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F- 551.31 Die Entstehung der Lubecker Bucht und des Brodtener Ufers Von Karl Gripp Die. Ostsee-Kiiste ist Kampfgebiet. Ziel des Kampfes ist es, dem stKndig in Bewegung befindlichen Meere eine mi glichst ausgeglichene Grenzflielle gegen das Land zu verschaffen, eine Fliche, an der Bewegung und Widerstand sich im Gleichgewicht befinden. Man sollte annehmen, das Gleichgewicht wire bei den lockeren AbsRIzen, die das norddeutsche Flach- land aufbauen, schon 1Kngst erreicht. Schon vor 130000 Jahren gab es eine Ostsee, die der letzten Zwischeneiszeit, auch Eem- Zeit genannt. Deren Drift-Str6me und Wellen suchten schon ebenso eine Ausgleichskuste zu crreichen, wie sie die gleidlen Kriifte in der heutigen Ostsee erstreben. Aber der heutige Kampf um jene Gleidlgewichtsfl che ist nicht die Fortsetzung desjenigen vor 130000 Jahren. Zwischen beiden liegen zwei wichtige Ereignisse: 1. die letzte Vereisung Nord-Europas und damit des Ostsee-Gebietes, 2. das Absinken des Meeresspiegels tiefer als der Boden von Ostsee und Nordsee. Beide Ereignisse stehen im Zusammenliang. Je graBer die Eiskappen an den Polen w h- rend der Eiszeit anwuchsen, um so mehr Wasser wurde dem Kreislauf des Wassers entzogen, um so weniger Wasser war im Weitmeer. Nach heutigem Wissen lag der Meeresspiegel wih- rend der Vereisung um 70 bis 80 m tiefer als heute. Das Becken der eemzeitlichen Ostsee lag also trocken, als das Inlandeis darin und dariiber vordrang. Das Inlandeis drang weit uber den Ostsee-Trog hinaus bis Ahrensburg unweit von Hamburg. Es zerst8rte die atte Kiiste und hinterlieE neuen Schutt. Hier interessieren jedoch nur die Ereignisse aus der Zeit des Abschmelzens des Eises. Mellrere Vorst6Be des Eises wahrend dieser Zeit des allm hlichen Ruckzugs lielien um das Lubecker Bedcen an drei Seiten ansehnliche Endmorinenzilge, kurz als M-Morinen be- zeichnet, entstehen. Von den H6hen zwischen Lubeck und Segeberg (Reinsbek und Niendorf) oder Lubeck und Sandesneben (Christiansh8he) blickt man in das 40 bis 60 m tiefer gelegene Zungenbecken hinein. Das Eis zog sich anschliefiend nach Nordosten zuruck, unbekannt, wie weit. Dann stieB es abermals vor, bis zur Linie Lensahn-Neustadt-Pansdorf; es drang an- scheinend zun chst in das liltere Lubecker Zungenbecken vor, endete aber spitel: an der Linie Pansdorf-Ruppersdorf-Holie Lieth-Kreuzkamp-Ovendorf-Warmsdorf-Gneversdorf- Eversdorf-Seetempel. Der Trog des Hemmelsdorfer Sees durfte das Teilzungenbecken far dieses Stadium sein. Vermutlich ist auch das Gebiet der Travemiindung mit Pi tenitzer Wiek und Dassower See zur gleichen Zeit von einer randlichen Sonder-Eiszunge eingenommen wor- den. Diese scheint bis zur Linie P6ppendorf-Stulper Huk-n6rdlich Teschow und weiter bis Wieschendorf gereicht zu haben. Lcider ist ein wichtiger Teil dieses Gebietes n herer Unter- suchung zur Zeit nicht zuganglich. Diese beiden Eiszungen, die Hemmelsdorfer und die P8tenitzer, waren Teile jener groBen Eiszunge, die den Trog der Liibecker Bucht in gleicher Weise formte, wie es etwas friiher durch eine ltere Eiszunge mit dem Liibecker Becken geschehen war. Die Tarsache, daB das letzte .Inlandeis des Gebietes zunichst weiter nach Westen bis in das Liibecker Becken reichte, dann aber nur kleinere Eiszungen beiderseits von Brodten Sonderbeden erfullten, erklart maglicherweise die Einlagerung von Schluff und Mehlsand (Bedkenabst:tze) inmitten der Schichtenfolge im Brodtener Kliff. Denn in verlassenen Zungen bedren sammelten sich die Schmelzwlisser zu Seen. In ihnen setzte sidi die Gletschertriibe als Scbluff und Feinsand ab. Daher ist der Boden sowohl des Alten-Kremper wie des Lubecker Beckens von solchen Bed(enabsitzen bedeckt. SchlieBlich schwand auch die letzte Eiszunge aus unserem Gebiet. Von den H8hen von Scharbeutz oder der damaligen Hilhe uber dem Steinriff von Brodten bot sich ein ihnlicher Blidi wie heute von Reinsbek oder Christianshahe in das nicht ertrunkene altere Lubedcer 6- Die Küste, 1 Heft 1 (1952), 12-14

