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Apenrade/Aabenraa Der Nordschleswiger: Herr Han- sen, Sie waren 13 1/2 Jahre BDN-Hauptvorsitzender. Welches waren – im Rück- blick auf diese Zeit – Ihre größten Erfolge für die deut- sche Minderheit? Hans Heinrich Hansen: Ohne Zweifel sind das die Erfolge, die wir mit der Kommunalreform erzielt haben. Wir hatten ursprüng- lich drei Forderungen: 1. der Staat soll die soziale und kulturelle Arbeit des BDN absichern, 2. die Schleswig- sche Partei (SP) soll den glei- chen Einfluss wie bisher ha- ben und 3. die grenzüber- schreitende Zusammenar- beit. Punkt 1 haben wir er- reicht. Wir sind durch Geset- ze abgesichert, dass sich der Staat verpflichtet fühlt. Das ist minderheitenpolitisch genau das Richtige: Der Staat ist verantwortlich für seine Minderheiten. Dies hat der dänische Staat erkannt. Bei Punkt 2 – dem Einfluss der SP in den neuen vier nordschleswigschen Kom- munen – war es außeror- dentlich kritisch. In den früheren 23 Kommunen waren wir in fünf mit insge- samt sieben Ratsmitgliedern vertreten, darüber hinaus hatten wir ein Amtsratsmit- glied. Die gefundene 25-Pro- zent-Lösung zeigt, wie nütz- lich es sein kann, wenn man internationale Minderhei- tenarbeit leistet. Denn diese Lösung wurde in einem Ge- spräch mit einem Ungarn- deutschen in St. Petersburg kreiert. Zu Punkt 3 in der grenz- überschreitenden Zusam- menarbeit wurde unser Vor- schlag realisiert, den Regio- nalrat Sønderjylland-Schles- wig von 42 auf 22 Mitglieder zu reduzieren, um rationel- ler zu arbeiten. Die Regio- nalversammlung Sønderjyl- land-Schleswig hat, was ich bedauere, nicht den Stand erreicht, den wir angedacht hatten: dass sie Mittel bekommen sollte, um die grenzüberschreitende Zu- sammenarbeit zu steuern. Die Interreg-Mittel dorthin zu legen, hat man von deut- scher Seite nicht gewollt. Heute meint man, es sei ein schlechter Vorschlag gewe- sen, die Regionalversamm- lung zu reduzieren. Ich mei- ne noch immer, dass es ein guter Vorschlag war. Wenn man aber nur einen Teil des- sen durchführt, was vorge- schlagen wird, kann man natürlich nicht erwarten, dass es das gleiche Produkt ist, das wir eigentlich vorge- schlagen hatten. Der Nordschleswiger: Es gibt aber noch weiteres Be- deutungsvolles. Hansen: Ja. Die Teilnahme der deutschen Volksgruppe an der Feier des 75. Jahresta- ges der Abtretung Nord- schleswigs von Deutschland an Dänemark im Juli 1995 setze ich noch immer als das Höchste. Königin Mar- grethe, Staatsminister Poul Nyrup Rasmussen, der Vor- sitzende des Südschleswig- schen Vereins, Heinrich Schultz, und ich sprachen. Man muss immer wieder für unsere Grenzregion heraus- streichen, dass wir seit der Abgabe der Bonn-Kopenha- gener Erklärungen von 1955 die Gleichberechtigung ha- ben ... Der Nordschleswiger: ... die aber erst erkämpft und entwickelt werden musste. Hansen: Richtig, das war eine schwierige Prozedur. Aber einen Rechtsstatus zu schaffen, ist allemal leichter als eine Gleichwertigkeit zu schaffen. Für mich ist Gleichwertigkeit ein wichti- ger Begriff. Düppel hat dazu beigetragen, dass die deut- sche Minderheit ein natür- lich Bestandteil dieser Grenzregion ist. Der Nordschleswiger: War die Feier in Düppel nicht auch zugleich ein Symbol für die Integration der deut- schen Volksgruppe in Nord- schleswig? Hansen: Ja, in die Gesamt- bevölkerung in Dänemark. Und die Einladung unter- strich, dass man zwar eine Rechtslage schaffen kann. Wenn diese Rechtslage aber nicht gleichzeitig begleitet wird von einem guten Wil- len, funktioniert es nicht. Das war der entscheidende Punkt: Die Einladung und das Festhalten daran trotz der großen Widerstände, die es in der Presse gab, waren ein Ausdruck des guten Wil- lens der dänischen Seite. Der Nordschleswiger: 1994 prägten Sie das Motto »Iden- tität durch Qualität«, und in Ihrer ersten öffentliche Rede haben Sie unterstrichen, »Minderheitenpolitik ohne Minderwertigkeitskomple- xe« zu