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Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Dr. H. Schulmayer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Hasenbergstraße 60 70714 Stuttgart

Entwicklungspsychopathologie und … · Spracherwerb • Distanz zwischen Bedürfnis und Erfüllung • Erweiterung der Möglichkeiten • Komplizierter . 26.01.2017 Dr. H. Schulmayer:

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Entwicklungspsychopathologie und

Entwicklungsdynamik psychischer

Erkrankungen bei Kindern und

Jugendlichen

Dr. H. Schulmayer

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Hasenbergstraße 60

70714 Stuttgart

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Seelische Auffälligkeiten haben häufig verschiedene Funktionen

• Überforderung

• Verzweiflung

• Abwehr unangenehmer oder belastender Themen

• Abwehr eigener Angst

• Sozialisation, Nachahmung

• Reinszenierung

• Abbau innerer seelischer Anspannung, Entlastung

• Ausbruchversuch aus einengenden Strukturen, Befreiung

• Hilfeschrei

• Versuch der Kontaktaufnahme

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart

Allgemeine Lebensverhältnisse

• Die meisten Ehepaare/Lebensgemeinschaften leben ohne Kinder

• Patchworkfamilien

• Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung lebt in Familien

• Anzahl der Einpersonenhaushalte 1972 26,2%, 1995 35,9%, 2006 38,8%

• 12 – 15% der 18 – 25 J (letzten 10 J) haben keinen Schulabschluss

• Einstiegsalter Rauchen 11 – 14 J

• 9. / 10. Klasse: 48,4% der Mädchen und 44,9% der Jungen sind Raucher

• Lediglich 5% der Mädchen und 6% der Jungen sind alkoholabstinent

• Jeder 2te Jugendliche unter 14J war schon einmal betrunken

• 1/3 hat bereits illegale Substanzen ausprobiert

• 5% konsumiert öfter als 1x / Woche Cannabis

• 6000 Teenager pro Jahr bringen ein Kind zur Welt

• Bei den 15 – 25jährigen ist Suizid in 18% der männlichen und in 11% der weiblichen Personen Todesursache

• Suizid ist nach (Verkehrs)unfällen die zweithäufigste Todesursache von Jugendlichen

• Anstieg jugendlicher Gewaltverbrechen bei gleichzeitig rückläufigem Anteil von Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart

Familiärer Wandel

• Anteil der Kinder in „traditioneller Familie“ 1996: 83,2% 2008: 75,4%

• Abnahme der Zahl der Eheschließungen von 1990 bis 2007 um 40%

• Anzahl der Scheidungen von Ehen mit minderjährigen Kindern 1990: 80.713 2008: 94.551

• Durch Scheidung der Eltern betroffene minderjährige Kinder 1990: 118.340 2008: 150.187

• Zunahme des „Armutsrisikos“: 41,3% der Alleinerziehenden mit 2 Kindern sind von Armut bedroht

– bei Paarhaushalten mit 2 Kindern sind es nur 9,%

• Ca. 45% der Sozialhilfe geht an Alleinerziehende mit einem Kind, etwa 70% der Sozialhilfe an Familien mit Kind

• Sinken der Zahl der Geburten in Deutschland von 1990 bis 2001 um 22% von 905.675 auf 705.622

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart

Familiärer Wandel

• Längere Ausbildungszeiten

• Späteres Erstheiratsalter

• Späteres Erstgeburtsalter, 28 Jahre

• Weniger Seitenverwandte

• Doppelte Erwerbstätigkeit der Eltern

• Weniger Netzwerk

• Wochenend-Elternschaft

• Elternschaft über Entfernung

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart

Jugendliche und ihre Eltern

• Jugendliche stehen vor einer Zukunft mit hochkomplexen Anforderungen, die sich ihnen

noch nicht erschließt.

• Sie müssen die Kluft zwischen eigenen Wünschen, Sehnsüchten und einer davon oft extrem abweichenden Realität überbrücken.

• Existenzielle Ängste und Orientierungsprobleme müssen bewältigt werden.

