Ephräm d. Syrer - Rede über 'Wehe uns, dass wir gesündigt haben

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  • 8/6/2019 Ephrm d. Syrer - Rede ber 'Wehe uns, dass wir gesndigt haben'

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    Ephrm d. Syrer ( 373)Rede ber den Text: Wehe uns, dass

    wir gesndigt haben! (Klagel. 5,16.)Generiert von der elektronischen BKV

    von Gregor Emmenegger / Diether WegenerText ohne Gewhr

    Text aus: Des heiligen Ephrm des Syrers ausgewhlte Schriften / aus dem Syrischen und Griechischen bers. (Desheiligen Ephrm des Syrers ausgewhlte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenvter, 1. Reihe, Band 37) Kempten;

    Mnchen : J. Ksel : F. Pustet, 1919

    Vorbemerkung.

    Der syrische Text ist der Handschrift Cod. vat. 117, sect. 88 entnommen und in der rmischen

    Ausgabe im II. syrisch-lateinischen Bande S. 350-359 abgedruckt. Die Autorschaft ist noch durch

    die Codd. Musei Britannici Add. 17 172 [IX. Jahrh.], 14 611 [X. Jahrh.] und 7190 [XII. Jahrh.]

    bezeugt, ebenfalls nur spte Zeugnisse, welche daher die Verfasserfrage nicht entscheiden

    knnen.

    Inhalt: Der Redner lt anfangs seine Zuhrer im Zweifel, welches die zwei furchtbaren Dinge

    seien, die ihn mit solcher Angst erfllen. Es sind: Seine Snden und die dafr zu erwartende

    Strafe [1 u. 2]. Der mchtige Eindruck des Gedankens an das letzte Gericht, die Klage ber seine

    fortwhrende Sndhaftigkeit, der Ausdruck der Furcht und der Angst, des Schreckens und der

    Reue am Gerichtstage, die Furchtbarkeit des jenseitigen Feuers, die Beschmung vor der ganzen

    Welt, die Angst vor der Verdammung: alle diese Gedanken, Empfindungen und Nte seines

    Herzens lt der Redner in demtiger, zerknirschter Offenherzigkeit vor dem geistigen Auge

    seiner Zuhrer vorberziehen, um mit der Klage ber seine fortdauernde Bosheit den ersten Teil

    [3-9] zu beschlieen. Nun aber ndert sich der Ton der Rede. Trostgedanken treten auf, die Bue

    erscheint, redet ihm aufmunternd zu, spricht von Gottes unendlicher Barmherzigkeit und ermahnt

    ihn zur Bue, da dazu im Jenseits keine Zeit mehr sei. Sie verspricht aber, sich bei der Gnade fr

    den reuigen Ber zu verwenden [10-12]. Er schliet mit der Nutzanwendung fr seine Zuhrer

    und mit einer Lobpreisung des allgtigen und barmherzigen Gottes [13]. [Nach Zingerle a. a. O.

    I,396.]

    Rede ber den Text: Wehe uns, dass wir gesndigt haben! (Klagel. 5,16.)

    1.

    Zwei bittere Erinnerungen voll Schrecken und Schauder erheben sich tglich in mir in allenGedanken und setzen mich in Furcht. Zwei frchterliche Gegenstnde regen mich auf und

    ngstigen mich, jagen meinen Gliedern Entsetzen ein und ffnen in meinen Augen

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    Trnenquellen. Zwei Dinge sind es, bei denen die Seele erschaudert, so oft sie daran denkt oder

    darber nachsinnt; denn die Erinnerung an sie ist bitter. Zwei Dinge sind es, ber die am Endejeder sich entweder freut oder betrbt. So oft sie mir in den Sinn kommen, erwecken sie in mirSchrecken und Entsetzen.

    2.

