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08 // Soziale Rehabilitation Engel gegen den Winterblues Die Engel sind aus hartem Holz geschnitten. Ihre Körper haben Risse und Blessuren. Sie strahlen Verletzlichkeit und Würde aus. „Die Engel stehen auch dafür, dass man aus Brüchen des Lebens etwas machen kann“, sagt Diakon Anselm Treu. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Garten des Marta-Mertz-Hauses, einer Hephata-Einrichtung für chronisch abhängigkeitskranke Menschen in Schwalmstadt-Treysa. Die Engel sind ein aktuelles Projekt der AG. Die Männer und eine Frau der AG Garten kümmern sich in der Regel um die Außen- anlagen des Marta-Mertz-Hauses, sie schneiden Hecken, mähen Rasen, bauen Gemüse an, ernten Obst, pflegen Blumen und machen Holz. Im Herbst und Winter, wenn es draußen nicht mehr so viel zu tun gibt, eröffnen sie ihre Winterwerkstatt. Hier entsteht Kunst aus natürlichen Materialien, oft in Kombination aus Holz und Stahl, Kunst aus recycelten und upcycelten Dingen. So auch die Engel aus Eichenholz. „Wir hatten 2010 nach einem Sturm viel Baumbruch auf dem Gelände. Wir haben das Holz erstmal geschnitten und gela- gert und überlegt, was wir damit machen könnten“, erinnert sich Treu. In einer Kir- chengemeinde sah er zufällig die hand- gemachten Engel, nahm die Idee mit in die Winterwerkstatt und entwickelte sie mit den Klienten weiter. Seit 2014 sind die Engel nun ein fester Teil der kreativen Arbeit. „Dabei entstehen wunderschöne Gedanken gegen den Winterblues.“ Die getrockneten Äste werden zunächst mit der Hand entrindet, dann geschliffen und mit der Kreissäge für die Flügel eingeschlitzt. Die Flügel selbst sind aus dünnem Holz. Das Holz für Körper und Flügel wird grundiert und mit Acrylfarbe bemalt. Der Kopf entsteht aus einer Styroporkugel, die beklebt und dann mit Goldfarbe besprüht wird. Insgesamt sind für einen Engel mehr als zehn Arbeits- schritte nötig. Zu Gute kommt dem Projekt dabei, dass alle Mitglieder der AG Garten zumindest handwerkliches Geschick haben, einige früher auch mit Holzbearbeitung Melanie Schmitt ist stellvertretende Leiterin der internen und externen Kommunikation Hephatas [email protected] 09 Hintergrund Das Marta Mertz-Haus (MMH) ist ein Wohn- haus für soziale und berufliche Rehabili- tation der Hephata Diakonie in Schwalm- stadt-Treysa. Hier leben und arbeiten 40 Frauen und Männer, die chronisch alko- hol- oder medikamentenabhängig sind. Sie arbeiten in mehreren Arbeitsgruppen. Die AG Garten zählt bis zu zwölf Beschäftigte, die sich vorrangig im Winter der Kunst widmen, dann unter dem Namen Winterwerkstatt. Die Winterwerkstatt ist sogar Mitglied der KunstGefährten, einem Zusammenschluss von 13 Projekten aus Einrichtungen der Diakonie Hessen. An den Kunstwerken der Winterwerkstatt sind alle Beschäftigten der AG Garten beteiligt: „Derjenige, der heute Winterdienst macht, hält den anderen den Rücken frei, Kunst zu schaffen, und kann morgen schon selbst der Künstler sein“, sagt Diakon Anselm Treu. Dabei steht die Natur im Fokus, die Kunstwerke sind einfach und schlicht. „Die Kunst entsteht bei uns mitten im Leben“, so Treu. zu tun hatten. „Ich habe als Bub viel in einer Holzwerkstatt mitgemacht“, sagt Jürgen Schmuttermaier. „Mir macht das einfach Spaß.“ Gleiches gilt für Renate Pregla, die als einzige Frau seit einem halben Jahr in der AG Garten dabei ist. „Ich male gerne, ich gipse aber auch, das ist mir eigentlich egal“, sagt sie – „sie hat ein Herz für die Natur“, ergänzt Anselm Treu. Jens Köster mag vor allem das gute Klima in der Gruppe. „Man braucht einen guten Blick und das Gefühl dafür“, fasst André Nolte zusammen. Er schätzt, dass er bislang rund 200 Engelkörper entrindet und geschliffen hat. Mittlerweile braucht er dafür pro Stück eine gute Stunde. „Wir haben uns entwickelt, am Anfang viel Lehrgeld bezahlt, bis wir unsere eige- nen Motive, Schablonen und Techniken gefunden hatten“, erinnert sich Treu. „Zum Beispiel haben wir gemerkt, dass es nicht so gut aussieht, die Köpfe mit Lack zu besprühen. Das Gold glänzt schö- ner ohne“, sagt Heiko Raasch. Auch das Auftragen der Farbe veränderte sich. „Wir haben dafür eine eigene Wischtechnik mit Wasser entwickelt“, so Treu. Und selbst die Präsentation der Engel auf kleineren Märkten und Ausstellungen in der Region ist mittlerweile professionell: André Nolte restaurierte und präparierte als Ausstellungsregal eine alte, weiße Klappleiter. Anselm Treu: „Ich nenne sie Himmelsleiter.“ Kontakt: Diakon Anselm Treu, Marta-Mertz-Haus, Marburger Straße 25, 34613 Schwalmstadt-Treysa, Tel.: 06691 96-100, E-Mail: anselm.treu@ hephata.de Ich habe als Bub viel in einer Holzwerkstatt mitgemacht. Mir macht das einfach Spaß. Die Engel sind für den Innenbereich gedacht. Sie kosten je nach Größe und Gestaltung ab 25 Euro. Die Kunst entsteht bei uns mitten im Leben.