machen. Hansen: Ja, das ist noch immer mein Credo – auch auf europäischer Ebene. Sehr viele Minderheiten ha- ben durch den Assimilati- onsdruck, der auf sie aus- geübt wird, und dadurch, dass sie sich von der Mehr- heit in ihrer Umgebung in Kultur und Sprache unter- scheiden, oft Minderwertig- keitskomplexe. Das Anders- sein, das Nicht-anerkannt- Sein bewirken bei den Men- schen oft, dass sie sich min- derwertig fühlen. In diesem Augenblick sind sie kein ebenbürtiger Gesprächs- partner, und dann werden sie nicht ernst genommen. Wenn man Minderwertig- keitskomplexe hat, neigt man oft dazu, ins Extreme zu gehen. Der Nordschleswiger: In den letzten Jahren Ihrer Amtszeit sprachen sie oft von Gesprächen und Ver- handlungen auf Augenhöhe mit der dänischen und der deutschen Seite. Das ist Ih- nen offenkundig gelungen. Hansen: Mit Unterstüt- zung aller, die mit mir zu- sammengearbeitet haben, ist es gelungen, das Bild der Deutschen als eine selbstbe- wusste nationale Minderheit nördlich der Grenze zu ver- kaufen. Der Nordschleswiger: 1994 wurden Sie zu einem der Vizepräsidenten der FUEV gewählt. Im vergangenen Jahr wurden Sie FUEV-Präsi- dent. In Ihrer Amtszeit als BDN-Hauptvorsitzender legten Sie zunehmend Ge- wicht auf die internationale Arbeit. Warum? Hansen: Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens haben wir hier im Grenzland etwas erreicht, worum uns viele andere Minderheiten beneiden. Wir haben uns einen Erfahrungsschatz er- arbeitet, von dem viele andere profitieren können... Der Nordschleswiger: ... der sich aus dem deutsch- dänischen Grenzland aber nicht eins zu eins auf andere übertragen lässt. Hansen: Nein. Der ent- scheidende Punkt ist, dass man die Minderheitenpro- blematik in Europa nur durch Dialog lösen kann. Da haben wir einige gute Erfah- rungen in diesem Land gemacht. Wir haben oft ge- sehen, dass die Minderhei- tengruppierungen unter- schiedlich sind. Von ihrem inneren Verhalten her sind sie eigentlich ziemlich ähn- lich. Hier spielen die Min- derwertigkeitskomplexe wieder hinein. Es gibt zwei Punkte: Wir müssen den Minderheiten das Selbstbe- wusstsein geben, für ihre Sache in angemessener Form zu streiten. Anderer- seits ist es so, dass die Mehr- heitsbevölkerungen die Minderheiten meistens als Gruppierungen betrachten, die separatistische, sezessio- nistische Tendenzen haben. Der Nordschleswiger: Was nicht sein darf! Hansen: Was nicht sein darf. Einerseits müssen wir bei der Mehrheitsbevölke- rung die Ängste vor den Minderheiten nehmen, an- dererseits die Minderheiten in ihren Bemühungen stär- ken, ihre Sache auf Augen- höhe zu vertreten. Deswe- gen ist es mir eine ganz besondere Freude, dass es uns gelungen ist, ein Dialog- forum am Europaparlament zu bekommen. Es soll im Oktober beginnen. Wir haben noch keinen festen Termin, und es muss erst einmal eine Geschäftsord- nung erarbeitet werden. Der Nordschleswiger: Das Dialogforum ist zusammen- gesetzt ... Hansen: ... aus zehn FUEV-Vertretern und zehn Vertretern des Europapara- ments, die sich aller Wahr- scheinlich aus der interpar- lamentarischen Gruppe für nationale Minderheiten am Europaparlament rekrutie- ren werden. Dieser Weg, durch den Dialog die Posi- tionen der Minderheiten klarzumachen und dadurch bei den Politikern zu wer- ben, sich in die Minderhei- ten hineinzuversetzen und sie ernst zu nehmen, ist für mich der zentrale Punkt. Genau dort haben wir auch unsere Erfahrungen. Zu- gleich glaube ich – und das haben uns gegenüber auch einige Generalkonsuln be- stätigt – , dass gerade unser Einsatz, den wir internatio- nal geleistet haben, auch in sehr wesentlichem Maße dazu geführt hat, dass wir eigentlich immer noch in angemessener Form von der Bundesrepublik Deutsch- land bei der Ökonomie be- rücksichtigt werden. Der Nordschleswiger: Dennoch gibt es in der Volksgruppe mitunter Kritik: zu viel »Außenpolitk« und zu wenig Kümmern um die eigene Arbeit innerhalb der Volksgruppe. Ist