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Entlebucher Anzeiger Mittwoch, 23. Dezember 2015 – Nr. 101 3 weihnachtsartikel Sandras Vorschlag kommt plötzlich: «Ich finde, dass wir ganz gut für zwei, drei Flüchtlinge Platz hätten.» Dann ist es ruhig, ziemlich lange ruhig. Mutter steht auf, geht zum Herd, stellt nochmals den Wasserkocher an. Vater kaut die Salami- tranche etwas länger als nötig. «Wie meinst du das?» Sandra: «Wie ich es gesagt habe. Wir haben doch Platz. Fabio zieht Mitte Januar aus. Dann sind oben insgesamt zwei Zimmer leer.» Vater: «Das heisst ja noch nicht, dass wir hier Tür und Tor öffnen müssen…» Sandra: «Dabei hast gerade du an deinem Geburtstag zu deiner Schwester Olga gesagt: ‹Ich frage mich immer mehr, was wir mit unserem grossen Haus mal machen sollen. Bald wohnt nur noch eines der drei Kinder bei uns. Die Zimmer leeren sich. Und seit ich keine Gutenachtgeschichten mehr erzählen muss, steige ich schon gar nicht mehr in den ersten Stock hinauf…›» Vater: «Ja, kann gut sein, dass ich das gesagt habe…» Sandra: «Siehst du. Also, für mich wäre es jedenfalls kein Problem; das Badezimmer würde ich schon mit ihnen teilen. » «Mit ihnen – wer ist das?», hakt Vater nach. Sandra: «Flüchtlinge halt. Menschen aus Syrien oder Eritrea zum Beispiel. Solche gibt es ja viele.» Mutter steht noch immer mit dem Rücken zum Tisch, hantiert mit der Teekanne. «Ist ja toll», sagt Vater. «Und wieso sollen ausgerechnet wir zwei, drei Flüchtlinge aufnehmen?» «Ich antworte mit einer Gegenfrage», sagt Sandra. «Wieso sollten wir nicht?» «Ha», sagt Vater. «Tönt ja furchtbar gescheit. ‹Ich antworte mit ei- ner Gegenfrage…› Nur schon diese Formulierung… Sind wir hier in einer Politsendung oder wo?» Mutter kehrt an den Tisch zurück und sagt: «Hans, reg dich doch nicht auf.» «Ich rege mich gar nicht auf», sagt Vater. «Aber Herrgott nochmal, wir können doch nicht alle aufnehmen. Die internationale Politik muss dafür sorgen, dass diese Leute dort bleiben, wo sie sind. Hilfe vor Ort. Abgesehen davon: Wer garantiert, dass unter den Flücht- lingen nicht Terroristen sind? Und wer unterscheidet zwischen ech- ten und Wirtschaftsflüchtlingen?» «Paps, eine Frage: Was würden wir tun, wenn man unser Haus zer- bombte, uns alles wegnähme, wir keinem hier mehr trauen könn- ten, jedenTag um unser Leben bangen müssten, von einer Aussicht auf Arbeit schon gar nicht zu reden…» «Sandra, ich bin ja dafür, dass auch unser Land Flüchtlinge auf- nimmt – aber deswegen müssen die noch nicht gleich in unsere vier Wände kommen. Unser Staat regelt das gut. Wir sind ein Land mit grosser humanitärer Tradition und lassen uns das etwas kosten.» Mutter: «Aber ob das etwas nützt? Die fahren mit den Schiffen ein- fach aufs Meer hinaus und… Jedenfalls: Im Vorstand des Frauenver- eins haben wir auch diskutiert, ob man nicht etwas machen sollte. Vielleicht eine Geldsammlung. Oder dem Bischof schreiben. Oder etwas zusammen mit der Caritas. Vater: «Ja – willst du jetzt deiner Tochter noch helfen?» Mutter: «Es geht gar nicht darum, wer hier wem hilft.» Sandra: «Doch, genau darum geht es.» Sandra streicht Nutella aufs Brot, üppig und mit Hingabe. «Ich will euch überhaupt nicht provozieren. Aber ich finde, dass auch wir jetzt etwas tun müssen», und dabei betont sie die Worte «wir» und «müssen». «Was heisst müssen?», sagt Vater. «Wir müssen gar nichts.» «Ja, rechtlich gesehen müssen wir nicht. Aber moralisch fühle ich mich verpflichtet.» «Aha, ausgerechnet unsere 18-Jährige kommt mit Moral daher …» «Hans…», sagt Mutter, und legt ihrem Mann die Hand auf den Arm. Sandra: «Ihr wollt mir ja nicht sagen, dass all diese Bilder spurlos an euch vorbeigehen. Zerbombte Städte, kenternde Schiffe, Zeltlager, Drahtzäune, weinende Kinder, hoffnungslose Mütter…» «Ja, das ist wirklich furchtbar», sagt Mutter. – «Wer will noch Tee?» «Ich brauche jetzt einen Kaffee», sagt Vater, geht zur Maschine und setzt eine Kapsel ein. «Okay, ‹moralisch› war vielleicht das falsche