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ERFOLGREICH ANGEKOMMEN 22 Frauen mit Migrationshintergrund in Iserlohn In Kooperation mit dem

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erfolgreich Angekommen22 Frauen mit Migrationshintergrund in Iserlohn

In Kooperation mit dem

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herausgeberinStadt IserlohnGleichstellungsstelleSchillerplatz 758636 Iserlohn

AnsprechpartnerinnenMechtild BeikeTel.: 02371/217-1330Helena HaackTel.: 02371/217-1331

konzept und inhaltliche AusführungStadt Iserlohn - Gleichstellungsstelle

fotosMichael May, Iserlohn

gestaltungStadt Iserlohn - StadtwerbungChristina Reitze, Romina Gähl

August 2010

mit freundlicher UnterstützungIntegrationsrat der Stadt IserlohnSparkasse der Stadt Iserlohn

DruckDruckerei Uwe Nolte, Iserlohn

impressUm

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VoRwoRT

Das Alltagsleben in Iserlohn ist multikulturell geprägt. Mehr als 20 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner verfügen mittlerweile über eine Zuwanderungsgeschichte.

In der gesellschaftlichen Debatte wird häufig ein stereotypes Bild von Menschen mit Migrationshintergrund ge-zeichnet, besonders, wenn es sich um Frauen handelt. Ihre Lebensweise wird meist als Integrationshemmnis diskutiert. So werden z. B. religiöse Bindungen oder eine starke Familienorientierung als Ausdruck mangelnden Interesses an Integration und an der Aufnahmegesellschaft betrachtet. Dass sich viele von ihnen hervorragend in unsere Gesellschaft integriert haben, findet hingegen kaum Beachtung.

Die Gleichstellungsstelle der Stadt Iserlohn hat deshalb die Initiative ergriffen und Frauen aus verschiedenen Her-kunftsländern, die seit vielen Jahren in Iserlohn beheimatet sind, interviewt. Michael May hat mit Professionalität und Engagement die Fotos gemacht. Das Ergebnis sind 22 eindrucksvolle Porträts von Frauen, die Auskunft geben über ihre unterschiedlichen Migrationsmotive, ihre persönliche und berufliche Entwicklung im Aufnahmeland und ihre Lebensperspektive. Zugleich wird die Pluralität der Lebensweisen und Lebensorientierungen dieser Frauen deutlich. Die Kernaussagen dieser Interviews wurden aufbereitet und sind in der vorliegenden Broschüre doku-mentiert. In einer verkürzten Fassung wurden sie für die gleichnamige Ausstellung verwendet.

Mit dieser Broschüre wird deutlich, dass Integration gelingen kann. Es ist ermutigend und erfreulich zu sehen, mit wie viel Kraft und Engagement sich die Frauen für ihre persönliche Integration und die Integration ihrer Familien eingesetzt haben. Davon profitieren alle Menschen in Iserlohn. Die vorgestellten Frauen können Vorbilder sein und Frauen wie Männer mit und ohne Migrationshintergrund darin bestärken, gemeinsam den Prozess der Inte-gration erfolgreich voranzubringen.

wir wünschen Ihnen eine spannende und anregende Lektüre.

Dr. Peter Paul Ahrens Mechtild BeikeBürgermeister Gleichstellungsbeauftragteder Stadt Iserlohn der Stadt Iserlohn

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Einleitende Informationen

„Wir sind Aussiedler. Wir sind Deutsche, aber nicht in Deutschland geboren.”Maria Bannikov, Kasachstan (Russland)

„Für mich ist die Freiheit und die Würde des Menschen sehr wichtig.”Sozana Dadschani, Afghanistan

„Als Deutschlehrerin mit Migrationshintergrund will ich Vorbild sein und zeigen, dass man hier etwas schaffen kann.”Arife Durdu-Ugur, Türkei

„Frankreich ist meine erste Heimat, Deutschland meine zweite, Argentinien meine dritte.”Nicole Eisenberg, Frankreich

„Man muss viel Geduld haben. Man muss das Land verstehen und die Sprache lernen.”Valquiria Feige, Brasilien

„In Italien bin ich die Deutsche, in Deutschland die Italienerin. Ich denke, ich lebe dazwischen.”Maurizia Giuliani-Langbein, Italien

„Was ich in Griechenland nicht geschafft hätte, habe ich hier geschafft.”Maria Grothoff, Griechenland

„Wenn ich tanze, öffne ich mich und zeige den Menschen meine innere Welt.”Larissa Homischin, Kasachstan (Russland)

„Sprengmeisterin ist mein Traumberuf. Das versteht kaum einer, weil ich eine Frau bin.”Danijela Ivic, Bosnien-Herzegowina

„Die Deutschen haben mir die Tür geöffnet und auch ihr Herz.”Faouzia Karboule, Tunesien

„Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen und deswegen ist dies hier meine Heimat.”Buket Kilic, Deutschland

InhaltSeite 6

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Seite 18

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„Nach dem Studium in Ungarn wollte ich im Ausland ganz viele Erfahrungen sammeln.”Andrea Kürti, Ungarn

„Ich möchte nach Berlin, das ist mein großes Ziel.”Arzu Özdemir, Deutschland

„Dieses Bunte und Vielfältige in der Musik, das ist es, was mich wirklich fasziniert.”Edyta Pietrasch-Szyszko, Polen

„In Iserlohn engagiere ich mich und möchte Teil der Gesellschaft sein.”Lidia Remisch, Kasachstan (Russland)

„Schon als Kind wollte ich unabhängig sein und eine eigene Meinung haben.”Rokeya Schmidt, Bangladesch

„Meine Arbeit macht mich glücklich. Ich brauche eigentlich einen 36-Stunden-Tag.”Nadjat Schreiber, Algerien

„Ich mag die Kinder. Ich finde es lustig, auch über Anderes mit ihnen zu reden, als nur über Musik.”Aita Sibul, Estland

„Meine Zukunft liegt hier - in Iserlohn.”Maria Paula Simoes, Portugal

„Die deutsche Literatur hat mir geholfen, die Sprache zu verinnerlichen.”Azar Soltani, Iran

„Ich will, dass die Deutschen auch die guten Seiten von uns sehen.”Hanim Tan, Türkei

„Mama, wir sind doch Deutsche, außer unserer Haut.”Beatrice Uwamahoro, Ruanda

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EinleitendeInformationen1. WArUm Diese AUsstellUng?

Das Alltagsleben in Iserlohn ist multi-kulturell geprägt. Hier leben rund 9500 Migrantinnen und Migranten mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit aus 115 Ländern. Die Hälfte von ihnen ist weiblich. Ein Drittel dieser Menschen kommt aus der Türkei. Insgesamt haben mittlerweile mehr als 20 % der Einwoh-nerinnen und Einwohner in Iserlohn eine Zuwanderungsgeschichte. Dabei bilden die Menschen, die aus den Nachfolge-staaten der ehemaligen Sowjetunion und aus Polen als Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler zu uns gekommen sind, eine große Gruppe.

Die Gründe für die Zuwanderung sind unterschiedlich. Für manche war die Flucht vor Krieg, politischer oder ge-schlechtsspezifischer Verfolgung die einzige Überlebenschance, andere verließen ihr Land aus Gründen der Arbeitsmigration oder des Familien-

nachzugs. Unter ihnen viele Frauen, die allein oder mit ihren Familien nach Deutschland kamen. Hier angekommen, sind die Herausforderungen groß für eine erfolgreiche Integration. Umso ein-drucksvoller stellt sich dar, mit welcher Beharrlichkeit viele der Migrantinnen ihren weg gegangen sind und ihre ei-genen Lebensvorstellungen entwickeln und realisieren konnten.

Die Ausstellung zeigt 22 Porträts von Frauen mit Migrationshintergrund. Jede von ihnen lebt seit mehreren Jahren oder sogar seit vielen Jahrzehnten in Iserlohn. Sie geben Auskunft über ihre unterschiedlichen Migrationsmotive, ihre ganz persönliche und berufliche Ent-wicklung und Lebensperspektive. Das Ziel der Ausstellung ist es, das wissen über Frauen mit Zuwanderungsge-schichte zu erweitern und über die Viel-falt ihrer Biografien zu informieren. Die vorgestellten Frauen können Vorbilder sein und andere Frauen und Männer mit Migrationshintergrund darin bestärken,

den Prozess der Integration zu gehen. In jedem Fall soll die Ausstellung eine An-näherung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund fördern, die für ein gelungenes Miteinander un-abdingbar ist.

2. WAs zeichnet migrAntinnen AUs?

„migration ist nicht geschlechtsneutral.Bis in die jüngere Zeit hinein wurden Frauen kaum als eigenständige Akteu-rinnen der Migration wahrgenommen. Sowohl in der Forschung als auch in der öffentlichen Meinung galt die Annahme, dass Frauen in der Regel ihren Männern oder Familien in die Fremde folgten. Die Zahl der migrierenden Frauen hat jedoch nicht nur kontinuierlich zu-genommen. Frauen sind in der Regel maßgeblich daran beteiligt, in der Fami-lie die Entscheidung über die Migration herbeizuführen oder wollen, auch ohne Familie, durch diesen Schritt eigene

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Vorstellungen und Lebensentwürfe re-alisieren. Auch in der Bundesrepublik hatten Frauen einen großen Anteil an eigenständiger, erwerbsbezogener Zu-wanderung und wurden bereits in den 60er-Jahren gezielt als Gastarbeiterinnen angeworben. [...]

frauen kommt für die integration im Aufnahmeland eine schlüsselrolle zu.In Deutschland leben rund 15,3 Mil-lionen Menschen mit Migrationshin-tergrund, davon über siebeneinhalb Millionen Frauen (Mikrozensus 2007). Dabei sind Frauen und Männer mit Zu-wanderungsgeschichte auf unterschied-liche weise mit sozialen, rechtlichen und ökonomischen Bedingungen nicht nur im Herkunfts-, sondern auch im Aufnah-meland konfrontiert. Forschungsergeb-nisse zeigen, dass es vielfach die Arbeits-leistung, der Verdienst, aber auch die familiären und sozialen Netzwerke der Frauen sind, die die Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft ermöglichen oder erheblich erleichtern. Als Mütter haben Frauen mit Zuwanderungsgeschichte zu-dem oft eine besondere Position in der Familie und nicht unerheblichen Einfluss auf das Gelingen der Integration der nächsten Generation.

frauen mit zuwanderungsgeschichte sind keine homogene gruppe.Für nahezu 18 Prozent der hier leben-den Frauen stellt Migration einen Teil ih-rer Biografie dar. Diese Gemeinsamkeit hat viele Facetten: Nicht nur die unter-schiedlichen Herkunftsländer bedingen Verschiedenheit; regionale und eth-nische Herkunft, soziale Schicht, Bildung und Qualifikation, religiöse Ausrichtung sowie Gestaltung und Zeitpunkt der Zuwanderung sind Faktoren, die den Status und das Selbstverständnis jeder einzelnen Frau maßgeblich bestimmen. Eine generalisierende wahrnehmung der Bevölkerungsgruppe der Frauen greift daher deutlich zu kurz, pauscha-lierende Maßnahmen tragen der Hete-rogenität dieser Frauen nicht Rechnung. [...]

Die beruflichen Leistungen und Poten-ziale von frauen mit zuwanderungsge-

schichte müssen stärker in den fokus öffentlicher Wahrnehmung und staatli-chen handelns gelangen.Bereits heute tragen viele Frauen mit Zuwanderungsgeschichte erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg der Bundesre-publik bei, sei es als abhängig Beschäf-tigte oder Unternehmerin, sei es als mithelfende Familienangehörige oder als Hilfskraft im Privathaushalt. wenigen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte ist es gelungen, in verantwortungsvolle, gut bezahlte Positionen aufzusteigen. Dabei erweisen sich oft die aus ihrer Biogra-fie erwachsenden besonderen Kompe-tenzen wie Mehrsprachigkeit, Kultursen-sibilität oder auch besondere Flexibilität als Stärken.Nach wie vor decken viele Frauen mit Zuwanderungsgeschichte den Bedarf an flexibel einsetzbaren und niedrig be-zahlten Arbeitskräften ab. Sie müssen häufig wegen fehlender Anerkennung von Berufsabschlüssen eine erhebliche berufliche Dequalifizierung hinnehmen und finden sich überproportional in ungesicherten Beschäftigungsverhältnis-sen.“ [...](Zitiert nach: 19. Konferenz der Gleichstel-

lungs- und Frauenministerinnen, -minister, -se-

natorinnen und -senatoren der Länder, Haupt-

konferenz am 18./19. Juni 2009 auf Schloss

Krickenbeck/Nettetal)

3. WAs ist migrAtion?

Migration bedeutet die Auswande-rung aus einem Land heraus in ein anderes hinein, also die Verlegung des Lebensmittelpunktes über Staatsgren-zen hinweg. Immer häufiger wird von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen, anstatt von Ausländerinnen und Ausländern, da viele Menschen mit Migrationshintergrund deutsche Staats-angehörige sind.

Als Personen mit Migrationshintergrund definiert werden „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Auslän-der in Deutschland geborenen Eltern-teil”. Somit gehören auch Spätaussiedler und deren Kinder zu den Personen mit Migrationshintergrund.(Zitiert nach: wikipedia 2009)

4. WAs ist integrAtion?

Integration ist eine der wichtigsten Auf-gaben geworden, die die Gesellschaft und die Politik zukünftig zu bewältigen hat. während noch in den neunziger Jahren unklar war, was unter Integration zu verstehen ist, hat sich inzwischen ein gesellschaftliches Verständnis entwickelt, wonach der Begriff folgende Bedeutung beinhaltet: „Integration ist nicht Assimi-lation, kein einseitiger Anpassungspro-zess von Zugewanderten, sondern ein interaktiver und partizipativer Prozess zwischen Zugewanderten und Aufnah-megesellschaft, der sowohl eine Inte-grationsleistung der Zugewanderten als auch eine Veränderung der Mehrheits-gesellschaft beinhaltet.“(Zitiert nach: „Integration als Chance für Nord-

rhein-westfalen und seine Kommunen”,

MGFFI 2007)

Dieser Prozess findet tagtäglich vor Ort statt und besteht aus Annäherung, ge-genseitiger Auseinandersetzung, Kom-munikation, Finden von Gemeinsam-keiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Zugewan-derten und der anwesenden Mehrheits-bevölkerung.Alle 22 Frauen, die von der Gleich-stellungsstelle für die Ausstellung „ER-FoLGREICH ANGEKoMMEN“ ausge-wählt wurden, sind Akteurinnen dieses Prozesses.

