. So ist etwa das Dreifache der in Tschernobyl freigesetzten Menge an Radio­aktivität aus den drei zerstörten Reaktorkernen aus­gewaschen worden. Diese befindet sich nun in über 400’000 m3 Wasser. Die Lagerung, Behandlung und Entsorgung solcher Mengen kontaminierten Wassers stellt eine enorme Herausforderung dar, der Tepco kaum gewachsen ist. Immer wieder wird von Pleiten und Pannen berichtet und die Fakten sind beängsti­gend. Seit Beginn der Katastrophe werden Millionen Liter verstrahltes Wasser (auch ausgewaschenes oder zur Kühlung der Brennelemente der Reaktoren ver­wendetes und kontaminiertes Wasser) in Tanks auf dem Gelände zwischengelagert – Tanks, die immer wieder lecken. Dabei treten mehrere Tonnen an radioaktiv kontaminiertem Wasser unkontrolliert aus den Lagertanks aus. Dieses gelangt in den Keller der Reaktoren und vermischt sich mit dem ebenfalls hoch radioaktiv verseuchten Grundwasser, welches von unten hineindrückt. Und täglich kommt neues Wasser hinzu.

Das Wasser stellt in Fukushima das grösste Problem dar. Aus undichten Stellen fliessen jeden Tag 300

Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer, bis 2015 insgesamt über 600’000 Tonnen. Dieses treibt über den Pazifischen Ozean direkt auf die US­West­küste zu. Deshalb hat das US­Gesundheitsministerium 14 Millionen Jod­Tabletten bestellt (um die Schild­drüsen vor der Aufnahme von Radioaktivität zu schützen). Die in Fukushima freigesetzte Radioaktivität könnte das Leben entlang der gesamten Westküste Nordamerikas noch jahrzehntelang negativ beeinflus­sen. Bereits heute beklagen sich US­Matrosen, die auf einem Flugzeugträger vor der Küste Japans den Opfern zu Hilfe eilten, über negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit wie Krebs und Schilddrüsen­ Erkrankungen. Verseuchtes Meerwasser ist während des Einsatzes in das Versorgungssystem des Schiffs geflossen, damit wurde nicht nur geduscht, es wurde auch gefiltert und getrunken. Die Matrosen verklagen nun das Betreiberunternehmen Tepco aufgrund ihrer Krebserkrankungen.

Schwierige AufräumarbeitenDie starke Strahlung erschwert die Aufräumarbeiten rund um die Reaktoren. Gegen Ende des Jahres 2013 wurde beim AKW Fukushima in Proben, die aus dem Grundwasser entnommen wurden, eine Rekord­Strahlung gemessen. Im November 2013 wurde ausser­dem nach einiger Verzögerung mit dem bislang ge­ fähr lichsten Schritt beim Rückbau begonnen. Wegen akuter Erdbebengefahr müssen 400 Tonnen radio­aktiver Brennstoff geborgen werden. Die Bergung der 1500 gebrauchten und ungebrauchten Brennele­

«  Die in Fukushima freigesetzte Radioaktivität könnte das Leben entlang der gesamten Westküste Nord amerikas noch

jahrzehntelang negativ beeinflussen.  »

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Ewig werden die Plastiksäcke nicht halten: vorläufiges Zwischenlager für verstrahlte Erde. 

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mente aus dem schwer beschädigten Reaktorblock 4 ist ein äusserst riskanter und gefährlicher Prozess, bei dem absolutes Neuland betreten wird.

Tepco versuchte dies zwar als Routinearbeit dar zu­stellen, die Bergung gleicht jedoch eher einem atoma­ren Drahtseilakt. Denn die Brennelemente liegen zum Teil ineinander verkeilt in den beschädigten Abklingbecken, die bei einem weiteren Erdbeben einzustürzen drohen. Ein schwerwiegendes Unfall­szenario und Risiko während der Bergung besteht darin, dass die hochgradig radioaktiven Brennele­mente versehentlich an die Luft gelangen, dabei können sie sich entzünden und gigantische Mengen Radioaktivität freisetzen. Allerdings sind die gebrauch­ten Brennelemente mittlerweile so weit abgekühlt, dass die Nachzerfallswärme nicht mehr ausreicht, eine erneute Kettenreaktion auszulösen. Da die ganze Aktion jedoch in den verstrahlten Reaktoren stattfin­det, müssen die Arbeiter mehrere Schichten Schutz­kleider und Handschuhe tragen, was bei der heiklen Bedienung der Bergungskräne nicht gerade hilfreich ist. Insgesamt soll die Bergung etwa ein Jahr dauern.

Die Aufräumarbeiten beinhalten auch die Dekonta­minierung der obersten Schichten von Böden bzw. Landflächen wie Reisfelder und Gärten. Wo und wie die verseuchte Erde und der anfallende Schutt zwischen­ ge lagert werden sollen, ist nach wie vor unklar. Momen­tan geschieht dies meist direkt in den Wohngebieten, etwa 1 Meter unter dem Boden vergraben in den

Gärten von Wohnhäusern oder in vorläufigen Lagern auf getürmt unter freiem Himmel.

Wie weiterEs bleibt noch viel zu tun in Fukushima und in Japan. Unzählige Fragen bleiben offen: Wohin mit dem verseuchten Wasser? Kann man den Behörden und Betreibern glauben? Ist die Ruine vor einem weiteren Erdbeben geschützt? Wer zahlt die ganzen Auf räum­arbeiten? Und vor allem: wohin mit dem Atommüll? Fukushima hat uns gezeigt: AKW sind hoch gefährlich und der Ausstieg aus dieser Art der Energieproduktion muss schleunigst vollzogen werden. <

Die Lügen der Betreiber und Behörden

Immer wieder wurde gelogen, um das Ausmass der Katastrophe herunterzuspielen. In einem Bericht von Tepco und der Aufsichtsbehörde am 15.3.11, also vier Tage nach der Katastrophe, wurde behauptet, es hätte keine Kernschmelze gegeben, obwohl es bereits am Abend des 11.3.11 in drei Reaktoren zum Super-GAU ge-kommen war. Und in Zukunft wird es wohl noch schwieriger zu erfahren sein, was sich in der Atomruine von Fukushima überhaupt abspielt(e), denn Ende 2013 wurde das Ge-heimhaltungsgesetz eingeführt, das die Sicherheit von AKW zur Verschlusssache macht.  Das  japanische  Parlament  hat  trotz  grosser  Proteste  aus  der  Bevölke-rung dem neuen Gesetz zugestimmt. Damit werden von nun an zum Schutz der nationalen Sicherheit Verletzungen von bestimmten Geheimnissen hart bestraft.  Es wird befürchtet, dass Informationen über die Atomenergie und vor allem über  die Atomkatastrophe in Fukushima nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen und noch mehr vertuscht werden.

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Von KATIA SCHÄR und KAORI TAGIKAWA*

Rechtsnational und neoliberal, ein Verehrer von Wagner, erklärter Fan von Elvis und Freund von George W. Bush. Ein extrovertierter Politiker, der auch schon mit «Hitler vor der Nazizeit» verglichen worden ist – das ist Junichiro Koizumi, der während seiner Amts­zeit nie da gewesene Popularitätswerte erreicht hat. Der heute 72­jährige Ökonom reihte nach einer einzigen Niederlage als 27­jähriger Neuling einen politischen Erfolg nach den anderen, stieg die Karriereleiter empor und wurde 2001 zum Premierminister ge­wählt. Er, der in seinem Leben kaum anderes als Poli­tik gemacht hat, verkündete nach fünfeinhalb Jahren Amtszeit, Politik sei nicht sein einziger Lebensinhalt, legte sein Amt nieder und übernahm erst Jahre später wieder eine «öffentliche» Aufgabe.

Koizumi fordert den AtomausstiegNach sieben Jahren ohne politische Auftritte gelangt Koizumi seit letz­tem Jahr wieder an die Öffentlich­keit. Er hat eine neue Mission: Der einst dogmatische Verfechter der Atomenergie, während dessen Amts­zeit vier neue AKW ans Netz gingen, wendet sich gegen den amtieren­den Premierminister Shinzo Abe, dessen politischer Mentor er einst war, und fordert den sofortigen Atomausstieg.

Koizumis Wandlung vom Saulus zum Paulus – hier ist dieser Vergleich wirklich angebracht – steht durch­aus im Zusammenhang mit dem Super­GAU in Fukshi­ma Daiichi. Diese «elende Realität» hat ihn schockiert, aber nicht zu einer Rückkehr in die politische Öffent­lichkeit bewogen. Auslöser war letztlich eine Fernseh­dokumentation des staatlichen Fernsehsenders NHK über die Endlagerung von Atommüll. Koizumi begann zu recherchieren und begab sich schliesslich im letz­ten Sommer mit Vertretern der AKW­Konstrukteure Toshiba, Hitachi und Mitsubishi auf eine Reise nach Finnland. Ihr Ziel: das sich im Bau befindliche End­

lager Onkalo – finnisch für Versteck – in Olkiluoto. Für eine sichere Lagerung von hoch radioaktivem Müll für 100’000 Jahre ist es konzipiert, aber Koizumi zeigte sich alles andere als begeistert. Für ihn sind die Zeiträume, mit denen für die End lager gerechnet werden muss, jenseits jeglicher Vorstellungskraft und viel zu lange. Ein Projekt dieser Tragweite müsse be­gleitet werden. «In 300 Jahren soll die Sicherheit nochmals neu bewertet werden», zitiert ihn die Tages­zeitung Mainichi Shinbun. «Bis dann sind aber alle heute noch Lebenden tot.»

Belogen und betrogenEin vergleichbares Projekt zum finnischen Endlager sei in Japan, geologisch und geografisch, nicht reali­sierbar. «Es gibt keinen Ort in Japan, wo wir unseren Müll lagern können. Die einzig denkbare Option ist also die ‹Null­Atomstrom­Lösung›.» Der Ex­Premier, der einst propagierte, nur durch Atomstrom könne sein Land die klimarelevanten C02­Emissionen redu­zieren, fühlt sich heute von den Energieversorgungs­unternehmen belogen und betrogen.

«Experten haben uns gesagt, Atomkraft sei sicher, sei günstig und der einzige Weg, wenn wir auf Kohle verzichten wollen – und wir haben ihnen all die Jahre geglaubt», ereiferte er sich in einem Interview mit der «Morgensonne­Zeitung». Kein Land dürfe Atomkraft produzieren, ohne ein Endlager für hoch radioaktiven Müll zu haben, sagte er in einer Rede in Nagoya vor 2500 Zuhörern. Und im Erdbebenland Japan sei ein solches zu bauen unmöglich. Auch politisch: Die ja­panische Regierung hat in der Vergangenheit bei den Gemeinden nachgefragt, wer denn eine Endlagerstätte haben wolle. Keine hat sich gemeldet. Jetzt werde der Staat Standorte bestimmen, entschied die Regierung letzten Dezember.

Nicht zögern, eigene Fehler zu korrigierenKoizumi, der als Politiker für seine Prinzipientreue bekannt war, sagt heute: «Man soll nie zögern, eigene Fehler zu korrigieren.» Japan müsse und könne sich ohne Atomstrom weiterentwickeln. Das sei kein un­möglicher, sondern ein umsetzbarer Traum, den etwa Deutschland – das er ebenfalls im Sommer besucht hat – bereits verwirkliche, schreibt Koizumi seinem

Japans Ex-Premier korrigiert seine atom politischen Fehler

AKW-GEGNER IN JAPAN

Als Premierminister war Junichiro Koizumi ein eifriger Befürworter der Atomenergie. Heute ist er ein vehementer Gegner, der für diese Mission seinen Ruhestand opfert. Die Ursache seines Engagements ist nicht etwa die Havarie in Fukushima, sondern die ungelöste Atommüll-Frage.