Wort», lenkt Sandra ein. «Ich meine eher wegen Weihnachten und so.» «Was hat das mit Weihnachten zu tun?», fragt Vater. In der Küche ist es still, man hört nur, wie der Kaffee von der Maschine in die Tasse rinnt. « Ich finde: sehr viel », sagt Sandra. «Dann würdest du den Vorschlag also nicht machen, wenn jetzt zu- fälligerweise nicht gerade Weihnachten wäre, sondern Mai oder September?», fragt Vater und setzt sich nach kurzem Zögern wieder an den Tisch. Sandra blickt über die Nutella-Schnitte hinweg ins Leere und legt los: «Wisst ihr was? Das ganze weihnächtliche Getue geht mir total auf den Wecker, denn es ist pure Heuchelei. Morgen Abend geht ihr beide wie jedes Jahr schön brav in die Mitternachtsmesse. Hört die Ge- schichte von Maria und Josef, immer wieder ergreifend, nicht wahr? Die zwei landen bekanntlich irgendwo im Stall, weil in der Herberge kein Platz für sie war, Lukas-Evangelium, glaub ich. Danach eine sal- bungsvolle Predigt im Stil von ‹wir alle sind aufgefordert›, aber bitte ja nichts Konkretes, das die Leute womöglich erschrecken könnte, und obendrauf kommt der Kirchenchorschmelz, fröhliche, selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Es ist zum Kotzen.» «Das finde ich jetzt nicht fair, das mit dem Kirchenchor», sagt Mutter. «Reg dich nicht auf, Schatz», sagt Vater. (Es kommt sehr selten vor, dass er seiner Frau Schatz sagt, jedenfalls in Gegenwart der Kinder.) «Wieso soll sich Schatzilein nicht aufregen?», fragt Fabio in der Kü- chentür. Vater: «Wo kommst du denn her?» Fabio: «Bin eine Stunde früher dran als geplant, sorry. Rausche aber in zehn Minuten wieder ab, bin mit Mario bis am 2. Januar in Söl- den beim Skifahren. Jetzt schnell noch was futtern… – Was guckt ihr alle so belämmert?» Vater: «Deine Schwester hat uns soeben eine moralische Unterwei- sung in Sachen Flüchtlingspolitik gegeben. Sobald du ausgezogen bist, ziehen hier Syrer oder Eritreer ein. Wird aber alles kein Prob- lem sein: Sandra teilt mit ihnen das Bad, gibt ihnen Deutschunter- richt, Mutter macht die zusätzliche Wäsche, nimmt die Flüchtlinge zwecks Integration mit in den Kirchenchor, kocht jeden Tag pü- rierte Kichererbsen, bäckt Fladenbrot und ich – ich bezahle alles, weil ich als Sachbearbeiter so super verdiene.» Fabio nimmt eine Mayonnaise-Tube aus dem Kühlschrank und schaut in die Runde. «Oh je, oh je… – da hat sich ja was zusammen- gebraut. Soll ich als Vermittler amten und den Familienkrach schlichten? Mein Juristen-Stundenansatz beträgt unter Freunden bloss zweihundert Franken… Apropos Fladenbrot: Was kommt an Weihnachten bei euch auf den Tisch? Fondue Chinoise oder Filet Wellington, Bordeaux oder Amarone? Das ist ja in unserer Familie seit eh und je DIE grosse Weihnachtsfrage.» Mutter: «Fabio, das ist jetzt nicht fair. Ich rackere mich ab, gebe mir eine Heidenmühe, dass etwas weihnächtliche Stimmung im Haus ist; du aber bist kaum je hier und wenn, dann ziehst du alles durch den Kakao.» Fabio: «Ich bin zwar erst fünf Minuten hier, habe aber das Gefühl, dass ihr euch auch ganz gut ohne mich gegenseitig durch den Ka- kao ziehen könnt …» (Nach kurzer Pause) Mutter nimmt einen Schluck Minzentee, Hand und Stimme zittern. Dann schluchzt sie: «Und das einen Tag vor Weihnachten. Ich finde es so schade. Wir wünschen uns doch alle nur den Frieden.» «Klar, den Frieden wollen alle. Auch Obama, Hollande, Merkel, Pu- tin, der Papst… Pax vobiscum!», ruft Fabio und verschwindet. Die Haustür fällt ins Schloss. (Nach längerer Pause) Vater steht auf, legt seiner Frau die Hände auf die Schultern. «Musst nicht weinen», sagt er. Dann geht er wortlos hinaus und steigt in den ersten Stock. Josef Küng Im ersten Stock Das Bild oben stammt vom August dieses Jahres und zeigt Flüchtlinge an der serbisch-ungarischen Grenze. Das Bild auf der Frontseite dieser Ausgabe wurde in einem Slum im pakista- nischen Islamabad aufgenommen; es zeigt das vierjährige afgha- nische Flüchtlingsmädchen Safia Mourad. [Bilder Keystone]

