1
Buchbesprechungen 301 arbeiten. Aufgrund knapper finanzieller Mittel und schwieriger Arbeitsbedingungen kommt es häufig zu personellen Fluktuationen; auch Managementprobleme sind die Folge. Natür- lich kann Supervision, wie Schmidbauer das anhand eines Beispiels darstellt, nicht alles „reparieren“. „Altern ohne Angst“ ist als „psychologi- scher Begleiter“ geschrieben und beansprucht nicht, eine umfassende Darstellung des Al- terns zu sein. Durch die Problemdarstellung und Sprachkraft von Schmidbauer wird die Lektüre hoffentlich vielen, die um das Thema einen „großen Bogen“ gemacht haben, einen Zugang geben. Nando Belardi, Chemnitz Erich Adalbert Wulff : Irrfahrten. Auto- biografie eines Psychiaters. Bonn: Edition das Narrenschiff, 2001, 630 S., 29,90 €. Der Autor, besser bekannt als Erich Wulff, wurde 1926 als Arztsohn und Deutschbalte in Estland geboren. Weitere Stationen: Flakhelfer, Soldat an der Ostfront, Medizinstudium nach Kriegsende in Köln. Er studierte aber auch Literatur und Philosophie. Nach dem Staatsexamen kam es zu einem Studienaufenthalt in Paris. Hier hatte er viele Kontakte mit den damaligen französischen philosophischen und literarischen Kreisen, aber auch mit der Politik, denn es war die Zeit des französischen Indochina-Krieges. Eine philosophische Dissertation über den „Ekel“ wurde nie fertig gestellt, Assistenzjahr und medizinische Promotion folgten. Im Jahre 1961 kam es zu einer Zäsur im Leben von Erich Wulff. Er ging für sechs Jahre als Psychiater nach Hue, im damaligen Südviet- nam. Im Buch wird auch auf Kultur und Ge- schichte von Vietnam eingegangen. Wichtiger sind jedoch die Beschreibungen des zuneh- menden amerikanischen Engagements in die- sem Land sowie die Kontakte mit den Oppo- sitionellen der verschiedenen Lager. Zwi- schenzeitlich nahm Wulff in Deutschland Kontakte mit den APO auf. Der deutschen und europäischen Opposition gegen den amerika- nischen Krieg in Vietnam lieferte er viele Hintergrundinformationen. Veröffentlichun- gen in „Das Argument“, „Der Spiegel“, der deutschen und internationalen Presse, Teil- nahme am Russel-Tribunal gegen die USA und vor allem die Publikation des unter dem Pseudonym Georg W. Alsheimer veröffent- lichten Buches „Vietnamesische Lehrjahre“ bei Suhrkamp machten ihn international be- kannt. Es folgte eine Tätigkeit als Assistent an der Medizinischen Fakultät der Universität Giessen. Wulff war einer der ersten, der eine geschlossene Abteilung öffnete. In dieser Zeit habe ich Erich Wulff kennen gelernt, ihn für Zeitungen interviewt und als Referenten für Vorträge an der Volkshochschule gewinnen können. Danach verloren sich unsere Wege. Er war Gastprofessor in Paris, rezipierte die französische, italienische und englische Anti- Psychiatrie für Deutschland und bereicherte sein Fach um die von ihm geschaffene Eth- nopsychiatrie. 1969 folgte die Habilitation. Sein Buch über „Psychiatrie und Klassenge- sellschaft“ wird einigen Lesen noch bekannt sein. Zusammen mit Klaus Dörner bildete Erich Wulff den linken Flügel in der „Deut- schen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie“. Erst im Jahre 1974 wurde er auf die Professur für Sozialpsychiatrie in Hannover berufen. Zwischenzeitlich war er immer wieder in Vi- etnam., welches sich nach der Niederlage der Amerikaner vereint hatte. Nach seiner Emeri- tierung im Jahre 1994 zog er mit seiner Fami- lie nach Paris. Auch wenn ich Wulffs Nähe zu DKP-Gruppierungen und PDS nie so recht verstehen konnte, halte ich seinen Lebensweg, sein politisches und fachliches Wirken auf die politische Kultur Deutschlands für bedeutsam. Das Buch ist gut lesbar und sehr spannend; es führt uns zurück zu den letzten vier Jahrzehn- ten politischer und fachlicher Entwicklung in unserem Lande. Nando Belardi, Bergisch-Gladbach

Erich Adalbert Wulff: Irrfahrten. Autobiografie eines Psychiaters

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Erich Adalbert Wulff: Irrfahrten. Autobiografie eines Psychiaters

Buchbesprechungen 301arbeiten. Aufgrund knapper finanzieller Mittelund schwieriger Arbeitsbedingungen kommtes häufig zu personellen Fluktuationen; auchManagementprobleme sind die Folge. Natür-lich kann Supervision, wie Schmidbauer dasanhand eines Beispiels darstellt, nicht alles„reparieren“.