• Es wird ein hohes Maß an intuitiver Begabung und sozialer Kompetenz gefordert.

• An dieser neuen Hürde werden nahezu 30% aller Menschen mehr oder weniger ausgebremst.

• Dieser Mangel ist allein durch formal logische Intelligenz nicht zu beheben

• Eltern denken, ihr Kind könne mit besonderen Begabungen im Überlebenskampf Pluspunkte sammeln. Kinder mit besonderen Begabungen müssen angeblich besonders gefördert werden, sonst scheitern sie in der Konkurrenz oder werden verhaltensauffällig

• Immer mehr junge Menschen werden in der Gemeinschaft als Fremdkörper wahrgenommen. Sie haben eigenwillige Interessen, interessieren sich nicht für andere, verhalten sich unsensibel, bekommen nicht mit, wie sie auf andere wirken

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart

Erwartungen – Selbstbild - Kommunikation

• Leistungserwartungen, Perfektion, Vergleich (Vorsorgeuntersuchungen, Babyschwimmen,

frühkindliche Bildung, Schulempfehlung, NC, nach oben und unten Aussortieren)

• Stress – vorgefertigte Stundenpläne, wenig Freiräume – oder Abhängen, Orientierungslosigkeit

• Definition nach außen über materielle Werte wie Kleidung, Handy, MP3, Auto, Bedeutung von Noten mit Kommastellen

• Elektronische Kommunikation, TV, Musik, PC, Playstation

• Computerisierung unserer Umwelt bedeutet vorgefertigte Fragen und Antworten, entweder 0 oder 1, es gibt keine Zwischentöne, kurz und prägnant, im sozialen Leben bedeutet dies Modulisierung, Validierung, Standardisierung – flexible Lösungsansätze bleibt außen vor

• Cool sein, Verweigerung, so tun als habe man keine Sorgen

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart Was braucht es – Lernen fürs Leben? • Selbstvertrauen

• Eigene Stärken und Schwächen einschätzen können

• Selbstreflektion

• Fähigkeit für kreative unkonventionelle Lösungen

• Frustrationstoleranz

• Empathie

• Beziehungsfähigkeit

• Soziale Kompetenz

Denn:

• Aktuelle globale gesellschaftliche und individuelle persönliche Probleme werden nicht alleine durch „Wissen“ gelöst werden können

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart Problemlösung Therapie?

• Probleme werden externalisiert und professionalisiert: Schulsozialarbeiter, Erziehungsberatung, Jugendhilfe, Kinder-Jugendpsychiatrie, Förderung, Antiaggressionstraining, Therapie

• Anstieg der stationären kinder-jugendpsychiatrischen Behandlungen von 1994 mit 13,8/10.000 Einwohner auf 27,7/10.000 Einwohner

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Biographische Entwicklung und Reife Ziele - Herausforderungen

• Ziel: Ablösung, Verselbstständigung, Beziehungsfähigkeit, Selbstwert

• Herausforderungen, Aufgaben

• Krisen, Problembereiche, Gründe des Scheiterns

• Störungsbilder

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Biographische Entwicklung und Reife Partnerschaft der Eltern

• gemeinsamer Kinderwunsch?

• Motiv

• Verantwortungsbereitschaft

• Verlässlichkeit

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Biographische Entwicklung und Reife Schwangerschaft der Mutter

• Situation der Mutter

• Versuch der Emanzipation

• Stabilisierung

• Seelenleben des Ungeborenen, „Spracherwerb“

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Biographische Entwicklung und Reife Geburt

• Physische Erfahrung, Heiß-Kalt, Hell-Dunkel, Schwer-Leicht, Rauh-Glatt

• Wärme

• Hunger

• Atmung

• Getrenntsein

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Biographische Entwicklung und Reife Säuglingszeit

