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Entwicklungsbiologie Entwicklungsgenetik Entwicklungsphysiologie 5. Auflage - Essen 2000 Horst Grunz E A C B E D Organ Engineering

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EntwicklungsbiologieEntwicklungsgenetikEntwicklungsphysiologie

5. Auflage - Essen 2000

Horst Grunz

E

A

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ED Organ Engineering

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Erklärung der Abbildungen auf der Titelseite:

Abb. A und B:Vorstellungen der Präformisten vom Aufbau desA. Eies (Ovulisten)B. Spermiums (Animalculisten)Es handelt sich hier um die Darstellung derextremsten Form der Hypothese (Einschachtel-ungstheorie)

Abb. C:Plasmid (Vektor in der Gentechnik)In der Mitte, ein symbolischer Vertreter unserer wichtigstenMitarbeiter, ein männlicher Südafrikanischer Krallenfrosch(Xenopus laevis). Die adulten Weibchen unterscheidensich von den Männchen durch ihre deutlich umfangreichereKörpergröße und Kloakenpapillen.Die Embryonen (Eier,Larven) dieser Species (Anura [Frosch-lurche], Amphibia)sind im Gegensatz zu unseren einheimischen Molchen(Urodela [Schwanzlurche], Amphibia) und Fröschen dasganze Jahr über unter Laborbedingungen erhältlich.Unter den Wirbeltieren ist die Embryonalentwicklung derAmphibien am besten untersucht. Viele klassische undmoderne molekularbiologische Versuche wurden zuerst anAmphibienembryonen durchgeführt.

Abb. D Organ-Ersatz (Organ Engineering). Herzstrukturenwurden in Zellkultur erzeugt und einem Frosch-Embryo alsErsatz für eine entnommene Herzanlage eingesetzt (RescueExperiment) . Diese Forschungsrichtung ist jetzt sehr aktuell.Sie hat das Ziel, experimentell erzeugte Ersatzorgane inZukunft auch für den Menschen zur Verfügung zu haben. BeiSäugern (im Ausland auch beim Menschen) wird dies mittlerweile mit omnipotenten Stammzellen (stem cells) versuchtbzw. bereits durchgeführt (siehe S.85)

Abb. E Schematische Darstellung der Expression vonGenen und sezernierten Proteinen in der frühen Amphibien-Gastrula. Im Gegensatz zur traditionellen Auffassung wirkendie in der Spemannschen Organisatorregion lokalisiertenneuralen Induktionsfaktoren als Inhibitoren vor allem alsAntagonisten zu BMP-4. Genauere Beschreibung siehe unterFrühembryonale Induktion (ab Seite 64)

Nachweis der Abbildungen:Zu einem großen Teil handelt es sich um selbst gezeichneteAbbildungen (Kopien von farbigen Overhead-Folien, diewährend der Vorlesung gezeigt werden).Die übrigen Abbildungen sind modifiziert worden nachVorlagen aus:Spemann: Experimentelle Beiträge einer Theorie derEntwicklungKühn: Vorlesungen über EntwicklungsbiologieHadorn: Experimentelle Entwicklungsforschung anAmphibienDuellmann & Trueb: Biology of AmphibiansGilbert: Developmental BiologyWolpert: Principles of Development

Die Qualität der ursprünglich zum Teil farbigenAbbildungen kannim Xeroxkopierverfahren nicht erreicht werden. Deshalb weise ichbesonders darauf hin, daß die farbigen Original Overhead-Folienwährend meiner Vorlesung "Entwicklungsbiologie" bzw."Physiologie der Tiere" gezeigt werden.

Ein Video-Lehrfilm (40 Minuten)"Amphibienentwicklung und KlassischeVersuche" ist gegen einen Unkostenbeitragim Sekretariat Zoophysiologie erhältlich.

Ausführliches Inhaltsver-zeichnis mit Seitenangabensiehe Seite 144 -145

Stichwortverzeichnisab Seite 149

Besuchen Sie auch unsereHomepage des FachesZoophysiologie im Internet:http://www.uni-essen.de/zoophysiologie/

Aktuelles zur Stammzellproblematik S.Seite 146

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diese Probleme nur durch Grundlagen-forschung (im Verbund mit angewandterForschung) mittels molekularbiologischerMethoden (verteufelt unter demSchlagwort: Genmanipulation) gelöstwerden können. Es ist in der Öffentlichkeitnicht hinreichend bekannt, daß man beinormalen als auch bei "anormalen" Zellen(Krebszellen) ähnliche Differenzierungs-und Regulationsmechanismen vorfindet.Manchmal lassen geringfügige Unter-schiede auf unterschiedlichen Ebenen derin der Zelle ablaufenden molekular-biologischen Prozesse aus einer normalenZelle eine Krebszelle entstehen. BestimmteWachstumsfaktoren oder ihre Rezeptorenspielen als Determinationsfaktoren(Festlegung der Differenzierungsrichtungeiner Zelle) während der Embryonal-entwicklung (normale Zellen) eine zentraleRolle. Andererseits können geringfügigeVeränderungen der Struktur der beiKrebszellen und normalen Zellenvorhandenen Komponenten der Signalkettezur Krebsauslösung führen (Transformationvon normalen zu malignen Zellen). Es mußbetont werden, daß die gerade auch inFachkreisen aufgrund zunehmender Spe-zialisierung betriebene strenge Separationin bestimmte Teildisziplinen der Biologieund Medizin nicht immer bestanden hat.Theodor Boveri erkannte bereits gegen Endedes 19. Jahrhunderts eindeutigeKorrelationen zwischen normaler Zelle undKrebszelle. Zu etwa gleicher Zeit benutztenErnst Haeckel und viele andere Embryolo-gen Erkenntnisse aus der Entwicklungs-biologie (z.B. Biogenetisches Grundgesetz),um direkte Bezüge zur Evolutionsforschungund Ökologie aufzuzeigen. Ernst Haeckel's(1834-1919) Definition der Ökologie von1866 hat sicher auch heute noch seineGültigkeit: Unter Ökologie verstehen wirdie gesamte Wissenschaft von den Bezie-hungen des Organismus zur umgebendenAußenwelt, wohin wir im weiteren Sinnealle "Existenz Bedingungen" rechnenkönnen. Diese sind teils organischer, teils

VorwortDie vorliegende Einführung ist entstandenin Anlehnung an meine Aufzeichnungenfür die Vorlesung "Entwicklungsbiologie"auf wiederholten Wunsch von studentischerSeite. Das Interesse an einer kurzenEinführung besteht deshalb, weil es keineinführendes Lehrbuch in deutscher Sprachegibt, das sämtliche Aspekte der Ent-wicklungsbiologie (Grundstudium)gleichzeitig abdeckt. Die entwicklungs-biologische Forschung hat in den letztenJahren enorm an Bedeutung gewonnen(Nobelpreis 1995, s.S.11), da diekomplizierten Abläufe während derfrühembryonalen Entwicklung heute mittelsmoderner molekulargenetischer Methodenuntersucht werden können. Da viele Fragender frühembryonalen Entwicklung undDifferenzierung von gesellschaftlicherRelevanz und Brisanz sind (s.u.), ist einedifferenzierte und sachliche Diskussiondringend erforderlich. Dies ist jedoch nurmöglich, wenn man die Materie auch inmolekularer Hinsicht wenigstens in denGrundzügen versteht. Dies muß vomzukünftigen Biologielehrer und Ökologenerwartet werden. Bekanntlich werden inder Öffentlichkeit immer wieder Dinge ineinen Topf geworfen, die nichts miteinanderzu tun haben, z.B. biologisches undmolekular-biologisches Klonen, Embryo-transfer, Retortenbaby (in vitro Fertilisationoder extrauterine Insemination) und Gen-manipulation am Embryo, das menschlicheGenomprojekt und der gläserne Mensch,genetisch veränderte Pflanzen undsogenannte genetisch manipulierteLebensmittel, um nur einige wenigeProblemkreise zu nennen. Andererseitserwartet man, daß das Krebsproblem unddie AIDS-Problematik von der modernenWissenschaft möglichst umgehend gelöstwird. Aber gerade die Ursachen für dieseKrankheiten können nur durch modernegentechnische und zellbiologischeMethoden nachgewiesen werden.Fundamentalisten und manche Gesundeignorieren häufig dabei die Tatsache, daß

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anorganischer Natur.Ich weise besonders darauf hin, daß nichteinmal so sehr der erwachsene Organismus,sondern in besonderem Maße der Embryo(oder Larvenstadien) auf Umwelteinflüsse(Umweltgifte [z.B. Schwermetalle oderInsektizide], bestimmte Viren [Röteln],ionisierende Strahlen [z.B Röntgenstrah-len], Pharmaka [z.B. Thalidomid= Conter-gan] besonders sensibel reagiert. Das giltsowohl für Embryonalstadien niedererOrganismen als auch für Feten von Säugernund Mensch. Das in der Bevölkerung wohlbekannteste Beispiel für verheerendeAuswirkungen bestimmter chemischerSubstanzen auf den werdenden Organismuswar die Contergan-Tragödie (Wirkstoff:Thalidomid). Während es beim Embryovor allem zu Extremitätenmißbildungenkam, trug der Erwachsene (Mutter) keineSchäden davon. Bei der ständig steigendenZahl von negativen Umweltfaktoren, dieauf den menschlichen oder tierischenOrganismus einwirken, erhöht sich dasRisiko , daß es während der Embryonalent-wicklung zu dauerhaften Schäden kommt(bis hin zur Veränderung des Erbmaterials[Schädigung der Keimzellen]). In diesem überarbeiteten Skript werdenneben der klassischen Entwicklungs-biologie nun auch neueste Erkenntnisseder Entwicklungsgenetik (MolekulareEntwicklungsbiologie - MolekulareGenetik) berücksichtigt, die imHauptstudium vertieft werden.

Die Zahl der Abbildungen ist auf einMindestmaß beschränkt, da erläuterndeDIAS und farbige Overhead-Folien wäh-rend meiner Vorlesungen "Einführung indie Entwicklungsbiologie"(Grundstudium)und "Physiologie der Tiere" (Hauptstudium)gezeigt werden.

Das wohl bekannteste Experiment inder Biologie, der Spemannsche Einsteck-Test(Spemannsches Organisatorexperi-ment [Hans Spemann and Hilde Mangold,1924]), für das Speamnn 1935 denNobelpreis erhielt, ist wieder in das Zentrum

des Interesses vieler international bekannterArbeitsgruppen gerückt. Es besteht heutedie Möglichkeit, die durch diesesExperiment aufgeworfenen Fragen zurBildung der Grundstruktur desWirbeltierembryos, der embryonalenGehirnentwicklung und den dafürverantwortlichen räumlich und zeitlichspezifisch exprimierten Genen mittelsmolekularbiologischer Methoden zubeantworten.Die Vergabe des Nobelpreises 1995 an dieEntwicklungsbiologen Nüsslein-Volhard(Max-Planck Institut für Entwicklungs-biologie, Tübingen), Lewis (USA) undWieschaus (USA) haben bereits dazugeführt, daß dieses Wissenschaftsgebietwieder stärker in das Interesse derÖffentlichkeit gerückt ist.

Ich hoffe, daß ich dazu beitragenkann, daß das Interesse für eines derfaszinierendsten Teilgebiete der modernenBiologie geweckt wird, das in letzter Zeitexponentiell an wissenschaftlicher undgesellschaftspolitischer Bedeutunggewonnen hat.

Horst Grunz Essen 2000

Die wichtigsten Techniken und Grundlagender Gentechnologie werden in meinerWintervorlesung (Physiologie der Tiere,Hauptstudium*) erläutert. Dazu gehören auchdie Struktur und Funktion von Induktions-(Wachstums)-faktoren und ihrer Rezeptoren.Diese Kenntnis ist die Voraussetzung für eineerfolgreiche Teilnahme am Grosspraktikumund den Seminaren im Fach Zoophysiologie.

*) Diese Vorlesung befaßt sich mit denprüfungsrelevanten Themen (Staatsexamen undÖkologiediplom):1. Zellbiologie/Physiologie der Zelle (Bereich A)2. Phsiologie der Tiere (Bereich C)3. Entwicklungsphysiologie /Entwicklungsgenetik

(Bereich D)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Amhibien- zentrales Vertebraten- Modellsystem derEntwicklungsbiologie und Entwicklungsgenetik

Die Entwicklungsbiologie und Entwicklungsgenetik hat inden letzten Jahren für viele Nachbardisziplinen derWissenschaft und gesellschaft spolitisch zentrale Bedeutungerlangt. Das wird nur zum Teil dadurch deutlich, daß derNobelpreis für Physiologie und Experimentelle Medizin 1995exakt 60 Jahre nach dem Nobelpreis für Hans Spemann andie Entwicklungsbiologen Nüsslein-Volhard, Lewis undWieschaus vergeben wurde. Abläufe während der früh-embryonalen Entwicklung können heute mittels modernermolekulargenetischer Methoden untersucht werden. DerAmphibienembro (Molche und Frösche) ist aufgrund einerüber 90jährigen Forschungstradition der am bestenbeschriebenen Wirbeltierembro. (ExperimentelleUntersuchungen und Manipulationen am menschlichenEmbro sind bekanntlich nicht erlaubt).Die am Amphibienembromittels molekularbiologischer (molekulargenetischer)Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse sind sowohl fürdie Grundlagenforschung als auch für die angewandteForschung von weitreichender Bedeutung.

Entwicklungsgenetik und Evolution - eine zweitebiologische Revolution nach Darwin

Durch die Molekularbiologie haben sich in den letzten Jahrenvöllig neue Perspektiven eröffnet, die die alten Traditionenzur Zeit Ernst Haeckels und Charles Darwin (Verknüpfungvon Embryogenese und Evolution (Ontogenese undPhylogenese) wiederaufleben lassen und grundlegenderweitert haben. So konnte gezeigt werden, daß bestimmteGene (vor allem Gene mit Homeobox und anderenkonservierten Basensequenzenen), die während derEmbryogenese für die Bildung der Körpergrundgestaltverantwortlich sind, bei vielen Tierklassen zu finden sind. Soist das Gen Cerberus (in der antiken Mythologie ist Cerberusder vielköpfige Hö l lenhund) sowohl bei Xenopus(Krallenfrosch) als auch bei der Maus verantwortlich für dieBildung der Kopfregiondes Embryos bei ( Piccolo, S., Agius,E., Leyns, L., Bhattacharyya, S., Grunz, H., Bouwmeester, T. andDeRobertis, E. M. (1999). The head inducer Cerberus is amultifunctional antagonist of Nodal, BMP and Wnt signals. Nature397: 707-710).Belo, J. A., Bouwmeester, T., Leyns, L., Kertesz, N., Gallo, M.,Follettie, M. and DeRobertis, E. M. (1997). Cerberus-like is asecreted factor with neuralizing activity expressed in the anteriorprimitive endoderm of the mouse gastrula. Mechanisms ofDevelopment 68: 45-57.

Entwicklungsgenetik und Paläontologie

Weiterhin sind bestimmte Gene, die bei Wirbeltieren(Vertebrata) die zukünftige Dorsalseite (Rücken)programmieren, bei Nichtwirbeltieren (Evertebrata, z.B.Fliege- Drosophila) für die Determination der Ventralseite

(Bauch) und vice versa verantwortlich. Daraus wurdegeschlossen, daß Evertebrata und Vertebrata (Protostomiabzw. Deuterostomia) während der Evolution nicht völligunterschiedliche Entwicklungsprinzien etabliert haben,sondern wahrscheinlich auf eine gemeinsame Stammform,die Urbilateralia (vor 300-600 Millionen Jahren) zurückgehen.(DeRobertis EM and Sasai, Y (1996): A common plan fordorsoventral patterning in Bilateralia. Nature 380, 37-40(siehe auch Abb. 69 ).

Entwicklungsgenetik revolutioniert die traditionelleZoologie - Neudefinition der Homologie/Analogie-Begriffe

Durch Prof. Walther Gehrings Team in Basel (den meistenbekannt als Mitautor[Wehner und Gehring] des Lehrbuchs:Zoologie) konnte gezeigt werden, daß bestimmte traditionelleAuffassunegen zur Homologie- und Analogie-Forschung neuüberdacht werden müssen. Die Entwicklung aller im Tierreicheinschließlich Mensch vorkommenden Lichtsinnesorgane(vom primitiven Grubenauge bis zum hochentwickeltenLinsen- oder Komplexauge) werden von einem hoch-konservierten "Master"-kontrollgen (Pax-Gen und Homologe)gesteuert bzw. eingeleitet. Damit müssen die Begriffe derkonvergenten Entwicklung bzw. Homologie/Analogie neudefiniert werden. Eines der bekanntesten Beispiele fürAnalogie (Konvergenz)in der traditionellen Zoologie ist dieEntwicklung des Tintenfischauges im Vergleich zumWirbeltierauge.Konrad Lorenz (Nobelpreis für seine Arbeitenauf dem Gebiet der Verhaltensforschung[Ethologie]) hattenoch 1978 die Augenbildung bei beiden Tierklassen alskonvergente Entwicklung beschrieben (siehe Abb. 1 ). Nachneuesten Erkenntnissen in Bezug auf das "Ur"gen Pax würdees sich bei diesen Augentypen nicht um analoge sondern umhomologe Strukturen handeln (Abb.1 und 2).

Embryonale Klonierung - die klonierten Fröschedas Schaf Dolly

Ein weiteres wichtiges Gebiet der Enwicklungsbiologieund -genetik ist die Klonierung von Embryonen aus Kernenvon ausdifferenzierten, somatischen Zellen (adultenGeweben). Dies gelang zuerst an Fröschen, 20 Jahre vor derKlonierung des Schafes Dolly (siehe unter Kern-transplantation, Abb. 84, 85).

Organ Engineering - experimentell produzierte Organe

Für die Medizin von großem Interesse ist die experimentelleProduktion von Geweben und Organen. Es ist bereits möglich,Haut unter Zellkuturbedingungen zu züchten. Diese kanndann z.B. bei Verbrennungen als Hautersatz verwendetwerden. Am Amphibien-Modellsystem ist es bereits in unseremLabor gelungen, experimentell Herzstrukturen unterZellkulturbedingungen zu produzieren (Abb. 77).

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Abb.1 Tintenfisch- und Wirbeltierauge imVergleich imBuch von Konrad Lorenz: "Vergleichende Verhaltungs-forschung". In traditioneller Sicht ist dies dasStandardbeispiel für Konvergenz und analoge Entwicklung.Die moderne Entwicklungsgenetik hat jedoch gezeigt, daßzu Beginn der Embryonalentwicklung die Determinationbeider Augentypen vom gleichen Masterkontrollgen Pax 6programmiert werden.

Abb. 2 Pax 6- Genexpression in der Zukünftigen Gehirn-und Augenregion beim Krallenfrosch (Xenopus laevis) unddem Bergmolch (Triturus alpestris). Durch sogenannte Wholemount in situ Hybridisierung kann diePax 6-mRNA sichtbar gemacht werden. Der Nachweis wurdehier an frühen Neurulae duchgeführt, einem Zeitpunkt andem das Zwischenhirn (Diencephalon) und die beidenAugenbecher angelegt werden. Die Sterne kennzeichnen diezukünftige Linsenregion des Auges.

Abb. 2

Abb. 1

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Hinweise zum Videofilm "Entwicklungsbiologie derAmphibien"erhältlich im Sekretariat Zoophysiologie (kurzeSequenzen sind auch auf der WEB-site derZoophysiologie (http:// www.uni-essen.de/zoophysiologie) zu sehen.

Im Video wird die Normalentwicklung der Amphibien(Bergmolch) und die wichtigsten klassischen entwickl-lungsbiologischen Experimente und Zellaffinitätsversuchegezeigt. Sie stellen die Basis für das Verständnismolekularbiologischer (molekulargenetischer/ entwicklungs-biologischer) Zusammenhänge dar.Das wohl bekannteste Experiment in der Biologie, derSpemannsche Einsteck-Test(Spemannsches Organisator-experiment [Hans Spemann and Hilde Mangold, 1924]), fürdas Spemann 1935 den Nobelpreis erhielt, ist wieder in dasZentrum des Interesses vieler international bekannter Arbeits-gruppen gerückt. Es besteht heute die Möglichkeit, die durchdieses Experiment aufgeworfenen Fragen zur Bildung derGrundstruktur des Wirbeltierembryos, der embryonalenAchsenorgane und den dafür verantwortlichen räumlich undzeitlich spezifisch exprimierten Genen mittelsmolekularbiologischer Methoden zu beantworten( s.Abb. 63).Durch unsere eigenen Arbeiten konnten wir dazu beitragen,daß Gene und ihre Produkte gefunden wurden, dieantagonistisch zum Spemannschen Organisator fungieren.Wichtige Informationen zur Gesamtproblemematik enthältder Reviewartikel: Grunz,H. (1997) Neural induction inamphibians. in „Current Topics in Developmental Biology“,Vol 35:191-228 (ed. R.Pederson and Gerald Schatten,Academic Press).

Zum Videofilm

Eine Reihe von Aufnahmen sind bereits vor über 20 Jahren mit einerLeicina-Spezial-Zeitrafferanlage entstanden (siehe auch technischeDetails). Das gesamte Material ist dann 1997 auf Videofilm umkopiertworden und in Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum derUniversität GH Essen mit zusätzlichen Echtzeitaufnahmen,Animationen und Kommentar ergänzt worden.Es handelt sich teilweise um einmaliges historisches Material:

1. Einsteckversuch des ersten in hochangereichertenWachstumsfaktor (Induktionsfaktor): Vegetalisierender Faktor, heuteals Aktivin bekannt. Er kann jetzt gentechnisch synthetisiert werden(siehe unter Frühembryonale Induktionsfaktoren).

2. Sandwich-Versuch mit Vegetalisierender Faktor. ErstmaligeBeschreibung der Länssstreckung von mesodermal induziertemEktoderm, das sich wie isolierte Spemannsche Organisatorregionverhält: Umprogrammierung von Ektoderm - statt zu Epidermisentwickelt es sich zu Muskulatur und Chorda.

3.Disaggregations-und Reaggregationsversuche, die 1989 zeigenkonnten, daß sich Ektodermzellen nach transienter Disaggregationin Einzelzellen zu Gehirnstrukturen differenzieren (Grunz H, TackeL (1989) Neural differentiation of Xenopus laevis ectoderm takes

place afterdisaggregation and delayed reaggregation withoutinducer. Cell Diff.&Develop. 28, 211-218; Grunz, H. and Tacke, L.(1990 ) Extracellular Matrix Components Prevent NeuralDifferentiation of Disaggregated Xenopus Ectoderm Cells. CellDifferentiation and Development, 32, 117-124). Diese Arbeiten mitKrallenfroschembryonen waren richtungsweisend für Forschungenin viele Laboratorien. Es konnte gezeigt werden, daß Gene undihre Produkte wie BMP-4 und vent-1 auf der zukünftigen Ventralseitedes Embryos exprimiert werden, die als Antagonisten zu Genenfungieren, die ausschließlich oder überwiegend im SpemannschenOrganisator aktiviert werden. Ähnliche Gene und ihre Produktesind auch bei der Fliege und Maus für die Festlegung derKörpergrundgestalt verantwortlich (Abb.119).

Technische Details

Zeitraffung: 2 Einzelbilder pro Minute. Entwicklungszeiten der

Embryonen (Alpen-bzw. Bergmolch - Trirturus alpestris) bei 18˚°C:

ungefurchtes Ei bis zur Morula: 17 Std,

ungefurchtes Ei bis frühe Gastrula: 33 Std.Gastrula bis mittlere Neurula: 74 Std.bis Schwanzknospe:94 Stdbis zur schwimmfähigen Larve (bis zum Schlüpfen aus derGallerthülle): 11 Tage

Die Mikrooperationen in Echtzeit wurden von mir beigleichzeitiger Präparation und Auslösung per Fußschaltergefilmt (also notgedrungen mit geringstem personellen Aufwand;nicht wie in Hollywood)

Dunkelfeldaufnahmen mit Leitz Orthoplan,Phasenkontrast mit Inversionsmikroskop,Mikrooperationen mit Stereomikroskop (Carl Zeiss),Film: Kodak Super 8,Umkopiert auf Videomaterial und elektronisch im Medienzentrumunserer Hochschule bearbeitet.

Von dem Mastertape wurden Kopien in PAL-, NTSC- undSECAM-Versionen gezogen.(erhältlich gegen einen Unlostenbeitrag im SekretariatZoophysiologie)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Niemals werden wir mit der Erforschungdes Lebens endgültig abschließen , undwenn wir einen vorläufigen vorläufigen vorläufigen vorläufigen vorläufigen Abschlußzeitweise versuchen, so wissen wir dochsehr wohl, daß auch das Beste Beste Beste Beste Beste , was wirgeben können , nicht mehr bedeutet, alseine Stufe zum BesserenStufe zum BesserenStufe zum BesserenStufe zum BesserenStufe zum Besseren.

August Weismann in: "Vorträge einer Deszendenztheorie",1904 gehalten in Freiburg i.Br.

Abb. 3 Hans Spemann (etwa 1924 in Freiburg)

Nobelpreis-Urkunde 1935

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Besuchen Sie auch unsereHomepage des FachesZoophysiologie im Internet:

WWW: http://www.uni-essen.de/fb9/zmimophysiologie/

AbteilungZoophysiologie http://www.uni-essen.de/

zoophysiologie/

http://www.uni-essen.de/zoophysiologie/

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

EntwicklungsbiologieEntwicklungsgenetik

Entwicklungsphysiologie

Horst Grunz

5.Auflage, Essen 2000

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EntwicklungsbiologieEmbryologie (Ontogenese und Phylogenese)

EntwicklungsphysiologieMolekulargenetische Entwicklungsbiologie

Evolution

Genetik(Cytogenetik)

MolekularbiologieMolekuare Genetik

Zellbiologie

Teratologie

Pathologie

Physiologie

Biochemie

Krebsforschung

Paläontologie

Morphologie undAnatomie

Ökologie

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Inhaltsverzeichnis

1. Geschichtliches2. Keimzellen-Lokalisation3a. Spermatogenese3b. Oogenese4. Befruchtung5. Entwicklungstypen der Keime6. Seeigel7. Amphibien8. Klassische Versuche9. Insekten

10. Vögel11. Säugetiere12. Grundlagen der

Molekularbiologie (Molekulargenetische Embryologie)

Ausführliches Inhaltsverzeichnis mitSeitenangaben siehe Seite 144- 145Stichwortverzeichnis ab Seite 150

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

D. Gentechnik (gefährlich)

Gentechnik in der Industrie (Beispiele)1.Pharmaka-Herstellung (z.B.Insulin)2. Reindarstellung von Proteinen für die Grundlagenforschung3. Enzyme für die Lebensmittel-Herstellung

(z.B.Fermente für die Käsezubereitung)Gentechnik in der Landwirtschaft1.Transgene Tiere (s. aber Punkt C6)2.Transgene PflanzenGentechnik in der Biologie und Medizin1.Entwicklungsbiologieund Embryologie (Nobelpreis 1995)2.Molekulare Evolution3.Populationsgenetik4.Paläontologie5.Anthropologie6.AIDS und andere Immunkrankheiten7.Krebsproblematik8.Genomprojekt (Kartierung desmenschlichen

Genoms9. Perinatale Diagnostik (siehe auchAmniocentese

oder Chorionzottenbiopsie)10. Gentherapie(siehe aber unter "Gentechnik

gefährlich", Punkt 2)11. Kriminaltechnische Untersuchungen

(Vaterschaftsnachweis, Tätersuche bei Vergewaltigung und/oder Mord)

E. TierversucheAlternative Methoden1.Gewebekulturen (aber nur begrenzt einsetzbar)2. Multimedia-Techniken (Audio/Video)

Ganztierversuche (notwendige Tests)Wechselwirkungen zwischen verschiedenenKörperregionen und Organen (Beispiele)a)Wechselwirkungen zwischen Zentralnervensystem und Zielorganenb) Wirkungsweise von Hormonenc) Entstehung von Krebszellen (z.B. Krebs-

vorläuferzellen während derEmbryonalentwicklung (Gehirntumore)

d) Immunologische Prozesse (z.B.Allergien, AIDS,Organtransplantationen)

C. Nicht Gentechnik (gefährlich)

Molekulare Entwicklungsbiologie undEntwicklungsgenetik, zentrale Themen in

Wissenschaft und Gesellschaft

1.Teratogenea) Pharmaka (z.B.Thalidomid [Contergan])b) Alkoholc) Nikotin2. Pathogene Bakterien für die biologische

Kriegsführung (z.B.Milzbrandbakterien)3. Giftgas4. Lebensmittelzusätze und Verunreinigungen des

Trinkwassers5. Luftverschmutzung6. Züchtung von Monster-Tieren7.Radioaktive Strahlung (zu viel, zu lang)

a) Röntgendiagnose (zu häufig, defekte Geräte)b) Forschung (Gefährdung nur bei unsachgemäßen Umgang)

8. Tiermehl-Verfütterung (s. Punkt 9)

1.Organisator-Experiment (Spemann,Nobelpreis 1935)

2.Schnürversuche3.Kerntransplantation4.Extrauterine Insemination ("Retortenbaby")5.Biologisches Klonen und Embryonentransfer

a) mikrochirurugische Blastomeren-Separationb) Superovulationc) Chimären (verschiedene Spezies,z.B."Schiege")d) Kombination von Blastomeren mehrerer

Zygoten6. Amniocentese oder Chorionzottenbiopsie (s.auch "Gentechnik nützlich", Punkt 9

A. Nicht Gentechnik

1. Mutwillige Umwandlung harmloser Bakterienin pathogene Organismen

2. Manipulation an menschlichen Embryonen,und zwar unkontrollierter Eingriff in dieErbinformation (Erarbeitung von Richtliniendurch Ethik-Kommissionen)

B. Gentechnik (nützlich)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

WILLIAMS, PATIENT: Gentechnologie, Thieme Verlag 1991.

WATSON, GILMAN, WITKOWSKI, ZOLLER: RekombinierteDNA, 2. Auflage Spektrum Akademischer Verlag GmbH.Heidelberg, Berlin, Oxford 1993. ccccc bis *

BROWN, T.A. Gentechnologie für Einsteiger. Sepektrum Verlag1995

EDE: Eine Einführung in die Entwicklungsbiologie, Thieme Verlag. ccccc

GILBERT: Developmental Biology, Fifth Editon 1997. SinauerAssociates, Inc. Sunderland, Massachussetts. ccccc

ALBERTS/BRAY/LEWIS/RAFF/ROBERTS/WATSON:Molecular Biology of the Cell.. Neueste Auflage *

Deutsche Version: Molekularbiologie der Zelle,Übersetzung der engl. Version

MÜLLER: Entwicklungsbiologie UTB, Gustav Fischer Verlag1995. ccccc

MÜLLER: Developmental Biology , Springer Verlag, 2.Auflage.1999.Brown, T.A. Gentechnik für Einsteiger, Spektrum Verlag1995 ccccc

Wolpert, L.: Principles of Development. Current BiologyLTD./ Oxford University Press. 1998.

DEVELOPMENTAL BIOLOGY IN GERMANYSonderheft der wissenschaftlichen ZeitschriftInternational Journal of Developmental Biology.Herausgeber: M.Trendelenburg und H.Grunz(1996).enthält 16 "historische" Artikel über dieEntwicklungsbiologie in Deutschland, einschließlichReview-Artikel: Grunz (1996) Factors responsible for theestablishment of the body plan in the amphibian embryo undein Interview-Artikel mit dem Pioneer der molekularenEntwicklungsbiologie Prof.Dr.Dr.Heinz Tiedemann (Schülerdes Nobelpreisträgers Otto Warburg):Grunz: The long road to chemical and molecular embryology.What amphibians can teach us on differentiation.(weitere Hinweise auf der Homepage des FachesZoophysiologie im Internet:http://www.uni-essen.de/zoophysiologie

GRUNZ,H.(1997) Neural induction inAmphibians. In: "Current Topics in DevelopmentalBiology" Academic Press (Ed. Pederson andSchatten)

GRUNZ,H. (1999) Gene expression and patternformation during early embryonic development.im Druck.

Literatur(die mit c gekennzeichneten Bücher sind für denEinstieg in die Materie; die mit * sind fürweiterführende Studien und das Hauptstudiumbesonders zu empfehlen. Die nicht gekennzeich-neten Bücher sind als Ergänzung für bestimmteTeilgebiete der Entwicklungsbiologie geeignet).

HADORN: Experimentelle Entwicklungsfor-schung. Verständliche Wissenschaften, SpringerVerlag 1981. c

KÜHN : Vorlesungen über Entwicklungsphysio-logie, Springer Verlag 1965.

STARCK: Embryologie, Thieme Verlag Stuttgart1975. *

TUCHMANN-DUPLESSIS: Embryogenesis, Il-lustrated Human Embryologie, Springer, Chap-man & Hall 1972.

GOERTTLER: Entwicklungsgeschichte des Men-schen, Springer Verlag 1950.

BRACHET: Introduction to Molecular Embryolo-gy, Springer Verlag 1973.

LANGMAN: Medizinische Embryologie. Thie-me Verlag 1976. c *

BALINSKI: An Introduction to Embryology, Saunders Co.1981. Thieme Verlag 1981.

BRESCH, HAUSMANN: Klassische und molekulareGenetik.

BROWDER: Developmental Biology. Holt-SaundersInternational Editions.

WEHNER, GEHRING: Zoologie, Thieme Verlag 1990.

SCHARF, WEBER: Fortpflanzung undEntwicklung, Materialien für die Sekundarstufe II(Biologie) Schroedel Verlag. Neueste Auflage ccccc

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

384 - 322

v. Chr.: Aristoteles: Entwickelt Vorstellungen,

daß die (Embryonal)Entwicklung die

Neubildung einer vorher noch nicht

bestehenden Mannigfaltigkeit sei.

[Schon sehr ähnlicher Standpunkt wie

der Epigentiker C.F.Wolff (1733-

1794)

1580: FABRICIUS AB AQUAPENDENTE

(1537-1619) Vergleichende Embryo-

logie der Haie, Reptilien, Vögel und

Säuger.

1651: WILLIAM HARVEY(1578-1657)

„Exercitationes de generatione anima-

lium“: Alle, auch vivipare Tiere, ent-

wickeln sich aus Eiern. Der Hühne-

rembryo entsteht aus der Kernscheibe.

Entdecker des Blutkreislaufes. Epige-

netiker.

1665: REGNIER DE GRAAF (1611-1673)

beschreibt die nach ihm benannten

Follikel fälschlich als Eier der Säuge-

tiere.

1669: JAN SWAMMERDAM (1637-1685)

„Allgemeene verhandeling van bloede-

lose diertjens“. Präformist. Auswick-

lung - Ausschlüpfen von Insektenlar-

ven. Sein Verdienst: Widerlegung der

Urzeugung.

1677-1678:LEEUWENHOEK entdeckt die Sper-

matozoen. Konstukteur des ersten

Mikroskops.

1687: MARCELLO MALPIGHI (1628-

1694) „Opera omnia“: Entwicklung

von Insekten.

1688: N. MALEBRANCHE (1638-1715)

Verfechter der Präformationslehre.

1701: Der Hildesheimer Arzt ALBRECHT

beobachtet erstmals Parthenogenese

bei Schmetterlingen.

1758: JACOBI: Künstliche Befruchtung bei

Fischen.

1759: C. F. WOLFF (1733-1794) „Theoria

generationis“ widerlegt die Lehre von

der Präformation und stellt dafür die

Lehre von der Epigenesis auf. Epige-

netiker.

1762: CH. BONNET (1720-1793) entdeckt

die Parthenogenese bei Blattläusen.

Extremster Vertreter der Präformati-

onslehre (Einschachtelungstheorie)

1780: L. SPALLANZANI (1729-1799)

Künstliche Befruchtung bei Seiden-

spinnern und Amphibien.

1786: Widerlegt SPALLANZANI die Lehre

von der Urzeugung.

1799-1830: CUVIER. Begründer der vergleichen-

den Anatomie

1815: A. v. CHAMISSO (1781-1838) Gene-

rationswechsel der Salpen.

1817: H. C. PANDER (1794-1858) „Beiträ-

ge zur Entwicklungsgeschichte des

Hühnchens im Eye“. Unterscheidet 3

Keimblätter.

1821: H. FR. MECKEL (1781-1833) beto-

die Parallelität von Ontogenese und

Einige wichtige Daten zur Entwicklungsgeschichte und Entwicklungsphysiologie

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

1859: CHARLES DARWIN: On the orign

of species by means of natural selecti-

on (Die Entstehung der Arten durch

natürliche Zuchtwahl).

1864: FRITZ MÜLLER (1821-1897) weist

darauf hin, daß die Ontogenese ein

mehr oder weniger treues Abbild der

Phylogenese ist.

1864: D. J. PISSAREW „Das Leben des

Embryos als kurze Geschichte und

Ahnentafel der betreffenden Art“.

1866: ERNST HAECKEL (1834-1919) „Ge-

nerelle Morphologie“, Ontogenie und

Phylogenie. Biogenetisches Grundge-

setz. [Die von Haeckel mit dem Bioge-

netischen Grundgesetz vertretene Mei-

nung steht im Gegensatz zu der von

Ernst von Baer vetretenen Auffassung]

1866-71: A. KOWALEVSKY (1840-1901)

Grundlegende Arbeiten über die Ent-

wicklung der Tunicaten des Amphio-

xus, Ctenophoren, Arthropoden. Er-

kennt die Bedeutung der Gastrula. Be-

gründer der Keimblättertheorie.ab 1864: J. J. METSCHNIKOFF (1845-1916)

Entwicklungsgeschichte zahlreicherWirbelloser . Keimblätterlehre beiArthropoden, Mollusken, Echinodermen, Tunicaten.

1875: Gebrüder HERTWIG (OSKAR u. RI-

CHARD) Befruchtungsvorgänge am

Seeigelei.

1848-1920 O. BÜTSCHLI beobachtet die Verei-

nigung von Ei und Spermatozoon bei

Anguillula rigida.

Phylogenese. Anhänger der Lamarck-

schen Theorie (Meckelsches Rekapi-

tulationsgesetz).

1825: J. E. PURKINJE (1787-1869) entdeckt

die Keimscheibe im Vogelei.

1827: KARL ERNST von BAER (1792-

1876) entdeckt das Ei im Graafschen

Follikel des Hundes. „De ovi mamma-

lium et hominis genesi“Begründer der

modernen Embryologie).

1828-37: do.: „Über Entwicklungsgeschichte der

Tiere. Beobachtung und Reflexion“.

1835: do: „Untersuchungen über die Ent-

wicklungsgeschichte der Fische“.

1830: JOHANNES MÜLLER (1801-1858)

„Bildungsgeschichte der Genitalien

aus anatomischen Untersuchungen an

Embryonen des Menschen und der

Tiere“. Müllersche Gang.

1833: BISCHOFF entdeckt die Blastogene-

se des Säugereis.

1833: C. TH. von SIEBOLD (1804-1885)

Entwicklungsgang der Trematoden.

1837: S. LOVEN (1809-1895) Generations-

wechsel Polyp-Meduse.

1844: A. v. KOELLIKER (1817-1906) defi-

niert das Ei als Zelle.

1815: J. DZIERZON (1811-1906) Die Droh-

nen der Honigbiene entwickeln sich

aus unbefruchteten Eiern.

1853: ALLMAN bezeichnet das äußere

Keimblatt als Ektoderm; das innere

als Entoderm

1854-1863 G.MENDEL: Verbungsgesetze

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

1878: B. KATSCHEK „Trochophoratheo-

rie“.

1881-85: A. WEISMANN (1834-1914) Theo-

rie von der Unsterblichkeit des Keim-

plasmas und dessen Kontinuität in der

Keimbahn, Bedeutung der Reduktions-

teilung.

1884: W. ROUX (1850-1924) begründet die

Entwicklungsphysiologie.

ab 1891: HANS DRIESCH (1867-1941) „Ent-

wicklungsmechanische Studien“.

Theorie der organischen Entwicklung.

1894: O. SCHULZE Die künstliche Erzeu-

gung von Doppelbildungen bei Am-

phibien.

1895: TH. BOVERI (1862-1915) Soma und

Propagationszellen von Ascaris.

1895: dto.: Furchung kernloser Seeigeleier.

1899: F. SCHAUDINN (1871-1906) Gene-

rationswechsel der Protozoen.

ab 1897: H. SPEMANN (1869-1941) Beginn

der Experimente am Molchei. 1935

Nobelpreis für Medizin

1899: Defektversuche am embryonalen

Amphibienauge.

1897: HERLITZKA: Sullo sviluppo di em-

brioni completi da blastomeri isolati

die uova di tritione (Molge cristata).

1912: A. N. SEWERZOW „Etüden zur Evo-

lutionstheorie. Individuelle Entwick-

lung und Evolution“. Iswestija

Univ.Kiev

1923: VOGT: Farbmarkierungen bei Am-

phibien

1924: SPEMANN H. und HILDE MAN-

GOLD: Nachweis des Organisatoref-

fektes

ab 1924: OTTO MANGOLD: Prinzipien der

Amphibienentwicklung (z.B. homoi-

ogenetische Induktion)

1934: HÄMMERLING,J.: Bedeutung des

Zellkerns und seiner Produkte (mRNA)

für die Bestimmung des Phänotyps bei

der Schirmalge (Acetabularia medi-

terrania un A. crenulata)

1935: SPEMANN erhält Nobelpreis für Ex-

perimentelle Medizin

ab 1940: BRACHET, WADDINGTON,

NEEDHAM Vertreter der Chemi-

schen Entwicklungsphysiologie

HOLTFRETER: Zellaffinität, aber

auch viele andere Fragen der frühem-

bryonalen Entwicklung

ab 1955: BRIGGS, KING: Spezifität der Kern-

funktion während der frühembryona-

len Entwicklung. Kerntransplantation-

sexperimente

GURDON: Transplantation von Zell-

kernen aus Geweben von Larvensta-

dien und Epithelzellen adulter Frö-

sche in Amphibienoozyten. Biologi-

sches Cloning= experimentelleProduk-

tion von vielen Fröschen (mehr als 20)

mit identischen Erbmaterial (wie bei

eineiigen Zwillingen)

MINTZ, ILMENSEE: Kerntransplan-

tation bei Mäusen, Insekten oder Tera-

tocarcinoma-Zellen.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

. LOPASHOV: Entwicklung des

Wirbeltierauges. Transdifferenzierung

HÖRSTADIUS: Seeigelentwicklung

MOSCONA. Probleme der Zellaffini-

tät (Zellerkennung), vor allem an

Warmblütern (Huhn, Säugetiere)

NAKAMURA, NIEUWKOOP: Bil-

dung des Mesoderms während derAm-

phibienentwicklung

SAXEN und TOIVONEN 2-Gradi-

entenhypothese

ab 1956: TIEDEMANN: Isolierung von em-

bryonalen Induktionsfaktoren. Vege-

talisierender Faktor. Der erste in hoch-

angereicherter Form isolierte Wachs-

tumsfaktor (mesodermaler Induktions-

faktor), identisch mit Aktivin (Vertreter

der TGFß-Superproteinfamilie).

YAMADA: Anreicherung eines me-

sodermalen Induktionsfaktors aus

Meerschweinchenknochenmark. Me-

chanismen der Augenlinsenregenera-

tion (Wolff'sche Linsenregeneration)

ab 1972 Molekulargenetische Embryologiefor-

schung

(Herstellung der ersten rekombinan-

ten DNA-Moleküle und Untersuchun-

gen über embryonalspezifische Genex-

pression)

NÜSSLEIN-VOLHARD, JÄCKLE,

GRUSS, GEHRING u.a. (Modellsy-

steme: Maus und Drosophila)

1983: DAWID und SARGENT: Räumliche

und embryonalstadien-spezifische

Genexpression am Modellsystem

Xenopus laevis = Südafrikanischer

Krallenfrosch

ab 1985: DAWID,ASASHIMA,SMITH,

SLACK, MELTON, GURDON,

DeROBERTIS, KIRSCHNER,

KIMELMAN; KNÖCHEL, TIEDE-

MANN, GRUNZ u.a.: Lokalisation und

Wirkungsweise von Wachstumsfaktoren

[bzw. frühembryonale Determinationsfakto-

ren z.B. Vegetalisierender Faktor , XTC-MIF

(Rohfraktion aus Überständen einer

permanenten Zellinie von Xenopus [biologisch

aktive Komponente wie bei dem

vegetalisierenden Faktor: Aktivin])und ande-

re Faktoren der TGF (Transformierender

Wachstumsfaktor)- und FGF (Fibroblasten-

wachstumsfaktor)-Superfamilie] während der

Embryogenese. Räumliche und embryonal-

stadienspezifische Lokalisation mesoderma-

ler, neural spezifischer oder homeobox–

enthaltender Gene. Bildung des Zentralner-

vensystems und der übrigen Organsysteme

der Vertebraten. Determination der

dorsoventralen und anteroposterioren

Körperachsen. Bedeutung von Protooncoge-

nen und Oncogenen ("Krebsgenen") für die

Steuerung und Kontrolle der Differenzierung.

1995 Nobelpreis für die Entwicklungs-biologen Christiane Nüsslein-Volhard,Max-Planck-Institut für Entwicklungs-biologie,Tübingen, Edward B.Lewis(USA) und Eric Wieschaus (USA)Molekulargenetische Mechanismender Embryonalentwicklung beiDrosophila.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Der Begriff Entwicklung für Embryonalenetwick-lung (Ontogenese=Individualentwicklung) ist imEnglischen eindeutig definiert, nämlich Develop-ment. Dagegen kann im Deutschen unter Ent-wicklung auch Evolution gemeint sein, d.h. Phy-logenese= Stammes(entwicklungs)geschichte.Der Begriff Evolution (Ausrollung) hat heute eineandere Bedeutung (Begriff für Stammes-entwicklung).

Welche praktische Bedeutung hat dieUntersuchung der frühembryonalenEntwicklung?

1. Verständnis der Mißbildungsentstehung (Tera-tologie)

a) Embryonalentwicklung unter der Wirkungäußerer Einflüsse → Pharmaka, Um-weltgifte

b) innere Ursachen (genetische Ursachen) auchdiejenigen, die nicht durch Umwelteinflüssebewirkt wurden.

2. Verständnis der Krebsentstehung (Krebspro–blem)

3. Produktion von Organen (Leber, Herz, Niereetc.) unter experimentellen Bedingungen als"Ersatzteile" für krankhafte Organe.engl.: Organ Engineering

Die moderne Naturwissenschaft beginnt im 17.Jahrhundert mit Galilei, Keppler, Newton, u.a.m..

Von der deskriptiven zur molekularen Em-bryologie

Die Klärung der Abläufe und Prozesse von derEizelle zum Embryo und zum adulten Organismuswaren und sind das Ziel der klassischen und mo-dernen Embryologie und molekulargenetischenEntwicklungsbiologie.Die Entwicklungsbiologie kann man unterteilen inEntwicklungsgeschichte (Deskriptive Embryolo-

gie) und Entwicklungsphysiologie (FunktionelleEmbryologie).Definition: Entwicklungsbiologie beschäftigtsich mit der Aufklärung der morphologischen undmolekularbiologischen Prozesse während derEmbryonalentwicklung (Individualentwicklung=Ontogenese). Die Entwicklungsbiologie steht inenger Beziehung zu den Nachbardisziplinen Evo-lutionsbiologie und Genetik. Entwicklungs-genetisch arbeitende Laboratorien verwenden dieseund weitere Untersuchungsmethoden gleichzeitig.