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Junichiro Koizumi, Japans Ex-Premier

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politischen Weggefährten Morihi­ro Hosokawa. Und wann sei der Moment günstiger als jetzt, wenn alle AKW vom Netz seien. «Japan ist das einzige Land mit Atomkraft­werken, von denen kein einziges in Betrieb ist – und das dennoch nicht stillsteht», proklamierte er dieser Tage in Tokio.

Zurzeit schliesst Japan seine Lücke in der Energie versorgung mit der Einfuhr von Gas für ihre teilweise eingemotteten Wärmekraftwerke. Gas ist allerdings in Japan doppelt so teuer wie in Europa – und als Folge davon ist Japans einst vor­bildliche Handelsbilanz ins Minus gerutscht. Dies ist auch für Koizu­mi kein Zustand. Er jedoch setzt auf die Erneuerbaren: «Wenn in Europa schon so viel erneuerbarer Strom produziert wird, kann Japan das auch.»

Erneuerbare sollen Atom-strom ersetzenJapan könne seinen Atomstrom komplett durch er­neuerbare Energien ersetzen und aufhören, Atom­müll zu produzieren, davon ist er überzeugt. Selbst wenn die kühnsten Vorstellungen über moderne Technologien wahr würden, dank derer die Strahlung des Mülls zeitlich enorm reduziert werden könnte – die Zeiträume blieben immer zu riesig, um ein End­lager kontrollieren zu können. Und es würde an der Tatsache nichts ändern, dass ein Endlager in Japan niemals realisiert werden könnte.

Koizumi, der nie mehr zurück in die Politik möchte, hat sich ein politisches Ziel gesetzt: die Japane­rinnen und Japaner vom Atom­ausstieg zu überzeugen. Ein hehres und eigentlich gar nicht so unmög­liches Ziel, denn laut einer Umfrage der Presseagentur Kyodo sind 60 % der Japaner gegen das Wiederauf­fahren der Reaktoren.

Doch nichts gelernt?Anfang Februar, als es darum ging, bei der Wahl des Gouverneurs der Präfektur Tokio die politischen Wei­chen dafür zu stellen, hatten jedoch die Probleme der Atomenergie und die Folge der Reaktorkatastrophe bei den Wählern nicht mehr erste Priorität. Auch in den Medien sei extrem wenig über die Unfall­ re ak toren in Fukushima berichtet

worden, beobachtete der langjährige Atomgegner und ehemalige Botschafter Japans in der Schweiz, Mit­suhei Murata. Anstelle des Anti­AKW­Kandidaten Mo­rihiro Hosokawa wurde der Atombefürworter Yoichi Masuzoe gewählt.

Koizumis Chance auf politische Unterstützung seiner Kampagne «Atomkraft – Nein danke» ist vorerst ge­scheitert. Er bedauert es. Aber Koizumi gibt nicht auf: «Ich kämpfe weiter für ein AKW­freies Japan.» <

Friedlich Demonstrierende für die Energieautonomie-Initiative in der Präfektur Shimane.

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Anti-AKW-Bewegung in Japan: ein Beispiel aus Shimane

Im zentralistischen Japan erlaubt die Verfassung den Präfekturen eine mehrheitlich autonome Selbstver-waltung und Gesetzgebung. Darauf stützt sich die Anti-AKW-Bewegung «Bürgernetzwerk AKW und Ener-giethemen Shimane» der gleichnamigen Provinz im Südosten des Landes. Sie fordert ein regionales Gesetz für die Energieautonomie, das sich vor allem am Atomaustieg und am Ausbau der Produktion erneuerbarer Energien orientiert und die Weichen für eine energieeffizientere Gesellschaft stellt. 

Vor allem die 200’000 EinwohnerInnen der Präfekturhauptstadt Matsue fühlen sich durch die Nähe der beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Shimane, nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt, zunehmend unsicher. 

Bei der Bevölkerung fällt das Anliegen auf fruchtbaren Boden: Innerhalb von zwei Monaten hat die Anti- AKW-Bewegung über 90’000 Unterschriften gesammelt – achtmal mehr, als für eine solche Initiative erfor-derlich ist. «Die Gesetzesvorlage stösst auf grosse Sympathie. Fast alle, die wir mit unserer Aktion erreichen konnten, haben unterschrieben», erzählt Takehiko Hobo, Vorsitzender des Bürgernetzwerks. Die Region wolle ihr Energiekonzept selbst festlegen.

Nun liegt der Ball beim Parlament, denn das politische Instrument der Volksinitiative und eine direkte De-mokratie wie in der Schweiz gibt es in Japan nicht. Hobo hat aber wenig Hoffnung: «Gouverneur und Par-lament möchten die Energiepolitik nicht autonom regeln, sondern den Kurs der Zentralregierung halten.» Und die fährt bekanntlich nicht mehr zwingend auf der Atomausstiegsschiene. Diese Aktion ist Teil einer ganzen Reihe von Versuchen von Bürgerinitiativen, ein Anti-AKW-Gesetz durchzubringen – alle ohne Erfolg.

* Kaori Tagikawa lebt in Bern, ist Fachjournalistin und schreibt über Energie und Japan.

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10 Energie & Umwelt 1/2014

Seit Fukushima gibt es ein AKW-Sterben – aber das gab es schon vorher. In den kommenden Jahren wird sich das noch akzentuierter zeigen, vor allem in den westlichen Industrie-staaten und ganz speziell in Europa. Demgegenüber findet ein Ausbau der Atomenergie-nutzung nur ausserhalb der OECD-Länder, vor allem in China und Russland, statt.

Gibt es ein AKW-Sterben nach Fukushima? Ja klar!

WELCHE ZUKUNFT HAT DIE ATOMENERGIE?

Von BERNHARD PILLERSES-Projektleiter

Vernünftigerweise müsste man davon ausge­hen, dass nach einem solch katastrophalen Atomunfall wie am 11. März 2011 in Fukushi­ma weltweit die Anzahl der sich in Betrieb befindlichen AKW von Jahr zu Jahr drastisch

zurückgehen sollte. Dem ist aber nicht so. Einzig Deutschland hat nach Fukushima den beschlossenen Atomausstieg massiv beschleunigt. Waren vor März 2011 in Deutschland noch 17 Reaktoren am Netz, sind es heute nur noch neun. Am 31.12.2022 wird der letzte Reaktor abgeschaltet sein. In der Schweiz hat die Regierung bisher nur einen «Atomausstieg light» beschlossen, also ohne verbind­liche Abschaltdaten, sondern nur mit einem vorläu­figen Verbot von Neubauten. Das muss vom Parla­ment noch bestätigt werden. Letztlich hat die Stimm­

bevölkerung mit der grünen Atomausstiegsinitiative noch die Möglichkeit, eine Laufzeitbeschränkung von 45 Jahren einzuführen.

Das etwas zögerliche Vorgehen beim Atomabschied nach einem Atomunfall konnte schon früher beo­bachtet werden. Als Folge des GAUs am 26. April 1986 in Tschernobyl stieg nur Italien definitiv und real aus der Nutzung der Atomenergie aus, am 1. Juli 1990 war der Ausstieg vollzogen und die vier italienischen Reaktoren abgestellt.

Der Atomabschied der alten WeltDoch das AKW­Sterben findet trotzdem statt. Die Bedeutung der Atomenergie sinkt nämlich weltweit ganz unabhängig von Fukushima seit vielen Jahren, vor allem in der EU. Von den Anfang 2014 weltweit 431 in Betrieb stehenden AKW stehen 322 in den westlichen Industriestaaten Europas, Nordamerikas sowie in Japan und Südkorea. Und die Atomenergie

wird weiter an Bedeutung verlieren, denn in diesen Ländern, in denen diese bis anhin eine dominante Rolle gespielt hat, gibt es heute nur gerade 13 Reaktor­Neubaustellen (Südkorea 4, USA 3, Slowakei und Japan je 2 sowie Frankreich und Finnland je 1). Die restlichen 109 Reaktoren befinden sich in Schwellen ländern wie China oder Russland, in denen teils Diktaturen oder Pseudo demokratien herrschen. Und dort stehen die übrigen 50 sich im Bau befind­lichen Reaktoren.

Das AKW­Sterben kann mit weiteren Zah­len belegt werden: In der EU27 plus CH waren Anfang dieses Jahres 131 Reaktoren in Betrieb. Das Maximum mit 177 Reak­toren war im Jahr 1989. Seit 1990 wurden immerhin 64 AKW vom Netz, aber nur 18 neue ans Netz genommen. In den letzten 24 Jahren wurden also drei Mal mehr Reaktoren abgestellt als neue in Betrieb genommen – auch wenn man die in Deutschland nach Fukushima abgeschal­teten acht Reaktoren abzieht. Das AKW Biblis in Deutschland: abgeschaltet und stillgelegt nach Fukushima im März 2011.

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Grossbritannien plant und subventioniert Atomkraft-RenaissanceGrossbritannien war einst Champion in der industriellen Nutzung von Atomenergie: 1957 eröffnete die Queen höchstpersönlich das weltweit erste AKW im Nordwesten Englands. Jetzt strebt die britische Regie-rung erneut einen Rekord an: In Hinkley Point, südwestlich von Bristol, ist  ein  neues AKW   geplant,  das  mit  rund  24  Milliarden  Franken  die höchsten Baukosten pro  jährlich  produziertem Megawatt aus nicht erneuerbaren Quellen haben wird – und die längste Bauzeit dazu.

Und mit Rekordverdächtigem geht es weiter: Energie de France (EDF), die das AKW baut, soll über die nächsten 35 Jahre einen garantierten Abnahmepreis von  rund 140 Franken pro Megawattstunde erhalten. Eine Megawattstunde wird in England zurzeit für 72 Franken gehan-delt. Analysten nennen dies einen «ökonomischen Wahnsinn». Da zu-sätzliche 15 Milliarden Franken Kreditbürgschaft ausgerichtet werden, hat  EU-Energie-Kommissar  Günther  Oettinger  diesen  Handel  auch schon als Rückschritt in die Sowjetzeiten bezeichnet. Die  Begründung  für  Grossbritanniens  Atomrenaissance,  zumindest in Bezug auf den Bau von Hinkley Point C, ist grün: Erklärtes Ziel ist, bis 2050 den CO2-Austoss um 80% zu vermindern. Dazu müsse die 

Atomkraftproduktion von heute 12 Gigawatt auf 75 Gigawatt gesteigert werden, meint Andrew Sherry, Leiter des Dalton Nuclear Institute der University of Manchester.

Der Widerstand gegen das neue AKW ist bescheiden: Selbst South West Against Nuclear  (SWAN) bleibt  seit Ankündigung des Deals mit EDF ruhig.  Generell sind in Grossbritannien die AtombefürworterInnen den -gegnerInnen weit überlegen. Und so ist auch David Camerons  zweiter Streich,  im Rahmen des  Infrastruktur-Investitionsplanes 2013 zwölf  Milliarden Franken für den Bau eines neuen AKW im walisischen  Wylfa aufzuwenden, gern gesehen. Der Minister für Wales, David Jones, sieht darin einen enormen wirtschaftlichen Gewinn für die Gegend, nament-lich  wegen  der  Schaffung  von Arbeitsplätzen. Allerdings  stellt  sich schon heute die Frage, wo die 3500 Bauarbeiter wohnen sollen – und die Ansässigen fürchten, dass die Kosten für Immobilien explodieren würden. Auch der Strom aus Wylfa wird staatlich subventioniert werden: Die  Regierung  Cameron  hat  einen  Fixpreis,  welcher  der  Inflation  angepasst werden wird, von 135 Franken pro Megawattstunde garan-tiert.   Diese   massive  Unterstützung  des  Atomstroms  könnte  Gross-britannien  bei  seiner Atom-Renaissance  allerdings  zum Verhängnis werden: Zurzeit prüft die EU, ob dies überhaupt noch mit den Regeln für staatliche Beihilfen konform ist.   Katia Schär

Setzt sich diese Entwicklung fort, wird die Bedeutung der Atomenergie in den klassischen Industriestaaten in den kommenden Jahren weiter rasch abnehmen. Neben den Atomausstiegsbeschlüssen von Deutsch­land, Belgien und Spanien wird die Zahl der AKW in den kommenden zehn Jahren wegen des hohen Alters vieler AKW in den USA, in Grossbritannien und Frank­reich nochmals markant sinken. Denn das Durch­schnittsalter der heute weltweit in Betrieb stehenden AKW liegt bei stattlichen 29 Jahren.