diese Kritik berechtigt? Hansen: Nach meiner Überzeugung nicht! Ich be- dauere, wenn man eine sol- che Auffassung hat. Viele Minderheiten kranken dar- an, dass sie oft zu nabelbe- schauend werden und damit die Perspektive für ihr eige- nes Wirken und damit auch für das Wichtige in einer Minderheit verlieren. Unser Ziel – und das gilt für alle Minderheiten – kann es nur sein, dass wir irgendwann auf einen gleichberechtigten Status kommen, denn nur so werden wir respektiert und können unsere Kultur ausleben. Wenn wir ständig immer nur in einer Wagen- burg-Mentalität leben und uns durch ein Abgrenzen zu unserer Umgebung definie- ren, vielleicht sogar in einer feindlichen Abgrenzung, ... Der Nordschleswiger: ... was hier in Nordschleswig nicht der Fall ist ... Hansen: ... dann kommen wir nicht weiter. Dann wird es immer nur ein Lagerden- ken werden, aus dem Feind- seligkeiten entstehen. Dafür haben wir in Europa genü- gend Beispiele. Der Nordschleswiger: Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig steht seit vie- len Jahren im Dialog mit dänischer Regierung und Folketing, mit Schleswig- Holsteinischem Landtag und Landesregierung sowie mit dem Bund. Was erwar- ten Sie in der FUEV von einem Dialogforum auf europäischer Ebene? Hansen: Unsere Mitglieds- organisationen in der FUEV sollen darauf Einfluss haben, was wir dort vorle- gen werden. Wir haben uns bemüht, dass unsere Vertre- ter im Dialogforum nicht nur bestimmte Regionen, sondern auch verschiedene Volksgruppen vertreten. Da wird sich die Frage stellen, was wir am höchsten priori- tieren. Mit den angespro- chenen Kontaktforen in Kiel und in Kopenhagen hat auch eine Entwicklung statt- gefunden – vom Nur-etwas- Vorlegen hin dazu, eine Sache zu diskutieren. Der Nordschleswiger: Ziel ist also ein partnerschaftli- ches Gespräch? Hansen: Genau – partner- schaftliches Gespräch in Augenhöhe. Erst einmal müssen wir eine Gesprächs- basis finden und versuchen, die FUEV in das rechte Licht zu rücken, weil sie ja lange Zeit ein Image hatte, das ihr schadete. Man sah sie meis- tens als rechtsorientiert an, was ja nicht der Fall ist! Es scheint so, als ob sie sich in einem Aufwind befindet und dass man uns ernst nimmt. Im Dialogforum wollen wir uns als qualifi- zierte Gesprächspartner in Minderheitenfragen darstel- len. das ist der ganz ent- scheidende Punkt. Danach werden wir uns unsere The- men aussuchen. Der Nordschleswiger: Die FUEV hat 2006 in Bautzen einen Katalog über Minder- heitengrundrechte verab- schiedet, die man sich Jahr für Jahr vornehmen will. 2007 war es die Bildung, beim diesjährigen FUEV- Kongress das Thema Medi- en. Wo drückt es bei den Minderheiten am meisten? Hansen: Insgesamt wollen wir 13 Grundrechte behan- deln. Im nächsten Jahr wer- den wir zu unserem 60- jährigen Jubiläum in Brüssel auf unserem Kongress die politische Partizipation als drittes Grundrecht heraus- arbeiten. Schon mit der Pri- oritierung — Bildung, Medi- en, politische Partizipation – zeigen wir die Bedeutung der Themenfelder. In Rumänien hat jede Minderheit einen Vertreter im Parlament. Die Frage ist nur: Welche Bedeutung hat ein Vertreter in einem Parla- ment von 700, 800 Mitglie- dern? Solche Dinge müssen diskutiert werden. Zum Ver- gleich: Wir sind im däni- schen Folketing nicht vertre- ten. Die Frage ist: Hat das unseren Einfluss minimiert oder verbessert? Der Nordschleswiger: Zu- rück zur deutschen Volks- gruppe in Nordschleswig. Sie haben bereits vor Jahren gesagt, die deutsche Sprache sei ein wichtiger Ausdruck der deutsch-nordschleswig- schen Identität. Zum Ende Ihrer Amtszeit als BDN- Hauptvorsitzender sagten Sie: »Auf Synnejsyk integrie- ren wir keine Deutschen«. Beim jüngsten Knivsbergfest hieß eine der Kernaussagen in der Festrede von BDN- Generalsekretär Peter Iver Johannsen: »Deutsch vor Sønderjysk und nicht umge- kehrt«. Hansen: Ich habe da eine völlig klare Haltung. In dem Moment, in dem wir die deutsche Sprache