Entstehung der Lubecker Bucht und des Brodtener Ufers · 2016. 9. 16. · F-551.31 Die Entstehung der Lubecker Bucht und des Brodtener Ufers Von Karl Gripp Die. Ostsee-Kiiste ist

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    551.31

    Die Entstehung der Lubecker Buchtund des Brodtener Ufers

    Von Karl Gripp

    Die. Ostsee-Kiiste ist Kampfgebiet. Ziel des Kampfes ist es, dem stKndig in Bewegungbefindlichen Meere eine mi glichst ausgeglichene Grenzflielle gegen das Land zu verschaffen,eine Fliche, an der Bewegung und Widerstand sich im Gleichgewicht befinden. Man sollteannehmen, das Gleichgewicht wire bei den lockeren AbsRIzen, die das norddeutsche Flach-land aufbauen, schon 1Kngst erreicht.

    Schon vor 130000 Jahren gab es eine Ostsee, die der letzten Zwischeneiszeit, auch Eem-Zeit genannt. Deren Drift-Str6me und Wellen suchten schon ebenso eine Ausgleichskuste zucrreichen, wie sie die gleidlen Kriifte in der heutigen Ostsee erstreben. Aber der heutigeKampf um jene Gleidlgewichtsfl che ist nicht die Fortsetzung desjenigen vor 130000 Jahren.

    Zwischen beiden liegen zwei wichtige Ereignisse:1. die letzte Vereisung Nord-Europas und damit des Ostsee-Gebietes,2. das Absinken des Meeresspiegels tiefer als der Boden von Ostsee und Nordsee.

    Beide Ereignisse stehen im Zusammenliang. Je graBer die Eiskappen an den Polen w h-rend der Eiszeit anwuchsen, um so mehr Wasser wurde dem Kreislauf des Wassers entzogen,um so weniger Wasser war im Weitmeer. Nach heutigem Wissen lag der Meeresspiegel wih-rend der Vereisung um 70 bis 80 m tiefer als heute. Das Becken der eemzeitlichen Ostsee lagalso trocken, als das Inlandeis darin und dariiber vordrang.

    Das Inlandeis drang weit uber den Ostsee-Trog hinaus bis Ahrensburg unweit vonHamburg. Es zerst8rte die atte Kiiste und hinterlieE neuen Schutt. Hier interessieren jedochnur die Ereignisse aus der Zeit des Abschmelzens des Eises.

    Mellrere Vorst6Be des Eises wahrend dieser Zeit des allm hlichen Ruckzugs lielien umdas Lubecker Bedcen an drei Seiten ansehnliche Endmorinenzilge, kurz als M-Morinen be-zeichnet, entstehen. Von den H6hen zwischen Lubeck und Segeberg (Reinsbek und Niendorf)oder Lubeck und Sandesneben (Christiansh8he) blickt man in das 40 bis 60 m tiefer gelegeneZungenbecken hinein. Das Eis zog sich anschliefiend nach Nordosten zuruck, unbekannt, wieweit. Dann stieB es abermals vor, bis zur Linie Lensahn-Neustadt-Pansdorf; es drang an-scheinend zun chst in das liltere Lubecker Zungenbecken vor, endete aber spitel: an der LiniePansdorf-Ruppersdorf-Holie Lieth-Kreuzkamp-Ovendorf-Warmsdorf-Gneversdorf-Eversdorf-Seetempel. Der Trog des Hemmelsdorfer Sees durfte das Teilzungenbecken fardieses Stadium sein. Vermutlich ist auch das Gebiet der Travemiindung mit Pi tenitzer Wiekund Dassower See zur gleichen Zeit von einer randlichen Sonder-Eiszunge eingenommen wor-den. Diese scheint bis zur Linie P6ppendorf-Stulper Huk-n6rdlich Teschow und weiter bisWieschendorf gereicht zu haben. Lcider ist ein wichtiger Teil dieses Gebietes n herer Unter-suchung zur Zeit nicht zuganglich.

    Diese beiden Eiszungen, die Hemmelsdorfer und die P8tenitzer, waren Teile jener groBenEiszunge, die den Trog der Liibecker Bucht in gleicher Weise formte, wie es etwas friiherdurch eine ltere Eiszunge mit dem Liibecker Becken geschehen war.

    Die Tarsache, daB das letzte .Inlandeis des Gebietes zunichst weiter nach Westen bis indas Liibecker Becken reichte, dann aber nur kleinere Eiszungen beiderseits von BrodtenSonderbeden erfullten, erklart maglicherweise die Einlagerung von Schluff und Mehlsand(Bedkenabst:tze) inmitten der Schichtenfolge im Brodtener Kliff. Denn in verlassenen Zungenbedren sammelten sich die Schmelzwlisser zu Seen. In ihnen setzte sidi die Gletschertriibe alsScbluff und Feinsand ab. Daher ist der Boden sowohl des Alten-Kremper wie des LubeckerBeckens von solchen Bed(enabsitzen bedeckt.

