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.; i ;;\ j '~j ~ i i. Entzauberung der lernenden Organisation I Stefan Kühl Entzauberung der lernenden Organisation Warum die Hoffnung auf die «guten» Regeln des Wandels weitgehend vergeblich ist stefan Kühl In den letzten beiden Jahrzehnten hat Siefan Kühl immer wieder die Euphorie kritisiert, mit der neue Organisations- konzepte von Managern und Beratern gefeiert wurden. Anlässlich des Erscheinens der überarbeiteten und erweiterten Fassung von «Das Regenmacher- Phänomen. Widersprüche der lernenden Organisation» (Campus 2015) stellt er dar, wie sich der Diskurs über neue Organisationsformen verändert hat. Seine These ist, dass die Umstellung der Vorstellun- gen einer optimalen Organisation auf «gute Regeln» des Wandels lediglich die Schauseite der Organisation darstellt. Abgesehen von vereinzelten und in ihrer Reichweite begrenzten Versuchen mit Communities ofPractices, Netzwerken von Praktikern oder virtuellen Organisationen schlagen sich die meisten Organisationen immer noch mit den be- kannten Problemen dezentraler Organisationsstrukturen herum. Selbst Wissenschaftler und Manager, die sich früher für ehe- mals modische Konzepte wie Business Process Reengineering oder Lean Management stark gemacht haben, setzen sich jetzt für Organisationsformen ein, die so flexibel, anpassungs- und wandlungsfähig sind, dass es kaum noch möglich ist, das Spe- zifische dieser Organisationsstrukturen zu bestimmen. Die re- lativ statischen Managementkonzepte des ausgehenden 20. Jahrhunderts wie Business Process Reengineering oder Lean Management wurden durch Managementleitbilder wie das der lernenden Organisation oder der wissensbasierten Unterneh- mung abgelöst, die die Veränderungs- und Innovationsfähig- keit von Organisationen in den Vordergrund stellen. Konsequent zu Ende gedacht läuft die einseitige Ausrich- tung auf Wandel und Veränderung auf eine »chaotische Orga- nisation« hinaus. Wenn dieses Leitbild konsequent umgesetzt werden würde, würde die Identität und Integration, die norma- lerweise über klare Organisationsstrukturen hergestellt wird, verloren gehen. Infolge einer totalen Veränderungsorientierung kann die Organisation kein Gefühl der Einheit entwickeln. Chronische Flexibilität zerstört im Extremfall die Identität der Organisation. Ein permanenter Wandel der Organisation pro- 44 duzierte eine so große Unsicherheit, dass gemeinsame Hand- lungsorientierungen und Zielsetzungen verloren gingen. Der Organisationstheoretiker Kar! Weick hat rein verände- rungsorientierte Organisationen im Rückgriff auf den Urvater der Organisationsentwick!ung, Kurt Lewin, als «chronisch auf- getaute Systeme» bezeichnet. Der Organisation ist es, nachdem sie ihre existierenden Strukturen aufgetaut hat, nicht gelungen, die neuen Strukturen wieder »festzufrieren«, Die Organisation befindet sich permanent in Unruhe, nichts läuft seinen gere- gelten Gang. Alles erscheint problematisch, weil vergangene Erfahrungen als riskant betrachtet werden und der Glaube an die Eindeutigkeit verloren gegangen ist. In kritischen Situationen kann die permanente Produktion von Neuem die Organisation so stark destabilisieren, dass kei- nerlei gemeinschaftliche Handlungen mehr möglich sind. Es können so viele Veränderungen in ein soziales System getra- gen werden, dass es irgendwann angesichts der als massive Störungen empfundenen Beunruhigungen zusammenbricht. Die Organisation droht tendenziell zu einer bloßen Menge kaum noch zusammenhängender Entscheidungen zu dege- nerieren (sieheWeick 1985, S. 174f.). OrganisationsEntwicklung Nr. 112015

Entzauberung der lernenden Organisation · Entzauberung der lernenden Organisation IStefan Kühl welcher Lösung sie auf Probleme zu reagieren haben, sondern nur, welche grundlegenden

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.; i ;;\ j '~j~i i. Entzauberung der lernenden Organisation I Stefan Kühl

Entzauberung derlernenden OrganisationWarum die Hoffnung auf die «guten» Regelndes Wandels weitgehend vergeblich iststefan Kühl

In den letzten beiden Jahrzehnten hat Siefan Kühl immer wieder die Euphorie kritisiert, mit der neue Organisations-konzepte von Managern und Beratern gefeiert wurden. Anlässlich des Erscheinens der überarbeiteten und erweitertenFassung von «Das Regenmacher- Phänomen. Widersprüche der lernenden Organisation» (Campus 2015) stellt er dar,wie sich der Diskurs über neue Organisationsformen verändert hat. Seine These ist, dass die Umstellung der Vorstellun-gen einer optimalen Organisation auf «gute Regeln» des Wandels lediglich die Schauseite der Organisation darstellt.Abgesehen von vereinzelten und in ihrer Reichweite begrenzten Versuchen mit Communities ofPractices, Netzwerkenvon Praktikern oder virtuellen Organisationen schlagen sich die meisten Organisationen immer noch mit den be-kannten Problemen dezentraler Organisationsstrukturen herum.

