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(Aus der Augenklinik der Deutschen Karts-Universitgt in Prag. Direktor: Prof. Dr. Herwigh Rieger.) Erbfragen in der Augenheflkunde ~. Von Prof. Dr. Herwigh Rieger. Mit 6 Te~abbfldungen. Es ist verst~ndlieh, dal3 die Bedeutung der Erbanlage fiir die krank- haften Ver~nderungen des Auges schon frfihzeitig erkannt wurde. Ist doch das Auge nahezu als einziges Organ des menschliehen KSrpers der unmittelbaren Beobachtung und der messenden Untersuchung in gleieher Weise zug~nglich, fiihrt doch der komplizierte Aufbau des Auges verhi~ttnism~g3igleicht zu anatomischen Fehlbildtmgen und funktionellen StSrungen und kann sich doch sehlieBlieh das Auge ebenso an Ent- artungsvorgi~ngen des Ektoderms wie des Mesoderms beteiligen. Sehon im 18. Jahrhundert hatte man die famili~re H£uflmg der Kata- rakt erkannt, aber auch die Erblichkeit der Aniridia congenita und des Irisko]oboms fiel fffihzeitig auf. Dasselbe gilt auch flit funktionelle StSrungen: So beschrieb Dalton sehon 1798 Rotgrfinblindheit bei sich und zweien seiner Briider, Homer teilte sehon 1876 zwei Stammb~ume yon Farbenblindheit in wissenschaftlich erschSpfender Weise mit, yon denen sich der eine fiber 4, der andere fiber 8 Geschleehterfolgen er- streckte. Eine gewaltige Ausweitung erfuhren die Kenntnisse yon den erb- bedingten Erkrankungen des Auges mit der durcb Hermann v. Helmholtz im Jahre 1851 erfo]gten Entdeekung des Augenspiegels. Es sei in dieser Beziehung nur an die von Leber unter der Bezeichnung der tapeto- retinalen Degeneration zusammengefal~ten Erbleiden der :Netz- und Aderhaut erinnert. Der Augenspiegeluntersuehung im gewShnliehen Lichte stellte Vogt (1913, 1925) die Ophthalmoskopie im rotfreien Lichte an die Seite, mit deren Hilfe wichtige Erbkrankheiten des Auges wie der Albinismus, die totale Farbenb]indheit und bestimmte F~lle yon Sehwaehsichtigkeit in klinischer Hinsicht weitgehend gekl£rt werden konnten. Einen weiteren bedeutsamen Fortschritt brachte 1918 das Vogtsche Veffahren der Untersuchung des vorderen Abschnittes des lebenden Auges mittels Hornhautmikroskop und Spaltlampe im sog. optischen Schnitte; damit war der Weg frei zur Feststellung einer ganzen Reihe erbbedingter Veri~nderungen der ttornhaut, der Regenbogenhaut und 1 Vortrag, gehal~en in der gemeinsamen Sitzung der GeseUsehaftfiir mensch- ]iche Erbbiologie und der Ophthalmologischen Gesellschaft in Wien am 2.4. 41 (nach dam am 19. 6. 37 zur Erl&ngungder Venia legendigehaltenenProbevortrag).

Erbfragen in der Augenheilkunde

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Page 1: Erbfragen in der Augenheilkunde

(Aus der Augenklinik der Deutschen Karts-Universitgt in Prag. Direktor: Prof. Dr. Herwigh Rieger.)

Erbfragen in der Augenheflkunde ~. Von

Prof. Dr. Herwigh Rieger.

Mit 6 Te~abbfldungen.

Es ist verst~ndlieh, dal3 die Bedeutung der Erbanlage fiir die krank- haften Ver~nderungen des Auges schon frfihzeitig erkannt wurde. Ist doch das Auge nahezu als einziges Organ des menschliehen KSrpers der unmittelbaren Beobachtung und der messenden Untersuchung in gleieher Weise zug~nglich, fiihrt doch der komplizierte Aufbau de s Auges verhi~ttnism~g3ig leicht zu anatomischen Fehlbildtmgen und funktionellen StSrungen und kann sich doch sehlieBlieh das Auge ebenso an Ent- artungsvorgi~ngen des Ektoderms wie des Mesoderms beteiligen.

Sehon im 18. Jahrhundert hatte man die famili~re H£uflmg der Kata- rakt erkannt, aber auch die Erblichkeit der Aniridia congenita und des Irisko]oboms fiel fffihzeitig auf. Dasselbe gilt auch flit funktionelle StSrungen: So beschrieb Dalton sehon 1798 Rotgrfinblindheit bei sich und zweien seiner Briider, Homer teilte sehon 1876 zwei Stammb~ume yon Farbenblindheit in wissenschaftlich erschSpfender Weise mit, yon denen sich der eine fiber 4, der andere fiber 8 Geschleehterfolgen er- streckte.

Eine gewaltige Ausweitung erfuhren die Kenntnisse yon den erb- bedingten Erkrankungen des Auges mit der durcb Hermann v. Helmholtz im Jahre 1851 erfo]gten Entdeekung des Augenspiegels. Es sei in dieser Beziehung nur an die von Leber unter der Bezeichnung der tapeto- retinalen Degeneration zusammengefal~ten Erbleiden der :Netz- und Aderhaut erinnert.

Der Augenspiegeluntersuehung im gewShnliehen Lichte stellte Vogt (1913, 1925) die Ophthalmoskopie im rotfreien Lichte an die Seite, mit deren Hilfe wichtige Erbkrankheiten des Auges wie der Albinismus, die totale Farbenb]indheit und bestimmte F~lle yon Sehwaehsichtigkeit in klinischer Hinsicht weitgehend gekl£rt werden konnten.

Einen weiteren bedeutsamen Fortschritt brachte 1918 das Vogtsche Veffahren der Untersuchung des vorderen Abschnittes des lebenden Auges mittels Hornhautmikroskop und Spaltlampe im sog. optischen Schnitte; damit war der Weg frei zur Feststellung einer ganzen Reihe erbbedingter Veri~nderungen der ttornhaut, der Regenbogenhaut und

1 Vortrag, gehal~en in der gemeinsamen Sitzung der GeseUsehaft fiir mensch- ]iche Erbbiologie und der Ophthalmologischen Gesellschaft in Wien am 2.4. 41 (nach dam am 19. 6. 37 zur Erl&ngung der Venia legendi gehaltenen Probevortrag).

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ganz besonders der Linse. Auch die - - nach Koelgpe besonders durch Lindner gef6rderte - - Spaltlampenmikroskopie des GIaskSrpers und des Augenhintergrundes ]£1~t wichtige Einzelheiten im Bereiche der genannten Anteile des Auges erkennen, die bisher der unmittelbaren Betraehtung und Beurteilung am Lebenden in diesel" Art noeh nicht zug/~ngtich waren. Die groge Bedeutung der spaltlampenmikroskopischen Untersuchung des lebenden Auges im optisehen Sehnitte erhellt schon allein daraus, dab die Itistologie fiir die Pathologie der Hornhaut, der Linse und des Glask6rpers nur wenig Aufschlug zu bieten vermag.

Die Vervollkommnung der augen/irztlichen Untersuchungsverfahren hielt demnach einigermaBen Sehrit~ mit der beispiellosen Entwicklung der Cytologie und der experimentellen Genetik. Welch ein gewaltiger Weg wurde durchmessen vonder - - um die Mitre der achtziger Jahre erfolgten - - Entdeckung der Chromosomen an bis zur Aufstellung einer zwar vorl/iufigen, ~ber doch wohlbegrtindeten Karte eines bestimmten Teiles des X-Chromosoms des Menschen dureh Hatdane im Jahre 1936! Es ist wohl kein Zufall, dab auf dieser Genka.rte der wahrschein]iche Sitz der Gene ffir 2 Hautkrankheiten und 3 Augenleiden festgelegt werden konnte, und zwar fiir die totaIe Farbenblindheit, die Oguchische Erkrankung und die Retinitis pigmentosa. Welch eine Ffille yon Er- kenntnissen wurde erschlossen seit der Mitteilung der Erbregeln durch Gregor Mendel im Jahre 1865 bis zu dem Nachweise des Fak- torenaustausches beim Menschen durch O. Frhr. v. Verschuer und Bruno Rath im Jahre 1938!

Bevor ich daran gehe, einen kleinen Ausschnitt aus all dem Wissen und all den Erfahrungen darzubieten, die scit der erstma]igen Anwendung der Mendelschen Regeln auf den Menschen - - also im Laufe yon rund 40 Jahren - - auf dem Gebicte der Erbkrankheiten des Auges gesammelt wurden, mSchte ieh kurz eine Darstellung jener Veffahren geben, wetehe dem erbbiologisch arbcitenden Arzte zur Verfiigung stehen. So ~4e iiberall in der Wissenschaft ist ja auch in der Erbbiologie Kermtnis und Anwendung einwandfreier Methoden die Voraussetzung ftir die Abteitung gesicherter erbbiologischer Ergebnisse aus unseren klinischen Beobach- tungen.

1. Dem ,,Stammbaum" kommt in der erbbiologischen Forschung nicht mehr jene fiberragende Stellung zu, die er bisher inne hatte und die man ihm vielfach auch heute noch einzur/~umen geneigt ist. Die Sippschaftsuntersuchung allein vermag uns n/~mlich nur bei solchen Merkmalen sicheren AufschluB fiber Erbbedingtheit und Erbgang zu geben, die auf Grund der bisherigen Erfahrungen als selten gelten diirfen und deren Gene als manifestationsstabfl anzusehen sind. Bei der Auswertung der Ergebnisse auch ausgedehnter Sippschaftsuntersuehungen, die hiiufige oder manifestationslabile Merkmate betreffen, laufen wir ja immer Gefahr, phfi, nisch gesunde Personen, die genisch mSg!icherweise Here-

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rozygoten oder aber solche Anlagetr/~ger sind, bei welehen infolge yon Manifestationshemmung die Auspr/~gung des Merkmats unterblieb, auf Grund ihres Erscheinungsbildes auch als erbbildlich gesund in Reehnung zu stellen. Bei h/~ufigen Merkmalen wie etwa der senilen Katarak t oder bei manifestationslabilen Genen wie denen der Myopie wird uns daher - - trotz der grSI]ten hierbei aufgewendeten Mfihe - - die Sippschafts- untersuchung allein nicht zum Ziele ftihren kSnnen.