aufgeben – und sie wird im Vergleich zu der Zeit, als ich Kind war, reduziert in den deutschen Familien gebraucht – , ver- lieren wir unsere Identität. Als ich zur Schule ging, war der Einfluss von Kirche und Schule auf sprachlichem Gebiet wahrscheinlich grö- ßer als heute. Die Sprache ist ein wichtiges Identitäts- merkmal einer nationalen Minderheit, auch einer eth- nischen Minderheit ohne Mutterland. Die Sprache soll zusammenbinden. Mit der Sprache Sønderjysk werden wir die deutsche Volksgrup- pe in Nordschleswig nicht erhalten können. Der Nordschleswiger: Ist die deutsche Sprache in Nordschleswig bedroht? Hansen: Das glaube ich mit einem klaren Ja beant- worten zu können. Der Nordschleswiger: Was müsste mehr getan werden, um sie zu erhalten? Hansen: Das, was wir getan haben und tun, ist der richtige Weg. Wir haben eine deutschsprachige Zeitung, wir bringen deutsche Nach- richten in einem dänischen Privatradio, wir haben deut- sche Bibliotheken und ein sehr gutes Kulturprogramm – all das sind Sachen, die in die richtige Richtung gehen. Ich erlebe dennoch in zu- nehmenden Maße, dass Sønderjysk die zentrale Sprache ist. Und damit be- geben wir uns dahin, dass Deutsch als Identitätsmerk- mal in der Risikozone liegt. Der Nordschleswiger: Lässt sich etwas anderes an die Stelle der Sprache set- zen? Hansen: Nein. Generell muss man aber sagen, dass Sprache heute auf einem absteigenden Ast ist. Man arbeitet heute mit Abkür- zungen, mit kurzen engli- schen Ausdrücken usw. Das differenzierte Sprachniveau stirbt meiner Ansicht nach aus. Dafür gibt es genügend Belege: z. B. dass man mehr mit Bildern, mit Lauten usw. arbeitet. Der Nordschleswiger: Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat im März die von ihm in Auftrag gegebene Kompetenzanalyse über den Mehrwert von Minderheiten als Standortfaktor in der deutsch-dänischen Grenzre- gion vorgestellt. Welcher unter den dort genannten Punkten ist der wichigste? Hansen: Die Analyse soll durch ihre Öffentlichkeits- darstellung wirken. Durch ihre Darstellung wie jetzt gerade in Berlin durch Bun- destagspräsident Norbert Lammert und Folketings- präsident Thor Pedersen erhält sie eine Medienwir- kung, die wir nur begrüßen können: dass der Mehrwert einer Minderheit in einer Region erkannt und disku- tiert wird. Darin liegt die positive Wirkung. Die FUEV und der Landtag werden die Analyse auch im Ausschuss der Regionen der EU vor- stellen. Der Nordschleswiger: Und wo liegt die größte Kompe- tenz der deutschen Minder- heit? Hansen: Die größte Kom- petenz der deutschen Min- derheit liegt darin, dass wir positive deutsche Eigen- schaften mit dänischem Pragmatismus kombinieren. Hans Heinrich Hansen ... mit seinem West-Highland-White-Terrier »Anja« am Strand seines Wohnortes Ekensund. Hansen wurde in Hadersleben geboren, machte dort 1956 sein Abitur und studierte von 1956 bis 1963 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und an der königlichen Veterinär- und Landwirtschaftshochschule, Kopenhagen, Tiermedizin. 1966 eröffnete er das »Dyrehospital Hejsager«, Heisagger, in dem er bis heute als Tierarzt tätig ist. Von 1988 bis 1997 war Hansen Vorsitzender der Verbindung Schleswigscher Studenten (VSSt). Von 1993 bis 2006 war er Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN). 1994 wurde Hansen Vizepräsident der Föderalistischen Union Europäischer Volks- gruppen (FUEV) und 2007 deren Präsident. Am kommenden Donnerstag, 26. Juni, wird Hans Heinrich Hansen 70 Jahre alt –Anlass für dieses Interview. Interview: Ulrich Küsel Foto: Karin Riggelsen »Der Staat ist für seine »Der Staat ist für seine Minderheiten verantwortlich« Minderheiten verantwortlich« Interview mit FUEV-Präsident und früherem BDN-Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen, Ekensund Interview mit FUEV-Präsident und früherem BDN-Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen, Ekensund Sonnabend, 21. Juni 2008 33 Der Nordschleswiger