Engel gegen - hephata.de · 08 // Soziale Rehabilitation Engel gegen den Winterblues Die Engel sind aus hartem Holz geschnitten. Ihre Körper haben Risse und Blessuren. Sie strahlen

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08 // Soziale Rehabilitation

Engel gegenden WinterbluesDie Engel sind aus hartem Holz geschnitten. Ihre Körper haben Risse und Blessuren. Sie strahlen Verletzlichkeit und Würde aus. „Die Engel stehen auch dafür, dass man aus Brüchen des Lebens etwas machen kann“, sagt Diakon Anselm Treu. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Garten des Marta-Mertz-Hauses, einer Hephata-Einrichtung für chronisch abhängigkeitskranke Menschen in Schwalmstadt-Treysa. Die Engel sind ein aktuelles Projekt der AG.

Die Männer und eine Frau der AG Garten kümmern sich in der Regel um die Außen-anlagen des Marta-Mertz-Hauses, sie schneiden Hecken, mähen Rasen, bauen Gemüse an, ernten Obst, pflegen Blumen und machen Holz. Im Herbst und Winter, wenn es draußen nicht mehr so viel zu tun gibt, eröffnen sie ihre Winterwerkstatt. Hier entsteht Kunst aus natürlichen Materialien, oft in Kombination aus Holz und Stahl, Kunst aus recycelten und upcycelten Dingen. So auch die Engel aus Eichenholz.

„Wir hatten 2010 nach einem Sturm viel Baumbruch auf dem Gelände. Wir haben das Holz erstmal geschnitten und gela-gert und überlegt, was wir damit machen könnten“, erinnert sich Treu. In einer Kir-chengemeinde sah er zufällig die hand-gemachten Engel, nahm die Idee mit in die Winterwerkstatt und entwickelte sie mit den Klienten weiter. Seit 2014 sind die Engel nun ein fester Teil der kreativen Arbeit. „Dabei entstehen wunderschöne Gedanken gegen den Winterblues.“

