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17 MMW-Fortschr. Med. Nr. 13 / 2012 (154. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN REPORT Hautkrebsscreening für das gesamte Bundesgebiet. An dem zunächst auf fünf Jahre be- fristeten Programm wird rege teilge- nommen, freut sich Augustin. Inzwi- schen würden etwa 340 Screenings pro Quartal und Dermatologenpraxis durchgeführt, über 30% der Berech- tigten haben das Angebot bisher wahr- genommen (s. Interview S. 20). Essenziell für die Prognose: Tumordicke bei Erstdiagnose Wie essenziell die Früherkennung ist, zeigen die Überlebensraten in Abhän- gigkeit von der Tumordicke bei Erstdia- gnose. Nach Prof. Dirk Schadendorf, Uniklinikum Essen, haben Patienten mit einer Tumordicke unter 1 mm ohne Me- tastasen eine Zehnjahresüberlebensrate von 88–95%. Diese sinkt auf 52–54% bei Tumordicken von über 4 mm. Liegen Fernmetastasen vor, überleben die Pati- enten im Mittel nur noch sechs bis neun Monate. Ab einer Tumordicke von 1 mm sollten daher die regionären Lymphknoten sonografisch auf Makro- metastasen untersucht und der Senti- nellymphknoten biopsiert werden. Wei- tere bildgebende Verfahren wie CT oder PET sind nur bei Hinweis auf Metasta- sierung indiziert. Die vier Melanomtypen: Wo und wie wächst was? In Bezug auf das Wachstum unterschei- den Dermatologen vier Melanomtypen: Das superfiziell spreitende Melanom (SSM) (ca. 60% aller Melanome). Dieser meist mehrfarbige, scharf begrenzte Tu- mor tritt vorwiegend an Brust, Rücken und Extremitäten auf. Er wächst über Monate und Jahre horizontal entlang der Basalmembran, kann aber u. U. in ein rasches vertikales Wachstum über- gehen. Das noduläre Melanom (NM) (ca. 20%). Es wächst deutlich schneller, meist innerhalb von Wochen, und nahe- zu vertikal. Auffällig sind braune bis blauschwarze oder auch rötliche Knoten – ebenfalls an Rücken, Brust und Extre- mitäten –, die leicht bluten, glatt, verru- kös oder ulzeriert sein können. Das Lentigo-maligna-Melanom (LMM) (ca. 9%). Dieses entwickelt sich meist in UV-exponierten Arealen über Jahre und Jahrzehnte. Die Farbe ist hell- bis dunkelbraun oder weiß- bis blaugrau. Das akrolentiginöse oder subunguale Melanom (ALM). Auch hier ist das Wachstum langsam, das ALM tritt an Fingern, Handflächen, Fußsohlen, Schleimhäuten und im Nagelbett auf. Achten Sie auf das „hässliche Entlein“! Eine erste Einschätzung kann schon in der Hausarztpraxis erfolgen. Hier wird nach der „ABCDE-Regel“ vorgegangen. Eine Hautveränderung ist auffällig, wenn folgende Kriterien zutreffen: A wie Asymmetrie B wie Begrenzung: Die Läsion ist un- scharf begrenzt. C wie Colorit: Mehrere Farbtöne impo- nieren, oder die Läsion ist im Vergleich zu anderen Nävi auffallend dunkel. D wie Durchmesser: Der größte Durchmesser beträgt > 5 mm. E wie Erhabenheit und Entwicklung: Die Veränderung ist über das umge- bende Hautniveau erhaben oder eine bestehende Läsion hat sich verändert. Schadendorf nennt außerdem das „ugly duckling sign“ als Hinweis auf Ma- lignität: Ein Nävus ist auffällig, wenn er Erfolgsmodell für die bundesweite Hautkrebsvorsorge Ziel des schleswig-holsteinischen SCREEN-Projekts war es, die Machbarkeit eines po- pulationsbasierten Hautkrebsvorsorgeprogramms zu testen (das Akronym steht für Skin Cancer Research to Provide Evidence for Effectiveness of Screening in Northern Germany). Im zwölfmonatigen Studienzeitraum zwischen Juli 2003 und Juni 2004 lie- ßen sich von insgesamt 1,88 Mio. berechtigten Personen (gesetzlich Versicherte ab 20 Jahren) 360 288 untersuchen. Nach Auswertung von knapp 16 000 Biopsien wurden über 3000 maligne Hauttumoren diagnostiziert, von denen sich 585 als maligne Me- lanome entpuppten. Letztere waren bei den Frauen deutlich häufiger vertreten. Die Inzidenz des malignen Melanoms hatte vor Projektbeginn bei 620/Jahr gelegen. Inner- halb des fünfjährigen Beobachtungszeitraums stieg diese zwar auf 816 an; dafür fiel die Mortalitätsrate weit über das erwartete Maß hinaus um etwa 50% ab. In den Jahren zuvor hatte die Sterberate in Schleswig-Holstein noch die der anderen Bundesländer übertroffen (17 gegenüber 13,7/100 000 Personen/Jahr). Nach Screeningbeginn sank sie sowohl bei Männern als auch bei Frauen unter die Werte der anderen Bundesländer. In den Jahren 2006 bis 2008 lag die jährliche melanombedingte Mortalitätsrate z. B. für Männer ab 70 bei 10,9, für gleichaltrige Frauen bei 7,1. Das SCREEN-Projekt Noduläres Melanom. Superfiziell spreitendes Melanom. Subungales Melanom. © Klaus Rose © H. Schulz © H. Schulz

Erfolgsmodell für die bundesweite Hautkrebsvorsorge

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Page 1: Erfolgsmodell für die bundesweite Hautkrebsvorsorge

17MMW-Fortschr. Med. Nr. 13 / 2012 (154. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–REPORT

Hautkrebsscreening für das gesamte Bundesgebiet.