Historisch gesehen ergibt sich folgendeGiede-rung:

I. Deskriptive Embryologie ( 16., 17., 18. und 19.Jahrhundert)

II. Vergleichende Embryologie makroskopi-sche und mikroskopische Beobachtung (ab17 .Jahr-hundert)Im 20. Jahrh. → Elektronenmikroskopie (Ultra-strukturforschung)

III. Experimentelle Embryologie H ö h e -punkt: Spemanns und Hilde Mangolds Organisa-tor-Experiment, für das Spemann 1935 als ersterZoologe den Nobelpreis für Physiologie undExperimentelle Medizin erhielt.

IV. Chemische Embryologie [ N e e d h a m ,Waddington, Brachet ab 1930]

V. Molekulare-Embryologie → Gentechno-logie Rekombinante DNA-Methodik - MolekulareGenetik

Heute wird die frühembryonale Entwicklung mitHilfe aller 5 Untersuchungsmethoden erforscht.

Bedeutende Vertreter der Deskriptiven Embryolo-gie waren Aristoteles (384-322 v. Chr.) und Cas-par Friedrich Wolff (1753-1794). Diese postulier-

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

ten (man kann beide als Epigenetiker bezeichnen),daß es während der Embryonalentwicklung zueiner → Neubildung einer vorher noch nicht beste-henden Mannigfaltigkeit im Gegensatz zu derAuffassung der Präformisten kommt. Sie stellten sich dieEmbryonalentwicklung als Evolution vor, d.h. im wahrestenSinne des Wortes, nämlich als "Ausrollung". Dies wärevergleichbar mit einer Blütenknospe, die durch "Ausrollung"erst die engültige Gestalt erreicht. Einer der Vertreter derPräformisten war Swammerdam (1653-1680). Er postuliertedie Auswickelung (Evolution) schon vorhandener, nur lang-sam in der Größe wachsender Teile.Der extremste Standpunkt einiger Präformisten war dieEinschachtelungstheorie .Die Präformisten waren in 2 Lager gespalten (siehe auchAbbildungen auf der Umschlagseite)und zwar in die Ovisten:Das Ei beinhaltet bereits den Embryo, das Spermium ist nurder Auslöser der Entwicklung. Animalculisten: Das Spermi-um enthält den präformierten Organismus und ernährt sichlediglich vom Ei nach seinem Eindringen in die Oozyte.Einer der Hauptvertreter dieser Theorie war der oben erwähnteSwammerdam. Sein Verdienst war es aber, daß er der Theo-rie der Urzeugung jeden Boden entzog. (Theorie derUrzeugung: z.B. Fliegen gehen aus faulendem Fleisch hervor- die abgelegten Fliegeneier konnten in früherenJahrhunderten aufgrund ihrer geringen Größe ohne Stereolupeoder Mikroskop nicht erkannt werden).Leuwenhook als Konstrukteur des ersten Mikroskops wareiner der ersten Entdecker der Spermien. Damit war der Weggeebnet für eine mikroskopische Analyse morphologischerund anatomischer Sachverhalte.Der Embryologe und Philosoph Ernst Haeckel postulierteaufgrund vergleichender Beobachtungen von Embryonal-stadien 1866 das sogenannte Biogenetische Grundgesetzt.Er stellte damit eine Verknüpfung zwischen Ontogenese(Individualentwicklung [Embryonalentwicklung]) und Phy-logenese (Stammesentwicklung [Evolution]) her.Das Biogenetische Grundgesetzt besagt, daß der Embryowährend seiner Ontogenese die Prozesse der Phylogeneserekapituliert. Das Gesetz wird aber heute in vielenLehrbüchern im Sinne der richtigen Auffassung von Ernstvon Baer und entgegen der ursprünglichen Auffassung vonErnst Haeckel interpretiert. Haeckel glaubte nämlich, daßder Mensch als Endstadium der Evolutionwährend seinerEmbryonalentwicklung Adultstadien (adult = erwachsen)niederer Organismen durchläuft. Die menschliche Eizelleentspräche danach dem adulten Zustand von Protozoen(Einzellern), die koloniebildenden Protozoen (Volvox , etc.)entsprächen dem Blastulastadium. Die embryonalen Kie-menspalten-Anlagen beim Menschen entsprächen dem

Abb. 4 A. Normale Entwicklung eines Seeigelkeimes (hier gezeigtbis zur Pluteuslarve) B. Trennung der ersten beiden Blastomeren des Seeigelembryos inCa

++/Mg

++-freiem Meerwasser.Aus beiden Blastomeren geht je ein

vollständiger, wenn auch, wie zu erwarten, verkleinerter Embryohervor.

adulten (erwachsenen) Stadium der Fische, beidenen die Kiemen als Dauerorgane (Atmung) er-halten bleiben. Haeckels Auffassung steht damitim Gegensatz zu der auch nach heutigenErkenntnissen richtigen Auffassung von Ernst vonBaer, der bereits vor Haeckel erkannte, daßsämtliche Vertebraten (Wirbeltiere)- Embryoneneinschließlich Mensch ein Kiemenspaltenstadiumdurchlaufen. Mit zunehmenden Alter nimmt derEmbryo jedoch das spezifische Aussehen seinerArt an. Mit anderen Worten: Der Embryo einerbestimmten Spezies durchläuft nicht das Adult-stadium anderer niederer Tierarten. Die Evolutionverläuft also nicht schienenförmig linear, sondernvergleichbar mit einen Laubbaum stark verzweigt.Nach der Deskriptiven Embryologie folgt ab ca.1890 die Experimentelle Embryologie, da mansich nun für die Ursachen bestimmter Embryo-nalabläufe interessierte.1. Driesch's Experimente mit Seeigeln. Durchtren-nung von 2-Zellstadien mit Glasnadeln oderDisaggregation mit Ca

++- freiem Meerwasser.

Ergebis: Aus den 2 Blastomeren des 2-Zellstadiumsgingen nach Separation zwei Embryonen hervor.Bevor man etwas von DNA (Desoxyribonuclein-säure) als genetischen Informationsträger wußte,nahm man an, daß sich die Zellen des Embryosdeshalb in verschiedener Richtung entwickelten

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

(Herz, Leber, Gehirnzelle), weil sie Unterschiedeim Kern aufwiesen. Weismann stellte die richtigeHypothese der Unsterblichkeit des Keimplasmas(Keimbahnzellen) im Gegensatz zur Ver-gänglichkeit der somatischen Zellen (NormaleKörperzellen) auf, was sich als falsch herausstellte.Weiterhin postulierte er, daß die Differenzierungauf ungleichen Kernqualitäten bei somatischenZellen und Zellen der Keimbahn beruhe. Boverilieferte den scheinbaren Beweis für diese Hypo-these anhand der Embryonal-entwicklung desPferdespulwurms (Ascaris megalocephalus [Pa-rascaris aequorum]).

Beim Ascaris megalocephalus (Parascarisaequorum), dem Pferdespulwurm, handelt es sichum einen Sonderfall im Tierreich. Bei dieserSpezies ist es tatsächlich so, daß die somatischenZellen (gewöhnliche Körperzellen) einen Teil ihrerDNA während der ersten Furchungsstadienverlieren (sogenannte Chromatin-Diminution).Lediglich die Kerne der Vorläuferzellen derKeimzellen (Geschlechtszellen) (Keimbahn)behalten den gesamten DNA-Bestand.

Abb. 5 Chromatin-Diminution bei Ascaris

Wilhelm Roux lieferte zudem den scheinbarenBeweis, daß die Kernqualitäten selbst vonsomatischen Zellen bereits nach der erstenZellteilung unterschiedlich sind. Durch seinAnstichexperiment einer der zwei Blastomerendes 2-Zellstaiums eines Amphibienembryos,entwickelte sich nur ein halber Embryo. Damitschien bereits im 2-Zellstadium die linke undrechte Seite des Embryos determiniert.

Abb. 6

A. Aufsicht auf eineNeurula. Die linke Blastomereim 2-Zellstadium mit einer heißenNadel angestochenB. Transversalschnitt der NeurulaC. Querschnitt durch eine Blastula (links derabgetötete Teil)D.Querschnitt durch eine früheGastrula (links derabgetötete Teil)E. Querschnitt durch eine späteGastrula (links derabgetötete Teil)F. Querschnitt durch eine frühe Neurula(links derabgetötete Teil)

Dagegen bestätigten Herlizka und Spemann späteran Amphibien die Ergebnisse von Driesch anSeeigeln. Roux erhielt nur deshalb einen halbenEmbryo, weil die abgetötete Blastomere dieverbliebene lebende daran hinderte, eineGesamtembryoanlage zu regulieren (s.unten).Damit sind wir bereits bei einem wesentlichenPrinzip der Embryonalentwicklung.Aus einer ungeteilten Eizelle geht nach einemProzeß der1. Furchung,2. Gastrulation,3. Neurulation und4. Organogeneseein vielzelliger Organismus hervor.

Wir werden später auf diese Prozesse zurückkom-men, die bei allen Wirbeltieren (Vertebraten) ein-schließlich Mensch zu finden sind.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Die Hypothese der unterschiedlichenKernqualitäten wurde widerlegt durch:1. Spemanns Versuch der verzögerten Kernver-sorgung2. Spemanns Schnürungsversuche3. Kerntransplantationsversuche von Gurdon

Abb. 7 Spemanns Versuch der verzögertenKernversorgung

Aus dem Spemannschen Experiment derverzögerten Kernversorgung können zwei wichtigeSchlußfolgerungen gezogen werden (detailierteErklärung während der Vorlesung). 1. Für dieEinleitung der Furchungsprozesse ist derZellkernvon zentraler Bedeutung 2.Zellkernebesitzen auch nach mehreren Teilungen noch diegesamte genetische Information, wie sie für dieRealisation eines vollständigen Embryoserforderlich sind (s. auch Kerntransplanta-tionsexperiment von Gurdon, Abb. 84, 85).

2.SchnürungsexperimenteEbenso wie das Experiment der verzögertenKernversorgung und die Kerntransplanta-tionsexperimente von Briggs, King, Gurdon undMinz belegen die Schürungsexperimente, daßKerne nach mehreren Zellzyklen nicht ihrenInformationsgehalt verlieren. Selbst in der frühenGastrula können aus den beiden Teilbereichenvollständige Embryonen hervorgehen, wenn beider sagittalen Schnürung beide Hemisphären dieHälfte der Umundlippe und des übrigen Keimeserhalten (Abb. 8 A,B).

Abb. 8 A. Schnürung des ungefurchten Eies B. Schnürung in der frühen Gastrula

VorlesungNeu PM76.März2003 06.03.2003, 22:26 Uhr21

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 9 Schnürung von frühen Gastrulae inverschiedenen Ebenen

Erfolgt die Schürung so, daß nur ein Fragment dieUmundlippe enthält, so entwickelt sich einnormaler Keim und ein Bauchstück(Abb. 9 C,D).Ich weise besonders auf die Nützlichkeit solcherExperimente für das bessere Verständnis für dieAbläufe bei höheren Vertebraten einschließlichMensch hin, da auch beim Menschen manchmalbauchstückähnliche Mißbildungen zusammen miteinem normalen Fetus gefunden werden. Das istauf asymmetrische Aufteilung des Embryoswährend der frühen Furchungsstadienzurückzuführen.

3. durch Gurdons berühmte Kerntransplantations-experimente (Abb. 84, 85).

4. Klonierung des Schafes Dolly aus Zellkernendes Euters eines erwachsenen Schafes.

Mit diesen Experimenten konnte eindeutig ge-zeigt werden, daß alle frühembryonalen Zellennoch über die gesamte genetische Information

verfügen, die zur Bildung eines vollständigen Or-ganismus erforderlich ist. Jedoch besitzen die ein-zelnen Zellen Unterschiede im Cytoplasma, z.B.Regulationsfaktoren einschließlich Transkriptions-faktoren und Induktionsfaktoren. Diese Faktorensorgen dafür, daß sichz.B. die eine Zelle zur Mus-kelzelle mit der Synthese von Myoglobin und eineandere Zelle zur Blutzelle entwickelt, die zur Syn-these von Hämoglobin, dem Blutfarbstoff, befä-higt ist. Es spielen bei diesen Prozessen jedochnoch andere Prinzipien neben der genetischenRegulation und Kontrolle eine wesentliche Rolle.Dazu gehören sekundäre Prozesse wie die Interak-tionen zwischen Zellen und Geweben. Große Be-deutung für die Normalentwicklung haben dieZelladhäsion und spezifische Zellerkennung. Ohnesie können die komplizierten Gestaltungsprozessewährend der Embryogenese nicht realisiert wer-den. Störungen dieser Abläufe führen zu Mißbil-dungen (z.B. Hasenscharte, offener Wirbelsäulen-bereich: Spina bifida etc.). Der Informationsflußverläuft nicht nur von der DNA (Kern) zur Plas-mamembran (Zelloberfläche), sondern gerade auchin umgekehrter Richtung von der Zelloberflächeüber plasmamembranständige Rezeptoren zumZellkern, z.B. im Falle der Wachtumsfaktoren undembryonalen Induktionsfaktoren. Störungen dieserProzesse und Signalwege spielen auch bei derKrebsentstehhung eine wesentliche Rolle.

Im folgenden möchte ich zunächst Grundprinzipi-en der frühembryonalen Entwicklung darstellenund werde später auf klassische und moderneUntersuchungen eingehen. Letztere kann manauch beschreiben als: Biochemie der Morphoge-nese oder Molekulargenetische Embryologie.

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Das berühmte Experiment der Kerntransplantationbei der Schirmalge Acetabularia hat gezeigt, welchezentrale Rolle dem Zellkern und seinen Produkten(vor allem der Boten-mRNA) zukommt(Hämmerling, 1934). Zu dieser Zeit (1934) kannteman noch so gut wie nichts über DNA- und RNA-Struktur und -funktion.Durch den Versuch konnte zweierlei gezeigtwerden:1. der Kern ist verantwortlich dafür, daß ein Schirmregeneriert wird ,2. der Kern ist für die artspezifische Ausbildungdes Schirmes verantwortlich (Abb.10A). DasFragmentierungsexperiment (Zerteilung der Algein apicale Spitze des Stiels, zentralen Teil undRhizoid (Abb.10 B) weist darauf hin, daß einemRNA (Boten-RNA) vorhanden sein muß. Wirdnämlich die Alge vor der Schirmbildung zerteilt,so ist die für die Schirmbildung notwendige mRNAvom Kern zum apikalen Teil des Stiels gewandert.Im Mittelteil befindet sich keine mRNA mehr. DasRhizoid mit dem Kern kann nach der Zerteilungerneut mRNA synthetisieren. Somit erklärt sichder Befund, daß sich aus Rhizoid und apicalen Teildes Stiels, nicht aber aus dem Mittelteil, ein Schirmbilden kann. Der Beweis, daß tatsächlich Boten-mRNA für die Ausbildung des Schirmsverantwortlich ist, wurde erst viel später durcheinen Hämmerling-Schüler (Prof. Schweiger) undMitarbeiter, erbracht (Kloppstech und Schweiger(1975): Polyadenylated RNA from Acetabularia.Differentiation 4, 115-123. Das klassischeExperiment von Hämmerling (1934) steht inÜbereinstimmung mit dem heute generellanerkannten sogenannten Dogma der Molekular-biologie: DNA → RNA (mRNA) → Protein.Die DNA kodiert für spezifische mRNAs, die inspezifische Strukturproteine (z.B. im Acetabularia-Schirm) translatiert werden. Diese Prozesse sindjedoch wesentlich komplexer. Siewerdenausführlich in meiner Vorlesung“Entwicklungs-biologie und Zellbiologie”(Hauptstudium) behandelt.

Modellsysteme zum Nachweisder zentralen Bedeutung desZellkernes für die Steuerung derEntwicklung

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liche Vermehrungsformen. Somit läßt sich beiVolvox bereits ein zentrales Prinzip der Entwick-lungsbiologie dokumentieren: die Differenzierungin somatische (Körper) Zellen undGeschlechtszellen (Keimzellen). DiesesGrundprinzip ist nicht nur für dieEntwicklungsbiologie sondern für die gesamteBiologie von umfassender Bedeutung. BeimVielzeller können die Keimzellen (Geschlechts-zellen) als unsterblich angesehen werden. SämtlichProzesse und Disziplinen der Biologie sind daraufausgerichtet, daß die Keimzellen in Form einernächsten Generation überleben. Bekanntlich wirdhierfür

Abb. 4

Abb. 10

Vom Einzeller zum Vielzeller (Auftreten desPhänomens Tod in der Evolution und dieAusbildung von Arbeitsteilung undSpezialisierung

Niedere Organismen (Bakterien oder einzelligeAlgen) vermehren sich durch Quer- oderLängsteilung. Bei diesen Lebewesen gibt es keineLeiche. Demnach sind sie, solange keineUmweltkatastrophen eintreten, unsterblich. ErsteSchritte einer Spezialisierung zeigen bestimmteAlgen in “männliche” und “weibliche” (besser +und (-)- Typen) Genotypen [Phänotyp istidentisch](Abb.11a) Der nächste Evolutionsschrittist eine Zusammen-lagerung von Organismengleichen Phänotyps zu einem Pseudovielzeller(Abb. 11b). Das erstmalige Auftreten desPhänomens Tod und dem Übrigbleiben einer Leicheund lebender Nachkommen ist bei der Alge Volvoxzu beobachten (Abb. 11d ).Weiterhin entstehen bei Volvox in Form einesGenerationswechsels vegetative und geschlecht-

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mittels der somatischen Zellen (den“gewöhnlichen” Körperzellen) bei den höchstentwickelten Organismen ein sehr hoher Aufwandbetrieben. Sämtliche evolutionären “Errungen-schaften” dienen dem Ziel, ein Optimum derÜberlebensfähigkeit der Keimzellen einesIndividuums oder einer ganzen Spezies zuerreichen.Diesem zentralen Ziel dienen:1) Struktur der Organismen (Morphologie undAnatomie)2) Physiologie (neurale und vegetative Physiologie)und3) Anpassung an die Umwelt (Ökologie,Verhaltensbiologie)

1), 2) und 3) sind eng miteinander korreliert. Sobieten z.B. besonders leistungsfähige Sinnesorgane(statt Grubenaugen → Linsenaugen*) undbesondere Verhaltensweisen (z.B. Ernährungs-spezialisten) einen Selektionsvorteil gegenüberanderen Tieren (siehe Lehrbücher der Physiologie,Ethologie und Evolution). Das gilt besonders, wenndiese Leistungen optimal an die jeweiligeUmgebung angepaßt sind.

*) Recht spektakuläre neueste entwicklungs-biologisch/ molekulargenetische Erkenntnisse derArbeitsgruppe von Prof. Gehring deuten daraufhin, daß offensichtlich das Auge bei verschiedenenTierarten und Tierklassen während der Evolutionnicht immer wieder neu "erfunden" wurde.Trotz erheblicher morphologischer undfunktioneller Unterschiede der adultenSinnesorgane sieht es so aus, als wenn für dieAnlage aller Augentypen sehr ähnliche ent-wicklungsbiologische Stategien verwendet wurdenund werden [Mastergen-Prinzip] (siehe Seite 137).

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Abb. 12

Ein sehr interessantes Lebewesen, das sowohl alsEinzeller als auch als Vielzeller vorkommt, ist derSchleimpilz Dictyostelium discoideum (Abb. 12).Neben dem Prinzip der Differenzierung insomatische Zellen und Keimzellen, finden wir hierdie Aggregation von Einzelzellen zu einemGewebeverband. Für diesen Prozess sind schonspezielle Zellerkennungsmechanismen undcharakteristische Signalmoleküle (Acrasin)erforderlich. Für diesen wichtigen evolutionärenSchritt der selektiven Zellerkennung (mutual cellaffinity) sind ähnlich wie bei der primitivenZellverbandbildung der Schwämme schon rechtkomplizierte extrazelluläre Matrixstrukturen(wesentliche Bestandteile: Glykoproteine,Glukosaminoglykane, Catherine, Catenine, CogninN-CAM, C-CAM, etc.) erforderlich.

Dictyosteliumdiscoideum

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Bei Amphibien erfolgt nach der Neurulation dieEinwanderung der Urgeschlechtszellen in dieUrogenitalleiste (Abb. 14 B, 15 A).

Bei Vögeln erfolgt die Wanderung über die Blut-wege (Adern) ausgehend von einer sichelförmigenRegion des Entoderms (Abb. 14 C, 15 B) an dervorderen Grenze der Keimscheibe. Dann erfolgtdie Einwanderung in das embryonaleBlutsystem.Dieser Vorgang wird als Diapedesisbezeichnet (Abb. 15 B). Über den Blutkreislauferreichen die Urgeschlechtszellen dieGenitalleisten.

A

B

Abb. 13

C

Abb. 15 Vorgang der Urgeschlechtszellen-wanderung

Bildung und Wanderung der Keimzellen

Ausgangspunkt jeder frühembryonalen Entwick-lung ist die Entstehung reifer Eier (Oozyten) undSamenfäden (Spermatozoen). Der erste Schritt istjedoch die Entwicklung von Urgeschlechtszellen,die bereits sehr früh in der Embryonalentwicklungnachzuweisen sind.Es können schon bald in derOntogenese Keimzellen von somatischen (Körper-)Zellen unterschieden werden. Differenzen beste-hen im RNA-Gehalt im sogenannten Keimplasmades Eies, das in die zukünftigen Keimzellen inte-griert wird. Solches RNA-reiche Keimplasma fin-det man bei den Insekten im posterioren (hinteren)Keimbereich, das in die Keimzellen integriert wird(Abb. 13 B). Der Nach-weis, daß dort die Keimzel-len lokalisiert sind, wurde durch folgendes Expe-riment erbracht:Durch UV-Bestrahlung des caudalen Keimberei-ches des Insekteneies ergaben sich sterile Indivi-duen.

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Prozesse bei der Keimzellbildung

Meiose

Sobald die Urgeschlechtszellen in die Gonadeneingewandert sind (Abb. 14 C, 15), teilen sie sichvielfach ( ständig sich wiederholende Mitosen).Damit wird die Voraussetzung für die Produktioneiner großen Zahl von Gameten geschaffen.Sowohl während der Oogenese als auch der Sper-matogenese muß der Chromosomenbestand vondiploid (2n) auf haploid (n) reduziert werden.Dieser Prozess wird als Meiose bezeichnet.Nach der letzten mitotischen Teilung folgt einePeriode der DNA-Synthese (S-Phase), so daß dieZellkerne der Keimzellen bei ihrem Eintritt in dieMeiose über die zweifache DNA-Menge (4 C)verfügen. In dieser Phase besteht jedes Chromo-som aus zwei Schwester-Chromatiden (sister chro-matids), die über ein gemeinsames Centromermiteinander verbunden sind. In anderen Worten:Obgleich dipoid, enthält die Zelle 4 Kopien jedesChromosoms, aber die Chromosomen erscheinenals zwei Chromatiden, die miteinander verbun-den sind. Die Meiose umfaßt zwei Zellteilugen.Bei der ersten Teilung paaren sich homologeChromosomen und werden dann auf verschiede-ne Zellen verteilt. Daher werden in der 1.Reifetei-lung homologe Chromosomen auf zwei Tochter-zellen verteilt und zwar in der Weise, daß jedeZelle nur eine Kopie eines jeden Chromosomserhält. Aber jedes Chromosom hat sich bereitsredupliziert. Die 2. meiotische Teilung separiertdann die zwei Schwester-Chromatiden voneinan-der. Folglich besitzt jede der 4 entstandenen Zel-len eine einfache (haploide) Kopie eines jedenChromosoms.Die erste meiotische Teilung (1.Reifeteilung)beginnt mit einer langen Prophase, die in fünfTeilabschnitte gegliedert werden kann:

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Abb. 15

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Leptotän (griechisch: dünner Faden)

Während dieses Stadiums liegt das Chromatindes Chromatids als langer dünner Faden vor, sodaß einzelne Chromosomen nicht identifiziertwerden können. Die DNA-Replikation hat bereitsstattgefunden und jedes Chromosom besteht aus2 parallel angeordneten Chromatiden.

Zygotän (griechisch: paariger Faden)Im Zygotän legen sich homologe Chromosomen(väterlicher-mütterlicher Herkunft) eng neben-einander in sehr exakter Anordnung. Diese Paa-rung wird als Synapse bezeichnet und ist typischfür die Meiose. Dieses Phänomen tritt in derMitose nicht auf. Obwohl der Mechanismus , wiejedes Chromosom seinen homologen Partner er-kennt, unbekannt ist, so scheint es doch sicher,daß die Kernmembran für diesen Prozess beson-ders wichtig ist. Da sich die Chromosomen aneinem Punkt der Membran blumenstraußähnlichanordnen, wird dieses Stadium auch als Bukett-stadium bezeichnet. Weiterhin ist ein proteinhal-tiges Band für diese reißverschlußähnliche Zu-sammenlagerung der Chromosmen erforderlich,welches als Synaptischer Komplex bezeichnetwird. Dieser Komplex ist eine leiterartige Struk-tur mit einem zentralen Element und zwei latera-len Balken. Das Chromatin ist assoziiert mit denzwei lateralen Balken. Dadurch kommt die Kop-pelung zwischen den beiden Chromatiden zu-stande. Die Konfiguration, die durch die 4Chromatiden und den Synaptischen Komplexgebildet wird , wird auch als Tetraden-Stadiumoder als Bivalent-Stadium bezeichnet.

Pachytän (griechisch: dicker Faden)

Während der nächsten Phase der meiotischenProphase verdicken und verkürzen sich die Chro-matiden. Individuelle Chromosomen können jetztim Lichtmikroskop unterschieden werden. In die-sem Stadium findet Crossing-over statt. Cros-

sing-over bewirkt den Austausch von geneti-schem Material von homologen Chromosomen(Genen) von einem zum anderen Chromatid.Dieses Crossing-over setzt sich auch im nächstenStadium, dem Diplotän, fort.

Diplotän (griechisch: doppelter Faden)

In diesem Stadium löst sich der Synaptische Komp-lex auf und die 2 homologen Chromosomen be-ginnen sich voneinander zu trennen. Normaler-weise bleiben sie aber noch an verschiedenenStellen, sogenannten Chiasmata, verbunden. Indiesen Bereichen hat das Crossing-over stattge-funden. Bei einigen Species (z.B. Amphibien)nehmen die Chromosomen sowohl männlicherals auch weiblicher Keimzellen in dieser Phasedas Aussehen von Lampenbürsten (Lampenbür-sten-Chromosom) an. Diese Chromosomen syn-thetisieren äußerst aktiv RNA. Die Lampenbür-stenchromosomen bilden äußerst stabile und aus-gedehnte Schleifen (Loops) aus, die mit neu trans-kribierter RNA, verpackt in RNA-Proteinkomple-xe, bedeckt sind. Aufgrund dieser Hülle kannman diese Lampenbürstenchromosomen im Ge-gensatz zu anderen Chromosomen im gleichenMeiose-Stadium selbst im Lichtmikroskop er-kennen.

Diakinese (griechisch: sich auseinander bewe– gen)

In diesem nächsten Stadium wandern die Centro-meren auseinander und die Chromosomen blei-ben nur am Ende der Chromatiden miteinanderverbunden. Dieses letzte Stadium der meiotischenProphase endet mit der Auflösung der Kernmem-bran und dem Auseinanderwandern der Chromo-somen. Sie bilden dann die Metaphase-Platte.

Während der Anaphase I trennen sich homologeChromosomen voneinander.

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Telophase I

Es folgt die Telophase I, in der zwei Tochterzellengebildet werden, wobei jede Zelle einen Partnerjedes homologen Chromosomenpaars erhält.

Interkinese

Nach einer kurzen Interkinese findet die zweitemeiotische Teilung statt. Während dieser Teilungteilt sich jedes Centromer eines jeden Chromo-soms während der Anaphase II , so daß jede derTochterzellen eins der zwei Chromatiden erhält.Das endgültige Ergebnis ist die Bildung von 4haploiden Zellen.

Spermatogenese

Aus den Urkeimzellen (entodermale Wanderzel-len) gehen nach Vermehrungsphasen, Wachs-tumsphasen, Reifeteilungen und Spermiohisto-genese (Differenzierung) die fertigen Spermienhervor.Zwei wichtige Prinzipien gelten bei der Sper-mienbildung (dies trifft übrigens auch für dieOogenese zu):1. Während der Entwicklung von der Urkeimzellezu den reifen Keimzellen (Gonen) wird der Chro-mosoemenbestand reduziert (2 n → n), damit beider Befruchtung wieder ein diploider Zustanderreicht werden kann.2. Während der Meiose finden Chromosomen-konjugationen statt (Austausch von Chromatinbe-reichen und damit Genbereichen), die eine Neu-kombination des Erbmaterials ermöglichen.

Während dieser Periode der Praespermidentei-lungen laufen die Reifungsprozesse (Meiose) ab.Die Spermatiden sind genetisch gesehen fertigeGameten (haploid = n).

Aus 1 Spermatocyte I. Ordnung gehen hervor →2 Spermatocyten II. Ordnung → 4 Praespermiden→ 4 Spermiden. Es erfolgt dann die Differenzie-rung zu 4 Spermien.Dadurch werden folgende Ergebnisse erzielt: In2 Teilungsschritten entstehen 4 Gonen. Man un-terscheidet eine erste und eine zweite Reifetei-lung. Oogenese und Spermatogenese unterschei-den sich durch die Anzahl der entstehenden rei-fen Geschlechtszellen. In der Spermatogenesegehen aus den nach den Spermatocytenteilunghervorgehenden 4 Gonen (Spermatogonien) 4Spermien hervor. Bei der Oogenese dagegen gehtaus einer Gone nur 1 reife Eizelle [Oogonium],hervor. Gleichzeitig entstehen 3 degenerierendePolkörperchen.

Spermiohistogenese(Abbildungen werden in der Vorlesung gezeigt)

Spermien der verschiedenen Tierarten sind rechtunterschiedlich aufgebaut, deshalb hier nur dieSchilderung allgemeingültiger Tatsachen.

1. Der Kern weist geringe Veränderungen bei derEntwicklung der Spermatide zum Spermiumauf. Er wird nur länglich und paßt sich derKopfform des Spermiums an. Chromatin wirdunsichtbar, Kern erscheint homogen und färbtsich dunkel an.

2. DieSpermiden besitzen 2 Centriolen: proxima-les und distales Centriol. Aus dem distalenwächst der Schwanzfaden aus. Das Cytoplas-ma kommt um die Centriolen zu liegen.

3. Das Akrosom (enthält Enzyme zum Eindringenin die Eizelle) entsteht in engem Zusammen-hang mit dem Golgiapparat in Kernnähe.

4. Die Mitochondrien ordnen sich im Mittelstückdes Spermiums an.

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Aufbau des reifen Spermiens (Ausnahme z.B.Ascaris: kein Mittel- und Schwanzteil)KopfHalsMittelstückSchwanz

Spermienübertragungsmechanismen

Jeder Paarbildung im Tierreich einschließlichMensch geht ein Synchronisationsvorgang(Vorspiel, Balz) voraus, der besonders dringenderforderlich ist bei Spezies, die keine innereBesamung (mittels spezieller Geschlechtsorgane[Penis, Männchen] ) aufweisen (z.B. Seeigel,Stichling, Hering oder Schwanzlurche [Urodela]).Trotz optimaler hormoneller Gegebenheiten undReifezustand der Gonaden (Jahreszeit plus Balz)würde eine asynchrone Ei- und Spermaabgabe(räumlich und zeitlich stark differierend) nicht zurBesamung der reifen Eizelle führen. Ein sehr gutesBeispiel für diese Synchronisationsabläufe ist dieBalz der Schwanzmolche (Molche, Urodela)(Abb.17, 18 ). Man kann dieses Paarungsverhaltenim Frühjahr in klaren Teichen beobachten. NachAnlocken des Weibchens durch Pheromone(Geschlechtsduftstoffe) setzt das Männchen eineSpermatophore (Spermaträger mit gelatine-ähnlicher Konsistenz) auf dem Substrat (z.B.Teichboden) ab (Abb. 16).

Abb. 16 Spermatophore der Urodelen

Oogenese

Die Meiose läuft ähnlich ab wie bei der Spermato-genese. Unterschiedlich ist nur, daß im Gegensatzzur Spermatozyte 1. Ordnung(Ergebnis: 4 Sper-mien) aus der Oozyte 1. Ordnung nur ein reifes Eihervorgeht. Im Vergleich zur Spermide (Sperma-tide) unterscheidet sich die reife Eizelle äußerlichkaum von der Oozyte (aber genetisch).Die Oozy-tenentwicklung geht folgendermaßen vor sich: Eserfolgt die erste Reifeteilung: die Chromosomenkondensieren und die reduplizierten homologenChromosomen separieren sich in der Anaphase Iin zwei Tochterkerne. Jeder dieser Kerne enthältdie Hälfte der ursprünglichen Chromosomenzahl.Gegen Ende der 1.Reifeteilung teilt sich das Cyto-plasma asymmetrisch, so daß zwei Zellen unter-schiedlicher Größe entstehen, nämlich 1 kleinesPolkörperchen und die große Oozyte II. Ordnung.Zu diesem Zeitpunkt besteht jedes Chromosomnoch aus 2 Schwesterchromatiden. Diese Chro-matiden werden erst in der 2.Reifeteilung sepa-riert und in 2 Tochterzellen verteilt. Dieser Pro-zess ist identisch mit einer normalen Mitose . Nachdieser letzten Chromosomenseparation in der Ana-phase II teilt sich das Cytoplasma der großenOozyte II.Ordnung wieder asymmetrisch. Das Er-gebnis ist das reife Ei und ein zweites Polkörper-chen mit jeweils haploider Anzahl von Chromoso-men. Das 1 Polkörperchen kann sich ebenfallsnochmals teilen, so daß insgesamt 3 Polkörper-chen entstehen, die anschließend degenerieren.Bei den meisten Vertebraten schreitet die Oozy-tenreifung bis zur Metaphase der 2.Reifeteilungfort und bleibt in dieseStadium stehen (Monate bisJahre). Bei der Ovulation wird die OozyteII.Ordnung aus dem Ovar freigesetzt und vollen-det nach dem Endringen des Spermiums dieMeiose.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Das Weibchen nimmt bei erfolgreicherSynchronisation das Spermapaket (Abb. 13, grauerBereich) an der der Spitze der Spermatophore inihre Kloake auf. (Abb. 18 C,F, 19 ).

Abb. 19 Kloake des Molchweibchens

Die Besamung jedes einzelnen Eies erfolgt durchdie in der Spermatheca aufbewahrten Spermien.

Wie gelangen die Spermien zum Ei? (alle Tiere):1. Spermien werden bei wasserlebenden Formen

in das Süß-oder Salzwasser abgegeben:Echinodermen, Mollusken, Fische, Amphibien(Anura= Froschlurche). Es kann bereits eineArt Begattung vorkommen: Bei Fröschen: dasMännchen umklammert bei der Spermaabgabedas Weibchen oder kommt in enge Berührungmit ihm(Abb.20). Die Umklammerung oderder Kontakt wird solange aufrechterhalten, bisdie Eier besamt sind.Dies geschieht beiHymenochirus an der der Wasseroberfläche(Abb.21D). Bei einer anderen Spezies(Ascaphus truei) besitzt das Männchen bereitseinen penisartigen Fortsatz, der bei derBegattung des Weibchens in die Kloakeeingeführt wird (Abb. 22). Bestimmte Fische(Lebendgebärende Zahnkarpfen) haben eineumgeformte Bauchflosse (penisartig), dieebenfalls innere Befruchtung ermöglicht.

2. Ablage der Spermamasse in oder auf einerKapsel (Spermatophor, Samenstift, Abb.16)und Aufnahme des Samenpakets in die Kloake

Abb. 17 Molchbalz (Triturus vulgaris, Teichmolch)

Abb. 18 Details der Molchbalz von Triturus cristatus (Kammolch)

Balz und Besamung bei Schwanzlurchen

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 20 Verschiedene speziesspezifischePositionen bei der Begattung von Fröschen

Abb. 21 Begattung bei Hymenochirus

bei Insekta, Turbullaria, Cephalopoda,Amphibia (Urodela) [Kloake =Endbereich desUrogenitaltrakts=Mündung von Geschlechts-und Exkretionsprodukten].

3. Innere Besamung (Begattung) setzt die Bildungspezieller Begattungsorgane voraus: Viele Sau-ropsiden und Säuger.

Abb. 22 Begattung bei Ascaphus truei

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Bei Gastrotheca cornuta werden dieabgelegten Eier in eine Rückentasche desWeibchens geschoben. Dort entwickeln siesich zur Larve. Das feuchte Milieu derTasche enthält relativ hoheHarnstoffkonzentrationen (urea), die fürdie normale Entwicklung sogar notwendigsind

(Del Pino, E.M., Alcocer, I. and Grunz, H. (1994).Urea is necessary for the culture of embryos of themarsupial frog Gastrotheca riobambae, and istolerated by embryos of the aquatic frog Xenopuslaevis. Development Growth & Differentiation36:73-80).

Abb. 23 Verschiedene Frösche mit intensiverBrutpflege

Die Eier von Hemiphractus johnsoniwerden auf dem Rücken des Weibchensangeheftet. Das Colestethus-Männchensetzt sich mit den Hinterbeinen in dieGallertmasse, die die kurz vor dem Schlüfenstehenden Larven (Kaulquappen) enthält.Aus den geplatzten Gallerthüllen bewegensich die Larven auf den Rücken desMännchens , wo sie durch klebriges Sekretangeheftet werden. Alle drei Froschartensuchen kleine Teiche auf, sobald die Larvenschwimmfähig sind.Der einzige "eiertransportierende"europäische Frosch ist die Geburts-helferkröte (Alytes). Das Weibchen übergibtdie Eischnüre an das Männchen, das diesean seine Hinterbeine befestigt. DieBetreuung erfolgt bis zum Schlüpfen undEinbringen der Larven in nahrungsreicheTeiche.

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Befruchtung bei Seeigeln(Ideales Beispiel für den Besamungs- und Be-fruchtungsvorgang)

Es kann zwischen Besamung und Befruchtungunterschieden werden. Unter Besamung kann mansämtliche Abläufe von der Abgabe der Spermienbis zum Eindringen in die Eizelle definieren. Dieeigentliche Befruchtung kann man gleichsetzenmit der Verschmelzung des weiblichen und männ-lichen Vorkerns. Der Einfachkeit halber werdendie unten dargestellten Prozesse aber unter demBegriff Befruchtung beschrieben.Die Furchung des Seeigeleies erfolgt total, inä-qual. Die Entwicklung der Seeigel ist besondersgut untersucht, weil die Eier leicht zu erhalten undzu beobachten sind(transparente Embryonen). DieEmbryonen entwickeln sich außerhalb des mütter-lichen Organismus und sind bis zurschwimmfähigen Larve und darüber hnaus trans-parent.

Der Vorgang der Befruchtung kann bei Seeigelnunter dem Mikroskop verfolgt werden. Ei undSpermium müssen so konstruiert sein, daßfolgende Prozesse gewährleistet sind, damit eineerfolgreiche Besamung erreicht wird:1. Auffinden des Eies durch das Spermium2. Besamung des Eies bei gleichzeitiger Verhinde-

rung der Mehrfachbesamung.Bei 1. sind vor allem chemotaktische Prozesse

beteiligt.Für 2. sind eine Reihe von Teilprozessen verant-

wortlich:

1. Nach Eindringen des Spermakopfes hebt sichdie Befruchtungsmembran vom Ei ab und zwarinnerhalb von 10-20 sec. Erst ist sie gewellt,wird dann aber schließlich glatt und sehr wider-stansfähig.

2. Nach 2 Min. ist dieser Vorgang beendet und dieMembran ist für weitere Spermien undurch-

dringlich.

Die Bildung der Befruchtungsmembran ist eineReaktion der äußeren Cytoplasmaschicht, der Ei-rinde (Cortex).Sie ist bei Seeigeln 1-1,5 µm dick und enthält einegleichmäßige Schicht spezifisch färbbarer Granu-la. Bei der nach Auftreffen des Spermiums auf dieEioberfläche einsetzende Cortexreaktion werdenvon der Eirindenschicht Cortexgranula die Muco-polysaccharide (polyanionische Glucosaminogly-cane) enthalten, in Tropfen vereinigt zur Dotter-membran hin ausgeschieden.

Die Tröpfchen verschmelzen mit der Dottermem-bran, die damit zur sehr stabilen Befruchtungs-membran wird. Sie verhindert das weitere Ein-dringen von Spermien.

Vorgang der Befruchtung (generelle Aussage)

Das Acrosom öffnet die Gelatinehüllen (äußerenEihüllen) dort wo das Spermium auftrifft.Proteolytische Enzyme (Proteasen) sind dabeibeteiligt. Es bildet sich vom Acrosom ein Filament,das in die Oberfläche des Eies eindringt. DieMembranen des akrosomalen Vesikels und derEimembran fusionieren. Durch den entstehendenKanal wird der Spermakern, Mitochondrien undFlagellum in das Ei gezogen. Flagellum und Mito-chondrien lösen sich auf. Deshalb gehen im Embryoalle Mitochondrien auf den mütterlichenOrganismus zurück.Bei einigen dotterreichen Eiern (Selachier, Vögel,Amphibien) kommt es zu physiologischer Poly-spermie. Aber auch in diesem Falle kommt nur einSpermakern zur Befruchtung. Die übrigen gehenentweder zugrunde oder sorgen als sogenannteMerocytenkerne für die Verflüssigung (Verstoff-wechselung) des Dotters.Die Cortexgranula können sich auch bei den Oo-

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zyten bestimmter Tierarten in doppelt lichtbre-chende Stäbchen verwandeln. Aber auch sie wer-den im Normalfall in die Dottermembran eingela-gert, wodurch die widerstandsfähige Befruchtungs-membran entsteht.Nach neueren Auffassungen enthalten die Cortex-granula (in Wirklichkeit Vesikeln) Mucopoly-saccharide (besser: polyanionische Glucosamino-glykane), die nach ihrer Freisetzung osmotischwirksam werden.Durch die sich abhebende Dottermembran wirdWasser (Amphibien) oder Meerwasser (Seeigel)von außen her aufgenommen. Die perivitellineFlüssigkeit ist dann hoch viskos, so daß die Eizelleschließlich überall den gleichen Abstand von derMembran einhält.

Granula oder Stäbchen, die in die Dottermembranaufgenommen werden, sorgen für die Bildung derwiderstandfähigen Befruchtungsmembran.

Nach Ausscheidung der Granula verändert sichauch die Rinde (Cortex) des Eies. Sie wird gelati-nös fest. Das Ei regiert nach der Befruchtung aufDruck wesentlich unempfindlicher.

Mit der Entstehung der Befruchtungsmembran,auch als Cortikal-Reaktion oder Eiaktivierungbezeichnet, gehen tiefgreifende Veränderungenin der Ultrastruktur der Ei-Cortex einher. DieCortex-Granulae (Vesikeln) öffnen sich zumperivitellinen Raum. Sie enthalten Proteasen undGlykoproteine stark sauren Charakters (sogenanntesaure Polysaccharide oder Mucopolysaccharide[neue Bezeichnung: polyanionische Glucosamino-glykane], die die sehr sauren SO3H-gruppen ent-halten). Der chemische Aufbau und die Unter-scheidung von Proteinen, Glykoproteinen, Gly-kosaminoglykanen werden in meiner Haupt-studiumvorlesung"Entwicklungsbiologie undZellbiologie" erläutert. Diese saurenProteoglykane prezipitieren, sobald sie mit Was-ser in Berührung kommen und fangen sofort anmit der Dottermembran zu interagieren. Das Er-

Abb. 24

Vorgang der Befruchtung bei Amphibien

Der Vorgang verläuft ähnlich wie bei den See-igeln. Die Befruchtungsmembran verhindert dasEindringen weiterer Spermien. Bei Amphibienkommt aber Polyspermie vor, wahrscheinlichdeshalb, weil die Cortex-Reaktion sehr langsamabläuft.

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3. Ausbildung einer Pseudoplacenta bei einzel-nen Reptilien (Ausnahmen). Hierbei handeltes sich um eine allantoide* Placenta.[*Allantois: aus dem Griechischen: schlauch-förmig; Ausstülpung des Enddarmes. Hat dieFunktion der embryonalen Harnblase]Sie nimmt als Chorioallantois mit der Uterus-schleimhaut engen Kontakt auf. Die Placentaist vom endothelio-endothelialen Typ. Bereitsfetal-maternaler Stoff(Gas)austausch (aber Eierenthalten noch Dotter).

4. Bei den Säugetieren (Mammalia) wird einSpezialorgan (Placenta ) ausgebildet, das alsVermittler für Stoff- und Gasaustausch zwi-schen Fetus und maternalen Organismus dient.Die Eizelle hat es nun nicht mehr nötig, Nähr-dotter zu speichern. Mamalia-Eier (Ausnah-me: Monotremata) sind dotterfreie Eizellen.[ Es handelt sich aus stammesgeschichtlicherSicht um sekundär dotterarme Eier].

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß CarlErnst von Baer 1827 als erster eine Eizelle einesSäugetieres beobachtet hat (im Graafschen Fol-likel des Hundes). Obwohl die Eizelle der Säu-getiere eine der größten Zellen des Körpers ist(beim Menschen ø 120-150 µm) ist sie jedoch zuklein, als daß an ihr früher Manipulationendurchgeführt werden konnten. Ein Großteil ent-wicklungsbiologischer Erkenntnisse wurden anAmphibienkeimen erzielt. Beim Säuger und spe-ziell beim Menschen ergeben sich im Gegen-satz zu Amphibien eine Reihe vonSchwierigkeiten

Vergleich des Eies bei Säugern (einschließlichMensch) und Amphibien

Säugerei

1. Ei sehr klein (0,12-0.15 mm = 120-150 µm)[Ausnahmen: Monotremata]

2. Ei wächst im maternalen Organismus heran[Deshalb nicht gut beobachtbar]

gebnis ist die Bildung einer fast kristallinen,widerstandsfähigen Befruchtungsmembran.Gleichzeitig treten Veränderungen in der Polaritätdes Eies auf. Dafür ist das Amphibienei ein sehrgutes Beispiel. Gegenüber dem Eintrittspunktsdes Spermiumsbildet sich durch Verlagerung des in der Cortexangeordneten Pigments (maternale Melaningra-nula) zum animalen Pol eine pigmentärmereZone, der sogenannte graue Halbmond. DieserBereich ist mit der zukünftigen (präsumptiven)Dorsalseite des Keimes, aber nicht exakt mit derder dorsalen Urmundzone(SpemannscherOrganisator-Bereich, identisch (Abb. 24).Damit ergeben sich bereits 2 wesentliche Polari-täten des befruchteten Eies:animal-vegetativ und dorsal-ventral.

Während der Evolution haben sich unterschiedli-che Entwicklungstypen (in Beziehung zum ma-ternalen [mütterlichen] Organismus) herausgebil-det:

1. Fische legen ihre Eier, nachdem sie aus demEierstock freigesetzt worden sind, im Wasserfrei ab, wo sie besamt werden.Amphibien legen die befruchteten Eier an Grä-sern oder Wasserpflanzen ab. Schwanzlurchelegen die Eier zwischen mit den Hinterbeinengefalteten Wasserpflanzen ab (Schutz vor Räu-bern).

2. Schutz durch den mütterlichen OrganismusDas Ei verbleibt im mütterlichen Organismus,liegt aber wie ein Fremdkörper im Oviduktohne innigen Kontakt zum mütterlichen Orga-nismus ( Haie, Alpensalamander; letzterer hatdiese Art der "Brutpflege" wegen der ungünsti-gen Umweltbedingungen entwickelt; Hautta-schen auf dem Rücken tropischer Frösche, z.B.species Gastrotheca).