Die getrockneten Äste werden zunächst mit der Hand entrindet, dann geschliffen und mit der Kreissäge für die Flügel eingeschlitzt. Die Flügel selbst sind aus dünnem Holz. Das Holz für Körper und Flügel wird grundiert und mit Acrylfarbe bemalt. Der Kopf entsteht aus einer Styroporkugel, die beklebt und dann mit Goldfarbe besprüht wird. Insgesamt sind für einen Engel mehr als zehn Arbeits-schritte nötig. Zu Gute kommt dem Projekt dabei, dass alle Mitglieder der AG Garten zumindest handwerkliches Geschick haben, einige früher auch mit Holzbearbeitung

Melanie Schmitt ist stellvertretende Leiterin der internen und externen Kommunikation Hephatas [email protected]

09

Hintergrund

Das Marta Mertz-Haus (MMH) ist ein Wohn-haus für soziale und berufliche Rehabili-tation der Hephata Diakonie in Schwalm-stadt-Treysa. Hier leben und arbeiten 40 Frauen und Männer, die chronisch alko-hol- oder medikamentenabhängig sind. Sie arbeiten in mehreren Arbeitsgruppen. Die AG Garten zählt bis zu zwölf Beschäftigte, die sich vorrangig im Winter der Kunst widmen, dann unter dem Namen Winterwerkstatt. Die Winterwerkstatt ist sogar Mitglied der KunstGefährten, einem Zusammenschluss von 13 Projekten aus Einrichtungen der Diakonie Hessen. An den Kunstwerken der Winterwerkstatt sind alle Beschäftigten der AG Garten beteiligt: „Derjenige, der heute Winterdienst macht, hält den anderen den Rücken frei, Kunst zu schaffen, und kann morgen schon selbst der Künstler sein“, sagt Diakon Anselm Treu. Dabei steht die Natur im Fokus, die Kunstwerke sind einfach und schlicht. „Die Kunst entsteht bei uns mitten im Leben“, so Treu.

zu tun hatten. „Ich habe als Bub viel in einer Holzwerkstatt mitgemacht“, sagt Jürgen Schmuttermaier. „Mir macht das einfach Spaß.“ Gleiches gilt für Renate Pregla, die als einzige Frau seit einem halben Jahr in der AG Garten dabei ist. „Ich male gerne, ich gipse aber auch, das ist mir eigentlich egal“, sagt sie – „sie hat ein Herz für die Natur“, ergänzt Anselm Treu. Jens Köster mag vor allem das gute Klima in der Gruppe.

„Man braucht einen guten Blick und das Gefühl dafür“, fasst André Nolte zusammen. Er schätzt, dass er bislang rund 200 Engelkörper entrindet und geschliffen hat. Mittlerweile braucht er dafür pro Stück eine gute Stunde. „Wir haben uns entwickelt, am Anfang viel Lehrgeld bezahlt, bis wir unsere eige-nen Motive, Schablonen und Techniken gefunden hatten“, erinnert sich Treu. „Zum Beispiel haben wir gemerkt, dass es nicht so gut aussieht, die Köpfe mit Lack zu besprühen. Das Gold glänzt schö-ner ohne“, sagt Heiko Raasch. Auch das Auftragen der Farbe veränderte sich. „Wir haben dafür eine eigene Wischtechnik mit Wasser entwickelt“, so Treu. Und selbst die Präsentation der Engel auf kleineren Märkten und Ausstellungen in der Region ist mittlerweile professionell: André Nolte restaurierte und präparierte als Ausstellungsregal eine alte, weiße Klappleiter. Anselm Treu: „Ich nenne sie Himmelsleiter.“ Kontakt: Diakon Anselm Treu, Marta-Mertz-Haus, Marburger Straße 25, 34613 Schwalmstadt-Treysa, Tel.: 06691 96-100, E-Mail: [email protected]

Ich habe als Bub viel in einer Holzwerkstatt mitgemacht. Mir macht das einfach Spaß.

Die Engel sind für den Innenbereich gedacht. Sie kosten je nach Größe und Gestaltung ab 25 Euro.

Die Kunstentsteht bei uns

mitten im Leben.