    Vernehmet nun, meine Brder, welches diese Dinge sind, die mich so erschrecken, underschrecket und zittert auch ihr; denn sie sind fr jeden beraus schrecklich! Die Last derSchulden, die ich mir aufgehuft, und die Gerechtigkeit, welche dafr Rechenschaft fordert: diese

    sind es, von denen ich sagte, dass sie mich aufregen und erschttern. Das groe Verzeichnismeiner Schulden und das frchterliche Gericht der Gerechtigkeit sind die zwei Dinge, welchemeinen Geist beunruhigen und mich in Bestrzung versetzen. An das Unrecht, das ich in meinerNachlssigkeit verbte, und an die Strafen, die meiner warten, denke ich, und deshalb zittern

    meine Gebeine und befallen mich Furcht und Schrecken. An die schwere Brde meiner Sndenund an ihre entsetzliche Strafe erinnere ich mich in meinen Gedanken, und deshalb bemchtigtsich Furcht meiner Glieder. An die Vergehen, die ich verbt, denke ich und an die Vergeltung,die meiner wartet, und deshalb bemchtigt sich Jammer meiner Gedanken, und Leid und Furchterschttern mich. Dies sind, wie gesagt, die zwei bitteren Erinnerungen, welche sich in mirerheben, mich in Furcht setzen und meinen Gebeinen Schrecken einjagen. Dies sind dieErinnerungen, die in mir aufsteigen und mir Schauder erregen, die mich von allen Seitenverwirren und mein Herz tief betrben. Das Gewissen mahnt mich in meinem Innern an meineMissetaten, stellt sie vor mir in Reihen auf und flt so meinen Gliedern Schrecken ein. Es ruftmir die Verschuldungen meiner Jugend und die in mir verborgenen Geschwre der Unsittlichkeit

    ins Gedchtnis zurck und lt dadurch meine Augen von Trnen berflieen und erfllt vorFurcht und Entsetzen meine Gedanken mit Betrbnis. Dabei denke ich tagtglich an dieVerfehlungen in den Tagen meiner Kindheit; denn von all dem, was ich auf der Welt beging,

    bleibt meinen Augen nichts verborgen. Ich denke an die Missetaten, die ich in der Zeit meinerJugend verbte, und denke zugleich an die Gerechtigkeit und rufe Wehe ber mich selbst. Ichdenke an alle meine Schandflecken und zugleich an das furchtbare Gericht, das meiner wartet,und die Seufzer ersticken meinen Geist; denn wohin soll ich gehen? Ich denke an das, was ich

    mir gest habe und was ich einst dafr ernten werde. Ich gedenke des Tages der Vergeltung, undes ergreifen mich Angst und Schrecken.

    3.

    Ich denke an die Zeit, wo jeder ins Gericht mu, und es wird mir Angst, und meine Knie zittern;denn wohin werde ich dann kommen? Ich denke auch an jene Stunde, wo der Brutigam zumGastmahl eintreten wird, um die Geladenen zu besehen1, und Trnen entstrmen meinen Augen.Ich denke an die Zeit, wo man jeden, der schmutzige Kleider anhat, in die Finsternishinauswerfen wird, und wehklage ber mich. Ich denke daran, wie an jenem Tage meine Werke

    1Matth. 22,11 ff.

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    offenkundig werden und ich vor aller Welt beschmt dastehen werde, und die Seufzer ersticken

    meinen Geist. Ich betrachte alle meine Heimlichkeiten und sehe, wie abscheulich sie sind; ichwei auch, da sie offenbar werden, und Schmerz foltert meine Glieder. Ich betrachte das Kleidder Herrlichkeit, das ich in der Taufe angezogen, aber durch meine Vergehungen beschmutzthabe, und Schrecken bemchtigt sich meines Sinnes. Ich betrachte die strahlende Schnheit, mit