Lange BauzeitenDie zum Teil sehr lange Bauzeit bei neuen AKW kann im Moment die Abwärtsentwicklung nicht aufhalten. Die durchschnittliche Bauzeit der 34 AKW, die welt­weit zwischen 2003 und Juli 2013 neu in Betrieb gin­gen, betrug 9,4 Jahre. In Europa wird in nächster Zukunft kaum ein AKW schneller gebaut werden. Olkiluoto, der sich in Bau befindliche EPR­Reaktortyp in Finnland, ist seit 2005, Flamanville in Frankreich seit 2007 im Bau; beide werden frühestens 2016 in Be­trieb gehen. In der gesamten EU sind momentan nur gerade vier AKW im Bau. Alle weiteren in der EU geplanten AKW (4 in Gross britannien, in Rumänien und Tschechien je 2 und je 1 in Bulgarien und Frank­reich) sind vom Spatenstich weit entfernt. Eine Reali­sierung der fünf osteuropäischen ist höchst unsicher. Zurzeit sind die Planungsarbeiten sistiert – wegen fehlender Wirtschaftlichkeit und weil diverse Projekt­partner ausgestiegen sind.

Zwei BeispieleDie USA bauen ebenfalls ihren Atompark ab, aber sehr langsam: Heute sind nur noch 100 Reaktoren am Netz, 1990 waren es noch 108 Reaktoren. Erst letztes Jahr gingen drei Reaktoren definitiv vom Netz. Es ist jedoch absehbar, dass in den kommenden Jahren

weitere abgeschaltet werden. Wie der schweizerische leidet der amerikanische AKW­Park an Überalterung. Die 100 Reaktoren weisen ein Durchschnittsalter von gut 34 Jahren auf, ein Fünftel davon ist älter als 40 Jahre.

Ganz wichtig: Es gingen in den letzten Jahren prak­tisch keine Neuen ans Netz. Nur vier seit 1990 und seit 1996 kein einziges mehr. Zwar lagen im Mai 2013 bei der amerikanischen Atomsicherheitsbehörde NRC 18 Zulassungsanträge für insgesamt 28 Reaktoren auf dem Tisch. Ob und wann diese je realisiert werden, steht jedoch in den Sternen. Das würde auch ganz schön teuer. Denn auch in den USA erleben die neuen Erneuerbaren inzwischen einen veritablen «Take off». Insofern ist klar, dass der Atomstromanteil in den USA auch in den kommenden Jahren sinken wird. Im 1995 lag er beim Maximum von 22,5 %, heute liegt er bei 19 %.Auch Grossbritannien gehört zu den Ländern mit dem ältesten AKW­Park, und so ist es kein Wunder, dass sich die konservative Regierung neue Reaktoren wünscht. Grossbritannien zählt aber auch zu den Ländern mit dem höchsten Anteil stillgelegter Reaktoren – 29 an der Zahl. Nur 16 Reaktoren sind noch in Betrieb, und elf davon werden noch bis 2020 vom Netz genommen! Ob und wann die Neubaupläne der britischen Regierung wirklich realisiert werden, bleibt aber abzuwarten (siehe Textbox).

Es gab und gibt ein AKW­Sterben, bereits vor Fuku­shima. Aber Aussterben wird die Spezies leider trotzdem nicht. Die Zukunft der Atomenergie liegt in China, Indien und Russland. Dort stehen zwei Drittel der AKW­Baustellen – und weitere neue Atomkraft­werke sind geplant. Die Risiken werden die gleichen hohen sein! Tschernobyl lässt grüssen ... <

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DIE TIEFENLAGER-SUCHE: ECHTE MITSPRACHE ODER NUR PSEUDO-DEMOKRATIE?

«Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist»Viele und wesentliche Sicherheitsfragen zu den potenziellen Tiefenlagern sind nach wie vor nicht beantwortet. Für die SES ist klar: Die «Regionale Partizipation» zu den Standorten für Oberflächen anlagen ist ein verkehrtes, verfrühtes Vor gehen. Findet via Regional-konferenzen wirklich echte Mitsprache statt – oder ist das so genannte Partizipations-verfahren nur Pseudo-Demokratie? Das E&U hat nachgefragt.

Von RAFAEL BRAND

Die Schweizerische Suche nach einem Atom müll­ lager gilt – international gesehen – heute als vorbildhaft. Mit dem Atom ausstieg und weil der Bau von neuen AKW vom Tisch ist, besteht kei­nerlei Druck für eine schnelle (Schein­)Lösung. Im Gegenteil: Oberste Priorität hat noch immer,

dass die beste und sicherste Lösung gefunden wird! Ein Atommülllager also, das grösstmögliche Sicher­heit und Flexibilität in Aussicht stellt, nach neustem Wissensstand modifizierbar und für die zig Generati­onen, die nach uns folgen, fair und vertretbar ist. Denn Atommüll ist und bleibt für die unbegreifbare Zeitdauer von 1 Million Jahre gefährlich.

Nagra: Wir wissen wie entsorgenFür die Nagra ist die Entsorgungsfrage gelöst: «Wir wissen, wie wir (..) radioaktive Ab fälle ent sorgen und wie wir ein sicheres Tiefenlager bauen können. Alle entscheidenden sicherheitstechnischen Fragen sind be antwortet», heisst es auf der Nagra­Website. Ja, der Bundesrat hat die Entsorgungsnachweise 1988 und 2006 gutgeheissen. Doch die Entsorgung ist alles an­dere als gelöst (siehe Textbox). Bevor zentrale Sicherheitsaspekte zu den möglichen Tiefenlagern nicht geklärt sind – so die klare Meinung

der SES – ist das Partizipationsverfahren zu den Ober­flächenanlagen­Standorten ein verkehrtes, verfrühtes Vorgehen. Als 1978 am Wellen berg erste Sondierboh­rungen erfolgten, hiess es seitens der Nagra, kristal­lines Gestein sei für ein Endlager am besten geeignet. Nun ist die sicherste Lösung der Opalinuston. Das zeigt: Welches die sicherste Lösung, das beste Wirtgestein, der beste Standort ist, ändert sich – und ist nicht zu­letzt auch eine Frage des politischen Widerstands.

Werden über die Regionalkonferenzen also vor allem die Fühler ausgestreckt, um herauszufinden, wo ein Tiefenlager politisch machbar ist? Bringen die RKs echte Mitsprache, ist die Suche nach einem Tiefen­lager überhaupt ergebnisoffen?

Was bringen die Regionalkonferenzen?«Offiziell geht es darum, den sichersten Standort für ein Tiefenlager zu finden. Viele RK­ Mitglieder haben aber kein echtes Vertrauen in den Prozess. In Sicher­heitsfragen begegnen sich Regionen und Experten nicht auf Augenhöhe», erklärt Othmar Schwank, vor­mals Geschäftsführer, nun Prozessbegleiter der Regio­nalkonferenz Südranden (SH): «Die Regionen müssen sich auf einen oder mehrere am wenigsten unge eignete Standorte für Oberflächenanlagen festlegen, bevor weitere, wichtige Abklärun gen zu den Tiefen lagern erfolgt sind. Das Pferd wird so vom Schwanz her auf­gezäumt.» Doch die Regionalkonferenzen haben für Othmar Schwank durchaus auch positive Aspekte: «Das Verfahren ist grundsätzlich ein offenes. Mit­sprache ist möglich, aber natürlich nur in begrenztem Ausmass wie im Sachplan definiert.»Für Lukas Spuhler, Mitglied k züri und der RK Nörd­lich Lägern, stehen Aufwand und Ertrag der Regio nal­kon fe renzen in keinem Verhältnis: «Das Verfahren dient vor allem dazu herauszufinden, wo ein Tiefen­lager politisch möglich ist, respektive der Widerstand am kleinsten ist.» Trotzdem sieht Lukas Spuhler eben­falls einige positive Aspekte: «Über die Regionalkonfe­ren zen wird viel Fachwissen verbreitet. In der Bevöl­kerung finden über die Parteigrenzen hinweg wichtige und dringend notwendige Diskussionen statt.»Jean­Jacques Fasnacht, im Vorstand von klar! Schweiz und RK­Mitglied Zürich­Nordost, kritisiert vor allem, dass bezüglich der Sicherheit der potenziellen Tiefen­lager die notwendigen Informationen nach wie vor

Atommüll xy ungelöst

Für die SES ist klar, dass – angesichts der vielleicht nie abschliessend zu beant-wortenden Sicherheits fragen – die Überwachung dauerhaft und die Rückholbar-keit des Atommülls stets gewährleistet sein muss! Die  SES  hat  deshalb  im  Dezember  2011  –  unterzeichnet  durch  viele  weitere  Organisationen – die 12  wichtigsten, ungelösten Fragen der Schweizer Atommüll-entsorgung aufgelistet (Download unter www.energiestiftung.ch). Eine Vielzahl von Sicherheits aspekten wie die Gas- und Wärmeentwicklung, die Alterung und Undichtigkeit der Behälter sowie Fragen zum Einfluss des Lagerbaus auf den Opalinuston und zur Überwachung sind bis dato ungenügend berücksichtigt und beantwortet. Das Nagra-Konzept möchte das Lager nach 50 Jahren Überwachung für immer zu verschliessen. 

Regionale Partizipation: Im Januar 2012 hat die Nagra 20 mögliche Standorte für Oberflächenanlagen vorgeschlagen. Gemeinden und Betroffene können im Rahmen von so genannten Regionalkonferenzen nun ihre Fragen und Standpunkte einbringen. Geprüft werden raumplanerische und sozioökonomische Aspekte.

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fehlen und wesentliche Fragen unge­klärt sind. «Meine Hoffnung und mein Ziel ist es, dass solche offenen Sicher­heitsfragen via Regionalkonferenzen in den Entscheidprozess einfliessen und vielleicht bessere Lösungen im Auge be­halten werden.» Der Nagra und den in­volvierten Stellen attestiert und traut Jean­Jacques Fasnacht durchaus eine gewisse Öffnung und Veränderung der Denkweise zu.

Ergebnisoffen bleibenDie Hoffnungen und Befürchtungen der Regionalkonferenzen bringt schlies­lich Martin Ott, Leiter der Fachgruppe Sicherheit der RK Zürich Nord­Ost, wie folgt auf den Punkt: «Das Partizipations­verfahren muss dazu dienen, dass die Diskussion eine ergebnis offene bleibt und die Suche nach einem Tiefenlager zu einem demokratisch­partizipativen Prozess wird. Es gibt positive Anzeichen. Die Frage aber bleibt, ob die Verant­wortlichen fähig sind, unsere Anliegen, Fragen und Argumente aufzunehmen. Diese müssen ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist.» <

E&U: Sie befassen sich seit über 20 Jahren mit dem Atommülllager in Gorleben und sind für die Landeskirche Hannover Endlager-Beauf-tragter: Warum beschäftigt Sie das Thema derart intensiv?