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Entlebucher Anzeiger Mittwoch, 23. Dezember 2015 – Nr. 101 3weihnachtsartikel

Sandras Vorschlag kommt plötzlich: «Ich finde, dass wir ganz gutfür zwei, drei Flüchtlinge Platz hätten.»Dann ist es ruhig, ziemlich lange ruhig. Mutter steht auf, geht zumHerd, stellt nochmals den Wasserkocher an. Vater kaut die Salami-tranche etwas länger als nötig. «Wie meinst du das?»Sandra: «Wie ich es gesagt habe. Wir haben doch Platz. Fabio ziehtMitte Januar aus. Dann sind oben insgesamt zwei Zimmer leer.»Vater: « Das heisst ja noch nicht, dass wir hier Tür und Tor öffnenmüssen…»Sandra: «Dabei hast gerade du an deinem Geburtstag zu deinerSchwester Olga gesagt: ‹Ich frage mich immer mehr, was wir mitunserem grossen Haus mal machen sollen. Bald wohnt nur nocheines der drei Kinder bei uns. Die Zimmer leeren sich. Und seit ichkeine Gutenachtgeschichten mehr erzählen muss, steige ich schongar nicht mehr in den ersten Stock hinauf…›»Vater: «Ja, kann gut sein, dass ich das gesagt habe…»Sandra: «Siehst du. Also, für mich wäre es jedenfalls kein Problem;das Badezimmer würde ich schon mit ihnen teilen.»«Mit ihnen – wer ist das?», hakt Vater nach.Sandra: «Flüchtlinge halt. Menschen aus Syrien oder Eritrea zumBeispiel. Solche gibt es ja viele.»

Mutter steht noch immer mit dem Rücken zum Tisch, hantiert mitder Teekanne.«Ist ja toll», sagt Vater. «Und wieso sollen ausgerechnet wir zwei,drei Flüchtlinge aufnehmen?»«Ich antworte mit einer Gegenfrage», sagt Sandra. «Wieso solltenwir nicht?»«Ha», sagt Vater. «Tönt ja furchtbar gescheit. ‹Ich antworte mit ei-ner Gegenfrage…› Nur schon diese Formulierung… Sind wir hier ineiner Politsendung oder wo?»