    der mich der Allgtige bei meiner Erschaffung schmckte, die ich mir aber durch die Sndenentstellte, und Zhne und Lippen beben mir. Ich betrachte die Herrlichkeit, welche die Gerechtenam Ende erben, und denke zugleich an das schreckliche Feuer, und mein Herz pocht vor Furcht.Ich betrachte das Entsetzen, das die Snder dort ergreift, und Zittern bemchtigt sich meinerGlieder, und Schrecken bringt sie in Bestrzung. Schrecken bemchtigt sich meiner Glieder undSchaudern meiner Gedanken. Brder! An all dies erinnert mich jederzeit mein Gewissen, es stelltmir meine Missetaten in Reihen vor Augen und verbittert mir dadurch tglich das Leben. Wennich alle meine geheimen Verschuldungen berschaue, dann rufe ich ber mich Wehe und preisedie Fehlgeburten selig, welche das Licht dieser Welt nicht erblickten. Besser ist es, ohne

    Sndenschuld im Grabe zu liegen, als mit Snden bedeckt das Licht zu schauen. Wer sichhienieden schuldig macht, ber den bricht am Ende die Finsternis herein.

    4.

    Was soll ich nun beginnen, meine Lieben? Ich bin ja hier und dort von Leiden bedrngt: hierdurch die Furcht wegen meiner Snden, jenseits durch die drohende Strafe. Als ich in meinerJugend sndigte, da dachte ich in meinem Sinn: Wenn ich ins Greisenalter eintreten werde, dannwerde ich schon das Sndigen lassen. Ich berlegte in meinen Gedanken: Wenn der Krper im

    Greisenalter erkalten wird, dann wird auch die Glut meiner Snden sich abkhlen. Aber jetzt

    sehe ich, da mein Wille selbst im Greisenalter nicht von Missetaten ablt; denn hat sich auchder Krper verndert, der Wille ist doch nicht anders geworden. In meiner Jugend lebte ichausgelassen, und in meinem Alter lebe ich schimpflich, und am Ende wartet meiner das Gericht.

    Beladen mit Schuldenlasten, vergingen und entschwanden meine Jugendtage; die Tage desGreisenalters kamen, und auch sie sind mit allerlei Missetaten belastet. Die Zeit der Jugendverbrachte ich im Dienste der Snde, und da nun das Alter herbeigekommen ist, wandle ich dochnoch in meinen Snden. Meine Lieben! Es ist doch wunderlich, dass zwar der Krper seine

    Leidenschaftlichkeit verloren, der Wille aber seine Gewohnheiten nicht abgelegt hat. Der Krperist durch das Greisenalter geschwcht, der Wille dagegen nicht. Grau ist wohl das Haupt, nichtaber das Herz; gealtert ist der Krper, aber alle meine Gedanken verjngen sich immer wieder. Je

    weier das Haar des Hauptes wird, desto schwrzer wird das Herz durch die Snden, und jesiecher der Krper ist, desto krftiger ist der Wille zum Sndigen. Der Wille meiner Jugend istder gleiche noch in meinem Alter; in Ausgelassenheit habe ich beide [Jugend und Alter]zugebracht. Nach meinem Greisenalter kommt aber die Zeit des Todes und nach dem Tode dieAuferstehung und das furchtbare Strafgericht. Wenn ich aber dazu in diese Welt voll belgekommen bin, dann wre es besser gewesen, ich htte sie nie betreten; denn in ihr traf michnichts als Unglck. Warum mute ich denn in diese Welt kommen und in ihr alles mglicheSchlimme sehen, um dann aus ihr eine solche Sndenlast mitfortzunehmen? Job, der ihre bel

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    erfahren hat, sehnte sich zu den verscharrten Fehlgeburten, da er wie sie in der Erde verscharrt

    wre und die arge Welt nie gesehen htte2. Welchen Gewinn habe ich davon, da ich in diesebse Welt kam? In ihr gibt es eine Unzahl von Feinden, und die Anfechtungen hren nicht auf.Es gibt aber auch in ihr Schriften, welche mir von Gericht und Vergeltung predigen. MeineBegierden treiben mich an, zu sndigen; die Schriften dagegen jagen mir Furcht ein. Ich

    schwanke zwischen Furcht und Begierde; was soll ich tun, meine Lieben? Dem schrecklichenGerichte zu entfliehen, ist unmglich, Freunde! Ich wei aber, da meine Vergeltung unheilvollsein wird. Wohin soll ich vor beiden [Furcht und Begierde] meine Zuflucht nehmen?