«  Die Endlager-Frage wird häufig nur aus technischer Sicht betrachtet. Oft wird vorausgesetzt: Was wir können, das dürfen wir auch. Mein Zugang ist  von der ethischen Fragestellung her. Ein Endlager wird jede kommende Ge-neration betreffen. Es geht also darum, die Menschen zu schützen, auch die Menschen kommender Generationen, denen der Atommüll auf eine Million Jahre hinterlassen wird. »E&U: Sie kritisieren, dass es in Deutschland an Ergebnisoffenheit, an Transparenz und fehlender Beteiligung der Öffentlichkeit mangelt: Läuft die Standortsuche in der Schweiz dies bezüglich besser?

«  In der Schweiz haben Sie sehr tiefgehende Traditionen der Demokratie und knüpfen in der Endlager-Frage an bewährte Beteiligungsverfahren an. Positive Erfahrungen mit dem Sachplanverfahren werden auf den Gegen-stand der radioaktiven Abfälle übertragen. Ein Verfahren ohne die Bevöl-kerung oder gar gegen sie wäre nach meinem Eindruck in der Schweiz gar nicht denkbar. In Deutschland haben wir eine völlig andere Ausgangslage. Es wurde ein Verfahren nach dem veralteten Bergrecht gewählt, das keine Beteiligung  der  Bevölkerung  vorsieht.  Auch  das  2013  beschlossene Standortauswahlverfahren gilt in diesem zentralen Punkt letztlich nicht für den  Standort  Gorleben. Vor diesem Hintergrund betrachte ich das Schweizer Verfahren in mehrfacher Hinsicht als vorbildlich.  »E&U: Die Regionen können sich zwar via Regionalkonferenzen einbrin-gen, zum Standort-Entscheid haben sie aber nichts zu sagen: Wird ein-fach Pseudo-Demo kratie statt echter Mitsprache vorgespielt?

«  Dem gegenwärtigen Schweizer Verfahren ging 1995 eine Abstimmung zum 

Wellenberg  voraus,  dem  die  Nidwaldner Stimmberechtigten mit 51,9% Nein-Stim-men eine Absage erteilten. Ich habe die Ar-beit der kantonalen Fachgruppe Wellenberg interessiert verfolgt und konnte nachvollzie-hen, dass bei der Abstimmung 2002 die Zahl der Nein-Stimmen auf 57,7% gestiegen ist. In der Schweiz wurde daraufhin ein neues Verfahren auf den Weg gebracht, das nicht einen einzigen Standort zur Abstimmung stellt, sondern ein schritt-weises alternatives Standortsuchverfahren ermöglicht. Gleichzeitig wurde beschlossen, Abstimmungen nicht auf der kantonalen Ebene durchzuführen, sondern das gesamte Gebiet der Schweiz einzubeziehen. Aus meiner Sicht ist es in der Schweiz möglich und erforderlich, sich konstruktiv-kritisch in lokale, nationale und internationale Diskussionen einzubringen und Gehör zu finden. Ob die Argumente der Betroffenen angemessen berücksichtigt werden, kann ich nicht beurteilen. In jedem Fall halte ich es für absolut notwendig, die Ar-gumente und Fragen der örtlich Betroffenen ernst zu nehmen bei einem solch weitreichenden Entscheid. »E&U: Wie würden Sie ein «sicheres Endlager» definieren? Auf welche zwei, drei Aspekte muss besonders geachtet werden?

«  Ob es je ein wirklich sicheres Endlager geben kann, weiss ich nicht. Sehr wichtig scheint mir, dass heute schon alle potenziellen Fehler und Schwachstellen möglichst umfassend erkannt und eruiert werden. Diese gilt es dann unbedingt zu vermeiden.  »

Kurzinterview mit Pastor Eckhard Kruse, Endlager-Beauftragter der evangelischen Landeskirche Hannover

Pastor Eckhard Kruse ist Referent am internationalen Atommüll kongress der SES, 13. März, Technopark, Zürich.

Vertrauliche Nagra-Aktennotiz AN 11-711 Die von der SonntagsZeitung am 7.10.2012 erstmals veröffentlichte vertrauliche Aktennotiz zeigt auf Seite 13 das Planungsszenario «Ausblick ES (Explorationsstragie) Standortwahl: Bohrprogramm». STOP-Zeichen sig nalisieren, dass bei Nördlich Lägern (AG/ZH) und Südranden (SH) weitere, geologische Unter-suchungen abgebrochen werden. An den Standorten Zürich-Nordost (Benken im Zürcher Weinland) und Jura-Ost (Bözberg) hingegen sollen nach weiteren Bohrungen Rahmenbewilligungsgesuche für ein Lager für hoch aktive Abfälle (HAA) und ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) eingereicht werden. Die Nagra erklärte der SonntagsZeitung gegenüber, die Aktennotiz habe keine detaillierte Planung zum Inhalt, das Planungsszenario sei lediglich ein modellhafter Ablauf mit hypothetischen Resultaten.

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Von TINA BERGSES-Praktikantin

Die Atommüllproblematik kümmerte in der An fangseuphorie des nuklearen Zeitalters nie­manden. Bis in die 1960er­Jahre wurde radio­aktiver Abfall aus der Forschung oder Industrie wie normaler Kehricht behandelt oder gar über das Abwasser «entsorgt». Erst einige Jahre spä­

ter begann man, den verseuchten Müll zu sammeln. Zwischen 1969 und 1982 liess die Schweiz mehrere Tausend Container strahlenden Abfall im Nordost­atlantik versenken, wie unter anderem die Deutschen, Holländer, Franzosen und die Amerikaner auch.

Weltweit noch kein Endlager Nachdem der Widerstand gegen diese Praxis anfangs 1980er­Jahre zu einem internationalen Versenk ungs­Moratorium geführt hatte, waren sich die Experten in der Zwischenzeit einig geworden, dass der radio­aktive Müll im Boden besser aufgehoben wäre. In der Schweiz begann die von den AKW­Betreibern finan­zierte Nagra mit geologischen Untersuchungen. Die anfängliche Überzeugung, dass kristallines Gestein optimal für ein Endlager sei, wich ums Jahr 2000 (parallel zum wiederholten Nein des Nidwaldner Stimmvolks zum Wellenberg) der Ansicht, dass der Opalinuston zwischen Solothurn und Schaffhausen nun der sicherste Endlagerort sei.

Eine sichere Lösung für die Entsorgung der radio­aktiven Abfälle ist nach wie vor nicht in Sicht – im Gegenteil: Die Nagra hatte bis Ende der 1990er­Jahre 700 Millionen Franken1 ausgegeben, ohne ein Konzept vorweisen zu können, das alle Sicherheitsbedenken befriedigte. 1988 hatte die Nagra den gesetzlich ge­forderten Entsorgungsnachweis für schwach­ und mittelaktive Abfälle gemäss Bundesratsentscheid erbracht. 2006 wurde der Entsorgungsnachweis für hochaktive Abfälle vom Bundesrat akzeptiert und seit 2008 sucht die Nagra im Rahmen des «Sachplanver­fahrens geologische Tiefenlager» in der Schweiz nach

einem geeigneten Standort­Gebiet für ein Endlager. Und das, bevor alle technischen und organisa torischen Probleme gelöst sind – ein verkehrtes Vorgehen.

Die ewige Suche stellt nicht nur die Schweiz vor ein Problem. Die Lösung der Atommüllfrage beschäftigt Forscher und AKW­Betreiber auf der ganzen Welt. Im 2013 erschienenen Kinofilm «Die Reise zum sichersten Ort der Erde» von Edgar Hagen wird ein Überblick über die weltweiten Misserfolge und Schwierigkeiten bei der Endlagerung von radioak­tivem Müll gezeigt. Ob in China, in den USA oder in Schweden: Der sicherste Ort konnte bislang auf der Weltkarte nirgends markiert werden. Eindrücklich zeigt der Film, was für eine riesige Verantwortung der Mensch mit dem Vermächtnis der Technologie­geschichte trägt.2

Unfassbare ZeitdimensionenIm krassen Gegensatz zur über 40­jährigen Produktion von Atommüll und der Suche nach einer Entsorgungs­option steht der Zeithorizont von einer Million Jahren, in denen der Atommüll sicher von der Biosphäre abgeschirmt lagern muss, damit die Strahlung ab­klingen kann. Für das Projekt Atommüllentsorgung muss ein Sicherheitskonzept für über 3000 Generati­onen entwickelt werden – eine gewaltige Zeitdauer, die in der menschlichen Wahrnehmung praktisch unfassbar ist.

Ein Vergleich aus der Geschichte ermöglicht es, die Di mensionen des Riesenprojekts zu verdeutlichen: In diesem Sommer jährt sich das Attentat auf Franz Ferdinand, Thronfolger von Österreich­Ungarn, zum hundertsten Mal und damit auch die diplomatische Krise des zuvor stabilen europäischen Bündnissystems, das schliesslich den Ersten Weltkrieg ausbrechen liess. So fremd wie manchem das Wort «Bündnissystem» vorkommen mag, so fremd sind den meisten heute Lebenden die Gepflogenheiten und die Lebensart der Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei han­delt es sich doch lediglich um 100 Jahre, zehntausend

AKW produzieren immer weiter Strom und Atommüll, obwohl es auch nach über 40 Jahren Forschung keine sichere Lösung für die Entsorgung von radioaktivem Abfall gibt. Nachdem dieser eine Weile unbekümmert im Meer versenkt wurde, hat man auch für ein geologisches Tiefenlager nach wie vor kein überzeugendes Konzept. Die Suche nach einer Lösung und die unfassbar lange Zeitdauer, bis der Müll für Mensch und Umwelt nicht mehr gefährlich ist, beschäftigen derweil nicht nur die Forschung, sondern sie werden in der Schweiz auch in einem neuen Kinofilm und einer Ausstellung thematisiert.

Steinzeit zu Science-Fiction: die unfassbare Zeitdimension der Atommüllentsorgung

DIE EWIGE SUCHE NACH EINEM SICHEREN ENDLAGER

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Mal weniger als die 1 Million Jahre, in denen der Atom­müll sicher gelagert werden muss. Die Sonderausstellung «Langzeit und Endlager» im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen3 veran­schaulicht die ungeheure Zeitdauer des Generatio nen­Projekts Atommüllentsorgung. Wenn man liest, dass zwischen dem Ende der Steinzeit und der Neuzeit «le­diglich» 15’000 Jahre liegen, erhält die Zahl 1’000’000 eine unvorstellbare Dimension. Der in der Ausstel­lung erarbeitete Blick in die Vergangenheit vermag tatsächlich die Bedeutung dieser «Langzeit» etwas verständlicher zu machen.

