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Epochen der französischen und italienischen Literatur Thomas Klinkert Mo 12 – 14 Uhr Raum 3118 Vorlesung vom 12.12.2011

Epochen der französischen und italienischen Literatur · Plan der Vorlesung • 24. 10. Grundlegende Bemerkungen zur Problematik von Epochen • 31. 10. Grundzüge mittelalterlicher

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Epochen der französischen und italienischen Literatur

Thomas Klinkert Mo 12 – 14 Uhr

Raum 3118

Vorlesung vom 12.12.2011

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Plan der Vorlesung •  24. 10. Grundlegende Bemerkungen zur Problematik von Epochen •  31. 10. Grundzüge mittelalterlicher Literatur •  07. 11. entfällt (wg. Prüfungswoche) •  14. 11. Chanson de geste und höfischer Roman •  21. 11. Lyrik •  28. 11. Der Roman de la Rose •  05. 12. Dantes Commedia •  12. 12. Boccaccio und die Novellistik •  19. 12. Petrarca •  09. 01. entfällt (wg. Kongressteilnahme) •  16. 01. Ariosts Orlando Furioso •  23. 01. Die Commedia erudita •  30. 01. Rabelais •  06. 02. Ronsard •  13. 02. Klausur

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Siebte Vorlesung

Boccaccio und die Novellistik

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Novelle

•  [...] intendo di raccontare cento novelle, o favole o parabole o istorie che dire le vogliamo [...] (G. Boccaccio, Decameron. A cura di Cesare Segre. Commento di Maria Segre Consigli, Milano 1986, S. 26)

•  [...] möchte ich hundert Novellen erzählen oder Fabeln oder Parabeln oder Geschichten, wie auch immer wir sie nennen wollen [...] (Übers. TK)

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Rahmen

Ein Rahmen dient seiner allgemeinsten Bestimmung nach dazu, etwas zu umschließen, zusammenzuhalten und einzuordnen. Als literarisches Strukturelement hängt seine Verwendung von dem Bedürfnis ab, das ein Autor empfindet, die von ihm in den Novellen bruchstückhaft wiedergegebene Realität zu ordnen bzw. davon, ob er sich von seiner Ideologie her zu einem solchen Ordnungsversuch in der Lage sieht. Dieses Bedürfnis ist je nach der historischen Situation und der darauf fußenden Ideologie verschieden stark und verschieden gerichtet. Ideologie und Rahmenfiktion haben daher in ihrem jeweiligen Bereich fast identische Funktionen: beide versuchen, Fragmente einer konfusen und unzusammenhängenden Realität (im Bereich der Novellistik: die einzelnen Novellen) in einen geordneten, kohärenten und systematischen Bezug zueinander zu setzen. (Hermann H. Wetzel, Die romanische Novelle bis Cervantes, Stuttgart 1977, S. 20)

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Rahmen

Eine Rahmenfiktion wird literarisch erst nötig, wenn ein fragloser, selbstverständlicher, von allen (dem Autor wie auch den potentiellen Lesern) akzeptierter Zusammenhalt der Realitätspartikel nicht mehr gewährleistet ist. Das heißt auf die Literaturgeschichte angewendet: solange das Mittelalter über ein gefestigtes religiöses und ständisches Weltbild verfügte, konnte die dichterische Fiktion im Epos die Wirklichkeit mühelos in einen durch den Heilsplan Gottes und die Ständeordnung von außen her gegebenen Zusammenhang stellen, die Handlung war gewissermaßen durch Vorsehung und Geburt strukturiert. Auf der Seite der Kurzerzählung konnten die mittelalterlichen Exemplasammlungen eine Unzahl divergierender Realitätspartikel – Geschichten aus der Antike bis zur Gegenwart – unverbunden aneinanderreihen, da sowohl der Autor als auch der Leser die beruhigende Gewißheit hatte, alles ruht eingebettet in die göttliche Heilsordnung, wie sie dann anhand des Exempels meist allegorisch in der Predigt expliziert wurde. Exemplasammlungen brauchten somit keinen narrativ ausgestalteten Rahmen, da seine Funktion vom außerliterarischen Kontext übernommen wurde. (Wetzel, S. 20 f.)

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Das mittelalterliche Analogiedenken

Als das wesentlichste Merkmal des zu Boccaccios Zeit in die Krise geratenen überkommenen Diskurses könnte man ein Moment begreifen, das im Anschluß an Foucault zu bezeichnen wäre als Konzeptualisierung im Zeichen der Ähnlichkeit. Gemeint ist damit, daß die mittelalterliche Episteme die Vielheit der Erscheinungswelt [...] einer Reduktion unterwirft, die über die in der primär-sprachlichen Modellierung immer schon enthaltene Abstraktion hinausreicht [...]. (Joachim Küpper, „Affichierte ‚Exemplarität‘, tatsächliche A-Systematik. Boccaccios Decameron und die Episteme der Renaissance“, in: Klaus W. Hempfer (Hg.), Renaissance. Diskursstrukturen und epistemologische Voraussetzungen. Literatur – Philosophie – Bildende Kunst, Stuttgart 1993, S. 47-93, S. 81)

Der Kosmos wird verstanden als Fülle von ‚Abdrucken‘ des göttlichen Siegels (‚suggello‘/‚typos‘), welches sich in der stets unterschiedlich ‚gefügigen‘ Materie (dem Wachs) in unendlicher Wiederholung ausdruckt und so die vielfältige, aber dennoch analogische, da immer auf das Siegel verweisende Erscheinungswelt hervorbringt. (Küpper, S. 82)

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Das mittelalterliche Analogiedenken

Nihil enim esse potest, quod non procedat a divina sapientia per quandam imitationem, sicut a primo principio effectivo et formali; prout autem artificiata procedunt a sapientia artificis. Sic igitur inquantum similitudo divinae sapientiae gradatim procedit a supremis, quae magis participant de eius similitudine, usque ad infima rerum, quae minus participant, dicitur esse quidam processus et motus divinae sapientiae in res: sicut si dicamus solem procedere usque ad terram, inquantum radius luminis eius usque ad terram pertingit. (Thomas von Aquin, Summa theologiae, Ia, 9, 1, zit. nach Küpper, S. 82)

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Das mittelalterliche Analogiedenken

Denn nichts kann existieren, was nicht durch eine gewisse Imitation aus der göttlichen Weisheit hervorginge, wie aus dem obersten wirksamen und formgebenden Prinzip; so wie ja auch das Kunstwerk aus der Weisheit des Künstlers hervorgeht. So also wie die Ähnlichkeit zur göttlichen Weisheit allmählich heruntersteigt von den höchsten Dingen, die mehr Anteil haben an dieser Ähnlichkeit, bis zu den untersten Dingen, die weniger Anteil daran haben, kann man sagen, daß ein bestimmter Prozeß und eine bestimmte Bewegung der göttlichen Weisheit in den Dingen liegt: so wie wenn wir sagen, daß die Sonne zur Erde herabsteigt, insofern als ihre Lichtstrahlen bis zur Erde herunterscheinen. (Übers. TK)

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Das Exemplum als Ausdruck des Analogiedenkens

Das Analogiedenken: „Das Dogma der Offenbarung des göttlichen Willens in der Schrift und die Auffassung von der auf den Schöpfer verweisenden Analogie alles Geschaffenen verbinden sich zur Vorstellung einer wahren ‚lex naturalis‘, einer auf alle Zeiten gegebenen, gesetzeshaften und erkennbaren Ordnung der Welt.“ (Küpper, S. 82)

Das Exemplum, die kurze Beispielgeschichte mit belehrender Funktion, bezeichnet eine Form des narrativen Sprechens, die durch ihre präzise Handlungseinbindung ausgezeichnet ist: Als ein ‚argument narratif‘ (Le Goff 1982: 28) ist die exemplarische Erzählung vollständig durch ihren argumentativen Kontext determiniert, sie bildet ein entscheidendes Moment in einem Überzeugungsprozeß, sie vermittelt Regeln für das praktische Handeln auf der Grundlage einer ‚wahren‘ Geschichte. (Raymund Wilhelm, „Geschichtenerzählen und Lebenspraxis. Funktionen des Erzählens im Conde Lucanor und im Decameron“, in: Romanische Forschungen 110, 1998, S. 37-67, hier S. 37)

Das Exemplum „macht das der analogischen Episteme fundamentale Konzept didaktisch verwertbar, indem es die jeweiligen ‚Gesetzmäßigkeiten‘ in Geschichten illustriert.“ (Küpper, S. 83)

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Die Krise des mittelalterlichen Analogiedenkens

Der Pariser Bischof Etienne Tempier setzt sich in einem Dekret (1277) mit dem Dogma von der Allmacht Gottes auseinander und stellt dabei das analogische Weltbild infrage: [...] der Gedanke, die ganze Welt auf Gott hin geordnet und ihm ähnlich sowie in dieser Ähnlichkeit ein für alle Mal, quasi gesetzeshaft, fixiert zu sehen, bedeute, Gott als Größe zu fassen, die durch die Entäußerung an die Schöpfung in ihrem Wollen limitiert sei, und ihm letztlich die Allmacht abzusprechen. (Küpper, S. 84) Das Konzept der Wirklichkeit als Wiederholung eines stets gleichbleibenden Vorrats an ‚Typen‘ und damit die analogische Rede über Welt werden fundamental unsinnig, da sie der göttlichen Macht und Unverfügbarkeit nicht Rechnung tragen. (Küpper, S. 85)

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Vom Exempel zur Novelle

Erst die Entwicklung eines bürgerlichen Selbstbewußtseins im Zusammenhang mit dem Zerfall der feudalen und religiösen Ordnungen läßt das Bedürfnis und die Fähigkeit entstehen, die nun nicht mehr fraglos geordnete Welt neu und zwar autonom zu ordnen. (Wetzel, S. 21)

Die einzelne Geschichte fungiert nicht mehr automatisch als ein typisches Beispiel (Exemplum) im vorgegebenen Bezugsrahmen des mittelalterlichen Ordo, sondern sie wird zum einmaligen, unerhörten Fall (novella), den es erst einzuordnen gilt und dessen Einordnung prekär bleibt. Die Realität zerfällt in Bruchstücke, die Geschichte in Geschichten, denen der Autor einen neuen, künstlichen Zusammenhalt verschafft – oder gegebenenfalls auch nicht; er setzt seine Ideologie an die Stelle der früher allgemeingültigen religiösen und gesellschaftlichen Vorstellungen. (ebd.)

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Das narrative Programm des Decameron

Adunque, acciò che per me in parte s’ammendi il peccato della Fortuna, la quale dove meno era di forza, sí come noi nelle dilicate donne veggiamo, quivi piú avara fu di sostegno, in soccorso e rifugio di quelle che amano [...] intendo di raccontare cento novelle, o favole o parabole o istorie che dire le vogliamo, raccontate in dieci giorni, come manifestamente apparirà, da una onesta brigata di sette donne e di tre giovani, nel pestilenzioso tempo della passata mortalità fatta, e alcune canzonette dalle predette donne cantate al lor diletto. Nelle quali novelle, piacevoli e aspri casi d’amore e altri fortunosi avvenimenti si vedranno, cosí ne’ moderni tempi avvenuti come negli antichi; delle quali le già dette donne, che quelle leggeranno, parimente diletto delle sollazzevoli cose in quelle mostrate e utile consiglio potranno pigliare, in quanto potranno cognoscere quello che sia da fuggire e che sia similmente da seguitare; le quali cose senza passamento di noia non credo che possano intervenire. Il che se avviene, che voglia Iddio che cosí sia, ad Amore ne rendano grazie, il quale, liberandomi da’ suoi legami, m’ha conceduto il potere attendere a’ loro piaceri. (Decameron, Proemio, 26 f.)

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Das narrative Programm des Decameron

Damit nun durch mich die Unbilligkeit des Glücks teilweise wiedergutgemacht werde, welches, wo die Kraft – wie bei den zarten Frauen – am geringsten ist, auch mit seinen Gaben am geizigsten zu sein pflegt, gedenke ich, zur Hilfe und Zuflucht der Liebenden [...] hundert Geschichten, Fabeln, Parabeln oder wirkliche Begebenheiten, wie wir sie nennen wollen, mitzuteilen, die zur verderblichen Zeit der letzten Pest von sieben Damen und drei jungen Männern erzählt wurden. Auch will ich einige Liedlein hinzufügen. In diesen Geschichten wird man lustige und traurige Liebesmärlein und andere abenteuerliche Begebenheiten kennenlernen, die sich in neuer und alter Zeit zugetragen haben. Aus ihnen werden die Damen, welche sie lesen, gleichermaßen Lust an den spaßhaften Dingen, die darin vorkommen, schöpfen können als auch guten Rat und Belehrung, was zu fliehen und was zu erstreben ist. Mich dünkt, dies alles könne nicht geschehen, ohne daß die üble Laune entschwände. Geschieht aber das, und Gott gebe, daß es geschehe, so mögen die Leser Amor ihren Dank sagen, der mich von seinen Fesseln befreit und mir erlaubt hat, auf ihr Vergnügen bedacht zu sein. (Übers. Karl Witte)

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Die narrativen Ebenen des Decameron

1. Der Sprecher des Proemio als übergeordneter Erzähler (Rahmen; Erzähler 1. Grades)

2. Die brigata (Binnenerzähler, Erzähler 2. Grades)

3. Die Novellen (fakultativ: Erzähler 3. Grades, z.B. in der Ring-Novelle, I.3)

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Infragestellung der Exemplarität

Niuna corrotta mente intese mai sanamente parola: e cosí come le oneste a quella non giovano, cosí quelle, che tanto oneste non sono, la ben disposta non posson contaminare, se non come il loto i solari raggi o le terrene brutture le bellezze del cielo. Quali libri, quali parole, quali lettere son piú sante, piú degne, piú riverende, che quelle della divina Scrittura? E sí sono egli stati assai che, quelle perversamente intendendo, sé e altrui a perdizione hanno tratto. Ciascuna cosa in se medesima è buona ad alcuna cosa, e male adoperata può essere nociva di molte; e cosí dico delle mie novelle. (Decameron, „Conclusione dell‘autore“, S. 674)

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Infragestellung der Exemplarität

Kein verdorbener Sinn verstand jemals ein Wort in der rechten Bedeutung, und so wie einem solchen die anständigen Worte nichts nutzen, so können auch diejenigen, die nicht ganz anständig sind, den wohlgearteten Sinn nicht mehr beflecken als der Schmutz die Sonnenstrahlen oder die irdische Unreinigkeit die Schönheit des Himmels. Welche Bücher, welche Worte, ja welche Buchstaben sind heiliger, erhabener und ehrwürdiger als die der Heiligen Schrift? Und doch hat es Menschen genug gegeben, die durch ein falsches Verständnis derselben sich und andere ins Verderben gestürzt haben. Jedes Ding ist an sich zu irgend etwas gut, schlecht angewendet aber kann es zu vielem schädlich sein, und ebendies sage ich von meinen Geschichten. (Übers. Karl Witte)

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Die zehn Tage des Decameron

•  I: sotto il reggimento di Pampinea si ragiona di quello che piú aggrada a ciascheduno •  II: sotto il reggimento di Filomena, si ragiona di chi, da diverse cose infestato, sia oltre alla sua

speranza riuscito a lieto fine •  III: si ragiona, sotto il reggimento di Neifile, di chi alcuna cosa molto da lui disiderata con industria

acquistasse o la perduta ricoverasse •  IV: sotto il reggimento di Filostrato, si ragiona di coloro li cui amori ebbero infelice fine •  V: sotto il reggimento di Fiammetta, si ragiona di ciò che ad alcuno amante, dopo alcuni fieri o

sventurati accidenti, felicemente avvenisse •  VI: sotto il reggimento d’Elissa, si ragiona di chi con alcuno leggiadro motto, tentato, si riscosse, o

con pronta risposta o avvedimento fuggí perdita o pericolo o scorno •  VII: sotto il reggimento di Dioneo, si ragiona delle beffe, le quali, o per amore o per salvamento di

loro, le donne hanno già fatte a’ lor mariti, senza essersene avveduti o no •  VIII: sotto il reggimento di Lauretta, si ragiona di quelle beffe che tutto il giorno o donna ad uomo

o uomo a donna o l’uno uomo all’altro si fanno •  IX: sotto il reggimento d’Emilia, si ragiona ciascuno secondo che gli piace e di quello che piú gli

aggrada •  X: sotto il reggimento di Panfilo, si ragiona di chi liberalmente ovvero magnificamente alcuna cosa

operasse intorno a’ fatti d’amore o d’altra cosa

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Die zehn Tage des Decameron

•  I: unter der Herrschaft von Pampinea spricht man von den Dingen, die jedem am besten gefallen •  II: unter der Herrschaft von Filomena spricht man von denen, deren Geschichte, nachdem sie

unter verschiedenen Heimsuchungen gelitten haben, zu einem unverhofft glücklichen Ende gekommen ist

•  III: man spricht unter der Herrschaft von Neifile von denen, die mit Anstrengung eine von ihnen stark begehrte Sache erworben oder eine verlorene wiedergefunden haben

•  IV: unter der Herrschaft von Filostrato spricht man von jenen, deren Liebesgeschichten einen unglücklichen Ausgang nahmen

•  V: unter der Herrschaft von Fiammetta spricht man von den Angelegenheiten, die bei Liebenden nach grausamen oder unglücklichen Entwicklungen noch zu einem glücklichen Ende kamen

•  VI: unter der Herrschaft von Elissa spricht man von denen, die, nachdem sie herausgefordert worden sind, sich mit einem anmutigen Wort befreit haben oder mit einer schlagfertigen Antwort oder mit Besonnenheit sich Schaden, Gefahr oder Spott entziehen konnten

•  VII: unter der Herrschaft von Dioneo spricht man von den Streichen, welche die Frauen entweder aus Liebe oder um sich zu retten ihren Männern gespielt haben, ob diese es gemerkt haben oder nicht

•  VIII: unter der Herrschaft von Lauretta spricht man von jenen Streichen, welche Frauen den Männern oder Männer den Frauen oder ein Mann dem anderen ständig spielen

•  IX: unter der Herrschaft von Emilia spricht jeder so, wie es ihm gefällt, und von den Gegenständen, die ihm an angenehmsten sind

•  X: unter der Herrschaft von Panfilo spricht man von denen, die irgendetwas mit Freigebigkeit oder Großmut im Zusammenhang mit Liebe oder mit anderen Dingen getan haben Vorlesung vom 12.12.2011

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Lektürehinweise

•  Asor Rosa, Alberto, „Decameron di Giovanni Boccaccio“, in: ders. (Hg.), Letteratura italiana. Le opere. I – Dalle origini al cinquecento, Torino 1992, S. 473–591.

•  Kablitz, Andreas, „Boccaccios Decameron zwischen Archaik und Modernität – Überlegungen zur achten Novelle des zehnten Tages“, in: A. Kablitz/U. Schulz-Buschhaus (Hg.), Literarhistorische Begegnungen (Festschrift B. König), Tübingen 1993, 147–181.

•  Klinkert, Thomas, „Ordnungen des Wissens im Novellino“, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 34 (2010), S. 191–205.

•  –––, „Die italienische Griselda-Rezeption im 14. und 15. Jahrhundert“, in: Achim Aurnhammer/Hans-Jochen Schiewer (Hg.), Die deutsche Griselda. Transformationen einer literarischen Figuration von Boccaccio bis zur Moderne, Berlin/New York 2010, S. 55–72.

•  Küpper, „Affichierte ‚Exemplarität‘, tatsächliche A-Systematik. Boccaccios Decameron und die Episteme der Renaissance“, in: Klaus W. Hempfer (Hg.), Renaissance. Diskursstrukturen und epistemologische Voraussetzungen. Literatur – Philosophie – Bildende Kunst, Stuttgart 1993, S. 47–93.

•  Neuschäfer, Hans-Jörg, Boccaccio und der Beginn der Novelle – Strukturen der Kurzerzählung auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 1969.

•  Todorov, Tzvetan, Grammaire du Décaméron, The Hague-Paris 1969. •  Wetzel, Die romanische Novelle bis Cervantes, Stuttgart 1977. •  Wilhelm, Raymund, „Geschichtenerzählen und Lebenspraxis. Funktionen des Erzählens im

Conde Lucanor und im Decameron“, in: Romanische Forschungen 110 (1998), 37–67.

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