    5.

    Wenn ich an dies alles denke, dann ergreifen mich Jammer und Entsetzen, foltern mich Leidenund Schmerzen, und Kummer verbittert mir das Leben. Stunde fr Stunde erinnere ich mich anall dies, indem ich meine Heimlichkeiten betrachte, und bittere Seufzer entringen sich in Menge

    meinem Herzen. Schaue ich auf den Tag des Hinscheidens, so sehe ich, da allerdings dannmeine bsen Taten ein Ende nehmen werden; ich sehe aber auch das Grab voll Finsternis underzittere dann wieder vor dem Tode. Ich bete, von hier scheiden zu drfen und durch den Tod denVerschuldungen zu entgehen; allein bei dem Gedanken an den Tag des Hinscheidens erbebenmeine Knie vor Angst. In zwei Dingen liegt fr mich Qual und in dreien 3 Pein; sie alle aberbringen mir Verdammung, Gram und Elend. Sie rufen mir zwar zu, vom Sndigen abzulassen,aber ich vermehre trotzdem meine Schuld. Sterbe ich, so haften sie mir noch im Grabe an, undwerde ich am Jngsten Tage auferweckt, so mu ich geraden Weges in die Hlle wandern.Betrachte und berblicke ich nun dies alles, so ziehe ich das Grab allem anderen vor; denn in ihmwohnt es sich doch besser als hier und als dort in der Hlle. Gro ist fr mich, Brder, die Qual

    sowohl in dieser als in der knftigen Welt; denn hier gibt es Snden und Versuchungen, und dortdroht die Hllenpein. Hier qulen mich die Versuchungen, und der Bse berhuft mich mit allenmglichen Sndenmakeln; im Jenseits martert mich die Pein fr das, was ich in dieser Welt

    verbt habe.

    6.

    Am Tage des Gerichtes hat jeder Angst; denn jeder empfindet an jenem Tage Reue, die groe

    Schar der Vollkommenen allein ausgenommen, Schon dem, der nur hinter ihnen zurckblieb unddas Ma der Vollkommenen nicht erreichte, macht das Gewissen darber Vorwrfe, da er jenen

    nicht gleich geworden ist; denn alle Klassen von Menschen, welche die Stufe der Vollkommenennicht erreichten, betrben sich darber, da sie den Oberen nicht gleich geworden sind. Ich aberund meinesgleichen, o Brder, wir bedauern dort nicht so sehr, da wir des Reiches verlustiggehen, sondern wir rufen in groer Pein und mit klglichem Sthnen, da wir doch wenigstensvor dem Feuer bewahrt werden mchten; denn anders ist der Kummer dessen, der die Gter desReiches verloren hat, und anders ist das Leid dessen, der von Martern gepeinigt wird und vor

    2Job 3,16.3Snden, Tod, Gericht.

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    Schmerzen aufschreit. Wenn dann schon jener, der das Ma der Vollkommenen nicht erreicht

    hat, dort Reue empfindet, was werden erst wir, die im Feuer gepeinigt werden sollen, an jenemTage beginnen? Den Beweis dafr, da das Feuer, von dem die Hl. Schrift redet, heftig ist,entnehme ich von dem irdischen Feuer und seiner bitteren Glut; denn sicher bereitet dasjenseitige Feuer denen, die in dasselbe geworfen werden, eine viel grere Pein als das Feuer

