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Erfahrungsbericht
Auslandssemester an der Higher School of Economics (HSE)
Moskau, Russland
Name: Sabrina Hahm
Studiengang: Master's Program in Economics and Management Science
Zeitraum: Wintersemester 2010 / 2011
Warum Russland? Mit dieser Frage wird wohl jeder, der sich dazu entschliet ein
Auslandssemester in Moskau zu absolvieren, mehr als einmal konfrontiert. Auch ber
20 Jahre nach dem Niedergang der Sowjetunion ist es noch immer keine
Selbstverstndlichkeit Russland und Osteuropa als attraktive Studienorte
wahrzunehmen. Diese Skepsis basiert teilweise auf individuellen Negativerfahrungen
in der Vergangenheit, aber zum groen Teil auch auf oftmals einseitiger
internationaler Medienberichterstattung.
Was also verbirgt sich hinter diesem riesigen Land, das sich von Europas Grenzen bis
zum Pazifischen Ozean erstreckt? Diese Frage bewegt mich bereits seit meiner
Schulzeit, als ich mich entschied Russisch als zweite Fremdsprache zu erlernen.
Seither hat mich Russland in seinen Bann gezogen. Nicht nur wegen seines
wirtschaftlichen Potenzials, sondern vor allem wegen seiner diversifizierten Kultur
und den damit einhergehenden historischen und politischen Konflikten hat das Land
immer wieder aufs Neue mein Interesse geweckt. Etliche Reisen haben meine
Faszination fr Russland wachsen lassen und mich dazu motiviert im Rahmen eines
Auslandssemester an der Higher School of Economics (HSE) lngere Zeit in Moskau
zu leben. Diese Lebensphase hat mein Bild vom tatschlichen Leben in der 13
Millionenstadt geschrft und mir aufs neue bewiesen, dass Moskau weit mehr ist als
Oligarchen, Korruption und Kremlintrigen, die zumeist im Zentrum der
Aufmerksamkeit auslndischer Medien stehen. Es ist vor allem eine pulsierende
Metropole, die niemals schlft, die Energie versprht und Kraft kostet, in der die
Kluft zwischen extremem Reichtum und absolutem Elend allgegenwrtig ist und die
einen an die Grenzen von Durchhaltevermgen und Toleranz treibt ohne dabei
jedoch jemals seinen Zauber zu verlieren. Diese Vielseitigkeit Moskaus fhrt dazu,
dass die Meinungen ber die russische Hauptstadt meist diametraler Natur sind:
Entweder man liebt sie, oder man hasst sie.
Der potenziellen Gefahr zur letzteren Gruppe zu gehren, sollte man sich bei der
Entscheidung zum Studium in Moskau zumindest bewusst sein, denn eine gewisse
Leidenschaft fr Russland und Moskau wirkt sich mit Sicherheit positiv auf den
Umgang mit kleineren Rckschlgen whrend des Aufenthalts aus. Insbesondere wer
einen komplett durchstrukturierten Alltag in Berlin gewhnt ist, dem mag die Zeit in
Moskau wie das reinste Chaos vorkommen. Im Allgemeinen verluft kaum ein Tag
wie der andere, und insbesondere die organisatorischen Herausforderungen der
Anfangsphase bieten jede Menge Trainingsmglichkeiten zur Erlangung sprachlicher
und sozialer Kompetenz im Ausland. Der Umgang mit der landestypischen
Brokratie, die von Visa- und Registrierungsangelegenheiten ber
Studentenausweise bis hin zum Antrag fr die Metrofahrkarte den Alltag als
Austauschstudent bestimmt, vermittelt dem von EU-Reisefreiheit und Schengen-
Abkommen verwhnten europischen Studierenden einen persnlichen Eindruck
warum Verhandlungen auf internationalem Parkett mit Russland oftmals von
Schwierigkeiten geprgt sind. Die Schlssel zur berwindung dieser Hrden sind
neben interkulturellem Verstndnis und Geduld vor allem sprachliche Fhigkeiten
sowie kompetente Ansprechpartner.