An dem zunächst auf fünf Jahre be-fristeten Programm wird rege teilge-nommen, freut sich Augustin. Inzwi-schen würden etwa 340 Screenings pro Quartal und Dermatologenpraxis durchgeführt, über 30% der Berech-tigten haben das Angebot bisher wahr-genommen (s. Interview S. 20).

Essenziell für die Prognose: Tumordicke bei ErstdiagnoseWie essenziell die Früherkennung ist, zeigen die Überlebensraten in Abhän-gigkeit von der Tumordicke bei Erstdia-gnose. Nach Prof. Dirk Schadendorf, Uniklinikum Essen, haben Patienten mit einer Tumordicke unter 1 mm ohne Me-tastasen eine Zehnjahresüberlebensrate von 88–95%. Diese sinkt auf 52–54% bei Tumordicken von über 4 mm. Liegen

Fernmetastasen vor, überleben die Pati-enten im Mittel nur noch sechs bis neun Monate. Ab einer Tumordicke von 1 mm sollten daher die regionären Lymphknoten sonografisch auf Makro-metastasen untersucht und der Senti-nellymphknoten biopsiert werden. Wei-tere bildgebende Verfahren wie CT oder PET sind nur bei Hinweis auf Metasta-sierung indiziert.

Die vier Melanomtypen: Wo und wie wächst was?In Bezug auf das Wachstum unterschei-den Dermatologen vier Melanomtypen: ■ Das superfiziell spreitende Melanom (SSM) (ca. 60% aller Melanome). Dieser meist mehrfarbige, scharf begrenzte Tu-mor tritt vorwiegend an Brust, Rücken und Extremitäten auf. Er wächst über Monate und Jahre horizontal entlang der Basalmembran, kann aber u. U. in

ein rasches vertikales Wachstum über-gehen.■ Das noduläre Melanom (NM) (ca. 20%). Es wächst deutlich schneller, meist innerhalb von Wochen, und nahe-zu vertikal. Auffällig sind braune bis blauschwarze oder auch rötliche Knoten – ebenfalls an Rücken, Brust und Extre-mitäten –, die leicht bluten, glatt, verru-kös oder ulzeriert sein können.■ Das Lentigo-maligna-Melanom (LMM) (ca. 9%). Dieses entwickelt sich meist in UV-exponierten Arealen über Jahre und Jahrzehnte. Die Farbe ist hell- bis dunkelbraun oder weiß- bis blaugrau.■ Das akrolentiginöse oder subunguale Melanom (ALM). Auch hier ist das Wachstum langsam, das ALM tritt an Fingern, Handflächen, Fußsohlen, Schleimhäuten und im Nagelbett auf.

Achten Sie auf das „hässliche Entlein“!Eine erste Einschätzung kann schon in der Hausarztpraxis erfolgen. Hier wird nach der „ABCDE-Regel“ vorgegangen. Eine Hautveränderung ist auffällig, wenn folgende Kriterien zutreffen:■ A wie Asymmetrie■ B wie Begrenzung: Die Läsion ist un-

scharf begrenzt.■ C wie Colorit: Mehrere Farbtöne impo-

nieren, oder die Läsion ist im Vergleich zu anderen Nävi auffallend dunkel.

■ D wie Durchmesser: Der größte Durch messer beträgt > 5 mm.

■ E wie Erhabenheit und Entwicklung: Die Veränderung ist über das umge-bende Hautniveau erhaben oder eine bestehende Läsion hat sich verändert.

Schadendorf nennt außerdem das „ugly duckling sign“ als Hinweis auf Ma-lignität: Ein Nävus ist auffällig, wenn er

Erfolgsmodell für die bundesweite HautkrebsvorsorgeZiel des schleswig-holsteinischen SCREEN-Projekts war es, die Machbarkeit eines po-pulationsbasierten Hautkrebsvorsorgeprogramms zu testen (das Akronym steht für Skin Cancer Research to Provide Evidence for Effectiveness of Screening in Northern Germany). Im zwölfmonatigen Studienzeitraum zwischen Juli 2003 und Juni 2004 lie-ßen sich von insgesamt 1,88 Mio. berechtigten Personen (gesetzlich Versicherte ab 20 Jahren) 360 288 untersuchen. Nach Auswertung von knapp 16 000 Biopsien wurden über 3000 maligne Hauttumoren diagnostiziert, von denen sich 585 als maligne Me-lanome entpuppten. Letztere waren bei den Frauen deutlich häufiger vertreten. Die Inzidenz des malignen Melanoms hatte vor Projektbeginn bei 620/Jahr gelegen. Inner-halb des fünfjährigen Beobachtungszeitraums stieg diese zwar auf 816 an; dafür fiel die Mortalitätsrate weit über das erwartete Maß hinaus um etwa 50% ab. In den Jahren zuvor hatte die Sterberate in Schleswig-Holstein noch die der anderen Bundesländer übertroffen (17 gegenüber 13,7/100 000 Personen/Jahr). Nach Screeningbeginn sank sie sowohl bei Männern als auch bei Frauen unter die Werte der anderen Bundesländer. In den Jahren 2006 bis 2008 lag die jährliche melanombedingte Mortalitätsrate z. B. für Männer ab 70 bei 10,9, für gleichaltrige Frauen bei 7,1.

Das SCREEN-Projekt

Noduläres Melanom. Superfiziell spreitendes Melanom. Subungales Melanom.

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