• Überleben, Anerkennen, Hilflos

• Deprivation

• Kindeswohlgefährdung

• Pflegeleicht

• Totstellreflex

• Bindungsstörung

• Fremdeln

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart Kleinkind

• Explorieren der Umwelt

• Belastung der Mutter-Kind-Beziehung

• Trotzphase

• Löst Aggression / Hilflosigkeit aus

• Oppositionell

• Fütterstörungen

• Weglaufen, Allmachtsphantasien, die Eltern beiholen zu können

• Widerspruch Hass-Liebe, Trotz-Versöhnung, gleichzeitig, einüben

• Nicht trotzen dürfen / können

• Misshandlung

• Sauberkeitsentwicklung – Liebesbeweis

• Rückschritt, warum habe ich hergegeben, mir geht es nicht gut hier

• Enuresis / Enkopresis

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Biographische Entwicklung und Reife Spracherwerb

• Distanz zwischen Bedürfnis und Erfüllung

• Erweiterung der Möglichkeiten

• Komplizierter

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Biographische Entwicklung und Reife Kleinkindgruppe - Kindergarten

• Soziale Orientierung

• Leibergreifen, sich in seinem physischen Leib beheimaten, Sicherheit und Geborgenheit, Urvertrauen

• Die Welt ist gut

• Das Böse nur soweit zulassen, wie ich es aushalte

• Laufen, Balancieren, Rückwärts, Springen

• Ich stehe im Zentrum

• Bildhafte, einfache Erklärungen

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Biographische Entwicklung und Reife Schule

• Soziale Anforderung – Kognitive Anforderung

• Planvolles Arbeiten

• Akzeptieren von Realität

• Vernunft wird reklamiert, reguliert Gefühle

• Sammeln von Information

• Extrafamiliäre Regeln und Normen

• Lerneifer, Wissbegierde

• Konstitutionelle Schwächen: Lernschwäche, Egopathie, Überangepasst,

ADHS

• Scheitern aufgrund von Regression, Enuresis, Enkopresis, Tics

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Biographische Entwicklung und Reife Frühe Jugend / Pubertät, 11 – 14 Jahre • Wachstumsschub, sexuelle Reife

• Intimität – nicht mit den Eltern teilen

• Dinge alleine ausmachen

• Ich bin mit mir allein

• Was denken andere über mich?

• Ich bin das, wie andere mich sehen – Befangenheit

• Kommunikation untereinander, ohne es mit den Eltern zu teilen – sich ausgeschlossen fühlen

• sich einem starken Gefühl anvertrauen – Rausch – Sexualität – Hingabebedürfnis

• Todesgedanken, Suizid, ich könnte Schluss machen, Rausch

• Größenphantasien

• Eltern verlieren die unmittelbare Regie über das soziale Leben ihrer Kinder

• Kretschmer: „Asynchronie“ der körperlichen – seelischen Entwicklung

• Experimentierfreude

• Ohnmacht – Allmacht

• Kontrollverlust

• Befremdete Eltern befremden ihre Kinder

• Sollbruchstellen der Eltern werden bloßgestellt – schwarzes Loch der Psyche der Eltern

• Wie halten nicht aus, was Du bist – besonders in Adoptivsituationen

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Biographische Entwicklung und Reife Frühe Jugend / Pubertät, 11 – 14 Jahre

• Dysmorphe Phobie

• Essstörungen

• Hypopchondrie

• Somatisierung

• Ängste, Phobien

• Dissoziative Störungen

• Zwänge

• Sozialer Rückzug

• Asperger-Syndrom

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Biographische Entwicklung und Reife Adoleszenz / 15 – 19 Jahre

• Schulende als Krisensituation

• Wo ist Platz in Beruf und Gesellschaft?

• Was wird aus mir?

• Ängste der Elterngeneration

• Autonomiekrise – letzte Stufe der Autonomieentwicklung

• Integration der bisherigen Konzepte in ein überlebensfähiges Selbstbild

• Modalitäten des Abschieds aus der Familie – Loyalitätskonflikte – Entbehrlichkeit – Was bekomme ich dafür?