Politische Stabilität als GrundvoraussetzungFür die Sicherheit des Entsorgungsprojekts ist die über eine lange Zeit hinweg garantierte politische Stabilität eine Grundvoraussetzung. Ein Blick zurück zeigt beispielsweise, wie die Geschichte der modernen Schweiz nur ein winziger Augenblick ist, verglichen mit dem Planungshorizont und der Abklingzeit von radioaktivem Abfall. Der schweizerische Bundesstaat gilt als eine der ältesten und vor allem stabils ten Demokratien der Gegenwart und doch ist die Bundes­verfassung erst etwas mehr als 160 Jahre alt. Im Vor­feld lieferten sich konservative und liberale Kräfte im Sonderbundskrieg die letzte militärische Auseinan­dersetzung auf Schweizer Boden und ebneten damit den Weg für die Nationalstaatenbildung. Der Verschluss eines potenziellen Endlagers ist frühes­tens in 100 Jahren zu erwarten. Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt müsste der schweizerische Bundes­staat also noch stabil sein, damit das Projekt wie geplant abgeschlossen werden kann. Ein ambitio­nierter Plan – in Anbetracht der europäischen und

weltweiten Umwälzungen der letzten 150 Jahre.Fazit: Die Annahme der Nagra, die technischen Fragen zur Entsorgung von Atommüll seien gelöst und die gesellschaftlichen Herausforderungen nebensächlich, mutet in Anbetracht der Dimension dieses Projekts seltsam an. Es ist allerdings im Interesse der AKW­Betreiber, dass das Problem als gelöst betrachtet wird, denn ohne den Entsorgungsnachweis sind die Rahmen­bewilligungen für den Betrieb der Anlagen gemäss Kernenergiegesetz ungültig.

Zu viele offene FragenWeder die Überwachung noch die Rückholbarkeit des radioaktiven Abfalls können im aktuellen Konzept gewährleistet werden, noch bietet die Nagra eine Lösung zur Markierung eines Lagereingangs, die in der Zukunft sicher auf die Gefahr im Untergrund hinweist. Den Müll so schnell wie möglich zu ver­graben und das Endlager zu verschliessen, ist den künftigen Generationen gegenüber verantwortungs­los und unfair. Für die SES ist klar: Zu viele Fragen sind noch unbe­antwortet, als dass das Entsorgungskonzept der Nagra als sicher bezeichnet werden könnte. Also: AKW jetzt abschalten! Wenn eine Badewanne überläuft, stellt man zuerst den Hahn ab, bevor man damit anfängt aufzuputzen. Gleiches muss für die radioaktive Ver­schmutzung gelten. <

Bis in die 1980er-Jahre entsorgten Staaten mit Atomenergie ihren radioaktiven Müll im Meer – auch die Schweiz.

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1  Boos, Susan: Strahlende Schweiz. Handbuch zur Atomwirtschaft, 1999, S. 343.2  Der Film «Die Reise zum sichersten Ort der Erde» wird am internationalen 

 Atommüllkongress vom 13. März 2014 gezeigt. Weitere Infos und Anmeldung  unter: www.energiestiftung.ch/kongress.

3  Läuft noch bis 23. März 2014.

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Massive Kostenüberschreitungen

Die Erfahrungen beim AKW-Rückbau sind noch gering. Bislang abgeschlossene Rückbauprojekte lassen sich nur bedingt auf die Schweiz übertragen. Wie sehr die Kosten unterschätzt werden können, zeigt sich beim ehemaligen DDR-Kraftwerk Greifswald: Neus te Zahlen gehen davon aus, dass der AKW-Rückbau statt 1,1 rund 3,8 Milliarden Franken kosten wird.  

Quasi Neuland wird bei der Endlagerung betreten. Zum Beispiel Yucca Mountain: Das Endlager für hoch radioaktive Abfälle wurde 2002 genehmigt und die Kosten für Bau und Betrieb auf 58 Milliarden Dollar geschätzt. Eine überarbeitete Kosten-schätzung kam letztlich auf 96 Milliarden Dollar (plus 67%). 2009 schliesslich hat Präsident Obama das Projekt nach langjährigem Protest der Bevölkerung und Politiker gestoppt. Zum Beispiel Asse, Deutschland: Das ehemalige Salzbergwerk wurde versuchsweise zum Endlager ausgebaut. Seit Jahren dringt Wasser ein, das Bergwerk droht einzustürzen. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat den Auftrag, die über 125‘000 Atommüll-Fässer unter hohem Aufwand zu bergen. Die vorläufig geschätzten Kosten von rund 3,7 Milliarden Euro wird der Staat übernehmen.

In der Diskussion um die Energiewende stehen die Kosten im Mittelpunkt, insbesondere die der erneuerbaren Energien. Oft wird behauptet, die Erneuerbaren seien «teuer», Atomstrom hingegen sei «günstig». Fakt aber ist: Erneuerbarer Strom aus Sonne, Wind und Wasser ist heute schon billiger als Atomstrom. Wie eine aktuelle SES-Studie zu den Vollkosten der Atom energie zeigt, müsste eine kWh Atomstrom mindestens 16 bis 59 Rappen kosten.

Atomstrom ist teurer als Strom aus erneuerbaren Energien

NEUE SES-STUDIE: ATOMVOLLKOSTEN – WAS DER ATOMSTROM WIRKLICH KOSTET

Von RAFAEL BRANDE&U-Redaktor

Gemäss AKW­Betreibern kostet die Kilowattstunde Atomstrom 4,9 Rp. bis 9 Rp./kWh (Gestehungskosten). Doch eigentlich ist ja bekannt, dass Atomstrom nur vermeintlich «günstig» ist. Wären wirklich alle Kos ten für Stilllegung, Entsorgung sowie die Risiken und Folgen für Mensch und Umwelt enthalten, würde eine Kilowattstunde Atomstrom sehr viel mehr kosten. Atomstrom ist nur deshalb «günstig», weil versteckte, externe Kosten – ganz im Gegensatz zu den Erneuer­baren – nicht vollumfänglich im Strompreis enthalten sind. Die tatsächlichen Kosten werden einfach auf kommende Generationen ver schoben und müssen später von der Allgemeinheit mit Steuergeldern teuer bezahlt werden. Wer also in der politi schen Diskussi­on um die Energiewende den «teuren» Strom aus neu­en Erneuerbaren mit dem vermeintlich «billigen» und Hochrisiko behafteten Atom strom vergleicht, misst nicht mit gleichen Ellen. Die SES hat in einer Studie errechnet, was der Atomstrom tatsächlich kostet.

40 Millionen für Stilllegung und EntsorgungGemäss Atomgesetz vom 6. Oktober 1978 sind die AKW­Betreiber verpflichtet, für die sichere Entsorgung der

radioaktiven Abfälle vollumfänglich aufzukommen. Die SES stellt in ihrer Studie einmal mehr fest, dass diese Kosten schlicht und einfach schöngerechnet sind. swissnuclear und die Nagra stützen sich in ihren Berechnungen stets auf das «Best­ Estimate­Prinzip». Mangelnde Erfahrung und zu erwartende Kostenüber­schreitungen bei Stilllegung und AKW­Rückbau sowie bei der Endlagerung von Atommüll sind zu wenig berücksichtigt. Das bestätigt mittlerweile auch das Nuklear sicher heits in spektorat ENSI, welches die Kos­tenberechnung zwar als «realistisch» einstuft, jedoch damit rechnet, dass die tatsächlichen Kosten für Still­legung und Endlagerung letztlich doch um 15 bis 30% höher sein könnten. Die SES hält die vom ENSI erwartete Kostensteigerung von 30% für eine adäquate, jedoch minimale Reserve. Wie aktuelle Rückbau­ und Endlagerprojekte zeigen (siehe Textbox), muss – so die SES­Forderung – eine Reserve von 100% eingeplant werden:

n Wird also mit 40 statt 20 Millionen für Stilllegung und Entsorgung gerechnet, müsste (je nach Annahme von AKW­Laufzeiten, Teuerung und Fondsrendite) der Atomstrom 6 bis 12,5 Rp. pro kWh mehr kosten.

Ohne staatliche Förderung keine AKWAtomstrom ist ohne staatliche Finanzhilfe und Staats­garantien nicht wettbewerbsfähig. Kernkraft wurde und wird noch immer massiv gefördert, sei dies in Form von Forschungsgeldern, Bürgschaften, nicht in­ternalisierten Kosten oder Beiträgen an internationale Atom­Organisationen. Die Atomenergie wurde jahr­zehntelang bei der Vergabe von Forschungs geldern stark bevorzugt. Die SES hat errechnet, dass jährlich rund 50 Mio. Schweizer Franken plus 48 Mio. aus der OECD in die Forschung flossen. Hinzu kommt eine Quersubventionierung über die Wasserkraft von rund 800 Mio. Franken jährlich. Dies müsste sich in den Kosten wie folgt niederschlagen:

n Je nach Schätzung (vorsichtig bis hoch) der Schwei­zer Finanzhilfen und Quersubventionen an die Atom­energie ergibt sich, dass die kWh Atomstrom um 3 bis 5,6 Rp. teurer sein müsste.

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AKW nur scheinbar rentabelWie enorm wichtig genügend Eigen­kapital ist, haben die Finanzkrisen der letzten Jahre in aller Deutlichkeit ge­zeigt. Damit Atomstrom kostengünstig bleibt, wird der Bedarf an Eigenka pital buchhalterisch «klein gerechnet», zu­dem werden nicht OR­konforme Vermö­genswerte (Aktiva) in den Bilanzen auf­geführt, wird in der SES­Studie festge­stellt. Gegen die AKW Gösgen­Däni ken AG und Leibstadt AG wurde deswegen ja Strafanklage erhoben. In den Bilanzen der Werke könnten über 1,8 Milliarden Franken aktiviert sein, die vielleicht gar nicht werthaltig sind.

n Müssten die AKW­Betreiber genügend Eigenkapital ausweisen und nicht wert­haltige in werthaltige Vermögenswerte wandeln sowie dieses Kapital marktge­recht verzinsen, wäre Atomstrom um 3,8 bis 5,2 Rp. pro kWh teurer.

Wir alle zahlen wenns knalltSchon immer war klar, dass Atomun­fälle Lebensgrundlagen auf Generati o­nen hinaus zerstören und riesige Ge­biete unbewohnbar machen können. Seit Tschernobyl und Fukushima wissen wir nun, dass ein Super­GAU weit häu­figer auftreten kann als uns vorgerech­net wird. Für Fukushima werden die Kosten bereits auf 940 Mia. Franken be­ziffert. Ein GAU wie in Fukushima in der dichtbesiedelten Schweiz wird vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) gar auf horrende 4200 Mia. Franken geschätzt. Für diese immensen Schäden werden Staat und Bevölkerung aufkommen müssen. Zwar haften laut Gesetz die AKW­Betreiber, doch die heu­tige Haftpflicht deckt nur einen Bruch­teil der Kosten. Die Atomenergie wird so indirekt subventioniert.

n Mit einer adäquaten Haftpflicht müsste – je nach Annahme der Schäden (Fukushima 940 Mia. / BABS 4200 Mia. / Schätzung Versicherungsforen Leipzig 6000 Mia. Euro) die kWh Atomstrom 4, 17 respektive 31 Rp. mehr kosten.

Fazit: Werden die versteckten Kosten addiert, so liegen die «wahren» Kosten von Atomstrom bei 36 Rp./kWh (mittle­res Szenario 2). Der vermeintlich billige Atomstrom deckt seine Kos ten also bei weitem nicht! – Erneuerbare hingegen werden immer günstiger. <

Nachgefragt bei Florian BrunnerVerfasser der SES-Studie «Atomvollkosten – Was der Atomstrom wirklich kostet.»

Florian Brunner hat Geographie studiert, in den Nebenfächern Agrarwirtschaft und Geschichte (Master in Human-, Polit- und Wirtschaftsgeographie mit Schwerpunkt auf Energie- und Umweltfragen).

E&U: Florian, du hast intensiv recherchiert und geforscht. Welches Resultat, welche Er-kenntnis der Studie hat dich persönlich am meisten überrascht?