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mit der Perestroika fing alles an. Die wirt-schaftliche Situation in Kasachstan ver-schlechterte sich zunehmend. Es wur-den keine Löhne mehr bezahlt. Und plötzlich hieß es: „Russen nach Russland. Deutsche nach Deutschland. Und täglich hörte man: Du bist ja immer noch da!“, erinnert sich die deutschstämmige Maria Bannikov. Doch trotz dieser Probleme wollte sie die kasachische Heimat nicht verlassen, wofür es viele Gründe gab. Die älteste Tochter befand sich mitten im Studium, die jüngere Tochter hatte nur noch zwei Jahre bis zum Abi-tur. Maria Bannikovs Ehemann ist Russe. Sie selber arbeitete als stellvertretende Schullei-terin an einer Berufsschule und unter-richtete u. a. Deutsch und das Schnei-derhandwerk. „Ich wäre heute vielleicht schon Schulleiterin. Da kann man nicht von heute auf morgen Tschüss sagen!” Sie wollte auch dann noch bleiben, als Schwestern, Bruder und Eltern bereits in Deutschland lebten. Erst als die Si-tuation noch schlimmer und das Essen knapp wurde, traf sie den Entschluss zur Ausreise. Gemeinsam mit ihrer Familie erreichte Maria Bannikov im Alter von 41 Jahren Deutschland.

in DeUtschlAnD Angekom-men, WAr Die enttäUschUng gross. „Das Schlimmste für mich und für uns alle war, dass wir in Russland als Deutsche gehasst wurden und hier auf einmal als Russen”, sagt Maria Ban-nikov. Dabei wollten sie endlich mal als Deutsche leben. Schließlich sprach sie Deutsch, außerdem war ihr die deut-sche Literatur vertraut. Daneben gab es weitere Schwierigkeiten. Die älteste Tochter konnte ihr Studium in Deutsch-land zunächst nicht fortsetzen. Es schei-terte an zahlreichen Formalitäten. Der jüngeren Tochter wurde der Besuch des Gymnasiums verwehrt, obwohl sie über hervorragende Deutschkenntnisse verfügte. Ihr Mann fand keine Stelle in seinem alten Beruf als Schlosser. Auch bei ihr blieb die Arbeitssuche vorerst erfolglos. weitere Schwierigkeiten taten sich auf beim Ausfüllen von Anträgen, bei Fragen zum Schulsystem, zur Ren-te oder zur Krankenversicherung. Maria Bannikov stellte sich den Problemen und kämpfte wie eine Löwin. Heute kann sie sagen, dass sie sämtliche Schwierigkeiten gemeistert hat. Tag und Nacht ging sie putzen und erledigte Näharbeiten,

„Wir sind Aussiedler. Wir sind Deutsche, aber nicht in Deutschland geboren.”

maria Bannikov

Alter56 Jahre

Beruf Berufsschullehrerin, heilpädagogin, schneiderin

Herkunftsland

kasachstan (russland)

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1996

Lebt in Iserlohn seit 1996

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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um den Lebensunterhalt für die Fami-lie zu sichern. Zusätzlich machte sie in Menden eine Ausbildung zur Heilpäda-gogin. „Die Ausbildung war das Beste, was ich zu diesem Zeitpunkt hatte. Das waren meine Krücken damals.”

Die zähigkeit UnD kämpfe-rische nAtUr Der 56-Jährigen zAhlte sich irgenDWAnn AUs und der Erfolg stellte sich ein. Als sie sich als Deutschlehrerin beim Internati-onalen Bund bewarb, wurde sie prompt angenommen. Damit erfüllte sich für sie der Traum, wieder als Lehrerin arbeiten zu können. Mit Stolz blickt sie auf das Erreichte zurück und berichtet, dass es ihr und der Familie heute gut geht. Die älteste Tochter arbeitet inzwischen als Lehrerin in Hemer. Die jüngste Tochter absolvierte das Fachabitur und fand eine Stelle als Bürokauffrau. Maria Bannikovs Ehemann arbeitet jetzt als werkzeug-macher. Und sie hat mit 45 Jahren sogar noch den Führerschein gemacht. Inzwi-schen hat sie auch zwei Enkelkinder. Aber, obwohl sie sich so erfolgreich in Deutschland eingelebt hat, ist die alte Heimat nicht vergessen. „Die Sehnsucht, die geht nicht, die bleibt. Ich höre immer russische Lieder, wenn es mir schlecht geht. Dann fühle ich mich wieder bes-ser.” Überhaupt ist Musik ihre große Leidenschaft. Sie bedauert es, dass sie kein Instrument spielt, so wie ihre Toch-ter, die Klavier spielt, und ihr Bruder, der Akkordeon gelernt hat. Auch das Tanzen mag sie, bevorzugt walzer und Tango. „Ich muss mich bewegen, so wie ich es früher in Kasachstan gemacht habe. Das macht mir wahnsinnig Spaß, das Tanzen.” Und dann wären da noch die wünsche für die Zukunft. „Eigentlich bin ich sehr zufrieden mit dem, was ich habe. Ge-sundheit würde ich mir wünschen”, sagt sie und traut sich kaum, einen weiteren Wunsch zu nennen. „Ich möchte ger-ne eine weltreise machen. Irgendwann, wenn ich Rentnerin bin. Ich hatte nie Zeit, mich mal umzuschauen. Das wäre mein Traum”, und fügt hinzu, dass sie da-für aber wohl erst im Lotto gewinnen muss.

Maria Bannikov als Lehrerin beim Interna-

tionalen Bund Iserlohn.

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sie war neun Jahre alt, als sie in der Nacht mit den Eltern und den sechs Geschwis-tern aus Afghanistan fliehen musste. Die erste Station war der Iran. Dann ging es weiter nach Pakistan. Hier fand der Vater, der eigentlich Lehrer war, eine Arbeit als Taxifahrer. Doch die Einkünfte reichten nicht aus, um die achtköpfige Familie zu ernähren und den Schulbesuch für die Kinder zu bezahlen. Als sich die Chan-ce bot, in Deutschland zu leben, reisten sie aus. In Norddeich fanden sie bald ein neues Zuhause. „Das war wunder-schön”, erinnert sich Sozana Dadschani, „wir lebten in einem Haus für uns allein, die Schule war super und wir hatten Nachhilfeunterricht. Außerdem küm-merte sich die soziale Einrichtung Na-zareth-Norddeich sehr gut um uns.” Als die Familie die Anerkennung als Asylbe-werber erhielt, zog sie nach Hamburg, weil dort Freunde lebten.

sozAnA lernte schnell und ver-ließ die Gesamtschule in Hamburg mit dem Realschulabschluss in der Tasche. „Für mich war der Abschluss ein Erfolg. Meine Eltern wollten, dass ich weiter mache und studiere.” Aber sie hatte den

wunsch, Zahntechnikerin zu werden und setzte sich gegen den willen der Eltern durch. Die Ausbildung absolvierte sie in Hagen. Sie war dorthin gezogen, weil ihr Mann hier lebte, den sie inzwi-schen geheiratet hatte, und der wie sie aus Afghanistan stammt. Heute lebt sie mit ihm und zwei Söhnen in Iserlohn. In einer Reihenhaussiedlung haben sie ein kleines Häuschen erworben. Beide Kinder besuchen das Gymnasium und ihr Mann, der in Indien wirtschaftswis-senschaften studiert hat, arbeitet bereits seit vielen Jahren bei UPS. Auch die 38-Jährige hat nie aufgehört, erwerbstätig zu sein. Bald möchte sie sich sogar mit einem eigenen Dentallabor selbstän-dig machen. Die ersten Geräte hat sie schon dafür gekauft.

in iserlohn fühlt sie sich Wohl. Die Menschen empfindet sie als gastfreundlich. Gern trifft sie sich im Sommer mit den Nachbarn auf der Terrasse. Und wenn sie mal Heimweh spürt, fährt sie zu den Eltern nach Ham-burg. Deutschland ist für sie schon lange zur neuen Heimat geworden. Als sie vor einigen Jahren wieder in Afghanistan war,

sozana Dadschani

„Für mich ist die Freiheit und die Würde des Menschen sehr wichtig.”

Alter

38 Jahre

Beruf zahntechnikerin

Herkunftsland

Afghanistan

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1983

Lebt in Iserlohn seit 1998

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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fühlte sie sich fremd. „Sie haben mich behandelt wie eine Fremde. Man merkt, dass man sich verändert hat. Auch die anderen merken das. Für mich ist die Freiheit und die Meinungsfreiheit sehr wichtig. Ich möchte als Frau - auch ohne Kopftuch - akzeptiert werden.” Jetzt will sie das Land vorerst nicht mehr besu-chen, es sei denn, es wird demokratisch.

gern schAUt sie sich von Den DeUtschen etWAs AB. Es gefällt ihr z. B., wie die Kinder hier erzogen werden. Dass sie Verantwortung über-nehmen müssen und lernen, respektvoll mit den Eltern umzugehen. Kritisch wird es ihrer Meinung nach jedoch, sobald die Kinder in die Pubertät kommen. „Einige bekommen dann sehr viele Frei-heiten. Sie trinken, rauchen und halten sich bis spät abends in der Disco auf. So sollen meine Kinder nicht aufwachsen.” Religion kommt dabei, ihrer Meinung nach, eine sinnvolle Aufgabe zu. „Viele Kinder denken, meine Eltern sehen mich nicht, also kann ich alles machen. wenn ich aber an Gott glaube, dann weiß ich, dass er mich sieht. Das bedeutet, dass ich mein Handeln kontrollieren muss. Das finde ich gut, wenn Kinder das ver-innerlichen und auf sich aufpassen.”

sie ist DAvon üBerzeUgt, dass man in Deutschland viel erreichen kann. wenn sie die Möglichkeiten in ihrem Herkunftsland Afghanistan mit denen in Deutschland vergleicht, dann emp-findet sie eine große Bereicherung. Dabei denkt sie nicht nur an die eigene Schul- und Berufsausbildung, die sie hier machen konnte, sondern schätzt auch die alltäglichen Informationen, die sie durch die Medien erhält. „Wenn ich z. B. im Fernsehen einen Bericht über die Chinesische Mauer oder die Pyramiden in Ägypten sehe, dann ist das heute für mich selbstverständlich. In Afghanistan hätte ich das aber nie kennen gelernt.” Aber man muss sich Mühe geben, damit man etwas erreicht. Die eigene Familie ist dafür das beste Beispiel. Mit Stolz er-zählt sie, dass eine Schwester Apothe-kerin ist und zwei Brüder als Arzt und Ingenieur arbeiten. Sie wäre auch gerne Ärztin geworden. Jetzt möchte sie, dass ihre Kinder das machen, was sie nicht erreicht hat. Für sich selber hat sie auch noch einen wunsch: Sie will endlich wie-der Volleyball spielen.

Sozana Dadschani möchte sich als Zahn-

technikerin gerne selbstständig machen.

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sie ist so etwas wie der Star in der Fami-lie. obwohl auch die drei älteren Ge-schwister die Möglichkeit gehabt hätten, das Abitur zu machen und zu studieren, hat Arife Durdu-Ugur als einzige diese Chance ergriffen. Heute ist sie Lehre-rin für Deutsch und Textilgestaltung an einer Realschule in Lüdenscheid. Sie ist eine moderne junge Frau, selbstbewusst, eigenständig und engagiert. Manchmal bedauert sie, dass sie nicht den Kinder-garten besucht hat. Der Vater wusste schlichtweg nichts von der Anmeldefrist. „Vielleicht hätte ich dann noch mehr geschafft und wäre heute Professorin“, lacht sie. Aber auch ohne Kindergarten hat sie es weit gebracht, von der Haupt-schule bis zur Akademikerin. Damit will sie Vorbild sein: „Dann sehen die Haupt-schüler, dass man was erreichen kann.”

in Der erziehUng Der kinDer, zwei Mädchen und zwei Jungen, mach-ten ihre Eltern keinen Unterschied. Vertrauen fördern zwischen Eltern und Kindern war das wichtigste. Die Familie - der Vater war Facharbeiter, die Mutter Hausfrau - wohnte zuerst in Lasbeck, später in Nachrodt. Dort besuchte Arife

die Grund- und Hauptschule, wo sie das einzige türkischstämmige Mädchen war. In Altena machte sie das Abitur, in Dortmund absolvierte sie ihr Studium. „Macht was aus Euch. Ihr habt hier die Möglichkeit”, hatte der Vater den Kin-dern häufig gesagt. Dabei unterstützte er sie aktiv, z. B. als sie zur Schule gingen. Regelmäßig besuchte er Elternabende und Elternsprechtage. Zu Hause gab es klare Regeln: Nach der Schule Ent-spannung, anschließend Hausaufgaben machen, 18.00 Uhr Abendbrot, danach Mithilfe im Haushalt. waren die Schul-aufgaben nicht erledigt, wurde ein Fern-sehverbot ausgesprochen. Regeln und Disziplin waren das eine, Vertrauen und Freiheit das andere. „Im Gegensatz zu anderen türkischen Kindern, durfte ich immer an allen Klassenfahrten teilneh-men, mit Freunden ins Kino gehen und Veranstaltungen besuchen”, erzählt Arife Durdu-Ugur und, verglichen mit ihren Geschwistern, erinnert sie sich: „Sie durften alles, ich durfte alles. Dass die Familie hinter einem steht, das ist sehr wichtig. Das wichtigste ist das Vertrau-en. Der Rest kommt von alleine.”

„Als Deutschlehrerin mit Migrationshintergrund will ich Vor-bild sein und zeigen, dass man hier etwas schaffen kann.”

Arife Durdu-Ugur

Alter

28 Jahre

Beruf lehrerin

Herkunftsland

türkei

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1986

Lebt in Iserlohn seit 2006

Familienstand

verheiratet

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Bei Der tätigkeit Als lehrerin helfen ihr Die persönlichen erfAhrUngen. So versucht sie in Gesprächen, z. B. mit türkischen Eltern, diese davon zu überzeugen, dass sie ihren Kindern Vertrauen schenken und Freiheiten zugestehen sollen. „Viele tür-kische Eltern glauben, dass ihre Kinder in Sicherheit sind, so lange der Unter-richt läuft. Gibt es z. B. eine Klassenfahrt, denken sie, da passieren unheimliche Sachen. Sie haben Angst, dass sich das Kind austoben wird, weil sie es zu Hau-se vielleicht zu streng erziehen. Deswe-gen dürfen viele türkische Schülerinnen nicht mit fahren.” Arife Durdu-Ugur versteht sich als Vermittlerin zwischen Schule und Eltern mit Migrationshinter-grund. Sie versteht oftmals die Anliegen der Eltern, aber sie vertritt auch die In-teressen der Schule. „In der Schule gibt es Regeln, die man befolgen muss. Da müssen Eltern ihre persönlichen Vor-stellungen schon mal zu Hause lassen”, sagt sie. Ein wichtiges Anliegen ist ihr, die Kinder auf das Leben vorzubereiten. Sie will den Jugendlichen nahe bringen, aus ihrem Leben etwas zu machen.

privAt ist sie mittlerWeile ver-heirAtet und lebt mit ihrem Mann in Letmathe. Seine Eltern kommen aus der Türkei, er wurde hier geboren, ist hier aufgewachsen und studiert an der Fach-hochschule Maschinenbau. Gemeinsam leben sie in der Ehe eine Mischkultur. Er bringt mehr die deutsche Kultur ein, sie mehr die türkische. Die Alltagssprache ist Deutsch. In der freien Zeit geht sie

Arife Durdu-Ugur mit ihren Eltern und

bei der Korrektur von Klassenarbeiten.

gerne spazieren oder liest Bücher. Schon als Kind war sie fasziniert von der deut-schen Literatur. wichtig ist ihr auch die Ausübung ihres muslimischen Glaubens durch das Gebet und den Moscheebe-such. Dabei trägt sie selbstverständlich ein Kopftuch. In Zukunft möchte sie sich auch politisch im Integrationsrat der Stadt Iserlohn engagieren, in den sie so-eben gewählt worden ist. „Ich möchte etwas bewegen, nicht nur für die Tür-ken, sondern für alle Nationalitäten. Ich möchte auch Vorbild sein und zeigen, dass man hier etwas schaffen kann. Bil-dung wird mein Thema sein.”

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kunst war schon immer ihre Sache, in die sie viel Leidenschaft und Energie inves-tiert hat. Sie zieht sich wie ein roter Fa-den durch ihr Leben, egal an welchem ort in der welt sie gelebt hat. Geboren in Paris, studierte sie dort chinesische Malerei, in München besuchte sie die Kunstakademie. Bis heute beschäftigt sie sich täglich mit künstlerischen Projekten und entwickelt so ihre Interessen weiter. Licht und Bewegung sind die Hauptthe-men in ihren Bildern und Zeichnungen. Seit vielen Jahren arbeitet sie im Atelier der Villa wessel. Ein besonderer ort, wie auch die vielen anderen Ateliers, in denen sie gearbeitet hat. „Egal wo ich war, das Atelier ist mein Quadrat, egal wie groß es ist.”

nicole eisenBerg WAr An vie-len orten zU hAUse. Von Paris aus ging es in den 60er-Jahren nach Mün-chen, wo ihr Leben eine wende nahm. Eigentlich wollte sie nur eine kurze Reise nach wien machen, unterbrach jedoch die Zugfahrt in München. Deutschland wollte sie persönlich kennen lernen, denn in Frankreich wurde nicht gut über die Deutschen gesprochen, und sie

wollte wissen, wie die Menschen wirk-lich sind. Bereits beim ersten Anblick war sie von der bayrischen Metropole fasziniert. „Paris habe ich damals als sehr dunkel empfunden. München hingegen war für mich neu und beeindruckend. Die Menschen waren offen und gast-freundlich. Ich lernte viele kennen und wurde akzeptiert.” Sie fühlte sich wohl, ging aber zunächst zurück nach Paris, wo sie begann, die deutsche Sprache zu lernen. Unterrichtet wurde sie von einem Germanistikstudenten, der ihr nicht nur die Sprache beibrachte, son-dern sie auch gleich heiratete. Gemein-sam zog das Paar nach München, wo ihr Mann als Lehrer tätig wurde. Zwei Jahre später ging es nach Lyon, dort hatte er eine Stelle als Lehrer am renommierten Goethe-Institut bekommen. Der Auf-enthalt dauerte fünf Jahre, und in dieser Zeit kamen zwei Töchter zur welt. Im Auftrag des Goethe-Instituts lebte die Familie anschließend in Göttingen, spä-ter in Buenos Aires, danach in Iserlohn. Insgesamt waren es 25 Jahre, in denen die Familie an den unterschiedlichsten orten ein Zuhause fand.