er Staat ist für seine »Der Staat ist für seine Minderheiten verantwortlich«

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Der Nordschleswiger.

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Apenrade/Aabenraa – DerNordschleswiger: Herr Han-sen, Sie waren 13 1/2 JahreBDN-Hauptvorsitzender.Welches waren – im Rück-blick auf diese Zeit – Ihregrößten Erfolge für die deut-sche Minderheit?

Hans Heinrich Hansen:Ohne Zweifel sind das dieErfolge, die wir mit derKommunalreform erzielthaben. Wir hatten ur sprüng -lich drei Forderungen: 1. derStaat soll die so ziale undkulturelle Arbeit des BDNabsichern, 2. die Schleswig-sche Partei (SP) soll den glei-chen Einfluss wie bisher ha -ben und 3. die grenzüber-schreitende Zu sammenar-beit.

Punkt 1 haben wir er -reicht. Wir sind durch Ge set-ze abgesichert, dass sich derStaat verpflichtet fühlt. Dasist minderheitenpolitischge nau das Richtige: DerStaat ist verantwortlich fürseine Minderheiten. Dieshat der dänische Staaterkannt.

Bei Punkt 2 – dem Einflussder SP in den neuen viernordschleswigschen Kom-munen – war es außeror-dentlich kritisch. In denfrüheren 23 Kommunenwaren wir in fünf mit insge-samt sieben Ratsmitgliedernvertreten, darüber hinaushatten wir ein Amtsratsmit-glied. Die gefundene 25-Pro-zent-Lösung zeigt, wie nütz-lich es sein kann, wenn maninternationale Minderhei-tenarbeit leistet. Denn dieseLösung wurde in einem Ge -spräch mit einem Un garn-deutschen in St. Pe tersburgkreiert.

Zu Punkt 3 in der grenz -überschreitenden Zusam-menarbeit wurde unser Vor-schlag realisiert, den Regio-nalrat Sønderjylland-Schles-wig von 42 auf 22 Mitgliederzu reduzieren, um rationel-ler zu arbeiten. Die Regio-nalversammlung Sønderjyl-land-Schleswig hat, was ichbedauere, nicht den Standerreicht, den wir an gedachthatten: dass sie Mittelbekommen sollte, um diegrenzüberschreitende Zu -sammenarbeit zu steuern.Die Interreg-Mittel dort hinzu legen, hat man von deut-scher Seite nicht gewollt.Heute meint man, es sei einschlechter Vorschlag gewe-sen, die Regionalversamm-lung zu reduzieren. Ich mei-ne noch im mer, dass es einguter Vorschlag war. Wennman aber nur einen Teil des-sen durchführt, was vorge-schlagen wird, kann mannatürlich nicht erwarten,dass es das gleiche Produktist, das wir eigentlich vorge-schlagen hatten.

Der Nordschleswiger: Esgibt aber noch weiteres Be -deutungsvolles.

Hansen: Ja. Die Teilnahmeder deutschen Volksgruppean der Feier des 75. Jahresta-ges der Abtretung Nord-schleswigs von Deutschlandan Dänemark im Juli 1995setze ich noch immer als dasHöchste. Königin Mar-grethe, Staatsminister PoulNyrup Rasmussen, der Vor-sitzende des Südschleswig-schen Vereins, HeinrichSchultz, und ich sprachen.Man muss immer wieder fürunsere Grenzregion heraus-streichen, dass wir seit der

Abgabe der Bonn-Kopenha-gener Erklärungen von 1955die Gleichberechtigung ha -ben ...

Der Nordschleswiger: ...die aber erst erkämpft undentwickelt werden musste.

Hansen: Richtig, das wareine schwierige Prozedur.Aber einen Rechtsstatus zuschaffen, ist allemal leichterals eine Gleichwertigkeit zuschaffen. Für mich istGleichwertigkeit ein wichti-ger Begriff. Düppel hat dazubeigetragen, dass die deut-sche Minderheit ein natür-lich Bestandteil dieserGrenz region ist.

Der Nordschleswiger: Wardie Feier in Düppel nichtauch zugleich ein Symbolfür die Integration der deut-schen Volksgruppe in Nord-schleswig?

Hansen: Ja, in die Ge samt-bevölkerung in Dänemark.Und die Einladung unter-strich, dass man zwar eineRechtslage schaffen kann.Wenn diese Rechtslage abernicht gleichzeitig begleitetwird von einem guten Wil-len, funktioniert es nicht.Das war der entscheidendePunkt: Die Einladung unddas Festhalten daran trotzder großen Widerstände, diees in der Presse gab, warenein Ausdruck des guten Wil-lens der dänischen Seite.

Der Nordschleswiger: 1994prägten Sie das Motto »Iden-tität durch Qualität«, und inIhrer ersten öffentliche Redehaben Sie unterstrichen,»Minderheitenpolitik ohneMinderwertigkeitskomple-xe« zu machen.