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3. Ei ist dotterarm, muß nach Experimenten reim-plantiert werden (bisher unter in vitro Bedin-gungen nur kurze Aufzucht möglich).[in vivo =unter normalen Lebensbedingungen. Hier: immütterlichen Organismus; in vitro = in Zellkul-tur]

4. Bei Experimenten am menschlichen Embryo Probleme ethischer und moralischer Natur.

Amphibien

1. Ei relativ groß (1-2 mm).2. Ei entwickelt sich außerhalb des mütterlichen

Organismus (deshalb experimentell leicht zugänglich).

3. Der am besten untersuchte Vertebraten (Wirbeltier)-Embryo.

4. Ei ist dotterreich, jede Zelle besitzt eigenenDottervorrat. Explantations- und Transplanta-tionsexperimente sind ohne die erst seit neuererZeit zur Verfügung stehenden kompliziertenKulturmedien durchführbar.

5. Keine Probleme ethischer Natur.

Man kann verschiedene Eitypen unterscheidennach der Dotterbeschaffenheit und der Dotter-menge.Die Größe der Eizelle steht in Beziehung zu ihremDottergehalt. Die polylecithalen Eier erreicheneinen beachtlichen Durchmesser (Teleostier, Rep-tilien und Vögel). Aber auch mesolecithale Am-phibieneier sind noch recht groß (Axolotl 2 mm ø,Triturus 1,5 mm, Krallenfrosch 1 mm). Unter denSäugetieren weisen die Monotremata die umfang-reichsten Eier auf (ø 3,5 - 4 mm). Die Eier derBeuteltiere(Beutelmarder [Dasyurus] 240 µm) sindebenfalls noch weit größer als die der Eutheria(höhere Säuger, placentale Säuger): 60-180 µm

Die Eier können sich unterscheiden in folgendenMerkmalen:

1. Dotter a) Verteilung b) Menge c) Beschaffenheit

2. Eihüllen und Schalen

I. Primäre Membranen, von der Eizelle gebildet, z. B. Membrana vitellinaII. Sekundäre Mem-

branen vom Follikelepithel im Ovar gebildet, z.B. Zona pellucida oder sogen. „Chorion“ derNematoden.

III. Tertiäre Membranen und Schalen werden imOviduct gebildet, z.B. Gallerhülle bei Anurenund Urodelen, Hornschalen der Selachier, Ei-weißschicht im Vogelei, Kalkschale der Sau-ropsideneier.

3. Pigmentierung (Embryonalpigment bei Amphibien)

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Bei den Amphibien [total, inäquale Furchung,Holoblastier] ist die animal-vegetative Achse (ani-mal-vegetativer Gradient) bereits vor dem Sper-maeintritt festgelegt. Durch den Spermaeintrittwird zusätzlich die dorsal/ventrale (Rücken/Bauch)- Symmetrie bestimmt. (Abb. 24). Die Ver-teilung von Dotterkörnern ist inhomogen. Bei denAmphibien besitzt jede Zelle bis hin zur schwimm-fähigen Larve ihren eigenen Dottervorrat. JedeZelle ist also mit ihrer Ernährungsreserve versorgt.Bei den höheren Vertebraten ist das anders, wiewir sehen werden. Neben einem Dottergradientenkann bei den Amphibien ein ribosomaler Gradientfestgestellt werden. Eine Neusynthese von m-RNAund folglich von Proteinen (im Zusammenspielmit den Ribosomen) kann erst mit Beginn derGastrula nach der sogenannten Midblastula-Tran-sition (MBT) erfolgen. Die meisten Ribosomensind frei, wenige sind an endoplasmatisches Reti-kulum gebunden. Die Amphibienoozyte enthältalle notwendigen Bestandteile, um auch mit frem-der (injizierter) mRNA (Boten-RNA) entsprechen-de Proteine zu synthetisieren. Die Amphibien-Oozyte kann deshalb als "biologisches Reagenz-glas" verwendet werden. Bei Injektionen vonGlobin-messenger wird Globin synthetisiert. Beigleichzeitiger Injektion von Häm, das das Ei er-wartungsgemäß nicht synthetisieren kann, wirdHämoglobin (Blutfarbstoff) gebildet, der in die-sem frühen Entwicklungsstadium nicht produziertwird. Weiterhin kann man Gradienten von nichtpartikulär gebundenen Stoffen nachweisen, z.B.Induktions-und Transkriptionsfaktoren (Trans-kriptionsfaktoren binden an bestimmte DNA-Re-gionen und kontrollieren [regulieren] so die Trans-kriptionsprozesse). Dadurch bedingt ist auch dieräumliche und entwicklungsabhängige Expressi-on bestimmter Gene. Solche Faktoren und akti-vierte Gene sind für die Entwicklung der einzel-nen Keimbereiche von besonderer Bedeutung. DieAufklärung der räumlichen und zeitlichen Genex-pression und damit die Steuerung der Determina-

tions- und Differenzierungsprozesse im werden-den Organismus (z.B.Bildung des Zentralnerven-systems) ist das Ziel der modernen molekularbio-logischen und molekulargenetischenEntwicklungsbiologie. Durch das klassischeUmkehrexperiment von Pasteels und Schleipkonnte schon 1927 gezeigt werden, daß bestimmteGradienten verschiedener Faktoren im Eivorhanden sein müssen (Abb. 25). Wird ein Frosch-Ei im 2-Blastomerenstadium um 180° gedreht(z.B. Positionierung zwischen Glasscheiben mitfixiertem Abstand), so bilden sich zweiUrmundregionen. Weil sich Cytoplasma-komponenten aufgrund der Schwerkraft inbestimmter Weise verlagert haben, kommt es nichtnur auf der zukünftigen Dorsalseite, sondernzusätzlich auch auf der präsumptiven Ventralseitezu cytoplasmatischen Interaktionen, die zurAusbildung eines zweiten Urmundes führen. DiesesExperiment kann mittlerweile auch molekular-biologisch erklärt werden. Hinweise aufGradienten bereits während der frühenFurchungsstadien haben unsereIsolationsexperimente von Blastomeren im 8-Zellstadium erbracht (Grunz, 1977, 1994; Li,Mao,Yan,Grunz, 1996).Die Amphibienoozyte weist außerdem noch eineBesonderheit in ihrer Chromosomenstruktur auf,

Abb. 25 Umkehrexperiment nach Schleip und Pasteels

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in den sogenannten Lampenbürstenchromosomen.Diese Chromosomen im Diplotän-Stadium besit-zen eine besonders starke RNA-Syntheseaktivitätund sind im Gegensatz zu anderen Chromosomenim Diplotän-Stadium auch im Lichtmikroskop guterkennbar.Sofort nach der Befruchtung erfolgt die erste Zell-teilung und in rascher Reihenfolge die weiterenFurchungsteilungen. Es handelt sich hierbei umnormale Zellteilungen (Mitosen). Wir können ver-schiedene Furchungstypen bei den verschiedenenTierklassen unterscheiden und zwar zwei großeGruppen:I. Spiralfurchung (viele Mollusken und

Anneliden)II. Radiärfurchung (bei Seeigeln und VertebraBeispiele für Regulationseier

Die Besonderheit der Spiralfurchung besteht darin,daß die Spindelbildung während der Furchungnicht senkrecht und radiär zueinander angeordnetsind, sondern in Winkeln von ca. 45°. Dadurchergibt sich sich eine spiralförmig versetzteAnordnung der einzelnen Blastomeren (Abb.26 ).Bei manchen Schnecken findet man links- oder

rechts-gewundene Schneckenhäuser. Dies gehtschon auf die ersten Furchungsstadien zurück:rechts- oder links-versetzte Anordnung derBlastomeren (Abb. 27). Neben diesenBesonderheiten weisen die Spiralier eine früheund strenge Determination der Blastomeren auf(Mosaiktyp). Der Ausfall einzelner Blastomerenführt zum Fehlen bestimmter Körper- oderOrganbereiche.

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Abb. 27 Entstehung eines links-und rechtsgängigenSchneckenhauses

Abb. 26 Spiralfurchung

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Furchung bei Ganoiden und Dipnoern

Bei diesen Fischen handelt es sich wie bei denAmphibia und Echinodermata ebenfalls um Holo-blastier . Diese altertümlichen Fischgruppen derGonoiden [Stör, Knochenhecht, Schlammfisch]und Dipnoer [Lungenatmer: Neroceratodus,Protopterus, Lepidosiren] weisen einen Furchungs-typ auf, der einen Übergang vom amphibien-ähnlichen Furchungstyp zu den Meroblastiern(Reptilien, Vögeln) darstellt (Abb.28). Der animalePol weist bereits eine große Zahl von Blastomerenauf, bevor die erste Furche zum vegetativen Poldurchschneidet. Dagegen durchläuf Polypterus(Flösselhecht) eine totale, fast äquale Furchung.Die Furchung von Acipenser (Stör) ähneltderjenigen der Amphibien. Anhand desFurchungstyps kann ein phylogenetischerStammbaum erstellt werden (Abb. 29). Damitkann ein direkter Bezug zwischen Ontogenese und Abb. 28

Phylogenese gezeigt werden. Stammbäumerezenter Tierarten können auch aufgrund desVergleichs (Homologievergleich) konservierterMoleküle (z.B. Cytochrom C) erstellt werden (s.Lehrbücher der Zellbiologie und Biochemie).

Abb. 29

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1. Mosaikeier (verlorengegangene Keimbezirkekönnen nicht reguliert werden; Ergebnis: anormaleEmbryonen)2. Regulationseier (Keimbereiche können reguliertwerden; Ergebnis: normale Embryonen)

Es muß jedoch betont werden, daß man nichtimmer zwischen beiden Typen klar trennen kann.Wenn ich bei einem Regulationsei sehr großeEibereiche entferne, so kann ein solcher Verlustnatürlich nicht ohne Folgen bleiben. Neben derQuantität des Verlustes spielt auch die Qualität desentfernten Materials (Keimregion) eine wesentli-che Rolle. Weiterhin konnte gezeigt werden, daßauch in Mosaikeiern Regulationen bis zu einemgewissen geringen Grade möglich sind.

Beispiele für MosaikeierMollusca (Ilyanassa), Annelida und Tunicata

Wird bei Anneliden die Blastomere 4D entfernt,so fehlt der Larve später das Mesoderm. Das ist dasKeimblatt, aus dem bei den Wirbeltieren Chorda,Muskulatur, Nieren, Herz und Blutzellen hervor-gehen.

Meroblastier

Teleostier (disocoidale Furchung)

Es bildet sich eine Keimscheibe aus, die vomDotter durch eine Furchungshöhle getrennt ist.

Elasmobranchier

Die Eier der Haie und Rochen (Selachier) sindsehr dotterreich. Sie bilden ebenfalls eine Keim-scheibe aus. Da Selachier physiologische Poly-spermie zeigen, sorgen die überzähligen Sperma-kerne als Merocyten für einen Abbau des Dotters.

Sauropsiden (Reptilien und Vögel)

Die Keimscheibe ist weniger stark vom Dotterabgesetzt als bei den Teleostiern und Selachiern.Wie bei den Fischen kommt es zur Bildung einesDottersyncytiums.Dotter unter der Keimscheibe wird verflüssigt, sodaß die Subgerminalhöhle entsteht.Säugetiere (Totale Furchung)

Der Dottervorrat bei den höheren Säugetieren istgering (dotterarme Eier). Jedoch sind die Eiernoch dotterreich bei den niederen Säugern.

FurchungstypenDer Furchungstyp ist von wesentlicher Bedeu-tung, weil bereits zu diesem frühen Entwicklungs-zeitpunkt die späteren Embryonalbereiche festgelegt werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob ausbestimmten Blastomeren immer nur ganz defi-nierte Körperbereiche entstehen oder ob unter be-stimmten Bedingungen (z.B. Defekten des Eiesdurch äußere Einwirkungen) diese Organbezirkedurch andere Eibereichen ersetzt werden können.Wir unterscheiden deshalb:

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Ich weise nochmals auf das Anstichexpe-riment von Roux hin, das auf einenMosaikcharakter des Amphibienkeims hin-zudeuten schien.

Wenn beim Seeigel in späteren Stadienganze Keimbereiche entfernt werden, sogibt es mehr oder weniger große Ausfälle.Dabei zeigt sich jedoch, daß bestimmtenBlastomeren besonders große Bedeutungzukommt. Bei der weiteren Furchung er-hält man beim Seeigel sogenannte Mikro-und Makromeren, die in Zellkränzen ange-ordnet sind.

Furchung (allgemeine Prinzipien)

Unter Furchungsstadien verstehen wir 2,4, 8, 16, 32 - Zellstadien. Im Morula -Stadium (Maulbeerstadium) sieht der Keimaus wie eine Maulbeere. Es folgt dasBlastula -Stadium (Blasenkeim). Der Keimbesitzt jetzt ein sogenanntes Blastocoel(Keimhöhle).Die Zellteilung während derFrühentwicklung bei Amphibien läuftzunächst synchron später asynchron ab.Vor allem im vegetativen, dotterreichenBereich des Keimes erfolgt die Zellteilunglangsamer. Die Zellteilung (Mitose) verläuftbei embryonalen Zellen nach ähnlichenPrinzipien wie bei sich noch teilenden Zel-len im adulten Organismus, es gibt aber sogut wie keine G-Phasen. Wir können folgende klar definierbaren

Schritte beobachten:

1. Interphase2. Prophase3. Metaphase4. Anaphase5. Telophase.

Die frühere Bezeichnung Ruhephase - Ru-hekern anstelle der Interphase ist nicht kor-rekt, da in dieser Periode die DNA-Synthe-se erfolgt.Im sich furchenden Ei erfolgen die Mitosensehr rasch hintereinander. Es gibt keinelangen Pausen wie bei älteren Geweben,bei denen die Interphase recht lange dauernkann (G1-, G2-, S-Phase). Ebenso wie inembryonalen Zellen erfolgt die DNA-Synthese in nicht embryonalen Zellen ineiner speziellen Periode der Interphase, undzwar in der sogenannten S-Phase. Sofortnach der Zellteilung enthält der Nucleusden diploiden Gehalt (2c) an DNA. KeineDNA-Synthese erfolgt in den folgendenStunden, der sogenannten G1-Phase (G =Gap: Unterbrechung). Darauf folgt die Pha-se der DNA-Verdoppelung, die sogenannteS-Phase, in der ein DNA-Gehalt von 4c(das ist das Vierfache des Wertes bei Sper-matozoen) erreicht wird. Auf die S-Phase,die einige Stunden dauert, folgt die G2-

Periode. Dieser Ruhephase, während dersich am DNA-Gehalt nichts ändert, folgtdie eigentliche Zellteilung. Einige Zellenteilen sich nie mehr [z.B. Nervenzellen des

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Gehirns]. Man sagt, daß sie sich in Gobefinden. Mittlerweile gibt es neuereHinweise, die auf die Teilungsfähigkeitbestimmter Gehirnzellen hinweisen. DerHauptunterschied zwischen sich teilendenEiern und anderen Zellen ist folgender: DieInterphase ist kürzer, so daß G1 und G2

praktisch fehlen. Mit anderen Worten: dassich teilende Ei repliziert seine DNA mitvoller Geschwindigkeit genauso wieBakterien. Nur wenn die Kerne der Bla-stomeren tatsächlich in der Mitose (Meta-phase, Anaphase) sind, erfolgt keine DNA-Synthese. Nach Beendigung derfrühembryonalen Furchungsperiode nimmtdie Mitose-Aktivität ab und es stellt sichein "typischer" Zellzyklus ein.Die Gründe für die große Leistungsfähig-keit der Eier (im Gegensatz zu nichtem-bryonalen Zellen), DNA zu synthetisieren,sind folgende:

1. Die gesamte Maschinerie für die DNA-Synthese ist bereits im befruchteten Eivorhanden:

a) in großen Mengen DNA-Polymerase,das Enzym, das die neue komplementärePolynucleotid-Kette an der DNA-Matri-ze (ein Strang des Doppelstrangs) syn-thetisiert. Bei jeder Zellteilung wandertdie DNA-Polymerase aus dem Cytoplas-ma in den Zellkern. Der Zygoten-Kernund jeder einzelne Blastula-Kern hat dengleichen DNA-Polymerase-Gehalt zurVerfügung. Bei nichtembryonalen Zel-

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len ist das nicht der Fall. Sie müssen erstvor der Zellteilung das Protein (Enzym)DNA-Polymerase neu synthetisieren.Das benötigt Zeit und erklärt die Not-wendigkeit der G1-Periode.

b) Nukleotide, ATP, weitere Enzyme(z.B.Ligasen), etc.

Aufgrund unseres heutigen Wissens überdie Vorgänge bei der Mitose, vor allemunserer Kenntnisse der biochemischenAbläufe (DNA-Struktur und identischeReplikation), ist klar, daß jede neu entste-hende Zelle immer wieder den gleichenBestand an genetischer Information erhält.Ich hatte schon kurz erwähnt, daß dieseAuffassung im 19. Jahrhundert, bevor manetwas von DNA wußte, keineswegs ver-breitet war. Man nahm vielmehr eine un-gleiche Verteilung von Kernmaterial an,woraus dann die unterschiedliche Entwick-lung der einzelnen Zellen erklärt wurde.Daß das aber keineswegs so ist, konntebereits durch die klassischen Versuche vonSpemann gezeigt werden (Versuch der ver-zögerten Kernversorgung). Ich möchte nochanmerken, daß die Differenzierung der ver-schiedenen Zellen, wie wir heute wissen,nicht auf einer ungleichen Verteilung desgenetischen Materials beruht, sondern aufUnterschieden im Cytoplasma der einzel-nen embryonalenen Zellen. Dort nämlichbefinden sich Regulationsfaktoren(Unterschiedliche Verteilung im Ei), diedafür sorgen, daß verschiedene Bereichedes DNA-Stranges abgelesen, d.h. unter-

schiedliche Gene aktiviert werden. Folglichfinden sich in den verschiedenen Zellen imLaufe der Embryogenese undDifferenzierung zu adulten Geweben (Or-ganen) Variationen in der Art der syntheti-sierten m-RNA und folglich der transla-tierten Proteine.Bei den beiden klassischen Experimentenvon Spemann, die die Pluripotenz (Konstanzdes genetischen Materials) demonstrierten,handelt es sich um das:

1. SchnürungsexperimentBeweis: keine ungleiche Verteilung der ge-netischen Information für linke bzw. rechteKörperhälfte

2. Experiment der verzögerten Kernversor-gung einer Eihälfte. Beweis derKernäquivalenz: auch nach mehreren Mi-tosen besitzt jeder Zellkern noch die ge-samte genetische Information, um die Ent-wicklung eines vollständigen Embryos zurealisieren (Abb. 7 ).

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Furchungstyp in Korrelation zur

Dottermenge und Dotterverteilung

Dottermenge

Dottermenge Furchungstyp Tiere

alecithal - oligolecithal* total,adäqual (Abb.30α) Viele Wirbellose

(dotterfrei - dotterarm) Branchiostoma,Säuger (Mam-malia)

mesolecithal* total, inäqual(Abb.30ß) Viele Amphibien, Ganoiden(mäßig dotterreich) (Stör, Knochenhecht, Schlamm

fisch), Petromycon (Neunauge) Dipnoer (Lungenatmer: Neoce- ratodus, Protopterus, Lepidosi- ren)

polylecithal** partiell, discoidal Myxine, Selachier, Teleostier,(dotterreich) (Abb. 30 γ) Gymnophionen (Blindwühlen

[Amphibia]), Reptilia, Aves,Monotremata

polylecithal** partiell, superfiziell die meisten Arthropoden(Abb. 30 δ ) (Insekten, Spinnen, viele

Crustaceen, Myriopoden)

* Holoblastische Furchung

**Meroblastische Furchung

Tabelle 1

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Dotterverteilung

Dotterverteilung Furchungssymmetrie Tiere

isolecithal Rotationssymmetrie Säuger

(gleichmäßige radiär Echinodermata, Branchiostma

Verteilung) spiral Mollusca (die meisten),Annelida , Platt-und Rundwürmer

bilateral Ascidien (Seescheiden)

anisolecithal

(ungleichmäßige

Verteilung)

A. telolecithal discoidal Cyclostoma, Pisces, Amphibia, (an einem Pol des Reptilia, Aves, Monotremata Eies angehäuft) bilateral Cephalopoda

B. centrolecithal superfiziell Insekten, Spinnen, Krebse, (im Zentrum des Eies) Tausendfüßler

Abb. 30

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Wirbeltierentwicklung am Beispiel derAmphibien (s. auch Videofilm: KurzeSequenzen auch auf unserer WEB-site:http://www.uni-essen.de/zoophysiologie

Die Normogenese (Ontogenese) der Wirbeltierekann in folgende Entwicklungsphasen eingeteiltwerden: 1. Furchung einschließlich Morula- undBlastula-Bildung bei Amphibien, Blastocyste beiSäugern) 2.Gastrulation 3.Neurulation4.Organogenese

Abb. 31 Furchung des AmphibienkeimesFurchung

Es handelt sich bei den Amphibienembryonen umHoloblastier im Gegensatz zu Meroblastier(Elasmobranchii [Haie, Rochen],Teleostei[Knochenfische], Sauropsiden [Reptilien, Vögel].Bei den Amphibienkeimen haben wir es mit einertotalen inäqualen Furchung zu tun. Der gesamteDotter wird in den Keim einbezogen. Die 1. Furcheerfolgt meridional beginnend vom animalen Pol(Abb. 31). Die Durchschnürung des Eies erfolgt inRichtung des vegetativen Pols langsamer auf-grund des hohen Dottergehalts. Ergebnis: 2-Zell-stadium. Die 2. Furche, senkrecht zur 1.Furche,verläuft ebenfalls meridional, so daß das4-Zell-Stadium entsteht. Die 3. Furche ist eineäquatoriale Furche und zwar nicht genau amEiäquator, sondern über dem Eiäquator; deshalbdie Bezeichnung "inäquale Furchung". Die Mito-

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Urmundes(Abb. 32 a, α, 33 A, E). Die Neurulationist äußerlich an der Bildung der Neuralfalten zuverfolgen (Abb. 34). Während der Gastrulation,deren wesentliche Abläufe man von außen nichtverfolgen kann, wird das Zentralnervensystem(Gehirn und Rückenmark) induziert(Abb. 30B,C,D, F,G,H). Bei diesem Prozess handelt es sichum eine komplizierte Signalkette und damit wiebei der Krebsproblematik um ein zentralesProblem der modernen Zellforschung. Es kommtin dieser Periode zu einem komplexenZusammenspiel von Wachstumsfaktoren(Induktionsfaktoren) und regional- undstadienspezifisch exprimierten Genen.Der Urmund wird kenntlich durch die Konzen-trierung von Embryonalpigment in der dorsalenKeimregion, da die Zellen in dieser Zone flaschen-förmigige Gestalt annehmen (Abb.35 A). Dadurchwerden die Zellen an ihrer Außenseite(Keimoberfläche) dunkler und somit wird dersichelförmige Urmund erkennbar.Dann erfolgt die sogenannte Invagination oderbesser Involution, das Einwandern von Zellmate-rial in das Keiminnere, und zwar so, daß der bisjetzt einschichtige Keim 2-schichtig* wird (Abb.35).

*Anmerkung: In Wirklichkeit besteht das Ekto-derm bei Anuren , also auch bei Xenopus(Südafrikanischer Krallenfrosch) , aus mehrerenZellagen (Asashima und Grunz, 1983).(Abb. 33 E,F; vergl. Urodela 33 A,B).

Durch Vogt’s Farbmarkierungs-Experimentekonnte für die Gastrula ein Anlagen-Plan aufge-stellt werden. Danach kann man bereits in derfrühen Gastrula Aussagen darüber machen, wel-cher Keimbereich sich zu bestimmten Organenoder Geweben der Larve oder adulten Organismusentwickeln wird (Abb. 36, 37, 38, 39, 40).Und zwar geht hervor aus dem:

Ektoderm: präsumptive Epidermis und Neural-strukturen (Gehirn, Rückenmark)

sen verlaufen z.B. bei Triturus vulgaris (Teich-molch) oder Triturus alpestris (Alpenmolch) inden ersten 5 Teilungsschritten streng synchron.Die Kerne sind immer in der gleichen Phase. Ab32-Zellstadium wird diese strenge Synchronieweitgehend aufgehoben und geht in der grobzelli-gen Blastula vollständig verloren.

Gastrulation:

Auf die Furchung folgt die Gastrulation. Fragenwir uns, welche Bedeutung das Gastrulationsge-schehen für die Primitiventwicklung hat. Sehrsimpel und zusammenfassend kann man feststel-len: Aus dem bis dahin einschichtigen Blasenkeimwird während der Gastrulation der 3-keimblättrigeEmbryo gebildet. Das gilt nicht nur für die Amphi-bien, sondern für alle höheren Vertebraten ein-schließlich Mensch. Bei der Furchung wird derKeim in einzelne Kompartimente zergliedert.Während der Gastrulation aber kann man massiveZellbewegungen feststellen. Nach der Gastrulati-on ( in der anschließenden Neurulation und Orga-nogenese) erfolgen keine dramatische Zellwande-rungen mehr. Während der sogenannten Organo-genese findet lediglich eine Differenzierung(Histogenese)der Zellen, Gewebe und Organe biszum adulten Endzustand statt, ohne daß äußerlichnoch völlig neue Veränderungen festzustellen sind.Diese Aussage gilt jedoch nicht für Prozesse derMetamorphose (Kaulquappe zum Frosch; Insek-tenmetamorphose: Holometabole Entwicklungs-weise). Durch Vogt’s Vital-Farbmarkierungsex-perimente(1923-1929) konnten diese Zellwande-rungsprozesse in deskripter Weise elegant aufge-klärt werden (Methode: mit Agar-Blöcken, die mitNilblau-Sulfat oder Neutralrot getränkt waren, wur-den Farbmarkierungen auf die Eioberfläche ge-stempelt).So konnten die Zellbewegungen während derGastrulation genau verfolgt werden. Einige Dingesind allerdings auch ohne Farbmarkierung deut-lich zu erkennen und zu verfolgen. Der Gastrulati-onsbeginn wird sichtbar durch das Auftreten des

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 32 Gastrulation bei Amphibien(Urodela)

Abb. 33 Vergleich der Gastrulation bei Urodela(links) und Anura (rechts)

Mesoderm: Chorda, Muskulatur, Herz, Blutzel-len, Niere etc. (Text weiter auf Seite 44)Entoderm: Darm und Anhangorgane (Pankreas, Leber, Lunge, etc).Ähnliche Anlagepläne hat man auch bei allenübrigen Vertebraten aufgestellt (Abb. 34).

Das Schicksal der 3 Keimblätter(Die folgenden Aussagen sind allgemeingültig füralle Wirbeltiere)Es gehen hervor aus dem:

EKTODERM

1a) Epidermis mit Anhangsorganen:Haare, Nägel, Schweiß-, Talg- und Milch-drüsen

b) Epithel der Mundschleimhaut und Drüsenc) Schmelzkappen der Zähned) Vorderer Lappen der Hypophyse (Adenohy-

pophyse)e) Epithel der Nasenschleimhaut und dasf) Epithel des Afters

Abb. 34 Neurulation

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

g) Epithel des Sinus urogenitalisi) Scheidenvorhof bis zum Hymen (im weibl.

Organismus)ii) Vorderer Teil des Harnröhrenepithels (im

männl. Organismus)

2. Zentrales und peripheres Nervensystem ein-schließlich

a) Gliagewebe b) Sinnesepithelien der Nase, des inneren Oh-

res, des Auges und eines Teils der Ge-schmacksorgane

3. Im Auge:TapetumLinseTeil des GlaskörpersMuskeln der Iris

4. Epithelien des Amnions und Chorions (vor-übergehende Funktion während der Em-bryonalentwicklung; nach dem Schlüpfenoder der Geburt werden die extraembryona-len Hilfsstrukturen nicht mehr benötigt)

MESODERM

1. Skelettmuskel- und Bindegewebeapparat einschließlich:a) Knorpelb) Dentin der Zähnec) Sekundäre Hüllen aller endothelialen und

epithelialen Gänge und Leitungsgebilde

2. Urogenitalsystem einschließlich: Rinden-schicht der Nebenniere (Markschicht wirdvon Ganglienleisten-Derivaten gebildet.(ausschließlich: Epithel der Harnblase undder Harnröhre

3. Blut- und Gefäßsystem einschließlich: Herz,Lymphknoten, Lymphgefäße und Milz

Abb. 35 Urmundlippenbereich bei Xenopuslaevis (Anura)

Abb. 36 Vergleich der Gastrulation beiverschiedenen Wirbeltieren

Fortsezung auf Seite 55

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 39 Anlagenplan für einzelne Keimbereicheunter in vitro-Kulturbedingungen [prospektivePotenz]

Abb. 40 Anlagenplan mit Angaben, wo bestimmteGene in der frühen Gastrula exprimiert werden.

Anlagepläne im frühen Gastrulastadium

Abb. 39 Darstellung der autonomen Differenz-ierungsleistungen der einzelnen Areale der früheGastrula, d.h. bei Isolierung (Explantation) könnensich diese Bereiche ohne Zellinteraktionen mitNachbarzonen in bestimmter Weise differenzieren(prospektive Potenz).

Abb.40 Anlagenplan, wie er in dieser oderähnlicher Form in neueren Publikationendargestellt wird. Berücksichtigt wurden hierneuere Erkenntnisse darüber, wo bestimmteInduktionsfaktoren (Wachstumsfaktoren) in derdorsal vegetativen oder ventral vegetativen Zonelokalisiert sind oder nach der mittleren Blastula-Phase (midblastula transition = MBT) bestimmteGene angeschaltet werden.

Abb. 37 Anlagenpläne bei verschiedenenWirbeltieren

Abb.38 Darstellung der Differenzierungs-leistungen während der Normalentwicklung(Normogenese [prospektive Bedeutung]).

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

lich Mensch sehr ähnlich verlaufen.Ergebnis der Formbildung nach Abschlußder Gastrulation; der folgende für die Wirbeltieretypische Bauplan ist angelegt worden:

1. Medullarrohr (Gehirn und Rückenmark)2. Neuralleisten3. Chorda dorsalis4. Ursegmente: Somiten/Seitenplatten5. Darmrohr

Abb. 41

zu 2. Aus den Neuralleisten-Zellen gehen hervor:a) Neurone und Gliazellen des sensorischen,sympathischen und parasympathischen Nervensystems.b) die Epinephrin (Adrenalin)-produzierenden Zellen des Nebennierenmarks.c) die Pigment-bildenden Zellen der Epi-dermis.d) Skelett- und Bindegewebe des Kopfbe-reiches

zu 3. Chorda: (embryonale Wirbelsäure) ver-schwindet später bis auf Reste innerhalb derWirbelkörper, welche sich um die Chordaherum entwickeln. Dies geschieht bei denverschiedenen Vertebraten in unterschied-lichem Ausmaße (vgl. Lehrbücher der vergleichenden Anatomie und Morphologie derWirbeltiere (z.B. Romer).

zu 4. Aus den Ursegmenten geht der gesamteSkelett- und Muskelapparat des Körper,sowie der bindegewebige Stützapparat her-vor. Aus dem visceralenMesodermblatt(Splanchnopleura) entsteht die äußere

4. Extraembryonale Bindegewebe der Em-bryonalanhänge

ENTODERM

1. Epithel des Magen- und Darm-Kanals (Aus-nahme: die oben erwähnten vom Ektodermgelieferten Anhangsorgane):

a) Geschmacksknospenb) Leberc) Pankreasd) Schilddrüsee) Epithelkörperchen (Parathormon)f) Thymusg) Branchialkörperchenh) Tuba auditivai) Mittelohrk) Kehlkopfl) Luftröhrem) Bronchienn) Lungen2. Epithel der Harnblase und Harnröhre (Aus-

nahmen: s. unter Ektoderm3. Epithel des Dottersackes und der Allantois

(vorübergehende Funktion während derEmbryonalentwicklung)

Das Endergebnis ist am Ende der Gastrulation:Entoderm und Mesoderm liegen innerhalb desKeims. Äußerlich sieht man den Fortgang desProzesses am Kleinerwerden des Dotterpropfes.Das Entoderm verlagert sich vollständig ins Kei-minnere.

Neurulation

Nach der Gastrulation erfolgt die Neurulation. DieNeurulation beginnt mit dem Sichtbarwerden derNeuralplatte, auch Medullarplatte genannt. Das istdie Region, die von Chordamesoderm unterlagertwird und aus der das Zentralnervensystem hervor-geht. Ich weise schon jetzt darauf hin, daß dieseProzesse bei den Vögeln und Säugern einschließ-

Fortsetzung von Seite 53

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Umkleidung des Darms.Aus dem äußeren parietalen Blatt (Soma-topleura) geht die Basis (Grundlage) derKörperwand hervor. Beide sind durch diesekundäreLeibeshöhle, das Cölom, getrennt.

zu 5. Aus dem Darmrohr (Entoderm) entwickeltsich der gesamte Darm mit Anhangdrüsenund Organen von Mund bis After. After undMund selbst sind dagegen ektodermalenUsprungs.

Abb. 42 Schwanzknospenstadium

Organogenese

Wie der Name schon sagt,, kommt es im Laufe derweiteren Entwicklung zur histotypischen(gewebetypischen) Differenzierung der Organeund Gewebe.

Abb. 43 Organogenese

Klassische entwicklungsphysiologischeExperimente

Verschmelzung von zwei 2-Zell-Embryonen (Mangold/Seidel, 1927)

Dieses Experiment weist cytoplasmatische Gradi-enten nach, die bereits im ungefurchten Ei vorhan-den sind. Der graue Halbmond kann als äußerlicheIndikation solcher Gradienten dienen, ist abernicht exakt mit der Lokalisation bestimmter Stoffeidentisch.Bei dem Schnürungsexperiment von 2-Zellstadi-en ging aus weniger mehr hervor. In dem hierbeschriebenen Experiment zeigt sich, daß die Re-gulation auch in umgekehrter Richtung verlaufenkann: aus mehr wird weniger, d.h. es wird nur einEmbryo, wenn auch wesentlich größer als imNormalfall, gebildet.Abb.44 A. werden zwei Keime im 2-Zellstadium(hantelförmige Verformung in bestimmtenKulturmedien) miteinander verschmolzen, bildetsich unter speziellen Bedingungen ein einzigervergrößerter Embryo (Zellmasse doppelt so großwie ein Einzellkeim). Ob aus den Kombinationennur ein Embryo oder Doppel- bzw.Mehrfachbildungen hervorgehen, hängt davon ab,in welcher Ebene die erste Furchung erfolgt. Nebendem sehr häufigen Typ in Richtung der zukünftigenSagittalebenen des Embryos (Abb. 45 b und ß)sind noch weitere Furchungsebenen möglich (a, αund c). Bei b und ß wird das Keimmaterial durchdie erste Furchung gleichmäßig auf die linke undrechte Blastomere verteilt (vergleicheSchnürungsversuche in 2-Zellstadium oder in derfrüheren Gastrula [in Sagittalrichtung]). Nur insolchen Kombinationskeimen, in denen diezukünftigen Urmundlippenregionen beiderursprünglicher Keime benachbart zu liegenkommen, ergibt sich ein einziger vergrößerterKeim (siehe Kombinationen a β = 2 (Abb.45 D,E),evtl. auch noch a α = 1.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Andere Kombinationen, z.B. 4 oder 6 ergebenmehrere Chorda- und Neuralrohrbildungen(siehe Abb. 44 G,H).

Abb. 45 Verschiedene Ergebnisse nachVerschmelzung von 2 Embryonen im 2-Zellstadium (Erklärung siehe Text)

Abb.44 Verschmelzungsexperiment von2 Embryonen im 2-Zellstadium

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

geringer als gemäß seiner prospektiven Bedeu-tung. Behandelt man aber die zukünftige Bauch-epidermis (Ventrales Ektoderm) nach der Isolati-on mit bestimmten Induktionsfaktoren, so kannsich dieses Gewebe zu Gehirn, Chorda, Muskeloder Darm entwickeln. In diesem Fall ist dieprospektive Potenz des Ektoderms (präsumptive

Epidermis) größer als es gemäß der prospektivenBedeutung der Fall wäre.Die Begriffe Prospektive Bedeutung und Pro-spektive Potenz können auch an Furchungsstadi-en des Amphibieneies (Regulationstyp) und von-Mollusken oder Anneliden (Mosaiktyp) erklärtwerden:Betrachten wir ein 2-Zellstadium der Amphibien.Wir wissen, daß aus jeder der beiden Blastomerenin der Normogenese eine Körperhälfte hervor-geht. Im Schnürungsversuch entwickelt sich ausjeder der beiden Blastomeren eine vollständigeLarve. In diesem Falle ist die Prospektive Potenzder einzelnen Blastomere größer als ihre Prospek-tive Bedeutung. Bei Regulationseiern (z.B. Am-phibien) ist die prospektive Potenz bestimmterKeimbereiche auch in der späteren Embryonal-entwicklung größer als gemäß ihrer prospektivenBedeutung.Bei Mosaikeiern ist dieDetermination [ prospek-tive Bedeutung] der meisten Zellen unwiderruflichfestgelegt, d.h. bei Zerstörung fällt ein Körper-oder Organbereich aus. Deshalb gilt für für Mo-saikeier:die Prospektive Potenz ist gleich der Prospek-tiven Bedeutung.

zu 2. Exogastrulation : Ektoderm differenziertsich zu atypischer Epidermis statt zu Gehirnstruk-turen. Da das Mesoderm nicht in das Keiminnereverlagert wird, fehlt die Induktionsaktivität desChordamesoderms, das das Neuroektoderm wäh-rend der Gastrulation unterlagert.

Experimente zu Fragen nach der De-termination der Embryonalgewebe

1. Explantationsexperimente2. Exogastrulation-Experiment (Holtfreter, 1933)3. Transplantationsexperimente

zu 1. Explantationsexperiment (Sandwich-Ex-periment)

Isoliertes Ektoderm entwickelt sich zu atypischerEpidermis. Nach Induktion mit Induktionsfakto-ren kann es aber neurale, mesodermale und ento-dermale Derivate bilden.Andere Bezirke → z.B. die dorsaleUrmundlippedifferenziert sich autonom zu Chorda undMuskulatur (Abb. 58, 76).

Mit diesen Experimenten läßt sich klären, welcheEmbryonalbereiche bereits in ihrer Entwicklungfestgelegt (determiniert) sind und welche Berei-che noch zu einem bestimmten Zeitpunkt derEmbryonalentwicklung in ihrer Differenzierungs-möglichkeit verändert werden können. Auchheute sind die Begriffe prospektive Bedeutungund prospektive Potenz für die zusammenfassen-de Benennung selbst molekularbiologischer Ab-läufe sehr nützlich. Prospektive Bedeutung be-schreibt die Fähigkeit von Zellen und Geweben,sich so zu entwickeln, wie es in der Normalent-wicklung (Normogenese) der Fall ist. ProspektivePotenz beschreibt die Fähigkeit von Zell- undGewebearealen, sich abweichend von ihrer nor-malen Differenzierungsleistung zu entwickeln.Die prospektive Potenz einer Zelle oder einesGewebebereichs kann größer oder geringer seinals es gemäß ihrer prospektiven Bedeutung derFall wäre.So differenziert sich isoliertes Neuroektoderm(präsumptives [zukünftiges] Zentralnervensystem)zu Epidermis. In diesem Falle ist die prospektivePotenz des Keimbereichs nach seiner Isolation

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb.46 Exogastrula-Versuche

Werden Axolotl-Embryonen (Ambystoma mexicanum =Mexikanischer Molch) ab ca. 16-32 Zellstadium in hypertonerKulturlösung (erhöhte Salzkonzentration) gehalten, so kommtes zu sogenannten Exagastrulae. Das Mesoderm(einschließlich Spemannscher Organisator [dorsaleUrmundlippe = Chordamesoderm]) wandert unter diesenBedingungen nicht in das Keiminnere ein (wie bei dernormalen Gastrulation), sondern das gesamte Mesoentodermsepariert sich vom Ektoderm. Dadurch unterbleibt dieUnterlagung des Neuroektoderms durch das Mesoderm, sodaß die Neuralinduktion unterbleibt. Das Ektodermdifferenziert sich lediglich zu atypischen Epidermis, dasMesoderm autonom zu Chorda und Somiten. DiesesExperiment von Holtfreter (1933) wies nach, daß für dieneurale Induktion (Gehirnbildung) die Interaktion vonEktoderm und Mesoderm erforderlich ist, und zwar durchvertikale Signale zwischen Chordamesoderm undNeuroektoderm (Abb. 46). Wir konnten diese ErgebnisseanAxolotl bei einem weiteren Vetreter der Urodela (Triturusalpestris) bestätigen. Aber auch bei Xenopus laevis (Süd-afrikanischer Krallenfrosch), ein Vertreter der Anura spielen

Abb.47 Die wichtigsten biologischen Test-methoden (Beschreibung siehe nächste Seite)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

zu 3. Spemanns klassische Austausch-experimente bei Molchembryonen(heteroplastische Transplantation) Abb. 48

Austausch von dorsalem Ektoderm (Neuro-ektoderm, präsumptiver Gehirnregion) undventralem Ektoderm (präsumptiver Bauchepi-dermis)a) in der frühen Gastrula erfolgt eine ortsgemäßeEntwicklungb) in der späten Gastrula erfolgt eine herkunftsmä-ßige Entwicklung des Transplantats

Experimente zu Beginn der Gastrulation: Abb.48 a - c, a' - c'Experimente am Ende der Gastrulation: α - γ,α'- β'Triturus vulgaris (Teichmolch = viel braunesEmbryonalpigment [braunschwarz]): a - c, α, β;Triturus cristatus (Kammolch = fast keinEmbryonalexperiment [weiße Embryonen]): a' -c',α', β', γDie sogenannte heteroplastische Transplantation(Gewebeaustausch zwischen zwei Species) wurdegewählt, um das Spender- und Wirtsmaterial biszur Differenzierung der Derivate verfolgen zukönnen.Wird in der frühen Gastrula präsumptiveGehirnregion (Neuroektoderm) in denpräsumptiven Epidermisbereich eines Wirts-embryos und vice versa transplantiert [a-c, a'-c'],so entwickelt sich das Transplantat ortsgemäß, dabeide, Neuroektoderm und Ektoderm noch nichtendgültig determiniert sind (weitere Erklärungen,z.B. Bedeutung der Kompetenz während derVorlesung) Im späten Gastrula/frühen Neurula[α - γ, α'- β'] istdas anteriore Neuroektoderm durch dasunterlagernde Chordamesoderm bereits zu Gehirndeterminiert (α). Das ventrale Ektoderm istebenfalls schon determiniert, aber zu Bauepidermis(α'). Beide Transplantate entwickeln sich nun

offensichtlich planare Induktionsprozesse vor Beginn derGastrulation eine untergeordnete Rolle (Grunz, Schüren,Richter, 1995). Dies konnte in vergleichendenUntersuchungen (Xenopus versus T.alp.) mit mehrerenmolekularen Markern wie Pax-6, engrailed-2, otx2, cerberusetc. gezeigt werden (Chen , Hollemann, Pieler, Grunz(1999), im Druck in dem Journal MOD [Mechanisms ofDevelopment]).

Abb.47 Die wichtigsten biologischen Test-methoden

A. Implantationsmethode (Einsteck-Versuch) nach HansSpemann und Hilde Mangold (1924). In das Blastocoel einerfrühen Gastrula kann entweder dorsale Urmundlippe(Spemannscher Organisator) oder Induktionsfaktoren,gebunden an präzipitiert es γ -Globulin (Trägerprotein)implantiert werden. Es bilden sich dann sekundäre Strukturenauf derBauchseite des Wirtsembryos (vergleiche Abb. 57, 55A-C).

B. Sandwich-Test nach Holtfreter (1934). Animale Kappen(omnipotentes Ektoderm) werden aus mittleren bzw. spätenBlastulae oder frühen Gastrulae isoliert und der zu testendeInduktor (gebunden an ein Trägerprotein) zwischen beidenStücken eingeschlossen (Abb.49 a).

C. Nucleopore -FilterkammerNicht-präzipitierte (= lösliche) Induktionsfaktoren zeigennur einen Effekt, wenn sie mit der ehemals dem Blastocoelzugewandten Seite des Ektoderms in Kontakt kommen.Weiterhin weist das Ektoderm einen Abkugelungseffekt auf,wodurch das Eindringen des Induktors unmöglich gemachtwird. Um das Ektoderm am Abkugeln zu hindern, wird esmittels eines permeablen Filters auf dem Substrat fixiert,ohne daß es zerquetscht wird.

D. Test von Induktionsfaktoren (z.B.FGF oder Aktivin) inspeziellen Mikrotestplatten für sehr geringes Volumen (5-10µl) (Grunz, et al., 1988)

E. Disaggregationsversuche (Grunz, 1969; Minuth undGrunz, 1980; Grunz und Tacke, 1989)

F. Präparation von Pseudoexogastrulae zur Klärung derFrage nach planaren oder vertikalen Signalen während derprimären Schritte der neuralen Induktion (Chen, Hollemann,Pieler and Grunz, 1999).

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

herkunftsgemäß, i.e. Gehirn (Auge) [β',γ] bzw.Epidermis [β].Das Ergebnis ist 1. die Differenzierung vonEpidermis innerhalb der Gehirnregion, also einFehlen bestimmter Teile des Gehirns (β; endgültigeDifferenzierung ohne Abbildung) bzw. 2. dieDifferenzierung eines zusätzlichen Auges in derBauch-Rumpfregion des Wirtskeimes (γ).

zu 3. Xenoplastische Austauschexperimente

Der Gewebeaustausch zwischen Anuren(Froschlurchen) und Urodelen (Schwanzlurche)wird als Xenoplastische Transplantationbezeichnet. Das Experiment wird in der Vorlesungdetailliert diskutiert. An diesem Beispiel könnendie Begriffe herkunftsgemäß, ortsgemäß,artsspezifisch, Kompetenz, Bedeutung derSpezifität des Reaktionssystems und art-übergreifende Induktionsaktivität besondersinformativ erklärt werden (Abb.50, 51).

Begriff der Kompetenz

Unter Kompetenz versteht man die Fähigkeit ei-ner Zelle oder eines Gewebes auf einen Induk-tionsreiz (Signal) zu reagieren. Diese Fähigkeithängt von der Art und dem Embryonalalter derreagierenden Zelle ab. Ektoderm aus der frühenGastrula kann durch dorsale Urmundlippe(Spemann'sche Organisator) zu Gehirngewebeinduziert werden, nicht aber Ektoderm aus derspäten Gastrula. Man sagt, daß das Ektoderm derspäten Gastrula die Kompetenz verloren hat, aufInduktionssignale zu reagieren. Durch Protein-synthesehemmer kann der Kompetenzverlust füreine bestimmte Zeit verzögert werden(Publikation:Grunz, 1970). Momentan werden inder Forschung die molekularen Mechanismenuntersucht, wie es zum Kompetenzverlust einerZelle kommt. Infrage kommen der Verlust vonspezifischen Rezeptoren (Liganden für Wachs-

Abb.48 Heteroplastische Transplantation

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

tums- oder Induktionsfaktoren) auf der äußerenZellmembran oder Aktivierung von Inhibitorme-chanismen innerhalb der Zelle. Das SpemannscheTransplantationsexperiment (Abb.48) kann so-wohl die Begriffe Kompetenz als auch dieDefinitionen Ortsgemäße Entwicklung undHerkunftsgemäße Entwicklung verdeutlichen.