• Muss vom Jugendlichen selbst geleistet werden

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Gesellschaftliche Situation der Gegenwart Adoleszenz / 15 – 19 Jahre

• Drogen

• Abhängigkeit

• Missbrauch

• Psychische Labilitäten unter Drogeneinfluss

• Scheitern wichtiger Brückenbeziehungen

• Problematische Partner

• Konflikte mit öffentlicher Ordnung, Delinquenz

• Sichtbarwerden von lebenslangen Schwächen

• Diagnosen

• Beziehungsverhalten

• Zukünftige Krisen / Sollbruchstellen

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Introversion – Extraversion

Neurosen: Störungen des Antriebs und der Affekte

Psychosen: Verzerrungen des Realitätssinns und der personalen Identität

Hemmung Introversion

Aktivierung Extraversion

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Krisen und Sicherheit Belastungen und Ressourcen erkennen – Belastungen in Ressourcen verwandeln?

• Kompetenz kann nicht ohne Krisen erworben werden

• Umgekehrt ist Sicherheit kein Selbstzweck

• Die Bedeutung und Bewertung von Belastungsfaktoren und Ressourcen hängen immer von dem kulturellen Kontext ab

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Belastungen Krisen

Ressourcen Kompetenz, Sicherheit

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Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 28

Gesellschaftliche Situation der Gegenwart Belastungen und Ressourcen erkennen – Belastungen in Ressourcen verwandeln?

Belastungen

• Enttäuschungen, z.B. Verlusterlebnisse

• Kränkungen, Abwertungen

• Trauma, Misshandlung, Missbrauch

• Überforderung

• Mangelnde Wertschätzung

• Mangelnde emotionale Zuwendung

und Erfahrungsvermittlung

• Sündenbockzuweisung

• Instabile Bindungen

• Inkonsistente Erziehung

• Chronische/psychiatrische

Erkrankungen

• Armut

• Migration

Ressourcen

• Wertschätzung

• stabile Bindungen

• emotionales Lernen

• Erfahrungsvermittlung, altersgemäße Verantwortung

• Verlässlichkeit

• Vorbilder

• Enthusiasmus anstelle cool sein

• Überschaubarkeit

• Altersentsprechende Anforderungen und Inhalte

• Autonomie, Ablösung ermöglichen

• Sinnfindung anregen

• Anregungen geben

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Krisen und Sicherheit

Persönliche Faktoren

• Anlagefaktoren, Genetik

• Temperament

• Biographische Erfahrungen

• Krankheitsprozess, Eigendynamik

• Lernprozesse, Gewohnheitsbildung

• Vorbilder

• Interne Ressourcen: Intelligenz, Kreativität, Verdrängung, Leugnung, Rationalisierung, Kontrolle

• Externe Ressourcen: Bindungen, äußere Sicherheit, Orientierungshilfen

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Ängste und phobische Störungen

• Ängste sind unspezifisch (z.B. Prüfungsangst, Angst vor fremden Menschen). Phobien beziehen sich immer auf ganz konkrete Situationen oder Dinge (Phobie vor schwarzen Spinnen)

• Ängste sind normal und wichtig! Jeder von uns kennt Ängste. Ängste dienen der realistischen Einschätzung von Gefahren. Das Gegenteil wäre grenzenlose Risikobereitschaft und Verantwortungslosigkeit

• „Normale“ Ängste wechseln mit dem Lebensalter und der Lebenssituation, z.B. als Kleinkind vor der Dunkelheit, als Schüler vor Klassenarbeiten, als Erwachsener vor Arbeitslosigkeit, als alter Mensch vor Krankheit

• Die Vermeidung von Anforderungen entlastet nur kurzfristig und führt letztlich zu einer Verstärkung der Angst. Das Bestehen bzw. Zuweisen von Verantwortung ist keine Belastung oder Überforderung sondern ein Zeichen des Vertrauens und der Wertschätzung

• Ängste sind rationalen Argumenten nicht zugänglich

• Ängste können in aller Regel gut therapiert werden

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Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 31

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Bewältigung von Angst als zentrale Problematik