    SchlieBlich schwand auch die letzte Eiszunge aus unserem Gebiet. Von den H8hen vonScharbeutz oder der damaligen Hilhe uber dem Steinriff von Brodten bot sich ein ihnlicherBlidi wie heute von Reinsbek oder Christianshahe in das nicht ertrunkene altere Lubedcer

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    Die Küste, 1 Heft 1 (1952), 12-14

  • Becken. Das heiBt, die Liibedcer Bucht, Hemmelsdorfer See und das P6tenitzer-Dassower'

    Bedken, ja die ganze westliche Ostsee lagen trocken. Zwischen der Senke von Hemmelsdorfund der von P8tenitz lag ein Riicken, der 6 km weiter nach Norden vorsprang als heute.

    Anfangs lagen die vom Eise frisch hinterlassenen Schuttmassen nackt da. Zunehmendkehrte Pflanzenwuchs wieder· Um 7500 bis 6500 v. Chr., als Kiefernw lder unser Gebiet

    bedeckten, war der Meeresspiegel inzwischen allmihlich bis auf - 25 in NN angestiegen.Damit begann die erste schmale Oberflutung der tiefsten Teile der westlichen Ostsce.

    Als der Wasserspiegel um weitere 7 m angestiegen war, drang Seewasser iiber die DarsserSchwelle in den astlich davon gelegenen groilen baltischen SuBwasser-See (Ancylus-See) ein.Dadurch wurde die gesamte heutige Ostsee wieder Meer, das sogenannre Litorina-Meer.

    Ein Meer im Flachland ist als Folge seines Grundwasserstaues von Mooren umgeben. Inihnen bleiben die Pollenk6rner gut erhalten, sie dienen daher zur Rekonstruktion der je-weiligen Pflanzenwelt, und aus dieser kann man relatives und teilweise absolutes Alter be-stimmen.

    Die Altersbestimmung iiber die versdiedenen Ereignisse bei der Wiederkehr der Ostseesind fiir unser Gebiet nur einmal durch TA,FER untersucht worden. Dinische Forscher

    wiesen auf gewisse Unsicherheiten einiger Datierungen dieser Arbeit hin*).

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  • Um die Geschwindigkeit des Wasseranstiegs, vor allem aber den· Zeitpunkt des Er-reichens des heutigen Meeresspiegels und damit die Dauer der Zerstarung des BrodienerUfers in heutiger H6henlage und die der Aufhdufung des Priwalls kennenzulernen, war eineerneute sorgfiltige Bestimmung der Zeiten auf pollenanalytischer Grundlage erforderlich.

    Den Geologen beschaftigt die Frage: Wie verbielt sich' die neuc Ostsee zu den GelD:nde-formen, die das Inlandeis hinterlassen hatteP

    Es ist als sicher anzunehmen, dah ein langer Gelindesporn vor Brodten, ein kiirzerervor Scharbeutz und tin weiterer vor dem heutigen Sierksdorfer Kliff in die See hinaus-gereicht haben. AuBerdem durften noci manche Kuppen vorhanden gewesen sein, die friiheroder spker der Abtragung durch das Meer anheimgefallen sind (Abb. 1).

    Die drei genannten Sporne sind von der See weitgehend abgetragen und in Kliffs ver-wandelt worden. Das mittlere, das Scharbeutzer Kliff, liegt nicht mehr im Abbruch; es isttot, und zwar anscheinend auf natarlichem Wege, ohne menschliche Hilfe, stillgelegt. DasMaterial, das vom Meere den Kliffs entnommen wurde, liegt in seinen graberen Korn-anteilen als Nehrung vor den Niederungen zwischen den Spornen, und zwar:

    der Priwall vor der Piitenitzer Niederung,der Niendorf-Timmendorfer Strandwall vor dem Hemmelsdorfer Becken,der Haffkruger Strandwall vor dem Becken mit den Haffwiesen.

    Aus diesen eindeutigen Hinweisen auf einen betrachtlichen Umfang des Kastenausglcidlsergeben sich als fur die wasserbaulichen Aufgaben wichtige Fragen:

    1. In welcher Richtung erfolgt der Abtransport des in den Kliffs losgerissenen Gesteins-materials7

    2· Kommt das in den Strandwillen zusammengetragene Material nur aus den Kliffsoder auch vom Meeresboden selberP

    3. Lassen sich Angaben uber den Lieferungsbereich der einzelnen Kliffs machen7Zur Antwort auf diese Fragen sind besondere Untersuchungen mit teilweise neuen

    Mcthoden durchgefuhrt worden, wie aus den betreffenden Beitragen dieses Heftes zu er-sehen ist.

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    Die Küste, 1 Heft 1 (1952), 12-14