Zellaffinität

Unter Zellaffinität versteht man die Fähigkeit derZellen, gleich- oder verschiedenartige(Nachbar-)Zellen zu erkennen. Gleichartige Zellen bildenKeim- oder Gewebeverbände, während sich ver-schiedenartige Zellen voneinander trennen. Beidiesen Erkennungsmechanismen spielt die äuße-re Zellmembran ([Glyko-]Proteine der Plasma-membran) eine entscheidende Rolle (Grunz, 1969).Wichtige Funktionen bei der Zellerkennung undZellmotilität hat das Cytoskelett (Mikrotubuli undMikrofilamente) in Wechselwirkung mit Kom-ponenten der Plasmamembran. Die Zellaffinitätvon Ektodermzellen kann experimentell verändertwerden (Publikation Grunz, 1972). Beispiele fürdie selektive Zellaffinität werden in der Vorlesungvorgestellt.

Abb.49 Isolierung und Kombination vonEktoderm und Entoderm (Grunz, 1972)

Abb.50 Xenoplastische Transplantation

Abb.51 Ergebnis einer XenoplastischenTransplantation

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Während der Embryonalentwicklung (auch beimMenschen) kann es zu anormalen Veränderungender spezifischen Zellerkennung kommen, wodurchMißbildungen entstehen können (z.B.Hasenscharte, Spina bifida), weil bestimmte Zell-und Gewebeareale keinen Kontakt zueinanderaufnehmen. Zellerkennungsmechanismen spielenauch bei der Krebsproblematik eine Rolle. Unterbestimmten Bedingungen verlassen Zellen“verbotenerweise” ihren Zellverband und könnenals maligne Wanderzellen Tochtergeschwülste(Metastasen) bilden.

Werden Ektoderm- und Entodermzellen ausBlastula- oder frühen Gastrulastadien isoliert(Abb.49, 52) und miteinander vermischt, so kommtes innerhalb von 24 Stunden zu einer (Aus-)Sortierung (englisch: sorting out). Dies ist möglich,weil sich die Zellen amoeboid bewegen können(siehe meine Videofilm, der während der Vorlesunggezeigt wird). Nach 24 Stunden haben sich dieEktoderm-zellen vollständig von denEntodermzellen getrennt (negative Zellaffinität,Abb. 52 a). Werden dagegen Mesodermzellen mitEntodermzellen gemischt, “vertragen” sich beideZellsorten miteinander und es bildet sich einReaggregat, bestehend aus Chorda und Somitenim Zentrum, umhüllt vom Entoderm (Abb. 49b).Mesoderm als mittleres Keimblatt weist einepositive Affinität sowohl zu Entoderm (inneresKeimblatt) wie auch zu Ektoderm (äußeresKeimblatt) auf. Werden Zellen aller dreiKeimblätter miteinander gemischt, so ergeben sichpseudoembryoartige Gebilde, nämlich Ektoderm(Epidermis) außen, Mesoderm (Chorda,Muskulatur, Coelomepithel) in der Mitte undEntoderm (Darm) im Zentrum (Abb. 52d). DieZellaffinität kann experimentell verändert werden(Grunz, 1972). Werden Ektodermzellen mitvegetalisierenden (mesodermalisierenden) Faktor[Aktivin] behandelt, so werden sie mesodermalinduziert (Differenzierung von Chorda undMuskulatur, Abb. 49a). Werden solche

ursprünglichen (jetzt experimentell meso-dermalisierten) Ektodermzellen mit Entoderm-zellen gemischt (Abb. 49 c), so verhalten sie sichwie Mesodermzellen, d.h. sie haben eine positiveAffinität zu Entoderm erlangt. Statt sich von denEntodermzellen zu separieren, werden sie von denEntodermzellen umhüllt (Abb. 52b) (Grunz, 1972).

Abb.52 Ergebnis der Kombination von Zellenaus verschiedenen Keimblättern(Townes und Holtfreter, 1955)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Regionalspezifische Induktiondurch verschiedene Bereiche der oberenUrmundlippeMangold-Experiment, 1933

Verschiedene Bereiche der dorsalen Urmundlip-pe bzw. das invaginierte Chordamesoderm derspäten Gastrula rufen in kompetentem Ektodermunterschiedliche Induktionen hervor. So induziertder craniale Bereich der dorsalen UrmundlippeKopfinduktionen, die caudale Zone aber Schwanz-induktionen (Abb. 53, 54)

Abb.53

Ähnliche Ergebnisse erzielt man, wenn cranialesbzw. caudales Chordamesoderm aus der frühenNeurula, das in der Normogenese dasdarüberliegende Neuroektoderm zu Gehirndeterminiert, im Einsteck-Versuch getestet wird.Der craniale Chordamesoderm-Bereich induziertim Wirtsembryo sekundäre Kopfbildungen, dercaudale Bereich ruft Schwanzinduktionen hervor(Abb. 54).

Mittlerweile gibt es völlig neue Erkenntnisse überdie Bildung des Organisators (Review: Dawid,1992; Grunz,1992, 1993, 1996). Man hat kürzlichGene identifiziert, die nur in der Organisatorregi-on exprimiert werden (XFD-1, XFKH-1,goosecoid, noggin, Abb. 40). Diese Gene sindwesentlich bei den ersten Schritten der Achsenbil-dung (Chorda, Somiten, Neuralrohr) beteiligt.

Abb.54

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 55Einsteck-Test (Vergl. Abb. 57 A, B'';53b).Verschiedene Bereiche der dorsalen Urmundlippe(Spemannscher Organisator) wurden in dasBlastocoel von Wirtsgastrulae von Triturusalpestris implantiert.

A. Der craniale und caudale Bereich der dorsalenUrmundlippe (Abb. 53 b) wurde implantiert indas Blastocoel einer frühen Gastrula. Es bildetesich ein fast vollständiger sekundärer Embryo.(Vergl. Organisatorexperiment von HansSpemann und Hilde Mangold, Abb.57 G)

B. Der craniale Bereich der dorsalen Urmundlippe(Abb. 53 b) wurde implantiert in das Blastocoeleiner frühen Gastrula. Es bildete sich einsekundärer Kopf. (Vergl. das Experiment vonOtto Mangold, Abb. 54 d)

C. Der caudale Bereich der dorsalen Urmundlippe(Abb. 53 b) wurde implantiert in das Blastocoeleiner frühen Gastrula (vergl. Abb. 53b, 54c1). InAbb.54 wurde im Gegensatz zu meinemExperiment (caudale obere Urmundlippe, Abb.53b) der caudale Bereich des Chordamesoderms(bereits eingewanderte caudale dorsaleUrmundregion) als Induktor verwendet. Es bildetesich in beiden Experimentausführungen einsekundärer Schwanzbereich.

(Experimente und Originalaufnahmen vonH.Grunz)

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Zwei-Gradienten-Hypothese von Toivonen undSaxén

Es wurden Knochenmark (überwiegend meso-dermaler Induktor) und Leberstücke (überwie-gend neuraler Induktor) gleichzeitig oder alleinein Gastrulae implantiert oder im Sandwich-Versuch getestet.Leber allein induziert in kompetentem Ektodermarchencephale (Vorderhirn) Strukturen.Knochenmark allein induziert in kompetentemEktoderm spinocaudale Strukturen (Schwanz-strukturen).

Abb. 56 Schematische Darstellung der Gradi-enten-Hypothese von Saxén und Toivonen

Leber + Knochenmark induzieren deuterence-phale Strukturen (Mittelhirn). Aus diesem Experi-ment wurde geschlossen, daß in der Normogenesezwei Induktionsprinzipien (Abb.56,,mesodermale[M] bzw. neurale[N]) in bestimmtenKonzentrationen (Gradienten) auf dasNeuroektoderm einwirken müssen, um dieanterioposteriore Embryonalachse zu realisieren.Ähnliche Ergebnisse wurden von der GruppeTiedemann mit angereicherten Proteinfraktionen(neural und mesodermal induziernde Faktoren )erzielt. Neuere Untersuchungen deuten daraufhin, daß während der Embryonalentwicklung im

cranialen und caudalen Bereich bestimmtehomeobox enthaltende Gene bzw. eine ganzeKaskade anderer Gene aktiviert werden, die beider Festlegung (Determination) der verschiede-nen Gehirn- und Körperregionen eine wesentlicheRolle spielen. Neben der Zwei-Gradienten-Hypothese gibt es noch die Aktivierungs-Transformations-Hypothese von Nieuwkoop.In diesem Modell nimmt man an, daß das Ektodermzunächst latent zu Vorderhirn determiniert(aktiviert) wird. Erfolgt keine weitere Informati-on, geht aus dem Ektoderm Vorderhirn hervor.Setzt jedoch ein zeitlich versetzter mesodermalerInduktionsreiz ein (ebenfalls ausgehend vomChordamesoderm), so kommt es zur Transfor-mation des Ektoderms zu Mittel-/Nachhirn- undSchwanzregion-Derivaten. Man ist im Augen-blick dabei, die molekularen Mechanismen dieserProzesse aufzuklären. Dies ist nur mit Hilfe dermodernen Gentechnik möglich.

Aktivierungs Transformations-Hypothese(nach Nieuwkoop)

Beim Einwandern des Chordamesoderms wirdnach dieser Hypothese zunnächst das unterlagerteNeuroektoderm "aktiviert" (Activation), d.h. zuarchencephalen Strukturen (Vorderhirn)determiniert. Die weitere Einwanderung desChordamesoderms bewirkt dann im posterirorenund caudalen Bereich die "Transformation" vonarchencephalen zu deuterencephalen (Mittelhirn)und rhombencephalen (Hinterhirn) Strukturen.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Das Spemann/Mangold - Experiment (neuer-dings auch im englischen Sprachraum häufig alsEinsteck-Experiment bezeichnet), für das Spemann1935 den Nobelpreis für Experimentelle Medizinerhielt (Abb.57) , wird in der Vorlesung unterBerücksichtigung neuester Erkenntnisse genauererklärt.Wird der Spemannsche Organisator (dorsaleUrmundlippe) isoliert aufgezogen, so zeigt er eintypisches autonomes Elongationsverhalten( Abb.58 A,b1,c1,d1). Diese Eigenschaft ist beiRandzonenmaterial weniger ausgeprägt (Abb.58B,e1, f1).Ein ähnliches Elongationsverhalten erlangtkompetentes Ektoderm, wenn es durch hoheKonzentrationen von Aktivin (Wachstumsfaktorder TGFß-Super-proteinfamilie) mesodermalinduziert wird. Dieses induzierte Ektodermdifferenziert sich wie der SpemannscheOrganisatorbereich in Chorda und Muskulatur(Somiten).

Induktion(Embryonale Induktion)Das Spemann / Mangold - Experiment (1924)Organisator oder Einsteckexperiment

Bestimmte Bereiche des Embryos sind in derLage, durch Zellinteraktionen kompetente Zellenin eine andere Differenzierungsrichtung zu len-ken. So differenziert sich dorsale Urmundlippeautonom zu Chorda und Muskulatur, ist aber dar-überhinaus in der Lage, Ektoderm zur Bildungdes Zentralnervensystems zu induzieren. Derdorsale Urmundlippenbereich hat also die Funkti-on eines Induktors oder Organisators. Spemannhat diesen Bereich als Organisator bezeichnet,weil er an der Organisation des Achsensystemsdes entstehenden Embryos entscheidend beteiligtist.

Abb. 58Abb.57 Organisator- (Eisteck-) Experiment(Spemann und Hilde Mangold, 1924).Nobelpreisfür Spemann (1935)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Fragen nach den Mechanismen derInduktion

Es gab verschiedene Ansätze in der Geschichte der Entwick-lungsbiologie, das Problem der embryonalen Induktion zulösen.Die neurale Induktion (Bildung von Gehirnstrukturen) kanndurch einfache chemische Substanzen wie Harnstoff undMethylenblau ausgelöst werden. Das könnte zu dem Trug-schluß führen, daß für diesen Prozeß auch in der Normoge-nese keine spezifischen Informationsmoleküle notwendigsind. Das Problem ist jedoch viel komplizierter alsursprünglich erwartet und ist bis heute noch nicht bis in alleEinzelheiten gelöst. Man weiß mittlereweile, daß nicht nurdas Induktionssystem (Chordamesoderm, SpemannscherOrganisator), sondern auch das Reaktionssystem (Ektod-erm, Neuroektoderm)bei der Bildung desZentralnervensystems eine wesentliche Rolle spielen. WirdEktoderm durch calciumfreie Kulturlösung in Einzelzellenzerlegt (disaggregiert) und erst nach 2-3 Stunden wieder zugrößeren Zellverbänden zusammengeschüttelt(reaggregiert), so bilden sich aus diesen ZellaggregatenGehirnstrukturen anstelle von Epidermis (Grunz und Tacke,1989).Man weiß mittlerweile (seit 1995), daß BMP-4 die Neuralentwicklung verhindert. Durch Interaktion von Faktoren inder Spemannschen Organisatorregion und BMP-4 kommtes zur Induktion des Zentralnervensystems (s. unten).

Frage nach der Natur der Induktions-stoffe

Man hat Lipide, Nucleinsäuren und schließlich Proteine inBetracht gezogen. Im Gegensatz zu den 30iger Jahren nahmman in den 40igern an, daß für so komplizierte Prozesse wieder neuralen Induktion nur Moleküle mit hohen Informati-onsgehalt infrage kämen (also nicht so einfache undunspezifische Substanzen wie Methylenblau). Deshalb hatman zunächst gedacht, Ribonukleinsäuren könnten alssolche Induktionsfaktoren agieren.Mittlerweile weiß man, daß bei der Steuerung dermesodermalen und wahrscheinlich auch bei der neuralenInduktion Proteine als Informationsmoleküle wirksam sind.Zunächst hat man sogenannte heterogene Induktoren (Kno-chenmark, Leber, Milz, Hela-Zellen, Gewebe von 11 Tagealten Hühnerembryonen) als Induktormaterial verwendet.Diese Gewebe oder aus ihnen isolierte Proteinfraktionenrufen verschiedene Typen von Induktionen (mesodermale,neurale oder entodermale Induktionen) hervor. Diese Gewebeenthalten also Faktoren,von denen in den letzten Jahreneinige charakterisiert worden sind.So macht man heute für die Induktion mesodermaler Derivate(Chorda, Muskulatur, Blutzellen etc.) Faktoren der FGF(Fibroblasten- Wachstumsfaktoren = Fibroblast GrowthFactor) und der TGFß (Transforming Growth Factor) -ProteinSuperfamilien verantwortlich. Der erste in hochan-gereicherte Form isolierte Induktionsfaktor war dervegetalisierende Faktor (Arbeiten von Prof.Dr.Dr.Tiedemann), der identisch oder weitgehend identisch mitAktivin A (=EDF) ist. Der zuerst von J.Smith isolierte XTC-MIF (Xenopus Tadpole Cells Mesoderm Inducing Faktor)wurde aus dem Überstand einer permanenten Xenopus-Zellinie gewonnen . Es handelt sich dabei um einProteingemisch, das als aktive Komponente Aktivin enthält.Aktivin, XTX-MIF und vegetalisierender Faktor habenidentische Induktionseigenschaften. Das mittlerweisegentechnisch (rekombinant) in homogener Form(Reinstsubstanz) synthetisierbare Aktivin besitzt eine hohebiologische Aktivität (Induktionsaktivität) in geringstenKonzentrationen. Aktivin gehört zur TGFß-Superfamilieund induziert bei Konzentrationen von 20-100 ng/ml inkompetentem Ektoderm (Ektoderm der mittleren Blastula,animal cap assay) dorsale mesodermale Strukturen wieChorda und Somitenmuskulatur. In niedrigerenKonzentrationen (weniger als 20 ng/ml) werden ventralemesodermale Struktiuren realisiert. (Grunz, 1983, Asashimaund Mitarbeiter, 1991)[Abb.72]. Weitere wichtige Faktorender TGFß-Superproteinfamilie sind die BMPs (bonemorphogenetic protein), die ventrales Mesoderm induzieren

Abb. 59 Wichtige Vertreter der TGFß-Super-proteinfamilie.Auch der vegetalisierende Faktor (als erster isoliert) liegt alsDimer vor. Durch reduzierende Substanzen (Mercaptho-ethanol) wird die Dissulfid-Brücke (siehe auch bei Activin inder Abbildung) zerstört und der Faktor inaktiviert.

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können.Sie spielen aber auch eine wesentliche Rolle bei derDetermination von Ektoderm zu Epidermis und neuralenStrukturen (Gehirn). Dieses Forschungsgebiet steht im Zen-trum intensiver Forschungen international bekannterForschergruppen, weil diese Faktoren nicht in derNormogenese und im Zusammenhang mitEvolutionsprozessen, sondern auch bei der Krebsentste-hung eine zentrale Rolle spielen (Verwandtschaft vonWachstumsfaktoren und ihren Rezeptoren mit Oncogenenund Protooncogenen). Oncogene sind Krebs hervorrufendeGene oder ihre Produkte.

Von der Einzelle zum Embryo - Ausbildungder Körpergrundgestalt(Hauptkörperachsen)

Die Ausbildung folgender Polaritäten sind für dieEmbryonalentwicklung von entscheidender Bedeutung:

1. Ausbildung der animal/vegetativen Polarität2. Ausbildung der animal/vegetativen Polarität

3. Ausbildung der cranial/caudalen PolaritätDie Determination von anterior/posterioren Polarität fälltteilweise mit der cranial/caudalen Polarität früherGastrula-Stadien zusammen, i.e. die vordere (anteriore)Region der Dorsalregion entspricht der späterenKopfregion (cranial).Zu 1) Während der Oogenese entsteht bereits durchasymmetrische Verteilung von Dotter, Embryonalpigment,aber auch von molekularbiologisch charakterisiertenSubstanzen wie Vg1 und bestimmte mRNAs und Proteineeine animal/vegetative Polarität. Bei Drosophila bildet sichwährend der Oogenese durch Einlagerung maternalerSubstanzen, die anteriore/posteriore Embryonalachse aus.Ein wichtiger Faktor ist dabei das maternale Effekt Genbicoid.

Abb. 60 Darstellung der verschiedenenPolaritäten am Beispiel eines jungenAmphibienembryos (frühes Schwanz-knospenstadium)

Abb. 61 Determination der anterioren/posterioren und dorsal/ventralenPolarität während der Oogenese beiDrosophila.Bereits während desOozytenstadiums werden von denNährzellen bicoid-mRNA transferriert.Diese mRNA und das von ihrkodierteProtein bestimmt diePositiondes zukünftigen Kopfes. Sowohl diemRNA als auch das Protein ist in Formeines Gradienten (Abnahme von anteriornach posterior) verteilt.

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Abb. 62 Determination der Polaritäten während der Amphibien-Embryonalentwicklung A. Ausbildung der animal/vegetativen Polarität (Ooozytenstadium vor der Besamung) B. Ausbildung der animal/vegetativen Polarität durchCortical Rotation nach Eindringen des Spermiums auf der gegenüberliegenden Seite in der anialen Hälfte C. Bildungdes dorsalen Mesoderms (auch als Nieuwkoop Center bezeichnet) D. Bildung des Spemann'schen Organisators E. F.Ausbildung der cranial/caudalen Polarität durch Retinsäure und FGF (E = frühe Gastrula, F = späte Gastrula)

Abb. 63 Traditionelles (A) und Modernes Konzept (B)der Frühembryonalen Induktion.Dargestellt sind zweifrühe Gastrulae.Früher nahm man an, daß sämtliche Induktionssignaleinstruktiv von der Spemannschen Organisatorregionausgingen, und die übrigen Bereiche des Embryoslediglich auf diese Signale permissiv reagierten. Deshalb

A Bsind diese Signale in (A) als Pfeile dargestellt.Molekularbiologische Befunde in neuester Zeit habenjedoch gezeigt, daß die in der Spemannschen Organisatorexpremierten Gene und sezernierten Induktoren eineInhibitionswirkung gegenüber BMP-4, Nodal und Wntausüben. BMP-4 wirkt als Antagonist zu den neuralenInduktionsfaktoren wie Chordin, Noggin und Cerberus.(Weitere Informationen im Text).

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Zu 2) Durch den Spermaeintritt unterhalb des animalen Pols(aber innerhalb des Breitengrades zufallsgemäß), kommt esexakt auf der gegenüberliegenden Seite im vegetativenBereich zur „Cortical Rotation“. Dabei verschiebt sich dieCortex (Rinde) gegenüber dem tieferliegenden Cytosoläquatorialwärts. Bei einigen Amphibien bildet sich dersogenannte graue Halbmond aus, der partiell der zukünftigenSpemannschen Organisatorzone (dorsale Urmundlippe inder frühen Gastrula) entspricht. Der graue Halbmond kommtdurch Embryonalpigmentverringerung in der Maginalzonedurch die Cortikalrotation zustande.

Man weiß mittlerweile eine Menge über die dabeiablaufenden molekularbiologischen Prozessea) Verlagerung von Vg1 (Substanz, die zur TGFβ-

Superproteinfamilie zählt)Verlagerung bestimmter mRNAs und andere ProteineVerlagerung von β-catenin in die zukünftige Dorsalseiteb) durch diese Verlagerung entsteht ein dorsales

Zentrum (manchmal als Nieuwkoop Centerbezeichnet). Durch Interaktion von Activin, Vg1 undWnt kommt es auf der Dorsalseite zur Activierungvon early response-Genen, wie goosecoid (gc) undsiamamois. Der Wnt-Signalweg ist eng korreliert mitβ-catenin, das vor allem auf der Dorsalseitelokalisiert und aktiviert wird.

Goosecoid (Homeobox-Gen), das nur auf der Dorsalseitein der Region des Spemannschen Organisator expremiertwird, aktiviert Gene, die für sezernierte Proteine wieChordin, Follistatin, Noggin, Frz-1 kodieren. SezernierteProteine sind Proteine die eine für die Auschleusung ausder Zelle notwendige Signalsequenz besitzen. Zu dennicht sezernierter Proteinen gehört z.B. goosecoid, daseine Homeodomäne besitzt, die die Bindung dieserspezifischen Regulatorproteine (Transkriptionsfaktoren)an die DNA ermöglichen.Chordin, Follistatin, Noggin, Frz-1 (Antagonist zumvegetalisierenden Wnt) werden nur in der Region desSpemannschen Organisators expremiert. Sie sind für dieDorsalisierung des Mesoderms und die Induktion desZentralnervensystems verantwortlich. Sie besitzen keineeigenen Rezeptoren sondern interagieren mit BMP4, dasals Antiorganisator wirkt (genauer Mechanismus derneuralen Induktion s. unten).Ein weiteres Molekül, das Kopfinduktionen hervorruft, alsopartielle Spemannsche Organisatoreigenschaften besitzt [derOrganisator programmiert eine komplette Achse: Kopf,Rumpf, Schwanz] ist Cerberus. Dieses Gen ist aktiv imKopfentoderm also noch weiter anterior als der klassische

Organisatorbereich. Das Protein ist ebenfalls ein Antagonistzu BMP4, darüberhinaus aber auch zu den RumpfinduktorenNodal und Wnt. Durch die Inhibition der drei Faktorenkommt es zur Bildung der Kopfstrukturen. Wird CerberusmRNA in ventrale Blastomeren des 8-Zell-Stadiums injiziert,so bildet sich ein zusätzlicher Kopf , also ein ähnlicher Effektwie er durch den vorderen Bereich des Organisatorshervorgerufen wird (Cerberus war in der Mythologie derHöllenhund, der mehrere Köpfe besaß).

Zu 3) anteriore/posteriore (cranial/caudale) PolaritätBei der Determination der zukünftigen Kopf-, Rumpf- undSchwanzregion ist eine Interaktion einer Reihe von Faktorenverantwortlich. Dazu gehört das gerade erwähnte Cerberus,aber auch Retinsäure (Vitamin A-Homolog) und Retinsäureabbauende Enzyme und wahrscheinlich FGF (Fibroblasten-Wachstumsfaktor). Durch noch nicht genaue bekannteMechanismen, an denen diese und noch unbekannte Faktorenbeteiligt sind, kommt es zur Programmierung der einzelnenGehirnregionen (Tel-, Di-, Mes-, Met- Myelencephalon unddes Rückenmarkes) und der Rumpf- und Schwanzregion.

Die Antiorganisatoren und das Neural Default Modell

1989 hat unsere Arbeitsgruppe Forschungsergebnissepubliziert, die bahnbrechend für das Verständnis derWirbeltierembryonalentwicklung waren. Die sich darananschließenden Versuche mehrerer Arbeitsgruppen ergabenevolutionsbiologische Erkenntnisse von bis dahin nichterwarteter Tragweite (s. unten).

Alle Experimente und Erwartungen nach Spemann’s undHilde Mangold’s Organisator-Experiment waren auf dieSuche nach dem Organisatorstoff (Induktor) gerichtet. Einsolcher Induktor, lokalisiert in der dorsalen Urmundlippe(Spemannscher Organisator), sollte demnach alle übrigenBereiche des Embryos veranlassen, sich in bestimmterRichtung zu organisieren und zu entwickeln. Der Induktorwäre also ein Instruktor, der die übrigen Bereiche des Embryosin permissiver (also nur in empfangender) Weiseprogrammiert (s. Abb. 63 A). Nach dieser traditionellenHypothese würde das Neuroektoderm neuralfaktoren-spezifische Rezeptoren besitzen und bei Anwesenheit einesneuralen Induktors zu Gehirnstrukturen determiniert. OhneInduktorsignal entwickelt sich das Ektoderm zu Epidermis,wie dies Isolationsexperimente tatsächlich zeigen konnten.Eine paradoxe Situation ergab sich jedoch, als wir zeigenkonnten, daß sich Ektoderm nach Disaggregation inEinzelzellen ohne Induktor zu Gehirnstrukturen entwickelte(Grunz und Tacke, 1989). Welche Rolle sollte nach den

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

traditionellen Hypothesen jetzt noch ein neuraler Induktorspielen? Für die späteren Untersuchungen von Interesse warunser Befund 1 Jahr später, daß der Zellüberstanddisaggegierter Zellen nach Zugabe zu disaggregiertenEktodermzellen die Neuraldifferenzierung unterband. DieZellen differenzierten sich wie nicht disaggregierteEktodermzellen zu Epidermis. Schon zu dieser Zeit nahmenwir an, daß ein bestimmtes Molekül im Extrazellularraumdie autonome Neuralentwicklung des Ektoderms verhindert(Grunz und Tacke, 1990). 5 Jahre später wurde dann diesesMolekül identifiziert (Wilson und Hemmati-Brivanlou,1995). Es handelt sich um BMP-4 (bone morphogeneticprotein= Knochen-Morphogenetisches Protein). Wie auchbei einigen anderen Wachstumsfaktoren (FGF, TGF) hatBMP während der frühembryonalen Entwicklung eine andereAufgabe als bei der Organogenese, nämlich Mitwirkung beider Determination der dorsal/ventralen Polarität. Später inder Entwicklung wird BMP seinem Namen gerecht und istbei der Knochenbildung beteiligt.

Welche Rolle spielt BMP4 und neuraleInduktionsfaktoren bei der Gehirndetermination?

Mittlerweile weiß man, warum sich disaggregierteEktodermzellen zu Gehirnzellen entwickeln. Offensichtlichwird bei der Disaggregation BMP4 und/oder BMP2 aus demExtrazellularbereich abgelöst und diffundiert in dieZellkulturlösung. Die Konzentration von BMP ist nun sogering, daß eine Bindung an den BMP-Rezeptor nicht ingenügender Konzentration erfolgen kann (Abb. 64,67 ).BMP-Zugabe in genügender Konzentration insKulturmedium bewirkt die Determination der disaggregiertenZellen zu Epidermis.Bereits vor der Entdeckung des „epidermalisierenden“Effektes von BMP wurde ein sezernierter gehirninduzierenderFaktor, das Chordin, im Bereich der dorsalen Urmundlippe(Spemannschen Organisatorbereich) gefunden. Wenn manEkoderm (intakte animale Kappen) mit diesen Proteinbehandelte, so erhielt man Gehirnstrukturen. Unbehandelteanimale Kappen differenzieren sich zu Epidermis. Wie ließensich diese Befunde mit der Disaggregationsexperimentevereinbaren? Es stellte sich heraus, daß Chordin im Gegensatzzu traditionellen Überlegungen keinen eigenen Rezeptorbesitzt. Vielmehr reagiert es mit BMP im Extrazellularraumzwischen induzierenden Chordamesoderm und reagierendenNeuroektoderm und bildet mit ihm einen Komplex. Dadurchkann BMP2/4 nicht mehr mit seinem Rezeptor interagieren,was eine Neuralisierung des Ektoderms zur Folge hat. Daherergibt sich das gleiche Ergebnis wie bei der Disaggregationder Ektodermzellen. Damit war der scheinbare Widerspruch

– autonome Neuralisation bzw. neurale Induktion –aufgehoben. Mittlerweile konnte gezeigt werden, daß allebisher bekannten neuralisierenden Faktoren wie Follistatin,Noggin und Cerberus Komplexe mit BMP 2/4 bilden. Somitwirkt BMP als Antiorganisator. Im Gegensatz zurtraditionellen Auffassung ist somit der Grundzustand desEktoderms neural und nicht epidermal. BMP wirkt also alsepidermaler Induktor. Diese Befunde haben deshalb zurBezeichnung „Neural-Default-Status“ des Ektoderms geführt.Eine Neuralisierung des Ektoderms kann auch erzielt werden,wenn man den Signalweg des BMP4 unterbricht. Das istmöglich mit sogenannten dominant-negativen Inhibitoren.Zwei Strategien werden dabei angewandt. Entwedersynthetisiert man solche mRNA-Konstrukte, die für einunvollständiges BMP4-Protein kodiert, das nicht korrekt anseinen Rezeptor binden kann. Da die mRNA im Überschußmeist in die zukünftigen ventralen Blastomeren eines 8-Zellstadiums injiziert wird, kommt es zu einer Überexpression(overexpression). Die im frühen Embryo vorhandene korrektemRNA wird dadurch kompetitiv ausgeschaltet (also eindominant-negetativer Effekt). Ebenso kann man auch einemRNA im Überschuß injiziieren, die für einen defektenBMP4-Rezeptor kodiert. Dadurch wird erreicht, daß derBMP4-Ligand nicht mehr an den Rezeptor andocken kann.Auch dieser dominant-negative BMP-Rezeptor hat eineNeuralisierung (Gehirnbildung) des Ektoderms zur Folge.

Struktur und Funktion von Rezeptoren

Rezeptoren sind Moleküle, die auf Signalmolekülereagieren. Die Signalmoleküle(Liganden) docken inspezifischer Weise an ihrem Rezeptor an. Es gibt zweiHaupttypen von Liganden:1. Petidmoleküle wie Insulin oder Induktionsfaktorenbzw. Wachstumsfaktoren (Proteine), die mitplasmamembranständigen (äußere Zellmmembran)interagieren.2. Steroidhormone, die in die Zelle eindringen und dortmit ihrem Rezetor einen Komplex bilden.Im Falle beider Signalmolekül- und Rezeptortypenverläuft die weitere Signalkette bis zum Zellkern, wo esdann zu einer Interaktion mit der DNA und zurGenregulation kommt.Wie bereits erwähnt, reagiert BMP-4 mit seinem Rezetorauf der äußeren Zellmembran und bewirkt so, daß sichEktoderm zu Epidermis differenziert. Die bisherbekannten neuralen Induktionsfaktoren besitzen keineeigenenen Rezeptoren, sondern hindern das BMP mitseinem Rezeptor zu interagieren. Solche Signalkettensind in der Abbidung 65 zu sehen.

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Abb. 64 Schematische Darstellung der Interaktion von BMP-4 und seinem Rezeptor. Durch Bindung von Chordin undanderen sezernierten Induktionsfaktoren (Gene und ihreProdukte expremiert imOrganisator- bereich) an BMP-4kommt es zur neuralen Induktion. Zusammen mit anderenSignalketten und sekundären Interaktionen kommt es zurBildung des kompletten Zentralnervensystems.Die oben dargestellte Signalkette ist nicht auf dasAmphibienmodell beschränkt, sondern es handelt sich um inder Zellbiologie weitverbreitete Mechanismen der Interaktionvon Liganden mit ihren spezifischen Rezeptoren.

P

Accessory receptor(Type III receptor betaglycan)

Type II receptor(Primary Receptor)

Type I receptor(Transducer)

COOHCOOH

GS Box

NH2

NH2

HeteromericComplex

P

P

COOH

1. LIGAND BINDING

2. COMPLEX FORMATION

3. PHOSPHORYLATION

4. SIGNALPROPAGATION

VENTRALIZATIONand ANTINEURALIZATION

BMP4 or other members ofthe TGFß-superfamily

Formation ofneural tissue

Substrate

DORSALIZATIONand NEURAL INDUCTION

COOH

NH2

P

COOH

BMP4/Inductor-Complex

Inhibition ofBMP4-bindingto the receptor

Formation ofepidermis

Diluting outinto the culturemedium afterdisaggregation

AChordin or other neural inducers(nogging, cerberus, etc.)

II I

II I II I

B C

Kern, DNA

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Man kann experimentell die DNA so verändern, daß sie einemutierte mRNA transkribiert und folglich die Synthese einesnicht mehr funktionsfähigen Rezeptors zur Folge hat (Abb.66). Wird diese mRNA in Blastomeren des 2-Zellstadiumsinjiziert, so wirkt das translatierte Protein als dominant-negativer Rezeptor, d.h. es konkurriert bzw. dominiert dasWildtyp-Protein und hat damit einen Inhibitionseffekt (alsonegativen Effekt) (Abb.66).Ähnliche Effekte kann man auch dadurch erreichen, daß manden Liganden(z.B. BMP-4) mutiert, so daß er nicht mehr mitseinem Rezeptor reagieren kann. Im diesem Falledifferenziert sich dann Ektoderm nicht zu Epidermis wie inder Normogenese, sondern zu neuralen Strukturen.

Abb. 65 Signalkette von Wachstumsfaktoren(embryonalen Induktionsfaktoren), die zurAnschaltung von Genen im SpemannschenOrganisatorbereich führen.

Abb. 66 Effekt eines dominant-negativenRezeptors

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Die Bedeutung von Gradienten

Wie kommt es nun aber zur differenziellen Ausbildung dercranial/caudalen Polarität also zur Organisation von Kopf,Rumpf- und Schwanzregion? Gut erklären kann man sich dieBildung der Dorsalseite (hohe Konzentration von Chordin,kaum BMP) bzw. Ventralseite (hohe Konzentration vonBMP, kein Chordin). Wie sieht es aber in der intermediärenRegion aus? Hilfreich bei der Beanwortung dieser Frage warder Nachweis einer Metalloprotease mit der BezeichnungXolloid. Dieses Enzym wird ebenso wie BMP4 und Chordinwahrscheinlich in spezifischer Konzentration in denExtrazellularraum sezerniert und löst den BMP/Chordin-Komplex auf, in dem es das Chordin in zwei Domänenspaltet. Damit wird Chordin inaktiv und BMP wird wiederfrei und kann an seinen Rezeptor binden. Mit diesem Modellkann man die Bildung eines spezifischen anterioren/posterioren Gradienten postulieren (Abb.68A ). Einähnlicher Mechanismus kann ebenfalls für Cerberusangenommen werden. Interessant an Cerberus ist, daß dasProtein in 2 verschiedenen Formen als Cer-L (lange Form)und Cer-S (kurze Form) vorkommt. Beide Formen bindenBMP, Nodal und Wnt in unterschiedlicher WeiseeinesGradienten (Abb. 68B). Durch Inhibition sämtlicherRumpforganisatoren (ventral/caudal) wie BMP, Nodal undWnt kommt es zur Realisation der Kopfregion (Piccolo, S.,Agius, E., Leyns, L., Bhattacharyya, S., Grunz, H., Bouwmeester,T. and DeRobertis, E. M. (1999). The head inducer Cerberus is amultifunctional antagonist of Nodal, BMP and Wnt signals. Nature397: 707-710).

Bedeutung von BMP und Chordin für die Evolution -Die Urbilateralia-Hypothese

Von großer Tragweite für die gesamte Biologie war derBefund, daß bei Drosophila (Vertreter der Evertebrata)homologe Gene und ihre Produkte zu denen von Xenopusoder Zebrafish (Vertebrata) gefunden wurden. So gibt es zuChordin (Xenopus) ein homologes Protein bei Drosophila,nämlich short gastrulation (sog). Das homologe Protein zuBMP 2/4 /(Xenopus) ist dpp (decapentaplegic, Drosophila).Wichtig für das Verständnis der Evolutionsprozesse war derBefund, daß Chordin bei Xenopus die zukünftige Dorsalseite,sog bei Drosophila aber die zukünftige Ventralseitedeterminiert. Bei BMP/dpp ist es umgekehrt. Ebensoeindrucksvoll war der Versuch, bei dem die in Drosophilaventralisieren de sog -mRNA in Xenopus-Embryonen injiziertwurde und dort eine Dorsalisierung (Kopfstrukturen)hervorrrief. Andererseits wirkt dpp wie BMP. Daraus wurde

Abb. 67 Nachweis des Antagonismus zwischen Chordinund BMP-4.Der in der Spemannschen Organisatorregion expremierteneurale Induktionsfaktor Chordin bildet mit BMP-4 oderBMP-7 einen Komplex und verhindet dadurch die Bindungvon BMP-4/7 an seinen Rezeptor (Genaue Erklärung sieheText).BMP bewirkt die Determination von Ektoderm zu Epidermis.Werden Ektodermzellen disaggregiert, bilden sichNeuralstrukturen (oberer Teil der Abbildung). Das wirdauch durch RT-PCR (unterer Tei der Abbildung)nachgewiesen. Der pan-neurale Marker NCAM ist im Embryo(Kontrolle)(Bande 1) und in disaggregierten Zellen(Bezeichnung: untreated, Bande 2) nachzuweisen. NachZugabe von BMP zu den disaggregierten Zellen (Bande 3)wird die Expression des neuralen Markers verhindert.Folglich kommt es jetzt zur Expression desepidermisspezifischen Keratins. Wird gleichzeitig BMP undChordin (Bande 4) zugegeben, wird das BMP daran gehindertmit seinem Rezeptor zu reagieren und es kommt zur Expressionvon NCAM und histologisch zur Bildung vonGehirnstrukturen

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geschlossen, daß Protostomia und Deuterostomia aus einergemeinsamen Urform (den Urbilateralia) vor ca. 300 – 600Millionen Jahren hervorgegangen sind.Curioserweise wurde mit diesen molekularbiologischenBefunden die bereits 1822 von dem französischen AnatomGeoffry De-Hillaire aufgestellte Hypothese bestätigt, daßbezüglich dorsal/ventraler Polarität kein Unterschied bestehtzwischen Evertebraten und Vertebraten. Er hatte einenHummer auf den Rücken plaziert und fand auf diese Weisedie gleiche Organisation wie bei den Wirbeltieren nämlichdas Herz auf der Bauchseite und das Zentralnervensystemauf der Rückenseite (Abb.70). In dieser hart geführtenAuseinandersetzung war der französische Anatom Curvierder Hauptvertreter der Mehrheit der Wissenschaftler, dieweiterhin die traditionelle Auffassung vertraten.

Ein weiteres spektakuläres Beispiel für konservierteGenfunktionen in der Evolution – das Masterkontroll-GenPax 6 (siehe S. 4, 5, 137 ).

Die Bedeutung und Wirkungsweisefrühembryonaler Induktionsfaktoren

Frühembryonale Induktionsfaktoren (Determinat-ionsfaktoren) sind für die Progammierung desKörperbauplanes verantwortlich. Durchspezifische Interaktionen mit Transkriptions-faktoren sorgen sie für die räumliche und zeitlicheRegulation (Expression und Repression) der fürdie Zelldifferenzierung bedeutsamen Gene undihrer Produkte. Diese Prozesse sind für die Bildungdes Mesoderms (Derivate: Muskulatur, Chorda,Herz, Blut) und des Zentralnevensystems (Gehirnund Nervenbahnen) von fundamentaler Bedeutung.

Der erste mit biochemischen Methodenhochangereicherte Induktionsfaktor (Protein) warder von der Gruppe Prof. Tiedemann, Berlin, ausHühnerembryonen isolierte Mesoderm- undEntoderm-Derivate induzierende Faktor. Er wurde

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Abb. 68 Modelle für die Erklärung der Ausbildung von dorsal/ventralen (Rücken/Bauch)und anterior/posterioren (Kopf/Rumpf/Schwanz) Gradienten. Das obere Diagramm zeigt die Interaktionvon Chordin (Region 4, Induktor des Spemannschen Organisators)und BMP-4 (Region 1 auf der zukünftigen Bauchseite). In derintermediären Region bewirkt ein Enzym (Xolloid=Metalloprotease,bei Drosophila: Tolloid) für die Spaltung des Chordin/BMP-4-Komplexes innerhalb des Chordins. Dadurch kommt es zur partiellenFreisetzung des BMP-4 und durch seine Bindung an seine Rezeptorenzur Realisation intermediärer Differenzierungen (zwischen dorsalund ventral). Ähnliche Mechanismen gibt es bei Drosophila, dortaber programmiert das Chordin-Homologe Short gastrulation(sog) die Ventralseite und decapentaplegic (dpp, homolog zu BMP-4) die Dorsalseite (siehe auch meine Hinweise auf dieEvolutionsaspekte dieser Befunde).Das untere Diagramm zeigt die Wirkungsweise von Cerberus,einem Gen, das im einwandernden Kopfmesoderm (in der äußerst

anterioren Region des Spemann'schen Organisatorregion)expremiert wird. Es konnte gezeigt werden, daß bei gleichzeitigerInhibition von BMP-4, Nodal und Wnt die Kopfregion realiesiertwird. Fehlt Cerberus oder ist das Gen mutiert, kommen die Rupf-und Bauchregion-Organisatoren BMP-4, Nodal und Wnt zum Zugeund dem resultierenden Embryo fehlen die Kopfstrukturen.Besonders interessant ist die Tatsache, daß Cerberus in einerkurzen und langen Proteinform vorkommt und offensichtlich inForm eines Gradienten sezerniert wird. Die lange Form bindet alleMoleküle BMP-4, Nodal und Wnt. Damit kommt es zur Bildung desVorderkopfes und Vorderhirns. Nimmt man an, daß in einerintermediären Zone vor allem die kurze Cerberus-Form sezerniertwird, kommt es nur zur Bindung von Nodal und damit zur Realisationder Rumpfregion (Piccolo, S., Agius, E., Bhattacharyya, S., Grunz,H., Bouwmeester, T. and DeRobertis, E. M. (1999). The head-inducer Cerberus is a multifunctional antagonist of Nodal, BMPand Wnt signals. Nature 397, 707-710.)

A

B

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Abb. 70 Hummerpräparation von Geoffry De-Hillaire.Der franz. Anatom orientierte das Tier mit demRücken zum Substrat. Damit ist die Anordnung derwichtigsten Organe ähnlich wie bei den Vertebraten- Herz auf der Bauchseite (ventral), dasZentralnervensystem auf der Rückenseite(dorsal)(siehe Urbilateralia-Hypothese).

Abb. 69 Verwandte Gene und ihre Produkte(Proteine) sind bei den Protostomia für dieDetermination der Dorsalseite und bei denDeuterostomia für die Ventralseite und vice versaverantwortlich (siehe Urbilateralia - Hypothese).

als vegetalisierender Faktor bezeichnet, weil er inkompetentem Ektoderm Gewebe induziert, die imEmbryo aus dem vegetativen Bereich und derMarginalzone (nicht aus dem animalen Bereich)des Embryos hervorgehen. Es konnte gezeigtwerden, daß eng verwandte Faktoren indifferenzierten Zellen (im erwachsenenOrganismus[Maus, Ratte, Mensch]) vorkommen.Dort wirken sie als Wachstumsfaktoren (growthfactors), d.h. als Stimulatoren der Zellteilung(Proliferation). Dazu gehören Proteine derFibroblasten-Wachstumsfaktoren (FGF)- und derTumorwachstumsfaktoren (TGFβ)-Super-proteinfamilien. In der Embryogenese wirken sieaber als Programmierungsfaktoren, d.h. alsDeterminationsfaktoren.

Es war ein international stark beachteterDurchbruch als nachgewiesen werden konnte, daßder vegetalisierende Faktor homolog ist zu Activin.Activin (activin βA), ebenfalls ein Mitglied der

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TGFβ)-Superfamilie wurde ursprünglich ausFollikel-Flüssigkeit isoliert. Es ist einGonadenhormon, das die FSH-Sekretion stimuliert.Ebenfalls eng verwandt mit Activin ist der vonSmith isolierte XTC-Faktor aus Xenopus-Larven-Zellkulturen (Xenopus Tadpole Cells) und derErythroid Differenzierungsfaktor (EDF). Letztererinduziert Erythroleukemia-Zellen zurDifferenzierung in Hämoglobin produzierendeZellen. Ein weiteres Activin-verwandtes Proteinkonnte aus Amnionflüssigkeit isoliert werden.Der Autor (H. Grunz) konnte als erster 1983 zeigen,daß vegetalisierender Faktor (= Activin) inkompetenten Ektoderm in Abhängigkeit derKonzentration und Dauer der Einwirkungszeiteine Vielfalt mesodermaler und entodermalerDerivate induzieren kann. Durch das induzierteMesoderm können dann noch sekundär neuraleStrukturen gebildet werden (Grunz, H. [1983]:Change in the differentiation pattern of Xenopuslaevis ectoderm by variation of the incubationtime and concentration of vetalizing factor. Roux’sArch. Dev. Biol. 192, 130-137).