Mutter kehrt an den Tisch zurück und sagt: «Hans, reg dich dochnicht auf.»«Ich rege mich gar nicht auf», sagt Vater. «Aber Herrgott nochmal,wir können doch nicht alle aufnehmen. Die internationale Politikmuss dafür sorgen, dass diese Leute dort bleiben, wo sie sind. Hilfevor Ort. Abgesehen davon: Wer garantiert, dass unter den Flücht-lingen nicht Terroristen sind? Und wer unterscheidet zwischen ech-ten und Wirtschaftsflüchtlingen?»

«Paps, eine Frage: Was würden wir tun, wenn man unser Haus zer-bombte, uns alles wegnähme, wir keinem hier mehr trauen könn-ten, jeden Tag um unser Leben bangen müssten, von einer Aussichtauf Arbeit schon gar nicht zu reden…»«Sandra, ich bin ja dafür, dass auch unser Land Flüchtlinge auf-nimmt – aber deswegen müssen die noch nicht gleich in unserevier Wände kommen. Unser Staat regelt das gut. Wir sind einLand mit grosser humanitärer Tradition und lassen uns das etwaskosten.»

Mutter: «Aber ob das etwas nützt? Die fahren mit den Schiffen ein-fach aufs Meer hinaus und… Jedenfalls: Im Vorstand des Frauenver-eins haben wir auch diskutiert, ob man nicht etwas machen sollte.Vielleicht eine Geldsammlung. Oder dem Bischof schreiben. Oderetwas zusammen mit der Caritas.Vater: «Ja – willst du jetzt deiner Tochter noch helfen?»Mutter: «Es geht gar nicht darum, wer hier wem hilft.»Sandra: «Doch, genau darum geht es.»

Sandra streicht Nutella aufs Brot, üppig und mit Hingabe. «Ich will euchüberhaupt nicht provozieren. Aber ich finde, dass auch wir jetzt etwastun müssen», und dabei betont sie die Worte «wir» und «müssen».«Was heisst müssen?», sagt Vater. «Wir müssen gar nichts.»«Ja, rechtlich gesehen müssen wir nicht. Aber moralisch fühle ichmich verpflichtet.»«Aha, ausgerechnet unsere 18-Jährige kommt mit Moral daher…»«Hans…», sagt Mutter, und legt ihrem Mann die Hand auf den Arm.Sandra: «Ihr wollt mir ja nicht sagen, dass all diese Bilder spurlos aneuch vorbeigehen. Zerbombte Städte, kenternde Schiffe, Zeltlager,Drahtzäune, weinende Kinder, hoffnungslose Mütter…»«Ja, das ist wirklich furchtbar», sagt Mutter. – «Wer will noch Tee?»

«Ich brauche jetzt einen Kaffee», sagt Vater, geht zur Maschine undsetzt eine Kapsel ein.«Okay, ‹moralisch› war vielleicht das falsche Wort», lenkt Sandra ein.«Ich meine eher wegen Weihnachten und so.»«Was hat das mit Weihnachten zu tun?», fragt Vater. In der Küche ist esstill, man hört nur, wie der Kaffee von der Maschine in die Tasse rinnt.«Ich finde: sehr viel», sagt Sandra.«Dann würdest du den Vorschlag also nicht machen, wenn jetzt zu-fälligerweise nicht gerade Weihnachten wäre, sondern Mai oderSeptember?», fragt Vater und setzt sich nach kurzem Zögern wiederan den Tisch.