«  Dass die Kosten des Atomstroms  in allen Bereichen kleingerechnet werden. Atomstrom rechnet sich ganz offensichtlich nur mit Hilfe von Subventionen. An dieser Erkenntnis  lässt die  britische  Regierung  ganz  aktuell  keine Zweifel mehr offen, denn sie subventioniert den Atomstrom der neu geplanten AKW mit massiv mehr  Geld,  als  etwa  Deutschland  oder  die Schweiz dies bei Solar- oder Windenergie tun. Und  dennoch  geistert  in  den Atomausstiegs-diskussionen noch immer die Aussage herum, der kostengünstige Atomstrom lasse sich mit dem teuren Strom aus Erneuerbaren nicht er-setzen. Aber: Atomstrom  ist  teurer  als Wind- oder Solarstrom, schon heute!  »E&U: Atomstrom wird als zu günstig aus-gewiesen. Warum funktioniert das nach wie vor und weshalb greift die Politik nicht vehementer ein?

«  Die wahren Kosten wurden – und werden wohl auch noch in Zukunft – von der Allgemein-heit und nicht vom Verursacher getragen! Das heisst, Atomstrom wird günstiger verkauft als er eigentlich ist. Die Zusatzkosten muss dann jeweils der Steuerzahlende übernehmen. Hinzu 

kommt, dass die Atomlobby sehr stark ist und die Stromkonzerne sowie gewisse Parlaments-vertreterInnen ein Interesse daran haben, dass der Atomstrom weiterhin günstig ausgewiesen wird, da sie von den verbuchten Gewinnen bis anhin profitierten. »E&U: Atomstrom deckt ganz offensichtlich nicht die tatsächlichen Kosten. Wie lässt sich das noch korrigieren?

«  Den grössten Hebel sehe ich hauptsächlich bei den Kosten für Stilllegung und Entsorgung. Denn  das  heutige  System  der  Stilllegungs-  und Entsorgungsfondsverordnung (SEFV) weist  Mängel in der Kostenberechnung und im Berech-nungsmodell  für die Festlegung der  jährlichen Beiträge auf. Konkret:  Es  fehlt  an Erfahrungs-werten  und  die  bestehende  Verordnung  geht  von unrealistischen Renditeangaben und Teue-rungsraten aus. Die neue Vorlage des Bundes-rats  enthält  zwar  Verbesserungsvorschläge, doch  diese  werden  zur Vermeidung  einer  Fi-nanzlücke in den beiden Fonds noch nicht aus-reichen. Müssten ein wie von der SES geforderter realistischer Sicherheitszuschlag dazugerechnet und  eine  Nominalrendite  erzielt  werden,  die Marktrisiken abfedern können, hat dies direkte Auswirkungen auf die Beiträge, welche die AKW-Betreiber zahlen müssen. Der Atomstrom wäre viel teurer.  »  

Download der SES-Studie unter:www.energiestiftung.ch/aktuell/publikationen

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Kapitalkosten

Weitere Subventionen

Versicherungskosten

Stilllegung & Entsorgung

Heutige Gestehungskosten

HeutigeGestehungskosten

Berechnungs-szenario 1

Berechnungs-szenario 2

Berechnungs-szenario 3

Rp./kWh

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Von THOMAS MATHISSchweizer Netzwerk gegen Kohlekraftwerke

Der Ausgang der Bundestagswahlen im Sep­tember 2013 war keine Überraschung. Die Partei von Angela Merkel, die CDU, gewann mit grossem Vorsprung, ihr Regierungspartner, die FDP, verpasste mit weniger als 5% den Ein­

zug in den Bundestag. Wie nach jeder Wahl hatte die neue Koalition von CDU und SPD somit die Aufgabe, nebst vielen anderen Themen auch die Energiepolitik neu zu justieren. Es gab berechtigte Hoffnungen, dass Deutschland nun wieder auf mehr erneuerbare Ener­gien statt Kohleverstromung setzen wird. Denn die SPD versprach eine ökologische und auf erneuerbare Energien fokussierte Energiepolitik und ging mit die­sem Wahlversprechen gezielt auf Stimmenfang.

Wir wissen: Wahlversprechen sind von gestern und küm mern wenig, wenn die Wahlen vorbei sind. Das zeigte sich wieder einmal, als der neue Bundesminis­ter für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, Mitte Januar sein Eckpunkte­Papier zur Reform der Ener gie­wende vorstellte: Massiv weniger Geld für neue Photo­

voltaik­, Biomasse­ und Wind­ Anlagen und even tuell sogar Subventionen für den so genannten «Kapazitäts­markt», was in Deutschland vor allem die Betreiber der schlimmsten CO2­ Schleudern, der Braun­ und Stein­kohlekraftwerke, freuen wird. – Will der neue mäch­tige Mann der SPD, aktueller Vizekanzler und ehema­liger Bundesumweltminister, die Energiewende noch mehr bremsen als sein FDP­Vorgänger Philipp Rösler?

Hohe Umlage: nicht (nur) wegen ErneuerbarerStein des Anstosses und Grund für die geplante Brems­politik ist die so genannte EEG­Umlage (Erneuer bare­Energien­Gesetz), die alle StrombezügerInnen pro Kilo­wattstunde bezahlen: Per 2014 wurde diese um knapp 1 Cent pro kWh erhöht und beläuft sich nun auf 6,24 Cents/kWh. Die EEG­Umlage errechnet sich jedes Jahr neu aus der Differenz zwischen dem am Markt für den Strom erzielten Preis und dem garantierten Vergütungs satz aller Solar­, Wind­, Wasserkraft­ und Biomasseanlagen. Pro Haushalt macht dies knapp 220 Euro pro Jahr aus.

Der neue grossen Koalition ist das zu viel. Sie bedient sich dabei sogar der Argumentation der Kohlestrom­Produzenten: Die Förderung des erneuerbaren Stroms

sei derart marktverzerrend, dass der fossile Kraftwerks park in Deutschland nur noch Ver luste schreibe. Dass deutsche Kohlekraft­werke ebenfalls Milliarden­Subventionen er­halten haben, geht in der Diskussion oft vergessen. Gerne unterschlagen wird auch, dass ein Grossteil der ener gie inten siven In­dustrie von der EEG­Umlage befreit ist.

Fakt ist, dass ohne diese Ausnahmerege­lungen die privaten StromkundInnen deut­lich weniger EEG­ Umlage zahlen müssten. Der Bundesverband erneuerbare Energien (BEE) hat errechnet, dass für 2014 die ei­gentlichen Förderkosten für Erneuerbare nur 2,54 Cent je kWh betragen. Die Diffe­renz zu den 6,24 Cent sei zur Hauptsache eine Folge der sinkenden Preise an der Strombörse sowie der zahlreichen Ausnah­men für die Industrie.

DIE KURZSICHTIGE FÖRDERPOLITIK DER NEUEN GROSSEN KOALITION

Kaum im Amt, präsentierte der neue deutsche SPD-Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, die neuen Eckpunkte zur Reform der Energiewende. Nur wenn die Förderbeiträge für erneuerbaren Strom gekürzt und die Betreiber von neuen Solar-anlagen für den Eigenverbrauch zusätzlich zahlen, bleibe die Energiewende bezahlbar. Der neue oberste Bundesminister leistet der Energiewende damit einen Bärendienst.

Will Deutschland die Energiewende ausbremsen?

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Kohleabbau in Deuschland: Will Deutschland die Energiewende ausbremsen?  

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Einwände, diese Ausnahmen von der EEG­Umlage zu hinterfragen und von der Industrie einen Beitrag an die Ener­giewende zu fordern, werden von Sig­mar Gabriel und der neuen CDU/SPD­Koalition gar nicht erst thematisiert, auch wenn nach Ansicht der EU­Kom­mission diese Rabatte für die Indu strie gegen das Grundprinzip des fairen Wettbewerbs verstossen.Die Denklogik des neuen Wirtschafts­ministers funktioniert anders: Schuld am teuren Strom sind zum Beispiel die Förderbeiträge für Solarpanels, welche man in Deutschland überall auf den Dächern sieht. Generell wollen Gabriel und seine neue grosse Koalition errei­chen, dass die Förderbeiträge für Solar­ und Windanlagen massiv reduziert und degressiv ausgestaltet werden. Die Betrei ber von Solaranlagen oder Bür­gerkraftwerken, welche bisher gemein­sam einen wichtigen Beitrag für die Energiewende geleistet haben, sind also in dieser Denkweise die neuen Abzocker der Nation.

Kapazitätsmarkt als versteckte Hilfe für Kohlekraft?Es drängt sich also die Frage auf, ob CDU und SPD mit dem angedrohten Abwürgen von Neuinvestitionen in Erneuerbare ihre eigenen Ziele tatsäch­lich noch erreichen wollen. Man hat leider guten Grund, skeptisch zu sein, dass sich so der Ökostrom­Anteil bis 2025 von derzeit knapp 35 auf 45 %, bis 2035 auf 55 bis 60 % erhöhen lässt. Noch unklar ist, ob Gabriel den Betrei­bern von Kohlekraftwerken mit Millio­nen unter die Arme greifen wird. Da neue, direkte Subventionen an die Kohle­verstromung wohl doch etwas gar dreist wären, wird ein neues Förder­instrument – die Unterstützung für den Kapazitätsmarkt – aktuell. Es sollen An­

reize für Kraftwerksbetreiber geschaf­fen werden, Reserveleistung vorzu­behalten. Kraftwerke sollen also nicht mehr nur für die abgegebene Leistung Geld erhalten, sondern auch für ihre Betriebsbereitschaft! Denn heutzutage lohnt es sich für Kohlekraftwerke nicht mehr, während 24 Stunden die maxi­male Menge Strom zu produzieren, da die Kosten für die Kohle und den CO2­Ausstoss häufig höher sind als der an der Strombörse erzielte Preis.

Der Energiewende ein Bein stellenWeswegen aber will ausgerechnet die SPD die Erneuerbaren «verhungern» lassen und stattdessen Geld für Kohle­kraftwerke? Von den Milliarden, die jährlich in Form von Förderbeiträgen ausgeschüttet werden, profitieren die WählerInnen der SPD kaum. Nur we­nige SPD­WählerInnen beteiligen sich an Bürgerkraftwerken oder montieren sich ein Solarmodul auf ihr Dach. Die meisten sind einfache Arbeiter und Mieterinnen und haben gar keine Mög­lichkeit dazu. Vom EEG profitieren vor allem diejeni­gen, die (viel) Geld übrig haben – also nicht die klassische SPD­Wählerschaft. Die nun geplante und gezielte Brems­politik beim Zubau der Erneuerbaren missachten aber, dass längerfristig auch die SPD­WählerInnen von der Energiewende profitieren, da die Klima­kosten und die Atomrisiken letztlich auf die gesamte Volkswirtschaft zurück­fallen, auch auf die Stromkosten. Mit dem einseitigen Abbau der Förder­gelder für Erneuerbare macht Sigmar Gabriel seinen Wählern eben nur auf den ersten Blick einen Gefallen – mehr Weitsichtigkeit wäre für einen ehema­ligen Bundesumweltminister durchaus angebracht. <

Murks? – Nein danke!

n Die «geplante Obsoleszenz» ist Teil einer Strategie. Beim Herstellungsprozess werden bewusst  Schwachstellen  eingebaut  oder Rohstoffe von schlechter Qualität eingesetzt. 

n Eine  «Sollbruchstelle»  ist  ein  Konstruk-tions element,  das  im  Schadens-  oder  Über-lastungs fall vorhersehbar versagt, um so den Schaden im Gesamtsystem klein zu halten.

Während  Sollbruchstellen durchaus  berechtigt  und nötig  sind,  ist  die  ge-plante Obsolenz im Sinne einer  Kreislaufwirtschaft ein Skandal. Diese Marke-tingstrategie ist schon recht alt:

n Das Glühlampenkartell war ein Gebiets-, Normen- und Typenkartell, das 1924 in Genf gegründet  wurde.  Ziel  waren  Absprachen und die Aufteilung des Weltmarktes. Bekannt wurde das Kartell durch die Absprache zur Begrenzung der Lebensdauer von Glühlam-pen  auf  1000  Stunden  zu  Gunsten  höherer Verkaufszahlen. 