    dieser Welt. Ich wei, da das Feuer jener Welt viel hrter zu ertragen ist als das diesseitige. Dasmu jeder ohne Widerrede besttigen und glauben. Wenn das diesseitige Feuer auch heftig ist, soist doch mit seiner Glut auch sein Glanz verbunden; das jenseitige dagegen verzehrt und ist dabeischreckliche Finsternis und Nacht. Das diesseitige verzehrt nur, solange es Nahrung hat, undwenn es den Vorrat aufgebraucht hat, dann erlischt, verglimmt und verschwindet es. Jenes nieerlschende Feuer verzehrt seine Nahrung nicht; denn nicht zu vernichten, sondern zu marternund zu peinigen ist ihm geheien. Das Feuer dieser Welt verbreitet whrend des Brennens auchGlanz; allein jenes brennt, indem Finsternis und Zhneknirschen mit ihm verbunden sind. Esfrit, zerstrt, vernichtet in lichtlosem Dunkel, es peinigt, ohne je zu erlschen; denn nach dem

    Ausspruche der Hl. Schrift dauert es ewig.

    7.

    Daran denke ich, meine Lieben, und seufze; denn ich wei, da ich wegen der in mir verborgenenMissetaten dafr aufbewahrt bin. Ja, an jenen strengen Urteilsspruch erinnere ich mich jederzeitund beklage bestndig mein Leben, weil mir eine solche Qual bereitet ist. Zugleich gedenke ichjener Beschmung, die mir bevorsteht; denn dort kommen alle Heimlichkeiten vor den Weltenund den Geschpfen an das Licht, und alle, die mich erblicken, werden mich darum ansehen, daich so tief stehe. Nicht so, wie sie bisher von mir dachten, werden sie mich dort sehen; denn sie

    glaubten hienieden von mir, ich sei innerlich ebenso, wie ich uerlich scheine. Ich bin aber inder Tat nicht so. Dort schauen sie meine Makeln, die in dieser Welt in mir verborgen sind, undverwundern sich hchlich und staunen ber die in mir versteckten Geschwre. Dort sehen sie

    gleich Dornen die Missetaten, die ich in mir ausgest habe, und meine Heimlichkeiten treten ansLicht, und jedermann verwundert sich ber mich. Dort erblicken sie gleichsam im Sonnenscheinedie Flecken, die ich in mir heimlich hege, und schauen klar wie im Lichte alle meineVerfehlungen. Dort stehen die Verschuldungen, die in mir verborgen liegen, sichtbar vor Augen,

    und alle Vlker erblicken sie am Gerichtstage wie im Sonnenlichte. Dort werden alle meineSnden vor jedermann bekannt, und keine meiner Missetaten, weder eine groe noch eine kleine,wird dort vergessen. Dort ruft man mir alle meine Snden und Schulden ins Gedchtnis zurck;

    denn alle meine Werke sind im Buche verzeichnet und aufgeschrieben.

    8.

    Wegen dieser bsen Werke, die ich verbt habe, frchte ich mich und erschaudere Tag fr Tagweine ich, Brder, ber das, was meiner in jener Welt wartet. Ich bin mir in meinen Gedankenwohl bewut, da ich nichts Gutes getan habe. Darnach wird auch meine Vergeltung am Tage

    des Gerichtes ausfallen, weil ich mir nur einen Schatz des Bsen hinterlegt habe. Wehe mir,

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    wenn dort am Jngsten Tage all dieses ber mich kommt: Feuer, Finsternis, Pein, die groe

    Beschmung vor der ganzen Welt! Wehe mir dort, wenn der Brutigam zrnend auf die Gsteblicktl Wohin werde ich dann fliehen, und an welchem Orte mich verbergen? Wehe mir, wenn erden Dienern befiehlt, mir Hnde und Fe zu binden und mich aus dem Speisesaalehinauszuwerfen, da sie sehen, da meine Kleider schmutzig sind!4 Wehe mir, wenn sie mich von

    den Schafen auf der rechten Seite entfernen und zu den Bcken auf die linke Seite stellen undmich hinauswerfen! Wehe mir, wenn ich sehen mu, wie die Heiligen die [himmlischen] Gtererben, whrend ich im Feuer brenne! Wohin werde ich mich in jener Zeit wenden? Wehe mirauch, wenn ich in Beschmung und Zittern in der Ferne stehe und meine Augen nicht zu erhebenvermag, um jenen Richter anzuschauen! Wehe mir, wenn der Brutigam mich dort verleugnet, alskenne er mich nicht, die Tre vor mir verschliet und mich in die Hlle sendet! Wehe mir, wennich sehen mu, wie die Auserwhlten ihre Anteile erhalten, die Pforte des Reiches danngeschlossen wird und jeder sein Erbe antritt! Wehe mir, wenn der Ausspruch ber mich ergeht,da mir die Pforte verschlossen sei und da ich drauen bleiben msse in Qual, Heulen und

    Zhneknirschen!