„Frankreich ist meine erste Heimat, Deutschland meine zweite, Argentinien meine dritte.”

nicole eisenberg

Alter

71 Jahre

Beruf Bildende künstlerin

Herkunftsland

frankreich

Nationalitätfranzösich

Ankunft in Deutschland1964

Lebt in Iserlohn seit 1985

Familienstand

verwitwet, 2 kinder

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Als die Koffer für den nächsten wohn-ortwechsel in die brasilianische Metro-pole São Paulo gepackt werden sollten, sagte Nicole Eisenberg: „Moment!”. Sie wollte das soeben in Iserlohn aufge-baute Atelier nicht schon wieder auf-geben. Außerdem war Iserlohn ihr ans Herz gewachsen. Die Lösung war: Ihr Mann entschied sich für São Paulo. Ni-cole Eisenberg entschied sich, für vier Jahre zwischen Iserlohn und São Paulo zu pendeln.

Die zAhlreichen leBensstA-tionen prägen bis heute ihre Er-innerungen. Die Zeit in Göttingen z. B. war voller künstlerischem Elan. Sie malte viel und verkaufte ihre Arbeiten in der „Leihgalerie“, die sie mit anderen Kunstschaffenden gegründet hatte. In Argentinien schätzte sie den kraftvollen Ausdruck in der Malerei. Zutiefst beein-druckt war Nicole Eisenberg von der Malerei der Indios, die sie an archaische Formen erinnerte. Überhaupt hatte sie sich gut in den argentinischen Alltag mit seiner temperamentvollen Lebensart eingewöhnt, Kontakte aufgebaut und Spanisch gelernt. Als sie das Land nach sieben Jahren wieder verlassen musste, begann sie die Eindrücke in ihre künst-lerischen Arbeiten einfließen zu lassen. Bis heute fühlt sie sich mit Argentinien verbunden. „Es ist meine dritte Heimat, Deutschland meine zweite.”

Nicole Eisenberg

in ihrem Iserlohner Atelier.

in iserlohn hat sie endgültig ihr Zuhause gefunden. Jedes Mal freut sie sich darauf, z. B. wenn sie vom Besuch ihrer Tochter in Barcelona zurückkehrt. „Ich genieße es, wenn ich wieder nach Iserlohn komme. Dann bin ich zu Hau-se“, sagt sie mit Zufriedenheit. Sie mag die Landschaft, das Sauerland mit dem vielen Grün und den Formen. Es würde ihr fehlen, wenn sie es nicht mehr se-hen könnte. Auch die Menschen würde sie vermissen, die sie als freundlich und problemlos empfindet. Inzwischen kann sie sich ein Leben woanders nicht mehr vorstellen, zumal die Villa wessel zu ih-rer Lebensgrundlage geworden ist. Und hier findet sie die Atmosphäre, sich mit Kunstkennern und Kunstinteressierten auszutauschen. „Das ist das Leben, was ich mir gewünscht habe.“

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Brasilien ist nicht nur Kaffee, Samba und Fußball. Das fünftgrößte Land der Erde gehört zu den zehn führenden Industrie-nationen. Valquiria Feige kommt aus ei-ner Region im Südwesten Brasiliens, die geprägt ist von der Metall- und Autoin-dustrie und zahlreichen Edelstein-Minen. Ihre Familie ist im Schneiderhandwerk tätig. Die Mutter besitzt eine Fabrik und produziert Kleidung. In die Großpro-duktion ihrer Mutter wollte die damals 18-Jährige nicht einsteigen und baute deshalb mit ihrer Tante eine eigene klei-ne Näherei auf. Gemeinsam fertigten sie hochwertige Kleidung für edle Geschäfte. „Der Betrieb war klein aber fein und es war sehr schön”, sagt sie rückblickend. Als sie eines Tages Urlaub machte, lernte sie ihren jetzigen Mann kennen, der sich zu Besuch in Brasilien aufhielt. Er, der als Ingenieur in einem großen Hemeraner Unternehmen arbeitet, bat sie, nach Deutschland zu kommen. Sie überlegte lange und willigte schließlich ein. „Es war einfach die Liebe”, erzählt sie lachend, und deshalb machte sie sich auf den weg Richtung Deutschland und kam in Iserlohn an.

es WAr glück, dass sie in der Nach-barschaft schnell eine deutsche Freun-din kennen lernte, die ihr im Alltag be-hilflich war. Die Freundin stellte ihr Land und Leute vor und unterrichtete sie in der deutschen Sprache. Valquiria Fei-ge gab sich damit nicht zufrieden und wollte mehr wissen. Daraufhin ging sie zur Schule und nahm dreieinhalb Jahre Deutschunterricht. „Ich habe zwei gute Lehrerinnen gehabt. Sie haben sich um mich gekümmert. Das war sehr toll. Bis heute muss ich immer noch lernen, aber die Leute können mich verstehen”, sagt sie. Ihre eigenen Erfahrungen gibt sie gerne weiter, z. B. an brasiliansiche Freun-dinnen, die in Deutschland leben. „Man muss viel Geduld haben. Man muss das Land verstehen und die Sprache lernen. Und nicht traurig sein, wenn das wetter schlecht ist. Bloß nicht zu Hause sitzen, sondern neugierig bleiben, eigene Inte-ressen entwickeln und etwas tun.”

Als sie nicht mehr nUr hAUs-frAU UnD mUtter sein Wollte, nahm sie einen Job in einem Sport-geschäft in Hagen an. Bis heute fährt sie zweimal die Woche dort hin. „Die

„Man muss viel Geduld haben. Man muss das Land verstehen und die Sprache lernen.”

valquiria feige

Beruf schneiderin

Herkunftsland

Brasilien

NationalitätBrasilianisch

Ankunft in Deutschland2002

Lebt in Iserlohn seit 2002

Familienstand

verheiratet, 1 kind

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Leute sind nett, und ich arbeite gerne”, sagt sie. Dabei kommt ihr zugute, dass sie selber Sport macht und vor allem gerne tanzt. In naher Zukunft plant sie, sich als Schneiderin selbständig zu ma-chen und sich auf das Anfertigen von Abendkleidern zu spezialisieren. Die Ar-beit liegt ihr und sie kann gut mit ihrer Kundschaft umgehen. „Ich möchte, dass die Leute glücklich sind, wenn ich etwas für sie mache. Ich berate die Kundinnen gerne. Aber ich mache auch das, was sie sich wünschen. Ich kann z. B. Kleider nähen, die in Edel-Boutiquen sehr teuer verkauft werden.” Außerdem entwirft sie mit ihrer Freundin, einer Journalistin, ein Spielbuch aus Stoff für Kinder. Und wenn Tänzerinnen und Tänzer ein neues Samba-Kostüm benötigen, dann fertigt sie natürlich auch das an.

Wenn es sommer in DeUtsch-lAnD WirD, fühlt sie sich wohl. Grill-partys in der Nachbarschaft organisiert sie mit Freude. Unter den Nachbarn hat sie von Anfang an viele Freunde gefun-den. wegen ihrer Hautfarbe hat sie nie schlechte Erfahrungen gemacht. wenn sie in Brasilien ist, berichtet sie von ihren Erfahrungen in Deutschland, denn dort haben noch immer viele ein negatives Bild von den Deutschen, das mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden ist. „Ich sage immer, dass es hier toll ist. Es ist nicht wie früher. Ich habe keine Probleme gehabt, ich bin integriert.” Für sie war es deshalb gut, nach Deutschland zu kommen, weil sie dadurch ein völlig anderes Bild vom Land erhalten hat. Sie wünscht sich, dass sich ihr Leben in Deutschland weiter entwickelt. Ein Traum wäre es, wenn sie die Hälfte des Jahres in Deutschland und die andere Hälfte in Brasilien verbringen könnte. „Ich bin Brasilianerin und will es auch bleiben.“

Lidia Remisch in ihrem neu eröffneten Schneider-Atelier

Valquiria Feige mit ihrer Freundin bei

der Anprobe eines selbst entworfenen

Kleides und deren Sohn mit einem Spiel-

buch aus Stoff für Kinder.

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Du liebst das Meer und die Sonne. wie kannst Du hier leben?”, fragte ihr Bru-der sie, der aus Italien angereist war, um sie hier zu besuchen. Auch Freunde und Bekannte konnten nicht nachvollziehen, warum sie sich mit 24 Jahren entschie-den hatte, von Ferrara - zwischen Vene-dig und Bologna in der Emilia-Romagna gelegen - nach Iserlohn zu ziehen. Mau-rizia Giuliani-Langbein wollte ursprüng-lich auch gar nicht hier bleiben. In Italien hatte sie soeben ihr Studium beendet und eine Stelle als Grundschullehrerin bekommen. Dann plante sie einen Kurz-urlaub bei der deutschen Freundin in Iserlohn. Sie wollte nur ein paar Tage bleiben. Doch dann wurden aus einer woche zwei, dann drei, schließlich 22 Jahre.

sie BegAnn zU JoBBen, sUchte sich eine WohnUng, lernte Deutsch und lebte sich ein. „Damals habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Ich sagte mir immer, du bleibst noch ein bisschen und irgendwann gehst du wieder zurück”, sagt sie und lacht. Die Situation änderte sich radikal, als sie schwanger wurde und im Alter

maurizia giuliani-langbein

„In Italien bin ich die Deutsche, in Deutschland bin ich die Italienerin. Ich denke, ich lebe dazwischen.”

von 27 Jahren ihre Tochter bekam. Bald darauf verließ sie ihren damaligen Le-bensgefährten, wurde alleinerziehende Mutter und begann eine Ausbildung zur Erzieherin, weil ihr Studium nicht an-erkannt wurde. Im Heilpädagogischen Kindergarten der Awo machte sie ihr Anerkennungsjahr, wurde nach der Aus-bildung prompt eingestellt und arbeitet inzwischen seit 14 Jahren dort. „Ich habe das Glück, dass ich arbeiten kann und darf ”, und berichtet über ihre Tätigkeit mit einer Gruppe hörgeschädigter und entwicklungsverzögerter Kinder. Ne-benbei unterricht sie an zwei Abenden Italienisch an der Volkshochschule.

„ich hABe mich für Dieses lAnD entschieDen UnD mich Ange-pAsst. Ich finde hier viele Sachen bes-ser als in Italien, aber ich bin nicht plötz-lich eine Deutsche geworden. Meine wurzeln und meine Muttersprache sind italienisch”, sagt sie und ist sich bewusst, dass sie ja immer noch die Möglichkeit hat zurückzugehen, „aber ich passe dort nicht mehr hin. Man entwickelt sich weiter.” Ein Problem, dass auch andere Menschen mit Migrationshintergrund

Alter

46 Jahre

Berufgrundschullehrerin und erzieherin

Herkunftsland

italien

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1988

Lebt in Iserlohn seit 1988 (2000-2009 in hemer)

Familienstand

verheiratet, 1 kind

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haben, glaubt sie. „Man ist fremd in Deutschland, man ist aber irgendwann auch fremd in Italien. In Italien bin ich die Deutsche, in Deutschland die Italie-nerin. Ich denke, ich lebe dazwischen.” An Deutschland schätzt sie, dass hier vieles geregelt ist, was ihrer Mentalität entspricht. „Ich bin sehr ordentlich. Ich muss genau wissen, wie mein Tagesab-lauf ist.” Das Einzige, was sie als störend empfindet, ist das Wetter.

viel glück hAt sie gehABt, seit-dem sie in Deutschland ist, da ist sich Maurizia Giuliani-Langbein sicher. Sie fin-det, dass sie selber auch viel dafür getan hat. Besonderen Stolz merkt man ihr an, wenn sie über ihre 19-Jährige Tochter spricht. Die hat soeben das Abitur ge-macht, spricht fünf Sprachen und möch-te bald studieren, am besten im Ausland. Die 46-Jährige fürchtet, erst einmal in ein Loch zu fallen, sobald sie allein ist. Aber sie ist eine Frau, die ihr Leben schon immer in die Hand genommen hat, und es selbstbewusst meistert, auch wenn es mal nicht so gut läuft. So hat sie sich erst gerade von ihrem Mann ge-trennt, ein Deutscher, mit dem sie seit vielen Jahren verheiratet ist. „Jetzt muss ich mein Leben ein bisschen ändern. Aber ich habe keine Angst. Das ist nicht das erste Mal, dass ich sage, so jetzt ist Schluss.” Genaue Pläne für die Zukunft gibt es noch nicht, aber eine berufliche weiterbildung kann sie sich gut vorstel-len. „Ich muss erst einmal mein Kind ver-abschieden und dann komme ich dran.”

Maurizia Giuliani-Langbein bei ihrer

Tätigkeit im Heilpädagogischen Kinder-

garten.

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sie hatte soeben das Abitur in Griechen-land gemacht, da saß die 19-Jährige schon mit zwölf anderen Griechinnen im Zug nach Deutschland. Alle wollten eine Ausbildung zur Krankenschwester machen. In Bethel bei Bielefeld war die Reise zu Ende. Diakonissen bereiteten ihnen einen herzlichen Empfang und nahmen sie in ihrem Haus auf. Hier sollten sie ein Jahr auf die Ausbildung vorbereitet werden. Das bedeutete, täglich die deutsche Sprache zu lernen, sowie Arbeit im Haushalt und in der Küche. Maria Grothoff schwelgt noch heute in den schönsten Erinnerungen, wenn sie an diese Zeit denkt: „Die Di-akonissen kümmerten sich mit großer Geduld um uns und gaben Geborgen-heit. Aber das Beste war, dass ich die deutsche Sprache gut gelernt habe, weil die Diakonissen sehr gebildet waren.” Ein Jahr später kam sie nach Iserlohn an das Krankenhaus Bethanien, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Das Examen bestand sie mit der Note sehr gut.

maria grothoff

„Was ich in Griechenland nicht geschafft hätte, habe ich hier geschafft.”