• Signalangst

Grundformen der Angst, modifiziert nach Riemann:

• Angst vor Isolation, Einsamkeit ↔Bedürfnis nach Autonomie, Abgrenzung

• Angst vor Ich-Verlust, Abhängigkeit, Nähe ↔Bedürfnis nach Beziehung, Bindung

• Angst vor Vergänglichkeit, Unsicherheit, Tod ↔Bedürfnis nach Ruhe

• Angst vor Festlegung, Endgültigkeit ↔Bedürfnis nach Stabilität

Triebbedürfnisse und Triebängste:

• Angst vor Aggression, Destruktivität

• Angst vor sexuellen Wünschen

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Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 32

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Schulphobie – Schulverweigerung

• Unterscheidung zwischen Schulphobie und Schulverweigerung

• Oft erfüllen diese Kinder eine wichtige, unverzichtbare Funktion für die seelische Stabilität der Mutter

• Umgekehrt erfüllt die Mutter häufig eine solche Funktion für ihr Kind, das schon immer Anlass zur Sorge gab

• Mutter und Kind halten sich selbst und den anderen für unverzichtbar. Beide brauchen sich gegenseitig zu dessen Schaden. Aber: Man erträgt sich nicht wirklich, kommt aber auch nicht voneinander los

• Gegenseitige Schuldgefühle hemmen die Entscheidung sich zu trennen

• Ein tiefes Misstrauen gegenüber der äußeren sozialen Welt wird miteinander geteilt

• Das Kind wir zu Hause emotional vereinnahmt. Die Kinder gehen oft sehr gehässig mit der Mutter um

• Anderweitige Störungsbilder, z.B. Depression können hinzukommen, sind jedoch nicht der entscheidende Auslöser

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Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 33

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Kontaktschwäche – Sozialer Rückzug • Nicht jeder Rückzug ist pathologisch – entscheidend ist ob z.B. Freundschaften weiter gepflegt werden, Schulbesuch stattfindet, Alltagsaufgaben übernommen werden und sich die Betroffenen über ihre Situation mitteilen

• Unsere Gesellschaft benachteiligt stille zurückgezogene Personen in zweifacher Hinsicht: Wer gewalttätig wird erhält Aufmerksamkeit, der Stille leidet möglicherweise unerkannt vor sich hin ohne Hilfe zu erhalten. Umgekehrt ist nicht derjenige, der sich in der Schule häufig zu Wort meldet, auch begabter und kompetenter („Kultur des Herumlaberns“)

• Viele Menschen sind mit großen und anonymen Strukturen überfordert. Wünschenswert ist die Schaffung von überschaubaren Sozialräumen, in denen man sich kennt und wahrgenommen wird. Diese Räume müssen von z.B. Familien, Schulen, kulturellen Einrichtungen neu geschaffen und nicht institutionalisiert werden. Schule ist darin nicht nur Bildungsstätte sondern Lebensraum – warum gehen eigentlich Schüler und Lehrer nicht gerne zur Schule? • Solche erweiterten Sozialräume dürfen nicht leistungsorientiert sein, sondern wertschätzend für die individuellen Begabungen, die sonst scheinbar wertlos sind (z.B. musische oder soziale Fähigkeiten). Sie sind weniger strukturiert und vermitteln gerade dadurch Sinn und Orientierung • Abzugrenzen sind andere schwerwiegende psychiatrische Störungen wie z.B. Depression, Psychose, Persönlichkeitsstörungen, etc.