Mit steigenden Konzentrationen und Verlängerungder Einwirkungszeit des Induktionsfaktors kommtes zu einer Verschiebung des Differenzierungs-musters von ventralen zu dorsalen mesodermalenStrukturen. Man kann die gebildeten Gewebebestimmten Zonen im Embryo zuordnen. So sindBlutzellen, Herz und Coelom auf der Ventralseite,Vornierenkanälchen in der IntermediärzoneundSomiten, Chorda und Neuralrohr auf derDorsalseite lokalisiert. Eine solche Veränderungdes Differenzierungsmusters von ventral zudorsalen Strukturen ist in den Abbildungen 72 A-F zu sehen. Niedrige AktivinKonzentrationeninduzieren Blutzellen und Herzstrukturen (Abb.72 B,C). Mittlere Konzentrationen induzierenChorda und Muskulatur (Abb. 72 F,G). Sehr hoheKonzentrationen von Activin (vegetalisierenderFaktor) bewirken die Bildung entodermaler

Derivate (Abb.72 H), wie dies im Embryo amvegetativen Polbereich der Fall ist.Steigende Activinkonzentrationen bewirken dieAktivierung spezifischer Gene in einer bestimmtenSequenz. Vergleiche dazu auch die Ergebnissevon Christine Nüsslein-Vollhard (Nobelpreis1995), die eine Korrelation zwischen Gradientenbestimmter maternaler Faktoren (z.B. Bicoid) undder Aktivierung spezifischer Gene nachweisenkonnte. Durch neuere Arbeiten von Green undSmith konnte gezeigt werden, daß selbst bei linearerErhöhung der Activinkonzentrationen dieAnschaltung von charakteristischen Genen undfolglich die Programmierung bestimmter Zelltypenin dem behandelten Ektoderm stufenweise erfolgt(Abb. 75). Dies ist besonders schön zu sehen, beiden folgenden Gen-Expressionen: Epidermis-Keratin: kein oder fast kein Activin; ventral/posteriore Gene Xhox 3, XIHbox 6: wenig Activin;Gene der ventralen Marginalzone: Muskel Actinund Brachyury (Xbra): mittlere Activin-konzentration: Gen im Organisatorbereich[dorsales Mesoderm] goosecoid: hoheActivinkonzentrationen. Diese stufenweiseAnschaltung von Genen und die Musterbildunghabe ich in den Abbildungen 73 und 74 gezeigtenModellen dargestellt. Bei zunehmenden Activin-konzentrationen und Induktoreinwirkungszeitenkommt es zu einer stufenweisen Realisierungbestimmter Zelltypen. In Abbildung 56 ist dieRückseite des Modells gezeigt, an der man diegleichzeitige Realisierung bestimmter Gewebe-typen klarmachen kann. Hier nur drei Beispiele:bei hoher Activinkonzentration und langerInkubationsdauer bildet sich Chorda und Entodermoder nur Entoderm (Säule 9 und 7, undhistologisches Präparat, Abb.54 G.,H.); beiniedriger Activinkonzentration und kürzererInkubationszeit erhält man Explantate, dieEpidermis und Mesenchym (2), Herzstrukturen(4), Muskulatur (6), Chorda (7) undNeuralstrukturen (8) enthalten. Unbehandelte

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Ektoderm-Explantate differenzieren sich nur zuatypischer Epidermis (Abb. 73,74(1) und Abb.72A.Neueste Untersuchungen deuten darauf hin, daßder Grundzustand (default-Zustand) des Ektodermsneural ist (Hemmathi-Brivanlou 1994; Kelly undMelton, 1994). Durch sehr geringe Konzentra-tionen von Wachstumsfaktoren (z.B. BMP-verwandte Faktoren) im Ektoderm oder in derextrazellulären Matrix des Ektoderms könnte dieNeuralisation des Ektoderms verhindert werden.Neurale Induktoren im SpemannschenOrganisatorbereich würden nach dieser Hypothesemit solchen Faktoren interagieren und somit dieNeuralisation des Ektoderms verhindern.Diese Hypothese wird auch durch unsereDisaggregations- und Reaggregationsversuche vonEktoderm gestützt. Disaggregierte Ektodermzellen(3 Stunden einzeln gehaltenen) bilden nach ihrerReaggregation neurale Strukturen (Grunz undTacke 1989, 1990). Die als Einzelzellen über 3 hkultivierten Ektodermzellen könnten aus derextrazellulären Matrix Faktoren ins umliegendeMedium verlieren, die für die Determination desintakten nicht disaggregierten Ektoderms (währendder Normogenese) zu Epidermis erforderlich sind.Nur der Teil des Ektoderms (Neuroektoderm), dervom einwandernden Chordamesoderm(Organisatorbereich = dorsaler Urmundlippen-bereich) unterlagert wird und neuralisierndenFaktoren ( aus dem Chordamesoderm stammend)ausgesetzt ist, wird in neuraler Richtung (Zentral-nervensystem) determiniert.

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Abb. 72 (links) Differenzierung von kompetentem Ektodermvon Xenopus laevis, das im Sandwich-Test (animal capassay) mit steigenden Konzentrationen von vegetalisierendenFaktor (= Activin) behandelt wurde. A. kein Activin(Kontrolle)B,C niedrige Activin-Konzentration D-F mittlere Activin-Konz. G,G hohe Activin-Konz. (Grunz, 1983)Bei steigenden Aktivinkonzentrationen wird folgende Sequenzvon induzierten Geweben beobachtet: Epidermis (A),Blutzellen (B), Mesenchym und Blutzellen (C), Herzstrukturen(D), Herzstrukturen und Niere (E), Muskulatur (F),Muskulatur und Chorda (G), Entodermderivate (H)

Abb. 71 (oben) Wirkungsweise von frühembryonalenInduktions-faktoren (Schema verändert nach Asashima,1994)Dargestellt sind die Induktionsfaktoren (Activin[=vegetalisiernder Factor] und aFGF/bFGF), die chemischunterschiedlichen Proteinsuperfamilien angehören:1. FGF (Fibroblasten growth factor)-Superproteinfamilie2. TGFß (Transforming growth factor)-Superproteinfamilie

A

B

E

F

C G

D H

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Abbildungen 73-75 Darstellung der Wirkungs-weise frühembryonaler Induktionsfaktoren(Gradientenmodelle[Grunz, 1996] und Northern-blot[Abb.75], verändert nach Green, New, Smith,1992)Gezeigt sind die Effekte von Activin (= vegeta-lisierender Faktor, XTC, oder EDF), Vertreter derTGFß-Superproteinfamilie. [vergleichedecapentaplegic (dpp) -Gen bei Drosophila; auchein Vertreter der TGFß-Familie].Abb. 73zeigt die schematische Darstellung der inden Abbildungen 72 und 75 gezeigten Ergebnisse:Realisation verschiedener Gewebe in Abhängigkeitvon der Konzentration(K) und Dauer derEinwirkungszeit(T). Trotz linearer Zunahme vonK und/oder T erfolgt die Induktion derverschiedenen Gewebe bei Erreichen bestimmterSchwellenwerte (threshold concentrations)stufenweise (verg. Abb. 72 und 75).Abb. 74 (Rückseite des Modells) zeigt die alleinigeoder gleichzeitige Realisation verschiedenerGewebe.

Abb.73 (1 atypische Epidermis, 2 Epidermis undMesenchym, 3 Coelomepithel und Blutzellen, 4 Herzstrukturen,5 Vornierenkanälchen, 6 Muskulatur (Somiten), 7 Chorda,8 Neural, 9 Entoderm

Abb. 745 Vornierenkanälchen,

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*)Die Problematik ist jedoch komplizierter als hierbeschrieben. Offensichtlich werden bei unterschiedlichenAktivinkonzentrationen zunächst die gleichen Gene (vorallem ventral mesodermale) angeschaltet. Die Expressiondorsaler mesodermaler Gene erfolgt dann aufgrundsekundärer Zellinteraktionen.

Grunz,H. (1979) Change of the differentiation pattern of amphibianectoderm after the increase of the initial cell mass. Wilhelm Roux’ Arch.187, 49-57Minuth, and Grunz(1980) The formation of mesodermal derivates afterinduction with vegetalizing factor depends on secondary cellinteractions. Cell Differentiation 9, 229-238Green, J.B.A., Smith, J.C. and Gerhart, J.C. (1994). Slow emergenceof a multithreshold response to activin requires cell-contact-dependentsharpening but not prepattern. Development 120, 2271-2278.Wilson, P.A., and Melton, D.A. (1994). Mesodermal patterning by aninducer gradient depends on secondary cell-cell communication.Current Biology 4, 676-686.

Abb. 75 Bei bestimmten Konzentrationen vonActivin (Erreichen bestimmter Schwellenwerte),werden neue Gene aktiviert, dafür aber andere fastoder ganz abgeschaltet (*). Gut zu sehen ist das fürKeratin (Abschaltung bei 0.9 units/ml)undAnschaltung (Expression) von Xhox 3. Ebenfallsdeutlich zusehen ist der Wechsel von brachyury(Gen in der Marginalzone mit Ausnahme derOrganisatorregion) und goosecoid (Gen in derOrganisatorregion) (nach Green,New,Smith, 1992)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

A

B

C

D

aging in vitro up till stage 12.5 prior to

± Suramin treatment

± Suramin

± Suramin

± Suramin

A. Isolierung des Spemannischen Organisators (obereUrmundlippe) der früheren Gastrula (oben) und der mittlerenGastrula (Mitte) bzw. Extirpation der Neuralplatte/Chordamesoderm aus der früheren Neurula (unten).Wird die obere Urmundlippe (Spemannischer Organisator)mit mikro-chirurgischen Methoden aus dem 1,5 mm großenEmbryo (Stecknadelkopf-größe) isoliert und in Zellkulturaufgezogen, so differenziert sich dieses Fragment zu Chorda[zukünftige Wirbelsäule] (no), Muskulatur (so) undGehirnstrukturen (br) (s. Abb. B). Wird der SpemannscheOrganisator mit Suramin behandelt,differenziert sich dasExplantat zu einem blasenförmigen Gebilde, das sichrythmisch kontrahiert (Abb. C). Histologische undmolekulargenetische Analysen haben ergeben, daß sich derSpemannsche Organisator unter diesen Bedingungen zuHerzstrukturen entwickelt.Suramin (Germanin

®), ursprünglich gegen den Erreger der

Schlafkrankheit eingesetzt, interagiert mit Wachstums-faktoren, die im Spemannschen Organisator vorhanden sindund verändert seine Differenzierungsrichtung (Grunz, 1992,1993;Oschwald, Clement, Knöchel, Grunz, 1994; Fainsod,Steinbeisser, DeRobertis, 1995). Durch die Behandlung mitSuramin kommt es zur Ventralisierung (Herzstrukturen,Abb. 76 C,D) der dorsalen Strukturen (Chorda undMuskulatur) des Spemannschen Organisators.

B . Isolierte obere Urmundlippe (SpemannscherOrganisator) ohne Suramin-Behandlung hat sich, wieerwartet, zu Chorda und Muskulatur entwickelt.no = Chorda, so = Somiten (Muskulatur),br = Gehirn

C. .Histologischer Schnitt durch eine Blase mitHerzstrukturen, die aus der oberen Urmundlippe(Spemannschr Organisator) nach Suramin-Behandlunghervorgegangen ist.h = Herzstrukturen, ce= cement gland (Haftdrüse)

D. Ein Herzspezifischer Gen-Marker beweist, daß sichisolierte dorsale Urmundlippe nach Behandlung mit Suraminzu Herzstrukturen differenziert hatte (Vergleiche das Herz inder normalen Larve).

E. Das in der isolierten oberen Urmundlippe vorhandeneKopfentoderm wird durch die Suraminbehandlung nichtinhibiert. Der Gen-Marker Endodermin wird im Entodermdes Embryos (Schwanzknospenstadium) und imSpemannschen Organisator mit oder ohneSuraminbehandlung expremiert.

Abb. 76 Spemannscher Organisator, behandeltmit oder ohne Suramin (Grunz, 1992,1993)

A

Veränderung der Differenzierungsrichtung des Spemannschen Organisators von Chorda /Muskulatur zu Herzstrukturen durch Suramin (Abb. 76) und Organ-Engineering (Abb. 77).

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

C

Abb. 77. .Spemannscher Organisator differenziert sichnach Behandlung mit Suramin zu Herzstructuren(Abb. 76C).Solche in Gewebekultur erzeugten Herzstrukturen könnendie normale Herzanlage, die dem Empfängerembryo entferntwurde (E), ersetzen (F, Rescue-Experiment). Diese Larvenbewegen sich wie normale Larven.Wird das experimentellerzeugte Herz in die caudale Bauchregion transplantiert(D), so erhält man ein zusätzliches Herz (H).In G sind Larven nach 12 Tagen Aufzucht mit ersetztem Herz(wie in A) und Larven ohne Herz zu sehen. Die Larven ohneHerz sind hypertrophiert (aufgebläht). Das ist damit zuerklären, daß sie aufgrund des fehlenden Herzens natürlichauch keine funktionierenden Nieren besitzen (fehlendeDurchblutung). Diese Larven haben keine Überlebenschance.

F

G

H

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Das Experiment erlaubt folgende Aus-sagen:

1. Der Augenbecher induziert imdarüberliegenden Ektoderm die Linse2. Das Induktionssignal ist nicht spezies-spezifisch (bei dem Experiment handelt essich um eine heteroplastischeTransplantation)3. Das reagierende Gewebe dagegendifferenziert sich spezies-spezifisch (Größeder Linse entspricht der Spezies, aus derdas Ektoderm stammt) [herkunftsgemäßeEntwicklung]4. Nicht nur das Ektoderm in der Nähe des(bzw. über dem) zukünftigen Augenbecherkann auf das Induktionssignal reagieren,sondern auch das gesamte ventraleEktoderm (präs. Bauchepidermis). DiesesExperiment ist nicht in Abb.78 dar gestellt.Es konnte jedoch an Xenopus-Embryonengezeigt werden, daß es auch zurLinsenbildung ohne Augenbecher kommenkann (sogenannte freie Linsen). Wird in derfrühen Neurula der schraffierte Teil(Neuroektoderm und das drunterliegendeMesoderm, siehe Abb.79) explantiert, sofindet man trotz einseitig fehlendemAugenbecher häufig eine Linse (freie Linse)(Brahma und Grunz, 1988). Dieser Befundist jedoch nicht wiedersprüchlich zu denBefunden von Spemann (Bedeutung desAugenbechers für die Linseninduktion),weil offensichtlich zumindest bei Xenopusbereits in der frühen Neurula dieLinsenbildung durch das unterlagerndeKopf-mesoderm im Ektoderm induziertwird. Die Linsendetermination erfolgt also

Augenentwicklung undTransplantationsexperimente

Das Wirbeltierauge ist ein hochentwickeltesLinsenauge. Der Augenbecher (Derivat desDiencephalon) induziert das darüber-liegende Ektoderm zu Linse und Cornea.Beim ebenfalls hochentwickeltenLinsenauge der Cephalopoden (Tinten-fische) geht dagegen sowohl derAugenbecher als auch die Linse aus demektodermalen Keimblatt durch Einstülpunghervor (siehe auch neue molekular-genetische Befunde zur Analogie-Homologie-Problematik; Pax6-Gen (Abb.2 und Seite 137).Wird präsumptive Bauchepidermis vonTriturus cristatus (Kammolch) in diezukünftige Linsenregion eines Triturusvulgaris Embryos transplantiert (Abb.78),so wird durch Induktion des Augenbechersdes Wirts eine Linse im Ektoderm desSpenders induziert (a). Das rechte Auge (b)des Wirts dient als Kontrolle. Die Linse ina (linkes Auge) ist deutlich größer als in (b)(normales rechtes Auge von T. vulgaris).

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 79 Abb. 80

vor der Ausformung des Augenbechers.Ähnliche Effekte hatte auch Spemann schonbei einigen Spezies beschrieben. In diesemZusammenhang wurde von ihm der Begriffder "doppelten Sicherung" geprägt. Erglaubte aber im Gegensatz zu uns, daß dasEktoderm bei einigen Spezies eineautonome interne Linsendifferenzierung-spotenz besitzt.Das Kopfmesoderm hat auch bei denUrodelen eine weitere wichtige Bedeutung.Es sorgt dafür, daß in der Normogeneserealisiert werden kann. Entfernt manexperimentell immer breitere Stücke desMesoderms in der medianen Zone (Abb.80, p.P. und En), so kommt es zu einerAnnäherung, einer partiellen Ver-schmelzung (Synopthalmie, Abb.81, 3),vollständigen Verschmelzung (Cyclopie;Cyclopenauge, Abb. 81, 4) und letztendlichzum Verschwinden der Augenregion (Abb.81, 6). Ähnliche Effekte können beiBehandlung der Embryonen mitCysteiniumchlorid beobachtet werden,wodurch die Ausdehnung oder dieEinwanderung des Entomesoderms und dieAugenanlagenbildung inhibiert wird.

Abb. 78 a,b (frühes Augenentwickl-ungs-stadium), Abb.678 c,d (Augen im adultenMolch, c= T. cristatus-Linse, d=T.vulgaris-Linse)

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 81

Transdetermination

Während der Embryonalentwicklung von Droso-phila sind im Larvenstadium Ansammlungen vonundifferenzierten Zellen vorhanden, die Imaginal-scheiben (imago [lat.] = erwachsen). Aus ihnengehen bestimmte Organbereiche des erwachsenenTieres (der Imago) hervor, z.B. Antennen, Augen,Beine, Halteren, Flügel und Genitalien. Die Zellender einzelnen Imaginalscheiben sind bereits deter-miniert, d.h. sie entwickeln sich normalerweise zuAntennen , Augen, etc. (Abb.96).

Ernst Hadorn und Mitarbeiter konnten aber zei-gen, daß die Zellen der Imaginalscheiben in eineandere Determinationsrichtung gelenkt werdenkönnen. Er nannte dieses Phänomen Transdeter-mination. So kann aus einer Genital-Imaginal-scheibe ein Bein hervorgehen. Jedoch sind nurbestimmte Transdeterminationsrichtungen mög-lich. Aus einer Bein-Imaginalscheibe können alsoumgekehrt keine Genitalien entstehen (Abb. 82b).

Abb. 82a

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Diese Transdeterminations-Potenzen konnten durch folgendeExperimente nachgewiesen werden: Imginalscheiben könnenaus Larven heraus-operiert und in erwachsenen Fliegen transplantiert werden(Abb.82a). Dort teilen sich die Imaginalscheiben-Zellenweiter, bilden aber keine adulten Organe. Nach verschiede-nen Zeiten (4-28 Tage) werden sie in normale Larventransplantiert. Bei der Metamorphose gehen Organe

hervor, die typisch sind für das adulte Tier. In denmeisten Fällen geht aus einer Antennen-Imaginalscheibe auch eine Antenne hervor. Jedochin einigen Fällen entwickelten sich ausTeilbereichen der Antennen-ImaginalscheibeBeinabschnitte. Dieses Phänomen wird als Trans-determination bezeichnet, weil anstelle des „nor-malen“ Organs eine Differenzierung realisiert wird,die einem anderen Körperbereich oder Körperteilentspricht Abb. 82a,b). Die Imaginal-scheibenzellen haben die Fähigkeit bewahrt, sichin eine andere Differenzierungsrichtung zuentwickeln als es ihrer normalen Potenz (odergemäß ihrer prospektiven Bedeutung) entspricht.Andererseits gibt es nur wenige Fälle im Tierreich,in denen sich differenzierte Zellen in einenanderen Zelltyp verwandeln können. Diese"normale" Zelltypstabilität (Erhaltung desDeterminations- und und vor allem Differ-enzierungszustandes) ist in vielen normalenGeweben lebensnotwendig und lebenserhaltend.Die anormale Veränderung der Zelldetermination

und Differenzierung und den damit verbundenenProzessen (Erhöhung der Zellproliferation,Änderung des Stoffwechsels und der Zellaffinitätund Motilität) ist dagegen häufig lebensbedrohend(Tumorbildung, Auswandern aus dem Zellverband[Metastasenbildung] bei der Krebsproblematik).

Transdifferenzierung (Metaplasia)

Ein unumstrittenes Beispiel dafür, daß sich adulteZellen die Potenz zur Umwandlung in andereZelltypen bewahrt haben, stellen die Irisepithel-zellen des oberen Irisbereiches bei bestimmtenMolcharten dar. Nach Entfernung der Augenlinsebildet sich aus diesen Zellen eine neue Linse(Abb.83). Dieser Prozeß wird auch als WolffscheLinsenregeneration bezeichnet. Es handelt sichalso um eine Transdifferenzierung (auch als Meta-plasia bezeichnet) von pigmentierten Irisepithel-zellen in transparente Linsenzellen. Dabei werdenGene aktiviert, die für spezielle Linsenproteine(Cristalline) kodieren. Die bei der WolffschenLinsenregeneration ablaufenden zellbiologischenProzesse wurden intensiv von Tuneo Yamada undMitarbeitern im Oak Ridge National Laboratory,Oak Ridge, Tennessee, untersucht. DieLinsenregeneration beim Molch stellt ein günsti-ges Modellsystem für molekularbiologische Stu-dien über die Mechanismen der spezifischen Ge-naktivierung und Genregulation dar. Folgende Pro-zesse wurden bei der Bildung einer neuen Linsebeobachtet:A. Die Kerne der Zellen des oberen Irisrandesverändern ihre Form.B. Die dorsalen Iriszellen bilden große Mengenvon Ribosomen.C. Einsetzen von DNA-Replikation mit anschlie-ßender Zellteilung.D. Dedifferenzierung der Irisepithelzellen: DieZellen entledigen sich der Melanosomen zusam-men mit Anteilen von Cytoplasma [Die dunkel-braun gefärbten Melanosomen geben den Irisepi-

Genital-Imaginalscheibe

Bein-Imaginalscheibe Imaginalscheiben fürKopforgane (Mund, Oberlippe)Antennen

Palpus

Flügel-Imaginalscheibe

ThoraxAbb. 82b

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thel-Zellen die charakteristische dunkle Färbung].Dieser Prozeß der Depigmentierung wurde vonYamada als Shedding (Abschnürung) bezeichnet.Die abgestoßenen Zellbereiche mit Melanosomenwerden von Makrophagen aufgenommen undwegtransportiert.E. Die dorsalen Irisepithelzellen (nicht aber dieZellen am ventralen Irisrand) fahren fort, sich zuteilen und bilden eine sich ständig vergrößerndeZellmasse in der Region der entfernten Linse.F. Die zukünftigen Linsenzellen synthetisierennun spezifische Proteine(α-, ß-, γ-, δ-Cristalline),die typisch sind für Linsenzellen.G. Die neue Linse bildet peripher angeordneteLinsenepithelzellen und zentral gelegene Linsen-fiberzellen.H. Sobald sich die neue Linse gebildet hat, been-den die pigmentierten Zellen am dorsalen Randder Iris ihre Mitosetätigkeit. Die Zellen am unteren(ventralen) Irisrand teilen sich kurz nach der Ent-fernung der ursprünglichen Linse ebenfalls fürbegrenzte Zeit. Es kommt aber zu keiner Dediffe-renzierung und Depigmentierung wie bei denZellen am oberen (dorsalen) Irisrand. Weiterhinsind auch Retinazellen des Molchauges in derLage, sich unter in vitro - Bedingungen inLinsenzellen umzuwandeln (Transdeterminationvon Retina- in Linsenzellen; Arbeiten vonLopashov (Moskau), Hoperskaya (Moskau),Eguchi (Japan).Diese Beispiele (Transdetermination und Trans-differenzierung) zeigen, daß differenzierteZellenin einem bestimmten Grade und unter bestimmtenBedingungen in der Lage sind, sich zu einenanderen Zelltyp zu entwickeln. Diese Potenz istaber limitiert. Eine Irisepithelzelle kann wohl zueiner Linsenzelle umprogrammiert werden, es istaber bis jetzt nicht gelungen, eine Trans-differenzierung eines anderen Zelltyps zuerreichen. Höchstwahrscheinlich ist dies auch garnicht möglich. Hinweise für eine eingeschränkteDifferenzierungspotenz differenzierter Zellenhaben auch die Kerntransplantationsexperimentegeliefert.

Abb. 83 Wolffsche Linsenregeneration(ausgehend vom dorsalen Irisrand beim er-wachsenen Molch, dessen ursprüngliche Linse miteinem Iridektomie-Messerchen* entfernt wurde,bildet sich eine neue funktionstüchtige Linse)( *wird auch in der Augenchirurgie beim Menschenverwendet)

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Dies konnte dadurch gezeigt werden, daß Kernevon Geweben in eine Zygote transplantiert wurden,deren eigener Kern zuvor experimentell entferntwurde. Der „neue“ Kern wäre dann in der Lage, dieAufgaben des entfernten Kerns zu übernehmen,d.h. die normale Embryonalentwicklung in Gangzu setzen. Ein solches Experiment erlaubt es dieWeißmann’sche Hypothese der eingeschränktenKernpotenz in den verschiedenen Geweben wäh-rend und nach der Differenzierung zu widerlegen.Briggs und King haben 1952 solche Experimentedurchgeführt, als entsprechende Mikro-transplan-tations-Methoden verfügbar waren. Sie konntenzeigen, daß Kerne von Blastulazellen nach ihrerTransplantation in entkernte Oozyten in der Lagewaren, die Entwicklung schwimmenderKaulquappen zu realisieren. Dieses Experimentwar eine Variante von Spemanns Versuch derverzögerten Kernversorgung eines geschnürtenAmphibieneies. Es war also schon klar, daß Bla-stulakerne noch über die Potenz verfügen, dieEntwicklung bis zum Larvenstadium und bis zummetamorphosierten Frosch oder Molch zu ermög-lichen. Es zeigte sich aber, daß Kerne aus zuneh-mend älteren Entwicklungsstadien (älter als Bla-stulae) kontinuierlich ihre Potenz verloren, dieEmbryonalentwicklung bis zum Larvenstudiumzu realisieren.

Abb. 84

Dabei zeigte sich jedoch, daß Kerne aus unter-schiedlichen Geweben oder Keimblättern verschie-dene Potenzen aufwiesen. Keimbahnzellen ausKaulquappen von Rana konnten in 40 % der Fälledie Entwicklung von Oozyten bis zur Kaulquap-pen steuern. Kerne somatischer Gewebe (z.B.Entoderm = zukünftiger Darm) der Kaulquappe(Rana) waren jedoch nur in geringem Prozentsatzin der Lage(Abb.85), die Entwicklung in Gang zusetzen. John Gurdon konnte zeigen, daß Kernevon Entodermzellen von Krallenfrosch-Kaulquappen (Xenopus laevis) noch über diePotenz verfügen, in 4 % Fälle die Entwicklung biszur schwimmenden Kaulquappe in Gang zu setzen.Durch Serientransplantationen (Entodermkern inOozyte, Entwicklung der Oozyte bis zur Blastula,Blastulakerne wieder in neue entkernte Oozyten)konnten die Prozentwerte der Entwicklung zurnormalen Larve deutlich erhöht werden (Abb.84,85). Selbst Kerne aus eindeutig differenziertenGeweben (Schwimmhautepithel des erwachsenenFrosches), die in "entkernte" Oozyten transplan-tiert wurden, konnten die Entwicklung bis zurNeurula realisieren. Durch Serientransplantationkonnte erreicht werden, daß in zahlreichen Fällenimmerhin das Kaulquappenstadium erreicht wur-de. Die Tiere starben aber kurz bevor gleichalte

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normale Kaulquappen mit der ersten Nahrungs-aufnahme beginnen. In sehr wenigen Fällenentwickelten sich die Larven zu adulten Fröschen(Abb.85). Aus diesen Ergebnissen kann gefolgertwerden, daß die Kerne adulter Gewebe noch alleGene enthalten, die wir auch im Oozytenkernvorfinden. Es findet also während der Differenzie-rung der einzelnen Gewebe kein differenziellerGenverlust statt. Es handelt sich vielmehr um eineselektive Expression verschiedener Gene korre-liert mit unterschiedlichen Entwicklungsstadienund Körperregionen (Organe, Gewebe). WarumKerne adulter Gewebe nur pluripotent und nichttotipotent sind, ist bislang ungeklärt. In Säugern(Maus und insbesondere Mensch) erscheint es imAugenblick als reine Utopie durch Transplantati-on von Kernen differenzierter (adulter) Zellen inentkernte Zygoten geklonte Individuen zuproduzieren. Mit Kernen früher Embryonalstadienist dies aber möglich. Durch Injektion vonBlastocystenkernen von schwarzen Mäusen inBlastocsyten von weißen Mäusen konntenChimären erhalten werden, phänotypisch erkennbaran der schwarz/weiß Streifung des Felles.Besonders interessant war der Befund, daß selbstbestimmte Krebszellen (Zellkerne ausTeratocarcinoma-Zellinien), die tödliche Tumorenin der adulten Maus hervorrufen, nach Implantationin Blastocysten normaler Mäuse "normal"werden(Abb.86). Sie werden in den Blastocysten-zellverband integriert und sind nach vielenTeilungen in sämtlichen Organen der gesundenMaus nachzuweisen. Schon phänotypisch ist dasdadurch nachweisbar, weil das Fell schwarz/weiß(zebraartig) gefärbt ist, da die Teratocarcinoma-Kerne von schwarzen Mäusen stammen und inAlbino-Blastocysten implantiert wurden (Abb.86).Durch den Einsatz molekularbiologischerTechniken konnte gezeigt werden, daß Zellen mitgleichem DNA-Bestand (Äquivalenz des Genoms)z.B. zukünftige Blutzellen bzw. zukünftigeEpidermiszellen aber jeweils andere Gene

aktivieren und entsprechende mRNA transkribie-ren [Blutzellen = Globin-mRNA, Epidermis =Keratin-mRNA]. Weiter unten werden die mole-kularbiologischen Standardtechniken zum Nach-weis der differenziellen Genexpressionbeschrieben, die sowohl aus der Entwicklungs-biologie (Embryologie) als auch aus anderen Be-reichen der Zellforschung (einschließlich Krebs-forschung) nicht mehr wegzudenken sind und dieständig an Bedeutung gewinnen.

Abb. 85

Abb. 86

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Furchung des Seeigelkeimes (Abb.87)

1. 2 meriodionale Furchungen

2. Im 4-Zellstadium wird dann die erste äquatoria-le Furchung angelegt → das führt zum 8-Zellstadi-um

3. Durch meridionale Furchung werden die 4 ani-malen in 8 gleichgroße Blastomeren zerlegt.

4. Gleichzeitig werden die 4 vegetativen Bla-stomeren inäqual in 4 große äquatorialwärts lie-gende Makromeren und vier kleine Mikromerenam vegetativen Pol zerlegt → 16-Zellstadium

5. Der Übergang vom 16 zum 32-Zellstadiumerfolgt folgendermaßen:a) Die acht animalen werden durch eine latitudina-le Furchung in 2 Kränze geteilt.

b) Die Makromeren teilen sich durch Meridional-furchen in einen Ring von 8 gleichgroßen Zellen.c) Die vier Mikromeren schnüren zum vegetativenPol 4 kleinste Mikromeren ab.

Die 4 Mikromeren des 16-Zellstadiums teilen sichnicht so schnell wie die übrigen Blastomeren. Siewandern später als primäre Mesenchymzellen insInnere der Blastula ein.Im 64-Zellstadium haben wir folgende Verhält-nisse:40 an1 + an2 - Blastomeren 8 veg1 - Blastomeren 8 veg2 - Blastomeren 8 MikromerenBei weiteren Teilungen werden die Größenunter-schiede zwischen den Zellen verwischt und esbildet sich eine mit Gallerte gefüllte Furchungs-höhle.Zu diesem Zeitpunkt kann man den Keim alsBlastula → Blasenkeim bezeichnen.

Abb. 87

Erklärung des Begriffes "Determination": Man sagt, eineZelle ist determiniert, wenn ihre Entwicklungsrichtungfestgelegt ist, d.h. wenn eine Zelle unwiderruflich program-miert worden ist, sich z.B. zu einer Muskel- oder Gehirnzellezu entwickeln. Unter Differenzierung versteht man dieAusprägung von Merkmalen, die spezifisch für eine Zelle,einen Zellverband oder ein Organ sind.In der molekularen Entwicklungsbiologie kann der Diffe-renzierungszustand und Differenzierungstyp bestimmterZellen durch molekulare Marker (antisense-RNA oder mono-bzw. polyklonale Antikörper) bereits vor der histotypi-schen (histologisch charakterisierbaren) Differenzierungnachgewiesen werden.[Histologie = Gewebelehre].

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1. Die Echinodermen-Blastula ist bereits früh be-kleidet mit beweglichen Wimpern. Sie bewegtsich zuerst in der Eihülle und schwimmt nach demAusschlüpfen frei beweglich umher.2. Auswachsen von Wimpern am animal Pol.3. Abplattung des vegetativen Pols.4. Einwanderung (von dort aus) des primären

Mesenchyms, das von den Mikromeren des 16-Zell-Stadiums abstammt.

5. Ringbildung des primären Mesenchyms um dieBasis des Urdarms mit 2 größeren (paarigen)Anhäufungen links und rechts an der künftigenVentralseite des Keims. Damit zeigt der Keimbilateral-symmetrischen Bau. Besonders deut-lich ist dies etwas später in der Entwicklung,siehe bei Prismenstadium.

6. Ausscheidung von Dreistrahlern als erste Anla-ge des Larvenskeletts in den paarigen Ansamm-lungen der primären Mesenchymzellen.

7. Auswanderung von sekundären Mesenchym-zellen vom Gipfel des Urdarmdaches.

8. Seitlich werden als Mesoderm die Coelom-säcke abgeschnürt.

9. Gliederung des Darmes in Oesophagus, Mit-teldarm und Enddarm.

10. Der Darm krümmt sich zur künftigenVentralseite. Der animale ventrale Teil plattetsich zum Oralfeld ab.

11. Das Ektoderm auf der Dorsalseite wächststärker als auf der Ventralseite und dehnt sichaus → Entstehung des Prismenstadiums.

12. Einsenkung des Ektoderms auf der Ventralsei-te als Mundbucht und Verschmelzung mitdem Urdarmgipfel. → Der Anfang des Oeso-phagus ist also ektodermaler Herkunft.→Deuterostomia*

13. Schließlich wachsen die Oral- und Analfort-sätze aus → Entstehung der Pluteuslarve

*Deuterostomia: Urmund wird zum After. DerVorderdarm bricht sekundär zur Mundbucht durch.Nervensystem wird auf der Rückenseite angelegt.

Protostomia: Urmund wird zur späteren Mund-region. Der After entsteht durch sekundäre Ein-senkung des Ektoderms und verschmilzt mit demcaudalen Teil des Urdarms. Neuralsystem wirdauf der Bauchseite angelegt.

Ebenso wie bei Amphibien, konnte bei den See-igeln die prospektive Bedeutung bestimmterKeimbezirke durch Farbmarkierungen bestimmtwerden → Vitalmarkierungs-Versuche mit Vi-talfarben (s.Abb. im Anhang).Der Zellkranz an1 des 16-Zellstadiums lieferteinen ganz bestimmten Ektodermbereich. Werdenim 16-Zellstadium die Makromeren angefärbt, sowird neben dem Darm auch ein großer Teil Ekto-derm gefärbt.Die Grenze zwischen Ektoderm und Entodermmuß also innerhalb der Makromeren des 32-Zell-Stadiums verlaufen, beim 64-Zellstadium alsozwischen veg1 und veg2. Das konnte durch An-färbung von veg2 (und Mikromeren) des 64-Zellstadiums gezeigt werden.Wird der gesamte animale Teil eines 8-oder 16-Zellstadiums isoliert aufgezogen, so geht darausnur ein Wimpern trangendes Fragment hervor(Es findet keine Gastrulation statt). Dagegen istder vegetative Bereich in der Lage, zu gastrulierenund Larven zu bilden.

In der vegetativen Hälfte ist also Material vor-handen, aus dem in der Normogenese primäresMesenchym, Entoderm und ein Teil desEktoderms hervorgeht. Bestimmte Bereichekönnen jedoch durch andere Keimregionen ersetztwerden (reguliert werden). Der Echinodermen-Keim ist also kein Mosaikkeim. Dies konntedurch Kombinationen verschiedenerKeimbereiche gezeigt werden.Die einzelnen Zellkränze sind also nicht strenggemäß ihrer prospektiven Bedeutung in ihrerEntwicklung festgelegt.

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Ihre prospektive Potenz ist also größer als ihreprospektive Bedeutung.

Man kann also für Mosaik- im Vergleich zu Regu-lations-Eiern folgende Definitionen anwenden:Mosaik-Eier: prospektive Potenz = prospektiveBedeutungRegulations-Eier: prospektive Potenz > prospek-tive Bedeutung.

Diese konnte auch durch Defektversuche gezeigtwerden ( Abb.88)Normalerweise geht aus veg2 der Darm, nichtaber das Skelett hervor.

Aus veg1 geht ein Teil des Ektoderms hervor, beigleichzeitiger Anwesenheit von Mikromeren aberDarm, wobei sich die Mikromeren selberzum Larvenskelett entwickeln.

Auch bei Fehlen der vegetativen Blastomeren,aber bei Anwesenheit der Mikromeren entstehteine normale Pluteuslarve(Abb.88 an1+4Mikromeren; an2+2 Mikromeren).

Daraus wurde geschlossen, daß ein animal/vege-tatives Gefälle vorhanden sei. Nur bei Kombina-tion von animalen und vegetativen Keimberei-chen in der richtigen Relation erhält man vollstän-dige (normale) Pluteuslarven. Das konnte inKombinationsversuchen animaler und vegetativerBlastomeren gezeigt werden (Abb.88).

Diese Ergebnisse wurden mittels der Gradienten-Hypothese von Hörstadius, Runnström und Cziakerklärt (Abb.89).Die höchste animale Tendenz ist im oberstenZellkranz an1 vorhanden, die höchste vegetativein den Mikromeren. Werden entsprechende Keim-bereiche, animale und vegetative, in der richtigenRelation kombiniert, erhält man normale Larven.

Abb. 88

Abb. 89

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Insektenentwicklung

Die Insekten sind erst recht spät Objekte derEntwicklungsphysiologie geworden. Besonderserwähnenswert sind die Experimente zur Trans-determination von Zellen in Imaginalscheibenvon Hadorn, der Nachweis von Genaktivitäten anRiesenchromosomen (Beermann), die Wirkungder Metamorphose steuernder Hormone (Karl-son) und Schnürungsexperimente zur Kausalana-lyse der Entstehung der Körperachse (Sander,Kalthoff, Ilmensee). In neuester Zeit wurden gera-de mit Insekten (insbesondere Drosophila = Taufliege) weitreichende molekulargenetische Ergeb-nisse erzielt (Gehring, Jäckle, Nüsslein-Volhard,Lewis (USA), Wieschaus (USA); Nobelpreis1995 für die 3 letzten Wissenschaftler). Von großerBedeutung auch für die Vertebratenentwicklungeinschließlich Mensch sind die Befunde über Ma-ternaleffektgene, Segmentierungsgene und eineHomeobox enthaltende Gene (Abb. 120, 121).Da die Insekten die artenreichste Tierklassedarstellen (wichtige Vertreter im Ökosystem),erscheint es mir für angehende Biologen (nichtnur für entwicklungsbiologisch Interessierte) alsbesonders notwendig, sich mit der Embryonal-entwicklung dieser Arthropoden vertraut zumachen.Die Insekten weisen schon während der Oogenese(Abb. 90) eine centrolecithale Dotterverteilungauf und furchen sich deshalb später superfiziell.Zunächst soll eine allgemeine schematische Dar-stellung (Prototyp) der Entwicklung ohne Kon-zentrierung auf einen bestimmten Eityp erfolgen:

1. Die Kernteilungen beginnen in der Tiefedes Dotters. Insekteneier sind sehr dot-terreich mit zentral angeordnetem Dotter(centrolecithal). Die Kerne liegen im so-genannten Furchungszentrum umgebenvon Cytoplasmahöfen (Abb.91 a-c).

Abb. 90 Verschiedene Eifachtypen bei Insekten

panoistisch (links)meroistisch-polytroph (Mitte)meroistisch-telotroph (rechts)

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Abb. 91

2. Mit den Cytoplasmahöfen wandern dieKerne (Furchungsenergiden ) bei gleich-zeitiger Vermehrung (viele Mitosen) aus-einander und dann zur Eioberfläche.

3. Dort verschmilzt ihr Hofplasma mit einerCytoplasmaschicht an der Eioberfläche,dem Rindenplasma oder dem sogenann-ten Periplasma.

4. Nach weiterer Kernvermehrung erfolgtdas Auftreten von Zellgrenzen. Dieseseinschichtige Oberflächenepithel stelltdas Blastoderm dar (Blastodermstadium).

5. Ausbildung der Keimanlage. Die Zellenim Bereich der zukünftigen Keimanlagewerden höher, teilen sich häufiger undscharen sich enger zusammen als im üb-rigen Blastoderm. Diese Region entsprichtdem späteren Thorax, dem sogenanntenDifferenzierungszentrum. Von hier ge-hen alle weiteren Prozesse aus. Im typi-schen Falle formt sich eine paarige Keim-anlage. Diese Keimanlage schließt sichventralwärts zu einer schild- oder herz-förmigen Anlage zusammen.

6. Ihr vorderer Teil verbreitert sich zu denpaarigen Kopflappen. Je nach Art kanndie Keimanlage einen großen Teil desBlastoderms einnehmen oder aber nurwinzig sein (1/8-1/20 der Eilänge) z.B.bei der Libelle Platycnemis pennipes.

7. Die Mittelplatte senkt sich unter Bildungeiner „Primitivrinne“ als unteres Blatt einund wird von den Seitenplatten, die dasEktoderm bilden, überwachsen. DieserVorgang geht vom Differenzierungszen-trum aus und schreitet nach vorne undhinten fort ↔ . Vom Differenzierungs-zentrum geht auch die Segmentierung

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des Körpers aus. 1. Segmentgrenze zwi-schen 2. Maxille und 1. Thoraxsegment.Sobald die Ektodermseitenplatten sichmedian zusammengeschlossen haben,wird die Keimanlage als Keimstreif be-zeichnet.

8. Aus dem extraembryonalen Blastodermentwickeln sich 2 Embryonalhüllen, eineäußere, die Serosa und eine innere, dasAmnion. Das Amnion geht vom Rand derKeimanlage aus und schließt sich überihr. Die sich bildende Amnionhöhle oderKeimhöhle ist mit einer Flüssigkeit ge-füllt, auf der die Keimanlage ruht und indie später die Extremitäten vorgestülptwerden.

9. Das Ektoderm stülpt sich in der Nähe desVorder- und Hinterendes ein zu Vorder-und Hinterdarmanlage.

10. Vom Differenzierungszentrum ausge-hend sondern sich nach hinten und vorneund seitlich Neuroblastengruppen ab, ausdenen die Ganglien des Bauchmarkeshervorgehen. Im Kopfbereich gliedert

sich die paarige Anlage des Gehirns vomEktoderm ab.

11. Im unteren Blatt trennen sich von einemMittelstreifen, der im typischen Fall zuEntoderm wird, paarige Seitenstreifen alsMesoderm ab.

Gemäß der Ektodermsegmentierung gliedert sichdas Mesoderm. In jedem segmentalen Abschnittentsteht eine Coelomhöhle. Die Coelomsäcke öff-nen sich später zur allgemeinen Leibeshöhle und

Abb. 92

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Abb. 93

die Teile ihrer Wand liefern Anlagen der:1. Skelettmuskulatur2. Muskelumkleidung des Darmes3. Mesodermale Umkleidung anderer Organe4. Fettkörper5. Blutzellen.

Alle Organe werden zunächst im ventralen Keim-streif angelegt; dann wachsen die Seitenteile imZusammenhang mit dem Amnion dorsalwärts undvollziehen den Rückenschluß. Bei sogenanntenKurzkeimen (kleine Keimanlage) streckt sich derEmbryo während der Entwicklung, krümmt sichdabei und wird tief in die Dottermasse eingesenkt(Einrollung). Später wird diese Einrollung durcheine Ausrollung wieder rückgängig gemacht. Diesist der Fall beim Kurzkeim der Libelle Platycne-mis pennipes. Die Honigbiene ist ein typischerVertreter des Langkeims.

Determinationsvorgänge bei denInsekten (Klassische Versuche von Kalthoff

und Sander, u.a.)Über die frühembryonalen Determinationsvorgän-

ge bei Insekten geben Schnürungs- und UV-Bestrahlungsexperimente Auskunft.Man kann folgende Zentren unterscheiden:1. Bildungszentrum (BZ)2. Differenzierungszentrum. (DZ)

Ohne ihre Aktivität kann keine normale Entwick-lung erfolgen. Wird während der Furchung einkleines Stück des Hinterendes des Keimes abge-schnürt, bevor die Kerne die Eioberfläche erreichthaben, entsteht ein normaler Keim.Legt man die Schnürung nur wenig weiter nachvorn, entsteht überhaupt kein Keim.

Es geht also vom Bildungszentrum, wenn es mitKernen versorgt ist, eine Information zum vorde-ren Teil des Keimes aus, die wichtig zur weiterenDifferenzierung ist.

Ebenso wichtig ist eine Region in der mittlerenZone des Keimes, das sogenannte Differenzie-rungszentrum.Vor oder hinter dieser Zone im 512-Zell-Stadiumgeschnürt, läßt den Keim nur dort entstehen, wodas Differenzierungszentrum enthalten ist. Durch

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UV-Bestrahlung wird eine Verschiebung des DZbewirkt.Im Blastodermstadium liegt der Ort des DZ schonfest und nur der Teil, der das DZ enthält, bildeteinen Keim.Schnürung in der Mitte des DZ → beide Hälftenentwickeln eine Keimanlage.

Unvollständige Schnürung während der Furch-ung ergibt → Kopf vorne und Rumpf hintenErklärung:BZ und DZ können ungehindert ihreWirkung ausüben. Die weitere unvollständigeEntwicklung liegt daran, daß die Einrollung be-hindert ist durch die Schnürung.

Es ist also folgende Reaktionsfolge festzustellen:

1. Aktivierung des Bildungszentrums durch ein-wandernde Kerne.2. Aktivierung des Differenzierungszentrumsdurch das Bildungszentrum.

Das Bildungszentrum ist nicht mit den Polzellenzu verwechseln. Aus ihnen gehen die Keimzellenhervor. Es handelt sich um Furchungskerne, die indas Posterior-Ende eingewandert sind und durchdas dortige Rindenplasma zu Keimzellen deter-miniert werden. Sie werden als Polzellen nachaußen abgeschnürt, später wieder in das Keimin-nere aufgenommen und gelangen in das Meso-derm der Genitalanlage. Werden Sie durch UVbestrahlt, so entstehen unfruchtbare Individuen(Abb. 13B ).Diese mittels klassischer embryologischerMethoden erzielten Erkenntnisse sind durch diemolekulargenetischen Methoden in jüngster Zeitvertieft und erweitert worden. Die Grundprinzipiender Embryonalentwicklung sind somit auch ausmolekularbiologischer Sicht weitgehendaufgeklärt worden (Campos-Ortega, Jäckle,Gehring, Nüsslein-Volhard, Lewis, Wieschaus).

Neueste Forschungen (Arbeiten von Jäckle,Nüsslein-Volhard, Wieschaus, Lewis)

Die weitgehende Aufklärung der Mechanismenbei der Konstruktion des Körperbauplanes(Körpergrundgestalt) von Drosophila während derfrühembryonalen Entwicklung wurde begünstigtdurch drei wesentliche Gesichtspunkte:

1.Verfügbarkeit von Mutanten bei gleichzeitigerkurzer Generationszeit

2. Freie Diffusion von Morphogenen im gesamtenEmbryo (keine Aufteilung [Kompart-mentierung] des Embryos in der Frühphaseder Embryonalentwicklung; bei den Seeigelnund Vertebraten erfolgt bereits kurz nach derBefruchtung die Aufteilung in Blastomeren)

3. Anwendung molekularbiologischer Technik-en und ergänzender genetischer Untersuch-ungen

Am Aufbau der Körpergrundgestalt sind 5 Klassenvon Genen beteiligt:

1. Maternale Gene (Eipolaritätsgene = eggpolarity genes)

2. Gap-Gene3. Paaregelgene4. Segmentpolaritätsgene5. Homöotische Gene

Im Folgenden die Schilderung der Prozesse nur inGrundzügen.(Darstellung der detaillierten und kompliziertenAbläufe ist Stoff meiner Vorlesung im Haupt-studium)

Zunächst wird im Insektenei festgelegt, wo sichspäter der Kopf und das Schwanzende befindenwerden (Determination der Eipolarität). Weiterhinwird die Rücken- und Bauchseite determiniert.