Sandra blickt über die Nutella-Schnitte hinweg ins Leere und legt los:«Wisst ihr was? Das ganze weihnächtliche Getue geht mir total aufden Wecker, denn es ist pure Heuchelei. Morgen Abend geht ihr beidewie jedes Jahr schön brav in die Mitternachtsmesse. Hört die Ge-schichte von Maria und Josef, immer wieder ergreifend, nicht wahr?Die zwei landen bekanntlich irgendwo im Stall, weil in der Herbergekein Platz für sie war, Lukas-Evangelium, glaub ich. Danach eine sal-bungsvolle Predigt im Stil von ‹wir alle sind aufgefordert›, aber bitteja nichts Konkretes, das die Leute womöglich erschrecken könnte,und obendrauf kommt der Kirchenchorschmelz, fröhliche, selige,gnadenbringende Weihnachtszeit. Es ist zum Kotzen.»«Das finde ich jetzt nicht fair, das mit dem Kirchenchor», sagt Mutter.«Reg dich nicht auf, Schatz», sagt Vater. (Es kommt sehr selten vor,dass er seiner Frau Schatz sagt, jedenfalls in Gegenwart der Kinder.)

«Wieso soll sich Schatzilein nicht aufregen?», fragt Fabio in der Kü-chentür.

Vater: «Wo kommst du denn her?»Fabio: «Bin eine Stunde früher dran als geplant, sorry. Rausche aberin zehn Minuten wieder ab, bin mit Mario bis am 2. Januar in Söl-den beim Skifahren. Jetzt schnell noch was futtern… – Was gucktihr alle so belämmert?»

Vater: «Deine Schwester hat uns soeben eine moralische Unterwei-sung in Sachen Flüchtlingspolitik gegeben. Sobald du ausgezogenbist, ziehen hier Syrer oder Eritreer ein. Wird aber alles kein Prob-lem sein: Sandra teilt mit ihnen das Bad, gibt ihnen Deutschunter-richt, Mutter macht die zusätzliche Wäsche, nimmt die Flüchtlingezwecks Integration mit in den Kirchenchor, kocht jeden Tag pü-rierte Kichererbsen, bäckt Fladenbrot und ich – ich bezahle alles,weil ich als Sachbearbeiter so super verdiene.»

Fabio nimmt eine Mayonnaise-Tube aus dem Kühlschrank undschaut in die Runde. «Oh je, oh je… – da hat sich ja was zusammen-gebraut. Soll ich als Vermittler amten und den Familienkrachschlichten? Mein Juristen-Stundenansatz beträgt unter Freundenbloss zweihundert Franken… Apropos Fladenbrot: Was kommt anWeihnachten bei euch auf den Tisch? Fondue Chinoise oder FiletWellington, Bordeaux oder Amarone? Das ist ja in unserer Familieseit eh und je DIE grosse Weihnachtsfrage.»Mutter: «Fabio, das ist jetzt nicht fair. Ich rackere mich ab, gebe mireine Heidenmühe, dass etwas weihnächtliche Stimmung im Hausist; du aber bist kaum je hier und wenn, dann ziehst du alles durchden Kakao.»

Fabio: «Ich bin zwar erst fünf Minuten hier, habe aber das Gefühl,dass ihr euch auch ganz gut ohne mich gegenseitig durch den Ka-kao ziehen könnt…»

(Nach kurzer Pause) Mutter nimmt einen Schluck Minzentee,Hand und Stimme zittern. Dann schluchzt sie: «Und das einen Tagvor Weihnachten. Ich finde es so schade. Wir wünschen uns dochalle nur den Frieden.»

«Klar, den Frieden wollen alle. Auch Obama, Hollande, Merkel, Pu-tin, der Papst… Pax vobiscum!», ruft Fabio und verschwindet. DieHaustür fällt ins Schloss.

(Nach längerer Pause) Vater steht auf, legt seiner Frau die Händeauf die Schultern. «Musst nicht weinen», sagt er.

Dann geht er wortlos hinaus und steigt in den ersten Stock.

Josef Küng

Im ersten Stock

Das Bild oben stammt vom August dieses Jahres und zeigtFlüchtlinge an der serbisch-ungarischen Grenze. Das Bild aufder Frontseite dieser Ausgabe wurde in einem Slum im pakista-nischen Islamabad aufgenommen; es zeigt das vierjährige afgha-nische Flüchtlingsmädchen Safia Mourad. [Bilder Keystone]