Selbst Wissenschaftler und Manager, die sich früher für ehe-mals modische Konzepte wie Business Process Reengineeringoder Lean Management stark gemacht haben, setzen sich jetztfür Organisationsformen ein, die so flexibel, anpassungs- undwandlungsfähig sind, dass es kaum noch möglich ist, das Spe-zifische dieser Organisationsstrukturen zu bestimmen. Die re-lativ statischen Managementkonzepte des ausgehenden 20.Jahrhunderts wie Business Process Reengineering oder LeanManagement wurden durch Managementleitbilder wie das derlernenden Organisation oder der wissensbasierten Unterneh-mung abgelöst, die die Veränderungs- und Innovationsfähig-keit von Organisationen in den Vordergrund stellen.

Konsequent zu Ende gedacht läuft die einseitige Ausrich-tung auf Wandel und Veränderung auf eine »chaotische Orga-nisation« hinaus. Wenn dieses Leitbild konsequent umgesetztwerden würde, würde die Identität und Integration, die norma-lerweise über klare Organisationsstrukturen hergestellt wird,verloren gehen. Infolge einer totalen Veränderungsorientierungkann die Organisation kein Gefühl der Einheit entwickeln.Chronische Flexibilität zerstört im Extremfall die Identität derOrganisation. Ein permanenter Wandel der Organisation pro-

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duzierte eine so große Unsicherheit, dass gemeinsame Hand-lungsorientierungen und Zielsetzungen verloren gingen.

Der Organisationstheoretiker Kar! Weick hat rein verände-rungsorientierte Organisationen im Rückgriff auf den Urvaterder Organisationsentwick!ung, Kurt Lewin, als «chronisch auf-getaute Systeme» bezeichnet. Der Organisation ist es, nachdemsie ihre existierenden Strukturen aufgetaut hat, nicht gelungen,die neuen Strukturen wieder »festzufrieren«, Die Organisationbefindet sich permanent in Unruhe, nichts läuft seinen gere-gelten Gang. Alles erscheint problematisch, weil vergangeneErfahrungen als riskant betrachtet werden und der Glaube andie Eindeutigkeit verloren gegangen ist.

In kritischen Situationen kann die permanente Produktionvon Neuem die Organisation so stark destabilisieren, dass kei-nerlei gemeinschaftliche Handlungen mehr möglich sind. Eskönnen so viele Veränderungen in ein soziales System getra-gen werden, dass es irgendwann angesichts der als massiveStörungen empfundenen Beunruhigungen zusammenbricht.Die Organisation droht tendenziell zu einer bloßen Mengekaum noch zusammenhängender Entscheidungen zu dege-nerieren (sieheWeick 1985, S. 174f.).

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Wie wird in den Leitbildern der lernenden Organisation, derwissens basierten Firma oder der evolutionären Unterneh-mung auf diese drohende Selbstauflösung durch Wandel undInnovation reagiert? Welches neue Verhältnis zwischen Stabi-lität und Veränderung bildet sich aus? Wie gelingt es, als eineOrganisation im Wandel Berechenbarkeit zu erzeugen?

Bearbeitung des Veränderungs-und StabilitätsdilemmasEine Einsicht scheint sich in vielen Organisationen des 2l.Jahrhunderts durchgesetzt zu haben: Die Hoffnung auf eineoptimale Organisationsstruktur ist nur begrenzt tragfähig, weildie Zukunft unsicher und unbestimmbar ist. Prognosen gera-ten zu mehr oder minder intelligenten Spekulationen. Zielmüsste es darum sein, eine Organisation möglichst wandlungs-fähig zu halten, um auf Umweltveränderungen rasch reagie-ren zu können.

Von der Stabilität des WandelsDie Reaktion auf die gewachsene Unsicherheit ist keine, wiein der Managementliteratur häufig suggeriert wird, simpleUmstellung vom Prinzip der Stabilität und Berechenbarkeitauf das Prinzip der Veränderung und des Wandels. Die neuenpropagierten Leitbilder haben mit »chronisch aufgetauten«Organisationen wenig zu tun. Vielmehr können wir Versuchebeobachten, stabilisierende Momente in die Veränderungspro-zesse einzubeziehen. Der Schwerpunkt scheint sich zuneh-mend darauf zu verlagern, tragfähige Prinzipien, Regeln undRezepte zu entwickeln, mit denen die wechselnden Heraus-forderungen gemeistert werden können. Es geht scheinbardarum, Prinzipien zu entwickeln, um den «Wandel richtig zumeistern».

Zugespitzt heißt das: Es gibt weniger rationale «Blaupausen-für das Funktionieren von Organisationen und immer mehrrationale »Blaupausen« dafür, wie Organisationen verändertwerden können. Es geht nicht mehr nur um die rationale Re-gelhaftigkeit von Strukturen, sondern um die Regelhaftigkeitder Gestaltung des Wandels. Statt des "Wie produzieren wir»steht das «Wie verändern wir» als Urgrund des rationalen Han-delns der Organisation im Vordergrund.