Hansen: Ja, das ist nochimmer mein Credo – auchauf europäischer Ebene.Sehr viele Minderheiten ha -ben durch den Assimilati-onsdruck, der auf sie aus-geübt wird, und dadurch,dass sie sich von der Mehr-heit in ihrer Umgebung inKultur und Sprache un ter-scheiden, oft Minderwertig-keitskomplexe. Das An ders-sein, das Nicht-anerkannt-Sein bewirken bei den Men-schen oft, dass sie sich min-derwertig fühlen. In diesemAugenblick sind sie keinebenbürtiger Ge sprächs -partner, und dann werdensie nicht ernst genommen.Wenn man Minderwertig-keitskomplexe hat, neigtman oft dazu, ins Extremezu gehen.

Der Nordschleswiger: Inden letzten Jahren IhrerAmtszeit sprachen sie oftvon Gesprächen und Ver-handlungen auf Augenhöhemit der dänischen und derdeutschen Seite. Das ist Ih -nen offenkundig gelungen.

Hansen: Mit Unterstüt-zung aller, die mit mir zu -sammengearbeitet ha ben,ist es gelungen, das Bild derDeutschen als eine selbstbe-wusste nationale Minderheitnördlich der Grenze zu ver-kaufen.

Der Nordschleswiger: 1994wurden Sie zu einem derVizepräsidenten der FUEVgewählt. Im vergangenenJahr wurden Sie FUEV-Präsi-dent. In Ihrer Amtszeit alsBDN-Hauptvorsitzenderlegten Sie zu nehmend Ge -wicht auf die in ternationaleArbeit. Warum?

Hansen: Dafür gibt esmehrere Gründe. Erstenshaben wir hier im Grenzland

etwas erreicht, worum unsviele andere Minderheitenbeneiden. Wir haben unseinen Erfahrungsschatz er -arbeitet, von dem vieleandere profitieren können...

Der Nordschleswiger: ...der sich aus dem deutsch-dänischen Grenzland abernicht eins zu eins auf andereübertragen lässt.

Hansen: Nein. Der ent-scheidende Punkt ist, dassman die Minderheitenpro-blematik in Europa nurdurch Dialog lösen kann. Dahaben wir einige gute Erfah-rungen in diesem Landgemacht. Wir haben oft ge -sehen, dass die Minderhei-tengruppierungen unter-schiedlich sind. Von ihreminneren Verhalten her sindsie eigentlich ziemlich ähn-lich. Hier spielen die Min-derwertigkeitskomplexewie der hinein. Es gibt zweiPunkte: Wir müssen denMinderheiten das Selbstbe-wusstsein geben, für ihreSache in angemessenerForm zu streiten. Anderer-seits ist es so, dass die Mehr-heitsbevölkerungen dieMin derheiten meistens alsGruppierungen betrachten,die separatistische, sezessio-nistische Tendenzen ha ben.

Der Nordschleswiger: Wasnicht sein darf!

Hansen: Was nicht seindarf. Einerseits müssen wirbei der Mehrheitsbevölke-rung die Ängste vor denMinderheiten nehmen, an -dererseits die Minderheitenin ihren Be mühungen stär-ken, ihre Sache auf Augen-höhe zu vertreten. Deswe-gen ist es mir eine ganzbesondere Freude, dass esuns gelungen ist, ein Dialog-forum am Europaparlamentzu be kommen. Es soll imOktober beginnen. Wir

haben noch keinen festenTermin, und es muss ersteinmal eine Geschäftsord-nung er arbeitet werden.

Der Nordschleswiger: DasDialogforum ist zusammen-gesetzt ...

Hansen: ... aus zehnFUEV-Vertretern und zehnVertretern des Europapara-ments, die sich aller Wahr-scheinlich aus der interpar-lamentarischen Gruppe fürnationale Minderheiten amEuropaparlament rekrutie-ren werden. Dieser Weg,durch den Dialog die Posi-tionen der Minderheitenklarzumachen und dadurchbei den Politikern zu wer-ben, sich in die Minderhei-ten hineinzuversetzen undsie ernst zu nehmen, ist fürmich der zentrale Punkt.Genau dort haben wir auchunsere Erfahrungen. Zu -gleich glaube ich – und dashaben uns gegenüber aucheinige Generalkonsuln be -stätigt – , dass gerade un serEinsatz, den wir internatio-nal geleistet haben, auch insehr wesentlichem Maßedazu geführt hat, dass wireigentlich immer noch inan gemessener Form von derBundesrepublik Deutsch-land bei der Ökonomie be -rücksichtigt werden.

Der Nordschleswiger:Dennoch gibt es in derVolksgruppe mitunter Kritik:zu viel »Außenpolitk« und zuwenig Kümmern um dieeigene Arbeit innerhalb derVolksgruppe. Ist diese Kritikberechtigt?