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Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 34

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Zwangsstörung • Eine Zwangsstörung ist zu unterscheiden von engen Gewohnheiten, Stereotypien (z.B. bei autistischen Störungen) und Tics (z.B. Tourette-Syndrom)

• Kennzeichnend ist die Vorstellung oder Sorge der Betroffenen, wenn die Zwänge nicht ausgeübt werden, dass dann etwas Schlimmes passiert (z.B. Tod eines Angehörigen) • Häufig werden sexuelle Phantasien abgewehrt

• Oft werden die Eltern in einem kaum vorstellbaren Ausmaß mit in die Zwänge eingebaut. Die Eltern unterstützen auf diese Weise unter dem Vorwand weiteres Leid abwenden zu wollen massiv das pathologische Verhalten ihres Kindes • Das tatsächliche Ausmaß ist nur schwer in Erfahrung zu bringen und bleibt oft selbst nach monatelanger stationärer Behandlung verborgen

• Die Trennung von Eltern und Kind gelingt nur sehr schwer

• Nach Milieuwechsel wirken die Betroffen häufig erstaunlich wenig auffällig, mit Rückkehr in die gewohnte familiäre Umgebung setzen die Zwänge oft wieder ein

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Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 35

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Zwangsstörung • Eine Zwangsstörung ist zu unterscheiden von engen Gewohnheiten, Stereotypien (z.B. bei autistischen Störungen) und Tics (z.B. Tourette-Syndrom)

• Kennzeichnend ist die Vorstellung oder Sorge der Betroffenen, wenn die Zwänge nicht ausgeübt werden, dass dann etwas Schlimmes passiert (z.B. Tod eines Angehörigen) • Häufig werden sexuelle Phantasien abgewehrt

• Oft werden die Eltern in einem kaum vorstellbaren Ausmaß mit in die Zwänge eingebaut. Die Eltern unterstützen auf diese Weise unter dem Vorwand weiteres Leid abwenden zu wollen massiv das pathologische Verhalten ihres Kindes • Das tatsächliche Ausmaß ist nur schwer in Erfahrung zu bringen und bleibt oft selbst nach monatelanger stationärer Behandlung verborgen

• Die Trennung von Eltern und Kind gelingt nur sehr schwer

• Nach Milieuwechsel wirken die Betroffen häufig erstaunlich wenig auffällig, mit Rückkehr in die gewohnte familiäre Umgebung setzen die Zwänge oft wieder ein

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26.01.2017

Dr. H. Schulmayer: Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsdynamik psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 36

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Depression bei Kindern • Noch vor zwanzig Jahren wurde kontrovers diskutiert, ob depressive Verstimmungen im Kindesalter überhaupt vorkommen • Der deutsche Psychiater Griesinger (1817 – 1868) schrieb bereits 1845, dass „alle Formen der melancholischen Verstimmung bereits bei Kindern vorkommen.“ • Schüle (1840 – 1916) berichtete 1878 in differenzierender Weise, „die Anfälle von Depressionen, welche bei Kindern beobachtet werden, haben ihr eigenartiges, vom analogen Zustand beim Erwachsenen verschiedenes Gepräge.“ • Bis in die 50er/60er-Jahre fand sich in psychiatrischen oder pädagogischen Lehrbüchern keine bzw. nur wenige Angaben über depressive Störungen bei Kindern. Während für andere Lebensbereiche potentielle Gefahren und der damit erforderliche

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Depression bei Kindern • Generell wurden bis dahin psychische und somit auch depressive Störungen bei Kindern

weit weniger als bei Erwachsenen als solche erkannt bzw. akzeptiert. Derartige

Störungen wurden vielmehr als Schul- oder Erziehungsprobleme eingestuft und

pädagogisch behandelt.

• Tatsächlich finden sich Depressionen bei Kindern und Jugendlichen nicht seltener als bei

Erwachsenen: Je nach Erhebung finden sich in ambulanten Untersuchungen 2 – 3% und in

klinischen Untersuchung n zwischen 5 – 20%.

• Die Diagnose Depression wird dennoch selten gestellt.

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Depression bei Kindern • Tatsächlich finden sich altersabhängige Manifestationsformen sehr unterschiedlicher

Phänomenologie.

• Bei Kleinkindern finden sich überwiegend psychosomatische Merkmale. Wein- und

Schreikrämpfe, Schlaf–Wach-Rhythmusstörungen, Appetitstörungen, Jaktationen,

motorische Stereotypien, genitale Manipulationen. Ausdrucksarmes Gesicht, mangelnde

Phantasie.