Alter

67 Jahre

Berufexaminierte krankenschwester

Herkunftsland

griechenland

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1961

Lebt in Iserlohn seit 1962

Familienstand

verheiratet, 3 kinder

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Maria Grothoff mit Freundinnen im Literaturkreis.

im krAnkenhAUs lernte sie ihren mAnn kennen, der sich dort als Patient aufhielt. Es war Liebe auf den ersten Blick und bereits kurze Zeit spä-ter wurde geheiratet. Den Job gab sie auf. „Das war damals so. Eine Ehefrau brauchte nicht zu arbeiten”, sagt Maria Grothoff. Daraufhin genoss sie die Zeit als Hausfrau und Mutter und schätzte es, ihre drei Kinder aufwachsen zu sehen. Doch schon bald wurde eine Iserlohner Grundschule auf ihre guten Deutsch-kenntnisse aufmerksam. „Wir haben griechische Kinder und griechische Leh-rer, die kein wort Deutsch sprechen. Können Sie dolmetschen?” Maria Grot-hoff überlegte nicht lange und sagte zu, denn Unterrichten war schon immer ihr Traum gewesen. Sechs Jahre blieb sie an der Schule, arbeitete als Dolmetsche-rin und unterrichtete in so genannten Übergangsklassen, in denen griechische Kinder die deutsche Sprache lernten. Diese Erfahrung half ihr, als sie später für die Volkshochschule tätig wurde. Fast 25 Jahre unterrichtete sie dort die griechische Sprache. Auch ein Ehrenamt übernahm sie. Viele Jahre betreute sie psychisch kranke Patienten im Club 73.

mit neUgier UnD freUDe WAr mAriA grothoff nAch DeUtschlAnD gekommen. „Ich wollte gerne das Fremde annehmen, das mir gut gefallen hat, ohne das Grie-chische abzulehnen.” Das Leben in

Griechenland hatte sie eingeengt, die Abreise war wie eine Befreiung gewe-sen. Das Leben war hart in dem kleinen Dorf im Norden Griechenlands, direkt an der türkischen Grenze. Die Eltern, der Vater war Schneidermeister und die Mutter Damenschneiderin, hatten sie streng erzogen und für ein Studium war kein Geld da. Mädchen hatten wenig Freiheiten und die soziale Kontrolle war groß. waren sie erst einmal verheiratet, „dann waren die Schwiegereltern häu-fig wie eine Gefangenschaft”, berichtet Maria Grothoff. Deshalb stimmte sie damals mit ihrer Freundin überein, als diese sagte: „Lass uns hier abhauen, be-vor die uns unter die Haube kriegen.” Gemeint waren die ersten Bauern, die bereits Interesse für die beiden signali-siert hatten.

Wenn sie ihr leBen in DeUtsch-lAnD revUe pAssieren lässt, fühlt sie sich bereichert. „Ich bin aufgenom-men worden und habe viel gelernt. Ich hatte die Möglichkeit zu unterrichten, was ein Traum war. was ich in Grie-chenland nicht geschafft hätte, habe ich hier geschafft.” Noch immer ist sie voller Tatendrang. Heute gilt ihre besondere Vorliebe der Literatur. Vor einiger Zeit hat sie angefangen zu schreiben. Ihre autobiografischen Geschichten spielen meistens in Griechenland und berichten von der Kindheit und Jugendzeit. Es ist ihr wichtig, „dass die Kinder und Enkel wissen, woher ihre oma stammt.” Da-neben interessiert sie sich auch für die große Literatur. Seit zehn Jahren besucht sie regelmäßig einen Literaturkreis. Da-mit aber nicht genug. Mit ihrem Mann hat sie eine weitere Leidenschaft ent-deckt. Dreimal die woche geht’s zum Tanzen. „Wir tanzen alles. Cha-Cha-Cha, Rumba, Tango, walzer, alles.” Außerdem findet sie im Glauben Halt. Aus ihm schöpft sie Kraft und Mut. Zudem en-gagiert sie sich in der griechisch-ortho-doxen Gemeinde.

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Wenn sie vom Tanzen erzählt, leuchten ihre Augen. Es ist die große Leidenschaft von Larissa Homischin. „Tanzen ist mein Leben. wenn ich tanze, dann öffne ich mich und zeige den Menschen meine innere welt. Dann brauche ich keine Sprache mehr. Man kann alles verstehen. Es ist eine weltsprache.” In Kasachstan machte sie eine Ausbildung zur Tanzleh-rerin und Kulturmanagerin. Drei Jahre lang hatte sie täglich ein sechsstündiges Tanztraining und lernte verschiedene Tanzdisziplinen. Es war ihr Traumberuf, mit dem sie in Kasachstan an einem Kulturzentrum arbeitete, um Kinder und Jugendliche zu unterrichten.

Als sie 1998 nAch iserlohn kAm, wurde ihr schnell klar, dass mit dem er-lernten Beruf kaum eine Stelle zu fin-den ist. Nun muss sie umsatteln und mit Hilfe der ARGE will sie einen neuen Job finden. Bis dahin ist sie nicht untätig. Das Tanzen gibt ihr Kraft. Und so un-terrichtet sie Kinder und Jugendliche in Schulen und Kindergärten im Jazz- und Ethnotanz. Mit einer Gruppe studiert sie kleine Choreografien ein, um sie später auf der Bühne vor Publikum zu prä-

sentieren. Es gefällt ihr, mit Kindern zu arbeiten. Deshalb würde ihr auch eine Tätigkeit als Erzieherin gut gefallen. Ihr größter wunsch ist, dass sie ihre Fähig-keiten in den künftigen Beruf einbringen kann. Und die Alleinerziehende möchte wirtschaftlich unabhängig sein, für sich und ihren neunjährigen Sohn.

Bevor sie nAch DeUtschlAnD kAm, hat sie das Land nicht, wie viele ihrer Landsleute, mit einer rosaroten Brille betrachtet. „Viele haben gedacht, es wird alles gut. Ich habe gewusst, dass es schwierig wird. Aber ich hatte keine Angst vor dem neuen Land.“ Völlig neu war für sie das Tempo: „In Deutschland lebt man hektisch. Man muss immer da-rauf vorbereitet sein, weiter zu laufen, nicht gehen, sondern laufen. In Russland ist das Tempo ein bisschen langsamer.” Ein weiteres Problem bereitete ihr gleich zu Beginn das Erlernen der deutschen Sprache. Sie konnte lesen und verste-hen, aber kaum sprechen. Auch wenn die Familie ursprünglich aus Tirol kam, wurde in Kasachstan nicht viel Deutsch geredet. In Deutschland erhielt sie sechs Monate Sprachunterricht. „Zu kurz,

„Wenn ich tanze, öffne ich mich und zeige den Menschen meine innere Welt.”

larissa homischin

Alter

40 Jahre

Beruftanzlehrerin und kulturmanagerin

Herkunftsland

kasachstan (russland)

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1998

Lebt in Iserlohn seit 1998

Familienstand

ledig, 1 kind

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um die neue Sprache gut zu lernen”, meint Larissa Homischin. Deshalb lernt sie weiter, bevorzugt mit ihrem kleinen Sohn. „Ich habe ihm Russisch beige-bracht, aber Deutsch spricht er besser. Inzwischen unterhalten wir uns häufig in beiden Sprachen.”

trotz Der schWierigkeiten hat ihr das neue Land auf Anhieb gefallen. In Iserlohn ist sie fasziniert von der Archi-tektur der Häuser und von der üppigen Natur. Sie findet die Stadt gemütlich, weil sie nicht so groß ist. Viele Menschen haben ihr geholfen, sich hier zurecht zu finden. „Menschen, die ich getroffen habe, haben mir immer gerne gehol-fen. Man muss einfach nur fragen.” Sie

schätzt außerdem, dass in Deutschland Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern leben. „Hier kann man zivili-sierte Menschen aus der ganzen welt treffen. Ich könnte natürlich nie in diese Länder reisen. Es ist schön, dass ich die-se Menschen hier treffen kann.” Es ent-spricht ihrer Mentalität, mit Menschen in Kontakt zu treten. Bisher hat sie nur gute Erfahrungen gemacht. So hat sie in Iser-lohn viele neue Freundinnen gefunden, darunter auch eine deutsche. „Ich rede viel mit meiner deutschen Freundin. Und wenn ich einen Rat brauche, gehe ich zu ihr.” Außerdem gibt es noch die Familie. oma, opa, Mutter und Bruder - alle le-ben inzwischen in Iserlohn. „Wenn wir uns gemeinsam treffen, sitzen wir mit 24 Personen und mehr an einem Tisch.”

ihre kUltUrellen WUrzeln sind ihr wichtig. „Die kann man nicht einfach abschneiden.” wenn sie an Kasachstan denkt, dann erinnert sie sich vor allem an die Natur in einem weiten Land und an eine glückliche Kindheit. Die Abrei-se war nicht leicht, aber der Großvater wollte immer zurück ins „Vaterland”. Vor einigen Jahren hat sie ihren onkel in Kasachstan besucht und machte dabei eine ganz besondere Erfahrung. Nach wenigen Tagen überfiel sie das Heim-weh nach Iserlohn. „Ich will nach Hau-se”, sagte sie zu ihrem onkel. Plötzlich vermisste sie ihre wohnung, Freunde und Gespräche in der neuen Heimat. „Ich war glücklich in Kasachstan, meine Erinnerung bleibt in mir. Aber jetzt bin ich auch glücklich. Aber ich empfinde es als ein ganz anderes Glück. Vielleicht bin ich gewachsen. Ich habe Neues kennen gelernt.”

Larissa Homischin beim Tanztraining mit

Jugendlichen und bei einem öffentlichen

Auftritt im traditionellen Kostüm.

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Dieser Job ist nie langweilig. Er verlangt höchste Konzentration und Respekt, weil ein Sprengmeister nur einmal einen Fehler macht.” Danijela Ivic weiß, wovon sie spricht. Sie ist gelernte Sprengmei-sterin, wobei sie betont, dass sie viel mehr kann als nur Sprengungen aus-zuführen. Aber eine passgenaue Über-setzung ihres Berufes gibt es nicht. Die vierjährige Ausbildung absolvierte sie an einer Militärschule in Bosnien-Herzego-wina. Dort erlernte sie die Herstellung, Vernichtung und Beseitigung von Patro-nen, Raketen, Minen und Granaten. Für die selbstbewusste Frau ist es bis heute der Traumberuf, obwohl ihr viele den Job nicht zutrauen, weil sie eine Frau ist. In Deutschland musste sie lange nach einer solchen Anstellung suchen, bis sie schließlich für drei Jahre als Sprengmei-sterin in einem entsprechenden Betrieb arbeiten konnte.

finAnzielle hilfe vom stAAt hat Danijela Ivic immer abgelehnt. Als sie vor rund 18 Jahren mit ihrem Ehemann und dem damals noch kleinen Sohn nach Deutschland kam, begann sie in der Gastronomie zu arbeiten, erst als Aus-

Danijela ivic

„Sprengmeisterin ist mein Traumberuf. Das versteht kaum einer, weil ich eine Frau bin.”

hilfe, dann als Köchin. Als ihr Mann, ein gelernter Hotelfachmann, ein Restau-rant eröffnete, arbeitete sie auch dort. Heute managt sie für ihren Mann, der sich inzwischen in Berlin zum Versiche-rungskaufmann qualifizierte und heute selbstständig ist, verschiedene Bürotä-tigkeiten. Trotzdem ist sie weiterhin auf der Suche, eine Stelle als Sprengmeiste-rin zu finden. Dafür kämpft Danijela Ivic, so wie sie es immer getan hat, seitdem sie hier lebt. „Für mich persönlich war die Situation schwer, als ich hierher kam. Ich konnte kein wort Deutsch. Alles war neu, das Land, die Kultur und die Men-schen. Und die Aufenthaltserlaubnis war noch nicht geklärt“, erinnert sich die 40-Jährige. Dennoch hatte sie damals ein klares Ziel vor Augen. Für sie stand fest: „Ich will hier bleiben und eine neue Zukunft aufbauen.” Diese Zukunft war ihr und ihrer Familie in Bosnien-Her-zegowina durch den Krieg genommen worden. Dabei spielte auch die Religion eine große Rolle. „Ich bin Serbin und orthodox, mein Mann ist Kroate und katholisch. wir hatten keinen Platz zu-sammen in dieser Situation.”

Alter

40 Jahre

Berufchemische technologin für sprengstoffe und pyrotechnik

Herkunftsland

Bosnien-herzegowina

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1992

Lebt in Iserlohn seit 1992

Familienstand

verheiratet, 1 kind

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„leBen ist nicht nUr nehmen, leBen ist nehmen UnD geBen.” Mit dieser Einstellung stellte sie sich der neuen Lebenssituation in Deutschland von Anfang an. Die deutsche Spra-che lernte sie im Eigenstudium. Sie las Zeitungen, sah deutsche Fernsehpro-gramme und hatte immer ein wörter-buch dabei. Heute nimmt sie Unterricht, um die berufsspezifischen Sprachkennt-nisse zu verbessern. „Integration hat viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun“, findet sie. „Man muss sich Mühe geben und im Kopf klar haben, dass man hier leben, hier arbeiten und hier eine neue Zukunft aufbauen möchte. Dann kann ich das Leben hier genießen. Deshalb muss man sich anpassen. Ich kann nicht erwarten, dass sich die Gesellschaft an mich anpasst.” Sie glaubt, dass es wichtig ist, dass alle ihre Rechte und Pflichten kennen. Sie empfindet sich als Mitbürge-rin, denn „ich habe die gleichen Rechte wie alle gebürtigen Deutschen.”

Wenn sie heUte nAch Bosnien-herzegoWinA fährt, sAgt sie: „Wir fahren in den Urlaub. Aber wenn wir von dort nach Deutschland fahren, dann fahren wir nach Hause. Das ist ein schönes Gefühl. Ich bin froh, wenn ich dann wieder in den eigenen vier wän-den bin.” Man merkt ihr an, dass sie stolz auf das ist, was sie hier gemeinsam mit ihrer Familie aufgebaut hat. Besonders stolz ist sie natürlich auf ihren Sohn, der soeben das Abitur gemacht hat. Nach dem Zivildienst will er Chemie studieren und später in der Forschung arbeiten.

Danijela Ivic im Steinbruch der

Hohenlimburger Kalkwerke.

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An einem Dienstag bin ich in Deutsch-land gelandet, und am Sonntag bin ich das erste Mal kegeln gegangen.“ wenn Faouzia Karboule ihre anfänglichen Ein-drücke in Deutschland schildert, blickt sie schmunzelnd zurück. Ihr Mann, der ebenfalls aus Tunesien stammt, holte sie 1981 nach Deutschland, wo er schon seit einigen Jahren arbeitete. Von Anfang an lebten sie in Letmathe. Er drängte darauf, dass seine Frau Land und Leute schnell kennen lernt. Aber auch für sie stand fest: „In meinem Land werde ich von nun an eine Touristin sein, hier ist jetzt meine Zukunft.” Also ging sie auf die fremden Menschen zu. Sie nahm an Geburtstagsfeiern und anderen Festen teil, ging zum Sport und wurde Mitglied im Kegelverein. Später, als die beiden Töchter geboren waren, wurde sie beim Mutter-Kind-Turnen aktiv. Frauenpo-litische Anliegen lagen ihr besonders am Herzen. Und so besuchte sie von nun an regelmäßig die Arbeitsgemeinschaft Iserlohner Frauengruppen. Rasch lernte sie die deutsche Sprache und gewann einen neuen Freundeskreis. Hilfreich bei allem war die positive Lebenseinstellung.

faouzia karboule

„Die Deutschen haben mir die Tür geöffnet und auch ihr Herz.”

Faouzia Karboule mit ihrem Ehemann.

Alter

54 Jahre

Herkunftsland

tunesien (insel Djerba)

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1981

Lebt in Iserlohn seit 1981

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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in Not sind. Schon seit einigen Jahren begleitet sie Bewohnerinnen des Frau-enhauses, die aus arabisch sprechenden Ländern kommen. Sie hilft bei der Über-setzung, z. B. bei Behördengängen oder beim Arztbesuch. Engagiert hat sie sich außerdem beim städtischen Integrati-onsprojekt. Dort betreut sie z. Z. eine junge Marokkanerin. Sie half ihr, die neue wohnung zu beziehen und unterstützte die junge Mutter vor und nach der Ge-burt ihres Sohnes. Eine besondere Ver-bindung spürt sie zu alten Menschen. Den weg ins Altenheim macht sie gern. „Vielleicht habe ich es von meiner Mut-ter. Ältere Menschen, die in Not waren, hat sie einfach in unserem Hause auf-genommen und betreut. Da habe ich mitgeholfen. Es ist für mich selbstver-ständlich. Ich mache das auch, weil ich gläubige Muslimin bin. Bei den Christen ist es doch auch so, dass man Leuten helfen muss”, sagt sie mit großer innerer Überzeugung.

„Ich bin ein offener Mensch”, sagt Faou-zia Karboule, „ich wusste schon vorher, dass ich hier gut leben kann, auch wenn ich immer viel Heimweh hatte.” Außer-dem war ihr Europa nicht völlig unbe-kannt, denn zuvor war sie schon einmal in Frankreich gewesen. Auch der Vater, der im Tourismusgeschäft tätig war, be-reicherte ihr wissen über europäische Länder.