In diesem Zusammenhang kommt der Betreuung internationaler Studierender bei
einem Aufenthalt in Russland besondere Bedeutung zu. Aufgrund von strukturellen
Umstellungen im Rahmen der Neugrndung des Center of International Education
(CIE) an der HSE whrend unseres Aufenthaltes war die Kommunikation mit den
verantwortlichen Betreuern und die Abwicklung formaler Angelegenheiten gegenber
den Erfahrungen frherer Jahrgnge zwar vergleichsweise langwierig, grundlegende
organisatorische Angelegenheiten wie Vorabinformationen zu Unterbringung und
Anreise sowie ein Begrungsessen haben jedoch die Eingewhnungsphase in
Moskau erheblich erleichtert.
Um ausreichend Zeit zur Informationsbeschaffung, Kurswahl sowie die Regelung
organisatorischer Angelegenheiten vor Ort zu haben, ist eine Anreise einige Tage vor
dem offiziellen Kursbeginn am 1. September zu empfehlen. Bereits im Vorfeld sollte
man sich jedoch unbedingt mit dem vielfltigen Kursangebot der HSE sowie den
konkreten Stundenplnen der einzelnen Fakultten vertraut machen, da sich diese
erheblich von jenen in Deutschland unterscheiden und meist kein zentrales
Vorlesungsverzeichnis mit Kursbeschreibungen vorliegt. Grundstzlich stehen
Austauschstudenten der Humbolt-Universitt (HU) Lehrveranstaltungen an allen
Fakultten der HSE offen. Dies birgt neben immensen Mglichkeiten allerdings auch
einige Herausforderungen. Zum einen ist das Niveau innerhalb der HSE sehr
heterogen, zum anderen unterscheidet sich die Lehrorganisation erheblich von jener
an der HU. Whlt man beispielsweise Kurse am prestigetrchtigen ICEF
(International College of Economics and Finance), entspricht der Anspruch der
Lehrveranstaltungen in etwa jenem an der HU, da diese Fakultt ihre Studiengnge
in Kooperation mit der London University konzipiert. Zudem bietet das ICEF aufgrund
seiner internationalen Ausrichtung einen Teil der Lehrveranstaltungen in englischer
Sprache an. An anderen Fakultten (z.B. der Faculty of World Economy and
International Affairs) wird fast ausschlielich in russischer Sprache unterrichtet. Im
Hinblick auf die Lehrorganisation unterscheidet sich das Studium in Russland
erheblich von dem in Deutschland, da die Studierenden meist in einem festen
Kursverbund lernen und lediglich im Hinblick auf einige Lehrveranstaltungen
Wahlmglichkeiten bestehen. Dies lsst das Studium zwar verschulter erscheinen,
vereinfacht es allerdings auch Freundschaften mit russischen Kommilitonen
aufzubauen. Im Allgemeinen sind die russischen Studierenden Austauschstudenten
gegenber sehr aufgeschlossen. Da sich vielen Russen die Beweggrnde
europischer Studenten, ein Auslandssemester in Russland zu absolvieren, nur
schwer erschlieen, lsst sich fr gewhnlich sehr schnell ein Gesprch beginnen,
auch wenn die russischen Kommilitonen im Durchschnitt erheblich jnger sind.
Offenheit und Interesse sorgen dafr, dass sich Austauschstudenten an der HSE
rasch wohl fhlen und die Integration in die zunchst ungewohnte Umgebung nicht
schwer fllt. Auch von Seiten der Lehrkrfte werden groe Bemhungen
unternommen eventuell auftretende Probleme zu lsen und auf die Bedrfnisse der
internationalen Studierenden einzugehen. Das Kursangebot ist sehr interessant und
umfangreich, jedoch lassen sich Lehrveranstaltungen unterschiedlicher Fakultten
aufgrund von wchentlich wechselnden und auf die jeweiligen Klassen
zugeschnittenen Stundenplnen zeitlich oftmals nur schwer vereinbaren. Die zur
Verfgung stehenden Ressourcen im Hinblick auf Computerzugnge,
Druckmglichkeiten und Bibliotheksmedien sind mit denen an der
Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultt der HU vergleichbar. Die kostenlos zur
Verfgung stehenden Sportmglichkeiten im Universittsgebude erlauben
krperliche Regeneration auch whrend des harten russischen Grostadtwinters.