Damit wird auch den Mitarbeitenden tendenziell eine neueForm von Stabilität versprochen: Das Management garantiertstabile Regeln für die Wandlungsprozesse, um so der Beleg-schaft ein Mindestmaß an Stabilität zu bieten. Das Mottoscheint zu sein: Wir sind zwar nicht mehr in der Lage, den Mit-arbeitenden optimale Organisationsstrukturen zu präsentie-ren und können diese auch nicht mehr vom Widerspruch be-freien, dass die Organisation gleichzeitig veränderungs- undstabilitätsadäquates Verhalten von ihnen verlangt, aber wir

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stefan Kühll Entzauberung der lernenden Organisation

versuchen wenigstens die Wandlungsprozesse berechenbarzu gestalten. Die Mitarbeiter sollen einigermaßen sicher sein,nach welchen Regeln diese ablaufen.

Die verschiedenen Managementphilosophien tasten sichmit ihren Beschreibungen an das Phänomen heran. Die Orga-nisationspsychologen Chris Argyris und Donald Schön (1978)proklamieren in diesem Zusammenhang die Umstellung voneinem einfachen Anpassungslernen zu einem komplexen Ver-änderungslernen. Beim Anpassungslernen werden im Rahmender gegebenen Strukturen und Regeln Abweichungen festge-stellt und korrigiert. Der Mitarbeitende beobachtet die Reak-tionen der Umwelt auf die Aktionen der Organisation undnimmt im Rahmen der Zielvorgaben einen Soll-Ist-Vergleichvor. Beim komplexen Lernen oder Veränderungslernen wer-den auch die grundlegenden Ziele und Strukturen hinterfragt.Die handlungsleitenden Basisannahmen werden in Frage ge-stellt und verändert.

Letztlich scheint das Management den Spruch «Wandel istin unserer Organisation das einzige Stabile» wörtlich zu neh-men - nicht insofern, als die Organisation vor lauter Verände-rung vergeht, sondern dadurch, dass die Wandlungsprozessemit einer gewissen Erwartungssicherheit ausgestattet werden.

Wie können Organisationen Stabilität in Wandlungspro-zessen herstellen?

Code-Wörter für die Prinzipien «guten»OrganisationswandelsDas Prinzip ist einfach: Das Unternehmen oder die Verwal-tung gibt sich feste Regeln, wie der Wandel in der Organisationablaufen soll. Diese festen Regeln des Wandels finden ihrenAusdruck in «Chartas des Managements von Veränderungen-(vgl. Doppler & Lauterburg 1995, S. 152), in «Grundgesetzen desOrganisationswandels. oder in »Disziplinen des Systemden-kens und des Systernwandels« (vgl. Senge 1990). Diese «Char-tas», »Grundgesetze« und »Disziplinen- richten den Blickwin-kel nicht mehr darauf, wie eine Organisation beschaffen seinsollte, sondern darauf, wie derWandel in der Organisation von-statten zu gehen hat. Statt Regeln für das «Wie» der Organisa-tion werden Vorschläge für das »Wie« des Organisationswan-dels geliefert.

Wandlungsorientierte Managementleitbilder, wie die «ler-nende Organisation», das «intelligente Unternehmen», das «wis-sensbasierte System», die «fortschrittsfählge Organisation», die«offene Unternehmung» oder die «flexible Firma», versuchendurchweg rationale Kriterien für Organisationsveränderung zudefinieren. Sie versuchen in jedem Fall standardisierte Verfah-ren und Programme zweiter Ordnung zu bestimmen. Die Ver-fahren und Programme dieser OrganisationsmodeUe schreibennicht mehr Routineverhalten in Organisationen vor, sondernsie beschreiben, aufweIche Art und Weise neuartige Problemezu lösen sind. Den Mitarbeitenden wird nicht vorgegeben, mit

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welcher Lösung sie auf Probleme zu reagieren haben, sondernnur, welche grundlegenden Verfahren sie zur Lösung anwen-den sollen.

Worin bestehen jetzt diese standardisierten Verfahren undProgramme zweiter Ordnung? Was sind die Regeln des ratio-nalen Organisationswandels?

Es gibt natürlich keine endgültige Instanz, die festlegt, wasgenau die Grundprinzipien eines «guten» Organisationswan-dels sind. Die «Chartas», «Grundgesetze» und «Disziplinen»ähneln sich jedoch weitgehend. Egal, ob vorrangig an Lernen,Intelligenz, Wissen, Fortschritt, Offenheit oder Flexibilität ap-pelliert wird, die Prinzipien gleichen sich in vielen Bereichen.Dies hängt damit zusammen, dass Organisationen ihre Re-geln nicht im stillen Kämmerlein entwickeln, sondern sich da-ran orientieren, welche Vorgehensweisen sich in anderen Or-ganisationen bewährt haben. Fachliteratur, Aus- und Weiter-bildungsgänge, Personalwechsel. Beratungsfirmen. Kongresse,Unternehmerstammtische und so weiter tragen dazu bei, dasssich die Kriterien für »guten- organisatorischen Wandel sehrähnlich sind.