    9.

    Dies macht mich, meine Lieben, immer beben und zittern, wenn ich meine geheimen Sndenbetrachte und meine Werke erwge. Diese furchtbare Erinnerung an meine Snden und an denTag des Gerichtes flt meinen Gliedern Schrecken ein und erfllt meine Gedanken mit Angst.Wunderlich ist aber dies, meine Lieben, da ich dies alles wei und klar erkenne, was mirfrommen wrde, und dennoch alles Bse verbe. Ich wei, wie bitter mir vergolten werden wird,aber ich tue trotzdem Verkehrtes; ich kenne die guten Werke, begehe aber die bsen. Ich lese die

    Bcher des Geistes, welche vom5

    Hl. Geiste geschrieben sind und Gericht und Strafe, aber auchdas Brautgemach des Lichtes und das Himmelreich verknden. Ich lese, aber ich befolge nichts;ich lehre, aber ich lerne nichts. Ich bin in den Bchern und in den Schriftlesungen wohl

    bewandert, bin aber von meiner Pflicht weit entfernt. Ich lese anderen die Hl. Schrift vor, alleinnichts dringt in meine Ohren ein. Den Unwissenden gebe ich Erklrungen und Ermahnungen,aber mir selbst zu ntzen, das bringe ich nicht zuwege. Wohl ffne ich das Buch und lese undseufze, schliee es dann wieder und habe schon wieder vergessen, was darin steht. Sind die

    Schriften meinen Augen entschwunden, dann sind auch schon ihre Lehren ebenfalls aus meinemGedchtnis entschwunden. Was soll ich also, meine Lieben, mit dieser Welt anfangen, in die ich[nun einmal] eingetreten bin, und mit dem Krper voll bel6, der mich zu Begierden reizt? Die

    hl. Schriften erschrecken mich wegen des Gerichtes und der Vergeltung; die Begierden dagegendrngen mich, die Werke des Fleisches zu tun. So bin ich in Wahrheit zwischen Gericht undFurcht gestellt; darum rufe ich Tag fr Tag Wehe ber mein Leben und preise mit Recht dieverscharrten Fehlgeburten und die Kinder selig, die nie in diese Welt der bel7 eingetreten sindund daher auch keine [Snden-] Last aus ihr weggetragen haben. Wer in ihr tugendhaft leben,

    4Matth. 22,13.5oder im Hl. Geiste, d. h. unter Eingebung des Hl. Geistes. 6oder Bosheiten.7oder Bosheiten.

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    Ruhe finden und dem Kampfe und dem Gerichte entgehen will, den berwltigen Krieg und

    Kampf [schlielich doch]. Hienieden Krieg zu fhren und tugendhaft zu leben, gestattet mir derLeib nicht. Gebe ich mich aber meinen Begierden hin, so ist am Ende meine Vergeltung bitter. Sonehme ich denn zu dir, o Herr, meine Zuflucht vor dieser argen Welt und vor dem Leibe vollerbel, dieser Ursache aller Snden. Daher sage ich, wie einst der Apostel Paulus8 gesagt hat:

    Wann werde ich doch von diesem Leibe des Todes befreit werden?

    10.