Zudem war die bisher fibliche kasuistische Art der Mitteihmg yon Sippschaftsuntersuehungen meist d u r e h die Auswahl besonders be- merkenswerter F~lle bestimmt. Die ,,Interessantheitsauslese" (Just) betraf vor ahem Familien mit dominantem Erbgange eines Merkmales oder mit geh£uftem Auftreten eines Merkmales innerhalb einer Ge- sehwisterschaft, allenfalls noeh Einzelfi~lle mit Nachweis yon Bluts- verwandt.enehe in der Vorfahrensehaft. Die vieI zahtreicheren und in erbbiologiseher Hinsicht ebenso bedeutsamen vereinzelten F~lle blieben jedoch meist unber/icksiehtigt wie a uch Versuehe ihr Zustandekommen in erbbiologiseher Hinsieht zu kl/~ren, ka.um Beachtung fanden. Ich fiihrte sehon kfirzlieh (1941) aus, dab es methodisch fa]sch ist, bei der Verfolgung eines bestimmten Merkmales die einzelstehenden Beobaeh- tnngen als ,,nicht erblich" den ,,heredit~.ren" und ,,famili/iren" F~tllen in Verh~ltniszahlen gegeniiberzustellen und so f/Jr dieses Merkmal einen soundso hohen Hundertsatz ,,erblicher" F~tlle zu konstruieren. Die ,,Interessantheitsauslese" fiihrt abet aueh noeh in anderer Hinsicht zu Trugsehlfissen. Wenn so Beobaehtungen mit dominan~em Erbgange eines bestimmten Merkmales gr6Bere Wahrscheinlichkeit der VerSffent- tiehung haben als solche mit reeessivem oder intermedi/~rem Verhalten, so muB zwangslgufig ein falsches Bfld fiber den wahrseheinlichsten Erbgang dieses Merkmales zustande kommen, da dieses den dominanten Erbgang ats h£ufiger und kennzeiehnender erseheinen t~l]t~ als dies tat- s/~ehlieh der Fall ist. Diese Tatsaehe hat einerseits eine grebe praktisehe Bedeutung im Hinblick auf nnser Verhalten in erbpflegerischer Hinsicht, andererseits is~ anf Grnnd von kasuistisehen Einzelmitteilungen die Frage, ob ffir ein bestimmtes Merkma] tteterogenie oder ein Gen mit weehselnder Valenz anzunehmen ist, nieht zu 15sen. Von seltenen ~erk- maten abgesehen wird daher die Sippsehaftsuntersuehung kfinftighin nur im Rahmen yon planm~l]igen Untersuehungen liiekenloser Reihen der Merkmalstr£ger ihre fachgerechte Anwendung finden kSnnen.

SehlieBtich sind die Angaben fiber Familienangeh6rige eines l~o- banden, die sieh lediglich auf anamnestisehe Erhebungen stiitzen, selbst dann nicht als beweiskr/fftig anznsehen, wenn es sieh um ]eieht erkenn- bare l~erkmale oder um schwere Erkrankungen handelt . ' K6nnen doeh einerseits geringgradige Merkmalsauspr£gungen dem Nichtfaehmann leieht entgehen, andererseits lassen persSnli~he Grfinde den Probanden

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hinsiehtlich der Angaben fiber seine Verwandten hitufig Zuriickhaltung iiben, gelegentlieh mSgen aueh ~bertreibungen vorkommen.

So k~nn ich reich z. B. auf Grund der bisher an der Hand einer liickenlosen Reihenuntersuchung yon idiopathischer Netzhautabhebung durch K. Hruby ge- wonnenen EI~ahrungen der Meinung Lindners (1940), d~II ,,jeder Patient mit Wahrscheinlichkeit sogar spontan angeben wfirde, dab schon jemand yon den Vorf~hren an der g]eichen Erkrankung erb]indete", nicht ~nschliellen. Dazu kommt, dab wir im Falle der idiopathischen Netzhautabhebung im klinischen Krankheitsbilde der Netzhautabhebung nicht ohne weiteres das zu verfolgende Erbmerkmal sehen diirfen. Anamnestische Angaben dariiber, ob ein Anverwandter des Probanden mit INetzhautabhebung behaftet ist oder nicht, sind daher in erb- biologischer ginsicbt nicht roll verwertbar; es kSnnta ja einerseits die Netzhaut- ~bhebung eines Verwandten zufallig symptomatischer Art sein, andererseits kSnnte jemand ale gesund gewertat warden, der auf Grund des erbbedingten, zur h'etzhaut- abhebung fiihrenden Entartungsvorganges der Netzhaut subjektiv symptomlos bleibende Anfangsstadien der Netzhuutabhebung aufweist. Die Untersuchung h~itte sich desha~Ib in diesem besonderen ~alle auch bei den gesund ersche~nen- den Personen auf die Beschaffenheit der Augenhintergrundsperipherie und des Gl~kSrpers zu erstreckam

Die tats£chliche Untersnehung der Verwandten des Probanden ist demnach unter allen Umstgnden anzustreben, sollen die Ergebnisse einer Sippsehaftsuntersuchung beweiskr~ftig und stichhaltig sein.

2. Aul~er bei der Erforschung norma]er Merkmale des Auges wie z. B. der Farbe der Regenbogenhaut, der GrSi~enverh~ltnisse des dioptri- schen Apparates und der Beschaffenheit der Papille wird uns dagegen die Zwillings/orschung auch bei h/iufigen und manifestationsIabilen sowie bei di- nnd polygen bedingten krankhaf ten Merkmalen ausgezeichnete Dienste leisten; es gilt dies in gleicher ~Veise fiir den Nachweis der Erb- beding~heit an sich wie auch ffir die Festlegung des Ausmal]es der Pene- tranz und der Expressivit~t eines Gens, also der Manifestationswahr- scheinlichkeit und der Modifikationsbreite des ibm entsprechenden ph/inischen Merkmales. Damit stellt die Zwillingsforschung das wichtigste Verfahren dar, das uns Aufschlul~ fiber den Grad der Erb- und Umwelt- bedingtheit eines Merkmals zu geben vermag. Allerdings wird auch in der Augenheilkunde v o n d e r kasuistischen Zwillingsuntersuchung zur Bearbeitung ,,lfickenloser" Zwillingsreihen iibergangen werden miissen, wie dies z. B. fiir die multiple Sklerose und die Littlesehe Erkrankung dureh K. Thums in mustergiiltiger Weise geschah. Doch kann wohl allein schon auf Grund der bisher vorliegenden Z~dllingsbefunde die iiberwiegende Erbbedingtheit der Brechungsfehler des Auges einschlieI~- lich der Myopie, des Strabismus convergens und der Cataraeta senilis als feststehend betrachtet werden, bei der letzteren bekanntlich bis in die Einzelheiten der Linsentriibung; doch auch die Erbbedingtheit der idiopathischen ~ Netzhautabhebung ~ und zwar auch der mit Myopie verkniipften - - kann wohl kaum mehr bezweifelt werden.

3. Viel mehr als bisher werden fernerhin zur Kl~irung erbbiologischer Zusammenhitnge massenstatistische Ver/ahren herangezogen werden

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mfissen: Sei es in Form der Riidinschen ,,e.mpirischen Erbprognose", sei es in Form der Korrelationsrechnung. Derartige Verfahren werden besonders bei solchen Leiden am Platze sein, deren Erbverh~ltnisse schwer fiberblickbar sind, wie es z.B. bei unregelm~13igem Erbgange oder bei digener und polygenerBedingtheit der Fall ist. Die Bestimmung der empirisehen Erbprognose scheint in der Augenheilkunde noeh nieht angewendet worden zu sein; ieh habe ihre Heranziehung zur Kl~rung der Erbverh~ltl~sse der Netzhautabhebung veranlat~t; es wird hierbei dureh Ausz~hlung der Kranken unter den Gesehwistern, Kindern und anderen Verwandten eines Kranken die Krankheitserwartung ftir die versehiedenen Verwandten - - insbesondere ffir die Nachkommen - - eines Merkmalsbehafteten errechnet. Die empirisehe Erbprognose bietet so die MSglichkeit, die allf~llige Notweridigkeit der Unfruehtbarmaehung auch ftir die Tr~ger soleher Erbl~elcle~ festzulegen, deren Erbgang noeh nieht sicher bekannt ist; ~ sie ,,hat d~mit ~ clue allergrS~te praktisehe Be- deutung gewonnen" (Bleuler).

Die Anwendung der Korrelationsreehnung hat sieh nicht nur auf die Beziehungen der Merkmale des Auges untereinander zu erstrecken, sondern ist aueh auf die Beziehungen der Merkmale des Auges zu den Merkmalen des Gesamtorganismus auszudehnen. Catsch hat dies 1939 in einer vorbildlichen Arbeit getan, in weteher er die iiberdurehsehnittliche Verknfipfung der markhaltigen Nervenfasern mit bestimmten psyehischen und neurologisehen Ver~nderungen wie auch mit verschiedenen Ent- wicktungsstSrungen und Konstitutionsanomalien naehwies.

Da das Auge trotz seiner Kleinheit eine aul~erordentlieh grol]e Anzahl yon erbbedingten Merkmalen darbietet, sind wir Ophthalmologen im atlgemeinen leider allzu leieht geneigt, bei Bearbeitung erbbiologiseher Fragen des Auges, die Mituntersuchung des Gesamtorganismus in erb- biologischer Hinsieht zu vernaehl/~ssigen. So ist z.B. fiber das Vor- kommen sieher erbbedingter Merkmale des Gesamtorganismus bei den mit idiopathiseher Netzhautabhebung Behafteten niehts bekannt; aueh die sieh mit der Erbliehkeit der idiopathisehen Netzhautabhebung beseh~ftigenden Arbeiten enthalten keine darauf beztiglichen Angaben. Es ist daher notwendig, in augen~rztliehen Kreisen immer wieder darauf hinzuweisen, dal~ ,monosymptomatisehe" Untersuehungen meist nieht zu dem gewtinsehten Ziele ffihren und dal] demgegeniiber die Heran- ziehung der erbbiologisc~en Gesamtuntersuchu~g h~ufig die iibe:rTasehend- sten und aufsehlul3reiehsten Ergebnisse zeiti~. So ffihrte bekanntlieh die polysymptomatische Betraehtungsweise t~remer zur Aufstellung des sog. Status dysraphieus, dessen tats~ehtiehes Bestehen Curtius (1939) jfingst mittels der Korrelationsstatistik sicherstellen konnte; gleich- zeitig maehte er als dessen Grundlage ein manifestationslabiles, ein- faeh dominant~s, pleiotropes Gen wahrseheinlieh. Auf der anderen Seite wurde mange]s einer erbbiologisehen Allgemeinuntersuehung die

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Verkntipfung der blauen Sklera mit der Osteogen.csis imperfecta und der InnenohrschwerhSrigkeit erst verh/~ltnism~Sig sp/~t entdeckt.

Auf die besondere Bedeutung der erbbiologischen Gesamtunter- suchung ffir die Kl~rung der Entwic/clungsphysiologie erbbedingter Ver- /~nderungen hat schon v. Verschuer (1934)hingewiesen. ~Iit dem Nach- weis der Erbbedingthei~ eines Zustandes allein ist ja die Frageslbellung weder in wissenschaftlicher noch in praktischer Hinsicht erschSpft; diese wird vielmehr in der l~ichtung nach dem eigentlichen, dutch die Erbunlage ausgelSsten Krankheitsgeschehen zu erweitern sein.

So komlte ich z.B. gelegentlich der erbbiologischen Gesamtunter- suchung meiner F/~lle yon Dysgenesis mesodermalis corneae et iridis feststellen, dal~ diese hgufig auch eine Anodontia pertialis vera zeigen (1934, 1935 [a]). Auf diese Weise war es mir nicht nur mSglich, meine yore Augenbefunde her abge]eitete Annahme, dab der genannten Ver- /~nderung eine HemmungsmiSbildung zugrunde ]iegt, noch besser zu begrtinden, sondern auch den Zeitpunkt des Eintrittes der Fehlentwick- lung noch genauer festzulegen [Mathis, Aussprachebemerkung zu Rieger 1935 (b)]. In anderen F/~llen wird uns die Gesamtuntersuchung viel- leicht wieder Unter]agen fiir eine einheitliche Auffassung der an ver- schiedenen Organen festzustellenden XuBerungen eines Gens ]iefern; so nimmt Bgcls (1938) fiir die gef~l~/~hnlichen Streifen des Augenhinter- grundes und fiir das Pseudoxanthoma elasticum der Haut als gemein- same Ursache eine erbbedingte abwegige Beschaffenheit des elastischen Gewebes an und schlggt hiefiir die Bezeichnung Elastosis dystrophica vor. Panse (1937, 1938) versucht das Bardet-Biedlsche Syndrom (Poly- daktylie, Dystrophia adiposo-genitalis, StSrungen der geistigen Ent- ~dcklung verbunden mit - - meist atypischer [Trauner und Rieger 1929, Rieger 1931] - -ge t in i t i s pigmentosa) yon einer erbbedingten, in einer friihen Bildungsstufe eintretenden EntwicklungsstSrung der Zwischen- hirnanlage abzuleiten, nachdem schon B6ct~ und Risak (1934) auf die MSgliehkeit eines Zusammenhanges zwischen t{etinitis pigmentosa und StSrungen der Z~dschenhirnfunktion aufmerksam gemacht hatten. Aueh die Osteogenesis imloerfecta, die blaue Sklera und die Otosklerose diirfen wir auf eine gemeinsame Ursache zuriickfiihren, n/~mlich auf eine mangel- hafte Grundsubstanzbildung im Bereiche aller Sttitzgewebe (K. H. Bauer). VielIeicht vermag uns auch bei der XI~rung des der idiopathi- schen Netzhau~abhebung zugrunde liegenden Krankheitsvorganges ~de auch bei anderen uns klinisch zwar wohlbekannten, in ihrer Pathogenese aber noch ungeklgrten Erbleiden des Auges, wie etwa der Myopie, des Glaukoms und der Katarakt die erbbiologisehe Gesamtuntersuchung weiterzuhelfen.

Wenn ich nach diesen allgemeinen grundsgtzlichen Bemerkungen auf Einzelheiten eingehe, kann es nicht, meine Aufgabe sein, sozusagen handbuchm~Big jedes einzelne krankhafte Erbmerkmal des Auges zu

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erw~hnen; vielmehr mSehte ich nur einige der wiehtigsten Veri~nderungen herausgreifen, die in erbbiologischer Hinsicht entweder weitgehend gekl~rt sind wie die Ptosis des Oberlides, die Spaltbildungen und die Katarakt oder an deren Kl~rung uns besonders viel gelegen ist, wie das Glaukom und bestimmte mit Entwicklungsst5rungen des Knochen- systems einhergehende Abweichungen des Auges. Es wird sich so auch am besten Gelegenheit bieten, auf einzelne offene Fragen noch etwas n~her einzugehen.

Wenn wir mit Ver~nderungen der Lider beginnen, sei unser Augen- merk der Ptosis congeniFt des Oberlides zugewandt, die teils als Einzel- merkmal (Ptosis simplex), teils zusammen mit anderen erbbedingten Ver~nderungen (Ptosis complicata) beobachtet wird. Bei der einfachen Ptosis betrifft das schlaffe Herunterh~ngen des Oberlides gewShnlich beide Augen, es kann aber auch nur ein Auge betroffen sein. Als Ursache ist ein Ausbleiben der Entwicklung des dem Lidheber entsprechenden Nervenkernes oder eine mangelhafte Ausbildung des Lidhebers anzu- nehmen. Die Ptosis ist ein stark entstellendes Leiden, das meist dominant vererbt wird. Die Entstellung wird bei der Ptosis eomplicata durch die Vergesellschaftung mit anderen Merkmalen wie dem Epikanthus, der Verbreiterung der Zwisehenaugengegend, der Einsenkung der Nasen- wurzel und der als Blepharophimosis bezeichneten Verkfirzung der Lidspalte noch wesentlieh erhSht. Von den zahlreichen, eine Reihe yon Geschlechterfolgen einbeziehenden Stammbi~umen ftihre ich Ihnen den yon Kriiraer (1925) mitgeteilten vor: Dieser zeigt auch die bekannte

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O O Neugeboren Abb. 1. Stammbaum yon P~osis congenita mit Eptkanthus (nach Kriimer).

Tatsache auf, dal~ die Ptosis als dominanterbliche Mutation auftreten kann. Viel seltener als die angeborene Ptosis wird eine als seniles Merkmal auftretende Altersptosis beobachtet; auch diese ist jedoch erbbedingt. Die Ptosis kann mit Lahmung anderer Augenmuskeln verkniipft sein.

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Die Ophthalmoplegia externa totalis t r i t t allerdings h~ufiger als ein reces- sives, denn als ein dominant-erbliches Merkmal auf. Die einfache Ptosis wird bei famili~rer H~nfung, die komplizierte aber wohl in jedem Falle Anlal3 zur Unfruehtbarmaehung geben (Gi~tt-Rihlin-Ruttke, Harms).

Nun zu den Mil]bildungen des Augapfels. Beim Anophthalmus unter- bleibt die Bi ldung eines Augapfels ~5!lig oder nahezu v511ig. Beim Kryptophthatmus unterbleibt die Bildung einer Lidspalte und eines Bindehautsackes; die ~ul3ere Haut zieht demnach ohne Unterbrechung fiber den schwer mil~bildeten Augapfel hinweg. Beide Zust~nde sind als recessive Merkmale anzusehen. Auch der Mikrophthalmus kann ,,rein", d.h . ohne andere ~Iil3bildungen des Auges vorkommen; infolge des S~ehenbleibens auf einer sehr friihen fetalen Entwicklungsstufe sind die mikrophthalmischen Augen meist hoehgradig hyperop und entsprechend der Unterentwicklung der Netzhaut hochgradig schwach- sichtig. Der Mikrophthalmus tr i t t tells recessiv, teils dominant auf. Die Tr/~ger von Anophthalmus, Kryptophthalmus und - - wohl auch yon - - Mikrophthalmus sind in jedem Falle zu sterilisieren.

Hgufiger als Sippschaften mit ,,reinem Mikrophthalmus" sind solche, bei welchen neben dem MikrophthaImus noch andere Mif3bildungen auf- treten. So finden sich neben dem Mikrophthalmus auger Kolobomen aus genetisehen Grfinden aueh die meist hinter dem Unterlide getegenen Orbitalcysten und schliel31ieh auch Anophthalmus vor. Die Verschieden- artigkeit des klinischen Brides der in derartigen Sippschaften auftretenden MiSbildungen erkennen Sie aus einer yon mir noeh an der Klinik Lindner im Jahre~ 192~ ~beobachtete n, bisher night verSffentlichten Familie:

Von 4 Kindern der nicht blutsverwandten, sonst anscheinend gesunden und normalaugigen Eltern weist das alteste, ein M~dchen, Iriskolobome auf; die beiden nachstfolgenden Knaben waren Zwillinge: Der eine yon ihnen hatte nach Angabe der Eltern ,,keine Augen" und starb ira Alter yon 15 Monaten; tier zweRe wies an beiden Augen typische Kolobome der Iris, der Aderhaut und des Sehnerven auf; wahrend der rechte Augapfel normal gro$ war, war der Hnke mikrophthalmisch. Das vierte Kind, gleiehfalls ein Knabe, wies rechts Anophthalmus mit einer hinter dem Unterlide gelegenen Orbitalcyste, links einen normalen Augapfel auf.

In derartigen Sippsehaften kann demnach nicht jeder einzelnen klinischen Form der Mil3bildung eine spezifische Anlage zugrunde liegen, vielmehr ist flit die Gesamtheit der genannten Ver/~nderungen wohl nur ein einziges, eine Hemmungsmi6bildung bewirkendes spezifisehes Gen anzunehmen, das je nach dem Manifestationszeitpunkt der Anlage entweder zu Anophthalmus, zu einer Orbitalcyste, zu )~krophthalmus oder zu Kolobombildungen fiihrt und so zu der dargelegten Vielgestattig- keit des klinischen Bildes Antal~ gibt. Der )hnifestat ionszeitpunkt schwankt anseheinend nicht nur bei den einzelnen Behafteten, sondern auch an den beiden Augen dersetben Person. Wie die groge, in manchen der bisher beobaehteten Familien festgestellte Frfihsterblichkeit zeigt, ist mit den besonders frfihzeitig einsetzenden EntwieklungsstSrungen, die also zu den klinisch schwersten Mil3bildungen fiihren, ein Letalfaktor

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verbunden; homozygot behaftete Individuen dfirften daher kaum lebens- f~hig sein. Es diirfte sich um ein racist dominantes Gen mit grol~er Durchschlagskraft und wechselndem Ausdrucke handeln. Nach Gi~tt, Riidin und Rutke ist zumindest bei den schwereren Spaltbildungen mit dominanter Erbfolge die Unfruchtbarmachung notwendig; doch erscheint sie bei den ]eiehteren Formen, sofern diese mit erheblicher Beeintr~eh- tigung der Sehsch~rfe verbunden sind, gleichfa!ls angezeigt, da in deren lqachkommensehaft wieder sehwerere Fil le aufzutreten vermSgen.

An die ErSrterung der vor dem Versehlusse der fetalen Augenspalte einsetzenden EntwicklungsstSrungen werden wegen ihrer entwicklungs- physiologischen ~hnlichkeit am besten einige Zustandsbilder angereiht, deren teratogenetisehe Terminationsperiode in die Zeit naeh dem Ver- schlusse der Becherspa]te zu verlegen ist und die sonst meist unter den Mif~bildungen der Iris besproehen werden. Die sog. Aniridie ist dadurch gekennzeiehnet, dab hier klinisch yon der Iris nichts oder nur wenig wahrzunehmen ist; wie besonders die histotogische Untersuehung er- kennen l i6t , ]iegt der Aniridie ein Stehenbleiben der Entwicklung der Iris und des Kammerwinkels auf einer sehr frfihen Bildungsstufe zugrunde. H~ufig finden sich in diesen Fgllen auch EntwicklungsstSrungen der Linse, der Zonula Zinnii und der Netzhaut, die sich in Trfibungen und Lageabweichungen der Linse sowie in Sehschwgche mit Nystagmus iut~ern; die abwegige Besehaffenheit des IG~mmer~dnke]s fiihrt - - bald friiher, bald spiter, doch fast stets - - zu Sekundgrglaukom. Auseinander- setzungen dariiber, ob es sich bei der Aniridie ~m eine ektodermale oder um eine mesodermale Mil]:bildung handelt, scheinen mir nicht wesentlich; dfirfte' doch e ine friih einsetzende EntwicklungsstSrung an versehiedenen Anteiien des Auges wirksam werden und somit koordinierte Abweiehungen - - ohne gegenseitiges Abh~ngigkeitsverhi]tnis dieser untereinander - - zur Fo]ge haben, w~hrend sp~t einsetzende StSrungen wohl eher auf einzelne bestimmte, mehr umschriebene Anteile beschr~nkt bleiben kSnnen. Die Aniridie ist ein ausgesprochen dominant erbliehes Merkmal, yon dem zahlreiehe fiber mehrere Geschleehterfolgen reichende S t a m m b i u m e vorliegen; sie kann auch ohne Sippschafts-Erbbeweis zur Steri]isierung AnlaB geben. Das Auftreten yon Mikrophthalmus oder yon Kolobomen in den Aniridie-Sippschaften ist selten. Die in Aniridie- Familien vereinzelt beobaehteten ,,atypisehen Kolobome" dfirften als F/~lle you partieller Aniridie aufzufassen sein (_Fleischer 1938). Solche F~lle yon unvollstindiger Aniridie seheinen ge]egentlieh auch zu der naehstehend besprochenen Dysgenesis mesodermalis corneae et iridis iiberzuleiten.

So fanden sich bei dem 15jghrigen Johann Sch. mit Mikrocornea und Ani- ridia eongenita partialis o.u. auch einzelne Verhnderungen, wie sie bel der Dys- genesis mesodermalis eorneae et iridis gleichfalls vorkommen (Abb. 2 und 3). Es bestand an beiden Augen Embryotoxon corne~e posterius, ferner w- am r. A. bei 9, am 1. A. bei 6 - - je ein aus dem Kammerwinkel kommender Gewebs-

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zap~en, der mi t der Hinterfl/~che der Hornhautper ipher ie in Verbindtmg stand. Im inneren-unteren Viertel des r. A., wo die Iris verh~ltnism/~Big welt,

A b b . 2. (R,A.)

Abb. 3. (L. A.) A b b . 2 u n d 3. F a l l y o n p a r t i e l l e r A n i r i d l e .

entwickelt w~r, lieB das annghernd ein Tr~belwerk bildende Gewebe ~n einer Stelle die tieferen Irisschichten frei, so dab diese jenes duntde F~hlbraun darboten, wie

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es fiir die ciliaren Irisanteile bei der Dysgenesis mesodermalis corneae et iridis so kennzeichnend ist. Im fibrigen fanden sieh als Zeichen der Membr~na pupillaris persistens an beiden Augen Sternchenzellen an der Linsenvorderflache, ferner pupillarw~rts gerichtete Gewebszapfen vor, yon welehen am l. A. noch ein aus- gedehntes, die Pupille iiberziehendes Netzwerk feinster F~den ausging. Die Linse zeigte reehts eine scharf umschriebene eigenartige Trfibung im Bereiche des Em- bryonalkernes sowie eine Cataracta polaris posterior. Links waren die peripheren Rindenschichten grSBtenteils klar, axial fanden sich fleckige und wolkige Triibungen yon verschiedener Dichte; an den dichtesten Stellen waren Cholesterineinlagerungen and Kapselfalten nachweisbar; w~hrend die ~quatorialen Linsenanteile die reget- rechte Dieke aufzuweisen schienen, war die Linse axial in ein dfinnes Pt~ttchen verwandelt (,,Erythroeytenform" Vogts). - - Die Entwicklungshemmung seheint hier in mehreren Schiiben verlaufen zu sein.

Eine noeh s p ~ e r als die Aniridie, a n d zwar etwa u m die 7. Woche einsetzende Hemmungsmigbf ldung stel]t die yon mir 1935 (a) n~her beschriebene und als Dysgenesis mesodermalis carneae st iridis bezeichnete Ver~nderung dar. Sie ist du tch bes t immte Ent~dcklungss tSrungen im Bereiche der Hornhau t , des Kammerwinke ls und der Vorderfl~che der Regenbogenhaut gekennzeichnet , w~hrend der Sphincter pupil lae und der ret inale Antei l der Iris normal ent~v%kelt sind. Die Verlegung des Kammerwinkels durch persistierendes mesodermales Gewebe ffihrt auch hier 5fters zu Sekund£rglaukom. Persist ierende Verbindungsf£den zwischen Irisvorderfl£che a n d Hornhautper ipher ie ftihren zur Verziehung der Pupille, so dab derart ige F~lle frfiher auch als , ,Katzenpupillen'" beschrieben worden sind. Ich selbst beschrieb die Ver~nderung [1934, 1935 (a)] zungchst bei zwei vereinzel ten F~llen, d a n n bei einer Mut te r und ihren beiden Kindern . Die l e t z tgenann ten F£11e stellte ich in der Sitzung vom 2 1 . 5 . 3 5 der Ophthalmologischen Gesellschaft in Wien vor 1. Da diese 3/Iitteitung ke inen E ingang in das augen/~rztliche Schrif~tum gefunden zu haben scheint, berichte ich fiber die damals erhobenen Be- funde im nachs tehenden etwas ausftihrlicher:

Frau M. hatte 4 um je 2 Jahre ~Itere Briider sowie einen nm 14 Monate jangeren Bruder; yon diesen leben noeh 3, doeh wolmt einer i n der Provinz und die beiden anderen im Auslande, so dab sie nieht erreiehbar sin& Von Ver~nderungen an den Augender Brtider hat Frau M. nie etwas bemerkt, keiner der Brfider tr~gt Glgser. Die Ver~nderungen bei Frau M. selbst wurden yon deren Mutter inq Alter von 14 Jahren bemerkt. Der bereits verstorbene Vater der Frau M. erzghlte, dab seine Mutter erblindet ist. Die jetzt 74jghrige Mutter der Frau M. sieht auf einem Auge gut, am anderen solt sie nach Verletzung - - angeblieh nach Wundstar - - erblindet sein. Der Mann tier Frau M. konnte ieider nieht untersueht werden. Die 2 Kinder des Ehepaares zeigen beide die gleiehen Irisver~nderungen wie die Mntter; beide Kinder weisen aueh Zahnanomalien im Sinne der Anodontia partialis vera auf s.

t Z. Augenheilk. 86, 333 (1935). s Die in dem mir eben zur Kenntnis gelangten l~bersichtsberichte ,,Vererbungs-

forsehung in der Augenheilkunde" [Fortschr. Erbpathol. 2, 13 (1938)] Waarden- burgs erw~hnte Beobaehtung yon H. Mathis betrifft meine oben besehriebenen F~lle. Herrn Prof. H. Mathis, Graz, damals Assistent am Univ.-Institut ~fir Zahnheil- kunde in Wien (Prof. Dr. H. Pichler), dem ieh die genaue Befundung des Gebisses der Geschwister M. verdanke, hatte ich fiber seinen Wunsch meine Fglle zur wissen- schaftliehen Auswertung in zahn~rztlicher Hinsich~ fiberlassen.

v. Grae f e s A r c h i v fflr Oph%halmologie. 143. ]~d. 19

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288 tIerwigh Rieger:

Be]und bei der 42 j&hrigen Frau M. : Stehend-ovale Hht. ; Hht. t~efr. : R. : 42,75 Di. bei 155,44,25 bei 65; L.: 42,25 Di. bei 5,43,00 bei 95. Hht. Durchm.: R. : Waag- recht 9,5, senkrecht 10,5 ram; L.: Waagreeht 10,0, senkrecht 10,5 r a m . - Limbus- begrenzung leicht unseharf, sonst Hht. ohne wesentliche Ver~inderungen. R. hoeh- gradige, L. m~iBige Hypoplasie des Irisvorderblattes mit deutlicher Untergeilung der Iris in einen br/iunlichgrauen eiliaren und einen heller grauen pupillaren Bereieh. R. zieht bei 2 ein Sieh aufzweigender, plumper Gewebsstrang ~us dem pupillaren Anteil in radi/~rer l~ieht.ung gegen den Kammerwinkel zu, um deft zu versehwinden; gegen diese St;erie zu ist die Pupille verlagert und ann/ihernd birnf6rmig entrundet. L. ~indet sieh oben-auBen eine Andentung yon arkadenf6rmiger Strukturierung des Vorderblattes; die Pupille ist etwas naeh innen verlagert und ganz leieht ent- rundet. R. Cat. pol. ant. mit einer kleinen Gruppe yon Sternchenzellcn, sonst Linse wie L. o. ]3. Fundus: R. : Fundus myopicus, L. : Typus inv. vas. retinae. Visus: R. mit - - 1 5 s. 6/24, L. mit - - 2 s. 6/8.