• Bei jüngeren Schulkindern: Sowohl somatische wie auch psychische Symptome, es

überwiegen jedoch psychische Merkmale wie Gereiztheit und Unsicherheit,

Spielhemmungen und Kontaktstörungen. Psychosomatische Symptome wie z.B. Enuresis,

Nägelkauen, genitale Manipulationen und Pavor nocturnus. Schulleistungsstörungen.

•Ältere Schulkinder und Jugendliche zeigen vermehrt erwachsenentypische Merkmale

wie Grübeln, Minderwertigkeitsgefühle, Bedrücktheit, Stimmungsschwankungen,

Selbstisolierungstendenzen, hypochondrische Beschwerden, Schuldgefühle,

Suizidimpulse und Suizidversuche. Besonders häufig auch Kopfschmerzen.

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Depression bei Kindern • Es ist daher unzutreffend, Depressionen bei Kindern, die eine andere Symptomatik als

die von Erwachsenen aufweisen, als lavierte Depression zu bezeichnen.

• Vielmehr spricht alles dafür, dass die überwiegend psychosomatische Symptomatik der

depressiven Klein- und Vorschulkinder die ursprüngliche und noch nicht kulturell

überformte Form der Depression darstellt.

• Aus transkulturellen Untersuchungen geht hervor, dass depressive Erwachsene nicht-

westlicher Kulturen ebenfalls vorwiegend zu hypochondrisch-leibnahen Manifestationen

neigen.

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Suchartiger PC- und Medienkonsum • Während für andere Lebensbereiche potentielle Gefahren und der damit erforderliche verantwortliche Umgang kulturell selbstverständlich sind, z.B. Sexualverhalten, Suchtstoffen, Führerschein, Glücksspiel, Waffenbesitz, sind die meisten Menschen immer noch der Ansicht, dass der PC völlig harmlos ist

• Es sollte zur Kenntnis genommen werden, dass auch die Benutzung des PC Gefahren birgt. Das sollte uns veranlassen, Regelungen zum sinnvollen und zuträglichen Umgang mit diesem Medium zu entwickeln. Diese sollten sie sich an allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und gesetzlichen Vorschriften orientieren

• Kinder und Jugendliche sind sich der besonderen Gefahren nicht bewusst, die Faszination ist dafür umso größer • Der PC täuscht Leistungen vor, die im realen Leben nicht wirklich existent sind. Emotionales Lernen, soziale Kompetenz und Beziehungsfähigkeit erwirbt man nicht am PC!

• In kompetenter Begleitung kann die Verwendung des PC als effektives Medium nutzbringend erlernt werden

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Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen Kinder-Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Hoher Erwartungsdruck – das impliziert Enttäuschung aufgrund möglicher nicht realistischer

Vorstellungen – andererseits weiterhin hohe Stigmatisierung und oft keine realistische

Vorstellung, was dort passiert (passieren könnte) bzw. was die Voraussetzungen sind

Zu spät? Wann ist der richtige Zeitpunkt? Früherkennung? Was „verwächst“ sich? Kein

Screening möglich. Dilemma der Pathologisierung.

Was bedeutet Hilfe? Alles wird gut? Veränderung in die richtige Richtung? Stabilisierung?

Begleitung? Es hätte noch schlimmer werden können?

Spannungsfeld zwischen Schubladen (Diagnosen - ICD10) und Verständnis sowie ggf. auch

unkonventionellen Möglichkeiten zur Veränderung.

Vorsicht! Eine Diagnose bedeutet nicht, dass damit auch bereits eine therapeutische

Lösung gefunden geschweige denn umgesetzt wäre. Umgekehrt bleibt die Diagnose oft im

deskriptiven Bereich.

Die Lösung bedeutet Kooperation und das beinhaltet manchmal auch, sich gegenseitig in

den realistisch begrenzten Möglichkeiten anerkennen und schätzen zu lernen ohne das Ziel

der Veränderung aus den Augen zu verlieren

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