    Whrend aber mein Inneres bei dieser schmerzlichen Erwgung fiebert, dringt eine andere

    Regung auf mich ein und entfernt aus meinem Herzen die Trauer. Heimlich erhebt sich inmeinem Sinn ein ermutigender Gedanke, erteilt mir einen guten Rat und bietet mir die Hand zurHoffnung. Ich sehe im Geiste die Bue ermutigend vor mir stehen, wie sie mir eine trstliche

    Verheiung ins Ohr flstert. Ermutigend spricht sie zu mir: Wenn du dich als Snder darber

    betrbst, da die Reue unntz sei, wozu betrbst du dich dann, o Snder, [ber deine Snden]?

    [Darauf erwidere ich:] Eben deshalb, weil Reue und Trnen ohne irgendeinen Gewinn michbrennen und martern, gerate ich beim Anblick meiner Sndenmenge in Verzweiflung.

    Vernimm, o Snder , flstert mir wieder die Bue ins Ohr, ich will dir eine sehr heilsame

    Lehre und einen lebenspendenden Rat geben. Hre mich an, ich will dir zeigen, wie du auf dierechte Weise trauern mut, damit der Schmerz dir zum Nutzen gereiche und dein Weinen dirHilfe bringe. Falle nicht in Mutlosigkeit und berlasse dich nicht der Verzweiflung! La beimAnblicke deiner Verschuldungen den Mut nicht sinken und bersieh deinen Vorteil nicht! Gtigund huldreich ist ja dein Herr; er sehnt sich, dich an seiner Pforte zu sehen und freut sich berdich, wenn du dich bekehrst, und nimmt dich mit Freuden wieder auf. Deine groe Schuld

    kommt nicht einmal dem kleinsten Trpflein seiner Barmherzigkeit gleich; er reinigt dich von derSnde, welche in dir herrscht, durch seine Gnade. Das Meer deiner Snden vermag nicht denleisesten Hauch seiner Erbarmung zu berwinden, ja selbst die Ungerechtigkeit der ganzen Welt

    berwltigt nicht das Meer seiner Gnade.

    11.

    Wenn du auch mit Sndenschuld behaftet einhergehst, so halte dich nur von Missetaten zurck,

    gehe an seine Pforte, er wird dich hineinlassen. Denke ja nicht, du habest zuviel gefrevelt undwerdest nicht aufgenommen, wenn du zurckkehrst, damit du nicht etwa dich dadurch abhalten

    lassest, Bue zu tun! Schaue nicht auf die Menge deiner geheimen Snden, damit du nichtvernachlssigest, was dir zum [ewigen] Leben dient! Denn dein Herr kann dich rein machen undvon deiner Befleckung wei waschen. Sollte der Sndenschmutz auch noch so tief in dicheingedrungen sein, wie die Farbe in die Wolle, er macht dich wei wie Schnee, wie beimPropheten9 geschrieben steht. O Snder, la nur von deinen Missetaten ab und bereue, was dugesndigt hast, dann wird er dich in seiner Erbarmung wieder aufnehmen. La deine frheren

    8Rm. 7,249Is. 1,18.

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    Makeln und komme zu ihm, dann wird er dich wieder aufnehmen. Ja, sagt zu mir die Bue,

    ich brge dir dafr. Tue nur, wie ich dir sage, o Snder und Unreiner, dann nimmt dich dergtige Herr wieder auf und umarmt dich wie ich. O Snder, wenn du beweinst und bereust, wasdu gefrevelt, und ihn glubig anflehst, dann lt er dir deine Missetaten nach und ergiet berdich die Flle seines Erbarmens; denn er drstet und lechzt nach deiner Umkehr und she dich so

    gerne an seiner Pforte, weil er sich selbst dem Tode und der Schmach fr die Bsen und dieSnder berliefert hat.

    12.