BeJund bei dem 14j~ihrigen Sohn Leopold M.: Hornhautrefraktion: R. waag- reeht 40,25, senkreeht 44,5 Di., L. wa~greeht 41,5, senkreeht 41,5 Dioptrien. Hht.- Durehmesser: 1~. = L.: Waagreeht wie senkreeht 9,5 mm. An beiden Augen fetale ]3esehaffenheit des Limbus (Membrana eorneoseleralis persistens); IIht . ehen und gl/~nzend; an der I-Iinterfl/iehe der Hornhautperipherie eine naeh innen zu mit einer seharfen granweiBen ]3ogenhnie begrenzte sehmale Triibungsleiste, die einer zum Teil glasigen Auflagerung entsprieht und his gegen den Kammerwinkel zu verfolgbar ist.

Am reehten Auge (Abb. 4 )beg inn t diese ]3ogenlinie bei i /~l l , wird zwisehen 1/~8 und i/e5 undeutlieher, nasenw~rts zu wieder sch/irfer, um sehlieglieh bei 1/22 zu versehwinden. Mit dieser bogigen l~andtri]bung stehen schmale Str/~nge grauen Gewebes in Zusammenhang, die yon 9 und 2 her gegen die Irisvorderfl/~ehe zu ziehen lind in den die Pupille umgebenden Gewebsring einstrahlen; w/~hrend der von 2 kommende Gewebsstrang armal¢ig den nas~len Winkel des Pupitlensehlitzes umsehliegt, verl~iuft der von 9 kommende Gewebsstrang gegen den oheren Anteil des temporalen Winkets des Pupillensehlitzes, gegen dessen unteren Anteit ein yon 8 aus dem Kammerwinkel kommender Gewebsstrang verl~uft; an dieser Stelle besteht eine Ausw~rtskehrung des Pigmentepithels. ]3ei 2 zieht ein zarter, glasiger sich verfistelnder 1%den yon der ~uBersten Peripherie der Hht.-Hinterfl/~ehe gegen die Peripherie der Irisvorderfl/~ehe zu. Die Pupille des reehten Auges stellg einen ziemlieh schmalen yon augen-unten naeh innen-oben vertaufenden Schlitz dar. An der Linsenvorderfli~che zahlreiehe Pigmentsternehenzellen.

Am linken Auge (Abb. 5) beginnt die erw/thnte Randbogentrtibung bei 11, ist aueh unten deutlieh ausgebildet, zeigt augen-oben einen welligen Verlauf und verliert sieh bei t. Bei etw~ 7, 1/~8 und 8 ent, swingt vom inneren gande der Triibungshnie je ein zarter, glasiger, sieh ver~stelnder Faden, der in das graue, die Irisvorderschicht bildende faserige Gewebe einstrahlt. Augen-oben scheinen breitere Anteile dieses Gewebes mit der Randtrfibung in Verbindung zu stehen. Ohne eine Verbindung mit dieser zu haben kommt bei 9 ein breiter Gewebsstrang aus dem Kammerwinkel und verl/~uft gegen die Pupille zu; diese weist eine nach innen zu geriehtete birnf6rmige Entrundung bei geringer Verl~gerung auf. An der Linsenvorderft/iehe z~hlreiehe Pigmentsternehenzellen.

Fundus: R.. o .B. , L. markh~ttige Nervenfasern. Visus: 1~. ~3 ,75 s. komb. mit 3,0 cyl. bei 900 6/8, L. 4-3,50 s. komb. mit 2,75 e. be i96 ° 6/8. Tonus: R.. 22, L. 17 mm Hg.

Be/~nd bei der 9j/~hrigen Toehter Grete iVI.: Etwas schwa~ehliehes, abet sonst anseheinemt normal entwiekeltes M:/~dchen. - - Lidspalte links etwas enger Ms reehts, ttornhautrefraktion R. horiz. 43,5, vert. 44,0 Di., L. horiz. 43,0, vert,

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E r b f r ~ g e n in der Augenhe i lkunde . 289

A b b . ~ u n 4 5 . ;kbb. 5. (L. A.)

Fal l yon DysgencsiS mesoderma4is corneae et iridis. 19"

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290 Kerwigh R, ieger:

43,50Di. Hornhautdurchmesser: R. = L.: Horiz. 10,5, vert. 10,75ram. [Tber- gang zwischen Sklera und Itornhaut unscharf, ein Netzwerk oberfl/iehlicher Gef/~Be ziemlich welt vorgeschoben, schneider jedoch hornhautw~rts zu scharf ~b. Horn- hau~ eben und gl~inzend. An der tIinterfl~che tier Hornhautperipherie finder sich am rechten Auge eine nach innen zu mit einer scharfen grauweiBen Bogenlinie begrenzte schmale Triibungsleiste, die bei 1/22 beginnt und iiber eine schmale Briicke zwischen 1/25 und 7 gegen 9 verl~uft; aut3en-unten ist sie yon fa~erig- streifigem innen und unten yon k6rneligem Pigment besetzt. Die zum Tefl glasige Auflagerung ist bis gegen den Kammerwinkel zu verfolgbar. Am linken Auge besteht eine v61lig gleichartige bogen~6rmige Trfibungslinie, die bei 1/211 und bei 1/22 beginnend nach unten zu schm£1er wird. Die Iris stellt entsprechend einer wcitgehenden Hypoplasie der Vorderfl~che ein stumpfgraubraunes, ziemlich gleich- m~Big struktui'iertes tt/~utchen da.r. Die Pupfllen reagieren prompt, sind unter- mittelweJt, links etwas welter als rechts, beide sind etwas entrundet und leicht nach innen-oben verlagert. Die Linsenvorderfl/iche weist am rcchten Auge innen- oben eine kleine Gruppe von Sternchenzellen, am [inken Auge mnssenhaft Sternchen- zellen in der Mitre der Pupille auL Die Linsen selbst sind nicht verlagert und erscheinen his au~ einzelne feinste Punkttr/~bungen der Rinde klar.

Strabismus div. oc. sinistri. Fundus: Geringe myopische Ver~nderungen. Visus R.: --4,5 s. komb. mit 1,0 cyl. bei 900 6/t2, L.: --12,0 s. komb. mit 1,0 cyl. bei 900 6/18 ?

Von der Dysgenesis mesodermalis eorneae et iridis sind neben zahl- reichen vereinzelten F/~tlen auch einige mit dominanter Erbfolge be- schrieben; wie bereits 1935 (b) erwahnt, kann auch diese meine Be- obaehtung fiir dominanten Erbgang verwertet werden; ebenso t r i t t bekanntl ich die mit der Dysgenesis mesoderma]is corneae et iridis haufig verkniipfte Anodont ia part, ialis vera [Rieger 1935 (a)] meist dominan t erblich auf (Trauner und Preifieclcer 1933). Ferner land sieh Hypoplasie des Ir isvorderblat tes aueh in der yon Berg (1932) besehriebenen Sipp- sehaft mit dominant ,,erblichem jugendlichem Glaukom". SehlieBlich ist aueh die yon Frank.Kamenetzki (1925) mitgeteil te Familie sicher hierher zu rechnen, innerhalb welcher sich der mit Sekund/irglaukom verbundene Mange] des Ir iss t romas reeessiv-gonosomal vererbt haben solI; der letztgenanntJe S t a m m b a u m wird irrigerweise h/~ufig als Sehul- beispiel Iiir die recessiv-gesch]eehtsgebundene VererbungsmSgliehkeit des prim/~ren Glaukoms angefiihrt! - - Auf Grund zweier eigener Be- obachtungen ha t ktirzlieh Sehar] (1.941) auf gewisse Beziehungen der Dysgenesis mesodermalis zur ]ortschreitenden Irisatrophie mit sekund~rer Lochbildung und Druelcsteigerung aufmerksam gemaeht. - - Die Dys- genesis mesodermalis corneae et iridis ist wohl aueh dann, wenn sie nieht zu Sekundarglaukom fiihrte, als sterilisationspflichtiges Leiden anzu- sehen.

Die Erbverhaltnisse der Membrana I~upillaris persistens, die mit ihren leiehten Ausbildungsgraden sehon in den Bereich des Physiologischen hineinragt, sind noch unklar ; dab auch sie erbbedingt ist, ist wohl zweifel- los. Sie stellt die a m sp/~testen eintretende, den Aufbau der Ir isvorder- fl/~ehe betreffende Abweiehung dar.

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Nun zu einigen erbbedingten Entwieklungsst5rungen des Knochen- systems, die in kennzeichnender Weise auch das Auge in MitIeidensehaft ziehen.

Die ,,bIaue Sklera" geh5I~ bekarmtlieh zusammen mit der Osteogenesis imperfecta und der Otosklerose zu jener Trias, die ausgesprochen dominant erblieh ist und der ein Gen zugrunde liegt, das - - wie bereits ausgeftihrt - - nach K. H. Bauer zu einer Systemerkrankung s/imtliclfer Stiitzgewebe ffihrt, die sieh ,,in einer Dysfunktion atler Grundsubstanz liefernden Zel]elemente" /~uBert. Die AnIage weist eine groBe Durchschlagskraft auf; diese ist naeh )Puff am gr6Bten ftir die blaue Sklera mit 94,4%, dann folgt mit 55;9% die Knochenbriiehigkeit und zuletzt mit 23,7% die Otosklerose, die sich bekanntlich auch verh/~ltnism/~Big sp/tt mani- festiert. Die Expressivit/it der Anlage weehselt. In weleher Weise sieh die Anlage in homozygotem Zustande /£uf~ert, ist unbekannt. Die in dem yon Chimani (1940) mitgeteilten, fiber 5 Generationen reiehenden Stammbaume enthaltene Beobachtung erkrankter Zwillinge diirfte die einzige des Sehrifttums sein. Was das Ph~nomen der blauen Sktera im besonderen betrifft, wies Vogt (1925) mittels spaltlampenmikroskopiseher Untersuehungen naeh, dab das Dnrchseheinen des Uvealpigmentes hier nieht - - wie meist angenommen - - duretl eine Verdiinnung, sondern dureh eine krankhafte Herabsetzmlg der Opazit/~t der Lederhaut zustande kommt. In Anbetracht deg grogen ph/~nisehen Variabilitat des Zustands- bildes kommt der Erkennung der leiehten F~lle besondere Bedeutung zu (Bornebusch); aueh diese w/i.ren yon der Fortpflanzung auszusehalten.

Aueh die - - in augen/~rztliehen Kreisen wenig bea, ehtete - - Dysostosis mutt@tex~ (Hurler) daft wegen ihres Vorkommens bei GesehMstern [Helmholz nnd Harrington (1931), Nordmann (1937)], besonders aber im Zusammenhang mit der Beobaehtung yon Schar] (1941), der einen aus einer Gesehwisterkinderehe stammenden Fall sah, als eine Erbkrankheit angesehen werden; es liegt ihr eine friihzeitig einsetzende Entwicklungs- st6rung im Bereiehe der Epiphysenfugen und der Knoehenkerne zugrunde. Die sie stets begleitenden auBerordentlieh kermzeiehnenden schleier- artigen Trfibungen des Hornhautparenchyms haben Gasteiger und Liebenam 1937 eingehend beschrieben. Die Dysostosis multiplex (Hurler) ist wohl als eine sehwere kSrperliehe Migbildung im Sinne des Gesetzes z. V. e. N. anzusehen.

So bemerkenswert die allein oder zusammen mit der Ektopia pupillae vorkomlnende Ektopia lentis auch sein mag, ist doeh das Auftreten der Linsenektopie neben der ArachnodaktyIie als Zeichen des Mar/ansehen S y ~ n ~ o m p I e x e s von besonderer Wiehtigkeit; an dessen Erbbedingt- heir kannseitWeves (1931) grundlegender Arbeit und ~eit der Mittei- lung eines konkordanten Zwillingsfalles durch Becket (1937) und Schwarz- weller (1937) nieht mehr gezweifelt werden. Die bisherigen Beobachtungen

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292 Herwigh Rieger:

sprechen meist f a r - zum Teil unregelm~Big---dominanten, bisweilen aueh fiir recessiven Erbgang, ein Sachverhalt, der vielleicht am besten durch die Annahme eines Gens mit sehwacher Penetranz zu erldaren ist. Aueh die Expressivit~t der Anlage wechselt, so dab neben den Vollbildern auch Formes frustes zu beobachten sind. Die das Vollbild zeigenden iibermittelgrol~en Personen hat Were wegen ihrer den ganzen KSrper betreffenden L~nge und Zartheit der Knoehen und dam mangelnden Fettpolster mit einem treffenden Ausdruck als ,,lebende Skelete" bezeichnet; die Spinnenfingrigkeit ~drd bek~nntlich durch die eigenartige Schlankheit und,Lange ar6r Finger im Verein mit den muskulgr bedingten Beugekontrakturen hervorgerufen. Were wie auch Schwarzweller sehen mit I~eeht die Arachnodaktylie als eine StSrung der Entwicldung der mesodermaIen Gewebsanteile an, in die Were aueh die Linsenektopie mit einbezieht. Gegen die letzte Annahme haben hervorragende Vertreter unseres Faches wie ~ranceschetti, Vogt und Waardenburg begriindete Einw~nde erhoben; sie bestreiten die MSgliehkeit einer mesodermalen Bedingtheit der Linsenverlagerung und lehnen daher aueh die einheit- lithe Erkl~rung des Mar/ansehen Syndroms als einer rein mesoder- malen EntwicklungsstSrung ab; nach BiicHers (1938) nimmt daher Waardenburg ein sieh polyphgn gul~erndes Gen, Vogt aber Faktoren- koppelung an. Ich selbst neige aus Griinden, die hier nicht weiter erSrtert werden k5nnen, der Ansicht Weves Zu. Bei Fallen yon Linsen- ektopie wird kiinftighin auf das allfallige Bestehen von Arachnodaktylie besonders zu aehten sein. Die Ektopie der Linse ist stats ein schweres sterilisationspflichtiges Erbleiden, da neben der weitgehenden Beein- trgehtigung des Sehverm5gens noeh die Gefahr der sekund~ren Drnck- steigerung und der ~etzhautabhebung be~teht: Diese rassenhygiemsch begriindete Stellungnahme erscheint mir-trotz der erfolgverspre~henden therapeutisehen Beeinflul~barkeit mancher F~lle gereehtfertigt.

Lisch und Thums (1937) teilten einen besonders in grunds~tzlicher Hinsicht bemerkenswerten Fall eines eineiigen Zwillingspaares mit, das konkordant Zeichen eines Status dysra~hicus darbot. W~hrend aber der eine Paarting sonst gesund war, wies der andere Paarling neben nmwelt- bedingten Vergnderungen (Littlesche Krankheit) auch anlagebedingte Abweichungen (Mi/~Topha/~ie mit Schichtstar) auf. Diese Diskordanz des EZ-Paares ~4rd durch Manifestationssehwankungen zu erkl~ren ver- sueht.

Die Erbbedingtheit der Katara/ct ist - - wie eingangs bereits erw~hnt - - seit langem bekannt. Die Befunde aus ~lterer Zeit sind aber wegen der Unzul~ngtiehkeit der damals zur Veffiigung gestandenen klinischen Uf~tersuchungsverfahren nicht in jenem MaBe verwertbar als dies wiin- sehenswert w~re. Wit wissen ja heute, dab nicht einfach ,,Grauer Star" vererbt wird, sondern eine bestin~mte Form der Linsentriibung mit allen ihren feineren Einzelheiten. Die Erbbedingtheit gilt in gleicher

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Erbfragen in der Augenheilkunde. 293

Weise ffir angeborene als auch ffir erworbene Starformen, nur ist diese fiir die angeborenen Formen leichter zu beweisen als fiir die erworbenen. Entsprechend der Seltenheit der angeborenen K a t a r a k t wird sich der Versueh des Erblichkeitsnaehweises hi er auf die Stammbaumforschung besehri~nken kSnnen, w~hrend ffir die erworbene K a t a r a k t teils wegen der verh~ltnism~Big groBen H~ufigkeit des Merkmals, teils wegen des sp/iten Manifestationstermines der Anlage die Zwillingsforsehung herangezogen werden muB. In dieser gins icht verdanken wir besonders den Vogt. schen Zwillingsuntersuchungen fiber die senilen Merkmale eine wesent- liehe Erweiterung unseres Wissens . - - - Die bisherigen Ergebnisse der Stammbaumforschung lassen die Annahme als gereehtfertigt erscheinen, dab zwischen den angeborenen und den 'erworbenen Formen der erb, bedingten Ka ta r~k t kein genotypiseher Z~dsammenhang besteht. Es wird daher nicht nur yon Erbbiologen, sondern auch yon sachverst~ndigen Ophthalmologen jenen Stammb~umen der £1teren Zeit, die eine weit. gehende Antizipation dar tun sollen, bereehtigter Zweifet entgegen- gebracht . So soll z. B. in einer von Norrie beschriebenen Familie in der 1. Generation Cataracta senilis, in der 2. Cataraeta praesenilis, in der 3. Generation Cataracta juvenilis bestanden habenl in der 4. Generation die Trfibung vor dem 7. Lebensjahre, in der 5. aber bereits bald naeh der Geburt aufgetreten sein! Bei der Beurteilung eines soIehen Sach- verhaltes mfissen wir uns immer vor Augen halten, dab wir die beiden jiingsten Gesch]echterfolgen in einem Zeitpunkte fiberblicken, in dem deren Mitglieder das dem Manifestationstermine der senilen Ka ta r ak t entsprechende Lebensalter noeh nicht erreicht haben. Ein gesetzmiiBiges Gesehehen kann jedenfalls in der Antizipation nieht gesehen werden, wenn aueh deren gelegentliehes Vorkommen nicht bestri t ten werden solI.

I m allgemeinen sind die angeborenen Star/ormen meist dominant erblieh, wenn gelegentlich auch ~vereinzelte F~lle und Geschwisterf~lle beobaehtet werden und insbesondere/ffir best immte Starformen Rezes- sivit~t wahrseheinlieh gemaeht wurde.

So beschreibt z.B. Bi~cklers 1 Cataracta ,,filiformis" zusammen mit Cataracta pulverulenta centralis bei 2 yon 5 Kindern augengesunder, aber mehrfach bluts- verwandter Ettern als recessives Erbleiden. Ferner erwahnt Hedingcr (1939) eincn recessiv vererbten angeborenen Totalstar yon ungewShnlicher Form. Ich selbs~ kenne 4 F~lle yon angeborener Katarakt mit Blutsverwandtscha]t der Eltern in der Vorgeschichte; die urs~chliche Bedeutung der Blutsverwandtenehe konnte aus ~uBeren Griinden allerdings nur in 2 F~llen erh~rtet werden: Pyramidalstar ver. bunden mit starken Steltungsanomalien der Z~ne bestand bei 2 von 3 aus einer Ehe augengesunder Geschwisterkinder hervorgegangenen Kindern; das 3. Kind wies geringgradigen myopen Astigmatismus bei ausgezeichnetem Sehverm6gen auf. Eine 31jahrige Frau zeigte Cat. pol. post. cong. o. u. bei geringem zusammengesezten hyperopen Astigmatismus und gutem Sehverm6gen. Bei einem 9j~hrigen Juden- knaben land sich rechtsseitige Cat. corr. post. in Rosettenform bei hochgradigem gemischten Astigmatismus und stark herabgesetztem Sehverm6gen beiderseits;

1 Bi~cklers: Z. Augenheilk. 91, 338 (1937).

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294 Her~vigh Rieger:

die 5 Geschwister und die Eltern waren frei yon Star. Eine 32j~hrige Frau jfidischer Abkunft wies schalenf5rmige Cat. corr. post. beiderseits bei einer Hyperopie yon 7 Di. auf; die Verwandtschaft konnte nicht untersucht werden (s..Rieger 1).

Als dominant erblich erscheint der Totalstar, der vordere und hintere Polstar, der Nahtstar, der Sehichtstar sowie auch einzelne seltenere Formen.

So z.B. sah ich Cataracta ]usi]ormis o. u. mit horizontalem ~ystagmus bei Vater und Sohn. Die Eltern, die Frau und die Tochter des Mannes waren laut fach~rztlicher Mitteilung frei yon Star. Beim Vater bestand ein Hornhautdurch- messer R. yon 10, L. yon 91/2 ram; die Papillen wiesen eine Andeutung yon Psendoneuritis auf; das SehvermSgen betrug (nach Skiaskopie) R. m i t - 8 s. 3 - - 5 cyl. 60 o, L. m i t - 6 s. ~ - - 5 cyl. 40 o 6/24; nach der im 24. Lebensjahre vorgenommenenStaroperation kam es sowohl R. als L. zu einer l~nger anhal- tenden sekunda.ren Drucksteigerung. Beider letzten h'achuntersuchung bestand R. ein SehvermSgen yon 6/9, L. yon 6/18; der intraokul~re Druck hielt sich an der oberen Grenze. Beim 6j~hrigen Sohne bestand mit - - 1 s. ein Sehverm5gen R. von 0,5/15, L. yon 0,5/10; am Fundus R. = L.: Conus temporalis. Von einem Eingriffe wurde zun~chst abgesehen.

Bei den angeborenen Staren bereitet die Abgrenzung der erbbe- dingten Formen yon den umweltbedingten Ver£nderungen im Einze]- fail manchmal Sehwierigkeiten. Die Beziehungen des Sehiehtstars zur Spasmophilie sind noch nicht v611ig gekl~rt.

Auch die prdsenilen Star/ormen, yon welchen die Cataracta coro- naria die h£ufigste sein dfirfte, sind moist dominant erb]ieh. Hinsicht- ]ich der Cata~ucta, senilis wissen wir heute, dal~ diese nicht einfaeh eine Altersfolge darstellt, wie man dies ursprfinglich angenommen hatte, sondern, dal3 diese als ein sich verh~ltnism~l]ig sp~t manifestierendes Erbmerkmat aufzufassen ist. Ferner geht aus den Untersuehungen besonders der Vogtschen Schule horror, dal] sich Rinden- und Kernstar getrennt vererben. (~ber das eigentlich:e Wesen des durch die Erbanlage veranla6ten, zur Kataraktbfldung ffihrenden Krankheitsvorganges wissen wir allerdings bis heute wenig Bestimmtes.

Der Gesamtuntersuchung kommt sowohl hinsichtlich der Klgrung der Pathogenese der Kataraktentwieklung eine besondere Bedeutung zu, als auch deshalb, weft die Katarakt gelegentlich nicht nur als einziges Erbmerkmal und zusammen mit anderen erbbedingten Merkma]en des Auges wie Mikrophthalmus, Irisko]obom usw. auftritt, sondern auch in Begleittmg yon Erbmerkmalen des fibrigen KSrpers ~orkommen kann: Die Myotonie-Katarakt zeigt an der Spaltlampe ein so kennzeichnendes Bild, da~ sie allein dutch den klinischen Befund schon als solehe zu er- kennen ist; auch fiber Verknfipfung yon angeborenem grauen Star mit Sehwachsinn, Encephaloeele und anderen cerebralen StSrungen wurde berichtet. Die bei bestimmten Hautkrankheiten auftretende Cataracta dermatogenes ist gleichfalls erbbedingt. Demgegenfiber w£ren die bei

1 Rieger: Z. Augenheilk. 81, 188 (1933).

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Erbfragen in der Augenheilkunde. 295

der mongoloiden Idiotie so hgnfig zu findenden Starformen noch nicht als sicher erbbedingt anzusehen, da nach den bisherigen Forschungs- ergebnissen die Erbbedingtheit der mongoloiden Idiotie noch nicht ein- wandfrei feststeht. Wieweit an sieh erbbedingte St6rungen der inneren Sekretion zu Kataraktbi ldung fiihren k6nnen, steht noch dahin.

~V~s das Zusammenvorkommen von angeborenem gTguen Star mit Mil3bildungen der GliedmaBen bei einzelnen Mitgliedern einiger im Schrift- turn mitgeteilter Sippen anlangt, mag dieses gewil~ auf Zufall beruhen und so ,,die Korrelation zwischen Star und bestimmten Fingerabwei- ehungen . . . . noch sehr anfechtbar" sein (Waardenburg, Bi~ckters), doeh scheint mir die M6glichkeit, dab das gemeinsame Auftreten yon an- geborenem grauen St~r und GliedmaBen- entwicklungsfehlern im Sinne yon ,,mul- tiplen Abartungen" (v. P/aundler) zu deuten w/~re, nicht ganz v o n d e r Hand zu weisen zu sein. In diesem Falle w/~re wohl an das Vorliegen eines pteiotropen Gens zu denken. I m Zusammenhange mit der vor- liegenden Frage sei eine eigene Beobach-

Abb. 6, l:f/iutige Anh~ngsel an tung kurz mitgeteilt : der Ulnarseite der klei~e~ Finger

Bei de r 4 Woehen a l t e n H e l g a R. l i n d e n s ieh im Sinne rudiment~rer Ausbil- dun~ Yon Seehsf i~er igkei t bei

aul~er einer Iinksseitigen Cataracta zonularis an einseitigem angeborenem der ulnaren Seite der beiden kleinen Finger kleine Sehichtstar. hiiutige Gebilde (Abb. 6), die als rudiment~re Ausbildung einer Hexadaktylie aufzufassen sind. Der Vater der Kleinen ist frei yon Star. Die Mutter dagegen wurde im Alter yon 8 Monaten wegen Schicht- stars am beiden Augen operiert; das Sehverm6gen betr~gt dzt. mit Glas I4. 1/24, Jg. 14, L. 6/18, Jg. 1. Die Sehwester der Mutter ist augengesnnd. Die Eltern der Mutter sind nieh~ blutsverwandt; die Familie ihrer Mutter stammt aus dem B6hmerwald, die ihres Vaters aus dem Erzgebirge. Der Vater der Mutter ist dzt. 56 Jahre alt; er hatte ]2 Gesehwister, von welchen 3 klein gestorben sind; sein Vater wurde 75, sein Gro[]vater v~terlieherseits 102 Jahre alt. Uber das Vor- kommen yon grauem Star und yon MiBbildungen der GliedmaBen ist weder in tier Vorfahrensehaft des Vaters, noeh in der der Mutter der kleinen ttelga, etwas bekannt.

Die Hal tung der Ophthalmologen in der Frage der erbpflegerischen Bedeutung dec erbbedingten angeborenen Ka t a r ak t ist nieht einheitlieh. Mir erseheint der yon Fleischer (1938) und yon Lisch (1939) eingenommene Standpunkt, dab fiir die Frage der Unfruchtbarmachung der natur- belassene Zustand eines Erbleidens, d. h. der Zustand vor und nicht naeh der Operation maBgebend sein miisse, den dem ,,Gesetze zur Verhfitung erbkranken Nachwuchses" zugrunde l iegenden Gedanken der Heran- bildung eines erbgesunden Volkes entsprechender als jene - - mehr formale - - Stellungnahme anderer Fachkollegen, die sich haupts~chlich anf den Wort laut der diesbeztiglichen Ausfiihrungen in den Gi~tt-Riidin- t~uttkeschen Gesetzeserl/~uterungen st(itzen und eine Unfruchtbarmachung

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dann nicht als geboten ansehen, ,,wenn bei mehreren Gliedern der Familie oder Sippe durch die Operation ein gutes Sehverm6gen erzielt wurde" (Biicklers 1938). Immerhin dfirfte Einhelligkeit darfiber bestehen, da~ zumindest F~lle mit sehweren Starformen wie etwa des angeborenen Totalstares oder des Myotoniestares unfruchtbar zu maehen sind.

Was das primd:re GIaukom anbetrifft, wies auf dessen Vorkommen in mehreren Gesehlechterfolgen bestimmter Familien schon Albrecht v. Orae/e 1869 auf Grund eigener Beobaehtungen bin. Seither wnrde an der Hand umfassender Stammb~ume die einfaeh dominante Vererbung des prim&ten Glaukoms wiederholt unter Beweis gestellt; zuletzt von Stokes (1940) sowie yon Glees und Ried (1941), yon welchen der erste fiber 6, die letzteren fiber 5 Gesebleehterfolgen beriehteten.

Wenn nun der iiberwiegende Tell der bisher besehI~ebenen Sippen mit dominant erbliehem prim&rem Glaukom Jugendliche betraf, daft daraus aber nicht - - wie dies Glees und Ried tun - - gefolgert werden, ,,da[3 das erb]iehe Glaukom vorwiegend in der jugendliehen Form auf- tritt". Vielmehr ist anzunehmen, dal~ es beim jugendliehen Glaukom leichter mSglich ist dureh Sippschaftsuntersuchungen die Erbbedingtheit festzustellen als beim Glaukom der Erwaehsenen, da ein GroBteil der Anlagetr~ger den hohen Manifestatiop~stermin des Altersglaukoms fiber- haupt nicht er]ebt. Es fragt sich fibrigens, ob die weiteren klinischen Erfahrungen die bisher fiblieh gewesene Trennung yon jugendlichem Glaukom und Altersglaukom werden aufrecht erhalten lassen. Jedenfalls sprechen fiir die Erbbedingtheit aueh des Altersglaukoms nicht nut ein- zelne Stammb£ume, sondern auch die Mitteilung Kiirtens, der fiber ein 81ji~hriges eineiiges Zwillingsbrfiderpaar berichtete, bei welehem Wessely im 75. Lebensjahre Glaukom festgestellt hatte; die mit 92 Jahren ver- storbene mutter der Zwillinge war in den letzten 3 Lebensjahren blind gewesen. In der Mehrzahl der besehriebenen Glaukomfamilien bestand Glaucoma simplex, seltener inflammatoris(Shes Glaukom (Wol/sohn- Ja]]d 1935), am seltensten wechselte die Krankheitsform. Es seheint demnaeh Form, Verlaufsart und Manifestationstermin in den einzelnen Familien idiotypisch festgelegt zu sein mit st£rkerer interfamilii~rer und geringer intrafamiliiirer Variabilit£t; das zu Glaukom ffihrende Gen seheint demnach ziemlieh manifestationsstabil zu sein. Wi~hrend sich das Glaucoma simplex anscheinend ohne irgendwelche Aul~eneinfliisse manifestiert, wirken allerdings beim Glaucoma inflammatorium aeutum bekanntlich hgufig Umwelteinflfisse wie psychische Erregungszustande und bestimmte WitterungsverhAltnisse auslSsend, welcher Umstand die Regelm~Bigkeit des Erbganges vielleieht zu beeintriichtigen vermag.

Auf Grund glterer Beobaehtungen - - sehon Albrecht v. Grae/e be- richtete fiber solche - - nimmt LShIein (1938) an, dab die sog. Antizipation ,,in der Tat nicht etwa nur auf der gesteigerten Beobaehtung" beruhe, sondern dab es sieh ,,urn eine tatsa, chliche Eigentiimliehkeit der Glaukom- vererbung zu handeln" seheint. Da unter den neueren Beobachtern

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wohI Biro (1939), doch weder Wol/sohn-Ja//d noch Allmaras, Stokes oder Glees und Ried in ihren Sippschaften mit Sicherheit Antizipation fan@n, erseheinen mir die yon Glees und Ried hinsichtlich der Richtigkeit der L6hleinschen Annahme vorgebrachten Zweifel berechtigt; es kann daher, wie schon bei der Kataraktvererbung bemerkt, auch hier keine Rede davon sein, dal~ die Antizipation eine biologische Gesetzm~i~igkeit dar- stellt. - - Trotz des gelegentlichen Vorkommens yon Hydrophthalmus- f~llen in Glaukomfami]ien diiffte zwischefi dem erbbedingten primiiren Glaukom der Erwachsenen und dem Hydrophthalmns ebensowenig eine genotypisehe Beziehu~ bestehen, als Wir eine solehe fiir die ange- borenen und die erworbenen erbbedingten Kataraktformen anzunehmen in der Lage waren; zu dieser Armahme berechtigt uns aueh besonders der Umstand, dal~ - - wie gesagt - - das primi~re Gtaukom ein typisch dominantes, der Hydrophthalmus aber ein typisch recessives Erbmerkmal darzuste]len seheint.

Vom erbbiologisehen Standpunkt aus verdient noeh die Refraktion tier innerhaIb der besehriebenen Sippschaften an Glaukom Erkrankten besondere Beaehtung: Plocher (1918) teilte an der Hand eines aus- gedehnten Stammbaumes mit, dab seine G]aukomf~lle durehweg myop waren; ~hnliches berichten aueh Stokes sowie Glees und Ried (54%). Z6hIein (1913) fand unter seinen Einzelf~llen yon juveni]em Glaukom gleiehfalls einen groBen ttundertsatz von Myopen (50%). L6hlein (1938) glaubt daher annehmen zu diirfen, ,,dal~ diese Myopie der jugendlichen Glaukome . . . als eine Folgeerscheinung des das waehsende Auge treffen- den gesteigerten Innendruckes aufzufassen ist. Gelegentlich mag natfir- lich aueh eine pr~existente Myopie zuf~llig mit einem juvenilen Glaukom zusammenfallen, vielleicht darf man sogar annehmen, d a l l - wenn es sich um erbliehe Fi~lle yon juvenilem Glaukom handelt ~ die Myopie (ifters gleichzeitig und unabh~ngig vo~n der Glaukomanlage vererbt worden ist." In An]ehnung an L6hlein nahm aueh Ploc~er an, = dab die Myopie seiner jugendliehen Glaukomkranken eine Dehnungsfolge der Drucksteigerung wi~re, w~hrend Franceschetti die Richtigkeit dieser Annahme yore Erbliehkeitsstandpunkte aus bezweifelt und daranf hinweist, dab gerade die Myopie eine weitgehende Korrelation zu den versehiedensten erbtichen Anomalien zeigt, bei denen ein urs~ehliches Moment nicht in Frage kommen kann. Aueh bezfiglich der beim Hydr- ophthalmus h~ufig zu findenden Myopie erseheint Franceschetti das Bestehen einer korrelativen Beziehung wahrseheinticher. Nun hat Hruby (1940, 1941) bei der statistischen Bearbeitung des Wiener und Prager Glaukom-Krankengutes neuerdings darauf hingewiesen, alas das Durchschnittsalter der Myopen bei Beginn des Glaukoms ganz allgemein niedriger ist als das der Emmetropen und H~peropen. Wit dfirfen daher mit Hruby annehrnen, dab - - vermutiieh im Znsammenhange mit der Verschiedenheit der Akkommodations~:erhi~Itnisse - - das ~Glan- ]~om bei Myopen am ffiihesten und bei Hypermetropen am spi~testen

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einsetzt. Wenn also die Annahme der genischen Verkniipfung yon Glaukom und Myopie zu Reeht bestehen sollte - - eine solehe w~re am ehesten als Ausdruek eines pleiotropen Gens aufzufassen - - und wenn sieh weiters das Glaukom a,us bestimmten Grtinden bei Myopen ta~s/~ch- lieh besonders fr/ihzeitig manifestieren sollte, dann darf es uns nieh~ wundern, dab sieh unter den Stammb/~umen des Schrift~ums, d i s - wie oben ausgefiihrt - - aus biologisehen und methodischen Griinden vor- nehmlieh juveniles Glauko~ betreffen, so h~ufig myope Glaukom- familien linden.

Beim juvenilen Glaukom land Lgh[ein ein geh/~uftes Vorkommen anderer erbbedingter Vergnderungen, was aber yon anderer Seite nicht best/~tigt wurde (Glees und Riec[); dieser ]~rage wgre in Zukunft ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. AnlaB zur Sterilisierung wiirde nach LSMein nur bei Befallensein mindestens zweier aufeinanderfolgen- der Generationen gegeben sein, nieht abet bei vereinzelten F/~llen; bei diesen k/~me fibrigens die Sterilisation infolge des dort gew6hnlieh sp/iten Manifestationstermines meist nieht mehr reehtzeitig.

Der ttydrophthalmus is~ in 4/5 der F/~lle als erbbedingt zu betraehten. $~ranceschetti betont mit Reeht, dab der t tydrophthalmus nicht - - wie iiblich - - einfach als ,,kindtiches Glaukom" bezeiehnet werden daft ; w~thrend beim prim/~ren Glaukom bekannflich anatomische Ver/~nderungen nicht mit Sieherheit als Ursaehe in Frage kommen, liegt dem I-Iydr- ophthalmus ein erbbedingter Bildungsfehler der Kammerbueht zugrunde, der als ein Stehenbleiben auf einer bestimmt,en fetalen Bildungsstufe aufzufassen ist und dutch welehen die Drucksteigerung und entsprechend der l~achgiebigkeit der kindIiehen SkIera eine Dehnung des gesamten Auges herbeigefiihr~ ~ wird. Naeh LSh[ein sind die Zeiehen des I-Iydroph- thalmus in ~/s der F/file sehon bei der Gebur~ naehweisbar, die Er- krankung ist meist doppetseitig und betrifft in rund ~/a der F/file m/~nn- liehe Individuen; dennoch wird der Itych'ophthalmus als ein einfach reeessives Erbmerkmal angesehen, und zwar wegen tier H~ufigkeit der Blutsverwandtenehe in der Vorgeschichte der F/~lle und wegen der Ergebnisse der insbesondere Yon Fogt und ~ranceschetti durehgefiihrten Zuchtversuche am Kaninehen; diese haben eindeutig einen einfaeh reeessiven-Erbgang ergeben. Das Verh/~ltnis zwisehen Hydrophthatmus und ~yopie ist noeh nieh~ gel~l/~rt, l~ach LShlein sind F~lle yon beid- seitigem Hydrophthalmus, bei welchem mindestens auf einem Auge schwere Sehst6rung vorliegt, unfruehtbar zu machen; bei einseitigem Hydrophthalmus wgre nach v. Verschuer nut dann zu sterilisieren, wenn in der Verwandtsehaft ein beidseitiger Fall nachzuweisen is~; naeh Giitt- Riidin-Ruttke kommt jedoch die Unfruehtbarmaehung aueh bei einsei- tigem und isoliertem Bestehen des Erbleidens in Betraeht.

Wenn ieh im vorstehenden aueh keinen vollst/~ndigen Bericht fiber die erbbedingten Erkranknngen des Auges geben konnte, ~4rd aus meinen

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A u s f S h r u n g e n doch d ie 13berzeugung zu g e w i n n e n sein, d a b die E r b -

b iologic fiir den k l i n i s chen O p h t h u t m o l o g e n be re i t s e ine ebenso u n e r l ~ ,

l i che Hi l f swis sensch~f t g e w o r d e n ist , wie e t w a die B~k te r i o log i e oder die His to log ie . W e n n wi r so ~uch d~s G e b i e t de r E r b p ~ t h o l o g i e in den B e r e i c h unseres Wissens e ing l iedern , w e r d e n wi r m e h r u n d m e h r j ene r vielf/ t l~igen A u f g ~ b e n g e r e c h t w e r d e n k6nnen , we lche die neue Ze i t uns s te l l t - - i m D i e n s t e f i ir F i ih re r , Volk u n d t~e:ieh!

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