Es gibt auch berühmte Produkte, die das Ge-genteil zum Ziel hatten:

n Henry Ford  legte das Auto-Modell T auf einfachste Bedienung und Reparaturfreund-lichkeit aus. Der Ford T hatte kein kon ven-   tionelles Fahrzeuggetriebe, beim Motor wurde auf  Kühlwasserpumpe,  Ölfilter,  Treibstoff-pumpe und Ölmessstab verzichtet. Die Kons-truktion  war  äusserst  langlebig;  fast  alle  Reparaturen waren einfach zu bewältigen.

n Der Trabant («Trabi») wurde ab 1958 in der DDR gefertigt. Bis 1991 wurden über 3 Mio. Fahrzeuge  produziert.  Der  «Trabi»  galt  als sparsam, erschwinglich und sehr robust. 

Zwei Rezepte kontra Wegwerfgesellschaft

Repair-Cafés  sind  ehrenamtliche  Treffen, bei  denen  die  Teilnehmer  alleine  oder  ge-meinsam  ihre  kaputten  Dinge  (Kleidung, Möbel,   Elektrogeräte,  Fahrräder,  Spielzeug) reparieren.  Das Murkseum  ist  eine  nicht gewinnbringende,  öffentliche  Einrichtung, die materielle Belege des Menschen und sei-ner Umwelt erwirbt, erforscht und ausstellt. Das  Murkseum  dient  dem  Dialog  und  will auf geplante Obsoleszenz, sprich Produkte-Schwachstellen, gezielt aufmerksam machen.

Schritte hin  zur Kreislaufwirtschaft werden immer wichtiger. Der geplanten Obsolenz ist heutzutage eine klare Absage zu erteilen. 

Download der Studie «Geplante Obsoleszenz» unter www.murks-nein-danke.de (home)

ENERGIE- IDIOTISCH

Solarproduzenten werden zur Kasse gebeten

Solarstrom vom eigenen Dach kostet in Deutschland heute je nach Einstrahlung zwischen 11 und 15 Cents, also deutlich weniger als der Strom, den die grossen Versorger ins Haus liefern (zirka 25 Cents). Gabriel will nun, dass die Eigenproduzenten ebenfalls 6,24 Cents pro kWh für den selber produzierten Strom an die EEG zahlen. Das kommt einem Hammerschlag gegen neue Solaranlagen gleich. Die Folge wäre, dass Eigenproduzenten ihre Anlage kaum mehr werden refinanzieren kön-nen, respektive diese kaum mehr zu einem Bankkredit kommen. 

Statt die Verursacher des Klimaproblems stärker zur Kasse zu bitten, müssen also die Betreiber von Solaranlagen oder von Kraft-Wärme-Kopplung Teile der Energiewende selber bezahlen. Setzt sich Gabriel mit seiner neuen Förderpolitik bei Kanzlerin Merkel durch, was anzunehmen ist, so wird es beispielsweise auch kaum mehr möglich sein, an einem Standort mit durchschnittlichen Windver-hältnissen eine neue Windanlage kostendeckend zu betreiben.

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l News l Aktuelles l Kurzschlüsse l

Windparks im Baselbiet

Die Stromproduzenten IWB, EWB und EBL möchten zusam­men Windparkprojekte realisieren. Die Höhenzüge der Jura­Ausläufer sind dafür geradezu ideal. Die drei Unternehmen haben nun acht Gebiete identifiziert, die sich am besten für die Nutzung der Windkraft eignen. Das mögliche Potenzial aller Standorte zusammen – vorausgesetzt, es wird voll ausge­schöpft – liegt bei einer jährlichen Produktion von 130 Mio. Kilowattstunden. Das wäre mehr als ausreichend, um die Stadt Liestal mit Strom zu versorgen. Die Baselbieter Bau­ und Umweltschutzdirektion will nun mit einem Antrag erreichen, dass sieben der acht Standorte in den Richtplan aufgenom­men werden.

Ein Haus ohne Heizung und Lüftung

Das Haus als Kraftwerk, das mehr Energie produ­ziert als es verbraucht, ist heute keine Fiktion mehr. Doch auch wenn die Ge­bäude immer weniger En­ergie brauchen, der Auf­wand für Unterhalt und Wartung nimmt indes zu. Was läge also näher, als ein Haus zu bauen, das mit

möglichst wenig Technik auskommt und von sich aus einen geringen Energieverbrauch hat?Das Architekturbüro Baumschlager Eberle hat im österreichi­schen Lustenau ein Bürogebäude gebaut, das ohne Heizung, Lüftung und Kühlung auskommt. Der Unterschied zur heute gängigen Praxis: Die technische Intelligenz ist in den Bau ge­wandert, in Wände und Decken, Grundriss und Fassade – und nicht in Lüftung oder Wärmepumpen. Einzig die in die Fens­ter integrierten Lüftungsflügel werden elektrisch betrieben, gewährleisten frische Raumluft und nutzen die Nachtkühle. Für die Beheizung reicht die Abwärme von bereits Vorhande­nem – der Kaffeemaschine, dem Computer oder der Körper­wärme der Mitarbeitenden. Ein Suffizienzhaus ist keine Zu­kunftsmusik – aber es braucht idealistische Baumeister wie Baumschlager Eberle, die sich dafür begeistern.

Klares Votum für den öffentlichen Verkehr

Die Schweizer Stimmberechtigten haben ein klares Votum für eine nachhaltige Mobilität abgegeben. Das Ja zu FABI am 9. Februar sichert den Unterhalt des Bahnnetzes und macht den gezielten Ausbau möglich. Das ist ein wichtiger Schritt, damit der öffentliche Verkehr auch künftig einen qualitativ hochwertigen Service bieten kann. Er bietet die Grundlage zu einer ökologischeren Verkehrspolitik, denn die Bahn ist auf längeren Strecken noch immer bei weitem das umweltscho­nendste Verkehrsmittel.Dennoch: Wie viele Schienen, wie viele Strasse sollen noch gebaut werden? Ein wirklich nachhaltiges Mobilitätskonzept muss gewährleisten, dass der Mensch in der Schweiz seine Ziele in Velo­ oder Fussdistanz erreichen kann. Denn ein «ent­schleunigter» Nahverkehr tut allen gut – der Umwelt, dem Klima und auch uns selber.

«Ökozonen» für Zürich

Ein guter Schritt für die Energiewende im Kanton Zürich: Beim Urnengang vom 9. Februar 2014 hat der Zürcher Souverän die Möglichkeit zur Schaffung von expliziten «Ökozonen» zuge­stimmt. Die Änderung des Planungs­ und Baugesetzes sieht vor, dass die Gemeinden in ihrem Zonenplan Gebiete ausscheiden können, in denen für Neu­ und Umbauten erneuerbare Ener­gie verstärkt genutzt werden. Es ist ein neues Instrument für die Energiepolitik der Gemeinden, das mit keinen Kosten oder Zwang verbunden ist, denn: Die Gemeinden können – müssen aber nicht – solche «Ökozonen» bezeichnen. Die Gemeinden erhalten so die Möglichkeit, die erneuerbaren Energien ihren Bedürfnissen entsprechend zu fördern.

Dieses Bedürfnis scheinen aber nicht alle Zürcher Gemeinden zu verspüren. Denn je zentrumsferner die Gemeinden, desto grösser der Nein­Anteil. Ohne die grosse Zustimmung in den Städten Zürich und Winterthur wäre das Ja zur Vorlage (54,6%) nicht zu Stande gekommen. Gerade in den Regionen, wo wirklich Platz und Potenzial für Photovoltaikanlagen und Windräder vorhanden wären, scheinen «Ökozonen» also einen schweren Stand zu haben.

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DIE UNSICHTBARE, RADIOAKTIVE STRAHLUNG IM BLICK 

Fotoausstellung: 3 Jahre FuskushimaFotoreporter Fabian Biasio reiste im De-zember 2012 nach Japan und berichtete aus den verstrahlten Gebieten rund um das havarierte AKW Fukushima Daiichi. Doch: Wie  kann  man  eine  unsichtbare Gefahr fotografisch festhalten? Aus die-sem Dilemma heraus entstand eine Foto-Serie, die rund um den dritten Jahrestag des Super-GAU in Fukushima in der Zür-cher «Photobastei» zu sehen ist.

Wer durch die Präfektur Fukushima fährt, sieht  gelegentlich  weisse,  rundliche Kästen  oder  metallene  Tafeln  an  der Strassenecke. Wie  freundliche  Roboter stehen sie in der Landschaft und verkün-den Tag und Nacht in roter Leuchtschrift die aktuelle Strahlenbelastung in Mikro-sievert pro Stunde (μSv/h). Diese «monitoring posts» sind eine Beru-higungsmassnahme der Regierung: Der Mensch kann radioaktive Strahlung nicht wahrnehmen. Das erzeugt Ungewissheit und Angst. Strahlungswerte, die von der Norm abweichen, machen sich erst später – manchmal viele Jahre nach der Exposition – bemerkbar. 

Das Problem: Die Standorte der Überwachungsstellen sind vor dem Aufbau der Messgeräte aufwendig gereinigt worden. Das gilt auch für die Geräte in  der zwangsevakuierten Zone von Iitate-Mura. Sie zeigen meistens viel tiefere Werte als in der Umgebung mit mobilen Geräten gemessen werden.

Ausstellung vom 6. bis 16. März in der Photobastei Zürich, Bärengasse 29. Geöffnet Di – So 12 bis 21 Uhr.

BUCH-BESPRECHUNG

EnergieRespekt – eine Anleitung zur Energiewende

Fünf in der Energieszene nicht unbekannte Autoren haben sich dem von der Politik beschlos­senen Projekt Energiewende an­genommen. Sie orientieren sich dabei am Ziel der 2000­Watt­Gesellschaft, in der pro Kopf nicht mehr als eine Tonne CO2 pro Jahr ausgestossen wird. Herausgekommen ist eine in­genieurwissenschaftliche Anlei­tung, wie die Schweiz die Ener­giewende umsetzen kann – mit

Fokus auf Gebäudepark, Mobilität und Stromversorgung. Das Buch von Rainer Bacher, Armin Binz, Hanspeter Eicher, Rolf Iten und Mario Keller ist im Januar 2014 im Faktor Verlag erschienen.

Politik muss grünes Licht geben: Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung ohne Atomstrom sind machbar, und zwar mit positiven volkswirtschaftlichen Effekten. Die Energieausgaben der Schweiz können in den nächsten 50 Jahren von über 30 auf rund 28 Milliarden Franken sinken. In den ersten 20 Jahren ist mit zusätzlichen Investitionen zu

rechnen, die sich später aber mehr als bezahlt machen. Damit diese getätigt werden, muss gemäss der Autoren «die Politik nur die Rahmenbedingungen anpassen und damit in allen Bereichen grünes Licht für den Start geben».

Einheimische erneuerbare Stromversorgung: Im Bericht, den die Autoren als «Vorprojekt» mit «sehr konservativen Planungsgrundlagen» bezeichnen, wird auch deutlich, dass es dank Effizienz nach der Energiewende nicht mehr, son­dern gleich viel Strom braucht wie heute. Die prognostizierten Erträge aus Photovoltaik­ und Windkraftanlagen können mit vertretbarem Aufwand durch das schweizerische Stromnetz aufgefangen, verteilt und gespeichert werden. Die Schweiz kann sich selbst mit Strom versorgen – 100% erneuerbar.