„Altern ohne Angst“ ist als „psychologi-scher Begleiter“ geschrieben und beanspruchtnicht, eine umfassende Darstellung des Al-terns zu sein. Durch die Problemdarstellungund Sprachkraft von Schmidbauer wird dieLektüre hoffentlich vielen, die um das Themaeinen „großen Bogen“ gemacht haben, einenZugang geben.

Nando Belardi, Chemnitz

Erich Adalbert Wulff : Irrfahrten. Auto-biografie eines Psychiaters. Bonn: Editiondas Narrenschiff, 2001, 630 S., 29,90 €.

Der Autor, besser bekannt als ErichWulff, wurde 1926 als Arztsohn undDeutschbalte in Estland geboren. WeitereStationen: Flakhelfer, Soldat an der Ostfront,Medizinstudium nach Kriegsende in Köln. Erstudierte aber auch Literatur und Philosophie.Nach dem Staatsexamen kam es zu einemStudienaufenthalt in Paris. Hier hatte er vieleKontakte mit den damaligen französischenphilosophischen und literarischen Kreisen,aber auch mit der Politik, denn es war die Zeitdes französischen Indochina-Krieges. Einephilosophische Dissertation über den „Ekel“wurde nie fertig gestellt, Assistenzjahr undmedizinische Promotion folgten. Im Jahre1961 kam es zu einer Zäsur im Leben vonErich Wulff. Er ging für sechs Jahre alsPsychiater nach Hue, im damaligen Südviet-nam. Im Buch wird auch auf Kultur und Ge-schichte von Vietnam eingegangen. Wichtigersind jedoch die Beschreibungen des zuneh-menden amerikanischen Engagements in die-sem Land sowie die Kontakte mit den Oppo-sitionellen der verschiedenen Lager. Zwi-schenzeitlich nahm Wulff in Deutschland

Kontakte mit den APO auf. Der deutschen undeuropäischen Opposition gegen den amerika-nischen Krieg in Vietnam lieferte er vieleHintergrundinformationen. Veröffentlichun-gen in „Das Argument“, „Der Spiegel“, derdeutschen und internationalen Presse, Teil-nahme am Russel-Tribunal gegen die USAund vor allem die Publikation des unter demPseudonym Georg W. Alsheimer veröffent-lichten Buches „Vietnamesische Lehrjahre“bei Suhrkamp machten ihn international be-kannt. Es folgte eine Tätigkeit als Assistent ander Medizinischen Fakultät der UniversitätGiessen. Wulff war einer der ersten, der einegeschlossene Abteilung öffnete. In dieser Zeithabe ich Erich Wulff kennen gelernt, ihn fürZeitungen interviewt und als Referenten fürVorträge an der Volkshochschule gewinnenkönnen. Danach verloren sich unsere Wege.Er war Gastprofessor in Paris, rezipierte diefranzösische, italienische und englische Anti-Psychiatrie für Deutschland und bereichertesein Fach um die von ihm geschaffene Eth-nopsychiatrie. 1969 folgte die Habilitation.Sein Buch über „Psychiatrie und Klassenge-sellschaft“ wird einigen Lesen noch bekanntsein. Zusammen mit Klaus Dörner bildeteErich Wulff den linken Flügel in der „Deut-schen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie“.Erst im Jahre 1974 wurde er auf die Professurfür Sozialpsychiatrie in Hannover berufen.Zwischenzeitlich war er immer wieder in Vi-etnam., welches sich nach der Niederlage derAmerikaner vereint hatte. Nach seiner Emeri-tierung im Jahre 1994 zog er mit seiner Fami-lie nach Paris. Auch wenn ich Wulffs Nähe zuDKP-Gruppierungen und PDS nie so rechtverstehen konnte, halte ich seinen Lebensweg,sein politisches und fachliches Wirken auf diepolitische Kultur Deutschlands für bedeutsam.Das Buch ist gut lesbar und sehr spannend; esführt uns zurück zu den letzten vier Jahrzehn-ten politischer und fachlicher Entwicklung inunserem Lande.

Nando Belardi, Bergisch-Gladbach