Aus der Vielzahl von Change-Management-Büchern, Or-ganisationsleitbildern und Beraterfolien lassen sich siebenGrundprinzipien kondensieren:1. Klare Zielsetzungen2. Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit3. Mitarbeitende als zentrale Ressource

4. Kommunikation5. Selbstorganisation6. Ressourcen für Veränderung7. Wandel als permanenter Prozess

Diese wirken auf den ersten Blick sehr einleuchtend und bie-ten den Organisationen in Veränderungsprozessen eine ge-wisse Stabilität. Sie können ihren rationalen Anschein, wie imnächsten Kapitel gezeigt wird, jedoch nur deswegen entwi-ckeln, weil die problematischen Aspekte dieser Prinzipien aus-geblendet werden.

Diese Regeln des Organisationswandels sind nicht neu. Vie-le dieser Prinzipien wurden schon im Zuge der Entstehung derOrganisationsentwicklung als humanistisch orientierter Bera-tungsansatz formuliert. Im Rahmen der Organisationsentwick-lung wurde davon ausgegangen, dass es den Ansprüchen ei-ner menschengerechten Gestaltung entspricht, die Mitarbei-tenden so stark wie möglich in die Organisation zu integrie-ren. Aber solange die Argumentation der Organisationsent-wicklung sich stark auf die Frage einer «humanen» Gestaltungbezog, war sie nur sehr begrenzt an die an Effizienz und Effek-tivität orientierte Logik der Organisation anschlussfähig.

Angesichts der wahrgenommenen Turbulenzen werden diemitarbeiterorientierten Prinzipien des Veränderungs manage-ments jetzt jedoch als zentrale wirtschaftliche Erfolgsfakrorendeklariert. In Unternehmen, Verwaltungen und Verbänden wer-

Abbildung 1Prinzipien der lernenden Organisation - Regeln für das Veränderungsmanagement

1Klare Zielsetzungen

7Wandel als

permanenter Prozess

6Ressourcen fürVeränderungen

5Selbstorganisation

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2Identifikation

der Mitarbeiter

3Mitarbeiter als

zentrale Ressource

4Kommunikation

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den diese Prinzipien im Einzelnen konkretisiert. Es werden Be-triebsvereinbarungen darüber abgeschlossen, in weIcher FormVeränderungsprozesse in Unternehmen ablaufen sollen. Be-teiligungsrechte werden festgeschrieben und Einspruchsmög-lichkeiten bestimmt. Das Management sagt zu, dass im Rah-men von Veränderungsprozessen keine Kündigungen ausge-sprochen werden.

Verlagerung des Fokus von Management, Beratungund OrganisationsforschungSollte sich diese grundlegende Umstellung des Management-talk weiter fortsetzen - und vieles spricht dafür -, dann hat diesweit reichende Konsequenzen für Management, Beratung undForschung. Das Management von Unternehmen, Verwaltun-gen, Krankenhäusern, Hochschulen und Verbänden würde sichimmer mehr zu einem Management des Organisationswan-dels verändern. Der Fokus der Organisationsberatung würdesich von der Konstruktion rationaler, für die jeweiligen Um-weltbedingungen optimaler Organisationsstrukturen hin zurKonstruktion «guter», vermeintlich rationaler Regeln des Or-ganisationswandels verlagern. Die Aufgabe der Organisations-forschung bestünde darin, ihr Interesse weniger auf Organi-sationsstrukturen als auf Prozesse des Organisationswandelsauszurichten.

Die Herausforderung besteht darin, die mühsam erworbe-nen Einsichten über die Konstruktion rationaler, vermeintlichoptimaler Organisationsstrukturen auf die Auseinanderset-zung mit den «rationalen», «guten» Regeln des Organisations-wandels auszuweiten. Wenn die Rationalität der Organisa-tionsstrukturen nur dadurch entwickelt werden konnte, dasssämtliche Widersprüche dieser Rationalität ausgeblendet wur-den, kann man davon ausgehen, dass auch die «guten» Regelndes Organisationswandels den Anschein von Rationalität nurdurch die Ausblendung von grundlegenden Problemen erlan-gen können. Das Ziel des nächsten Kapitels ist es, erste Hin-weise auf die blinden Flecken der an «guten» Regeln des Or-ganisationswandels orientierten Leitbilder zu geben. Ich willzeigen, dass diese blinden Flecken von Organisationen, die sichauf das Leitbild der lernenden Organisation oder der wissens-basierten Unternehmung stützen, gefährliche Konsequenzenhaben können.