Die fünf Autoren kommen zum Schluss, dass die künftige Energieversorgung «ausreichend und sicher, umweltfreund­lich und inländisch» ist – und «volkswirtschaftlich rentabel». Die Herleitung ist erfrischend übersichtlich und für alle ver­ständlich geschrieben. Die Lektüre sei politischen und ande­ren EntscheidungsträgerInnen, die mit der Energiewende zu tun haben, wärmstens empfohlen.

EnergieRespekt, Faktor Verlag,  Zürich, 2014; 92 Seiten, vierfarbig illustriert. Fr. 50.– ISBN: 978-3-905711-27-1

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ARTIKEL-SERIE: WIR SIND TEIL DER ENERGIEWENDE

Voller Elan und EnergieSchon während des Geographiestudiums wurde Sonja Lüthi vom Thema Energie gepackt und seitdem hat sie das Thema nicht mehr losgelassen. Seit ihrer Dissertation bis zur heutigen Arbeit bei der Energiefachstelle St. Gallen stehen die erneuerbaren Energien im Zentrum ihres Lebens.

Von PHILIPPE BOVETFreier Journalist Umwelt- und Energiebereich

«Energie ist in unserem Leben omnipräsent!», sagt Sonja Lüthi und betont den Satz mit Nach­druck und mit grosser Überzeugung. Am Geo­graphiestudium faszinierte sie die Vielfalt der Themen wie Bevölkerung, Klima, Landschafts­

entstehung oder auch Wirtschaft . Letztlich wählte sie den Schwerpunkt Klima und befasste sich insbesonde­re mit dem Einfluss der Erderwärmung auf Landwirt­schaft, Tourismus und die Versicherungsbranche. Sie erklärt: «Mit verschiedenen Klimamodellierungen machten wir Annahmen über die Niederschlags­ und Temperaturentwicklungen in der Zukunft. Viel inte­ressanter als über Annahmen in der Zukunft nachzu­denken, fand ich aber die Frage, was man dagegen tun kann. Da kommt man schnell zum Thema Energie.» So entschloss sie sich denn auch, im Bereich erneuerbare Energien zu doktorieren. In ihrer Dissertation unter­suchte sie aus der Sicht von Grossprojekt­Entwicklern, was eine effektive, wirksame Förderpolitik ausmacht.

Wartezeit und BelohnungIhre auf Englisch geschriebene Dissertation1 vergleicht unter anderem die Fördersysteme für Solarenergie in Spanien, Griechenland sowie Deutschland. Sonja Lüthi hat deren Wirkung analysiert und kam dabei zu einem überraschenden Befund: Die Menge der installierten Kapazitäten ist nur im beschränkten Masse abhängig von der Höhe der Fördergelder und der Sonnenein­strahlung. Wichtiger für die Investoren sind die mit den politischen Rahmenbedingungen verbundenen Ri­siken. Die 33­jährige Sankt­Gallerin ergänzt: «Obwohl es in Spanien und Griechenland bei viel Sonne auch noch höhere Fördertarife für Solarstrom gab, wurden in Deutschland am meisten Solaranlagen gebaut. Grund für den zögerlichen Ausbau, z.B. in Spanien, war, dass die Gesetzgebung ständig und abrupt geändert wurde. Die Projektentwickler konnten und wollten sich nicht auf das ständig ändernde System einlassen.»

Im zweiten Teil der Dissertation untersuchte Sonja Lüthi, welches aus Sicht von internationalen Solar­

Investoren die günstigsten politischen Rahmenbedin­ g ungen sind. Es zeigte sich, dass die Dauer des Bewilli­gungsverfahrens und die Höhe der Einspeisevergütung die beiden wichtigsten Entscheid­Faktoren sind. Inves­toren sind zwar durchaus auch gewillt, ein gewisses Mass an Risiko einzugehen. Dafür muss aber eine ent­sprechend höhere Rendite in Aussicht stehen. Ein weiteres klares Studien­Ergebnis von Sonja Lüthi: Das deutsche erneuerbare Energiegesetz (EEG) mit seiner Einspeisevergütung bleibt das beste Modell: Es ist einfach, für alle zugänglich und die Fördertarife können regelmässig gesenkt werden. Wichtig ist, dass die Anpassungen nie für die Vergangenheit gemacht wurden und somit eine grosse Investitionssicherheit herrscht. Sonja Lüthi fügt hinzu: «Deutschland hat den Solarstrom konkurrenzfähig gemacht. Leider wird die Wirtschaft heute zu stark entlastet und die Stromkon­sumentInnen zahlen einen hohen Zuschlag. Die deut­sche erneuerbare Förder politik ist und bleibt aber eine Erfolgsstory.»

Die internationale Energieagentur IEA wurde auf die Forschungsarbeiten von Sonja Lüthi aufmerksam und beauftragte sie mit einer Studie zu Förderprogrammen in Entwicklungs­ und Schwellenländern. Den Auftrag für die Länderanalyse nahm Sonja Lüthi gerne an, um ihr Fachwissen zu vertiefen. Das Fazit: «Die erneuerba­ren Energien müssen in den meisten Fällen noch finan­ziell gefördert werden. Viel wichtiger aber als ein hoher Förderbetrag sind möglichst tiefe Risiken. Je grösser die Risiken sind, je höher muss der Förderbetrag sein, damit es für Investoren interessant bleibt.»

Und wie steht es – verglichen mit den südeuropäischen – um das schweizerische Fördersystem? «Das ist eigent­lich ganz in Ordnung. Jedoch stehen insgesamt zu wenig Fördergelder zur Verfügung. Deshalb gibt es ja die lange KEV­Warteliste. Aber alles in allem lieber diese Version als die spanische oder die griechische.»

Veränderungen dank FukushimaSeit Januar 2011 ist die Energiefachstelle des Kantons St. Gallen ihr Arbeitgeber. Am Anfang musste Sonja Lühti die Stellungnahme der Regierung zu den Rah­menbewilligungsgesuchen für neue AKW vorbereiten. Mit dem 11. März 2011, der AKW­Katastrophe von Fuku­ shima, verschwanden die schon fertigen, aber noch nicht veröffentlichten Dokumente in der Schublade.

1  Effective Renewable Energy Policy – Empirical Insights from Choice Experiments with Project Developers, Bamberg 2011

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War das eine Erleichterung? Sie bleibt höflich, schmunzelt: «Tja, mit Atom­politik zu beginnen, das war für mich nicht ganz einfach. Mit Fuku shima und dem anschliessenden Entscheid des Bundesrates aber wurde schnell klar, dass die Diskussion vom Tisch ist.»

Im Auftrag des Kantonsrats musste sich die St. Galler Regierung nun Gedanken zur zukünftigen Strompolitik machen. Sonja Lüthis Aufgabe in den letzten Mo­naten war es, das kantonale Energiekon­zept um den Bereich Strom zu ergänzen. Im September 2013 hat der Kantonsrat den Vorschlag der Regierung gutgeheis­sen. Jetzt geht es an die Umsetzung.

Politik und ihre SolargenossenschaftVerschiedene Gründe haben Sonja Lüthi vor einigen Jahren dazu bewegt, sich aktiv in der Politik zu engagieren. Im November 2012 wurde die grünlibe­rale Politikerin (glp) ins St. Galler Stadt­parlament gewählt. Geht – angesichts von Klimaerwärmung und steigender

CO2­Emissionen – in der Politik nicht alles viel zu langsam? Werden nicht vor allem wenig wirksame Kompromisse ausgehandelt? Sonja Lüthi dazu: «Nach meiner Forschung und dem Beginn meiner Arbeit im Kanton fand ich schon, dass bestimmte Sachen nicht schnell genug gingen. Das empfinde ich immer noch ab und zu, aber den Wagen sollte man nie überladen, sonst bleibt er stehen. Lieber ein etwas langsamerer Wandel, dafür ein nachhaltiger.»

Sonja Lüthi ist eine umweltbewusste, viel beschäftigte und engagierte, trotz­dem sehr ruhige Person. Und da offen­bar sogar noch Zeit blieb, gründete sie eine Solargenossenschaft. Sie erklärt: «Ich wollte mein Geld nach dem deut­schen Solarfondsmodell nachhaltig anle­gen. Mit etwas Glück konnte ich einige Kollegen motivieren und wir gründeten die Genossenschaft Solar St. Gallen. Die Arbeit macht Spass, wir sind immer wieder auf der Suche nach grossen Dä­chern, die wir mit Solarstrommodulen belegen dürfen.» <

Risiko Altreaktoren: Schweizer AKW auf dem Prüfstand

«Wenn schon Atomkraftwerke betrieben wer-den, dann sollen diese bitte auf dem höchsten sicherheitstechnischen Stand sein.» Das sagt Dieter Majer, der bis vor drei Jahren Leiter der Abteilung  «Sicherheit  kerntechnischer  Ein-richtungen» des deutschen Bundesumwelt-ministeriums  gewesen  ist. Als  langjähriger Leiter  der  Deutsch-Schweizerischen  Kom-mission  für  die  Sicherheit  kerntechnischer Einrichtungen kennt er auch die Atomkraft-werke  in der Schweiz aus dem Effeff. Sein Credo ist klar: Beznau und Mühleberg müssen abgestellt  werden. Anlagen,  die  erhebliche Defizite im Bereich der Notkühlung und Kor-rosion haben, dürfen nicht weiter betrieben werden.  Diese  Defizite  weisen  Beznau  und Mühleberg – unter anderem – auf.

Dieter Majer hat im Auftrag der SES und von Greenpeace  eine  Studie  zur  Sicherheit  der Altreaktoren in der Schweiz verfasst. Diese ist Mitte Februar in Bern den Medien vorgestellt worden. Majer geht dabei mit den Betreibern der AKW hart ins Gericht. «Sie behaupten, die Anlagen seien so sicher wie neue – aber das ist  falsch.»  Die  Anzahl  Sicherheitssysteme entspreche nicht mehr den heutigen Anfor-derungen.

Bei den Uralt-Reaktoren Mühleberg und Bez-nau  seien  wichtige  Komponenten  über  die Jahrzehnte  hinweg  durch Versprödung  und Korrosion  in  Mitleidenschaft  gezogen  wor-den. Man könne nicht davon ausgehen, be-tont Majer, dass sie einen Störfall aushalten würden. Seiner Ansicht nach kenne das ENSI zwar dieses Problem, sei aber bereit, das Ri-siko einzugehen.

Die  SES  forderte  vor  den  Medien  eine  ver-schärfte  und  klar  definierte  Gesetzgebung: «Die  Risiken  alter  Atomkraftwerke  werden hierzulande  von  allen  Seiten  verharmlost.» Jetzt sei das Parlament gefordert.

www.energiestiftung.ch/studie

NEUE SES-STUDIE

Sonja Lüthi hilft beim Bau der von der Genossenschaft Solar St.Gallen finanzierten Solaranlage auf dem Dach der Zentrale der Kraftwerke Zervreila in Rothenbrunnen mit.

Foto

: zvg

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«Beznau und Mühleberg gehören zu den ältesten AKW weltweit.

Die Anzahl der Sicherheitssysteme entspricht nicht mehr den heutigen

Anforderungen. Wichtige Sicherheitskomponenten wie Containment,

wie Reaktordruckbehälter sind durch Alterungseffekte gekennzeichnet.

Mühleberg und Beznau sollten unverzüglich abgeschaltet werden.»

Dieter Majer, Atom-Sicherheitsexperte und ehemaliger Leiter der Abteilung«Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen» des deutschen Bundesumweltministeriums , in der Studie «Risiko Altreaktoren Schweiz» für die SES und Greenpeace.

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