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Abb. 94 Hypothese zur Evolution der InsektenDurch Modifikation und Duplikation homeotischer Gene könnenbestimmte Körpersegmente im Laufe der Evolution verdoppeltoder auch reduziert werden (flügellose, Dipteren,Odonata=Libellen).

ventralen Polarität wesentlich beteiligt.Bei Drosophila bewirkt der biocoid Konzen-trationsgradient in einem weiteren Schritt diestreng koordinierte Expression von Lücken-,Paarregel-, Segmentpolaritäts- und homöotischenGenen. Dadurch kommt es zu einer stufenweisenUntergliederung des Embryos in sehr regelmäßigangeordnete Segment- und Untersegment-strukturen (Abb. 120, 121).Nachdem die Segmentgrenzen festgelegt sind,werden die segmentspezifischen Charakteristikaprogrammiert. Dies geschieht durch homöotischeGene (homeotic selector genes [Lewis 1978]). Esgibt zwei Regionen auf dem DrosophilaChromosom 3, welche die meisten dieserhomöotischen Gene enthalten (Abb. 117 ). Eshandelt sich dabei um den Antennapedia-Komplexund den Biothorax-Komplex (Lewis 1978[Nobelpreis 1995], Abb. 118 ).

Diese Programmierung erfolgt durch mütterliche(maternale) Faktoren, von denen man bis jetzt 25kennt. Anteriore Organisatorgene determinierenden Kopf und Thoraxbereich, posterioreOrganisatorgene kontrollieren die Entwicklung desAbdomens. Terminale Organisatorgenedeterminieren die Bildung von Terminalstrukturenam Vorder- bzw. Hinterende des Embryos.Es handelt sich bei den erwähnten Prozessen umein kompliziertes Wechselspiel zwischenverschiedenen Transkriptionsfaktoren undFaktoren, die an der Synthese, Transport undLokalisierung der anterioren und posteriorenSignalfaktoren beteiligt sind.So bilden sich zunächst zwei gegeneinandergerichtete Gradienten. Einer wird durch das Genbiocoid (mRNA, Protein und Gradient) von anteriornach posterior (cranial nach caudal) realisiert undein entgegengesetzter Gradient, gesteuert durchGene wie nanos und caudal, verläuft von caudalnach cranial (Abb.120 ). Weiterhin wird schon imEi die dorsoventrale Polarität (Rücken/Bauch)durch lokalisierte Signale ausgehend von den dieEizelle umgebenden Follikelzellen(Abb.61)festgelegt (Abb. 90F; Drosophila-Typ:Abb.90Mitte). Sie binden an Rezeptoren auf derAußenseite des Eies. Das dadurch erfolgendetransmembrane Signal kontrolliert die Verteilungeines genregulatorisch wirksamen Proteins. Durchdie asymmetrische Verteilung des dorsal-Proteinsund das in den perivitellinen Raum sezernierteProtein (decapentaplegic = dpp) kommt es zurInteraktion mit weiteren Genen cactus und twistund letztendlich zur Determination der dorso-ventralen Polarität. Besonders erwähnenswert ist,daß dpp-Gen für ein Protein der TGFβ-Superproteinfamilie kodiert. Activin (zuerst alsvegetalisierender Faktor beschrieben) ist ebenfallsein Mitglied der TGFß-Superfamilie und spieltwährend der Amphibien-entwicklung (Xenopuslaevis) eine bedeutsame Rolle bei der Mesoderm-Bildung und ist wahrscheinlich bei der Ausbildungder dorso-

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Postembryonale Entwicklung der In-sekten

Je nachdem die Insekten nach Sprengen der Eischa-le schon Ähnlichkeiten zum erwachsenen Tieraufweisen, unterscheidet man1. Hemimetabole Insekten (z.B. Heuschrecken[Orthopthera], Läuse und Wanzen [Hemiptera]2. Holometabole Insekten (z.B. Käfer und Schmet-terlinge)Die Hemimetabolen wandeln durch mehrere Häu-tungen die larvalen Organe ganz allmählich in dieadulten um(Abb.95). Umwandlung von Larve(flügellos, über das Nymphen-Stadium (äußereFlügelanlagen in Flügelscheiden) zum nicht deut-lich anders aussehenden adulten Tier (Imago).

Abb. 95

Die vierflügelige Fruchtfliege wurde erzeugt durch3 Mutationen im Bereich der cis-Regulatoren desUltrabithorax-Gens. Dadurch wird das 3.Thoraxsegment in ein dem 2. Thoraxsegmentähnliches Segment umgewandelt (Verwandlungder Halteren [Schwingkölbchen]) in ein weiteresFlügelpaar).Diese entwicklungsbiologisch/genetischenErkenntnisse sind von enormer Tragweite für dasVerständnis der Evolution. Durch Duplikation undAbwandlung von homöotischen Genen desBithorax-Antennapedia-Komplexes könnte dieSegmenspezifikation bei der Insektenevolution vontausendfüßler-ähnlichen Insekten bis zu den 4-und 2-Flüglern (Orthoptera, Diptera) vonstattengegangen sei (Abb.94 ).

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Die Holometabolen legen Imaginalscheiben an.Dies sind Epidermiseinstülpungen, die mehr oderweniger tief eingesenkt sind (Abb.96).

Aus ihnen gehen die Beine, Flügel , Komplexau-gen und die vom Ektoderm gelieferten Teile desGeschlechtsapparats hervor. Nach mehreren Lar-venhäutungen entsteht die Puppe und schließlichdie Imago. Bei dieser vollständigen Metamorpho-se sehen die Imago-Organe ganz anders aus als dielarvalen.Die Kernäquivalenz (Pluripotenz) konnte auchfür Insekten (Drosophila) ähnlich den Experimen-ten von Gurdon an Amphibien festgestellt werden.R egionale Differenzierungsunterschiede müssenauf Qualitätsunterschiede im kortikalen Plasmazurückgeführt werden. Daß bestimmte Gradien-ten, vor allem anterior/posterior, cranial/caudalim Insektenei vorhanden sind, konnte schon durchdie klassischen auch durch die Versuche von San-ders an der Kleinzikade Euscelis gezeigt werden.Der hintere Pol ist durch eine Ansammlung sym-biontischer Bakterien gekennzeichnet. Die Re-gionen des Eies wurden von Sanders folgender-maßen gekennzeichnet (siehe Abbildungen S.48,50 bei Ede:Einführung in die Entwicklungsbiologieund Wolpert: Principles of Development, Abb.5.34, hier verändert im Skript Abb. 97):

Abb. 96

X = extraembryonales Hüllmaterial vor dem KeimA = KopfsegmenteB = MandibelregionC = ThoraxD = Vordere Abdominalsegmente

1. Schnürung des späten Blastodermstadiumsergibt zwei Teilembryonen, die zusammenalle Strukturen des gesamten Embryos darstel-len.

2. Wird die Schnürung aber an einem früherenStadium, nämlich Stadium der Kernvermeh-rung durchgeführt, fehlen dem entstehendenTeilembryo sämtliche mittleren Strukturen. Ge-mäß der Doppelgradientenhypothese war of-fensichtlich der Gradient zum Zeitpunkt derSchnürung noch nicht aufgebaut. (Fehlen derInformation zur Bildung mittlerer Strukturen).

3. Bei einer Schnürung im Kernvermehrungssta-dium und Plazierung des Hinterpolmaterials(HPM) mit der Bakterienkugel direkt vor dieSchnürstelle, bildet sich hinter der Schnürungein defekter Embryo, während vorne ein starkverkürzter, aber normaler Embryo entsteht.Das zeigt, daß offensichtlich nun im vorderenSchnürbereich die Quelle des hinteren Gradi-enten in Form des Plasma/Symbionten-Mate-rials transplantiert wurde.

4. Verschiebt man die Schnürung ganz nach vorneund plaziert das HPM direkt dahinter, so bildetsich vorne nur extraembryonales Hüllmateri-al, hinten aber ein Doppelabdomen. Das erkärtsich daraus, daß hinten Informationen für dasAbdomen bestehen bleiben. Durch Trans-plantation des HPM wird auch dort ein Abdo-mengradient vor der Schnürung gebildet. Esüberwiegen die hinteren über die vorderenFaktoren.

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5. Verschiebt man im Kernvermehrungsstadiumdas HPM zur Mitte des Eies und schnürt erst imspäten Blastodermstadium, wenn sich der neueGradient bereits ausgebildet hat, dann ist esgleichgültig, ob vor oder hinter der Symbion-tenmasse geschnürt wird. In jedem Fall bildetsich anterior ein kompletter verkürzter Em-bryo und hinten ein inverser Halbembryo.

6. Bei der Chironomide Smittia konnte Kalthoffdurch UV-Bestrahlung des vorderen Eipolszum Zeitpunkt der Kernmvermehrung undKernmigration Doppelabdomenkeime erzeu-gen. Auch diese Befunde stehen mit dem Dop-pelgradientenmodell im Einklang. Offensicht-lich wird der vordere Gradient durch UV zer-stört. Durch RNase- Behandlungen des Vor-derpols entsteht ein Doppelabdomen. Offen-sichtlich handelt es sich bei den Targets derBestrahlung und RNase-Behandlung um RNP-Partikel (Ribonukleoprotein-Partikel), die mas-kierte maternale m-RNA darstellen. Da derProzentsatz UV-induzierter Doppelabdomenzum Zeitpunkt der Kernvermehrung am größ-ten war, wird die mRNA eventuell zu diesemZeitpunkt translatiert.

Die Existenz solcher Gradienten ist auch in jüng-ster Zeit mit molekularbiologisch-gentechnischenMethoden bestätigt worden. Maternaleffektgenewie bicoid und caudal (Abb.116,12) erzeugen imbefruchteten Ei anterior-posterior0e Gradienten.Gradienten homeotischer Gene findet man auchwährend der Embryonalentwicklung der Amphi-bien und der Säuger. Die modernenleistungsfähigen molekularbiologischen Techni-ken haben den Kenntnisstand in den letzten Jahrenüber zellbiologischen Entwicklungsprinzipien(gültig auch für andere Organismen) am Modell-system der Insektenentwicklung (insbesondereDrosophila) exponentiell erweitert. Diese For-schungsaktivitäten werden auch im Augenblick

mit großer Akribie sowohl am ModellsystemDrosophila als auch an den Vertrebraten-Modellsystemen Xenopus laevis und Maus/Rattefortgesetzt. Der Interessierte an diesem zentralenForschungsgebiet der modernen Molekulargene-tischen Entwicklungsbiologie sei für weiterfüh-rende Studien auf die Lehrbücher Gilbert: De-velopmental Biology und Albers et al.: Molekular-biologie der Zelle) verwiesen. Molekulargeneti-sche Grundlagen werden auch in meiner Vorle-sung : Entwicklungsbiologie und Zellbiologie(Hauptstudium) vermittelt.

Abb. 97 Erklärung siehe Text

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Vogelembryogenese

Die Bedeutung der Kenntnis der frühembryona-len Entwicklung der Vögel besteht in der großenÄhnlichkeit mit der Entwicklung der Säugetiere(einschließlich Mensch). Reptilien, Vögel undSäuger lassen sich zu den sogenannten Amniotazusammenfassen, deren Embryonen eine speziel-le Eihülle (das Amnion) ausbilden. Die Besonder-heit des Vogeleies besteht darin, daß es imGegensatz zum Säugerkeim für Beobachtungenrelativ leicht zugänglich ist. Wesentlicher Unter-schied zwischen Vogel- und Säugerkeim ist derDotterreichtum der Vogelembryonen. Es gibtHinweise dafür, daß die Eier der Säugetiere wäh-rend der Evolution erst sekundär wieder dotterarmgeworden sind. Das wurde möglich, weil die Ent-wicklung innerhalb des mütterlichen Organismusabläuft und ihre Ernährung über den mütterlichenKreislauf erfolgt. Die Eizelle des Vogels (wirbesprechen hier die Entwicklung des Huhns) istder Dotter des Hühnereies (Abb.98). Sie löst sichnach Abschluß ihrer Reifung aus dem Eierstock,wird mit einer Eihaut, dem Oolemm, umhüllt undwird während ihrer Wanderung im Eileiter mit derEiweißhülle und schließlich mit einer Kalkschaleumkleidet. Beide sind Sekrete der Wandepitheli-en des Oviducts. Die Hauptmasse der Eizellebesteht aus Nährdotter, bestehend aus kleinerenund größeren Fettkügelchen. Direkt unter demOolemm, am animalen Pol des lebendigen Eies,liegt ein kleiner, weißer Fleck. Das ist die Keim-scheibe. Sie liegt im lebenden Ei immer oben(orientiert sich auch nach Drehung des Eies immerwieder nach oben). Beim Dotter kann man zweiTypen unterscheiden: a) weißer b) gelber Dot-ter. Sie sind abwechselnd schalenförmig im Eigelagert. Der weiße Dotter umgibt das ganze Eiunter dem Oolemm. Unter der Keimscheibe kommter aber in größeren Mengen vor und dringt alskolbenförmiger Zapfen (Latebra) bis in den Mit-telpunkt der Dotterkugel vor. Die Dotterkugel

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wird innerhalb der Kalkschale festgehalten durchzwei spiralig gedrehte Stränge, welche aus einerbesonders zähen Eiweißsubstanz bestehen (Cha-lazen). Sie ziehen sich zu den beiden Polen desEies und sind dort mit der inneren Schalenhautverbunden, der Membrana testae. Die Kalkschale(Testa) besteht aus einem durch Kalksalze imprä-gnierten Fasergerüst, das luftdurchlässig ist. DasEi wird kurz nach der Ablösung aus dem Eierstockim Oviduct befruchtet und beginnt sofort mit derFurchung. Bei der Eiablage befindet sich das Ei imGastrulastadium. Das war der Grund dafür, daßfür viele experimentelle Untersuchungen an frü-hen Furchungsstadien die Amphibien vorgezogenwerden, die vom ungefurchten Ei an außerhalbdes mütterlichen Organismus heranwachsen.

Furchung

Bei den Vögeln beobachten wir eine partielle oderdiscoidale (scheibenförmige Keimanlage) Furch

ung mit einer telolecithalen Dotterverteilung. DasEi furcht sich nur im Bereich der Keimscheibe, diegroße Dottermasse wird nicht in die Furchungs-prozesse einbezogen.Die ersten beiden Furchungen erfolgen vertical,die 3. Furchung verläuft wie bei den Amphibienhorizontal; danach folgen unregelmäßige Teilun-gen (horizontal bzw. vertical).Die Keimscheibe wächst sowohl flächenhaft alsauch in der Dicke.Mit dem Beginn der Bebrütung (Gastrula) verflüs-sigt sich der Dotter (weiße Dotter) unter der Keim-scheibe und es entsteht die sogenannte Subgermi-nalhöhle . Sie ist mit Einschränkungen vergleichbarmit dem Blastocoel bei den Amphibien. Sie ver-größert sich zunehmend mit der Ausbreitung derKeimscheibe. Nur ein Teil der Keimscheibe wirdzum Keimfeld des Embryos. Diese sogenannteArea pellucida, dem innersten Hof der Keimschei-be, liegt halb transparent über der Subgerminal-höhle. Weiter peripher schließt sich die Area opa-ca an. Das ist eine Zone, in welcher die Keimschei-be dem entodermalen Randwulst aufliegt, der dieSubgerminalhöhle begrenzt. Noch weiter peripherfolgt dann das Dotterfeld, Area vitellina, das imLaufe der Entwicklung von der Keimscheibe über-wachsen wird. Das Hinterende der Keimscheibeist verdickt und kennzeichnet bereits vor der Be-brütung die Längsachse des Keims.

Kurze Zeit nach der Eiablage ist der Keim zwei-schichtig geworden. Das Entoderm hat sich gebil-det. Es hat sich durch Abspaltung (Delamination)aus der Masse der Furchungszellen gelöst (Delami-nations-Entoderm). Ein Teil der Zelle stammtaber auch vom posterioren Teil der Keimscheibe.Eine Invagination findet nicht statt (bezüglich desEntoderms).Im Entoderm werden schon während der Furch-ung im cranialen Bereich der Keimscheibe dieUrgeschlechtszellen lokalisiert.

Abb. 98

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er Hensensche Knoten liegt, geschlossen ist,beginnt sich der Embryonalkörper von der Areapellucida, der Keimscheibe, abzufalten.Vor dem Medullarrohr (cranial) bildet sich dieAmnionfalte, erhebt sich über den Kopf, wäh-rend der Embryo gleichsam in den Dotter ein-sinkt. Anschließend bilden sich die seitlichenAmnionfalten, später die hinteren Amnionfal-ten bis der gesamte Embryo eingeschlossen ist.Alles, was außerhalb dieser Falten liegt wird alsextraembryonaler Teil der Keimanlage bezeich-net. Die Herzanlage bildet sich durch Abfal-tung des visceralen Mesodermblattes auf derVentralseite des Embryos, wo sich die beidenBlätter zur zunächst paarigen Herzanlage ver-einigen. Im Gegensatz zu Fischen und Amphi-bien, die nackt in den Hüllen ihrer Eier liegen,entwickeln die Embryonen der Vögel und

Nach 10-12 h Bebrütung wird in der Areapellucida von hinten (caudal) nach vorne (cra-nial) ein verdickter Zellstreifen im Ektoderm,der sogenannte Primitivstreifen sichtbar. Amvorderen Ende bildet sich der sogenannte Pri-mitivknoten oder auch Hensenscher Knoten(Abb.99).

Abb. 99

18 Std. Bebrütung (Abb. 100)

Vom Hensenschen Knoten wird nach cranial(kopfwärts) unter dem Ektoderm ein feinerLängsstreifen gebildet, der sogenannte Kopf-fortsatz (Chorda dorsalis).

18-30 Std. Bebrütung (Abb. 100)

Cranial bildet sich die Medullarplatte, die durchAuffaltung zur Rinne und dann zum Rohr wird.Gleichzeitig wird caudal die Primitivrinne kür-zer. Wenn das Medullarrohr bis auf den nochoffenen Neuroporus posterior, in dessen Boden

Abb. 100

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Säugetiere neben einem Dottersack, den auchdie Fische besitzen, folgende Strukturen:

1.Amnion2.Chorion und3.Allantois.

Es handelt sich bei diesen extraembryonalen Orga-nen um zellig gegliederte Systeme. Sie gehören zurlebenden Substanz des Embryos, wenn sie auch beider Geburt oder beim Schlüpfen abgeworfenwerden. Aufgrund des Fehlens oder Besitzes dieserOrgane teilt man die Wirbeltiere ein in:I. Anamnier (Fische, Amphibien)II. Amnioten (Reptilien, Vögel, Säuger)

Der Dottersack (Saccus vitellinus)(Bruchsack des Mitteldarms)

I. Bei Fischen, Reptilien und Vögeln ist der Dotter-vorrat extraembryonal lokalisiert und primär (vonAnfang an) vorhanden.II. Bei Säugetieren wird der Dottersack als gewis-ser Nahrungsvorrat erst sekundär gefüllt.Dem Dottersack liegt das viscerale Mesoderm-blatt an, das durch sein engmaschigesKapillarsystem den Dotter abbaut und dem Embryoals Nahrung zuführt. Der Darm faltet sich imLaufe der Embryonalentwicklung vom Entodermdes Dottersackes ab, bleibt aber mit diesem durchden Dottersackgang, Ductus omphaloentericusoder vitellinus, innerhalb des Nabelstranges ver-bunden. Bei den Sauropsiden wird der Dottersackin den Darm aufgenommen und so wieder zurück-gezogen. Bei den Säugern wird er vom Darmabgeschnürt und bei der Geburt abgeworfen.

50-60 Std. Bebrütung (Abb. 104)

Der Embryo ist vom Dottersack abgefaltet und inihn hineingesunken. Amnion und Chorion beste

hen aus einer ektodermalen und mesodermalenSchicht. Der Dottersack wird von allen 3 Keim-blättern fast ganz umwachsen.

75 Std. Bebrütung

Das extraembryonale Cölom hat sich durch diemächtige Entwicklung der Allantois stark erwei-tert (Abb. 104). Das an die Eiweißschicht angren-zende amniogene Chorion umhüllt den ganzenKeim und den Dottersack bis auf eine kleineStelle am vegetativen Pol.Durch das dem Chorion anliegende viscerale Me-sodermblatt der Allantois erfolgt später in ganzerAusdehnung die Vascularisation des Chorion (al-lantoide Vascularisation). Die dem Amnion an-liegende Fläche des visceralen Allantoisblattesverwächst mit dem Amnion und bildet das soge-nannte Muskelblatt, aus dem glatte Muskulaturentsteht. Der Nabelring (N) schließt, vom Amni-on umhüllt (Hautnabel) den Dottersackgang undAllantoisgang ein. Beide liegen innerhalb ihresNabelstrangcoeloms.

Abb. 101

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Aus dem Herzen entspringen cranialwärts die Aortaventralis, von der die Kiemenbogenarterien abge-hen. Diese münden in die dorsal gelegene Aorten-wurzel, von der im Körperbereich Seitenäste abge-hen. Der am frühesten ausgebildete Seitenast istdie Arteria vitellina, die den Darm umgibt.

Mesocardium anterius. Es handelt sich um dieübriggebliebene Verbindung zwischen demvisceralen und parietalen Mesodermblatt (viscera-les Blatt ist zum Myoepicard verdickt) [s.Abb.84].

Herzbildung beim Vogel

Die Herzanlage verlagert sich ventralwärts, so-bald sich der Embryo abfaltet (Abb.105).

Querschnitte im Kopfbereich eines Hühner-embryos: a) Beide Seiten des Kopfcöloms (Perikard) sindfast vereinigt bis auf das Mesocardium anterius,

Entwicklung des embryonalen Blutge-fäßsystems (Amphibien - Vögel)

Amphibien

Ab dem Schwanzknospenstadium müssen dieNahrungsstoffe aus dem im Darmboden vorhan-denen Nährdotter allen Embryobereichen zuge-führt werden.Dargestellt ist in der Abbildung 103 der unter demEktoderm (präs. Epidermis) durchschimmerndeRand des Mesoderms.Die Blutgefäßanlagen (paarig) verschmelzen zueinem gemeinsamen Strang, der späteren Venasubintestinalis.

Die Randzellen werden zum Endothelrohr derVena subintestinalis. Die inneren Zellen zu Blut-zellen. Die Herzanlage besteht auf jeder Seite auseinem Endothelrohr. Die Endothelrohre haben sichbereits zum Endothelschlauch des Herzens verei-nigt. Das viscerale Blatt des Mesoderms hat sichan dieser Stelle zur Myoepikardanalge des Her-zens verdickt(Abb.102).

Abb. 102

Abb. 103

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welches etwas später auch durchbricht.b) Der Endothelschlauch des Herzens zeigt nochdie paarige Anlage.Im Bereich des Endothelschlauches ist das visceraleBlatt des Mesoderms zur Myoepikardanlage ver-dickt, aus der die gesamte übrige Wand desHerzens hervorgeht.

Es muß auf die Ähnlichkeit zwischen Amphibienund Vögel hingewiesen werden. Wenn man sichbei den Amphibien den Mesodermmantel aufge-klappt denkt, so erhält man ähnliche Verhältnisse

wie bei den Frühstadien der Dotterumwachsungbei den Vögeln (genaue Erklärung während derVorlesung).Alle zu- und abführenden Gefäße der Allantoisund des Dottersacks liegen innerhalb des Nabel-stranges. Wenn der Dottersack-Kreislaufzurückgebildet wird, tritt der Allantois-Kreislaufan seine Stelle.

Dottersack und Allantois-Kreislauf (Hühnerem-bryo 100 Std. bebrütet)

Der Embryo liegt auf dem Dottersack (Abb.106).Die umgebende schlauchförmige Blase ist dieAllantois. Die Dottersackarterie (Arteriavitellina) entspringt aus der dorsalen Aorta. DieAllantoisarterie (A. allantoidea oder umbilicalis)entspringt aus dem caudalen Bereich der Aorta.

Abb. 104

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Abb. 105

Abb. 106

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Extraembryonale Hilfssysteme

Das Amnion (aus dem Griechischen: Schafhaut,weil bei diesem Tier offensichtlich erstmals be-obachtet) umhüllt als feinhäutiger, durchsichtigerSack den gesamten Embryo. Der Embryoschwimmt innerhalb dieses Sackes in einer Am-nionflüssigkeit.

Bedeutung:a) Mechanischer Schutz des Keimesb) Schutz des Embryos vor Austrocknung. Wich-tige Voraussetzung für die terrestrische Lebens-weise der Sauropsiden.

Entstehung:I. Bei allen Sauropsiden und meisten Säugetierendurch Vertiefung ektodermaler Falten, die überdem Embryo verwachsen.→ FaltenamnionII. Bei einigen Säugetieren und Mensch→ Spaltamnion (Schizamnion)Spaltamnion deshalb, weil die Amnionhöhle vonvornherein als primärer Spalt (durch Dehiszenz)innerhalb der embryonalen Furchungszellen ent-steht.

Das Chorion (Leder- oder Zottenhaut)

Zweite Hülle des Embryos, die den Embryo mit-samt seinem Amnion einschließt.Bedeutung:Grenzhaut des Embryos gegenüber seiner Um-welt. Regelt Stoffwechselaustausch → wichtig-stes Ernährungsorgan bei den Eiern aller Tiere(Vögel und Säugetiere), deren Ernährung nichtdurch intraembryonale Dottervorräte gesichertist.

Die Allantois (wurst- oder schlauchförmigesGebilde)

Bedeutung:1. embryonaler Harnsack 2. extraembryonales Ernährungs- und Respirati-onsorgan (aufgrund eines gut entwickelten Blut-Gefäßsystems in seiner Wand)

Die Allantois ist mittels Allantoisgang (Ductusallantoideus) innerhalb des Nabelstranges mitdem Enddarm des Embryos verbunden.

Wenn bei einigen Sauropsiden und allen Säugernkeine Stoffwechselprodukte mehr im Harnsackangesammelt werden, die Produkte also über dasGefäßsystem abgeführt werden, wird das Lumen(Hohlraum) der Allantois rudimentär.

Embryonalentwicklung der Säugetiere

Obwohl es sich um dotterarme Eier handelt, nimmtman an, daß sie ursprünglich von Säugetieren mitdotterreichen Eiern abstammen. Gründe:

1. flächenhafte Keimbildung bei den rezentenSäugetieren2. Art der Entodermbildung (durch Abspaltung)3. Anlage des Dottersackes

Furchung

Totale adäquale Furchung des Eies (wie bei denAmphibien). Es erfolgt aber eine unregelmäßigeTeilung, so daß auch ungerade Zahlen bei denBlastomeren auftreten → (3, 5, 9 usw.).

Die einzelnen Blastomeren besitzen schon frühganz verschiedene prospektive Bedeutung undprospektive Potenzen.

Die Außenschicht der Morula hat mit der Bildungdes Embryos überhaupt nichts zu tun. Aus ihrentwickelt sich das extraembryonale Ektoderm,das Chorion. Es wird seiner Aufgabe gemäß, dem

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Embryo Nahrung zuzuführen, als Trophoblastbezeichnet (aus dem griechischen: Nahrung, Spei-se). Der Trophoblast nimmt die Verbindung zurmütterlichen Uterusschleimhaut auf. Der Unter-schied zwischen Trophoblasten-Zellen und deneigentlichen Embryonalzellen, also zwischenHilfszellen und Bildungszellen, ist erheblich. Fürdie Ernährung der wenigen Embryonalzellen wirdein erstaunlicher Aufwand betrieben.Im 16-Zell-Stadium gehören 13 Zellen zum Tro-phoblasten u. 3 sind Bildungszellen (Abb. 107),im 574 Blastomerenstadium gehören 470 Zellenzum Trophoblasten und 104 sind Bildungszellen.

Von den 104 Zellen sind 80 Entodermzellen und20-24 die eigentlichen Embryonalzellen.

Nach den ersten Zellteilungen bildet sich zu-nächst das Morulastadium, dem das Blastocy-stenstadium folgt. Es besteht aus zwei Zellberei-chen, der inneren Zellmasse (präsumptive Em-bryonalzellen) und der sie umgebenden äußerenZellschicht. Die äußere Zellschicht bildet denTrophoblasten, aus dem später die Placentahervorgeht (Abb.108).Dieses Stadium darf abernicht mit der Blastula der Amphibien und derHohlraum der Blastocyste nicht mit dem Blasto-coel der Amphibien, ein Hohlraum, der im Inne-

ren des Keimes liegt, verwechselt werden. Beiden Säugern ist der Hohlraum anstelle der Dotter-masse der Sauropsiden getreten. Die dem Hohl-raum zugekehrte Seite des Embryoblasten ent-spricht seinem vegetativen Pol. Von hier sondernsich durch einfache Abspaltung die Entodermzel-len des Keims ab und wandern an der Innenseitedes Trophoblasten entlang. So wird die Blastocy-ste doppelwandig und entspricht nun völlig derdie Dotterkugel umwachsende zweischichtigenKeimblase der Reptilien und Vögel. Das Entod-erm kann bei manchen Säugetieren bereits frühinnerhalb des

Abb. 107 Die Entwicklung des Trophoblasten

Abb. 108

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Embryoblasts unterschieden werden (besondereGestalt oder aufgrund besonderer Färbbarkeit derbasalen Gruppe des Embryoblasten).Bei der Primitiventwicklung kann man 4 Typenunterschieden:

Typ I (Raubtiere)

Die Blastocyste wird auf der Innenseite des Tro-phoblasten von Entodermzellen umwachsen. Siestammen aus dem basalen Teil des Embryobla-sten. Der Embryoblast wird als Keimscheibe indie Außenwand eingegliedert; die Trophoblast-zellen weichen auseinander. Beim Hund entstehtso der Keimschild und in wenigen Tagen nach derBegattung in ihm der Primitivstreifen mit Hen-senschen Knoten . Von da ab erfolgt die Entwick-lung wie beim Hühnchen. Das Amnion entstehtaus freier Auffaltung des Ektoderms nach Ausbil-dung der Medullarrinne. Das Chorion ist wohlschon als geschlossene Trophoblastschale vor derFurchung angelegt, aber erst der alte Modus derFaltenbildung trennt die Bezirke des Amnionsund Chorions wirklich voneinander, genau wiebeim Hühnchen. Es entsteht ein Faltenamnionund das Chorion ist seiner Abgrenzung nach als„amniogenes Chorion“ zu bezeichnen [amnioge-nes Chorion = weil aus dem Faltungsprozeß desAmnions entstanden]. Das Cölom schiebt sich bisüber den Äquator über den Dottersack hinweg.Seine untere Hälfte liegt dem Trophoblasten di-rekt an.

Typ II (Huftiere)

Im Embryoblast entsteht schon primär ein Hohl-raum - die Embryocyste. Nach ihrer Eröffnungwird sie als Keimschild wie bei I in den Tropho-blasten integriert.

Typ III (Insektivoren und Primaten und etwasabgeändert bei den Nagetieren)

Der bei Huftieren vorübergehende Zustand derEmbryocyste wird hier beibehalten. Der umschlos-sene Raum entwickelt sich direkt zur „Mark-Amnionhöhle“, d.h. zum Hohlraum des Amnionsund des Medullarrohrs. Der Keimschild entwik-kelt sich aus der basalen Platte der Embryocyste.Der obere Wandanteil bildet das Amnionepithel.Es handelt sich hier um ein Schizamnion (durchAbspaltung) im Gegensatz zum Amnion, das durchFaltung entstanden ist.

Typ IV (Mensch)

Es bildet sich ebenfalls eine Embryocyste undeine Mark-Amnion. Aber: Es erfolgt schonfrühzeitig die Abspaltung eines Entodermbla-stems.

Einnistung des Embryos in die Uterusschleim-haut im Blastocystenstadium

Erste Entwicklungswoche

Im Blastocystenstadium dringt der Embryo in dieEpithelzellen (Endometrium) der Uterusschleim-haut ein und zwar mit der Seite, an der der Embryo-blast (innere Zellmasse) liegt. Damit ist die ersteEmbryonalwoche beendet. Die Uteruswand be-steht aus 3 Schichten:

1. Endometrium (Schleimhautauskleidung)2. Myometrium (Schicht glatter Muskulatur)3. Perimetrium (Peritoneale Außenschicht)

Zweite Entwicklungswoche

Während der 2. Entwicklungswoche kommt es beider menschlichen Embryonalentwicklung zur tie-fen Einnistung der Blastocyste in die Uterus-schleimhaut. Der Trophoblast entwickelt sich da-bei zu zwei verschiedenen Bereichen, nämlich

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zum A. Synzytiotrophoblast B. Zytotrophoblast. (Abb. 109)Der Embryoblast wird zweischichtig und bestehtjetzt aus Ektoderm und Entoderm. Am 8. Tagbildet sich die Ammionhöhle. Am 9. Tag ist dieBlastozyste fast vollständig in die Uterusschleim-haut eingebettet. Es hat sich der primäre Dotter-sack gebildet, der von der Heuser-Membran be-grenzt wird. Diese Membran geht im embryona-len Bereich in die Entodermschicht über. Am 11.bis 12. Entwicklungstag liegt die Blastozyste sotief im Endometriumstroma, daß nur noch eineleichte Wölbung der Uteruswand auf die Ein-nistungsstelle hinweist. Der Trophoblast hat sichdeutlich verdickt und vergrößert. Synzytiumzel-len dringen tief in das Stroma ein, wodurch es zueiner Kontaktaufnahme zum mütterlichen Kreis-laufsystem kommt.

Dritte Entwicklungswoche

In der dritten Entwicklungswoche geht aus der 2–schichtigen Keimscheibe der aus drei Keimblätterbestehende Embryo hervor. Von nun an ist dieEntwicklung weitgehend identisch mit der Voge-lembryogenese. Zunächst bildet sich der Primitiv-streifen aus. Er entsteht auf der caudalen Seite derKeimscheibe im Ektoderm. Cranial endet der Pri-mitivstreifen im Primitivknoten. Ähnlich wie beimHühnchen kommt es zur Einwanderung von Zel-len von beiden Seiten des Primitivstreifens. DieZellen wandern lateral zwischen Ektoderm undEntoderm. Dieser Vorgang wird wie bei den Am-phibien als Invagination bezeichnet. Damit kommtes zur Bildung des 3. Keimblattes, dem Meso-derm. Im Bereich des Primitivknotens wandernZellen auch cranialwärts ein und bilden somiteinen röhrenförmigen Fortsatz, den Chordafort-satz. Der Chordafortsatz stellt die Anlage für dasembryonaleAchsenorgan, der Chorda dorsalis, dar.Am 17. Entwicklungstag liegt das mesodermaleBlatt als separate Einheit zwischen Ektoderm und

Abb. 109

Abb. 110

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Entoderm. Am 18. Tag besteht die Keimscheibeaus einem länglichen Gebilde, das im cranialenbreiter als im caudalen Bereich ist. Der Primi-tivknoten verlagert sich kontinuierlich noch cau-dal, während sich die Chordaanlage gleichzeitigverlängert. Am Ende der 3. Woche hat sich dieNeuralplatte gebildet, die ähnlich wie bei denAmphibien eine schuhsohlenähnliche Form auf-weist. Auch beim Menschen wird die Neuralplattevom Chordamesoderm induziert. In den weiterenTagen bilden sich die Neuralfalten, dazwischen-liegend befindet sich die Neuralplatte. Nach dermedianen Verschmelzung der Neuralfalten ent-steht das Neuralrohr. Die weiteren Prozesse (Al-lantois-, Amnionbildung etc.) verlaufen weitge-hend ähnlich wie beim Vogelembryo.

Menstruationszyklus

Der neue Zyklus nach der Abstoßung der Uterus-schleimhaut wird durch die Hypophyse eingelei-tet (schüttet folgende Hormone aus):

FSH (Follikelstimulierendes Hormon)ICSH (Interstitialzellen-stimulierendes Hormon)und späterFSH, das direkt auf die Keimzellen (Reifungeines neuen Follikels) wirkt.ICSH = LH (Luteinisierendes Hormon) bewirktim Follikel die Produktion von Östradiol.Bei weiter ansteigender ICSH-Konzentration trittbei bestimmten ICSH/FSH-Verhältnis Ovulation(Follikelsprung) ein und anschließend die Aus-bildung des Corpus luteum (Gelbkörper).Die Hypophyse wirkt vor allem auf das Ovar.Die Keimdrüsenhormone (Östrogene) wirken aufden Uterus (Abb.110).

Aufbau der neuen Schleimhaut

Die Proliferationsphase ist kurz vor der Ovulationbeendet. Gleichzeitig wirkt das Östrogen auf die

Hypophyse zurück hemmt die Ausschüttung vonFSH. Östrogen fördert die Produktion von Pro-lactin und ICSH. Letzteres bewirkt wiederum dieProduktion von Progesteron kurz vor der Ovula-tion. Progesteron sorgt für die Umwandlung desUterusepithels in der prägraviden Phase und da-mit für die Vorbereitung der Einnistung des be-fruchteten Eies (Sekretionsphase der Uterus-schleimhaut). Solange die Progesteronprodukti-on anhält, bleibt dieser Zustand erhalten.Wenn das Ei befruchtet wird, wandelt sich derGelbkörper um zum Corpus luteum graviditatis.Es kommt zur Steigerung der Progesteronpro-duktion. Diese wird später von der Plazenta über-nommen.Wird das Ei nicht befruchtet, bildet sich der Gelb-körper zurück. Folglich geht auch die Progeste-ronproduktion zurück, so daß dieSekretionsschleimhaut abgebaut wird und bei derMenstruation abgestoßen wird.

Hormone

1. Hormone werden von speziellen endokrinenDrüsen gebildet.2. Sie werden direkt ins Blut abgegeben. Der-Transport erfolgt zu speziellen3. Geweben und Zellen, die auf den Hormonreizselektiv reagieren. Manche Zellen und Organereagieren gar nicht, andere völlig entgegengesetztin ihrem Metabolismus auf die Hormone.

Oft wirken Hormone auf Gewebe, die selbst wie-derum Hormone produzieren.

Hormone gehören unterschiedlichen chemischenSubstanzengruppen an:

1. Kleine Moleküle (Derivate von Aminosäuren,z. B. Thyroxin)2. Polypeptide oder Proteine (Oxytocin, Insulin)3. Steroide (Derivate des Cholesterins)

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Abb. 112 Die Metamorphose der Froschlarve(Kaulquappe) zum erwachsenen FroschFehlen entsprechende Hormone (z.B. Thyroxin),bleibt die Metamorphose aus. Bei bestimmtenAmphibienarten hat sich das Ausbleiben derMetamorphose im Laufe der Evolution alsSelektionsvorteil erwiesen (Phänomen derNeotenie = Eintritt der Geschlechtsreife imLarvenstadium, z.B. bei Ambystoma mexicanum[Axolotl]).

Abb. 111 Riesenchromosomen vonChironomus tentans

Es handelt sich immer um das gleiche Chromosom,aber in verschiedenen Geweben.

a-d Chromosom 1. Speicheldrüse (a),Malpighische Gefäße (b), Rectum (c), Mitteldarm(d)

e-h Chromosom 3. Malpighische Gefäße (e,g)[e=Larve, g=Puppe], Rectum (f,g)[f=Larve,g=Puppe]

a-d Genexpression (Puffs) in verschiedenenOrganene - g e n t w i c k l u n g s s t a d i e n a b h ä n g i g eGenexpression. Diese Genexpression (erkennbarals Puffbildung) wird durch erhöhte Ecdysteron-Konzentration ausgelöst (Abb. 113).

Dieses Beispiel zeigt die direkte(sogarmorphologisch sichtbare) Korrelation zwischenHormonwirkung, Entwicklungsstadium undGenexpression.

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Wirkungsweise der Hormone:

1. Sie beeinflussen die Syntheserate von Enzy-men und anderen Proteinen2. Einfluß auf die Enzymaktivität3. Änderung der Permeabilität der Zellmembran.

Kein bekanntes Hormon ist aber ein Enzym oderCoenzym.

Die Hormonwirkung besteht darin, bereits vor-handene Stoffwechselprozesse zu regulieren.Ebenso wie Enzyme sind sie als „Katalysatoren“bei Stoffwechselprozessen aktiv. Im Gegensatzzu den Enzymen nehmen sie aber an der Stoff-wechselprozessen nicht selber teil.Proteohormone findet man im Blut in Konzentra-tionen von:10-12 bis 10-10 Mol/Liter

Schilddrüsenhormon und Steroidhormone:10-9 bis 10-6 Mol/Liter

Ecdyson bzw. sein Derivat Ecdysteron (20-OH-Ecdyson) bewirkt bei Fliegenmaden diePupariumbildung (Abb.113). Es war das ersteInsektenhormon, das in reiner kristallisierter Formisoliert werden konnte. Die Strukturaufklärungergab, daß es sich um ein Steroidhormon handelt. 20-Hydroxyecdyson ist auch verantwortlich fürdie Häutung der Krebse. Das Schilddrüsenhormonspielt eine wenetliche Rolle bei der Amphibien-metamorphose (Abb.112). Die Hormone kannman aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischenStruktur und ihrer Angriffspunkte in der Signal-kette in der Zelle in 2 Gruppen unterteilen:

1. Steroid-Hormone2. Peptidhormone

1. Die Steroid-Hormone dringen in die Zelle einund werden an ein Protein gebunden. Dieser

Steroid-Protein -Komplex wandert in den Zell-kern ein und bewirkt die Synthese spezifischerm-RNAs. Dadurch kommt es zur Bildung zell-spezifischer Proteine oder sekundärer Hormone.2. Die Peptidhormone binden an spezifische Re-zeptoren in der äußeren Zellmembran (Plasma-membran). Ein Teil von ihnen besitzt einen intra-zellulären Proteinanteil, der Tyrosinkinase- oderSerinkinase-Aktivität besitzt. Durch die Bindungdes Hormons oder Wachstumsfaktors an den spe-zifischen Rezeptor werden eine Reihe weitererAbläufe in der nachfolgenden Signalkette akti-viert, die zur Neusynthese zellspezifischer Pro-dukte führen können. Die embryonalen Induk-tionsfaktoren binden ebenfalls an Rezeptoren mitTyrosin- oder Serinkinase-Aktivität.

Abb. 113

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Molekularbiologische Techni-kenNachweis der spezifischen Genexpression vorder Entwicklung rekombinanter DNA-Techni-ken

Hybridisierung von Nukleinsäuren

Vor der Einführung der Klonierungstechnikenwurden bereits Hybridisationstechniken eingesetzt,um zu testen, ob eine bestimmte Nucleotidsequenzmit einer anderen übereinstimmt. Wie der Nameschon sagt, bestehen Hybridmoleküle aus zweiverschiedenen Nucleotidsträngen, meist unter-schiedlichen Ursprungs. Sie weisen komplemen-täre Basenpaare auf. Es konnte gezeigt werden,daß DNA bei Erhitzen auf über 90° C in ihreEinzelstränge zerfällt. Man spricht auch von De-naturierung oder Schmelzen der DNA. (Eine De-naturierung erfolgt auch bei NaOH-Behandlung).Erfolgt auf das Erhitzen eine langsame Abküh-lung, so legen sich die komplementären Basense-quenzen wieder aneinander und es bilden sichwieder Doppelstränge. Werden jedoch DNA-Ar-ten mit unterschiedlichen Gensequenzen mitein-ander gemischt, erfolgt keine Hybridisierung. SindTeilbereiche der DNA identisch, erfolgt eine par-tielle Hybridisierung. In ähnlicher Weise kannauch RNA mit DNA Hybride bilden. So bindetRNA an die Genbereiche der DNA, an denen sietranskribiert wurde. Meist wird einer der Nuclein-säurestränge radioaktiv markiert, um den Hybridi-sationprozeß mit entsprechenden Detektionsme-thoden nachweisen zu können. Im folgenden wirdein Experiment beschrieben, in dem die Hybridi-sierungstechnik eingesetzt wurde (Abb. 96): Nichtradioaktiv markierte DNA aus Frosch-Leber wirddenaturiert (Zerlegen in Einzelstränge in alkali-schem Milieu) und immobilisiert auf Nitrocellulo-se Filterpapier. Radioaktive RNA wird parallelhergestellt, indem einem anderen Frosch oder Zell-

kulturzellen radioaktive Vorstufen zugeführt wer-den. Anschließend werden die Ribosomen isoliertund aus ihnen 28 S ribosomale RNA (rRNA)isoliert. Die rRNA wird auf die Filter gegeben, andie die Leber-DNA gebunden ist. Die rRNA wirdnur an die DNA-Bereiche binden, die für die rRNAkodiert. Mit dieser Methode konnte gezeigt wer-den, daß der Nucleolus die 28 s rRNA kodiert. DasExperiment wurde von Wallace und Birnstiel(1966) durchgeführt (Abb.114):

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von den homozygoten Mutanten. Es wurden dannunterschiedliche Mengen von radioaktiver 28 srRNA (verschiedene Filter) mit den 3 unterschied-lichen DNA-Typen (aus normalen Kaulquappenund Mutanten) hybridisiert. Auf einige Filter wur-de wenig, auf andere mehr radioaktive rRNA auf

getragen.Es wurde folgendes Ergebnis erzielt:1. radioaktive rRNA hybridisierte sehr gut mitnormaler Kaulquappen-DNA (linke Reihe in derAbb.)2. bei Kaulquappen ohne Nucleoli erfolgte keine

1. normalen Kaulquappen: Je Zellkern 2 Nucleoli2. heterozyote Mutanten-Kaulquappe: Je Zellkernnur 1 Nucleolus3. homozygote Mutanten-Kaulquappen: Zellker-ne enthalten überhaupt keine Nucleoli (Kaulquap-pen sterben vor der Metamophose)

Die isolierte DNA der 3 verschiedenen Kaulquap-pen Serien wurde denaturiert. 50 µg DNA wurdedann auf Filterpapier (12 Filter pro Serie) aufge-bracht. Die erste Gruppe von Filtern enthielt danndenaturierte DNA von Wildtyp-Kaulquappen, diezweite von den heterozygoten Mutanten, die dritte

Abb. 114

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spezifische Bindung (rechte Reihe).3. bei heterozygoten Kaulquappen (1 Nucleoluswurde nur halb soviel rRNA gebunden wie beinormalen Kaulquappen (mittlere Reihe).

Damit konnte nachgewiesen werden, daß 28 srRNA von der Nucleolus-Region des Kaulquap-pen-Genoms kodiert wird. Solche Aussagen überbestimmte Genbereiche und Gene waren vor derVerfügbarkeit der neuen Klonierungstechnikenaber eher die Ausnahme, da mit den oben beschrie-benen Techniken nur Nucleinsäure-Abschnitte(mRNA) nachgewiesen werden konnten, die invielen Kopien in der Zelle vorkommen. mRNAvon z.B. Genen (Single copy-Gene), die für selte-ne Strukturproteine kodieren, ließen sich mit derTechnik nicht analysieren.

GentechnologieDie wichtigsten Techniken und Grundlagenwerden in meiner Wintervorlesung erläutert.Sie sind die Voraussetzung für eine erfolgreicheTeilnahme amGroßpraktikum und denSeminaren im Fach Zoophysiologie.