Hansen: Nach meinerÜberzeugung nicht! Ich be -dauere, wenn man eine sol-che Auffassung hat. VieleMinderheiten kranken dar-an, dass sie oft zu nabelbe-schauend werden und da mitdie Perspektive für ihr eige-

nes Wirken und damit auchfür das Wichtige in einerMinderheit verlieren. UnserZiel – und das gilt für alleMinderheiten – kann es nursein, dass wir irgendwannauf einen gleichberechtigtenStatus kommen, denn nurso werden wir respektiertund können un sere Kulturausleben. Wenn wir ständigimmer nur in einer Wagen-burg-Mentalität leben unduns durch ein Abgrenzen zuunserer Um gebung definie-ren, vielleicht sogar in einerfeindlichen Abgrenzung, ...

Der Nordschleswiger: ...was hier in Nordschleswignicht der Fall ist ...

Hansen: ... dann kommenwir nicht weiter. Dann wirdes immer nur ein Lagerden-ken werden, aus dem Feind-seligkeiten entstehen. Dafürhaben wir in Europa genü-gend Beispiele.

Der Nordschleswiger: Diedeutsche Volksgruppe inNordschleswig steht seit vie-len Jahren im Dialog mitdänischer Regierung undFolketing, mit Schleswig-Holsteinischem Landtagund Landesregierung sowiemit dem Bund. Was erwar-ten Sie in der FUEV voneinem Dialogforum aufeuro päischer Ebene?

Hansen: Unsere Mitglieds-organisationen in der FUEVsollen darauf Einflusshaben, was wir dort vorle-gen werden. Wir haben unsbemüht, dass unsere Vertre-ter im Dialogforum nichtnur bestimmte Regionen,sondern auch verschiedeneVolksgruppen vertreten. Dawird sich die Frage stellen,was wir am höchsten priori-tieren. Mit den angespro-chenen Kontaktforen in Kielund in Kopenhagen hatauch eine Entwicklung statt-

gefunden – vom Nur-etwas-Vorlegen hin da zu, eineSache zu diskutieren.

Der Nordschleswiger: Zielist also ein partnerschaftli-ches Gespräch?

Hansen: Genau – partner-schaftliches Gespräch inAugenhöhe. Erst einmalmüssen wir eine Gesprächs-basis finden und versuchen,die FUEV in das rechte Lichtzu rücken, weil sie ja langeZeit ein Image hatte, das ihrschadete. Man sah sie meis -tens als rechtsorientiert an,was ja nicht der Fall ist! Esscheint so, als ob sie sich ineinem Aufwind befindetund dass man uns ernstnimmt. Im Dialogforumwollen wir uns als qualifi-zierte Gesprächspartner inMinderheitenfragen darstel-len. das ist der ganz ent-scheidende Punkt. Danachwerden wir uns unsere The-men aussuchen.

Der Nordschleswiger: DieFUEV hat 2006 in Bautzeneinen Katalog über Minder-heitengrundrechte verab-schiedet, die man sich Jahrfür Jahr vornehmen will.2007 war es die Bildung,beim diesjährigen FUEV-Kongress das Thema Medi-en. Wo drückt es bei denMinderheiten am meis ten?

Hansen: Insgesamt wollenwir 13 Grundrechte behan-deln. Im nächsten Jahr wer-den wir zu unserem 60-jährigen Jubiläum in Brüsselauf unserem Kongress diepolitische Partizipation alsdrittes Grundrecht heraus-arbeiten. Schon mit der Pri-oritierung — Bildung, Medi-en, politische Partizipation –zeigen wir die Bedeutungder Themenfelder.

In Rumänien hat jedeMinderheit einen Vertreterim Parlament. Die Frage istnur: Welche Bedeutung hatein Vertreter in einem Parla-ment von 700, 800 Mitglie-dern? Solche Dinge müssendiskutiert werden. Zum Ver-gleich: Wir sind im däni-schen Folketing nicht vertre-ten. Die Frage ist: Hat dasunseren Einfluss minimiertoder verbessert?

Der Nordschleswiger: Zu -rück zur deutschen Volks-gruppe in Nordschleswig.Sie haben bereits vor Jahrengesagt, die deutsche Sprachesei ein wichtiger Ausdruckder deutsch-nord schles wig -schen Identität. Zum EndeIhrer Amtszeit als BDN-Hauptvorsitzender sagtenSie: »Auf Synnejsyk integrie-ren wir keine Deutschen«.Beim jüngsten Knivs bergfesthieß eine der Kernaussagenin der Festrede von BDN-Generalsekretär Peter IverJohannsen: »Deutsch vorSønderjysk und nicht umge-kehrt«.