    Es ist in Wahrheit so, o Snder, wie ich sagte: grausam und bitter ist die Pein, welche derbeltter wartet. Im furchtbaren, unauslschlichen Feuer und vom unsterblichen Wurme werden,wie die Schrift sagt10, die Snder gepeinigt, wenn am Ende das Gericht stattfindet. Wisse aber

    auch dies, o Snder, spricht die Bue weiter zu mir, da es nicht in meiner Macht steht, dem

    Snder im Jenseits irgendwie ntzen zu knnen. Wer mich hier nicht hrt und nicht unter meinenFlgeln Schutz sucht, dem vermag ich auch dort in jener Welt nicht mehr zu helfen. Dort werdeich nicht mehr zugelassen, fr den Snder Frbitte einzulegen, der hier nicht zu mir eilte undunter meine Flgel flchtete. Darum rate ich dir, o Snder, zu deinem Heile dieses: Komm zumir, solange du noch in dieser Welt bist, und du wirst durch mich leben! Ich bitte fr dich beiseiner Gnade um Verzeihung deiner Schulden und rhre sie [die Gnade Gottes] durch meineTrnen, da sie die Gerechtigkeit um Schonung anflehe. Ich trete mit dir vor die Gnade hin, umabzubitten, und beschwre sie mit Trnen, da sie um Erbarmung fr deine Makeln anhalte, Ichvertraue auf die Gnade, sie werde meine Frbitte fr dich hren und sofort hingehen, um dieGerechtigkeit deinetwegen zu besnftigen. Ja, die Gnade fat selbst deine Hnde, o Snder,

    unsichtbar und tritt frbittend vor die Gerechtigkeit und redet sie mit folgenden Worten an: ,Ober alles furchtbare Gerechtigkeit, schau doch diesen Ber an! Wohl war er ein Snder undBefleckter, allein jetzt ist er zum Ber geworden. Schau ihn an, wie er in Schauder, Furcht und

    Beschmung ber seine frheren Snden dasteht und mit Seufzen dich um Vergebung anfleht!Schau auf seine Seufzer und Trnen, auf seine Reue und sein Herzeleid und la ihm alle seineFehltritte nach, wenn er nie mehr zu ihnen zurckkehrt! Schau ihn an, wie er vor Traurigkeitseines Herzens in Verzweiflung zu fallen im Begriffe steht! Wird er bei dem Falle nicht ermutigt,

    so geht er verloren. Reiche ihm also die Hand und la ihn den Ruf der Vergebung hren, auf daer sich eilends erhebe in der Hoffnung, aufgenommen zu werden, wenn er zu dem barmherzigenHerrn zurckkehrt.

    13.

    Meine Lieben! Diese Worte bildeten sich heimlich in meinem Geiste nach der Furcht und nachdem Schrecken, die sich in mir wegen meiner Snden geregt haben. Mit Recht habe ich die Buepersonifiziert und redend eingefhrt, um aus meinem schwachen Herzen Schmerz undEntmutigung zu vertreiben. Um allen meinen Sndengenossen Veranlassung des Trostes, der

    10Mark. 9,47; Is. 66,24.

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    Hoffnung und der Bekehrung zu werden, habe ich dies gesagt, meine Lieben! Gepriesen sei der

    Allgtige und Huldreiche, der sich ber uns freut, wenn wir uns bekehren, und uns freudig ohneVorwurf aus Liebe aufnimmt! Gepriesen sei der Gndige, dessen Pforte Guten und Bsen zumEintritt offen steht und der den Bsen die Tre seiner Gnade nicht verschliet, wenn sieumkehren! Gepriesen sei er, der allen die Mglichkeit gibt, das Reich zu erben: den Gerechten

    durch ihre Tugenden, den Sndern durch die Bue! Gepriesen sei er, der fr die Snder sichselbst dem Tode und der Schmach hingab und die schimpfliche Kreuzigung erduldete, nur damitdie Snder das Leben erlangen mchten! Gepriesen sei er, der uns aus Gnade erschuf und dannkam, um uns durch sein Kreuz zu erlsen! Er wird wiederkommen und uns am groen Tageseiner Ankunft auferwecken. Mache uns, o Gtiger, durch deine Gnade wrdig, da wir am Tagedes Gerichtes deine Barmherzigkeit schauen und dir, o Gott, mit den Gerechten Verherrlichungdarbringen in alle Ewigkeit!