Neue Technologien haben das Studium der DNA-Struktur revolutioniert. Das gilt vor allem für dieMöglichkeit, neue Informationen über das Eu-karyonten-Genom und die Genregulation wäh-rend der Embryogenese und Zelldifferenzierungzu erhalten.1. Präparation von molekularen Sondenm-RNA kann aus Zellen unterschiedlich gewon-nen werden: a) Isolation von m-RNA beim Prozess der Trans-lation.Behandlung von Polysomen mit EDTA oder Pu-romycin - Dissoziation des Komplexes. Separati-on der m-RNA von den Ribosomen. Identitäts-bestimmung der RNA durch in vitro Proteinsyn-these (Zellfreie Proteinbiosynthese = "Cell-freeprotein-synthesizing systems", z.B. Reticulocyten-

oder Weizenkeim-System). Es werden radioakti-ve Aminosäuren dem zellfreien System zugefügt,so daß neu synthetisierte Proteine aufgrund desEinbaues der radioaktiven Vorstufen erkannt wer-den können . b) Eine andere nützliche Sonde wird gewonnen,in dem man - von m-RNA ausgehend - cDNAsynthetisiert (Complementary [komplimentäre]DNA). Dies ist ein DNA-Einzelstrang, der gebil-det wird als Kopie von mRNA mit Hilfe desEnzyms Reverse-Transkriptase. Normalerweisefindet man das Enzym bei Retroviren, die stattDNA RNA enthalten. Der Besitz des EnzymsReverse Transkriptase verleiht ihnen die Fähig-keit, komplementäre DNA-Kopien von RNA her-zustellen.2. Präparation synthetischer Gene a) Einzelsträngige cDNA kann als Matrize fürdie Produktion eines komplementären DNA-Stran-ges dienen. Erforderlich ist das Enzym DNA Poly-merase I. Es entsteht ein DNA- Doppelstrang,welcher ein komplettes synthetisches Gen dar-stellt. So wurden die Gene synthetisiert, die fürKaninchenglobin und für Ovalbumin (Huhn)kodieren. b) Die Codon Sequenz wird aufgrund der Kennt-nis der Aminosäure-Sequenz des Proteins kon-struiert. Bei dieser Methode erübrigt sich dieprimäre Isolation von m-RNA und die anschlie-ßende Umkopierung mittels ReverserTranskriptase. Die Bedeutung solcher Technikenist gerade auch imindustriellen Bereich von revolutionärer Bedeu-tung. In dieser Weise ist z.B. das Insulingenchemisch synthetisiert worden.

3. Rekombinante DNA-Techniken (Klonierungstechniken) Keine einzelne Entwicklung in der Molekular-biologie hat mehr Begeisterung und Befürchtun-gen ausgelöst, als die Methode, eukaryontischeDNA durch Einbau in Plasmide und Einschleu-

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ßung in Bakterien zu klonieren. Diese Technik hates ermöglicht, geradezu unlimitierte Mengen vonspezifischen DNA-Sequenzen zu produzieren.Plasmide sind kleine, zirkuläre DNA-Moleküle,die sich selbständig und unabhängig vom Bakteri-engenom replizieren, z. B. in E.coli. Das Plasmidwird als Vehikel benutzt, um eukaryontische DNAin Bakterien einzuschleusen. Die eurkaryotischeDNA wird in das Plasmid durch enzymatischeRekombination eingebaut. Sie wird zusammenmit der Plasmid-DNA repliziert. Diese Insertionvon eukaryotischer DNA wurde möglich gemachtdurch Restriktions-Endonucleasen. Diese Enzymewurden aus Mikroorganismen isoliert. Sie schnei-den die DNA an ganz spezifischen Stellen. DieseOrte für den Angriff dieser Enzyme ("Restrictionsites") bestehen gewöhnlich aus 4 oder 6 Basen-paaren. Die Restriction sites haben pallindromi-sche Symmetrie, d.h. die Basensequenz auf demeinen Strang der DNA ist spiegelbildlich zumkomplementären.Heutzutage ist es aufgrund der rekombinantenDNA-Techniken möglich, spezielle Gene undmRNAs zu isolieren und zu identifizieren, auchdann, wenn die mRNAs nur in wenigen Kopienin der Zelle vorliegen. Diese Technik wird als Genklonierung bezeichnet. Mit traditionellen bio-chemischen Methoden wäre es nicht möglich, eineinzelnes Gen mit ca. 15.000 Basenpaaren auseiner Gesamtzahl von etwa 2 x 105 Genen (mensch-liches Genom) zu charakterisieren. Mit den mo-dernen molekularbiologischen Methoden jedochist dies möglich, genauso wie die Synthese einerenormen Zahl von Kopien eines Gens.

Differentielle Hybridisation (Subtraktions-Klonierung)Diese Methode wird angewandt, wenn zwei mRNAPreparationen verfügbar sind, die beide viele ge-meinsame Sequenzen (identische mRNAs) besit-zen, sich aber durch einige verschiedene unter-scheiden, die besonders interessant sind, d.h.

mRNAs von Zellen vor oder nach heat-shock,Pharmaka-, Hormone-Gaben oder Zellen verschie-dener Entwicklungsstadien (z.B. Oozyten oderGastrulae wie im Beispiel in der Abb. im Anhang).

32P-radioaktiv markierte cDNA wird in vitro syn-thetisiert ausgehend von beiden Poly(A)+ - RNA-Präparationen. Die meisten cDNA Sequenzen sindbei beiden Populationen gleich. Aber in den Zellenunterschiedlicher Entwicklungsstadien sind einigeneue Sequenzen vorhanden. Diese Prozedur wurdebenutzt, um cDNA Klone von entwicklungsstadi-en-spezifischen mRNAs am Vertebraten-Modellsystem Xenopus laevis (SüdafrikanischerKrallenfrosch) zu charakterisieren(Dworkin andDawid, 1980; Richter, Grunz, Dawid, 1988).

Einbau von eukaryotischer DNA in Vektoren(Plasmide oder Phagen)Man geht dabei folgendermaßen vor: Zunächstwird die Kern-DNA (meist Eukaryoten-DNA) inviele einzelne Stücke zerlegt. Als molekularbiolo-gisches „Schneidewerkzeug“ dienen Restriktions-Endonucleasen (auch als Restriktionsenzyme be-zeichnet). Diese Enzyme erkennen spezifisch be-stimmte Sequenzen der DNA und schneiden denDNA-Strang überall dort, wo diese Basensequenzvorkommt. So schneidet ECORI (isoliert aus demBakterium Escherichia coli) die DNA an vielenStellen, und zwar immer dort, wo die Basense-quenz 3'-Ende ....... GAATTC........ 5' 5'-Ende ....... CTTAAG........ 3' vorkommt.

Es handelt sich bei den Sequenzen, die von denRestriktionsenzymen geschnitten werden um so-genannte palindromische Sequenzen, d.h. sie sind,vom 3' zum 5'-Ende bzw. vom 5' zum 3'-Endegelesen, identisch. Eine weitere Besonderheit derRestriktionsenzyme ist es, daß ihre Schnitte ent-weder stumpfe (blund) oder überlappende (sticky)Enden der DNA hinterlassen.

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Als nächster Schritt folgt der Einbau der DNA-Fragmente in Klonierungs-Vektoren. Geeignet sindentweder ringförmige DNA-Moleküle (Plasmide)oder spezifisch veränderte Viren (Phagen). Ersterekommen in Bakterien vor und werden unabhängigvom Bakterienchromosom repliziert. Sie enthal-ten Gensequenzen, die für bestimmte Antibiotikaabbauende Enzyme (z.B. Tetracyclin oder Am-picillin) kodieren. Wenn das Bakterium solchePlasmide enthält, ist es gegen die entsprechendenAntibiotica resistent. Bestimmte modifizierte Vi-ren sind besonders dann für Klonierungsexperi-mente geeignet, wenn besonders große DNA-Frag-mente kloniert werden sollen. Plasmide können sokonstruiert werden, daß sie z.B. nur einen EcoRI-oder BamHI-sensitive Gensequenz besitzen. Des-halb kann der Ring an nur einer Stelle aufgeschnit-ten werden. Wird dieses geöffnete Plasmid (vieleKopien) gemischt mit DNA-Fragmenten, die eben-falls mit dem gleichen Restriktionsenzym geschnit-ten wurde, so kommt es in vielen Fällen zu einerVerbindung zwischen Plasmid-DNA und Eukaryo-ten-DNA. Beide DNAs besitzen komplementäreBasensequenzen (sticky ends), die kovalent mit-tels eines spezifischen Enzyms, DNA Ligase, mit-einander verknüpft werden. Als Ergebnis erhältman Plasmide, die nur ein einziges Stück vonEukaryoten-DNA (z.B. von Insekten [Drosophila],Frösche oder Säugetieren) enthalten. Diese Plas-mide werden auch als Rekombinante Plasmideoder meist als Rekombinante DNA bezeichnet.

Die häufig verwendeten und kommerziell erhältli-lichen Plasmide enthalten meist zwei Antibiotika-Resistenzen. Das tcR-Gen verleiht dem BakteriumTetracyclin-Resistenz, das ApR-Gen Ampicillin-Resistenz. Diese Tatsache ist für Klonierungstech-niken von entscheidender Bedeutung, weil es da-durch möglich wird, nur solche Bakterien zu se-lektionieren, die ein rekombinantes Plasmid auf-genommen haben. Hier der prinzipielle Ablauf derMethodik.

Durch geeignete Techniken ist es möglich, daßWild-Typ E.coli-Bakterien rekombinante Plas-mide aufnehmen. Aber nicht jedes Bakteriumnimmt Plasmide auf. Auf Ampicillin-haltigen Agar-Petrischalen vermehren sich nur solche Bakterien,die rekombinante Plasmide aufgenommen haben(wichtiges Selektionsprinzip). Es werden dannKolonien von auf Ampicillin-wachsenden Bakte-rien auf andere Agarplatten, die Tetracyclin ent-halten, übertragen. Falls die Bakterien dort wach-sen, muß der Genbereich, der für die Resistenzverantwortlich ist, intakt sein. Die Plasmide habensich in diesem Falle einfach wieder geschlossen,ohne daß sie Eukaryoten-DNA integriert haben.Sie sind deshalb für die weitere Klonierung unin-teressant. Durch spezielle Methoden (spezielleKonstruktion des Plasmids), auf die ich hier nichteingehe, kann die spontane Ringbildung vermie-den werden. Bakterien, die auf Ampicillin, abernicht auf Tetracyclin-haltigen Agarplatten wach-sen, enthalten Plasmide, deren tcR-Gen-Sequenzdurch ein integriertes Eukaryoten-DNA-Stück(Fremd-DNA) unterbrochen und deshalb inakti-viert wurde. Diese Bakterienkolonien sind für dieweitere Analyse interessant. Im anschließendensogenannten „Screening“ (Sortieren, Sieben) wirdnach solchen Bakterien-Kolonien gesucht, die einbestimmtes Eukaryonten-Gen (im Plasmid) ent-halten: Bakterienzellen der Kolonien, die rekom-binante Plasmide enthalten, werden durch Ab-druck von den Agarplatten auf Nitrozellulose-Filter plaziert. Nach Lysierung (Platzen) der Bak-terien wird die DNA an das Filter gebunden. Esfolgt eine Hitzedenaturierung der DNA (Separie-rung der DNA in Einzelstränge). Dann werden dieFilter in einer Lösung inkubiert, die die RNA (oderderen cDNA-Kopie) des Genes enhält, das klo-niert werden soll. Falls eines der Plasmide dasgesuchte Gen enthält, so ist die entsprechendeDNA auf dem Filter gebunden. Nur diese DNAkann die radioaktive spezifische RNA oder cDNAbinden, d.h. die RNA oder cDNA mit komplimen-

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

tären Basen bildet mit der DNA ein Hybridmole-kül. Es wird dann ein Röntgenfilm in Kontakt mitdem Filter gebracht. Über der Region, in der dieimmobilisierte DNA die radioaktive RNA odercDNA gebunden hat (Bakterienkolonie mit demgesuchten Gen), bildet sich auf dem Röntgenfilmnach seiner Entwicklung ein schwarzer Fleck.[Die energiereichen Elektronen, abgestrahlt vonder radioaktiven RNA, haben den gleichen Effektauf die Silberhalogenid-Kristalle in der Filmemul-sion wie sichtbares Licht]. Nun weiß man, welcheKolonie auf der Agarplatte das gesuchte Gen ent-hält und kann nun diese Bakterien billionenfachvermehren und damit gleichzeitig die in ihnenvorhandenen rekombinanten Plasmide (als Insertdas gesuchte Gen).

Die rekombinanten Plasmide können dann von derchromosomalen DNA des Bakteriums durch Ul-trazentrifugation oder durch spezielle säulenchro-matographische Techniken separiert werden. DieEukaryonten-DNA kann dann durch das jeweilsspezifische Restriktionsenzym aus dem Plasmid-ring herausgeschnitten werden. Auf diese Weisekönnen Mikrogramm-Mengen der DNA-Sequenz,die das zu isolierende Gen repräsentieren, in hoch-angereicherter Form gewonnen werden. Das obengeschilderte Verfahren hört sich einfacher an als esin der Praxis tatsächlich ist. Um ein bestimmtesGen von Säugetieren zu charakterisieren, mußman etwa 1500 Kolonien screenen, was mit erheb-lichen technischen know how und vor allem gro-ßem Zeitaufwand verbunden ist.

Spezielle Erläuterungen

Die Abkürzungen der Restriktionsenzyme deutenauf die Organismen hin, in denen sie vorkommen,z.B. EcoRI in E.coli. Diese Enzyme produzieren entweder „klebrigeEnden“(sticky ends) oder „stumpfe Enden“ (blundends) . Dadurch können ringförmige rekombinan-

te DNA-Moleküle (Plasmid + fremd DNA) produ-ziert werden. Dabei wird sowohl das Plasmid als auch dieFremd-DNA (meist von Eukaryoten) mit demgleichen Restriktionsenzym behandelt, wodurchkomplementäre „sticky ends“ geschaffen werden.Durch ein weiteres Enzym, DNA-Ligase, erfolgtder Einbau der Eukaryoten-DNA in das Plasmid.Nach Herstellung des Hybrid-Plasmids wird die-ses in E.coli-Bakterien eingeschleust, wo es repli-ziert wird. Dieser Prozeß wird auch als Transfor-mation der Bakterien bezeichnet.

Klonierung in Phagen

Bakteriophage M 13 Vektors [(X-Gal)-Prinzip]

M 13 ist ein Einzelstrang - DNA-Bakteriophage.In der Wirtszelle verwandelt er sich in eine repli-kative Form (doppelsträngig). Das Genome istzirkulär, 6500 Nukleotide lang.Bis auf eine 507-lange Nucleotid-Region, genanntintergenic sequence (IS) enthält das M 13-Genomgenetische Information, die für die Virus-Replika-tion notwendig ist. Die IS akzeptiert jedoch insertsvon Fremd-DNA, ohne daß die Lebensfähigkeit(viability) des M 13 verlorengeht. Die für dieKlonierung konstruierten M 13 besitzen 2 Typenvon Sequenzen, die in dieser Region eingefügtsind.1) Das erste ist ein Fragment des E.coli lac operon,das die Regulator-Region und Kodierungsinfor-mation für die ersten 146 Aminosäuren des ß-galactosidase-Gens (Z-Gen) enthält (siehe Jacob-Monod-Modell). Der aminoterminale Bereich des ß-galactosida-se Proteins, synthetisiert in den infizierten Zellen,ist in der Lage, ein defektes ß-galactosidase - Gen(lac- - Mutante: z- y+ a+, das auf dem F-Episomein der Wirtszelle vorhanden ist, zu komplementie-ren ("α- complementation"). Die Komplementation produziert aktive ß-ga-

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lactosidase, die eine blaueFarbe-Bildung bewirkt,wenn die Phagen und E.coli in Gegenwart desInduktors Isopropyl-thiogalactoside (IPTG) unddem chromogenen Substrat Xgal wachsen (Xgal =5-bromo-4-chloro-3-indolyl-ß-D-galactoside,IPTG ist ein nicht verstoffwechselbarer Induktor)

2) Der zweite Sequenztyp ist ein kleines DNA-Fragment („Polylinker“), das verschiedene einmalvorhandene Restriction-Sites enthält. Dieses DNA-Fragment (Polylinker) ist in den N-terminalenBereich des ß-galactosidase Gens eingefügt. DieseInsertion hat keinen negativen Einfluß auf dieFähigkeit des ß-galactosidase Peptids, die ß-ga-lactosidase-Mutante zu komplementieren. Jedoch, weitere Insertionen (z. B. Fremd-[Eu-karyoten]-DNA) zerstören die Komplementation.Phagen, die Inserts enthalten, ergeben farblosePlaques, wenn sie in Gegenwart von IPTC undXgal gehalten werden.

Klonierung in Plasmiden

Wichtigste Voraussetzung für effektive Klonie-rung:Möglichkeit der Unterscheidung von Plasmidenmit oder ohne Fremd-DNA, d. h. Rezirkulationohne Fremd-DNA.1. Weitgehende Verhinderung der Rezirkulation(genaue Einhaltung von bestimmten Konzentrati-ons-Relationen von Vector und Fremd-DNA oderandere Techniken [siehe unten]).2. Unterscheidung von Rekombinanter DNA vonnicht rekombinanter DNA durch genetische Tech-niken. a) Insertions - Inaktivierung von Genbereichenauf dem Vektor, die Antibiotika-Resistenz bewir-ken. b) Directional cloning (Gezieltes Klonieren)Viele Plasmid-Vektoren besitzen 2 oder mehrereeinmalige Restriktionsenzym Erkennungs-Sequen-zen (Recognition sites).

Es besitzt z.B. Plasmid PBR 322 jeweils eineHind III und eine Bam H I - Schnittstelle. NachSpaltung mit beiden Enzymen kann das größereFragment elektrophoretisch separiert werden undmit Fremd-DNA [geschnitten mit den gleichenEnzymen] ligiert werden, die ebenfalls kohesiveEnden besitzt und somit kompatibel ist zu dendurch Bam H I und Hind III im Plasmid produzier-ten klebrigen Enden. Die resultierenden zirkulä-ren Rekombinanten transformieren die Bakterienzu Ampicillin Resistenz. Weil bei nicht Rekombi-nanten aufgrund der fehlenden Komplementaritätzwischen dem durch Hind III und Bam H I produ-zierten Sequenzen die Rezirkulation nicht effektivverläuft, ist die Transformation der E.coli sehrunzureichend. Das bedeutet, daß die meisten am-picillin-resistenten E.coli-Kolonien auch Fremd-DNA eingebaut haben.zu 1. Verhinderung der RezirkulationWährend der Ligation katalysiert DNA-Ligase dieBildung von Phosphodiesterbindungen zwischenzwei benachbarten Nukleotiden nur dann, wenn 1Nukleotid eine 5'-Phosphatgruppe und das andereeine 3'-Hydroxylgruppe enthält.

Die Rezirkulationsneigung kann verringert wer-den, wenn man die 5'-Phosphate von beiden Endender linearen DNA mittels bakterieller AlkalischerPhosphatase oder Calf intestinal Phosphatase(Darm-Phosphatase) entfernt.Der Vektor kann daher keine Phosphodiester-Bin-dung bilden, d. h. keine Rezirkulation; dagegenaber Fremd-DNA mit jeweils 1 Strang. Die zirculäreDNA (Vektor + Fremd-DNA) transformiert trotzder Nicks die Bakterien effizienter als die linearePlasmid DNA.

Bakteriophage λλλλλ

λ ist ein doppelsträngiger DNA-Virus mit einerGenomgröße von ~ 50 Kb. In λ−Bakteriophagenliegt die DNA als ein lineares Duplex-Molekül vor

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mit einzelsträngigen komplementären Enden ,12Nucleotide lang (cohesive ends). Nach Eindringenin die Bakterien findet Rezirkulation durch Paa-rung der kohesiven Enden statt. Es erfolgt danneine Replikation der ringförmigen DNA. ZweiVermehrungsprinzipien:1. Lytisches Wachstum Vermehrung und Bildung von Phagen2. Lysogenes Wachstum Integration des Phagengenoms in die Wirts-DNA(E.coli)

Assembly (Zusammenbau der Phagenuntereinhei-ten)Die 2 Hauptuntereinheiten der reifen Bakteriopha-gen - Kopf und Schwanz, werden separat konstru-iert und später zum funktionsfähigen Phagen zu-sammengesetzt.

Konstruktion von Bakteriophage λ -Vektoren

Zwei verschiedene Typen von Konstruktionen sindüblich:1) 1. Typ besitzt einen single target site (Angriffs-punkt für ein Restriktionenzym), wo die Fremd-DNA eingefügt wird. (Insertions Vektor)2) 2. Typ besitzt ein Paar von Sites, die einSegment betreffen, das entfernt und durch Fremd-DNA ersetzt werden kann. (Replacement- oderSubstitutions- Vektor)Das Klonieren mit Bakteriophage λ -Vektorenumfaßt folgende Schritte:1. Vektor DNA wird mit geeigneten Restriktions-enzymen geschnitten. Im Falle der ReplacementVektoren werden der linke und rechte Arm vomzentralen „Stuffer“(Füller)-Fragment mittels Dich-tegradienten-Zentrifugation oder Gelelektropho-rese getrennt.2. Die Arme werden dann mit Fremd-DNA ligiert,die entsprechende kompatible Endbereiche auf-weist.3. Die so erhaltene rekombinante DNA wird in

vitro in Bakteriophagen verpackt, die dann Plaqu-es bei geeigneten (Lysierung der Bakterien) Wir-ten bilden.4. Rekombinante Phagen, die die gewünschteFremd-DNA integriert haben, werden dann meistmittels Nukleinsäure-Hybridisierung indentifiziert.

Auswahl des geeigneten Vektors

Nicht jeder Vektor ist für den Einbau jedes DNA-Fragments geeignet.Folgende Betrachtungen sind wichtig für die Aus-wahl:1. Die Restriktionsenzyme, die verwendet werdensollen2. die Größe des Fragments der Fremd-DNA, dasin den Vektor eingefügt werden soll.Nur etwa 60 % des viralen Genoms (der linke Arm,~ 20 Kb lang, der die „Kopf und Schwanzgene“ A- J enthält, und der rechte Arm von PR bis zum CosR site) ist notwendig für die lytische Propagation.Dagegen ist das mittlere Drittel des Genoms nichtnotwendig für das lytische Wachstum. Es kanndeshalb durch Fremd-DNA ersetzt werden.Die Vitalität des Phagen nimmt jedoch dramatischab, wenn DNA e ingebaut wird, die länger als105 % oder kürzer als 78 % des Wildtyp-Genomsist. Es ist deshalb wichtig, eine Kombination vonVektor und Fremd-DNA so zu wählen, daß derresultierende rekombinante Phage innerhalb be-stimmter Größengrenzen liegt.Das Stuffer-Segment kann als Selektionsprinzipdienen.1. Wird linker und rechter Arm ohne Stuffer fusio-niert, so ist dieses Genom zu klein, um verpackt zuwerden. Nur ein Genom mit integrierter Fremd-DNA wird verpackt.2. Bestimmte Vektoren enthalten einen Stuffer,der Gene enthält, die einen bestimmten Phenotyprealisieren, der leicht zu identifizieren ist. So enthalten verschiedene Vektoren in dieserStuffer-Region unter anderem ein Segment der E.

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coli DNA, das für ß-galactosidase kodiert. SolcheVektoren bilden blaue Plaques, wenn sie auf lac--Wirte in Gegenwart des chromogenen Substrats 5-bromo-4-chloro-3-indolyl-ß-D-galactoside (X-gal)platiert werden.Die Klonierung mit diesem Vektor resultiert indem Ersetzen (Replacement) des größten Teilsdes ß-galactosidase Gens durch Fremd-DNA. Diesich ergebenden Phagen können dadurch erkanntwerden, daß sie farblose Plaques im X-Gal-Sy-stem bilden, wenn sie auf auf lac--Wirte transfe-riert werden.

Kartierung des Bakteriophagen λλλλλ -Vek-tors

Jede Karte von Bakteriophagen (λ -Vektoren) istfolgendermaßen aufgebaut (siehe Abbildung aufder nächsten Seite):

1. Die erste Zeile ist eine Skala in Kilobasen (Kb).

2. Die zweite Zeile charakterisiert die Restrik-tionsenzym-Orte und die Positionen der wichtig-sten Gene der Wildtyp -λ -DNA.

3. die dritte Zeile ist eine Karte des vorliegenden-Vektors

I weiße Rechtecke repräsentieren Regionen, die-vom Wildtyp abgeleitet sind (identisch sind).

II spezifische Mutationen (z. B. Wam oder ts) sindüber diesen Rechtecken eingezeichnet.

III Restriction sites, die durch in vivo oder in vitroselection während der Konstruktion des Vektorsentfernt wurden, sind durch kleine x über denRechtecken angedeutet.

IV Deletionen von Wildtyp λ -Sequenzen sindangedeutet durch eine durchgezogene Linie.

V Insertionen oder Substitutionen werden durchBoxen mit diagonalen Streifen angedeutet (Inser-tionen von E.coli),

VI Restriktionsenzym-Schnittstellen, die nicht inder Wild-typ-DNA vorhanden sind, sind auf derVektor-Liste angedeutet (oben auf der Abbildung).

VII Rechts von der Vektor-Karte VIIa(auch in derRestrictions Sites-Liste VIIb) sind die Restrik-tionsenzyme aufgelistet, die bei diesem Vektorangewendet werden können.

VIII Über jeder Linie ist die Fragmentgröße (inKb) angedeutet, auf der linken Seite die maximale Größe auf der rechten Seite die minimale Größedie von dem Vektor noch toleriert wird.

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Abb. 115

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Strategien für die Erstellung einer cDNA-Bibliothek [cDNA-Library])

Definition einer cDNA-library: Erfassung sämtli-cher mRNAs, die in einem bestimmten Zelltypvorkommen. Sämtliche mögliche mRNAs diesesZelltyps werden in Plasmide oder Phagen ver-packt und stehen somit dem kundigen „Leser“ wiein einer Bibliothek zum „Lesen“ (Screening) zurVerfügung.Es handelt sich im Gegensatz zu einer Genomi-schen Bibliothek nur um einen kleinen Teil der imGesamtgenom gespeicherten Informationen. Wäh-rend die genomischen Sequenzen in jeder Zelleweitgehend identisch sind, ergeben sich bei denmRNAs in den verschiedenen, differenziertenZellen deutliche Unterschiede (Beispiele: in Blut-zellen finden wir mRNA, die für Globin kodiert, inMuskelzellen Muskel-α−actin-mRNA, in Epider-miszellen mRNA, die für α−Keratin kodiert oderin zukünftigen Gehirnzellen mRNA, die für neu-ralspezifisches ß-Tubulin kodiert).

Abundant mRNAs (in vielen Kopien vorhandenemRNA)

50 - 90 % der totalen cytoplasmatischen poly(A)+

RNA, isoliert von bestimmten Zelltypen, ist indiesem Falle eine bestimmte mRNA, z. B. Ovalbu-min oder Globin-mRNA. Ohne weitere Reinigungkann von der abundant mRNA mittels ReverserTranskriptase 32P-markierte einzelsträngige cDNAsynthetisiert werden. Es folgt die Synthese zumDoppelstrang und die Klonierung.

cDNA-Synthese mittels Nick-Translation

DNase I produziert Nicks mit 5'-Phosphat-Termi-ni (Nick = Kerbe).Escherichia coli DNA Polymerase I fügt Nucleo-tide an die 3'-hydroxyl- Termini. Außerdem hat

das Enzym Exonuclease- Aktivität und kann Nuc-leotide vom 5'-Ende des Nick entfernen. Die Ent-fernung von Nucleotiden von der 5' Seite undsequentielle Addition an der 3'-Seite resultiert ineiner Bewegung des Nick (nick translation) ent-lang der DNA.Durch Ersetzen der kalten Nucleotide durch hoch-radioaktive ergibt sich eine spezifische Aktivitäthöher als 108 cpm/µg.

Nachweis der Identität der Klone, die die ge-wünschte cDNA enthalten:

1. Die klonierte cDNA ist in der Lage, die speziel-len mRNA zu selektionieren. cDNA (kloniert) wird an Nitrocellulose-Filtergebunden und mRNA in Lösung daran hybridi-siert. Nach Auswaschen der nicht gesuchtenmRNAs, wird die gesuchte mRNA aus dem Hybridabgelöst und in einem zellfreien System transla-tiert.2. Hybridisierung der klonierten cDNA an die zucharakterisierende mRNA. Dadurch wird die Trans-lations (Proteinsynthese) inhibiert. Damit kann dieIdentität einer bestimmten mRNA nachgewiesenwerden.3. Durch direkte DNA-Sequenzierung, wenn dieAminosequenz des Proteins bekannt ist und damitauch die Basensequenz.

Low Abundant mRNAs (wenige mRNA-Kopienpro Zelle)

Neueste Strategien zum Nachweis seltenermRNAs bestehen darin:Herstellung einer großen Zahl von cDNA Klonenausgehend von totaler poly (A)+ RNA und Identi-fizierung einer bestimmten cDNA. Die gesamteKollektion von cDNAs einer bestimmten Präpara-tion von poly (A)+- RNA (aus bestimmten Zellen,z.B. Leber oder Muskel) wird cDNA - Bibliothek(cDNA-Library) genannt.

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Eine typische Säugerzelle enthält zwischen 10.000und 30.000 verschiedenen mRNA-Sequenzen.Williams (1981) hat die Zahl der Klone bestimmt,die notwendig sind, um eine komplette cDNA-Library von einer menschlichen Fibroblasten-Zel-le zu erhalten, die etwa 12.000 verschiedenemRNA-Sequenzen enthält. Die Low abundance -Klasse von mRNAs ( <14 Kopien pro Zelle)repräsentiert etwa 30 % der gesamt mRNA. Es gibtetwa 11.000 verschiedene mRNAs in dieser Klasse.Die minimale Zahl von Klonen, um einevollständige Representation aller low abundancemRNAs zu erhalten, beträgt dann 11.000 / 0,30 =~ 37.000.

Die Zahl der Klone, die notwendig ist, um einebestimmte Wahrscheinlichkeit zu erreichen, daßeine bestimmte low-abundance Sequenz in derLibrary vorhanden ist, beträgt

N =ln (1 - P)

ln (1 - n )

N = Zahl von erforderlichen KlonenP = gewünschte Wahrscheinlichkeit (hoch, nor-malerweise 0.99)n = Einzelner Typ von low abundant RNA inner-halb einer gesamten mRNA- Population.

Also für das obige Beispiel (menschlicher Fibro-blast) ergibt sich dann:

N = ln ( 1 - 0.99 )

ln ( 1 - 1/37.000)

N = 170.391,46 Kolonien.Diese Zahl ist in Reichweite existierender Techni-ken, da zwischen 1 x 105 und 6 x 105 Kolonien proµg doppelsträngige cDNA durch homopolymerictailing oder doppel-linker Prozeduren erhaltenwerden können.

Genomische Bibliothek(Erfassung sämtlicher DNA-Bereiche, also desgesamten Genoms, verpackt in Einzelabschnittenin verschiedene Phagen)

Konstruktion genomischer Bibliotheken inBakeriophaten λλλλλ-Vektoren

Die heutige Strategie besteht darin, komplette Bi-bliotheken (Libraries) von eukaryotischer DNAzu konstruieren und dann die rekombinanten Pha-gen mittels Hybridisierung zu identifizieren, diedie gesuchten Sequenzen enthalten.

Die Libraries von eukaryotischer DNA können auf2 Arten präpariert werden.

A) Spaltung der Genom-DNA und zwar vollstän-dig mittels Restriktionsenzymen und Einbau derFragmente in geeignete Bakteriophagen λ-Vekto-ren.Die Methode hat 2 Nachteile:

a) Wenn die interessierende Sequenz (also inner-halb des codierenden Bereichs) Recognition sitesfür die gewählten Restriktionsenzyme enthält, dannwird die Sequenz in 2 oder mehr Stücken kloniert.Es kann aber auch sein, daß die Sequenz als ein zugroßes DNA-Fragment vorliegt, so daß es nicht indie Bakteriophagen DNA eingebaut werden kann(siehe unter Aufbau von Phagen).b) Die durchschnittliche Größe der Fragmente, diedurch Spaltung der eukaryontischen DNA mittels

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hexanucleotid - erkennende Restriktionsenzymeproduziert werden, ist relativ klein (~ 4 Kb). Einevollständige Library enthält deshalb eine großeZahl rekombinanter Bakteriophagen, und dasScreening mittels Hybridisierung wird sehr ar-beitsaufwendig und teuer.

B) Beide Probleme können umgangen werden,wenn große DNA-Fragmente (~ 20 Kb) kloniertwerden, die durch zufälliges Spalten der DNA(random shearing) erhalten werden. Damit ist aus-geschlossen, daß bestimmte Sequenzen aufgrundungünstiger Verteilung oder Vorhandensein vonRestriktionsenzym-Recognition sites nicht erfaßtwerden. Weitere Vorteile der randomly shearedDNA (oder der partiellen Verdauung mittels Re-striktionsenzymen, s.unten):

1) Möglichkeit, das eukaryonische Genom entlangzu wandern in der Art, wie es bei einem NichtÜberlappen (das ist der Fall bei Spaltung durchRestriktionsenzyme) ausgeschlossen ist. Die Zahlder potentiell verschiedenen Klone ist unbegrenzt.Es ist möglich, die aus einem rekombinanten Klongewonnen DNA-Fragmente als Sonde (Probe) zurWanderung (walk) am gesamten Genom entlangzu benutzen.

2) Weil die randomly sheared DNA-Fragmente,die für die Klonierung verwandt werden, relativgroß sind, müssen nur noch weniger als 1 MillionRecombinante Phagen produziert und gescreenedwerden, um eine gute Chance zu haben, eine be-stimmte Gensequenz (single-copy-sequence) dereukaryotischen DNA zu isolieren. Die exakteWahrscheinlichkeit, daß jede Sequenz des Ge-noms erfaßt wird, kann mit folgender Formel be-rechnet werden. Jede Sequenz hängt von der Zahlder verfügbaren rekombinanten Phagen (N) ab.

P = gewünschte Wahrscheinlichkeitf = Verhältnis von einzelner Rekombinanter DNA[vorliegend in jeweils einem Phagen] zum Ge-samtgenomN = Zahl der notwendigen Rekombinanten (Pha-gen)Um z.B. mit 99 % Wahrscheinlichkeit (P = 0.99)eine bestimmte Sequenz in einer Library von 17Kb-Fragmenten im Säugergenom (3x109bp) zuerfassen, ergibt sich:

= 8.1 x 105 (Zahl der notwendigen rekombinan-ten Bakteriophagen)

3) Die Kenntnis der Verteilung der RestrictionsOrte in oder um die gesuchte Sequenz herum istnicht notwendig, bevor die Klonierung versuchtwird.

Darstellung der Hauptschritte einer GenomicDNA Library

1. Behandlung eines Bakteriophagen l (Substitu-tions -Vektor), der die Aufnahme von bis zu 20 kb-Fragmente aufnehmen kann, mit einer Restrik-tions-Endonuclease. Entfernung des internen Stuf-fer-Fragments durch Gradientenzentrifugation.2. Herstellung von 20 Kb-Fragmenten des eu-karyonten Genoms durch partielle Verdauung mit

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Restrictionsenzymen (ergibt DNA-Fragmente, dieder sheared DNA sehr ähnlich ist)3. Die Arme des Vektors und die Fragmente derEukaryonten-DNA werden mit Ligase verknüpftund diese Rekombinanten-Moleküle in Bakteriop-hagenköpfe verpackt und auf E.coli-Kolonienamplifiziert. Die sich so ergebende Library kann

aufbewahrt und über lange Zeit verwendet wer-den. Sie kann gescreened werden auf das Vorhan-densein vieler verschiedener Gensequenzen.

DNA-Sequenzierung

Die DNA-Sequenz kann Auskunft darüber geben,welche Proteine von ihr kodiert werden. Auchkönnen die Sequenzen, die für ähnliche Proteinekodieren, miteinander verglichen werden und derGrad der Identität bzw.Homologie bestimmt wer-den. Weiterhin ist es möglich, regulatorische DNA-Sequenzen von verschiedenen Genen zu verglei-chen, die z.B. durch bestimmte Hormone aktiviertwerden. So besitzen z.B. alle die Gene, die durchdas Hormon Progesteron reguliert werden, diegleiche DNA-Sequenz in der Nähe der Startregionfür die proteinkodierende Sequenz. Unsere Ar-beitsgruppe konnte zusammen mit einer Forscher-gruppe am NIH/National Institutes of Health (Na-tionalen Gesundheitsbehörde), Bethesda beiWashington,USA zeigen, daß die Sequenz einesin der Embryonalentwicklung früh (in der Gastru-la) expremierten Genes, ähnlich derjenigen von ß-tubulin ist. Es handelt sich bei unserem Gen um eingehirnspezifisches ß-tubulin.

Zwei DNA-Sequenzierungsmethoden sind üblich:

1. nach Maxam und Gilbert (Kettenspaltungs-Methode = chemische Spaltung)2. nach Sanger (Kettenabbruch-Methode = „Di-deoxy“-Sequenzierungs-Methode)

zu 1) gereinigte einheitliche DNA-Fragmente auseinem Plasmid oder Phagen werden mittels Po-lynucleotid-Kinase an den 5'-Enden der DNA mit32P radioaktiv markiert. Der DNA-Doppelstrangwird dann mittels eines Restriktionsenzyms in 2unterschiedlich große Fragmente gespalten. DieSeparation erfolgt mittels Gelelektrophorese, sodaß man ein DNA-Fragment mit 32P-Marking am5'-Ende erhält. Es folgt dann eine zufallsgemäßeSpaltung der DNA mittels speziellen Chemikali-en. Es werden 4 Ansätze (z.B. Reagenzgläser) dergleichen DNA mit jeweils einer anderen Chemika-lie behandelt. Im ersten Ansatz wird überwiegendbei der Base T, im zweiten bei C, im dritten bei Gund beim vierten bei A gespalten. (Hinweis: In derPraxis sind die Chemikalien nicht so spezifisch. Sowerden in zwei Ansätzen gleichzeitig bei A und Gbzw. T und C gespalten. Durch vergleichendeSubtraktions-Analyse mit den beiden anderenAnsätzen ist aber eine eindeutige Basenidentifi-zierung möglich). Die Spaltung erfolgt jedochzufallsgemäß. In einem DNA-Fragment am erstenA, in einem anderen DNA-Fragment jedoch nuram fünften A downstram vom 5'-Ende. Man erhältsomit unterschiedlich lange DNA-Fragmente, diealle am 5'-Ende radioaktiv markiert sind. Die gleich-zeitig entstehenden nicht radioaktiven Fragmen-tewerden in der anschließenden Autoradiographienicht nachgewiesen und stören somit auch nichtbei der Auswertung. Da die unterschiedlich langenDNA-Fragmente im elektrischen Feld unterschied-lich schnell wandern, können sie mittels Polyacryl-gel-Elektrophorese aufgetrennt werden. Die 4 Pro-ben (T-, C-, G-, A-Spaltprodukte) werden auf 4Bahnen aufgetragen. Da die DNA negativ geladenist, wandern die DNA-Fragmente zur Anode (+-Pol), und zwar kürzere Fragmente schneller undweiter als lange. Nach der Elektrophorese wird dasGel in Kontakt mit einem Röntgenfilm gebracht.Überall dort, wo eine radioaktive Bande vorhan-den ist, wird der darüberliegende Film geschwärzt(sichtbar nach der Entwicklung des Films). Die

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Ableseung der Basensequenz erfolgt dann vomunteren Rand in Richtung zum oberen Rand desGels (vom + zum - Pol).

zu 2) Kettenabbruch [Dideoxy-Sequenzie-rungs]-Methode nach Sanger et al., 1977Auch bei dieser Methode beginnt man wieder mitdem Plasmid oder Phagen, die das gesuchte Genenthalten. Man isoliert dann einen Einzelstrangder ringförmigen DNA. Dann wird ein radioakti-ver Primer (ca. 20 Basenpaare langes DNA-Frag-ment), der komplimentär ist, an den Bereich derPlasmid-DNA gebunden, der unmittelbar vor demklonierten Gen liegt. Da die Basensequenzen imPlasmid bekannt sind, kann ein solcher Primer(Oligonucleotid) leicht synthetisch hergestelltwerden. Der Primer besitzt ein freies 3'-Ende, andas weitere Nukleotide angehängt werden können.Ähnlich wie bei der Maxam und Gilbert-Methodebereitet man vier verschiedene Reagenzgefäße vor.Jedes dieser Gefäße enthält die DNA mit Primerund alle 4 Desoxynucleotide (ATP, GTP, CTP undTTP). Aber zusätzlich erhält jedes Gefäß ein je-weils unterschiedliches Dideoxinucleosidtri-phosphat . Das erste Gefäß Dideoxi G, das zweiteDideoxi A, das dritte Dideoxi T und das vierteDideoxi C. Im Gegensatz zu Deoxi-Nucleotidenbesitzen die Dideoxi-Nucleotide keine 5'-OH-Gruppe. Wenn nun bei der DNA-Synthese durchDNA-Polymerase 1 ein solches Dideoxi-Nucleo-tid eingebaut wird, erfolgt ein kettenabbruch, da andas modifizierte Nucleotid kein weiteres Nukleo-tid angehängt werden kann. Da gleichzeitig „nor-male“ Nukleotide vorhanden sind, und ebenfalls indie Kette integriert werden, erfolgt der Einbau dermodifizierten Nukleotide zufallsgemäß, z.B. Di-deoxi GTP manchmal am 1., 2., 3. oder 4. komp-limentären C usw. Der Kettenabbruch erfolgt des-halb an unterschiedlichen Stellen. Man erhält so-mit radioaktive Fragmente, die unterschiedlichlang sind und die wie bei der Maxam und Gilbert-Methode elektrophoresisch aufgetrennt werden

können. Die Auswertung erfolgt wie bei dieseroben beschriebenen Methode.

In situ Hybridisierung

Wenn auf diese Weise ein Gen charakterisiertworden ist, kann man seine Expression z.B. wäh-rend der Embryonalentwicklung verfolgen. Dieentsprechende mRNA, die für ein bestimmtes Pro-tein kodiert, läßt sich während bestimmter Ent-wicklungsstadien in bestimmten Zellen nachwei-sen. So konnte unsere Arbeitsgruppe ein gehirn-spezifisches Gen im Neuroektoderm bereits in derGastrula von Xenopus laevis (Krallenfrosch) nach-weisen, lange bevor sich die Gehirnzellen histoty-pisch differenzieren. Man kann die spezifischeGenexpression sowohl im Ganzkeim (wholemount-in situ-Hybridisierungstechnik) als aucham histologischen Schnitt nachweisen. Am histo-logischen Schnitt bindet cDNA (radioaktiv) ankomplementäre mRNA in Zellen oder Geweben,die auf einem Objektträger aufgebracht wordenist. Nachdem nicht gebundene cDNA weggewa-schen worden ist, werden die histologischen Schrit-te mit einer Fotoemulsion bedeckt. Überall dort,wo die radioaktive cDNA Hybride mit der gesuch-ten mRNA gebilet hat, werden die Silberhaloge-nid-Kristalle durch die radioaktive Strahlung akti-viert. Sie werden im anschließenden Entwick-lungsprozeß zu metallischem Silber umgewan-delt. Durch spezielle mikroskopische Analyse-techniken können die Silberkörner überall dortnachgewiesen werden, wo die gesuchte mRNA inder Zelle lokalisiert ist. Wie bereits oben erwähntläßt sich die in situ-Hybridisierungstechnik so-wohl am histologischen Schnitt als auch am gan-zen Embryonen (whole mount-in-situ-Hybridisie-rungstechnik) anwenden. Auf die recht kompli-zierte Methodik kann hier nicht eingegangenwerden(Es sei deshalb auf folgende Literatur ver-wiesen (Grunz, 1990; Oschwald, Richter, Grunz,1991).

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Die Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR)

Die Entwicklung der PCR-Methode ist ebensorevolutionär wie die Entdeckung der Restriktions-enzyme und Entwicklung der Southern-Plot-Tech-nik. Die PCR-Technik ist so sensitiv, daß eineinzelnes DNA-Molekül millionenfach amplifi-ziert werden kann. Es können single-copy-Geneim Routineverfahren aus einer komplexen Mi-schung von genomischen Sequenzen "herausge-filtert" werden und als Banden auf Agarose-Gelensichtbar gemacht werden. Die Technik wird mitt-lerweile in vielen Bereichen der Wissenschaft an-gewandt, z.B. bei der Analyse von Erbkrankhei-ten, bei kriminaltechnischen Untersuchungen, inder Evolutionsbiologie, bei der Krebsforschungund selbstverständlich auch in der Grundlagens-forschung in der Entwicklungsbiologie und Em-bryologie. Besonders interessant für den Biologenund Paläontologen ist die Tatsache, daß DNA-Reste an Organismen in Museen und bei archeolo-gischen/paläontologischen Funden mit der PCR-Technik amplifiziert werden können. Das gilt je-doch nur für den Fall, daß die DNA über dieJahrhunderte nach Absterben der Organismennicht extrem modifiziert worden ist (günstig isteine Kryokonservierung).Die zu amplifzierende DNA-Sequenz (Doppel-strang) wird denaturiert. Zwei verschiedene Pri-mer (RNA-Primer), die zu einer bestimmten Regi-on der zu amplifizierenden DNA komplimentärsind, werden an die Einzelstränge der DNA ge-bunden. Wenn man nach einem bestimmten Gensucht, kennt man dessen Gensequenz und kannentsprechende Oligonucleotid-Primer synthetisie-ren. So kann man Primer 1 synthetisieren, der andie Region der DNA bindet, der für die N-termina-le Region des entsprechenden Proteins kodiert,bzw. Primer 2, der für das Carboxende des ent-sprechenden Proteins kodiert, bzw. Primer 2, derfür das Carboxylende kodiert. Sobald ein Primeran die DNA gebunden ist, kann die DNA Polyme-

rase einen neuen komplimentären DNA-Strangsynthetisieren. Das besondere an der PCR-Tech-nik ist nun, daß es sich hier nicht um eine gewöhn-liche E.coli DNA-Polymerase handelt. Stattdes-sen kommt hier eine DNA Polymerase zum Ein-satz, wie wir sie in Bakterien (Thermus aquaticus)finden, die in heißen Quellen (z.B. im YellowstoneNational Park, USA) vorkommen. Die Tempera-tur in diesen Quellen beträgt ca.90° C. Diese spezielle DNA-Polymerase wird beidieser hohen Temperatur nicht denaturiert. DiePCR-Technik nutzt nun diese Besonderheit dieserEvolutionsanpassung aus. Sobald nämlich derzweite DNA-Strang synthetisiert worden ist, wirddie DNA durch Temperaturerhöhung denaturiert(Auftrennung des Doppelstranges in Einzelsträn-ge). Während dieser Temperaturerhöhung wirddie T. aquaticus DNA Polymerase nicht denaturiert.Nach Abkühlen der Präparation erfolgt die erneuteBindung der Primer an die DNA und eine erneuteSynthese von komplimentären DNA-Strängen.Insich wiederholende Zyklen von Denaturierung derDNA und Neusynthese der komplimentären Strän-ge wird die DNA millionenfach vermehrt. Nach 20Runden erhält man 220 Kopien des ursprünglichenDNA-Stranges (also eine etwas mehr als 1 millio-nenfache Amplifizierung).Abschließend weise ich darauf hin, daß moleku-larbiologische (molekulargenetische ) Aspekte derEntwicklungsbiologie in meiner Vorlesung "To-pographie und Molekularbiologie der Zelle" be-handelt werden. Zum Verständnis dieser Proble-me sind Grundkenntnisse der gentechnischenMethoden erforderlich, die in dieser Vorlesungdes Hauptstudiums vermittelt werden. Für Interes-senten, die sich mit der Materie der molekularge-netischen Entwicklungsbiologie schon jetzt vertrautmachen wollen, sei auf die Lehrbücher Alberts etal.: Molekularbiologie der Zelle bzw. Gilbert:Developmental Biology verwiesen.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Molekulare Embryologie

Eines der faszinierendsten Gebiete der Biologie istdie Umsetzung der Information der DNA (primär:lineare Anordnung der codierenden Sequenzen) inein 3-dimensionales Embryonalsystem. BeiBerücksichtigung des für die embryonalen Abläufewährend der Ontogenese sehr wesentlichen FaktorsZeit kommt eine weitere vierte Dimension hinzu.Anders ausgedrückt heißt das, daß ausgehend vonder Oozyte komplizierte, räumlich und zeitlichstreng koordinierte Abläufe erforderlich sind, damitaus der relativ einfach organisierten befruchtetenEizelle (Zygote) ein 3-dimensionaler Organismusmit spezifischen Polaritäten (anterior-posterior,dorsal-ventral, lateral-median, cranial-caudal,proximal-parietal) entstehen kann. Beteiligt andiesen Prozessen ist ein Kaskade spezifischer Geneund ihre Produkte in Wechselwirkung mitmütterlichen Faktoren und Substanzen (maternalfactors, lokalisiert im Cytoplasma). Letztere spielenwährend der frühen Embryonalstadien einewesentliche Rolle für die Furchungsprozesse(Mitose/Spindelbildung, Synthese neuerZellmembranen etc.). Ab der mittleren Blastula(Midblastula-Transition) bei den Amphibien, beiSäugern schon während der ersten Furchungen,kommt es dann zur Aktivierung zygotischer Geneund der Synthese vor allem neuer mRNAs undfolglich zur Synthese differenzierungsspezifischerProteine (d.h. Proteine, die spezifisch sind z.B. fürzukünftige Blutzellen [Hämoglobin], Muskelzellen[Myoglobin], Epidemiszellen [Keratin] etc.

Aufgrund der kurzen Generationszeit und derVerfügbarkeit einer Reihe von gut charakterisiertenMutanten wurde es durch den Einsatz der modernenGentechnologie (molekulare Genetik, Molekular-biologie) möglich, bei der Taufliege (Drosophilamelanogaster), die wesentliche Schritte währendder frühen Embryonalentwicklung aufzuklären.

Bereits in der klassischen Drosophila-Genetikwurden bestimmte Mutationen beschrieben, die,wie wir heute wissen, auf homöotische Gene(homoios [griechisch] = ähnlich) zurückzuführensind. Bei diesen homöotischen Mutationen wurdenbestimmte Körperteile in einen anderenumgewandelt. So hat die dominante homöotischeMutation in dem Genbereich Antennapedia (Antp)zur Folge, daß sich anstelle von Antennen Beine inder Kopfregion der Taufliege entwickeln. Mittelsgentechnischer Sequenzierungsmethoden stellteman fest, daß dieses Gen und auch anderehomöotische Gene einen konserviertenGenabschnitt (180 bp) besitzen, der für eine 60Aminosäuren lange Sequenz kodiert, d.h. für dieHomöo-Domäne. Dieser als Homöoboxbezeichnete Genabschnitt wurde mittelsentsprechender Gensonden auch bei Säugerngefunden. Weiterhin hat man durch Screeningmittels einer die Homeobox enthaltende Gensondeeine ganze Reihe von anderen Genen mitHomeobox-Bereichen finden können. Wichtig: Alshomöotische Gene im engeren Sinne werden nichtsämtliche Gene bezeichnet, die eine Homeoboxenthalten, sondern nur solche, die für die endgültigeDetermination eines jeden Segments des Embryosverantwortlich sind. Dazu gehören dieGenkomplexe Antennepedia (Ant-C) und Bithorax(BX-C) [Abb.117]. Damit konnte eindrucksvollgezeigt werden, daß bestimmte Gene, die vonzentraler Bedeutung für die Entwicklung einesIndividuums sind, während der Evolution nurunwesentlich verändert wurden. Ein weitererwesentlicher Punkt ist, daß viele entwicklungs-biologische Abläufe auch auf molekularer Ebenesowohl bei niederen als auch bei höherenOrganismen einschließlich Mensch erstaunlichähnlich ablaufen. Diese Aussage war für dieWissenschaft auch aus technisch- methodischer

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Phänotypen von Entwicklungsmutanten, die auf fehlende Expressionvon Genen auf unterschiedlicher zeitlicher (entwicklungs-stadienspezifisch) und hierarchischer Ebene zurückzuführen sind

Abb. 117 Karte des Bithorax komplexes

Abb. 116

Sicht von weitreichender Bedeutung. Man hatnämlich Gene, die bei Drosophila bereitscharakterisiert werden konnten, als Gensondenverwendet, um sehr verwandte Gene (z.B. forkhead,goosecoid etc.) auch bei Xenopus (SüdafrikanischerKrallenfrosch) und Säugern nachweisen zu können.Es sollte jedoch betont werden, daß die verwandtenGene mit weitgehend ähnlicher Basensequenz nichtdie gleichen Funktionen bei den verschiedenenSpezies erfüllen. Das ist auch nicht zu erwarten, daes sich bei Drosophila um einen Evertebraten(Protostomia), bei Xenopus und Säugern aber umVertebraten (Deuterostomia) handelt. (Man denkez.B. an die Unterschiede bei der Bildung desZentralnerven- und Kreislaufsystems).

Embryonale Gene bei Drosophila

Man konnte aufgrund der bereits vorliegendenBeobachtungen der Endstadien von Mutanten, diemeist lethal sind, eine molekularbiologischeAnalyse der für die charakteristischen Merkmaleder Mutanten verantwortlichen Gene durchführen.Es handelt sich um Gene, die in unterschiedlichenEntwicklungsstadien von Drosophila ihre Wirkungentfalten. Man kann 3 verschiedene Klassenunterscheiden (Abb.120, 121):

1. Mütterliche Gene (maternal effect genes)2. Segmentierungsgene

a) Lückengene (gap genes)b) Paarregelgene (gap rule genes)c) Segmentpolaritätsgene (segment polarity genes)

3. Homöotische Gene im engeren Sinne

1. Mütterliche Gene

Mütterliche RNA wird im Ei prelokalisiertangeordnet (also anterior bzw. posterior). IhreProdukte (Proteine) bestimmen die anterior-

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Bithoraxkomplexes homozygot ist. Daraus resultiert dieUmwandlung von T3 in Strukturen, die denen desThoraxsegements T2 ähnlich sind. Das transformierteSegment besitzt statt Halteren nun ein weiteres gutausgebildetes Flügelpaar. Die molekularbiologischen Hinter-gründe wurden von dem Entwicklungsbiologen E.B.Lewis,Nobelpreis 1995, aufgeklärt (Lewis, Nature[1978] 276:565). Die molekarbiologische Aufklärung dieses Phänomensist deshalb von so großer Relevanz, weil damit sehr schöngezeigt werden kann, wie genetisch- entwicklungsbiologischeMechanismen unmittelbar mit der Evolution in Verbindunggebracht werden können. Die Entwicklung bestimmterStrukturen ist nicht grundsätzlich auf eine völligeNeuentwicklung zurückzuführen, sondern beruht oft nur aufeiner Aktivierung, Deaktivierung, Verdoppelung oderReduzierung bestimmter Genbereiche. Besonders starkeAuswirkungen auf die Embryonalstrukturen (und diedaraus hervorgehenden adulten Segement- undOrganbereiche) haben Gene (übergeordnete Gene oderMastergene), die am Anfang der Gen- Hierarchie stehen(mütterliche Gene, homöotische Gene). Ein weiteresbesonders interessantes Gen ist das Drosophila-Gen eyeless(ey), das für einen Transkriptionsfaktor kodiert. Es ist homogzu dem Maus-Gen Small Eye (Pax-6) und dem menschlichenGen Aniridia. Da also Homologe dieses Gens (ey) beiVertebraten, Ascidien, Insekten, Cephalopoden undNematoden nachgewiesen wurde, nimmt man an, daß es sichum ein Master Kontrollgen im ganzen Metozoen-Reichhandelt. Für die Augenentwicklung bei Drosophila sindwahrscheinlich weitere 2000 dem ey-Gen nachgeschalteteGene erforderlich. Die Ergebnisse der Gruppe Gehringdeuten darauf hin, daß das Auge (Grubenauge, Linsenaugeoder Komplexauge) nicht jedesmal während der Evolutionvöllig neu entwickelt wurde (frühere Vorstellungen), sondernausgehend von einem Mastergen am Anfang der Hierarchielediglich die sich anschließenden Gene (weitereTranskriptionsfaktoren und Strukturgene) bei den einzelnenTierarten variiert wurden. Auch an diesem Beispiel kannsehr pregnant die Beziehung zwischen Molekulargenetik,Entwicklungsbiologie und Evolution demonstriert werden(G.Halder, P.Callerts, W. Gehring (1995) Induction ofectotopic eyes by targeted expression of the eyelessgene inDrosophila. Science 267, 1788-1792; G.Halder, P.Callerts,W. Gehring (1995) New perspectives on eye evolution.Current Opinion in Genetics and & Development 5, 602-609) [siehe auch S. 4 , 5].

Abb.118 Auswirkungen von genetischen Ver-änderungen im Bereich des Bithorax-Komplexes

A. Normale Drosophila-Fliege(Diptera) mit einemFlügelpaar am Thoraxsegement 2 (T2). Am Thoraxsegement3 befinden sich die Halteren (Schwingkölbchen; rudimentäreFlügel).B. Mutante mit 2 Flügelpaaren. Dieser Mutanten-phänotyp(bithorax) läßt sich dadurch experimentell erzeugen, indemman frühe Embryonalstadien einem Temperaturschock(35 °C) aussetzt oder einer Ätherbehandlung unterzieht(Gloor, 1947).C. Mutante, die für drei mutierte Allele (bx, abx und pbx) des

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 119 Die verwandten Gene (Hox2 bei derMaus und der Antennapedia- und Bithorax-Komplex bei Drosphila) sind in gleichenSchraffierungen dargestellt. Beachtenswert ist, daßähnliche Gene in gleicher Reihenfolge(anterior-posterior) sowohl bei Drosphila als auch bei derMaus exprimiert werden. Im embryonalenNervensystem (in Entwicklung begriffen) der Mauswerden die Hox-Gene wohl posterior überlappendexprimiert, zeigen aber anterior scharf begrenzteExpressionsgrenzen. Die Expression der Genenimmt von anterior nach posterior kontinuierlichab. Besonders bemerkenswert ist die erstaunlicheKonstanz dieser Gene während der Evolution vonEvertebraten bis hin zu den höheren Vertebraten.

posteriore Achse des Embryos. Im Falle von bicoidhandelt es sich um ein Gen, das für einenTranskriptionsfaktor mit einer Homeo-Domänekodiert.

Hinweis: Neben Bicoid wurden eine Reihe andererGene der obigen Klassen als Transkriptionsfaktorenidentifiziert (s. Tabelle 2 und separaten Abschnittüber Transkriptionsfaktoren)

2. Segmentierungsgene

a) Lückengene (gap genes)

Lückengene sind dafür verantwortlich, daß alleerforderlichen Segmente des Embryos gebildetwerden. Bei Mutanten fehlen mehrere Segmente,z.B. bei Knirps die meisten Abdominalsegmente

b) Paarregelgene (pair rule genes)Defekte Paarregelgene haben den Verlust vonSegmenten in regelmäßigen Abständen zurFolge. So fehlt bei der Mutante fushi tarazujedes zweite Segment.

c) Segmentpolaritätsgene (segment polarity genes)

Bei Mutationen sind die einzelnen Segmentebetroffen. Es wird nur ein Teil des Segmentsgebildet und durch das Spiegelbild des restlichenSegment ersetzt (z.B. engrailed).

3. Homöotische Gene (s.Abb.120 und Tabelle 2, Seite 140)

Homöotische Gene sind für die endgültigeDetermination eines jeden Segmentsverantwortlich. Man könnte sie auch alsSegmentidentifikationsgene (Segment identitygenes) bezeichnen. Zu ihnen gehören derAntennapedia (Ant C)- und der Bithorax (BX-C)-Komplex.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Abb. 120 Zeitliche und räumliche Lokalisationund Wirkung verschiedener Gene und ihrerProdukte im Drosophila-Embryo.Abbildung modifiziert nach Hoch und Jäckle(1995). Biospektrum 5, 22-33.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

anterior -Bereich

bicoid (bcd)*exuperantia (exu)swallow (sww)

posterior -Bereich

caudal (cad)*nanos (nos)pumilio (pum)oskar (osk)vasa (vas)staufen (stau)valois (val)tudor (tud)

terminale Gruppe

torso (tor)torsolike (tsl)trunk (trk)fs(I) polehole (fs(I) ph)fs(I) Nasrat (fs(I) N)

dorsal (dl)Toll (Tl)snake (snk)cactus (cac)spätzle (spz)pelle (pll)easter (ea)tube (tub)pipe (pip)nudel (ndl)windbeutel (wbl)

dorso-ventral-Bereich

zygotische Gene

gap genes(Lückengene)

hunchback (hb) •Krüppel (Kr) •knirps (kn) •giant (gt)tailless (tll)

even skipped (eve) *hairy (h)runt (run)fushi tarazu (ftz) *odd-paired (opa)odd-skipped (odd)sloppy-paired (slp)

pairrule genes(Paarregelgene)

segment polarity genes(Segmentpolaritätsgene)

engrailed (en)*wingless (wg)patched (ptc)gooseberry (gsb)paired (prd)armadillo (arm)cubitus-interuptus (ci D)fused (fu)naked (nkd)hedgehog (hh)dishevelled (l(l)dsh)

homoeotic genes(Homöotische Gene)

proboscipedia (pb)Deformed (Dfd)Sex combs reduced (Scr)Antennapedia (Antp)Ultrabithorax (Ubx)Abdominal-A (abd-A)Abdominal-B (abd-B)

snail (sna)twist (twi)zerknüllt (zen)decapentaplegic (dpp)

mütterliche Gene (maternal ef fect genes)

• Gene, die für Zinkfinger - Proteine (T ranskriptions- faktoren codieren

* Homeobox- enthaltende Gene

*

Abb. 121 Übersicht über die in Drosophilaidentifizierten Gene

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Tabelle 2 Beispiele für DNA-bindende Proteine (Transkriptions-[Genregulations] Faktoren)

Klasse / Genprodukt Organismus Bemerkung

Helix-Knick-Helix(Helix-turn-Helix)

MATα1 Hefe Aktiviert α-spezifische GeneMATα2 Hefe Inaktiviert α-spezifische GeneMATa1 Hefe Bindet an α2, um haploid-spzefische Gene zu

reprimieren

Antennapedia* Drosophila Homöotisches GenUltrabithorax* Drosophila Homöotisches GenEngrailed* Drosophila Segment-PolaritätsgenPaired* Drosophila Paar-Regel-GenFushi tarazu* Drosophila Paar-Regel-GenHOX* Maus Potentielle Entwicklungsregulatoren; mehr als

zehn verschiedene ProteineUnc86+ Nematode Legt den Zellstammbaum bei der Entwicklungvon Nematoden festOct 1+ Mensch Weit verbreiteter RegulatorOct2+ Mensch Lymphzell-spezifischer AktivatorPit+ Maus Hypophysen-spezifischer Aktivator

Transkriptionsfaktoren

Eine Reihe der oben genannten Gene kodieren fürTranskriptionsfaktoren. Aufgrund ihrer speziellenStruktur sind diese Proteine in der Lage, spezifischeBindungen mit der DNA einzugehen (anbestimmten Positionen der DNA). Sie könnendamit die Transkription der m-RNA verhindernoder ermöglichen.

Man kann Transkriptionsfaktoren aufgrund ihrerunterschiedlichen Struktur unterscheiden (s. auchTabelle 2):

und zwar Transkriptionsfaktoren mit

1) Helix-Turn-Helix-Homöodomäne2) Zinkfinger-Domänen3) Leucin-Zipper (Leucin-“Reißverschluß“)4) Helix-Loop-Helix-Struktur5) POU-Domäne (zusammen mit Homöobox)

Es gibt noch weitere Transkriptionsfaktoren, dieebenfalls spezifisch an die DNA binden, die sichaber nicht in diese Klassen einordnen lassen.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Fortsetzung der Tabelle 2

Zinkfinger

GAL4 Hefe Galactose-abhängiger AktivatorHAP1 Hefe Induzierbarer Aktivator von Cytochrom cSWI5 Hefe Aktiviert die Transkription des HO-Gens in

MutterzellenKrüppel Drosophila Gap-GeneHunchback Drosophila Gap-Gene

Steroidrezeptoren Vertebraten Positiv und negativ wirkend; in vielen, abernicht allen Zellen vorkommend

SP1 Vertebraten Weit verbreiteter Aktivator

Homo- und Heterodimere mit amphiphiler Helix

Leucin-ZipperGCN4 Hefe Aktiviert Gene, die für Enzyme der

Aminosäurenbiosynthese codierenC/EBP Säugetiere Aktiviert Gene in Leber und anderen Geweben;

nicht in allen Zellen vorkommendc-Fos/c-Jun Säugetiere Wachstumsregulation (+ ? und -)JunB Maus Wachstumsregulation, weit verbreitet

Helix-Schleife-Helix(Helix-turn-Helix)

Daugtherless Drosophila An der Entwicklung des Nervensystemsbeteiligt

Achaete-scute (T3) Drosophila An der Entwicklung des Nervensystemsbeteiligt

MyoD Amphibien MuskeldifferenzierungSäugetiere

E 12 und E 47 Säugetiere Immunglobulin-Gen-Aktivierung

* Protein enthält die Homöoboxsequenz+ Protein enthält eine Homöobox und eine als POU bezeichnete zweite Domäne, die hoch

konserviert ist.

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

InhaltsverzeichnisVorwort ..........................................................................................................2

Einleitung - Entwicklungsbiologie und Entwicklungsgenetik -moderne interdisziplinäre Wissenschaft .........................................................4

Molekulare Entwicklungsbiologie - zentrale Wissenschaftin Forschung und Gesellschaft .....................................................................12

Literatur ..................................................................................................... 13

Wichtige Daten zur Entwicklungsbiologie ............................................... 14

Bedeutung der Entwicklungsbiologie und Entwicklungsgenetik ......... 18

Von der Descriptiven zur Molekularen Entwicklungsbiologie ............... 18

Modellsysteme - Bedeutung des Zellkerns (DNA) für die Steuerung derEntwicklung ..................................................................................................23

Bildung der Keimzellen (Urgeschlechtszellen) .......................................27

Spermatogenese und Spermiohistogenese ............................................31

Balz und Besamung bei Schwanz- und Froschlurchen .........................33

Befruchtung (Beispiele: Seeigel und Amphibien) ...................................36

Eitypen und Brutpflege ..............................................................................38

Furchungstypen (Spiral- und Radiärfurchung) .......................................41

Furchung.....................................................................................................45

Furchungstyp in Korrelation zur Dottermenge und Dotterverteilung ...48

Gastrulation ................................................................................................51

Neurulation .................................................................................................55

Klassische entwicklungsbiologische Experimente ................................56

Embryonale Induktion - von Spemann bis zur Molekulargenetik -Induktionsfaktoren, Rezeptoren, Gradienten, Neural Default Model .... 67

Bedeutung und Wirkungsweise frühembryonaler Induktionsfaktoren -Urbilateralia - Hypothese, selektive Genexpression............................... 77

Organ Engineering (Organ- und Gewebezüchtung) ............................... 84

Augenentwicklung- Transplantationsexperimente .................................86

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Transdetermination....................................................................................88

Transdifferenzierung (Metaplasia)............................................................89

Kerntransplantation ...................................................................................91

Seeigelentwicklung und klassische Experimente ..................................93

Insektenentwicklung ..................................................................................96

Insektenentwicklung- Evolutionsaspekte ..............................................101

Insekten - postembryonale Entwicklung ...............................................102

Vogelembryogenese ................................................................................105

Amphibien - Vögel - Vergleich des embryonalen Blutgefäßsystems ......109

Säugerentwicklung ..................................................................................112

Menstruation, Hormone, Metamorphose ...............................................117

Molekularbiologische Techniken (nicht rekombinant) .........................119

Gentechnologie (rekombinante DNA-Technologie) ..............................121

cDNA-Library (Bibliothek) .......................................................................129

Genomische Bibliothek (Genomic Library) ...........................................131

DNA-Sequenzierung ................................................................................132

Whole mount in situ Hybridisierung ........................................................133

Polymerase-Kettenreaktion (PCR)..........................................................134

Molekulare Entwicklungsbiologie ..........................................................135

Embryonale Gene bei Drosophila...........................................................136

Homeobox und Homöotische Gene (Transkriptionsfaktoren) .............140

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Aktuelle Themen der Biotechnologie,

vor allem Stammzellforschung

Die Diskussion über Stammzellforschung einschließlichreproduktives und therapeutisches Klonen wurde durch dieden Report über das Klonschaf Dolly und später durch dieNachricht ausgelöst, dass das menschliche Genomweitgehend entschlüsselt sei. Daraus wurden jedoch bisheute in der Öffentlichkeit folgende voreilige Schlüssegezogen:1. Es handelt sich bei der Entschlüsselung um eine

überragende intellektuelle Leistung (besser:technische Leistung)

2. Es entstand der Eindruck, dass mit dieser Entschlüsselungder gläserne Mensch Realität geworden sei mit allenVorteilen aber besonders mit allen Nachteilen (z.B.):a) Risikoabschätzung bei Versicherungenb) therapeutisches und reproduktives Klonen, etc.

Dabei wird übersehen, das mit der Kenntnis der Basensequenznoch keine Informationen über die Funktion der einzelnenGene und Signalketten oder gar von Netzwerken zwischenden Genen und ihren Signalketten vorliegt. Die Basensequenzkönnte man mit einem Buch mit Millionenen chinesischerSchriftzeichen oder ägyptischer Hierglyphen vergleichen,dessen Bedeutung ("Funktion") für den Unkundigen völligunverständlich ist. Bekanntlich konnte erst der FranzoseChampollion aufgrund seines Sprachtalents, Genialität,zielgerichten Fleiß und eine Portion Glück den rätselhaftenCode der Hieroglyphen entschlüsseln.In der Öffentlichkeit weiterhin unbekannt ist die Tatsache,dass in Tier- (Forschungs)- Modellen (Caenorhabditis,Drosophila, Zebrafisch, Xenopus, Maus) bereits vieleFunktionen von Genen und natürlich auch ihre Strukturbekannt sind. Die Wirkung von Genen (also ihre Funktion)lässt sich bei Tieren im Gegensatz zum Menschen durchGewinn- oder Verlust-Experimenten (gain- and loss of function)testen, d.h. Über- und Nicht-Funktion von Genen. Es ist klar,dass es ethisch nicht vertretbar wäre, im menschlichenEmbryo ein Gen auszuschalten (z.B. knock-out-Versuche),um zu sehen, welche Funktionsstörungen ( Missbildungen)auftreten. Damit wird deutlich, dass aus ethischen Gründen(selbst bei einer extrem liberalen Gesetzgebung) solcheVersuche zur funktionellen Analyse von Genen grundsätzlichausgeschlossen sind.

Aktuelle Themen der Biotechnologie, die in derÖffentlichkeit kontrovers diskutiert werden:

1. Präimplantationsdiagnostik (PID )2. Extrakorporale Befruchtung3. Embryonale kontra adulte Stammzellforschung5. reproduktives Klonen6. therapeutisches Klonen7. Klonen genetisch veränderte Tiere (Gene für Interleukin

etc. oder immunneutrale Tiere für die Transplantationsbiologie)4. perinatale Diagnostik a) Fruchtwasser-Untersuchung (Amniocentese) b) Chorionzotten-Biopsie

Embryonenschutzgesetz

Verbot jeglicher experimenteller Manipulationen anbefruchteten menschlichen Eizellen (in GroßbritannienExperimente an menschlichen Embryonen bis zum 14. Tagnach der Befruchtung der Oozyte erlaubt-die Embryo befindetsich dann im Stadium der beginnenden Gastrulation).

Abb.13 Monate alter Fetus (Längeca.75 mm)Bis zu diesem Entwicklungs-stadium ist eine Abtreibungstraffrei (Deutschland).

Abb. 214 Tage alter Embryo. (Mensch). Bis zu diesemStadium ist in Großbritannien Forschung erlaubt(Verbot in Deutschland).

Stammzellforschung - Biotechnologie - Organersatz

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

Definition, ab wann embryonal von menschlichem Lebengesprochen werden kann

Der Beginn des menschlichen Lebens wird gemäß derAuffassung der christlichen Kirchen definiert als dieVerschmelzung des männlichen mit dem weiblichen Vorkern.(sogenannte Befruchtung). Damit wäre auch diePräimplantationsdiagnostik verboten, die aber während derersten Furchungsteilungen durchgeführt wird . Diese Definition(Verschmelzung von männlichem und weiblichemErbmaterials) trifft jedoch nicht zu bei therapeutischen undreproduktivem Klonen. In diesem Falle kommt es zu einemTransfer eines Kerns (diploid =2n) aus einer adultenKörperzelle (somatische Zelle) in eine Zygote, deren eigener(mütterlicher) Kern entfernt wurde. In diesem Falle greift dasEmbryonenschutzgesetz der deutschen Gesetzgebung, dassjegliche experimentelle Forschung an menschlichenKeimzellen verboten ist. Dazu gehören auch dastherapeutische und reproduktive Klonen, obwohl es sich indiesem Falle nicht um die Lebensentstehung durchVerschmelzung von Samen- und Eizelle handelt. Verstößewerden strafrechtlich verfolgt. Problematisch ist dieseGesetzeslage im Hinblick auf die Tatsache, dass eineAbtreibung eines Feten bis zur 12. Schwangerschaftwochestraffrei bleibt (Abb. 1), während Experimente zum Beispielan einem 8-Zell- Stadium bis zu 12.Tage alten Embryonenverboten sind (Abb. 2).

Befürworter dieser Gesetzeslage begründen ihren Standpunktdamit, dass es sich im Falle der Abtreibung um eineNotsituation der Frau, bei Experimenten am frühen Embryoaber um für die Gesellschaft verzichtbare Forschung vonWissenschaftlern handelt. Häufig wird den WissenschaftlernEigeninteresse verbunden mit finanziellen Vorteilen undStreben nach persönlicher Reputation unterstellt. Dies kanndurchaus in einigen Fällen zutreffen. Daher ist eineSelbstkontrolle durch die wissenschaftliche Communityerforderlich.

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Den durch extrakorporale Befruchtung gewonnenenEmbryonen (8 -16-Blastomerenstadien) werden eineBlastomere entnommen und mittels molekulargenetischerMethoden auf mögliche Gendefekte untersucht.Im Falle negativer Befunde erfolgt die Implantation derBlastocyste in die Uterusschleimhaut .

Der Vorteil gegenüber der Amniocentese oder Chorionzotten-Biopsie besteht darin, dass Embryonen mit genetischenDefekten vor der Implantation selektioniert werden können.Damit entfällt das in erster Linie bei der Frau mit psychischenBelastungen einhergehende Abtreibungsverfahren. Es istjedoch zu erwähnen, dass PID mit einem erheblichen Aufwandverbunden ist und nicht als Routineverfahren (also auch beiNicht-Risikopersonen) sinnvoll ist.

Embryonale Stammzellen

Bei embryonalen Stammenzellen handelt es sich beiSäugerembryonen einschließlich Mensch um pluripotenteZellen. Frühe Embryonalstadien, z.B. alle Blastomeren eines2-8 -Zellstadiums sind noch totipotent, sie können also einenvollständigen Embryo realisieren. Nach jetzigemWissensstand handelt es sich aber bei der inneren Zellmasse(inner cell mass) von Blastocysten um pluripotente Zellen.Sie sind noch in der Lage, unter bestimmten Bedingung sichin eine Vielzahl von Zellen zu differenzieren. Ein vollständigerEmbryo wird sich aber nicht bilden, da für diese Prozessekomplizierte Wechselwirkungen zwischen Zellen undKeimbättern (3-dimensionale Gestaltungsbewegungen)erforderlich sind. Bekanntlich geht aus den Zellen der innerenZellmasse des Blastocystenstadiums der eigentliche Embryo,aber aus den übrigen Zellen (Trophoblast) embryonaleHilfssysteme (extraembryonal) wie die Placenta hervor.

Das Blastocysten-Stadium ist das Embryonalstadium (14Tage), das sich aus der befruchteten Eizelle in dieGebährmutter (Uterus) einnistet (Nidation). DasBlastocystenstadium ist das Ergebnis mehrfacher Teilungender befruchteten Eizelle während ihrer Wanderung im Eileiter.Plkuripotente embryonale Stammenzellen sind noch in derLage, sich in eine Vielzahl verscheidener Zelltypen desEmbryos zu entwickeln. Diese Programmierung in einebestimmte Differenzierungsrichtung kann durch spezielleexperimentelle Methoden (Behandlung mitInduktionsfaktoren-Wachstumsfaktoren) erfolgen. Bislangsteht hier die Forschung bei Säugern noch am Anfang. Manspricht in diesem Zusammenhang von der Möglichkeit destherapeutischen Klonens: ein somatischer Kern einesPatienten (z.B. Leberkranker) wird in eine entkernte Oozytetransferiert und bis zum Blastocystenstadium kultiviert.Experimentell könnten Herz- oder Leberzellen programmiertwerden, die dann defekte Leber- oder Herzzellen des Herz-oder Leberkranken ersetzen könnten. Der enormer Vorteilgegenüber traditionellen Herz- oder Lebertransplantationen(Herz oder Leber eines genetisch unterschiedlichen Spenders)bestände darin, das keine Immun (Abstoßungs)- Reaktionengegenüber dem Transplantat erfolgen würde.

"Adulte" (Somatische) Stammzellen

Stammzellen des blutbildenden (hämopoetisches) Systemskönnen in verschiedene Blutzellentypen transformiert werden.Weiterhin wird versucht, aus Nabelschnurzellen verschiedeneGewebe zu programmieren. Der Vorteil dieserForschungsprogramme wird besonders in Deutschland daringesehen, dass auf Embryonale Stammzellenforschungverzichtet werden könnte.

Argumente für und gegen "adulte" beziehungsweiseembryonale Stammzellen

1. Bislang konnte nicht gezeigt werden, dass adulteStammzellen "extrem" pluripotent sind, d.h. aus bestimmtenZellen können, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt

Stammzellforschung - Biotechnologie - Organersatz

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andere Zellentypen gezüchtet werden.2. Wenn es gelingen würde , aus z.B. Nabelschnur-Zellenz.B. Leber-oder Gehirnzellen zu züchten, wäre dies tatsächlichaus ethische Sicht ein klarer Vorteil gegenüber EmbryonalenStammzellen. Allerdings müssten sie vom gleichen Patienten(Empfänger) stammen, d.h. bereits bei der Geburt müssten"seine" Zellen in einer "Nabelschnurzellbank" deponiertworden sein. Daher sind Forschungsaktivitäten daraufgerichtet, das iZukunft das Immununverträglichkeitsproblembei nicht-autologem Zelltransfer ausschaltet werden kann.

Spezielle Hinweise des Autors (H. Grunz)

Adulte Stammzellenforschung ist aus verschiedenen Gründenweniger aussichtsreich als Embryonale Stammzellforschung:

1. Zellen sind nicht nur begrenzt pluripotent. Es müssen erstTechniken entwickelt werden, um eine umfassendePluripotenz (Differenzierungsleistung) zu erreichen (Dies istvorläufig nicht realisierbar).2. Nabelschnurzellen weisen nicht die gleiche genetischeAusstattung auf, wie der zukünftige Empfänger(Immunproblematik).3. Risiko der Krebsentstehung: zur Umwandlung adulterStammzellen in pluripotente Zellen ist eine Zellenvermehrung(Zellpropagation ) erforderlich. Normale embryonale und diemeisten adulten Zellen weisen eine kontrollierteTeilungstätigkeit auf, d.h. die Teilung wird in einem bestimmtenStadium bzw. bestimmten Zeitpunkt beendet. Das ist beiKrebszellen nicht der Fall (Gefahr der Metastasenbildung).Bei experimentell zu Teilungen veranlasste adultenStammzellen besteht das Risiko der krebsartigen(unkontrollierten) Zellvermehrung.

Unserer Labor konnte bereits vor 20 Jahren zusammenmit russischen Wissenschaftlern zeigen, dass Irisepithel-oder Linsenzellen des Auges beim Molch nicht in einenanderen Zelltyp (Ausnahme Retinazellen) transformiertwerden können (siehe Skript - Metaplasie =Trans-differenzierung). Von Interesse ist, dass pigmentierteIrisepithelzellen in transparente Linsenzellentransformiert werden können, aber eben nicht in völligandere vom Auge unbabhängige Zelltypen wie Darm-oder Nierenzellen.

Zum Argument - es sollten erst Machbarkeitstudien anTiermodellen durchgeführt werden, ehe man dieProgrammierung menschlicher embryonaler Stamm-zellen versucht:

Es ist richtig, dass bisher nur wenige Ergebnisse zurexperimentellen Transformation von Säugetier-Stammzellenvorliegen. Es ist technisch äußerst schwierig, solcheExperimente an Säugetierenzellen (z.B. Maus, Ratte,Kaninchen, Rhesusaffe etc.) durchzuführen - schon alleineaufgrund der wenigen zur Verfügung stehenden Embryonen.

Zum Argument: Ergebnisse am Tier sind nicht auf denMenschen übertragbar

Spätestens seit den Nobelpreisen (1995 und 2000) fürexperimentelle Medizin und Physiologie anEntwicklungbiologen (Modellsysteme: Drosophila- undCaenorhabditis) ist auch einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden, dass die genetische Verwandtschaft zwischenniederen und höheren Organismen bedeutend enger ist alszuvor angenommen (siehe Skript: Homeobox-Gene,homeotische Gene, Masterkontrollgene, Transkriptions-faktoren etc.). Es konnte gezeigt werden, dass großeÜbereinstimmungen in den Grundprinzipien derZelldifferenzierung und Musterbildung vorhanden sind.Es gibt bereits eine Reihe von Ergebnissen bei Drosophila,Xenopus, Zebrafisch, Maus und Mensch, die diese Annahmebeweisen. Somit ist das Argument überzeugend, man solleweiterhin alle Forschungsmöglichkeiten an Tiermodellenausschöpfen. Die bereits vorliegenden umfassendenexperimentellen Daten (vor allem auch molekualargenetischeErgebnisse) sind eine wesentliche Vorrausetzung für eineerfolgreiche Forschung an menschlichen embryonalen undsommatischen (adulten) Stammzellen.Stammzellenforschung an Amphibien mit Induktions-faktoren bereits seit über 20 Jahren- ein exzellentes Modellsystem -

Ektodermzellen mittlerer Blastulae von Molch-oderFroschembryonen sind pluripotent . Sie können experimentellmit Induktionsfaktoren (Wachstumsfaktoren) in Derivate allerdrei Keinemblätter programmiert werden, d.h. in neurale(z.B. Gehirn), mesodermale (z.B. Muskel ) und entodermale(z.B. Darm) Derivate (Details siehe Skript). Durch Activin(Wachstumsfaktor der TGFß- Superprotein -Familie; TGFß= transforming growth factor) können Ektoderm-Zellen in allemögliche Zelltypen transformiert werden (z.B. auch in Herz-und Nierenzellen, Grunz, 1983). Unser Labor war weltweitdas erste, das Herzstrukturen unter Zellkulturbedingungenkultivieren konnte, die nach Transplantation in einenEmpfänger voll funktionsfähig waren (die Froschlarve warlebensfähig und schwamm aktiv in der Zuchtschale umher).Weiter waren wir und andere in der Lage, neue Gene und ihreFunktion zu charakterisieren, die bei der Bildung deswerdenden Organismus beteiligt sind. Eine Reihe dieserGene mit weitgehender strukturellen Homologie (oft über80%) haben auch beim Menschen eine ähnliche Funktion(analytisch nachweisbar aufgrund bestimmterKrankheitsbilder).

Daher ist es sinnvoll, Stammzellforschung undGenfunktionsstudien gerade an dem sehr gut untersuchtenAmphibien-Modellsystem oder auch an anderen tierischenOrganismen mit großem finanziellen und intellektuellenEinsatz fortzusetzen.

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IndexAAcetabularia 23Acipenser, Stör 43activation-Transformation 66Acrosom 36adäqual 48Aktivierung-Transformierung 67Aktivin, Activin 67, 78, 79, 81, 82, 83alecithal 48Allantois 108, 110, 111Ambystoma mexicanum 117Amnion 105, 108Amnion, Spalten 112Amnionfalte 107, 112Amniota 108, 112Ampicillin 123Analogie 4Anamnier 108animal cap assay 60Animalkulisten 19Aniridia 137anisolecithal 49Anlagenplan 51, 54Anstichexperiment (Roux) 20Antennapedia 135anterior 69anteriore Gene 101Antiorganisator 72Aorta ventralis 109Aortenwurzel 109Area opaca 106Area pellucida 106Area vitellina 106Arteria allantoidea 110, 111Arteria omphalo-mesenteria 111Arteria umbilicalis 110, 111Arteria vitellina 109, 110Ascaris (Chromatin-Diminution) 20Axolotl 117

Bß-catenin 71, 74Baer Carl Ernst von 19, 38Bakteriophage 124, 125Bauchstück (Schnürung) 22Befruchtungsmembran 36, 38Besamung 36Beuteltiere 39Beutelmarder 39bicoid 69, 101, 104, 139Biogenetisches Grundgesetz 19Biologischer Test 59Bithorax 101, 135, 136, 137

Blastocyste 113, 114Blastula 45Blastocoel 45Blastoderm 97Blutgefäßsystem 109BMP- 2/4 (Bone-morphogenetic- Protein) 6, 68,72, 73,75BMP-7 75Brachyury 83Brutpflege 38

Ccactus 101catenin, ß-catenin 71caudal 69, 101, 104cDNA 121cDNA-Library (Bibliothek) 125centrolecithal 49, 96Cephalopode 86cerberus 70cer-L 75, 77cer-S 75, 77Chalazen 106Chorda dorsalis 55, 107, 115Chordafortsatz 115Chordamesoderm 68Chordin 70Chorion 39. 108Chorioallantois 38Chromatin-Diminution 20Cölom 56, 94 extraembryonal 108Corpus luteum 115, 116Corpus luteum graviditatis 116Cortex 37, 38Cortikalreaktion 37Cortical Rotation 37, 70,71cranial 69Cristalline 89, 90Curvier ( franz.Anatom) 76Cyclopie 87Cytotrophoblast 115Cziak 95

DDarwin Charles 4decapentaplegic (dpp) 75, 78, 101Defektversuche 95De Hillaire, Geoffry 76Delamination 106Deskriptive Embryologie 18Determination 40, 93, 99Determinationsfaktoren 40, 76, 78

Diminution 20Deuterostomia 4, 76, 94Dictyostelium discoideum 26Diencephalon 5Differenzierung 40, 93Dipnoer 43Disaggregationsversuche 60, 71, 80discoidal 48, 106dishevelled 74DNA-Polymerase 46DNA-Sequenzierung Maxam und Gilbert Sanger 132Dolly, Schaf 4, 22Dominant-negativer Rezeptor 72, 74doppelte Sicherung 87dorsal (Gen) 101dorsale Urmundlippe 67Dorsalseite 4Dotter 39 weisser, gelber 105Dottermenge 39Dotterbeschaffenheit 39Dottermembran 36Dottersack 108Dottersackgang 108Dottersackkreislauf 110Dottersyncytium 44Dotterverteilung 49Double-gradient-hypothesis 66dpp (decapentaplegic) 75, 78Dreistrahler 94Ductus allantoideus 112Ductus omphaloentericus 108Ductus vitellinus 108

EEcdyson 118Ecdysteron 117EDF (Erythroid-growth- factor) 68, 79Eihüllen 39Einsteckexperiment 60Ektoderm 51, 52Elasmobranchier (Haie,Rochen) 44Embryoblast 114Endodermin 84Endometrium 114Entoderm 52, 55Endothelrohr 109Endothelschlauch 109, 110Entwicklungsgeschichte 18Entwicklungsphysiologie 18

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Euteria 39Evolution 4, 101, 137Exogastrulation 58, 59Explantationsexperimente 58extraembryonales Ektoderm 112Evolution 18, 101, 138

FFaltenamnion 112FGF (fibroblast-growth- factor) 68, 70, 78, 81Flagellum 36Flösselhecht 43FSH 116Furchung 45Furchungsstadien 45Furchungstyp 41, 44

GG1-Phase 45Gap-Gene 100Gallerthülle 39Gastrotheca 35Gastrula 51Gastrulation 51, 52, 53Geburtshelferkröte 35Gelbkörper 116Genomische Bibliothek 130Geoffry De Hillaire 76, 78Genitalleisten 27Gnoiden 43goosecoid (gsc) 71, 74Gradienten 75, 77Graafscher Follikel 115Grauer Halbmond 56GSK-3 74Gurdon 2

HHaeckel Ernst 4Halbmond, grauer 56, 71Halteren 102, 137Hemimetabole Insekten 102Hensenscher Knoten 107herkunftsgemäß 60, 86Herz 84, 85heteroplastische Transplantation 61Heuser Membran 115Histogenese 51Histologie 93Hörstadius 95

Holoblastier 43holoblastisch 48holometabole Insekten 51, 102Homeobox 4Homologie 4Homeöotische Gene 100, 101, 135,136, 138, 140Hormone 118Hornschalen 39Hummer 76, 78Hybridisierung 119

IImplantationsmethode 60Imago 88, 102, 103Imaginalscheiben 88, 89, 103inäqual 48Induktion 67Induktion, neurale 68Induktion, Kopf,Schwanz 64Induktion, regional 64Induktionsfaktoren 51Innere Zellmasse 113in situ Hybridisierung 133instruktiv 70IPTG 125Irisepithelzellen 89isolecithal 49

JJuvenilhormon 118Rywhi0Ting0Jorrno se 0, 0Juntel 0

KKalkschale (Testa) 39, 105, 106Keimscheibe 107Keimzellen 24, 27Keratin 75Kerntransplantation 23, 91, 92Kinasen (Threonin-/Serin-) 74Klonierung, Embryonale 4KompetenzKomplexauge 4Konvergenz 5Kopfcölom 109Kopffortsatz 107Kopfinduktion 64Kurzkeim 99

LLangkeim 99Latebra 105LEF-1 74Leibeshöhle, sekundäre(Cölom) 56Lepidosiren 43Leucin-Zipper 139LH 116Ligand 73Linse, freie 86Linsenauge 4Linsenregeneration, Wolffsche 89Linsenzellen 89Lueckengene 100, 101, 136, 140Lungenatmer 43Luteinisierendes Hormon 116

MMakromeren 93Mammalia 38Mangold, Hilde 65Mastergene 137Maternale Genematernal effect gene 69, 96, 100,140Maxam und Gilbert 132MBT 40Medullarrohr, Neuralrohr 55Medullarplatte 107Meiose 28Melaningranulae 38Membrana vitellina 39Meroblastier 44meroblastisch 48meroistisch 96Mesenchymzellen, primäre 93, 94Mesenchymzellen, sekundäre 94Mesocardium anterior 109Mesoderm 52, 53mesolecithal 39, 48Metamorphose 51, 117, 118Metaplasia 89Midblastula Transition 40Mikromeren 93Monotremata 38, 39Morula 45Mosaikeier, Mosaiktyp 41, 44, 58Mucosa 113Mütterliche Gene 69, 96, 100, 136, 140Myoepikard 109, 110Myometrium 114

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NNabelring 108nanos 101Neotenie 117Neroceratodus 43Neural-Default-Model 72Neuroporus posterior 107Neuroektoderm 68Neurulation 51, 52, 55Neuralfalten 51, 116Neuralleisten 55Neuralplatte 116Neuralrohr 116Nobelpreisurkunde 6Nodal 75, 77Noggin 70Nymphe 102

OÖstrogen 116Oolemm 105ologolecithal 46Oogenese 69Organisator 65Oviduct 105Ovisten 19Ovidukt 38, 39OrganisatorOrgan Engineering 4,18, 85Organogenese 51ortsgemäß 60Ontogenese 18

PPaarregelgene 100, 101PCR 134pair rule genes, Paarregel-Gene 100, 101, 136, 138, 140, 141panoistisch 96parietales Blatt 107Pasteels und Schleip 40Pax 6-Gen 4,5, 86, 137Peptid-Induktoren(Hormone) 72, 118Perikard 109Perimetrium 114permissiv 70, 71Phagen 122Phyologenese 18Pigment 39Placenta allantoide 38 endothelio-endothelial 38Plasmid 121, 122Pluteuslarve 95Polarität 69, 101Polkörperchen 32polylecithal 39, 48

Polylinker 125Polzellen 100Polypterus 43posterior 69postembryonale Entwicklung 102posteriore Gene 101Präformisten 19Primitivstreifen 107,115Primitivknoten 107,115Prismenstadium 94Progesteron 116prspektive Bedeutung 58, 89, 95, 112prospektive Potenz 58, 95, 112Prothoraxdrüse 118Protopterus 43Protostomia 4, 76, 94Pseudoexogastrula 60

RRadiärfurchung 41, 49Regulationseier 41, 44, 58Rekombinante DNA 123Rescue (Herz) 85Restriktionendonuclease 122Restriktionsenzyme 122Retinsäure 70, 71Reverse Transkriptase 121Rezeptoren 73 Tyrosin-,Serin-,Threoninkinase- Aktivität 118Riesenchromosomen 117Roux, Wilhelm 20rRNA 121RT-PCR 75Runnström 95

SSaccus vitellinus 108Sanger 132Sauropsiden 44Schirmalge 23Schnürungsexperimente 21, 22Schwingkölbchen 102Segmentierungsgene 96, 100, 136, 138Segement polarity genes 96, 100, 136, 138Seitenplatten 55, 107Short gastrulation (sog) 75, 78Siamois 74Sicherung, doppelte 87Single copy-Gene 121Signalkette 73, 74

Smad 2, Smad 4 74small eye 137sog (short gastrulation) 75, 78Somatische Zellen 24Somatopleura 107Somiten 55, 67,107Sorting out 63Spaltenamnion 112Spemann, Hans 7, 65Speramtogenese 31Spermiohistogenese 31Spermatophore 32Spiralfurchung 41, 49Splanchnopleura 107Steroid-Hormone 72, 118Stör 43Subgerminalhöhle 106superfiziell 48Syncytyothrophoblast 113, 115Synopthalmie 87

TTcf-3 74terminale Gene 101Testa (Kalkschale) 39, 105, 106Testmethoden 59Teleostier, Knochenfische 44Tetracyclin 123TGFß 67, 68, 78, 81Tintenfischauge 4, 5telolecithal 49,106Thorax 97,102Tolloid 77Transdetermination 88, 89Transdifferenzierung 89Transkriptionsfaktoren 101, 138, 141Transplantation 60, 86Transplantationsexperimente 58Triturus cristatus 86Triturus vulgaris 86, 87Trophoblast 113Tumorwachstumsfaktoren 78twist 101

UUltrabithorax 102Umkehrexperiment nach Schleip und Pasteels 40Urbilateralia 4, 76, 78Urgeschlechtszellen 27, 106Urmundlippe 53Ursegmente 55

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H. Grunz: Entwicklungsbiologie

VVascularisation, allantoide 108Ventralseite 4vegetalisierender Faktor 78vent-1 6Vektoren 122Vergleichende Embryologie 18vg1 71viscerales Blatt 107Vitalmarkierung 51, 94Volvox 24Vorkern 36

WWachstumsfaktoren 51Wirbeltierauge 4, 5Whole mount in situ Hybridisierung 5Wnt 71, 75, 77Wolffsche Linsenregeneration 89, 90

XXgal 125Xenoplastische Transplantation 61XTC-Factor 68, 79Xolloid 75, 77

YYamada, Tuneo 89

ZZellaffinität 62Zellerkennung 63Zona pellucida 39Zwei-Gradienten-Hypothese 66Zwischenhirn 5Zytotrophoblast 115

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