„Die DeUtschen hABen mir Die tür geöffnet und auch ihr Herz”, berichtet Faouzia Karboule. Noch im-mer ist sie vielen Menschen dankbar für die Hilfe, die ihr von Anfang an entge-gengebracht wurde. Ein befreundetes deutsches Ehepaar wurde sogar zum Elternersatz für sie und ihren Mann und zum Großelternersatz für die bei-den Töchter. Für Faouzia Karboule ein Glücksfall, dass die Kinder auf diese weise nicht auf Großeltern verzichten mussten, lebten doch die richtigen weit weg in Tunesien. Die innige Beziehung zwischen den Töchtern und den deut-schen Großeltern hält bis heute. Regel-mäßig gehen die beiden erwachsenen Töchter weiterhin zu „Opa” und „Oma”. Sollten die beiden älteren Menschen in Zukunft die Hilfe von Faouzia Karboule benötigen, so wird sie natürlich für sie da sein. Bis vor kurzem haben sie sich jeden Donnerstag zum Kaffee getroffen - wohlgemerkt seit fast 30 Jahren.

fAoUziA kArBoUle giBt Die hil-fe zUrück, die sie selber in Deutsch-land erhalten hat. Mit Selbstverständlich-keit kümmert sie sich um Menschen, die

Faouzia Karboule hält ein Foto in der

Hand, das sie als Braut im traditionellen

tunesischen Hochzeitskleid zeigt.

Im Rahmen des städtischen Integrations-

projekts betreut sie eine junge

Marokkanerin mit ihrem Sohn.

Die 54-Jährige elegAnte frAU blickt mit großer Zufriedenheit auf ihr Leben zurück. Eine Beruhigung ist es für sie, dass die beiden Töchter nun er-wachsen sind und ihren eigenen weg gehen. Sie hat sie so erzogen, dass sie frei und unabhängig sind. „Wenn man Vertrauen in sein Kind hat, dann braucht man sich keine Sorgen zu machen.” Sie hat ihnen aber auch klar gemacht, wie wichtig Schule und Bildung sind. „Bildung ist das A und o”, sagt sie und ist stolz darauf, dass beide die weiterführende Schule besucht haben und sich heute im Studium bzw. in der Ausbildung be-finden. Die älteste Tochter lebt allein in Bonn und die jüngere möchte im Som-mer nach Amerika gehen. „Für mich ist es nicht wichtig, dass sie heiraten. Einen Abschluss in der Tasche zu haben ist wichtig. Das sind meine wünsche“, sagt Fauozia Karboule und denkt dabei wohl nicht zuletzt an ein Informatik-Studium, das sie in Tunesien gerne gemacht hätte, wenn nicht die Liebe dazwischen ge-kommen wäre.

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meinen Eltern habe ich es zu verdanken, dass ich es bis hierhin geschafft habe“, sagt Buket Kilic beim Tee im schicken el-terlichen wohnzimmer. Noch immer ist es nicht selbstverständlich, dass eine jun-ge Frau mit türkischem Migrationshin-tergrund das Fachabitur absolviert und Beamtin in der Kommunalverwaltung wird. Der Job im Einwohnermeldeamt der Stadt Iserlohn macht ihr viel Spaß. Dabei ist es überaus nützlich, dass sie die deutsche und die türkische Sprache perfekt beherrscht. „Wenn Leute kom-men, die wirklich kein Deutsch sprechen, dann helfe ich natürlich gerne und über-setze.” Eines ihrer Ziele ist es, beruflich voran zu kommen. Deshalb bildet sie sich neben der täglichen Arbeit weiter, um nächstes Jahr in den gehobenen Ver-waltungsdienst aufzusteigen.

BUket kilic WUrDe in gelsen-kirchen geBoren und wuchs dort mit der älteren Schwester und dem jüngeren Bruder auf. Als sie sieben Jah-re alt war, zog die Familie nach Iserlohn. Zuvor lebten die Eltern in dem kleinen Städtchen Hacibektas, in der Nähe von Kapadokien, 400 km südlich von Anka-

ra gelegen. Zuerst reiste der Großvater als Gastarbeiter nach Deutschland und fand eine Arbeitsstelle. wenige Jahre später zogen die Eltern 1973 bzw. 1983 nach, und auch der Vater erhielt schnell eine neue Beschäftigung. Ihr Ziel war es, den Kindern ein Leben zu ermöglichen, das nicht so entbehrungsreich war wie das eigene. Deshalb wurde viel Geld in die Bildung ihrer Kinder investiert. „Wir erhielten Nachhilfe, auch wenn wir kei-ne brauchten”, erinnert sich Buket Kilic. Außerdem gingen die Eltern gemeinsam regelmäßig zum Elternsprechtag, denn sie wollten immer dabei sein, wenn es um die Schulangelegenheiten der Kinder ging. „Meinem Vater war es auch wich-tig, dass wir aufgeschlossen sind und uns sprachlich behaupten können. Schon als Kinder waren wir Mitglied in Verei-nen, z. B. im Volleyball-Verein, zudem besuchten wir die Musikschule.” In der Familie wurden neben den türkischen Festen, wie dem Zuckerfest und dem opferfest, auch die deutschen gefeiert. Die Kinder sollten im Vergleich zu deut-schen Kindern nichts entbehren. „Bis heute haben wir zu weihnachten immer einen Tannenbaum gehabt und darunter

„Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen und deswegen ist dies hier meine Heimat.”

Buket kilic

Alter

23 Jahre

Beruf stadtobersekrtärin, Beamtin im mittleren Dienst

Herkunftsland

Deutschland (eltern aus der türkei)

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1973 (vater), 1983 (mutter)

Lebt in Iserlohn seit 1994

Familienstand

ledig

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lagen Geschenke, die nach türkisch tra-ditioneller Art am Silvesterabend geöff-net wurden.“ Später, als Buket Kilic das Fachabitur absolvierte, waren es wieder die Eltern, die sie motivierten, sich für eine Ausbildung bei der Stadt Iserlohn zu bewerben. „Meine Mutter hat mich einfach an die Hand genommen und ist mit mir zur Stadtverwaltung gegangen. wir haben uns dort informiert und ich konnte mich direkt für ein Praktikum bewerben.” Ähnlich erging es der äl-teren Schwester, die heute bei der Stadt witten tätig ist.

BUket kilic verBinDet BeWUsst türkische trADitionen mit moDernem Westlichen leBen. „Die Familie spielt eine große Rolle, denn sie gibt mir viel Halt. Auch der Beruf und die Religion sind für mich wichtig. Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist in unserer Fa-

milie selbstverständlich.” Deshalb ist es für sie kein Thema, wenn sie am Abend mit ihren deutschen Freundinnen etwas unternimmt. Sie treibt Sport, spielt Vol-leyball im Verein und geht gerne tanzen. Mittlerweile ist die 23-Jährige glücklich verlobt. Mit dem Mann an ihrer Seite möchte sie ihre Zukunft in Deutsch-land gestalten. Zu sehr schätzt sie die Möglichkeiten, die sie hier vorfindet, vor allem wenn es um Bildung geht. „Hier kann ich viel aus meinem Leben machen und ich bin mir sicher, meine Ziele und Träume verwirklichen zu können. Ich bin hier geboren und hier aufgewachsen und deswegen ist das meine Heimat.”Hier in Deutschland fühlt sie sich zu-hause. Trotzdem hält sie sich gerne und regelmäßig zur Urlaubszeit in der Türkei auf. „Ich freue mich, dort einen Teil mei-ner Familie wieder zu sehen, den ich sehr vermisse. Außerdem genießen wir die Sonne und das Meer.“

Buket Kilic im Einwohnermeldeamt der

Stadt Iserlohn und beim Volleyball-Trai-

ning im Verein.

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Andrea Kürti kommt aus einem kleinen ungarischen Dorf an der Grenze zu Serbien. In der Schule wurden ihre El-tern gefragt: „Soll Ihr Kind Deutsch oder Russisch lernen?” Die Eltern entschie-den sich für Deutsch. Fünf Jahre lernte sie die Sprache. Anschließend studierte sie Französisch, Ethnologie und Anthro-pologie an der Universität in Szeged. Nach dem Studium war klar, dass sie ins Ausland ging. „Ich wollte einfach raus und ganz viele Erfahrungen sammeln, um bessere Chancen auf dem Arbeits-markt zu haben.” Andrea Kürti erhielt ein Stipendium und ging 2007 nach Belgien. Doch schon zuvor hatte sie als Au-Pair-Mädchen in Bremen ihre ersten Auslandserfahrungen sammeln können. In Frankreich büffelte sie ein Jahr lang Französisch und schloss mit einem fran-zösischen Abitur im Fach Literatur ab. Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt, im Ausland zu leben. In Iserlohn hat sie sich vor rund zwei Jahren mit ihrem Ehemann nieder gelassen, der hier eine Anstellung als Arzt fand.

von DeUtschlAnD hAtte Die 28-Jährige immer ein positives BilD, als sie noch in Ungarn lebte. „Deutschland war für mich das har-monischste Land in ganz Europa. Al-les ist grün, alle sind pünktlich und die Menschen sind aufgeschlossen”, glaubte sie damals. Als sie später ihre eigenen

„Nach dem Studium in Ungarn wollte ich im Ausland ganz viele Erfahrungen sammeln.”

Andrea kürti

Alter

28 Jahre

Beruf lehrerin für französich und ethnologie, studium der Anthropologie

Herkunftsland

Ungarn

NationalitätUngarisch

Ankunft in Deutschland2008

Lebt in Iserlohn seit 2008

Familienstand

verheiratet

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Erfahrungen machen konnte, stimmten diese nicht immer mit ihren früheren Vorstellungen überein. So vermisst sie persönlich z. B. Gruppen von gleichge-sinnten jungen Leuten, mit denen sie sich treffen könnte. Außerdem fiel ihr auf, dass der familiäre Zusammenhalt in Deutschland nicht so groß ist wie in Un-garn. Gemeinsam mit ihrem Mann pflegt sie zu Eltern und Schwiegereltern einen engen Kontakt. Alle zwei Monate fährt das Paar nach Ungarn, um die Familie zu besuchen. Daneben aber weiß sie viel Positives zu berichten: „In Iserlohn sind wir aufgeschlossenen Menschen begegnet. Mein Mann hatte schon vor meiner Ankunft Kontakt zu einer Familie gefunden. Sie ist praktisch unsere deut-sche Ersatzfamilie geworden. Von ihnen haben wir viel über Deutschland und die Deutschen erfahren.” Überhaupt findet sie, „dass die Deutschen sehr behutsam mit ausländischen Menschen umgehen. Die sind daran gewöhnt, dass ausländische Menschen hier leben und akzeptieren das.”

seit Wenigen monAten ArBei-tet AnDreA kürti Als lehre-rin Am Woeste-gymnAsiUm in hemer und unterrichtet Französisch. Davor war sie viel zu Hause und nutzte die Zeit, um sich einzuleben. Ehrenamt-lich arbeitete sie bei der CariTasche und gab ungarische Sprachkurse in der Volkshochschule. In der Freizeit steht bei ihr Kunst und Kultur auf dem Programm. Daneben ist sie selber aktiv, singt im Kirchenchor und tanzt gemeinsam mit ihrem Mann in einer ungarischen Volks-tanzgruppe in Hagen. Fahrradtouren sind eine weitere Vorliebe. Per Rad will die 28-Jährige die Umgebung und das Ruhrgebiet entdecken. Das Interesse, Land und Leute kennen zu lernen, ist groß. „Wenn ich in einem anderen Land lebe, möchte ich erfahren, wie die Men-schen hier leben. Davon kann ich ganz viel lernen und ich werde reich davon. Ich lerne die Gedanken der anderen besser zu verstehen und kann die welt anders sehen“, sagt sie.

Die zUkUnft ist UngeWiss. „In Iserlohn”, sagt sie, „kann man gut leben.” Die wälder in der Umgebung gefallen ihr besonders gut. Dennoch ist Ungarn nicht vergessen. Mit ihrem Ehemann hat sie den gemeinsamen Traum, irgend-wann nach Ungarn zurückzukehren. Dort sollen die zukünftigen Kinder auf-wachsen.

Andrea Kürti mit einer Freundin bei

einem Jazz-Konzert im Henkelmann, mit

ihrem Mann in traditioneller ungarischer

Tracht und bei der Probe im Kirchenchor.

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Arzu Özdemir ist eine moderne junge Frau, selbstbewusst, redegewandt, le-benslustig und gebildet. Sie weiß genau, was sie will. Sie hat soeben das Abitur gemacht und möchte nun Internatio-nales wirtschaftsrecht studieren, be-vorzugt in Berlin, weil ihr die Stadt gut gefällt und sie endlich in einer Großstadt leben möchte. Aber sie will auch von den Eltern, die sie immer sehr unter-stützt haben, unabhängig werden. „Ich finde das Studentenleben schon sehr attraktiv, wobei mich die Selbständigkeit am meisten anzieht. Ich will einfach das eigene Leben in den Griff bekommen“, sagt die 19-Jährige selbstbewusst. Bis es soweit ist, wird sie noch einige Monate mit ihren Eltern und den zwei jüngeren Schwestern unter einem Dach leben.

BilDUng spielt im elternhAUs eine große Rolle. „Meine Eltern haben alles daran gesetzt, dass ihre drei Töch-ter eine gute schulische Ausbildung be-kommen. wir sind alle auf dem Gym-nasium. Für meinen Vater war es sehr wichtig, dass wir unabhängige Frauen werden, einen guten Beruf erlernen

und nicht zu Hause sitzen und kochen.” Überhaupt findet sie ihre Eltern - der Vater ist Ingenieur, die Mutter arbeite-te nach dem Abitur als Beamtin in der Türkei - sehr modern. Sie haben ihr klar gemacht, dass es wichtig ist, sich an die deutsche Kultur anzupassen, ohne die Herkunftskultur aufgeben zu müssen. Deshalb ist sie auch der Ansicht, dass sich Menschen mit ausländischer Her-kunft nicht isolieren dürfen, weil es eine erfolgreiche Integration verhindert. Das Erlernen der deutschen Sprache hält sie für eine Grundvoraussetzung bei der Integration. „Ansonsten“, sagt sie, „kann man seinen Horizont in keinster weise erweitern. Man kann hier keine gute schulische Ausbildung kriegen und man kann später keinen guten Beruf erlangen - eigentlich gar nichts. Man lebt nun ein-mal hier in Deutschland, und man muss die deutsche Kultur respektieren. wenn man das nicht schafft, dann würde ich persönlich keinen Grund sehen, hier zu bleiben. wenn man aber die Sprache kann, dann kann man sich mit anderen Leuten unterhalten und es entsteht ein gewisser Respekt der anderen Kultur

„Ich möchte nach Berlin, das ist mein großes Ziel.”

Arzu özdemir

Alter

19 Jahre

Beruf Abiturientin

Herkunftsland

Deutschland (eltern aus der türkei)

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1977 (vater), 1988 (mutter)

Lebt in Iserlohn seit 1990

Familienstand

ledig

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gegenüber. Der ist notwendig, damit man in Frieden und Harmonie mitein-ander leben kann, anders funktioniert das nicht.” Arzu Özdemir will mit dazu beitragen, dass Kinder die deutsche Sprache lernen. Deshalb beteiligt sie sich am Projekt „Sprache verbindet” und erteilt Deutschunterricht in einer türkischen Familie.