Hansen: Ich habe da einevöllig klare Haltung. In demMoment, in dem wir diedeutsche Sprache aufgeben– und sie wird im Vergleichzu der Zeit, als ich Kind war,reduziert in den deutschenFamilien gebraucht – , ver-lieren wir unsere Identität.Als ich zur Schule ging, warder Einfluss von Kirche undSchule auf sprachlichemGebiet wahrscheinlich grö -ßer als heute. Die Spracheist ein wichtiges Identitäts-merkmal einer nationalenMinderheit, auch einer eth-nischen Minderheit ohne

Mutterland. Die Sprache sollzusammenbinden. Mit derSprache Sønderjysk werdenwir die deutsche Volksgrup-pe in Nordschleswig nichterhalten können.

Der Nordschleswiger: Istdie deutsche Sprache inNordschleswig bedroht?

Hansen: Das glaube ichmit einem klaren Ja beant-worten zu können.

Der Nordschleswiger: Wasmüsste mehr getan werden,um sie zu erhalten?

Hansen: Das, was wirgetan haben und tun, ist derrichtige Weg. Wir haben einedeutschsprachige Zeitung,wir bringen deutsche Nach-richten in einem dänischenPrivatradio, wir haben deut-sche Bibliotheken und einsehr gutes Kulturprogramm– all das sind Sachen, die indie richtige Richtung gehen.Ich erlebe dennoch in zu -nehmenden Maße, dassSønderjysk die zentraleSprache ist. Und damit be -geben wir uns dahin, dassDeutsch als Identitätsmerk-mal in der Risikozone liegt.

Der Nordschleswiger:Lässt sich etwas anderes andie Stelle der Sprache set-zen?

Hansen: Nein. Generellmuss man aber sagen, dassSprache heute auf einemabsteigenden Ast ist. Manarbeitet heute mit Abkür-zungen, mit kurzen engli-schen Ausdrücken usw. Dasdifferenzierte Sprachniveaustirbt meiner Ansicht nachaus. Dafür gibt es genügendBelege: z. B. dass man mehrmit Bildern, mit Lauten usw.arbeitet.

Der Nordschleswiger: DerSchleswig-HolsteinischeLandtag hat im März die vonihm in Auftrag gegebeneKompetenzanalyse über denMehrwert von Minderheitenals Standortfaktor in derdeutsch-dänischen Grenzre-gion vorgestellt. Wel cherunter den dort genanntenPunkten ist der wichigste?

Hansen: Die Analyse solldurch ihre Öffentlichkeits-darstellung wirken. Durchihre Darstellung wie jetztgerade in Berlin durch Bun-destagspräsident NorbertLammert und Folketings-präsident Thor Pedersenerhält sie eine Medienwir-kung, die wir nur begrüßenkönnen: dass der Mehrwerteiner Minderheit in einerRegion erkannt und disku-tiert wird. Darin liegt diepositive Wirkung. Die FUEVund der Landtag werden dieAnalyse auch im Ausschussder Regionen der EU vor-stellen.

Der Nordschleswiger: Undwo liegt die größte Kompe-tenz der deutschen Minder-heit?

Hansen: Die größte Kom-petenz der deutschen Min-derheit liegt darin, dass wirpositive deutsche Eigen-schaften mit dänischemPrag matismus kombinieren.

Hans Heinrich Hansen... mit seinem West-Highland-White-Terrier »Anja« am Strand seines Wohnortes Ekensund.Hansen wurde in Hadersleben geboren, machte dort 1956 sein Abitur und studierte von 1956bis 1963 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und an der königlichen Veterinär- undLandwirtschaftshochschule, Kopenhagen, Tiermedizin. 1966 eröffnete er das »DyrehospitalHejs ager«, Heisagger, in dem er bis heute als Tierarzt tätig ist. Von 1988 bis 1997 war Hansen Vorsitzender der Verbindung Schleswigscher Studenten(VSSt). Von 1993 bis 2006 war er Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger(BDN). 1994 wurde Hansen Vizepräsident der Föderalistischen Union Europäischer Volks-gruppen (FUEV) und 2007 deren Präsident. Am kommenden Donnerstag, 26. Juni, wird Hans Heinrich Hansen 70 Jahre alt – Anlass fürdieses Interview.

Interview: Ulrich Küsel

Foto:Karin Riggelsen

»Der Staat ist für seine»Der Staat ist für seineMinderheiten verantwortlich«Minderheiten verantwortlich«

Interview mit FUEV-Präsident und früherem BDN-Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen, EkensundInterview mit FUEV-Präsident und früherem BDN-Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen, Ekensund

Sonnabend, 21. Juni 2008 33Der Nordschleswiger