Probleme der lernendenOrganisationDie Geschichten über erfolgreiche Veränderungsprozesse, dieauf Konferenzen oder in Artikeln weitergetragen werden, sindfast alle durch die Vorstellung von der systematischen Planung,Steuerung und Kontrolle organisationaler Veränderungsprozes-se geprägt. Sie sind häufig die Geschichten rational geplanten

OrganlsationsEntwlcklunq Nr. 112015

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Stefan Kühl IEntzauberung der lernenden Organisation i : e ·1ex Ion

und gesteuerten Wandels. Die unternehmerischen «Senkrecht-starter» sind diejenigen Manager, denen es gelingt, Mitarbei-ter für eine Idee zu begeistern und das Unternehmen dann sozu verändern, dass es von der Idee profitiert. Hier finden sichdie Söhne und Töchter rationaler Unternehmensfiguren wiedem «Erfinder» des Fließbandes Henry Ford oder dem «Er-schaffen der schlanken Produktion Taiichi Ohno, die es ge-schafft haben, eine Organisation in einem rationalen Planungs-und Steuerungprozess radikal zu verändern.

«Die Organlsationsforschung würde sichwenice: :'11,1' (l,o.anlsationsstr ukturen ets ·3· Hf~v 'l..o- l:!H,j l ~~.:,'-1~ ~ ~ •• ~ 'j- w ~~Lj~:l ~.~~.._~. ..)_'_ t:., ) '\ .•• '••••.• J ; .••:lI ,_ u

Prozesse des Organisationswandels ausnchten,»Es mag Organisationen geben, denen es gelungen ist, den Wan-del systematisch zu planen, zu steuern und zu kontrollieren.Manchmal scheint der Druck auf die Organisation so hoch,die Leitungsebene so mächtig, die Berater so integrierend unddie Lösungen so nahe liegend, dass das rationale Schema fürgeplanten und berechenbaren Wandel zum Erfolg führt. Gera-de in wenig komplexen Organisationen kann es gelingen, dieMitarbeitenden derart auf ein gemeinsam erarbeitetes Ziel ein-zuschwören, dass ein rational geplantes und gesteuertes Ver-änderungsprojekt erfolgreich realisiert werden kann. Biswei-len scheinen Veränderungsprozesse fast wie die Programmie-rung trivialer Maschinen zu funktionieren, so dass ein Wand-lungsprozess fast schon mechanisch zum Erfolg führt.

Aber bei der Betrachtung von Abläufen in Unternehmenrücken immer mehr Organisationsgestalter, Change Managerund Unternehmensentwickler von der klassischen Sichtweiseder ManagementIehre ab. Sie äußern mit Bezug auf die Ge-samtorganisation Zweifel daran, dass systeminterne Vorgängegenau beherrschbar und kontrollierbar sind. Sie distanzierensich von der Vorstellung, dass exakte Vorhersagen über Ent-wicklungen möglich sind und fordern die Abkehr von der Be-trachtung der Organisation als einer trivialen Maschine.

Umso paradoxer ist es aber, dass die meisten Ansätze undMethoden des Change Managements immer noch von Be-herrschbarkeit, Prognosefähigkeit, von definierten Verfahrenund exakten Planungen sowie festgelegten Reaktionsmusternausgehen. Es dominiert die Vorstellung, dass Manager die Zu-kunft der Organisation durch Pläne und Konzepte bestimmenkönnen. Es besteht der Glaube, dass man durch eine gute Ge-staltung des Veränderungsprozesses tragfähige Verbindungenzwischen Mängeln, Ursachen, Zielen und Maßnahmen herstel-len könne. Häufig wird sowohl bei der Erstellung der Pläne alsauch bei deren Umsetzung auf Ideen, Handwerkszeuge undKonzepte zurückgegriffen, die eher für das Verändern von ein-fachen Maschinen geeignet scheinen als für die Gestaltungvon komplexen Systemen.

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f~jjRe'f Iex lon IEntzauberung der lernenden Organisation I Stefan Kühl

Zugegeben, die Planbarkeitsvorstellungen im Change Manage-ment sind weit von den simplen Steuerungsvorstellungen des»per ordre de mufti« entfernt, die in tayloristischen Unterneh-men das Leitbild darstellten. In der Zwischenzeit werden unterdem Tenor der Ganzheitlichkeit nicht nur technische, struk-turelle und ökonomische, sondern auch zwischenmenschli-che Aspekte in die Planung mit einbezogen. Unter dem Label«ganzheitliches Denken und Handeln» werden den geschrie-benen und ungeschriebenen Gesetzen und Spielregeln, derMotivation und Identifikation sowie der Vernetzung zwischenden verschiedenen Faktoren Beachtung geschenkt.

«Es ist ein häufig zu beobachtender Ref!ex inder Unternehmenspraxis nicht die Prinzipien inFrage zu stellen, sondern auf Schwieriqkeitenbei der Umsetzung zu verweisen»

Ferner beinhalten die Planbarkeitsvorstellungen des ChangeManagements mittlerweile auch Rückkopplungsschleifen, per-manente Zwischenauswertungen und Neu definitionen. DieIdee ist, dass entsprechende methodische Hilfsmittel, die anVeränderungen im Planungsumfeld der Maßnahme angepasstwerden, die Prozesse des Wandels plan- und beherrschbarmachen. Man trennt sich nicht von Vorstellungen der Steuer-barkeit, sondern entwickelt elaboriertere Formen der Steue-rung: noch kürzere Feedbackschleifen und Regelkreise, nochfeinere Sensorien und flexiblere Steuerungszentralen (vgl.Schreyögg & Noss 1995, S. 174). Man distanziert sich von sim-plen Vorstellungen mechanistischer Ordnung, um diese ledig-lich durch eine mehr oder minder ausgeklügelte Kybernetikaus statischen Regelmäßigkeiten und Regelkreisen zu ersetz-ten. Grundlage des Denkens bleibt jedoch auch hier, dass dasVerhalten in Organisationen im Großen und Ganzen plan-und schließlich auch führbar ist. Organisationen sind zwarnicht von oben gesteuerte Maschinen, aber dennoch geregel-te Prozesse.

Gängige Erklärungen für die Probleme aufdem Weg zur lernenden OrganisationAus dieser auf rational geplanten Wandel ausgerichteten Pers-pektive werden dann auch die Probleme auf dem Weg zurlernenden Organisation erklärt. Viele Unternehmen, Verwal-tungen und Verbände nehmen für sich in Anspruch, lernendeOrganisationen zu sein. Schaut man sich die Organisationengenauer an, gibt es eine unübersehbare Diskrepanz zwischenTheorie und Realität. Viele scheinen die Regeln »guten Orga-nisationswandels« nur sehr begrenzt in die Praxis umzuset-zen. Ganz in der Logik der planerischen Verdoppelung des Ver-änderungsprozesses wird darauf hingewiesen, dass die Pläne

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auf den richtigen Prinzipien basierten, es leider aber noch ander Umsetzung hapere. Es ist ein häufig zu beobachtender Re-flex in der Unternehmenspraxis, aber auch in der Manage-mentliteratur, nicht die Prinzipien in Frage zu stellen, sondernauf Schwierigkeiten bei der Umsetzung zu verweisen. Es wer-den wissenschaftlich gestützte und mit vielen Statistiken ge-schmückte Erklärungen dafür geliefert, welche Widerstände,Schwierigkeiten und Hemmnisse den Wandlungsprozess be-hinderten.

Eine auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung ist es,die Umsetzungsschwierigkeiten auf die Formung der Mitar-beiter und Mitarbeiterinnen durch die alten hierarchischenund in Funktionsbereiche abgeteilten Unternehmen zurück-zuführen. Es herrsche eine Art »rnentaler Zentralverriegelung«in den Köpfen der Mitarbeitenden. Sie führe dazu, dass Verän-derungsmaßnahmen behindert würden. Eine andere Erklä-rung ist, dass der Veränderungsprozess nach «innen. nichtausreichend vermarktet würde: DerWandel im Unternehmenwerde nicht gut verkauft. Noch beliebter - und besonders fürexterne Berater lukrativer - ist es, den Widerstand auf einemangelhafte Planung des Wandlungsprozesses zurückzufüh-ren: Das Scheitern von Veränderungsprozessen wird dabeiauf eine zu diffuse Zielsetzung, eine unscharfe Vision, einenzu kurzen Zeithorizont, auf ungünstig zusammengestellte Pro-jektteams, ungenügende Unterstützung durch die Unterneh-mensleitung, auf eine mangelnde Einbindung der Mitarbeiteroder auf eine zu ambitionierte Zeitplanung zurückgeführt. Esfehlt demnach an dem geeigneten Handwerkszeug, um dasChange Management-Projekt erfolgreich umzusetzen.

All diesen Erklärungsansätzen ist gemein, dass Lösungenfür die Probleme auf der Hand liegen. Aus den sechs, siebenoder acht «Kardinalfehlern» beim Wandel lassen sich prob-lemlos die sechs, sieben oder acht »Stufen zum erfolgreichenWandel« kondensieren. Die Lösungsansätze werden - ganz inder Tradition vieler klassischer Managementansätze - mehroder minder explizit gleich mitgeliefert: Das Verharren der Mit-arbeitenden in alten Denk- und Handlungsstrukturen müssedurch Seminare und Schulungen »aufgebrochen« werden. DieMitarbeiter müssten frei nach dem Motto - Kommunikation,Kommunikation und Kommunikation - besser informiert wer-den und das ja vorhandene Handwerkszeug für das ChangeManagement müsste professioneller eingesetzt werden.

Entsorgung von Problemen durch diePersonalisierung von FehlernGemeinsam ist diesen Ansätzen aber auch, dass sie - auf denersten Blick durchaus einleuchtend - unmittelbar beim Men-schen ansetzen. Die bedrückende Diskrepanz zwischen denehrgeizigen Veränderungsplänen und der ernüchternden Re-alität des Veränderungsprozesses wird mit Versäumnissen aufder Seite des «Humankapltals. erklärt. Die größte Gefahr in

OrganisationsEntwlcklunq Nr. 112015

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stefan Kühll Entzauberung der lernenden Organisation Reflexion

Abbildu~~';;"""';"'"","C'T'_"_ •••••r,,,,",, . ",c'" "".''''''''''!i!lcr~_~'''''''''_'-''''_N·''''-''''''l

Typisches Erklärungsmuster für das Scheitern von Veränderungsprojekten \

t;~ Typische Fehler bei Veränderungsprojekten

Fehlende Konsequenz bei der Umsetzunq der Erqebnisse

Manqelnde Information und Kommunikation

Zu weniq analytisches und methodisches Vorqehen

Inkonsequentes. halbherziqes Vorqehen

Falsche Zeit- und Zielvorqabe

Veränderungsprozessen, so die Logik, geht für erfolgreiche Un-ternehmen immer vom «Risikofaktor» Mensch aus. Ganz inder Tradition der Psychotechnik der Arbeit werden Problemepersonalisiert und psychologisiert: Es ist die Prägung durchalte Strukturen, die fehlende Kommunikation der Verände-rungsnotwendigkeiten, der fehlende Wille zur Durchsetzung,das fehlende Know-how über das «Wie» der Durchsetzung, diefür Probleme im Veränderungsprozess verantwortlich sind,Letztlich führt die »fehlende Perfektion« des Menschen dazu,dass Veränderungsprozesse nicht so gestaltet werden können,wie sie ursprünglich geplant waren.

Es ist die Besonderheit von Organisationen, dass sich fastalle Entwicklungen einzelnen Personen zuweisen lassen. Ausdiesen Gründen ist man in Organisationen immer sehr schnellmit Konzepten zur Hand, die Besserungen versprechen, wenndenn nur die Geschäftsführung endlich rascher entscheiden,die Gruppensprecher mehr auf Qualität achten, die Führungs-kräfte stärker unternehmerisch denken oder die Vertriebs mit -arbeiter die Aufträge schneller an die Produktion weiterleitenwürden. Man erwartet in Organisationen Verbesserungen,wenn bestimmte Personen gut zusammenarbeiten, bestimmteSachen stärker anstreben und sich intensiver dafür einsetzen.

Es ist in vielen Situationen sicherlich sinnvoll, Probleme -und damit auch Lösungsansätze - zu personifizieren. Bis zueinem bestimmten Grad ist es funktional für gemeinschaft-liches Handeln, dass Misserfolge - genauso wie Erfolge - Per-

OrganisatlonsEntwlcklung Nr. 112015

Manqelnde Professionalität der Beteiliqten

Oberstes Manaqement lebt nicht vor

Betroffene zu weniq in Arbeitsprozess einbezoqen

Zu weniq Mut und Durchhaltevermöqen

Festhalten an Abläufen

sonen zugewiesen werden. Weil Personen in Organisationenso leicht greifbar sind, können sie für Fehler verantwortlichgemacht werden. Durch die persönliche Zuordnung wird derFehler weggedrückt. Die Person trägt die Verantwortung undentlastet damit die Organisation bei der häufig blockierendenSuche nach anderen Fehlerquellen.

«Es ist die Besonderheit von Organisationen,dass sich fast alle Entwicklungen einzelnenPersonen zuweisen lassen.»

Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass diese Erklärungs-ansätze auf einer begrenzten Problemsicht basieren. Diese istnoch durch die klassische Managementlehre geprägt, wonacheine Organisation gemäß der eigenen Blaupausen in Formvon Auf- und Ablaufplänen, Organisationsdiagrammen undGeschäftsverteilungsplänen funktionieren könnte, wenn derMensch sich endlich den formalen Strukturen der Organisa-tion unterordnete. Dieser Vorstellung nach könnten die organi-satorischen Prozesse weitgehend problemlos ablaufen, wenndie Mitarbeitenden sich an die Regeln und Vorschriften derformalen Struktur hielten.

Die Lösungsansätze beruhen letztlich auf der Hoffnung,dass man den menschlichen Faktor durch Qualifikationen,durch «gute» Organisation und durch eine «gute» Gestaltung

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Entzauberung der lernenden Organisation I Stefan Kühl

des Organisationswandels «entproblematisieren» könnte:Wenn wir nur ausreichend an den Prägungen der Menschenarbeiten, die Veränderungsnotwendigkeiten ausreichend kom-munizieren und unsere Routinen und Wandlungsprozesseperfektionieren, so die Hoffnung, dann können wir Verände-rungsprozesse ohne große Schwierigkeiten bewältigen.

Sieben Widersprüche desOrganisationswandelsDie dargestellten Erklärungsmuster für die Schwierigkeitenauf dem Weg zur lernenden Organisation zeigen eine Beson-derheit. Sie tabuisieren jegliche Kritik an den propagiertenPrinzipien des Wandels, indem sie gebetsmühlenartig aufhandwerkliche Fehler in der Umsetzung verweisen. Sie sugge-rieren, dass ein Konzept Erfolg verspricht, wenn nur die pro-fessionellen Standards bei der Umsetzung eingehalten wer-den. Dass die Prinzipien der lernenden Organisation selbstfehlerhaft sein könnten, kommt angesichts der positiven Be-setzung solcher Begriffe wie Ziele, Identifizierung, Kommuni-kation, Partizipation, Selbstorganisation nicht in den Sinn.

Die Probleme und Pathologien in sich wandelnden Orga-nisationen, so meine These, sind nicht auf die Besonderhei-ten, Fehler und Schwächen der Mitarbeitenden zurückzufüh-ren, sondern sie hängen mit grundlegenden Problemen des

Organisationswandels zusammen. Organisationen befindensich in Veränderungsprozessen in permanenten Dilemmata.Sie brauchen sowohl klare Zielvorstellungen als auch die Be-reitschaft. möglicherweise von den festgelegten Zielen abzu-weichen. Es ist sinnvoll, dass sich Mitarbeiter mit Prozessenidentifizieren. Gleichzeitig behindert diese Identifikation aberdie notwendige Veränderung. Deswegen ist Motivation alleindurch Geld ebenso sinnvoll. Eine Beteiligung der Mitarbeiten-den kann Wandlungspotenziale freisetzen. Eine zu starke Ein-beziehung erschwert die Fokussierung des Unternehmens.Selbstorganisation kann hilfreich sein, weil Lösungen vor Ortentwickelt werden. Häufig gewährleistet die Fremdorganisati-on jedoch eine höhere Originalität der Lösung. Unternehmensehen sich der Notwendigkeit ausgesetzt, in OrganisationenFreiräume für Innovationen zu schaffen. Dieser Aufbau vonPuffern lässt jedoch häufig den organisatorischen Schlendri-an einziehen. Organisationen sind auf erfolgreiche Lernpro-zesse angewiesen, aber gerade erfolgreiche Lernprozesse sindfür den Niedergang von Organisationen verantwortlich. Des-wegen kann auch die Vermeidung von Lernen eine sinnvolleStrategie sein.

Die dargestellten Dilemmata (vgl. Tabelle 1) weisen daraufhin, wie brüchig die am Wandel orientierten Leitbilder vonOrganisationen sind. Sie zeigen, dass es bei großer Unsicher-heit keine Erfolg garantierenden Technologien des Wandelsgibt. Auch die lernende Organisation macht hier keine Aus-

Tabelle 1.Nicht gewollte Nebenfolgen der Prinzipien «guten» Organisationswandels

Klare Ziele und Visionen fürVeränderungsprozesse Mangelnde Zielflexibilität bei veränderten Umfeldbedingungen. .

Identifikation der Mitarbeiter mit Produkten und Prozessen Organisation büßt an Wandlungsfähigkeit ein, weil Prozesse versteift werden

Mensch steht im Mittelpunkt der Organisation Überlastung mit Ansprüchen derverschiedenen Organisationsmitglieder

,',Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation Überlastung mit sprachlicher Kommunikation

Orientierung an bestehenden Strukturen die eigentlich überwunden werden sollSelbstorganisation

Bereithaltung von Ressourcen für Veränderung

Lernen

Verschwendung und Selbstbehinderung durch Überschüssige Ressourcen

.Erfolgreiches Le;nensChr~ib\,Strukturen festund behindertspätere Anpassungsprozesse

>- Die blinden Flecke der lernenden Organisation>- Die Prinzipien der lernenden Organisation

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nahme. Es wird zunehmend schwieriger, zwischen «richtigem»und «falschem» Handeln zu unterscheiden. Niemand ist inder Lage, als ein quasi außenstehender Beobachter die Infor-mationen so umfassend wahrzunehmen, dass er «objektiv»sagen kann, was ein »guter- oder ein «schlechten> Verände-rungsprozess ist. Wir haben es in Wandlungsprozessen mit derfundamentalen Schwierigkeit zu tun, dass es immer guteGründe gibt, den Veränderungs prozess genau anders zu orga-nisieren (vgl. Kühl 2011, S. 23ff).

Die Einsicht in die begrenzte Rationalität der lernendenOrganisation mag für Manager, Reformer und Berater von Or-ganisationen frustrierend sein, kratzt sie doch gründlich anihrem Selbstverständnis. Von ihnen wird erwartet, dass siewissen, wie Wandel funktioniert und mit welchen PrinzipienVeränderungsprojekte erfolgreich durchzuführen sind. Es wirdverlangt, dass sie zwischen Mängeln, Ideen und Maßnahmen- zwischen Ursachen und Wirkungen - eine Kausalverbindungherstellen können. Manager und Berater müssen Mängel er-kennen und Prozesse auslösen können, die zur Erarbeitungvon Lösungen führen. Berater können Geld für ihre Leistun-gen verlangen, weil sie behaupten, dass sie Einfluss haben -Einfluss auf die Art und Weise, wie sie Mängel und Lösungenkombinieren (vgl. Brunsson 1989, S. 224f).

Angesichts dieser Einschränkungen könnte verlangt wer-den, dass sämtliche Regeln des Change Managements in dieMottenkiste überholter Managementkonzepte zu verbannensind. Die lernende Organisation könnte als kurzlebige Ma-nagementmode abgehakt werden. Aber vielleicht gibt es ei-nen tieferen Sinn hinter den Regeln des Change Managements- einen Sinn, der jenseits der Vorstellung davon liegt, was eineOrganisation besonders «gut» wandelbar macht.

Stefan KühlProfessor für Organisationssoziologie ander Universität Bielefeld. Senior Beraterder international tätigen Organisations-beratungsfirma Metaplan

Kontakt:[email protected]

OrganisationsEntwicklung Nr. 112015

Stefan Kühl I Entzauberung der lernenden Organisation

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