Die UrsAche vieler integrAti-onsproBleme ist, so glaubt sie, dass die meisten Leute Angst haben, die eigene Identität zu verlieren. „Oft wird unter Integration verstanden, dass die eine Seite zu viele opfer bringen muss. Aber das ist nicht so. Ich bin ein gutes Beispiel dafür. Ich habe meine türkische Kultur, aber ich lebe auch ganz normal hier in Deutschland. Mir fehlt es an nichts.” Das „Türkische” spielt bei ihr eine große Rolle, z. B. wenn es um die Religion geht. Sie ist Muslimin, aber eine strenge Auslegung des Glaubens lehnt sie ab. Sie isst z. B. kein Schweinefleisch, aber ein Gläschen Alkohol darf es schon mal sein. Außerdem reist sie einmal im Jahr mit ihrer Familie in die Türkei, um die Verwandten zu besuchen. „Es ist ein-fach die Heimat”, sagt sie und fügt gleich hinzu: „Aber Deutschland ist auch meine Heimat, weil ich hier mein Leben habe.” Zwischen beiden Ländern spürt sie ei-

nen starken Kontrast, aber sie findet es positiv, dass sie beide Kulturen kennen lernen durfte. So ist es nachvollziehbar, wenn sie von sich behauptet, dass ihr Fa-milienleben türkisch geprägt ist, sie sich ansonsten aber eher an der westlichen Lebensart orientiert.

Die Beste freUnDin ist eine DeUtsche und auch der übrige Freun-deskreis ist deutsch. Gemeinsam treffen sie sich und gehen z. B. ins Kino. Außer-dem treibt sie gerne Sport und findet neben dem Schulstress Entspannung beim Lesen. Sie macht sich auch Gedan-ken über die eigene junge Generation und hält mit Kritik nicht zurück. „Ich fin-de es mit unserer Generation einfach traurig. wir bestehen nur noch aus Spaß und Konsum. Die meisten Leute sind politisch einfach nada. Eine politische Überzeugung, der man sich vielleicht ein Leben lang widmet, so etwas kennt man bei uns gar nicht mehr.” wer weiß, viel-leicht könnte die Politik in ihrem Leben ja noch eine Rolle spielen. Der Vater, der sich im kommunalen Integrationsrat en-gagiert, könnte sich dies durchaus vor-stellen. „Ja, mein Papa sagt, ich hätte ein gutes Mundwerk, ich könnte durchaus in die Politik gehen.” Aber erst einmal will die angehende Studentin „raus in die weite welt” und sich alles offen lassen.

Arzu Özdemir mit ihrer Familie und

ihrer deutschen Freundin.

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sie erzählt gerne, lacht viel und ist Musi-kerin mit Leib und Seele. Die Geige ist ihr Instrument. Edyta Pietrasch-Szyszko arbeitet als Musikpädagogin an der Mu-sikschule Iserlohn, wo sie Kinder für das Geigenspiel und die Musik begeistern will. Sie erinnert sich, dass sie als Kind selber viel Spaß hatte, Geige und Klavier zu lernen. Zusätzlich sang sie noch im Chor in dem kleinen ort Szczecinek an der polnischen ostseeküste. Von den El-tern - die Mutter war Sozialarbeiterin, der Vater Bäcker und später Maschi-nenführer - wurde sie dabei unterstützt, obwohl ihnen der Musikbereich fremd war. Schon bald stand fest, dass die Tochter Musik studieren wollte. Nach zahlreichen Aufnahmeprüfungen war sie eine von wenigen, die an der Musik-akademie in Polen einen Studienplatz erhielt. Aber als sie das Studium begann, hörte sie auch schon fast wieder auf. Sie hatte sich entschlossen, nach Deutsch-land zu ziehen - der Liebe wegen.

WUppertAl WUrDe ihr neUes zUhAUse. Dort lebte ihr damaliger Freund, der ebenfalls aus Polen stammt. Zuvor waren beide zwei Jahre zwischen

Deutschland und Polen gependelt, 1000 Kilometer hin und 1000 zurück. Als Edyta Pietrasch-Szyszko in wuppertal eintraf, sprach sie kein wort Deutsch. An der Volkshochschule meldete sie sich für einen Deutschkurs an, den sie aber bald abbrach, weil ihr das Tempo zu langsam war. Statt dessen lernte sie im Eigenstudium weiter, las deutsche Bücher und kommunizierte viel mit jungen Leuten. Bevorzugt traf sie sich mit anderen Studierenden an der Mu-sikhochschule wuppertal, an der sie die Aufnahmeprüfung im ersten Anlauf be-standen hatte. In fehlerfreiem Deutsch erinnert sich die junge Frau heute gerne an diese Zeit: „Das Studium war wirklich fantastisch. wenn man offen ist und auf andere zugeht, werden einem wirklich alle Türen geöffnet.” Auch die Herkunft war nicht von Bedeutung: „In der Mu-sikbranche spielt es keine Rolle, woher man kommt. Es gibt keine Probleme mit anderen Kulturen.“ Auch privat lief alles bestens. Ihren damaligen Freund, einen Physiotherapeuten, hatte sie bald nach der Ankunft in Deutschland geheira-tet. Sie mieteten eine kleine wohnung in einem Einfamilienhaus in wuppertal.

„Dieses Bunte und Vielfältige in der Musik, das ist es, was mich wirklich fasziniert.”

edyta pietrasch-szyszko

Beruf Dipl. musikerin und

Dipl. musikpädagogin (geige)

Herkunftsland

polen

Nationalitätpolnisch

Ankunft in Deutschland1995

Lebt in Iserlohn seit 2000

Familienstand

verheiratet

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Die Vermieter empfingen sie mit großer Herzlichkeit. „Die sind für uns wie zwei-te Großeltern gewesen, während des gesamten Studiums.” Nach dem Studi-um zog das Paar nach Iserlohn.

es ist eDytA pietrAsch-szyszko ein BesonDeres Anliegen, Kin-dern die Freude am Musizieren zu ver-mitteln. „Wenn Kinder nicht gedrillt und offen an die Musik heran geführt wer-den, dann macht es ihnen riesigen Spaß. Das Schönste ist, wenn die Kinder viel dabei lachen und nicht gequält den Un-terricht verlassen”, erzählt sie. Deshalb geht es ihr im Unterricht nicht nur um das Instrument, sondern sie will auch die Vielfalt der Musik und den Reichtum der Klangfarben vermitteln und erklärt dies so: „Wenn Sie Musik hören und sich von ihr angesprochen fühlen, dann jauchzt die Seele und das ganze Herz. So ist das auch bei uns Musikern. wenn wir mu-sizieren, dann geht es nicht nur darum, Töne abzuspielen, sondern die Musik zu empfinden und zu gestalten. Das ist das Allerschönste, was man machen kann.” Besondere Freude empfindet sie, wenn Kinder merken, dass sie ihrem Instru-ment die tollsten Töne entlocken kön-nen. „Das sind fantastische Erlebnisse. Es vermittelt den Kindern auch ein biss-chen Persönlichkeit. Sie sehen, dass sie etwas schaffen können.”

Aber die Musikpädagogin ist nicht nur von den Kindern begeistert, sondern auch von deren Eltern. „Sie zeigen un-glaubliches Engagement. Sie sind bei Konzerten und wettbewerben immer dabei. Es wird alles fantastisch unter-stützt.”

viele Bereiche in Der mUsik sprechen sie An. Nicht nur von der Klassik lässt sie sich faszinieren. Auch der Jazz und die Popmusik haben es ihr an-getan. „Ich glaube, das ist immer das Bun-te, was mich so anspricht. Hauptsache, es ist nicht nur grau oder nur schwarz, und das überträgt sich irgendwie auf jeden Bereich.” Neben der Tätigkeit in der Musikschule macht sie Kammermu-sik mit unterschiedlichen Musikerinnen und Musikern und hat Auftritte auch auf der lokalen Ebene. Die große Karriere will die Musikerin aber nicht machen. „Ich versuche, mein Leben zu meistern und riesigen Spaß zu haben. Und jeden Tag, wenn ich keinen Spaß gehabt habe, denke ich, da ist irgendwas falsch gelau-fen.” Richtig gelaufen ist auf jeden Fall ihr bisheriger Lebensweg und sie resümiert: „Ich bin schon froh, dass ich ausgewan-dert bin. Ich glaube, ich war schon im-mer so eine Persönlichkeit, die auch mal etwas anderes sehen wollte.”

Edyta Pietrasch-Szyszko mit ihren

Schülerinnen.

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lidia Remisch ist das, was man eine Po-werfrau nennt. Neben ihrem Beruf als Schneidermeisterin, den sie im eigenen kleinen Unternehmen ausübt, hat sie an manchen Tagen bis zu sechs Termine. Mit großem Enthusiasmus engagiert sie sich für Menschen mit Migrations-hintergrund und beim ehrenamtlichen Dienst Continue. Sie liebt es, sich für andere Menschen einzusetzen. Helfen ist ihr eine Herzenssache. Das Ausruhen fällt ihr hingegen schwer. „Dafür ist das Leben doch viel zu schade. Es ist inte-ressanter, wenn man etwas macht.” So dachte sie wohl auch, als ihr politisches Interesse vor einigen Jahren immer stär-ker wurde. Daraufhin entschied sie sich bei der letzten Kommunalwahl für die SPD in den wahlkampf zu ziehen. Nur knapp verpasste die 49-Jährige ein Rats-mandat. Nun ist sie Bürgervertreterin im Sozialausschuss. Hier will sie sich für die Interessen von Familien, Kindern und Jugendlichen einsetzen. Bis zur nächsten wahl möchte sie Erfahrungen sammeln und dann vielleicht erneut kandidieren.

sie hAtte ein glückliches le-Ben in Kasachstan hinter sich gelassen, als sie 1995 mit ihrem Ehemann und zwei Töchtern nach Deutschland kam. Viele Freunde blieben zurück und die Tätigkeit als Lehrerin in einem Berufs-bildungszentrum, wo sie Jugendliche im Schneiderhandwerk unterrichtet hatte, musste sie aufgeben. „Eigentlich wollte ich nicht nach Deutschland. Ich konnte es mir nicht so rosig vorstellen, wie an-dere es taten.” Aber ihr Ehemann, des-sen Familie bereits in Deutschland lebte, konnte seine Frau schließlich überreden. Und sie sagte sich: „Okay, die Kinder werden es dort vielleicht einmal ein-facher haben. Ich mache es.”

„In Iserlohn engagiere ich mich und möchte Teil der Gesellschaft sein.”

lidia remisch

Alter

49 Jahre

Beruf schneidermeisterin

Herkunftsland

kasachstan (russland)

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1995

Lebt in Iserlohn seit 1997

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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Der Beginn im neUen lAnD war schmerzlich. Lidia Remisch fühlte sich fremd und hatte Heimweh. Es fiel ihr schwer, die deutsche Sprache zu spre-chen, die sie heute übrigens perfekt be-herrscht. In Kasachstan hatte sie nur Rus-sisch gesprochen. „Die deutsche Sprache war offiziell verboten. Die Eltern haben Deutsch gesprochen. wir haben auf Russisch geantwortet.” Schmerzlich ver-misste sie auch die alte Nachbarschaft. „In Kasachstan waren die Nachbarn immer füreinander da. Hier lebt jeder sehr individuell. Ich finde das nicht gut.” Besonders schlimm war, als der Tochter der Besuch des hiesigen Gymnasiums verwehrt wurde, weil sie als Schülerin aus Kasachstan unerwünscht war. „Das hat sehr weh getan”, sagt sie. Aber die Schneidermeisterin wuchs an den neu-en Erfahrungen und stellte sich den Her-ausforderungen: „Wir sind jetzt hier, wir müssen jetzt weiter leben”, dachte sie sich entschlossen und versuchte, positiv in die Zukunft zu blicken. Langsam ging’s bergauf. Die Familie zog von Nachrodt nach Iserlohn. Der Ehemann fand eine Arbeit und Lidia Remisch machte sich mit einer Schneiderei selbständig, in der sie heute auch Nähkurse für Kinder und Jugendliche anbietet. Auch die Töchter waren fleißig und schlossen später die Schule erfolgreich ab, eine von ihnen so-gar mit Abitur. Inzwischen hat sich die Familie bestens eingelebt und wohnt im eigenen Haus im Iserlohner Norden.

Lidia Remisch in ihrem neu eröffneten

„Nahstübchen“ in Iserlohn-Griesen-

brauck.

integrAtion hält Die coUrA-gierte frAU für Wichtig. „Ich fin-de, man muss sich integrieren, man muss das Neue annehmen, aber die Herkunft darf man nicht vergessen. Auch wenn Kasachstan immer ihre Heimat bleiben wird, „so bin ich doch jetzt in Deutsch-land auch zu Hause. Hier engagiere ich mich und möchte Teil der Gesellschaft sein.” Deshalb ist sie heute auch Vorsitz-ende der Gemeinschaft der Deutschen aus Russland in Iserlohn. Dort trifft sie sich mit Menschen aus Kasachstan, die sie bei der Integration unterstützen will. Sie ist der Ansicht, dass beide Seiten - Migrantinnen und Migranten sowie der Staat und die Gesellschaft - mehr als bisher für die Integration tun müssen. Bildung ist dabei ein großes Anliegen. „Weil ich finde, Bildung ist für jeden Menschen das wichtigste.”

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Als sie eines Tages vom College nach Hau-se kam, saß da ein ausländischer Mann, den der Vater eingeladen hatte. Sie fragte den Lehrer aus Deutschland, was er im Dorf wolle. Daraufhin erzählte er, dass er Urlaub mache in Bangladesch und im Dorf einen bengalischen Freund besuche. So lernten sie sich kennen und bei seiner Abreise vereinbarte sie mit ihm: „Okay, wenn Sie zurück sind in Ih-rem Land, dann schreiben Sie mir von Ihrem Land, und ich schreibe Ihnen von meinem Land.” Nach monatelangem Briefkontakt erhielt sie von ihm eine Einladung nach Deutschland. wochen-lang kämpfte sie für das Visum, weil es muslimischen Frauen nicht erlaubt war, alleine ins Ausland zu reisen. Als sie das Visum schließlich hatte, verließ die junge Frau im Frühjahr 1990 ihr Land. Ihr war klar, dass sie nicht mehr zurückgehen konnte. Die bengalische Gesellschaft würde sie nicht mehr akzeptieren.

in DeUtschlAnD zU leBen, be-deutete für die damals 22-Jährige, in Freiheit zu leben. Das war es, was sie immer angestrebt hatte. „Schon als Kind wollte ich unabhängig sein und hier hat-

te ich die Möglichkeit. Ich wollte eine freie Meinung haben und tun, was ich wollte.“ Mit dem Collegeabschluss in der Tasche, beabsichtigte sie in Deutschland zu studieren, falls es „mit meinem Mann nicht geklappt hätte”, sagt sie. Aber der hatte sich bereits in die attraktive Frau aus Bangladesch verliebt. Der Heirats-antrag ließ nicht lange auf sich warten und nach einem Jahr waren die beiden ein Ehepaar. Die ersten zehn Jahre in Deutschland waren schwer. Sie konnte ihre Heimat nicht vergessen und hatte Schwierigkeiten, sich anzupassen. Die Unterschiede zwischen der westlichen Kultur und dem muslimisch geprägten Bangladesch waren groß. „Dass Männer und Frauen ausgehen, Schweinefleisch essen, Nichtverheiratete zusammen-leben und Kinder bekommen, das gibt es bei uns nicht.” Von ihrem Mann und seinem großen Freundeskreis erhielt sie viel Unterstützung in dieser Zeit. Sie fühlte sich von ihnen angenommen. Auch Ausländerfeindlichkeit spürte sie nicht. Aus dieser Atmosphäre schöpfte sie Kraft. „Das hat mir viel Mut gegeben, weiter zu machen.”

„Schon als Kind wollte ich unabhängig sein und eine eigene Meinung haben.”

rokeya schmidt

Alter

42 Jahre

Beruf kommissionärin

Herkunftsland

Bangladesch

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1990

Lebt in Iserlohn seit 1990

Familienstand

verheiratet, 1 kind

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rokeyA schmiDt stellte sich Der neUen leBenssitUAtion. Als erstes nahm sie Sprachunterricht beim Goethe-Institut und Auslandsinstitut. Nebenbei jobbte sie in der Gastrono-mie. Sie musste feststellen, dass der Ba-chelor-Abschluss in wirtschaft, den sie in Bangladesch gemacht hatte, hier nicht anerkannt wurde. Auch die Aufnahme eines Studiums gestaltete sich schwierig, denn dafür hätte sie Iserlohn verlassen und das Studienkolleg in Bonn besuchen müssen. So entschied sie sich für die Tä-tigkeit als Kommissionärin. Fast 19 Jahre arbeitete sie als solche in renommierten Iserlohner Unternehmen. Vor wenigen Monaten hat sie ihren Arbeitsplatz ver-loren, weil sich der Betrieb aus betriebs-bedingten Gründen von einigen seiner Beschäftigten getrennt hat. Für Rokeya Schmidt ein Desaster. „Es war für mich immer sehr wichtig, selbständig zu sein, eigenes Geld zu verdienen und von nie-mandem abhängig zu sein.” Nun hat die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle begonnen, denn ein Leben ohne Berufs-tätigkeit ist für sie nicht vorstellbar.

insgesAmt ist Die 42-Jährige zUfrieDen mit ihrem leBen. „Ich habe viel Glück gehabt. Es hat sich alles positiv entwickelt und auch ich hatte die Möglichkeit, mich zu entwickeln”, sagt sie rückblickend. Ein wichtiger wendepunkt in ihrem Leben war die Geburt ihrer Tochter vor zehn Jahren. Außerdem zog die Schwiegermutter ins Haus, die sie bis zu ihrem Tod pflegte. Heute ist die alte Heimat Bangladesch fremd gewor-den. „Die Leute dort denken und leben anders. Viele Frauen kümmern sich nur um den Haushalt und die Kinder. Alleine am Abend ausgehen - das wäre undenk-bar. Das ist eine ganz kleine welt, in der sie leben. wenn ich dort zu Besuch bin, dann vermisse ich mein Leben hier, z.B. auch die geistige Herausforderung, mich über politische Dinge auszutauschen.” Dennoch fühlt sie sich noch immer mit der bengalischen Kultur verbunden und beteiligt sich einmal im Jahr mit anderen Landsleuten beim Karneval der Kulturen in Berlin. „Ich fühle mich halb bengalisch und halb deutsch. Leben würde ich aber gerne weiterhin in Deutschland.”

Rokeya Schmidt in traditioneller

Kleidung aus Bangladesch in ihrem

Iserlohner Haus.

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Als sie in Algerien das Gymnasium be-suchte, wählte sie Deutsch als Fremd-sprache, weil sie dachte: „Ich bin gut in Latein, dann kann Deutsch nicht so schwer sein.” Damals konnte die Schü-lerin nicht ahnen, wie nützlich diese Ent-scheidung noch sein würde. Sie sollte ihr Jahre später eine unabhängige Existenz in Deutschland ermöglichen. Nach der Schulzeit besuchte sie zunächst für zwei Monate das Goethe-Institut in Passau. Der Aufenthalt gefiel ihr gut. Sie hatte nette Menschen kennen gelernt und auch die Stadt und ihre grüne Umge-bung hinterließen bei ihr einen positiven Eindruck. Aber die Studentin fuhr ger-ne zurück nach Algerien. Dort war ihre Lebenssituation komfortabel, denn der Staat förderte die Bildung und das Stu-dium großzügig. Dafür ist sie bis heute dankbar, denn ihre Eltern lebten in ein-fachen Verhältnissen und konnten sie kaum unterstützen.

Die JUnge frAU WAr Bereits lehrerin für ArABisch, frAn-zösisch UnD DeUtsch, als isla-misch geprägte Kräfte zunehmenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Ver-

hältnisse in Algerien ausübten. Die Frauen sollten von nun an den Schleier tragen, Männern wurde nahe gelegt, ei-nen Bart zu tragen. Bei Verstößen gegen die islamischen Verhaltensregeln wurde Strafe angedroht. Für Nadjat Schreiber, die bis dahin ein unabhängiges Leben geführt hatte, eine unakzeptable Situati-on. „Ich wollte frei sein. Ich wollte selbst entscheiden. Ich wollte Bücher lesen, ohne das jemand sagt: Nein, das darfst Du nicht. Ich wollte auch den Mann heiraten, den ich haben möchte.” Erst recht lehnte die junge Frau es ab, einen SchIeier zu tragen. Sie fürchtete sich vor einer Verschärfung dieser Entwicklung und entschied sich rasch für die Ausreise nach Deutschland.

mit 22 JAhren kam sie in Hagen an. Dort lebte ein deutscher Freund, den sie bereits in Passau getroffen hatte. Zwi-schen beiden war ein intensiver Brief-kontakt entstanden, woraus sich eine Liebesbeziehung entwickelt hatte. Nach der Ankunft in Hagen wurde bald gehei-ratet, später kamen zwei Kinder zur welt. Das Paar wohnte bei den Schwiegerel-tern, die sich von Anfang an rührend um

„Meine Arbeit macht mich glücklich. Ich brauche eigentlich einen 36-Stunden-Tag.”

nadjat schreiber

Alter

51 Jahre

Beruf Dolmetscherin

Herkunftsland

Algerien

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1980

Lebt in Iserlohn seit 2000

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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die Schwiegertochter kümmerten. Als diese berufstätig wurde, brachte ihr die Schwiegermutter z.B. täglich das Mittag-essen ins Büro. Nadjat Schreiber hatte sich sofort nach ihrer Einreise um eine Arbeitsstelle bemüht. Ihre sprachliche Qualifikation war gefragt und so erhielt sie eine Stelle in einer Internationalen Sprachenschule. Rund zehn Jahre ging sie dieser Tätigkeit nach, dann machte sie sich als Dolmetscherin selbständig.

BerUflich ist nADJAt schreiBer eine viel gefrAgte person. Ihre Auftraggeber sind Gerichte, Staatsan-waltschaften, Rechtsanwaltskanzleien und die Polizei. Sie übersetzt in Gerichtsver-handlungen, bei Telefonüberwachungen oder in Gefängnissen. Dabei kommt ihr zugute, dass sie alle Dialekte in der arabischen Sprache beherrscht. Außer-dem ist sie für Schulen, Jugendämter und Krankenhäuser tätig und übersetzt z. B. Geburts- oder Heiratsurkunden. Die Arbeit macht sie glücklich, weil sie spannend ist und weil sie von Gericht und Staatsanwaltschaft geschätzt wird. Ihre Zuverlässigkeit und Qualifikation hat sich längst herum gesprochen und es ist ihr anzumerken, wie stolz sie ist, wenn man bei Gericht die Empfehlung ausspricht: „Nehmen Sie Frau Schrei-ber, das ist unsere Hausdolmetscherin.” Neben der Tätigkeit als Dolmetscherin arbeitet sie auch als Lehrerin. Sie unter-richtet Französisch, Arabisch und Latein an der Volkshochschule und an einer privaten Sprachschule.

Nadjat Schreiber beim Einkauf auf dem

Iserlohner wochenmarkt und

im Unterricht.

Heute ist die engagierte Frau in zweiter Ehe mit einem Polizeibeamten verheira-tet, mit dem sie seit zehn Jahren in Iser-lohn lebt. Die beiden Kinder aus der er-sten Ehe sind erwachsen und befinden sich in der Ausbildung und im Studium. In ihrer freien Zeit geht sie verschiedenen Hobbys nach. Mit Leidenschaft macht sie Fitness-Sport. Außerdem kocht sie gern, bevorzugt Gemüsegerichte nach ori-entalischen Rezepten. Mit ihrem Mann genießt sie das Reisen in fremde Länder, vor allem nach Teneriffa. Die vielseitig in-teressierte Frau kann sich gut vorstellen, später einmal die Hälfte des Jahres auf der Insel zu verbringen. Aber im Som-mer will sie immer in Deutschland sein.

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Wenn man mit Aita Sibul eine weile ge-sprochen hat, stellt man sich vor, dass sie eine wunderbare Musikpädagogin sein muss. wenn sie über Musik redet, leuchten ihre Augen. wenn sie über ihre Schülerinnen und Schüler spricht, die sie im Fach Klavier unterrichtet, spürt man ihre Fürsorge, Freude und Verantwor-tung, ihnen die Musik nahe zu bringen. Außerdem besitzt sie das Fingerspitzen-gefühl, Talente zu erkennen und den Ehr-geiz, sie zu fördern. So hat sie es schon häufig geschafft, dass ihre Schülerinnen und Schüler an Musikwettbewerben teilgenommen haben, im letzten Jahr so-gar am Bundeswettbewerb.

AitA siBUl Unterrichtet seit fAst 15 JAhren das Fach Klavier an der Musikschule Iserlohn und Lüden-scheid. Schon als Kind war ihr die Musik von Bach, Beethoven und Mozart ver-traut. Ihre Mutter war schließlich Mu-siklehrerin, ihr Vater leitete ein Straßen-bauunternehmen und interessierte sich ebenfalls für Musik. So lag es nicht fern, dass die Tochter an der Musikakademie in Tallinn ein Studium begann. während dieser Zeit heiratete sie ihren Mann,

ebenfalls ein Musiker. Gemeinsam be-kam das Paar zwei Kinder. Um die Exis-tenz der Familie zu sichern, wurde hart gearbeitet. Ihr Mann ging vormittags zu den Proben ins Theater, tagsüber unter-richtete er an der Musikschule, abends spielte er in der Staatsoper, nachts arbei-tete er an der Tankstelle, damit er Benzin hatte, um zur Arbeit fahren zu können. Aita Sibul baute gemeinsam mit einem Kollegen eine Musikschule auf. Die Er-werbsarbeit von Frauen in Estland war selbstverständlich, denn die Kinder wur-den in staatlichen Einrichtungen betreut und gefördert. Die Situation veränderte sich radikal, als von den Schwiegereltern, die in Hagen lebten, einer erkrankte. Um die Verantwortung für die Pflege zu übernehmen, trafen sie die Entschei-dung, nach Deutschland auszureisen. Mit zwei kleinen Kindern kam das Paar in Hagen an.

„erst Als ich einWAnDfrei sprechen konnte, stimmte für mich das Leben hier”, sagt sie. Bis dahin musste die Musikpädagogin und Mutter Probleme meistern, die in Estland nicht vorhanden waren. Der Kindergarten für

„Ich mag die Kinder. Ich finde es lustig, auch über Anderes mit ihnen zu reden, als nur über Musik.”

Aita sibul

Alter

47 Jahre

Beruf Dipl. musikerin und Dipl. musikpädagogin (klavier)

Herkunftsland

estland

NationalitätDeutsch

Ankunft in Deutschland1995

Lebt in Iserlohn seit 2003

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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die Tochter ging nur noch bis mittags an-statt bis abends. Auch das Mittagessen, die ärztliche Versorgung und die künst-lerische Förderung im Kindergarten war nicht mehr vorhanden. Für den Sohn musste man sich mit dem dreigliedrigen deutschen Schulsystem auseinanderset-zen. In Estland ging er in die Gemein-schaftsschule, die bis zur neunten Klasse geht. Hinzu kam der Sprachunterricht und die Arbeitssuche. Aita Sibul schickte Bewerbungen los und war erstaunt, dass sich der Erfolg rasch einstellte. An der Musikschule Iserlohn begann sie bereits nach einem dreiviertel Jahr Klavier zu unterrichten, erst vertretungsweise, danach wurde sie fest eingestellt. Eine zweite Stelle erhielt sie an der Musik-schule in Lüdenscheid.

Die 47-Jährige fühlt sich in iserlohn Wohl, seitdem sie sich hier mit der Familie im eigenen Häus-chen nieder gelassen hat. Zeit, um die Privatsphäre zu genießen, hat die enga-gierte Musikpädagogin wenig. Auch das Wochenende wird häufig von der Mu-sik bestimmt. So leitet sie die deutsche Abteilung eines estischen Chores auf europäischer Ebene. Außerdem beglei-tet sie ihre Schülerinnen und Schüler zu Auftritten. Ihr wunsch wäre es, mit ein paar Schülern einmal einen Meisterkurs zu machen. Sie ist eben durch und durch Lehrerin. „Ich denke nicht, dass ich eine Karrierefrau bin. Ich genieße meinen Beruf und die Arbeit mit den Kindern. Und wenn da etwas Besonderes heraus wächst, dann bin ich sehr froh. Das ist das Ziel, das ich beruflich habe.”

Aita Sibul mit Klavierschülerinnen in der

Musikschule Iserlohn.

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Dort, wo die Sonne angeblich 360 Tage im Jahr scheint, das Meer in den schönsten Blautönen schimmert und die Strände unendlich scheinen, wuchs Maria Paula Simoes auf. Sie wurde in Lagos an der portugiesischen Atlantikküste gebo-ren und verbrachte hier ihre Kindheit. Seitdem sie in Deutschland lebt hat sie unzählige Male ihren Urlaub dort ver-bracht. „Sonne, Sand und Strand - das befreit die Seele”, sagt sie. Ihre Eltern gingen dorthin zurück, nachdem sie 25 Jahre in Iserlohn gelebt und gearbeitet hatten. Für Maria Paula Simoes käme eine Rückkehr hingegen auf keinen Fall in Frage. „Meine Zukunft liegt hier - in Iserlohn.”

Der vAter ArBeitete Ursprüng-lich Bei Der portUgiesischen eisenBAhn. Er wollte ein besseres Leben für sich, seine Ehefrau und das einzige Kind, der kleinen Maria Paula. Als er von dem Arbeitskräftebedarf in Deutschland erfuhr, reiste er zunächst allein in das ihm unbekannte Land und fand eine Arbeitsstelle in Iserlohn. Zwei Monate später kam die restliche Familie nach. Maria Paula Simoes war gerade

mal zehn Jahre alt, sprach kein wort Deutsch und wurde nun in die Volks-schule eingeschult. Sie war die einzige „Ausländerin” in der gesamten Schule. „Ich bin in die Klasse hinein gekommen- praktisch ins kalte wasser geschmissen worden. Täglich hatte ich mein wörter-buch bei mir, das ich schnell aufschlagen musste, wenn ich etwas nicht verstand.” Sie fand es schwer, die deutsche Spra-che zu lernen, und es ärgerte sie, dass sie sich nicht so ausdrücken konnte wie sie wollte. Zusätzlich besuchte sie des-halb noch eine Sprachschule. „Ich hatte recht schnell begriffen, dass ich nur et-was ändern konnte, indem ich lerne und somit voran komme.” Nach der Schul-zeit absolvierte sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Dann lernte sie ihren Mann, ebenfalls ein Portugiese, kennen und heiratete. Die Hochzeit brachte ihr die lang ersehnte Freiheit, die sie bis da-hin entbehrt hatte, denn die Erziehung

„Meine Zukunft liegt hier - in Iserlohn.”

maria paula simoes

Alter

59 Jahre

Beruf industriekauffrau und Auslandskorrespondentin

Herkunftsland

portugal

Nationalitätportugiesisch

Ankunft in Deutschland1963

Lebt in Iserlohn seit 1963

Familienstand

verheiratet, 2 kinder

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der Eltern war streng gewesen. Später, als die eigenen Kinder - ein Sohn und eine Tochter - schon geboren waren, ließ sie sich zusätzlich noch als Auslands-korrespondentin für Portugiesisch und Deutsch ausbilden. Inzwischen arbeitet sie seit 30 Jahren im Kundenbereich der Sparkasse der Stadt Iserlohn.

zU Den hoBBys Der 59-Jährigen gehört das Reisen, Kochen und die Arbeit im eigenen Schrebergarten. Mindestens fünf Mal im Jahr fährt sie gemeinsam mit ihrem Mann nach Berlin, um Tochter und Enkelkind zu besuchen. Und wenn sie zu Hause ist, kocht sie mit Vergnügen portugiesisches Essen für Freunde und Kollegen. Der Freundeskreis ist überwie-gend Deutsch. Man trifft sich auch im Turnverein und im Kegelclub. Maria Pau-la Simoes ist rundum zufrieden mit ihrer beruflichen und privaten Situation. Im Gegensatz zu Portugal, schätzt sie hier die offene gesellschaftliche Atmosphäre. „Hier ist das Leben einfacher, weil man mehr miteinander lebt. In Portugal gibt es Klassenunterschiede. Ein Akademiker oder Verwaltungsangestellter gilt als et-was Besonderes. Das gefällt mir nicht.” Trotzdem bleiben die portugiesischen wurzeln wichtig und deshalb hat sie weiterhin einen portugiesischen Pass. „Ich bin als Portugiesin geboren und so soll es auch bleiben. Ich finde, wir sind doch alle Europäer.”

Maria Paula Simoes an ihrem Arbeitsplatz in der Sparkasse der Stadt Iserlohn und

in ihrem Garten.

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sAzar soltaniie wuchs in einem liberalen gutbürger-lichen Elternhaus in Teheran auf. Als Teenagerin trug sie Minirock, hatte ihre Clique, ging in die Disco und interes-sierte sich für Politik. Mit Neugier las sie die politische Literatur in der elterlichen Bibliothek, darunter auch Bücher über willy Brandt. Die Eltern, für die Freiheit und Demokratie schon immer wichtige werte waren, hatten das politische Inte-resse in ihr geweckt. „Mit Religon haben wir überhaupt nichts am Hut gehabt”, erzählt sie. Mit 17 Jahren machte sie das Abitur und ging anschließend zur Uni, um Betriebswirtschaft zu studieren. Es war der Wunsch des Vaters, „dass seine Kinder studieren und einen Beruf aus-üben.”

nAch Dem stUDiUm arbeitete Azar Soltani als Beamtin im Gesundheits-ministerium. Sie hatte inzwischen ihre große Liebe geheiratet und eine Familie gegründet. wirtschaftlich ging es ihnen gut. Aber die gesellschaftlichen Verände-rungen im Iran ließen sie nicht los. Re-volutionäre Umwälzungen bestimmten den Alltag. Der Schah war bereits au-ßer Landes und die Mullahs hatten die

Macht übernommen. Die islamische Republik begann sich zu formen. Poli-tische Reformen hatten kaum noch eine Chance. Azar Soltani und ihr Mann wa-ren zutiefst enttäuscht. „Das war nicht das, was wir uns vorgestellt haben. wir wollten Demokratie, aber nicht eine islamische Regierung.” Die neuen Ver-hältnisse wurden für die oppositionellen Kräfte immer gefährlicher. Für die Sol-tanis, die sich gemeinsam in einer or-ganisation für die Einhaltung von Men-schenrechte eingesetzt hatten, wurde die Lage immer prekärer. Bald gab es nur noch einen Ausweg, die Flucht aus dem Iran. Mit zwei kleinen Kindern ver-ließen sie die Heimat und trafen bald in Deutschland ein.

„Die ersten JAhre WAren schrecklich, weil man die Sprache nicht konnte und dann dieses Heim-weh”, erinnert sich Azar Soltani. Der erste wohnort war Bad Sassendorf. Erst nachdem sie als politische Flücht-linge anerkannt worden waren, zog die Familie nach Iserlohn. Man hatte ihnen das Goethe-Institut zum Spracherwerb empfohlen. Azar Soltani ging regelmä-

„Die deutsche Literatur hat mir geholfen, die Sprache zu verinnerlichen.”

Alter

57 Jahre

Beruf Betriebswirtin

Herkunftsland

iran

NationalitätDeutsch und iranisch

Ankunft in Deutschland1985

Lebt in Iserlohn seit 1987

Familienstandverheiratet, 2 kinder

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ßig hin. Gleichzeitig nahmen sie und ihr Mann jeden Job an, um die Familie zu versorgen. Als sie irgendwann gefragt wurde, ob sie als Betreuerin für Asylbe-werber bei den Maltesern in Hemer ar-beiten möchte, sagte sie sofort zu. Mitt-lerweile ist sie seit 15 Jahren dort tätig. Die Arbeit macht sie gerne. „Ich weiß, was sie fühlen. Es ist keine einfache Situ-ation, weil sie fern von der Heimat sind, Heimweh haben und die Sprache nicht kennen.” Azar Soltani versucht zu helfen, und versorgt sie mit Informationen und notwendigen Alltagsdingen.

literAtUr hAt für sie immer eine große Bedeutung gehabt. „Das ist mein Leben”, sagt die 57-Jährige, wenn sie über die literarischen Treffen redet,

zu denen sie sich einmal im Monat mit gleichgesinnten Frauen trifft. Gemein-sam lesen und diskutieren sie z. B. Texte von Nietsche und Grass. Eine starke Verbindung hat sie zu Goethe. „Ich lie-be es, den Erlkönig zu lesen. Es geht mir bis ins Herz.” Daneben gilt ihr Interesse guten Filmen, besonders den Fantasy-filmen, wie z. B. „Herr der Ringe” oder „Harry Potter“. „Die faszinieren mich wie ein kleines Kind. Das sind Märchen für Erwachsene. Ich liebe es, wenn am Ende das Gute gewinnt und über das Böse siegt.”

in ihrem leBen ist Alles gUt geWorDen. „Ja“, sagt sie, „ich bin angekommen. Ich fühle und denke in-zwischen in Deutsch. Die Literatur hat mir geholfen, die Sprache zu verinner-lichen.“ Geholfen haben aber auch zahlreiche Menschen, die sie im Laufe der Zeit kennen gelernt hat. Es gibt z. B. deutsche Freundinnen, die für sie da sind. „Die größte Unterstützung habe ich von meinem Mann erhalten, der noch immer die große Liebe meines Le-bens ist.” Es macht sie auch zufrieden, dass Eltern und Geschwister nun eben-falls in Europa sind. Besonders stolz ist sie auf ihre beiden Söhne. Der eine hat sich in Köln selbständig gemacht, der an-dere befindet sich im Lehramtsstudium. Mit ihnen und der portugiesischen und deutschen Schwiegertochter möchte sie die Zukunft genießen. Inzwischen ist das erste Enkelkind da. „Ich hoffe, dass wei-tere kommen. Sie werden hier geboren. Und wo sie sind, da ist unsere Heimat.”

Azar Soltani als junge Frau mit ihrem

Ehemann im Iran. Heute arbeitet sie seit

15 Jahren als Betreuerin für Asylbewerbe-

rinnen und -bewerber.

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ehanim tanigentlich wollte ich Krankenschwester werden”, sagt Hanim Tan etwas wehmü-tig, „aber dann habe ich meinen Mann kennen gelernt und geheiratet. Bei der Hochzeit war sie 18 Jahre alt und lebte noch bei ihren Eltern in Recklinghau-sen. Mit neun war sie nach Deutschland gekommen. Zuvor hatte sie in Sinop, einem kleinem Dorf am Schwarzen Meer, gelebt. Die meisten Menschen dort waren Bauern. „Wir hatten viele Ziegen und Schafe. Aus der Milch haben wir z. B. Käse gemacht. wir haben alles selber gemacht.” Nach Sinop fährt sie noch heute, wenn sie Urlaub hat. Gern würde sie den Deutschen ihre Heimat einmal zeigen, auch weil ein großer Teil der in Iserlohn lebenden türkischen Be-völkerung von dort kommt.

Als kinD hAtte sie in reckling-hAUsen eine DeUtsche „omA”. Diese lebte in der Nachbarschaft, wo die Eltern mit den fünf Kindern ein kleines Häuschen bewohnten. Der Vater arbei-tete im Bergbau, die Mutter war Haus-frau. Die Kinder gingen zur Schule. „Es war eine glückliche Zeit”, erinnert sich Hanim Tan. Aber es gab auch Probleme,

bei denen die Mutter häufig nicht hel-fen konnte. Dann ging die kleine Hanim zu ihrer „Oma”, die ihr Trost spendete mit den Worten: „Jeder Tag bringt eine neue Sonne.” Bis heute geben ihr diese worte Kraft und Hoffnung und Hanim Tan fügt hinzu: „Wenn man positiv sieht, kommt es auch positiv zurück.” Beson-ders stolz ist sie darauf, dass sie von der „Oma” lernte, wie man einen Marmor-kuchen backt. frisch verheirAtet kam sie nach Iserlohn, wo ihr Mann bereits lebte. Bald kamen vier Kinder zur welt. Heute be-finden sich die beiden Söhne schon in der Ausbildung, wobei der ältere wirt-schaftswissenschaften studiert. „Noch wichtiger“, sagt die vierfache Mutter, „ist es, dass die beiden Töchter eine gute Ausbildung haben. Sie sollen sel-ber Geld verdienen, im Beruf bleiben und nicht von einem Mann abhängig sein. ob sie später einmal heiraten oder Kinder haben werden, müssen sie selber entscheiden.” Die ersten Jahre in Iserlohn waren nicht einfach für Hanim Tan. Sie litt unter dem mangelnden Kontakt zwischen Deut-

„Ich will, dass die Deutschen auch die guten Seiten von uns sehen.”

Alter

44 Jahre

Beruf Arbeiterin in der metallbranche

Herkunftsland

türkei

Nationalitättürkisch

Ankunft in Deutschland1975

Lebt in Iserlohn seit 1984

Familienstand

verheiratet, 4 kinder

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schen und Türken. „Deswegen habe ich angefangen zu arbeiten, weil ich andere Menschen kennen lernen wollte.” Seit-dem arbeitet sie in einer Werkzeugfir-ma, wo sie bohren, fräsen und drehen gelernt hat. Mit der Kollegenschaft ver-steht sie sich gut und auch sonst hat sie heute viele Kontakte, auch zu Deut-schen. Fast jede woche ist sie auf dem Fußballplatz. Die Atmosphäre gefällt ihr, wenn z. B. deutsche, türkische und itali-enische Jugendliche gemeinsam Fußball spielen. Sie schaut gern beim Training zu und versorgt die Jugendlichen mit Selbstgebackenem.

sie Wünscht sich mehr ge-spräche zwischen Deutschen und Türken. „Wir sollten uns häufiger ge-genseitig einladen”, meint sie. „Die Deutschen kennen nicht viele Türken. Aus den Medien erfahren sie von den schlechten Seiten der Türken. Ich will, dass sie auch die guten Seiten von uns sehen.” Es ist ihr wichtig, über Vorurteile zu sprechen, die sie noch immer von

Für Hanim Tan ist die Moschee nicht nur ein ort zum Beten, sondern ein Treffpunkt für

alle. Auch beteiligt sie sich gern mit ihrer Freundin beim Internationalen Frauenfest.

Deutschen spürt. Sorgen bereitet ihr außerdem, dass viele deutsche Eltern ihre Kinder nicht zu Schulen schicken wollen, in denen ein hoher Anteil Mi-grantenkinder vorhanden ist. „Viele mei-nen, unsere Kinder lernen nicht gut. Aber das ist falsch. Deshalb müssen die Eltern miteinander ins Gespräch kommen. wir wissen so wenig voneinander.” Hierfür hat die kommunikative Frau einen prak-tischen Vorschlag parat: „Mal sollte eine türkische Familie eine deutsche zum Tee einladen, danach eine deutsche Familie eine türkische zum Kaffee.”

hAnim tAn empfinDet sich Als DeUtsch-türkin, weil sie sich in beiden Ländern zu Hause fühlt. Sie ist auch gläubige Muslimin. Die Moschee ist ein wichtiger ort für sie. Aber es ist nicht nur ein ort zum Beten, sondern auch ein Treffpunkt für alle. Sie würde sich freuen, wenn mehr Deutsche kom-men würden. „Die Moschee ist für alle offen - für Männer, Frauen und Kinder.” Sie persönlich genießt es, dort Frauen zu treffen und mit ihnen einen Restaurant-besuch in Dortmund oder eine Fahrt nach Paris zu planen. Erst vor wenigen Monaten ist die unternehmungsfreudige 44-Jährige mit einer Gruppe deutscher und türkischer Frauen in Berlin gewesen. Dabei lacht sie und fügt hinzu: „Ich ge-nieße das Leben”, was man ihr sofort abnimmt.

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sie hatte in Ruanda ein eigenes Reisebüro und wurde von den Geschwistern und Eltern bei der Arbeit unterstützt. Vieles war in ordnung, bis auf die schwierige politische Lage im Land, die sie zur Flucht veranlasste. 2003 kam sie mit zwei klei-nen Töchtern nach Europa. Der erste Aufenthalt war in England, von dort aus verwies man sie nach Deutschland. Von Hamburg ging es nach Dortmund und dann nach Iserlohn. Zuerst wohnte die Familie im Asylbewerberheim, bis eine kleine wohnung gefunden wurde. Schon nach wenigen Monaten wurde der Asylantrag genehmigt.

BeAtrice UWAmAhoro setzte sich seit ihrer AnkUnft in iser-lohn Aktiv DAfür ein, das Leben für sich und ihre Kinder gut zu orga-nisieren. Zuerst sorgte sie dafür, dass die Kinder tagsüber im Kindergarten betreut wurden. Dann machte sie sich auf den weg zur Arbeitsagentur und in den Sprachkurs. Sie qualifizerte sich zur Altenpflegehelferin und begann in Pflegeeinrichtungen und im Einzelhan-del zu jobben, weil sie nicht untätig zu Hause bleiben wollte. Irgendwann hat-

te sie Glück und wurde im städtischen Seniorenzentrum als Pflegehelferin ein-gestellt. Die Arbeit gefällt ihr, sie kommt gut mit alten Menschen klar. „Jetzt geht es mir viel besser als früher.” Auch die Arbeitsatmosphäre gefällt ihr. Mit eini-gen Kolleginnen trifft sie sich einmal im Monat zum gemeinsamen Essen.

hier zU leBen BeDeUtet, ohne Angst zu leben. Im politisch unruhigen Ruanda musste sie von ort zu ort fliehen, weil Völkermord an der Tages-ordnung war und ständige Unsicherheit herrschte. Dort wurden in 100 Tagen 1 Million Menschen umgebracht. „Hier ist es für mich und meine Kinder gut so.” Die Kinder fühlen sich wohl, ha-ben Freundinnen und die Älteste geht bald zum Gymnasium. Zu Hause wird Deutsch gesprochen, weil die Kinder nur Deutsch sprechen. Beide Kinder haben keine Erinnerungen mehr an Ruanda. Nur die dunkle Hautfarbe erinnert sie an Afrika. Eines Tages sagten sie: „Mama, wir sind doch Deutsche, außer unserer Haut.” Im Gegensatz zu den Töchtern überfällt die alleinerziehende Mutter gelegentlich die Wehmut. „Für mich ist

„Mama, wir sind doch Deutsche, außer unserer Haut.”

Beatrice Uwamahoro

Alter

37 Jahre

Beruf reisebürokauffrau und Altenpflegehelferin

Herkunftsland

ruanda

Nationalitätruandisch

Ankunft in Deutschland2003

Lebt in Iserlohn seit 2003

Familienstand

ledig, zwei kinder

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Deutschland die zweite Heimat. Ich bin zufrieden, aber ich denke viel an Ruan-da. Ich höre immer die Nachrichten und versuche mich über die Situation zu in-formieren.” wenn sie traurig ist, hilft die Musik. „Für uns ist es so, dass Musik und Tanz zum Leben gehört. Es kann wie eine Therapie wirken. Hinterher finde ich wieder meine Ruhe.” Halt findet sie auch im christlichen Glauben. Ihre Kin-der sollen später selbst über ihre Reli-gionszugehörigkeit entscheiden. Solange will sie mit der Taufe warten.

BerUflich WürDe sie gerne Weiter kommen. „Eine Ausbildung zur Altenpflegerin wäre schön”, sagt sie. Vorstellbar wäre aber auch eine Tätig-

Beatrice Uwamahoro bei ihrer Arbeit als

Altenpflegehelferin und mit ihren beiden

Töchtern.

keit, in der sie international arbeiten und mehrere Sprachen sprechen kann, denn Englisch und Französisch beherrscht sie fließend. Außerdem möchte sie bald die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Nach acht Jahren ist dies möglich, sofern man in der Lage ist, die persönliche Existenz und die der Kinder aus eigenen Einkünften zu bestreiten. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit ist ihr Ziel und dafür will sie kämpfen. „Es ist schwer, aber das mache ich wegen meiner Kinder. Die Mutter sollte Vorbild sein, und sich das Leben nicht zu ein-fach machen.” Und weil sie eine starke, selbstbewusste Frau ist, wird es ihr si-cherlich gelingen.

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