Die Unterbringung der internationalen Studierenden erfolgt im Normalfall im
Studentenwohnheim, gemeinsam mit russischen Kommilitonen. Generell teilen sich
dabei zwei Studenten ein Zimmer von circa 18-20 m2. Aufgrund von
Kapazittsengpssen wurden einige internationale Studierende unseres Jahrgangs
jedoch in einer Art Pension fr Gastdozenten untergebracht, in der es zwar weder
Kche noch Waschkche, dafr jedoch bessere sanitre Anlagen gab. Alles in allem
war der Preis von circa 150 pro Person fr Moskauer Verhltnisse durchaus fair und
die zentrale Lage optimal.
Insgesamt sind die Lebenshaltungskosten in Moskau je nach individuellem Verhalten
sehr variabel. Nimmt man lngere Wege in Kauf um gnstige Einkaufsmglichkeiten
aufzusuchen, nutzt Studentenrabatte und verzichtet auf kostspielige abendliche
Aktivitten, ist das Studium in Moskau preislich durchaus mit jenem in Berlin
vergleichbar. Mchte man die Stadt hingegen kulturell vollstndig erleben sowie
Reisen unternehmen, wird das Budget entsprechend strker belastet. Da Moskau
sich sehr stark vom Rest Russlands unterscheidet, sollte man, um ein umfassendes
Bild des Landes zu erlangen, auf jeden Fall Reisen in die russischen Provinzen
unternehmen. Nachtzge stellen dabei eine gnstige Reisemglichkeit dar, mit deren
Hilfe man zudem hautnah mit der russischen Bevlkerung in Kontakt kommt und so
die russische Seele genauer kennen lernt. Auf diese Weise kann man sich selbst von
der Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft der Russen berzeugen und das hufig
bestehende Vorurteil der russischen Unfreundlichkeit schnell widerlegen.
Alles in allem hat mir mein Auslandsaufenthalt in Moskau neben dem Sprach- und
Wirtschaftsstudium daher insbesondere einen persnlichen Eindruck vom Leben und
dem Denken des russischen Volkes vermittelt. Diese Kompetenz ist fr mich von
unschtzbarem Wert, da ich denke, dass denjenigen, die auf konomischer oder
politischer Ebene mit Russland kooperieren mchten, ohne die russische Denkweise
zu verstehen, der Erfolg nur allzu oft verwehrt bleibt. Zu gro sind die Unterschiede
im tglichen Umgang mit Brokratie und der Mentalitt der russischen Bevlkerung,
als dass man mit typisch europischen Sicht- und Handlungsweisen unmittelbar zum
Erfolg gelangt. Russisch mag man auch daheim lernen knnen, aber das Wesen
Russlands bleibt jenen, die den Schritt dorthin nicht wagen, zumeist verborgen.
Dieses ungeheuer groe und in vielerlei Hinsicht so reiche Land erschliet sich nur
dem, der den Mut hat selbst einmal dort zu leben und sich seinen Weg durch den
tglich auf neue Art und Weise herausfordernden Alltag zu bahnen.
Aus diesem Grund bin ich froh die Mglichkeit gehabt zu haben die hervorragende
Infrastruktur der HSE im Rahmen eines Auslandssemesters nutzen zu knnen, um all
diese fr mich so bereichernden Erfahrungen zu sammeln.
Bei Interesse und fr eventuelle Rckfragen stehe ich jederzeit gerne zur Verfgung: