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ERICH FEIGL ein mythos des terrors ein mythos des terrors Armenian Extremism: Its Causes and Its Historical Context EDITION ZEITGESCHICHTE ein mythos

Erich Feigl - Ein Mythos des Terrors. Armenischer Terrorismus, seine Ursachen und Hintergründe. Edition Zeitgeschichte, Freilassing 1986

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Erich Feigl - Ein Mythos des Terrors. Armenischer Terrorismus, seine Ursachen und Hintergründe. Edition Zeitgeschichte, Freilassing 1986

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Page 1: Erich Feigl - Ein Mythos des Terrors. Armenischer Terrorismus, seine Ursachen und Hintergründe. Edition Zeitgeschichte, Freilassing 1986

Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

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Armenian Extremism:Its Causes and Its HistoricalContext

Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

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Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

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Armenian Extremism:Its Causes and Its HistoricalContext

Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

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Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

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Armenian Extremism:Its Causes and Its HistoricalContext

Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

EDITIONZEITGESCHICHTE

Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

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Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

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Eine Bilddokumentation von Erich Feigl

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© Edition Zeitgeschichte im Druckhaus-Nonntal-BücherdienstD-8228 Freilassing, Georg-Wrede-Straße 49, Postfach 1490Der Nachdruck der Bilder und Texte ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages gestattet.1. Auflage Dezember 1986Lektorat und Herstellung: Dr. Elisabeth Nowak, AdnetReproduktionen: Repro Fuchs, SalzburgSatz, Druck und Bindung: Druckhaus Nonntal, SalzburgPrinted in Austria

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DEM ANDENKEN

MEINES FREUNDES ERDOЬAN ÖZEN

GEWIDMET

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Ein persönliches Wort zum Geleit„Bist du wahnsinnig geworden?”„Sind Sie lebensmüde?”Das waren die Kommentare von Freunden und Bekan-nten, als sie hörten, ich arbeite an einer Dokumentationüber Hintergründe und Ursachen des armenischenTerrors. Warum ausgerechnet ich mich eines solchengefährlichen Stoffes annähme . . . wäre das nicht eineSache, die sich Türken und Armenier untereinander aus-machen sollten? Alle meine Freunde betrachteten meinUnternehmen als gefährlich, ja bedrohlich. Übrigens kamich sehr bald zu der Erkenntnis, daß es diese Bedenken,ja Ängste sein müssen, die bisher verhinderten, daß esunvoreingenommene Versuche zur Klärung derHintergründe armenischen Terrors gibt: offenbar habendie Menschen Angst vor Repressalien, und überlassen dieganze Problematik dadurch wieder den Vertretern derrücksichtslosen Gewaltanwendung, die fast das gesamteFeld der einschlägigen Literatur beherrschen; in so gutwie jeder Publikation, die sich mit der armenischen Frageoder dem armenischen Terrorismus beschäftigt, werbendie Autoren um „Verständnis” für den Terror, was ähnlichmerkwürdig ist wie wenn sich Terrororganisationen nacheinem Anschlag zu einer „Verantwortung” bekennen. Ichselber kam vor vielen Jahren zum ersten Mal in denBannkreis des türkisch-armenischen Spannungsfeldes,als ich einen meiner zahlreichen Dokumentarfilme überorientalische Religionsgemeinschaften drehte und dabeimit dem damaligen armenischen Katholikos von Sis, derin dem eleganten Beiruter Vorort Antelias residierte, zu-sammentraf. Er sprach damals feierlich von zwei Millio-nen von den Türken hingemordeten Armeniern, und ichnahm die Worte Seiner Heiligkeit sehr ernst und bildeteviele Jahre lang danach auch meine Meinung. Im Laufe der Zeit sah ich mehr und mehr von der Welt,gewann liebenswürdige, symphatische und hochgebildetearmenische Freunde, gewann türkische Freunde. Ohne eseigentlich zu wollen, weil es nie meinen unmittelbarenAufgabenbereich berührte, geriet ich bei meinen zahl-losen Filmarbeiten in Anatolien und im Nahen Osten, seies nun in Istanbul oder Van, Bagdad, Teheran oder gar inden Vereinigten Staaten, in den Dunstkreis der „arme-nischen Frage”, wobei ich bald die Beobachtung machte,daß Wortwahl und Argumentation meiner Gesprächs-partner in geradezu geometrischer Proportion zur Entfer-nung von der Türkei an Schärfe zunehmen; während sichTürkei-Armenier oder solche, die zwischen einem Wohn-ort in Istanbul und irgendwo in Europa hin- und herpen-deln, äußerst gemäßigt und verständnisvoll äußern, kön-nen sich andere, die noch nie in ihrem Leben einen Tür-ken gesehen haben und in Los Angeles oder Rio leben,sehr heftig und einseitig äußern.Meine persönliche Beziehung zu dem Themenkreisänderte sich von einer Sekunde auf die andere, als ich dieNachricht von einer Bombenexplosion vor der türkischenBotschaft an der Wiener Prinz-Eugen-Straße hörte. Dabei

war der türkische Arbeits- und Sozialattache ErdoganÖzen ums Leben gekommen. Erdogan Özen habe ich gutgekannt.Er war ein begeisterter, hingebungsvoller Arbeiter gewe-sen, einer, der seiner beruflichen Aufgabe, türkischenGastarbeitern in Österreich zu helfen und sich um ihreProbleme zu kümmern, nach bestem Wissen und Gewis-sen nachgekommen ist. Da war aber, so wie ich ihn kan-nte, noch mehr: oft habe ich ihn über seinen damals elf-oder zwölfjährigen Sohn Murad sprechen gehört, sah dieLiebe in seinen Augen, die ihn mit seinem Kind und sein-er Frau Monika verband.Erdogan Özen war viele Jahre nach dem Ersten Weltkriegzur Welt gekommen und hatte mit den tragischen Ereig-nissen von 1915, bei denen so viele Armenier und Mos-lems umgekommen waren, nicht die Spur zu tun, und ichverbürge mich auf Grund meiner Freundschaft mit ihmund allem, was ich daraus über ihn zu wissen glaube, daßer, wäre er damals in die Nähe verfolgter oder bedrängterArmenier gekommen, mit Sicherheit geholfen hätte. In dem gleichen Augenblick, da ich die Nachricht vondem Tode Erdogans hörte, faßte ich den Entschluß, etwaszu tun, etwas, was im Bereiche meiner Möglichkeitenliegt. Nach gründlicher Beschäftigung mit dem Themaund zahllosen Begegnungen drehte ich über diesen„Mythos des Terrors” eine Filmserie und schrieb das nunvorliegende Buch, das - zumindest in seinem umfangrei-chen Bildteil - aus der Filmarbeit herauswuchs. Es han-delt sich um einen „Mythos” . . . im eigentlichen Sinnedes „Wortes”, um etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, „zurSage Gemachtes”: und dabei absolut Lebendiges,Wirksames, wie der Terror und seine entsetzlichen Aus-wirkungen beweisen.Historiker oder Kommentatoren tragen heutzutage wenigoder nichts zur Klärung der Umstände bei, unter denen soviele Armenier einen tragischen Leidensweg antretenmußten, damals, 1915, - damals, als auch so viele Mos-lems den gleichen Weg in Krankheit, Elend und Tod gin-gen, Menschen, von denen heute so gut wie keine Redemehr ist, obwohl sie mindestens genau so litten wie ihrearmenischen Mitbürger.Der Schlüssel zum armenischen Terror ist dieGeschichte. Geschichte ist die Ursache des armenischenTerrors, und gleichzeitig sein einziges Heilmittel.Der armenische Terror steht und fällt mit einem bestimm-ten Geschichtsbild. Nur wenn es gelingt, diesesGeschichtsbild, das sich die (meist sehr jugendlichen)„Kämpfer” für die Sache „Armeniens”, für „Gerechtig-keit” oder auch für einfache Rache zurechtgelegt haben,besser: das ihnen vorgesagt wurde, denn selbst können siedie Geschichte ja kaum erforschen, nur dann kann esgelingen, dieses Unglück „Mythos des Terrors” zu ban-nen und in ein neues Bild des gegenseitigen Verzeihensund Verstehens umzugestalten.Es gibt, meines Erachtens, nur diesen Weg der Korrektureines Geschichtsbildes; denn die Jungen, die Unerfahre-nen, die Idealistischen, die Blüte der begeisterungsfähi-

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gen armenischen Jugend wird ja auf dieses grauenhafteSchlachtopferfeld des Terrors gehetzt; die alten, erfahre-nen Rattenkönige, die diese Jugend mißbrauchen, wissenohnehin längst, was gespielt wurde und wird. Jeder junge Mensch, der ein Terrorkommando über-nimmt, braucht eine raison d’etre, eine Philosophie undeinen Beweggrund, aus denen heraus er den allfälligeneigenen Tod, lebenslangen Kerker oder Jahre der Haft ris-kiert.Während aber die Terroristen anderer Gruppierungen,seien es nun die Mitglieder der IRA, der seinerzeitigenMAU MAU oder irgendeiner Terrororganisation aufTimor oder in Südafrika, letztlich auf ein Stück Land, aufMachtausübung innerhalb bestimmter Grenzen hinarbei-ten, ist im Falle des armenischen Terrors dieses Motivwohl kaum vorhanden; selbst der verrückteste Terroristwird nicht meinen, „Großarmenien” zu erreichen, wie esvor zweitausend Jahren für einige wenige Jahrzehntebestand, außerdem wäre es gerade diesen Leuten in Ost-anatolien wohl viel zu langweilig.Nein: armenische Terroristen stellen heutzutage eineneinmaligen Sonderfall dar, weil ihr Geschichtsbild, ihrWissensstand von dem, was 1915 und vorher und nach-her geschah, ihre einzige Rechtfertigung ist. Ihr Motiv istRache, Rache für etwas, was - in ihren Augen, nachihrem Wissensstand - selbst die Ermordung einesMenschen wie Erdogan Özen rechtfertigt, ja sogar inKauf nimmt, daß völlig unbeteiligte, unwissendePassanten, Flugpassagiere, Warenhausbesucher oderPolizisten verletzt oder gar getötet werden, auchGenerationen nach dem „Anlaß”.Die armenische Geschichtsauffassung wird übrigensweitgehend von der öffentlichen Meinung geteilt. Das istweder ein Wunder noch soll das ein Vorwurf sein. So gutwie alle Informationen, die es über die tragischen Ereig-nisse des Jahres 1915 gibt, stammen aus armenischenQuellen oder zumindest von Menschen, die von vornher-ein über die damaligen, gleichzeitigen und noch viel grö-ßeren Leiden der Moslems entweder nichts wissen oderzumindest vorgeben, darüber nichts zu wissen; sie wer-den auch kaum oder nur sehr einseitig über die Vor-geschichte zur Tragödie von 1915 Stellung beziehen. Ich habe im Laufe meiner Vorarbeiten zu diesem Buchund meinen Filmen nach bestem Wissen und GewissenErkundigungen eingezogen und dabei auch zahlloseMenschen kennengelernt, denen ich höchsten Respektzolle; Seiner Seligkeit dem armenisch-apostolischenPatriarchen Schnorkh Kalustian von Istanbul zum Bei-spiel, oder den Ärzten und Pflegern im armenischen Spi-tal der gleichen Stadt . . . ich nenne sie hier stellvertretendfür viele, noble Armenier, die ich kenne, wie etwa diearmenischen Bauern und ihre Familien auf dem durchWerfel weltberühmt gewordenen Musa Dagh oder arme-nische Gelehrte.Ich lernte allerdings im Zuge meiner Forschungstätigkeitauch andere Menschen kennen. Dabei erinnere ich michbesonders an Herrn Dr. Gerard Libaridian, den Leiter des

armenischen Zorian-Institutes, mit dem ich in seinemBüro in Cambridge, Massachusetts, eine unendlich inter-essante, stundenlange Unterredung hatte. Dr. Gerard Libaridian ist ein brillanter Mann, sprühendvor Geist, Wissen, Können und Selbstbewußtsein. Überdie Begegnung und die Unterhaltung mit ihm könnte manein anregendes Theaterstück schreiben. Im Laufe des faszinierenden Gespräches, bei dem ich dieaufregendsten Äußerungen meines Gastgebers notierte,erwähnte er mehrmals auch die sogenannten „Andonian-Papiere”.Ein Armenier namens Aram Andonian hat zu Beginn derzwanziger Jahre eine „Dokumentensammlung” (eigent-lich waren es Photographien von „Dokumenten”) heraus-gegeben, die er als „Beweis” für die Absicht der osmani-schen Regierung vorlegte, das armenische Volk ausrottenzu wollen. Im Grunde genommen handelte es sich um„Befehle”, die den späteren Wahntaten eines Hitler oderHimmler durchaus entsprachen.Franz Werfel hat - ursprünglich selbstverständlich ingutem Glauben - seinen herrlichen Roman „Die vierzigTage des Musa Dagh” zur Gänze auf diesen „Mordbefeh-len” der osmanischen Regierung aufgebaut; zu spät kamer drauf, einer Fälschung aufgesessen zu sein, und ausFurcht vor erwarteten armenischen Repressalien wagte eres auch nicht, seinen Irrtum öffentlich zu bekennen. Daich naturgemäß davon ausgehen konnte, daß Herr Dr.Libaridian von der Tatsache dieser Fälschung weiß,wollte ich über diesen Gegenstand auch kein einzigesüberflüssiges Wort verlieren, gab es doch so viele andere,in meinen Augen bessere Gesprächsthemen. Merkwürdigerweise blieb er aber bei diesem Buche desAram Andonian und seinen „Dokumenten” hängen, wor-auf ich endlich einwarf: „Aber Herr Doktor Libaridian,Sie wissen doch so gut wie ich, daß diese ,Andonian-Papiere’ Fälschungen sind!”Ich werde weder die Antwort Libaridians noch seinenGesichtsausdruck dabei vergessen, als er auf meine Vor-haltung schlicht und kurz antwortete: „And?”„Und?” Ja . . . und ich werde diese Antwort nie vergessen,diese nicht einmal kalte, nein, sondern ganz beiläufigeAntwort eines, der längst schon wieder bei anderenStrategien angelangt ist, bei dem der Schnee von gestern(sofern es sich um eine bestimmte Propagandamaschehandelt) nicht einmal weggeräumt wird, weil er von selb-st in der Geschichte versickert und dabei - wer weiß? -vielleicht sogar noch einmal Brunnen vergiftet! Es ist eine winzige, ganz winzige Minderheit von Arme-niern, die den Terror betreibt und idealistisch gesinnte,begeisterungsfähige Jünglinge für irrationale Motive undZiele mißbraucht. Tragisch-komisch dabei ist, daß jeneDrahtzieher selber an den Fäden mächtiger Puppenspie-ler, wenn man will „Schachspieler” hängen, und auchnichts anderes sind als läppische Schachfiguren im Spielder Großmächte, die ihre armenischen Bauernopfer dar-bringen, wenn es dem Gambit gerade zu nützen scheint.

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EINFÜHRUNG

Von Afif Erzen, Istanbul

Kaum eine Vorgangsweise ist der historischen Wahrheits-findung abträglicher, als Geschichte mit Geschichten zuvermischen, oder gar zu verwechseln. Es ist dies ein ähnlich gefährlicher Irrweg wie die Vermi-schung oder Verwechslung von Politik mit Gewaltanwen-dung. Diese liegt aber leider nur allzuoft Forderungen vonInteressensgruppen (kaum von Völkern, denn die liebenden Frieden) zugrunde, die „historisches Land” für sichreklamieren.Solche „historische Ansprüche” haben noch immer Kriegbedeutet, oder zumindest Terror, eine häßliche Abart desKrieges.Recht auf Souveränität und Unabhängigkeit besteht dann,wenn damit das Recht einer Mehrheit verbunden ist. Allesandere würde nur unseren allgemein anerkannten, demok-ratischen Grundsätzen widersprechen. Daß sogar die arme-nischen Apologeten eines „armenischen Staates” auftürkischem Boden dieser Gesinnung huldigen, beweist ihreParteinahme für die Zyperngriechen gegenüber dertürkischen Minderheit.Alle zeitgenössischen armenischen Ansprüche auf dastürkische Ostanatolien, denen so gerne ein oberflächlicher,„rechtlicher” Schimmer beigegeben wird, leugnen einfachdie Tatsache, daß diese Forderungen das Völkerrecht ver-letzen, weil in dem eingeforderten Gebiet so gut wie keineArmenier leben.Das übliche Argument, daß dort einmal Armenier gelebthätten, ist wohl richtig, berücksichtigt aber nicht die Tat-sache, daß auch vor 1915 die Armenier in dem von ihnenbeanspruchten Land nur eine kleine Minderheit - etwa einSechstel der Bevölkerung - dargestellt haben, eineMinderheit, die schon lange vor der Ankunft der Sel-

dschuken in Anatolien, also schon seit fast einem Jahrtau-send, über keine wie immer geartete staatliche Souveräni-tät verfügte und außerdem - wie es ihre eigenen Volks-führer immer wieder bestätigten - im Jahre 1915 im„Kriegszustand” mit ihrer eigenen, osmanischen Regie-rung lag, also einen Bürgerkrieg vom Zaune gebrochenhatte, der gerade in Ostanatolien, in Van, unter der isla-mischen Bevölkerung ein wahres Blutbad anrichtete. Eine andere, ebenso gefährliche, wie der historischenWahrheit abträgliche Mythenbildung betrifft den Ver-such, die Ansprüche der Armenier auf Ostanatolien mitihrer angeblichen „Abstammung” von den Urartäern zubegründen. In so gut wie jeder von armenischer Seite ver-öffentlichten oder geförderten Publikation findet sich inmehr oder weniger klarer Form eine Geschichtsdarstel-lung, die den Eindruck erweckt, die Geschichte der Haik- so nennen sich die „Armenier” selber - in Ostanatolienreiche bis in das 2. Jahrtausend vor Christus zurück. Sievereinnahmen nämlich in ihre eigene Geschichte - jeneder Haik - einfach auch die Geschichte der Urartäer undjener, die vor den Urartäern in Ostanatolien lebten. Dasgelingt umso leichter, als viele Zeitgenossen die Bewoh-ner der historischen Landschaft Armenien mit „denArmeniern” verwechseln, die sich selber, wie erwähnt,„Haik” nennen, und nur eines unter zahllosen Völkernbilden, die im Laufe der Geschichte in der historischenLandschaft Armenien lebten oder leben. Der entscheidende Versuch gewisser armenischer Histori-ker oder Propagandisten, zwischen dem Volk der Haikund dem politischen und geschichtlichen Anspruch aufdie historische Landschaft Armenien eine Brücke zubauen, ist die Einvernahme der Geschichte Urartus, nach-dem der noch ältere Versuch, sich mit Hilfe der Ararat-legenden als die ersten legitimen Erben Noahs darzustel-len, auf Grund seiner offenkundigen Absurdität schei-terte.

Seit fast 3000 Jahren dient dieser vom Urartäerkönig Menuaangelegte Schamram-Kanal der Bewässerung der Ebene vonVan den unterschiedlichsten Völkern und Herren: Urartäern,Medern, Armeniern, Persern, Römern und Byzantinern,Seldschuken, Osmanen und allen Turkstämmen, die hier seitAnbeginn wohnten.

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Die geographischen und historischenVoraussetzungen

Das Land, um das es in diesem Zusammenhang geht,Ostanatolien, ist ein Gebiet zerklüfteter Gebirge undHochebenen, dessen dramatisch anmutendes Gesamtbildstark vom übrigen Anatolien abweicht. Seine durch-schnittliche Höhe beträgt 2000 m, im Vergleich zu bloß1000 m im restlichen Anatolien. Der niedrigste Punkt istdie Igdir-Ebene mit 875 m Seehöhe. Der Vansee, der dasBild Ostanatoliens beherrscht, entstand vor Zeiten nacheinem Ausbruch des Vulkans Nemrud, dessen Lavamas-sen den Abfluß aus dem Becken verhinderten. Währendein großer Teil Ostanatoliens nach Norden, in den Kaspi-schen See durch die Flüsse Kura und Aras entwässertwird, fließen Euphrat und Tigris nach Süden, in den Golf.Diese Ströme spielten beim Entstehen der großen Kultu-ren Mesopotamiens eine Hauptrolle, brachten sie dochnicht nur ihre Wasser, sondern auch fruchtbare Erde ausOstanatolien ins Zweistromland.Ostanatolien, dessen Grenze im Westen die Ausläufer desTaurusgebirges bilden, spielt auch eine Hauptrolle in derGeschichte der Turkvölker und der mit ihnen verwandtenVolkschaften.Höhlenzeichnungen in Ostanatolien, deren Ursprung bisin das 15. Jahrtausend vor Christus zurückgeht, belegendie uralte Verbindung der Bewohner Ostanatoliens mitden Menschen Innerasiens, besonders des Altaigebietes,einer Wiege der Turkvölker, sowie anderen Ballungszent-ren dieser Rasse. Dank umfangreichen Ausgrabungen inder Gegend um Elazig, die während des Baues desKeban-Dammes vorgenommen wurden (in dieser Gegendentspringen Euphrat und Tigris), wissen wir heute, daßseit dem 4. Jahrtausend vor Christus eine sehr starke kul-turelle Einheit innerhalb des Landes zwischen Kaukasusim Norden, dem Urmiasee im Osten, Nordsyrien imSüden und der Gegend um Malatia-Elazig bestand. Die Kulturen dieser Zone, die ein so gewaltiges Gebietumfaßt, tragen je nach den Schwerpunkten der Ausgra-bungstätigkeit und der Reichhaltigkeit der Funde Namenwie „Kura-Aras-Kultur”, „Yanik-Kultur”, „Karaz-Kultur”,„Frühe transkaukasische Kultur”, „Ostanatolische frühebronzezeitliche Kultur” oder „Frühe hurritische Kultur”.Allen diesen Kulturen gemeinsam ist die Tatsache, daß ihreTräger hurritischen Ursprungs waren, also einer Kul-turgemeinschaft angehörten, deren Sprache ähnlich jenerist, die die Völker der Ural-Altaiischen Sprachenfamiliesprechen; zu ihnen gehören auch die Türken. Die Hurri-terwaren asiatischen Ursprungs. Es ist daher richtig, dievorher genannten Kulturen, die alle im Schoße der Hurri-ter entstanden, „Frühe hurri tische Kultur” zu nennen. Die Hurriter bildeten auch jene kulturelle Basis, auf derspäter das Königreich von Urartu erwuchs. Das Urartäi-sche Reich währte vom Beginn des 1. Jahrtausends vorChristus an über mehr als drei Jahrhunderte und umfaßtedas Hochland Anatoliens, den Nordwesten Irans sowieTranskaukasien und im Süden die Urfa-Halfati-Region,Macht und Ohnmacht des Urartäerreiches, wie sie sich in den

Mauerquadern von Cavus,tepe-Sardurihinili dokumentieren: dasind zunächst die mit unglaublicher Präzision zusammenges-etzten Bausteine der Mauern der Königsburg aus der ZeitSardurs II. (764-735 vor Christus), der Sardurihinili errichtenließ, und endlich die von dem Großbrand gezeichneten Steineder Burg, der in der letzten Dekade des 7. Jahrhunderts vorChristus - wahrscheinlich im Jahre 609 - infolge der Eroberungder Burg durch die Skythen und die darauffolgende Plünderungund Brandstiftung entstand. Im Schutt unterhalb der Mauernfanden die Ausgräber unter Leitung von Prof. Afif ErzenTausende skythische Pfeilspitzen . . . Für eine nachfolgendeBesiedlung während des nächsten Jahrtausends fand sich nichtdie Spur eines Hinweises, was übrigens auch für die anderenurartäischen Großbauten gilt.

zeitweise sogar die Gegend um Aleppo, sowie im Westendas Land bis Malatia-Elazig.Lange Zeit herrschte die Ansicht vor, der Ursprung der hur-ritischen Kultur - und damit auch der urartäischen Kultur -läge im transkaukasischen Nordwestiran. Folgerichtignahm man an, daß sich die hurritische Kultur von Nordennach Süden, bis in die syrischen Gebiete hinein, ausbreit-ete. Heute aber steht fest, daß es in der Gegend von Elazigeine vorzüglich entwickelte neolithische Kultur gab, älterals die durch Funde nachgewiesene chalkolithi-scheKultur, und daß jene neolithische Kultur Ostanato-Die

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Hochfläche des Burgberges von Чavuшtepe, wo Professor AfifErzen die urartäische Doppelfestung Sardurihinili ausgrub.

liens in ungebrochener Entwicklung, mit stark ausgepräg-ten, spezifisch anatolischen Zügen, fortwirkte. Die Ent-deckung von frühen paläolithischen Steinwerkzeugen inEskini-Sefini durch Professor Dr. Kilic Kokten sowieweitere Entdeckungen in Pulur und Tepecik, die eineBesiedlung in den Jahren zwischen 6000 und 5500 vorChristus nachweisen, weisen auch schlüssig nach, daß derUrsprung der frühen hurritischen Kultur in Ostanatolienliegt. Von dort, von Ostanatolien aus, breitete sichschließlich das Hurritische nach Nordsyrien, Transkauka-sien und zum Urmiasee hin aus.Die für das türkische Volk, ja alle türkischen Stämme sowichtige Technik des Rundbaus stammt aus hurritischemErbe.Keilschriftentäfelchen, die im Harbur-Tal gefunden wur-den, beweisen, daß Hurriter zu Beginn des 3. Jahrtau-sends vor Christus bereits in Ostanatolien lebten, alsoetwa zur Zeit der Akkadier.Gegen Ende des 3. Jahrtausends vor Christus stießenindoeuropäische hethitische Stämme über Transkauka-sien nach Ostanatolien vor. Die Niederlassung der Hethi-ter in Anatolien um 2000 vor Christus brachte verschie-dene Änderungen im Leben der Hurriter Ostanatoliens.Metalle und der Handel mit ihnen gewannen rasch anBedeutung, doch trotz einer gewissen Verlegung derWirtschaftsbasis, auch auf Viehzucht, blieb die hurritis-che Kultur im wesentlichen unverändert, was sicher auchdurch das schützende Gebirgsland mitbewirkt wurde.Vom Beginn des Bronzezeitalters an wuchs die ostanato-lische Bevölkerung stetig und immer mehr stabileDorfgemeinschaften bildeten sich heraus. Da Weidelandallmählich knapp wurde, entstand jener halbnomadischeLebensstil, der zum Teil Ostanatolien bis heute prägt. Im

Die in Urartäisch - einer asiatischen, agglutinierenden Sprache,die starke Ähnlichkeiten mit der Ural-Altaischen Sprachfamilie,vor allem mit dem Türkischen aufweist - abgefaßte Gründungs-inschrift von Sardurihinili, übrigens in unglaublich gutemZustand erhalten - wurde von Afif Erzen entdeckt und von EminBilgic. (Sumerologe an der Universität Ankara) übersetzt: Zeile 1 Diesen Tempel hat Sardur, der Sohn des Argischti, dem

Gotte Irmuschini <errichtet. So sagt Sardur>2 Da ich meines Vaters Thron bestieg, sagt Sardur <etwas

Derartiges hat man in vorhergegangenen Zeiten> nochnie errichtet.

3 Ich habe dort dem Gotte Haldi einen Tempelthron <auf-gebaub Dem Gotte Irmuschini und für diese Festung

4 habe ich von dem Hoschap-Fluß einen Kanal <erbauenlassen und mit> Weingärten, Feldern und Gemüsegärtendiese neue Stadt <Gebäude habe ich dort

5 umgeben. Diese prächtigen selbst errichtet)6 Als Namen der Stadt habe ich Sardurihinili (Sardur-

stadt) gewählt. Sardur sagt . . .7 Dorfhäuser, die sich vorher hier befanden, habe ich für

alle Zeiten hier neu errichtet.8 Diese Stadt habe ich dem Gotte Irmuschini <geweiht>

und die Tore dem Gotte Haldi, wegen des Reichtums.9 Der Sohn des Argischti (Sardur II.) hat mit Hilfe der

Größe und Macht des Gottes Haldi diesen Tempelerrichtet

10 <Ich> mächtiger König, ich großer König, ich großerKönig (sie!) der Biai-Länder*). Der Herr dieser Stadtund von Tuschpa, Sardur bin ich.

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Laufe einer lange anhaltenden Trockenperiode verdich-tete sich die Besiedlung besonders auf der Hochfläche umden Vansee.Trotz der wenigen schriftlichen Zeugnisse aus jener Zeitsteht fest, daß während des 2. Jahrtausends vor Christusder Mittelpunkt des hurritischen Siedlungsgebietes umden Vansee lag. So wie hurritische Namen in den Kül-tepe-Texten aufscheinen (1950 bis 1790 vor Christus)fand man hurritische Inschriften auch in den Mari-Dokumenten der mittleren Euphrat-Region, die in dasZeitalter Hammurapis gehören.Der Einfluß hurritischer Kultur und Religion auf dieHethiter läßt sich durch hurritische Texte, die in Hattusa(Bogazköy, 1450 bis 1180 vor Christus) gefunden wur-den, nachweisen. Hurritische Elemente beeinflußten diehethi-tische Religion und Mythologie. Hurritische Götterund Göttinnen nehmen in den Yazilikaya-Texten der het-hiti-schen Felsbilder (13. Jahrhundert vor Christus) einewichtige Rolle ein.Die Götter der Hurriter spielten im hethitischen Pantheoneine wichtige Rolle, vor allem die hurritische HauptgöttinHepat und ihr Gemahl Teschup, der uns später - im urar-täischen Götterhimmel - als Teischebe wieder begegnet.Später degenerierte das Land der Hurriter zu einemVasallen- und Pufferstaat zwischen Hethitern und Assy-rern. Aber im 13. Jahrhundert vor Christus erwuchs denAssyrern, die sich schon im vollen Besitze der Machtwähnten, in einer rasch heranwachsenden Allianz mehre-rer Fürstentümer Ostanatoliens, in der urartäische undnairische Kräfte die Hauptrolle spielten, ein gefährlicherneuer Gegner, ja Rivale.

Die Urartäer

Die ältesten Quellen, die von den Urartäern berichten,sind assyrischen Ursprungs. Der assyrische König Sal-manassar (1274 bis 1245 vor Christus) berichtet, daß er inden ersten Jahren seiner Regierungszeit einen Feldzuggegen die Urartäer unternommen habe. Die Inschrifterzählt von nicht weniger als acht Ländern und 51 Städ-ten, die er (im Jahre 1274 vor Christus) zerstört habenwill, was auf die Zersplitterung der Urartäer im BerglandOstanatoliens hinweisen mag.Später berichtet der Assyrerkönig Tukulti-Ninurtta I.(1244 bis 1208 vor Christus) über die Eroberung Nairi-schen Landes (Nairi und Urartu scheint weitgehend iden-tisch zu sein) und den Sieg über 40 Könige, die in derGegend des Vansees residierten.Sicher handelte es sich dabei um Fürsten der urartäischenund nairischen Stämme, die zwischen Euphrat undUrmiasee - mit der Gegend um den Vansee als natürli-chem Mittelpunkt - herrschten; sie müssen hurritischeroder protourartäischer Herkunft gewesen sein. Dabei muß die Tatsache, daß Hurriter und Urartäer glei-chen Ursprungs sind, eine große Rolle gespielt haben,weil die urartäische Sprache weder semitischen nochindoeuropäischen Ursprungs ist, sondern eine dem hurri-

Blick von der Burg Sardurihinili-Чavuшtepe auf das DorfЧavuшtepe, das sich an genau der gleichen Stelle befindet wiedas urartäische Dorf; auch die von den Urartäerkönigenangelegten Bewässerungskanäle dienen heute ihrem Zweckwie vor dreitausend Jahren.Im Dorf fanden sich außer einigen zu christlich-armenischenGrabsteinen umgemeißelten urartäischen Inschriftensteinen sogut wie keine armenischen Siedlungsspuren.

tischen verwandte asiatische Sprache. Sowohl die Mor-phologie als auch die Phonologie, Syntax und der Wort-schatz des Urartäischen sind mit dem Hurritischen engverwandt. Gerade diese Sprachverwandtschaft ist einschlagender Beweis für die gemeinsamen Wurzeln derHurriter und Urartäer. Sie sind zwei Zweige am gleichenStamm, mit gemeinsamer Wurzel in der Vergangenheit.Offensichtlich kamen diese Verwandten in zwei aufeinan-derfolgenden Einwanderungswellen aus Asien überTranskaukasien nach Anatolien. Die sprachlichen undkulturellen Unterschiede scheinen, abgesehen von derzeitlichen Einwanderungswelle, in der Tatsache zu lie-gen, daß die Urartäer von Anfang an eher in den Bergenzu siedeln pflegten.Es herrscht heute die Meinung vor, daß die Hurriter ausden Steppen und dem Hochland von Zentralasien einge-wandert sind (so wie schon Jahrtausende vorher jene Pro-totürken, die die Felszeichnungen in den Höhlen und anden Felswänden Ostanatoliens hinterließen) und daß dieUrartäer auf dem gleichen Wege nach Ostanatoliengelangten, sich aber seit der Mitte des 3. Jahrtausends vorChristus von den Hurritern bereits getrennt hatten. Ein-deutig ist auch das Urartäische eine asiatische Sprache;eng verwandt mit der gleichfalls agglutinierenden hurriti-schen Sprache.Auch die Götterwelt der Hurriter und Urartäer ist weitge-hend identisch. Hier sei darauf hingeweisen, daß dieHauptstadt der Urartäer – unübersehbar die Burg von

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Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, der Ausgräber von Чavuшtepe-Sardu-rihinili mit seiner Frau und treuen Helferin Fikriye sowie seinemAssistenten Erol Bey auf dem Burghügel von Sardurihinili.

Van, die auf ihrem Felsen thront - in alter Zeit den Namen„Tuschpa” trug, also der Göttin Tuschpuea zugehörig.Neben dem Haupt- und Kriegsgott Haldi regierten 78Götter und Göttinnen die Himmel der Hurriter undUrartäer, deren entsprechende Namen allein die Zusam-mengehörigkeit der beiden verwandten Völker dokumen-tieren: der Wettergott Tescheba der Hurriter heißt bei denUrartäern Taschpuea; seine Gemahlin Hepat wird zurHuepa. Eine ähnliche enge Beziehung, ja Identität beste-ht zwischen Urartäern und den Nairi.Die tatsächliche politische Vereinigung der nairischenund urartäischen Fürstenstämme und die daraus ent-springende politische Union fand um die Mitte des 9.Jahrhunderts vor Christus statt.Der Assyrerkönig Salmanassar III. (858 bis 824 vor Chri-stus) hatte bereits mit einem König der Urartäer zu kämp-fen, der alles Land zwischen Euphrat- und Tigrisquellenbeherrschte: Aramu.Kurz darauf profilierte sich König Sardur I. (840 bis 830)als der eigentliche Gründer des Königreiches Urartu.Sardur I. errichtete auch die urartäische HauptstadtTuschpa - heute Van, genauer gesagt die Burg von Vanauf ihrem gewaltigen Felsmassiv. Tuschpa - Van bliebHauptstadt der Urartäer bis zum Untergang des Reiches.Sardurs I. Sohn Ischpuini und dessen Sohn Menua dehn-ten die Macht Urartus bereits bis nach Aserbaidschan undzum Urmiasee aus. Die Inschriften werden nun bereits inurartäischer Sprache verfaßt, und aus ihnen geht auchhervor, daß sich Urartus Könige als ebenbürtig mit jenenAssyriens fühlten. Dazu mag wohl auch beigetragenhaben, daß die Urartäer damals ihre Macht bis vor dieTore Ninives ausdehnten und die Gegend der Tigrisquel-

len beherrschten . . . vorher noch unbestritten assyrischerMachtbereich.Die Zeit des Urartäerkönigs Menua, über dessen Herr-schaft wir dank einer reichen Fülle von Texten, mehr als100, gut unterrichtet sind, ist durch vorzügliche Verwal-tung und große Sozialbauten geprägt, auch durch die Fer-tigstellung eines 51 km langen Bewässerungskanals, dernoch heute voll seinen Dienst versieht. Später schrieb man den Kanalbau der sagenumwobenenKönigin Semiramis zu. Offensichtlich war die Erin-nerung an die Glanzleistungen der urartäischen Herrscherverblaßt. Romantische Vorstellungen europäischerReisender, die von der Existenz eines einstigen urartäis-chen Reiches keine Ahnung mehr hatten, schrieben übri-gens auch den Prachtbau der Burg von Van „der KöniginSemiramis” zu.In der Zeit von König Argischti L, Sohn des Menua (790bis 765 vor Christus), wuchs die Macht Urartus abermals.Argischti I. drang über Gümrü (heute Leninakan) undErivan hinaus bis tief in den Kaukasus vor. Von denInschriften an der Fassade seiner Grabkammer, die denCharakter eines Rechenschaftsberichtes über seineRegierungszeit tragen, wissen wir auch, daß er die Ebenezu Füßen des Ararat eroberte.In der Zeit von König Sardur II. (764 bis 735 vor Chris-tus) erreichte Urartus Macht ihren absoluten Höhepunkt.Auch dank der damals geschwächten Position der Assy-rer stieg Urartu zur führenden Kraft der Region auf. Sar-dur II. rühmte sich, sogar den Assyrerkönig Assurnina-riV. geschlagen zu haben. Im Osten eroberte er Trans-kau-kasien und die urartäischen Armeen drangen bis Kulhavor, wahrscheinlich ist damit Kolchis gemeint. Inschrif-ten aus der Zeit Sardurs II. gibt es vom Euphrat bis Aser-baidschan, vom Kaukasus bis Aleppo und Mos-sul, jaselbst am Kaspischen See und am Urmiasee. In jener Zeiterreichten die Urartäer so gut wie deckungsgleich dieAusdehnung des Einflußbereiches ihrer hurriti-schen Vet-tern. Die unglaublichste Leistung König Sardurs II. istaber die Ausbreitung seiner Macht im Westen, wo er Urar-tus Grenzen über Kommagene hinaus in die Gegend vonMalatia vorschob, wo sich bei dem heutigen Dorf HabibUschagi die westlichste urartäische Inschrift befindet.Mit nordsyrischen Fürstentümern baute Sardur II. einepolitische Front gegen die Assyrer auf, die allerdingsbereits kurz darauf, als der kraftvolle AssyrerkönigTiglat-pileser III. den Thron bestieg, zusammenbrach.Bei Sam-sat, am Ufer des Euphrat, mußte Sardur II. eineschwere Niederlage hinnehmen und Tiglatpileser verfol-gte den geschlagenen Urartäer bis Tuschpa (Van), dessenBurg er allerdings nicht einnehmen konnte. Trotzdembildet die Regierungszeit von Sardur II. - der übrigens dieNiederlage gegen die Assyrer recht gut überwunden zuhaben scheint - auch auf dem Gebiete der Bautechnikeinen unüberbietbaren Höhepunkt.Sardur II. ist der Erbauer von Sardurihinili (Чavuшtepe).Vom Gugunafluß her ließ er eine Kanalzuleitung bauen

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und krönte den Doppelhügel mit einer gewaltigen, durchWehrgänge verbundenen Festung, die auch gleichzeitigals luxuriöser Landsitz diente.Ich habe auf dem Doppelhügel von Cavugtepe jahrzehn-telang die Ausgrabungen geleitet und dort den politischen„Armenismus”, der schon immer gerne seine Ansprüchevon den Urartäern abgeleitet hat, in einer ganz beson-deren Weise kennengelernt. In armenischen Kreisen spukt für Чavuшtepe-Sardurihini-li die Bezeichnung „Haikapert” herum, also „Festung derHaik”. Nun, ich habe in der gesamten Ausgrabungstätig-keit auf dem gewaltigen Doppelhügel nicht die leisesteSpur einer armenischen Präsenz wahrgenommen. Bloß zuFüßen der Burg, im Dorf, fanden sich zwei urartäischeInschriftensteine, in die irgendwann einmal Kreuzegeschlagen worden waren, sonst nichts. Sehr stark hinge-gen sind die Spuren der islamischen Besiedlung, beson-ders im 13. Jahrhundert, vor allem Überreste von Kera-mik, die sehr stark auf die ilhanidische Keramik vonTahte Süleiman im Iran hinweisen.Ich möchte in diesem Zusammenhang auch kurz -obwohles nicht zur unmittelbaren Problematik der frühenGeschichte Ostanatoliens gehört - auf den überragendenEinfluß der türkischen Kunst auf die Baukunst derArmenier in Ostanatolien hinweisen. So gehen die arme-nischen Bauwerke in ihrem Rundstil eindeutig auf denRundstil der Turkvölker zurück, die zur Zeit etwa derErbauung von Ahtamar, als die Armenier unter den abba-sidischen Kalifen von Bagdad lebten, die eigentlicheMacht ausübten. Denn wie im Kairo der Fatimiden hattenauch im Bagdad der Abbasiden die Mamluken - die türki-schen Heerführer und ihre Streitkräfte - das Heft fest inder Hand und bestimmten auch den aus Asien kommen-den, immer an die Zelte ihres einstigen Nomadenlebenserinnernden Baustil. Doch zurück zu den entscheidendenFragen der urartäischen Geschichte und ihrer Nachwir-kungen in Ostanatolien.In der Zeit von König Rusa I. (735 bis 714 vor Christus)mußten die Urartäer abermals eine schwere Niederlagedurch die Assyrer hinnehmen, als König Sargon II. vonAssyrien mehrere urartäische Provinzen eroberte. Dennoch konnte Urartu noch seine Unabhängigkeitbewahren, vor allem dank des Auftretens der Skythen, diezunächst vor allem den Assyrern stark zusetzten und füreine Weile Urartu dadurch entlasteten. Nach einer Verteidigungsallianz der gemeinsam bedräng-ten Assyrer und Urartäer bot schließlich König Sardur III.von Urartu (645 bis 635[?] vor Christus) den Assyrerneine Art Anschlußpakt an, der de facto die HegemonieAssyriens über Urartu einleitete. Die große Zeit Urartusneigte sich dem Ende zu, allerdings auch jene Assyriens. Trotz der unüberwindlichen politischen und militärischenProbleme Urartus künden zahlreiche Inschriften aus jenerZeit dennoch von einem Weiterblühen der Kultur und derBautätigkeit, was besonders für die Regierungszeit derUrartäerkönige Sardur IV. und Erimenas gilt. Doch das Ende der Großmächte war nicht mehr

aufzuhalten. Im Jahre 609 brach das Assyrerreich zusam-men, und das durch den Kollaps dieser einstigenSupermacht verursachte Vakuum riß auch Urartu in denUntergang. Unmittelbar nach dem Ende des Assyrerreiches drangendie Skythen in Urartu ein, die Funde auf der Festung Sar-durihinili-Чavuшtepe beweisen, daß das Reich unter denSchlägen der skythischen Angreifer zusammengebrochenist.Die Skythen ließen sich in dem eroberten Land allerdingsnicht nieder, sondern zogen nach Ägypten weiter, wäh-rend das urartäische Land unter die Kontrolle der Mederkam.Vom Urartäischen Reich war nach dem Angriff der Sky-then so gut wie nichts übrig geblieben. Die überlebendenUrartäer zogen sich in höhergelegene Bergregionenzurück, und allfällige Reste urartäischer Macht wurdendurch die Meder liquidiert.Trotzdem ist es auffallend, daß nach dieser Katastrophe dieüberlebenden Urartäer ihre Kultur, wenn nun auch nur mehrauf dörflicher Grundlage, bemerkenswert gut bewahrenkonnten. Von der Übernahme des gewaltigen Erbes derUrartäer, wie es sich etwa in den Ruinen der FestungCavugtepe manifestiert, kann allerdings keine Rede sein.Nachfolgende Kulturvölker haben weder in Чavuшtepenoch an anderen urartäischen Zentren wie Toprakkle oderAdilcevaz nennenswerte Spuren hinterlassen.Zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus wurden dieeinst von Urartu beherrschten Landstriche zum Streitob-jekt zwischen Lydiern und Medern, bis schließlich dieMeder die Macht übernahmen.Es scheint, daß das der Zeitpunkt ist, zu dem armenischeStämme, die wahrscheinlich aus der Balkangegend oderThrakien stammen und dort von den Illyrern vertriebenworden sein mochten, in Ostanatolien einwanderten. Siewerden zum ersten Mal in einer Inschrift von Dariusgenannt - im 6. Jahrhundert vor Christus -, in dessenMachtbereich sie zu jenem Zeitpunkt schon gehörten.Ihre indoeuropäische Sprache nahm im Laufe der Zeitgewisse Züge der alten, nicht-arischen anatolischen Spra-chen an, ohne daß die „Haik” deswegen „Urartäer”geworden wären.Die indogermanischen Haik (Armenier) können in etwaals „Zugeheiratete” ohne Sprach- oder Blutsverwandt-schaft mit der aus Asien stammenden, aus der asianidenSprachwelt kommenden, hurritisch-urartäischen Großfa-milie angesehen werden, während die Turkvölker mitjenen „prototürkischen” Völkern der hurritisch-urartäi-schen Welt die gleiche asiatische Erbmasse teilen. Für die spätere Entwicklung und das gemeinsame, fried-liche Zusammenleben so vieler Völker und Rassen aufdem Boden Anatoliens, vor allem in der Zeit des Osmani-schen Reiches, waren diese Tatsachen völlig belanglos;alle Völker des Osmanenreiches genossen das gleicheAnsehen, ja man fragte nicht einmal nach einer „völki-schen” Herkunft, weil die für die Sultane-Kalifen ohnejedwedes Interesse war.

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Erst die tragische Entwicklung im Zuge des Aufkommensder Nationalstaaten und der Nationalitätenfragen ließ dieFrage nach „rassischer Herkunft” und allenfalls darausgefolgerten „Ansprüchen” aufkommen. Das ist auch derGrund, warum ich diese Fragen gerne beantwortete, ohnedaraus irgendwelche Schlüsse auf Wertigkeiten zu zie-hen. Vor Gott sind alle Menschen gleich und das Gebotder Liebe und der Verständigung gilt heute mehr denn jezuvor, gerade im Angesicht des Terrors, der mit blinderWut Ansprüche durchsetzen will, die nicht bestehen.

*„Biai” ist die Selbstbezeichnung der Urartäer; „Urartu”kommt aus dem Assyrischen und wurde vor dem 10.Jahrhundert vor Christus noch „Uruartu”, später jedoch„Urartu” geschrieben. Der Name der Stadt Van dürfte vonder Selbstbezeichnung der Urartäer als „Biai” (Vi-á-i)kommen.

Der hurritisch-urartäische Wettergott Tescheba - Taschpoueaauf seinem Trägerstier; nach Tuschpuea hieß das alte Van„Tuschpa” -, ein signifikantes Zeichen für die ursprünglichenBesitzverhältnisse in Ostanatolien lange vor der Einwanderungkleinerer indogermanischer Armenierstämme im 6. Jahrhundertvor Christus.

Die - noch in assyrischer Sprache - mit den Zeichen der Keilschrift abge-faßte Gründungsinschrift der Urartäerburg Tuschpa -Van, in der KönigSardur I. seine Verdienste verewigt. Die gewaltigen Kalksteinblöcke in der alten Hafenzone der Urar-täerburg folgen der hurritischen Bautradition; der obere Block trägt dieGründungsinschrift.

Die Urartäer waren im Altertum weithin berühmt für ihre Kunstder Metallverarbeitung sowie ihre Pferdezucht.Kriegswagen des Gottes Haldi, 8. Jahrhundert vor Christus, urartäisch.

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Ein Weberknecht, in Beton gegossen, als Denkmal einer Geschichts-beugung im kalifornischen Montebello; zu Stein gewordene Unwahr-heit. Es ist das Mahnmal eines grausamen Mythos, des Mythos vomhäßlichen Türken. Hekatomben Unschuldiger wurden bereits auf die-sem Altar übersteigerten Nationalgefühls geopfert. Zweck der Ver-kündigung der Botschaft vom häßlichen Türken und des Befreiungs-krieges ist, so wie im 19. Jahrhundert, die Errichtung eines armeni-schen Nationalstaates auf einem Gebiet, wo die Armenier noch niemalsin der Geschichte über eine Mehrheit verfügt haben, in Anato-lien. DerMythos des Terrors armenischer Prägung verfügt selbstverständlich,wie jeder pervertierte Kult, über eigene, kanonische Schriften: Es sinddies die „Documents officiels concernant les Massacres Armeniens”,die Aram Andonian im Jahre 1920 herausgegeben hat, und FranzWerfeis „Vierzig Tage des Musa Dagh”, ein Roman, der ganz auf denvon Andonian veröffentlichten Dokumenten aufbaut. Fest steht aber,daß die „Documents officiels”, die nachweisen sollen, daß die osman-ische Regierung einen allgemeinen Mordbefehl gegen die Armeniererlassen habe, von A bis Z gefälscht sind - was heute nicht einmal mehrvon den Rädelsführern der armenischen antitürkischen Kampagnebestritten wird. Die Liturgie der armenischen Terroristen erschöpft sichin den litaneihaften, ständigen Wiederholungen falscher Opferzahlen,wobei es auf ein oder zwei Millionen noch nie angekommen ist, sowiein der Darbringung von Menschenopfern. Türkische Diplomaten fall-en diesen Opferhandlungen ebenso anheim wie Historiker, die gegendie Geschichtsbeugung ankämpfen, oder wohlhabende Armenier, diesich weigern, den Terroristen ihren Tribut zu zollen; der Terror trifftaber auch völlig Unbeteiligte, die zufällig in den Exekutionsbereicheiner armenischen Terrorgruppe geraten.

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Die zentrale Geschichtsverfälschung, um die sich dergesamte armenische Mythos des Terrors dreht, ist dieständig wiederholte Behauptung, die osmanische Regie-rung hätte eineinhalb Millionen Armenier umbringen las-sen. Hier, auf der Inschrift von Montebello in Kalifornien,gehen die Erbauer des Monuments sogar noch einenSchritt weiter und behaupten, der Genozid - also der Völ-kermord — sei „by the Turkish governement” (von der tür-kischen Regierung) angeordnet worden, obwohl es imJahre 1915 noch längst keine türkische Regierung gegebenhat. Der Zweck der Übung ist klar: es soll die moderneTürkei in Zusammenhang mit Dingen gebracht werden, die

auch schon für die Osmanen nicht zugetroffen haben.Tatsache ist, daß nach den Aufständen von Muш, und Vanim März des Jahres 1915, die Zehntausende moslemischeOpfer forderten und Bürgerkrieg bedeuteten, von derosmanischen Regierung ein Umsiedlungsbefehl erlassenwurde. Durch die kriegsbedingten Wirren an den Frontenund die ununterbrochenen Aufstände kamen viele Arme-nier um — allerdings betrugen die islamischen Verlustean Menschenleben ein Vielfaches. Niemand fragte bisheute nach dem Schicksal der Moslems, die den vonarmenischen Terroristen angezettelten Unruhen zumOpfer fielen.

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Aus dem „Boston Herald” vom 24. Oktober 1982:

Fünf Gesichter des TerrorsVier Armenier wurden in Los Angeles verhaftet. Vonlinks: Karnig Sarkissian, Dikran Berberian, Viken Hovse-pian und Viken Jakubian. Ein fünfter, der verdächtigtwird, diesem armenischen Terrorkommando anzugehö-ren, Stefan Johannes Dadalian, rechts, wurde vom FBI inBoston verhaftet.

Das Gotteshaus der „First Armenian Church” in Watertown,Mass., wo Vartan Hartunian als Prediger wirkt.

Diese jungen Menschen - in vielerlei Hinsicht gewiß völ-lig unschuldig in den Mordkreis geraten - wurden vonihren terroristischen Ausbildnern mit Hilfe des absurdenMythos vom Ausrottungsbefehl, den die osmanischeRegierung erteilt haben soll, zu Verbrechern erzogen. Dieeinzigen, die aus dieser Handlungsweise Profit ziehen,sind die Drahtzieher des armenischen Terrors. Sie führenmit freiwilligen - und noch mehr unfreiwilligen - Zuwen-dungen durch wohlhabende Armenier ein sorglosesLeben, während die von ihnen verführten armenischenTerroristen Kopf und Kragen riskieren, für einen absur-den Mythos.Eines der wichtigsten Anliegen bei allen Terrorakten undden darauffolgenden Berichten in den Zeitungen, imRundfunk und im Fernsehen ist, daß als Ursache des Ter-roraktes der Völkermord von 1915 erwähnt wird, ein Ziel,das stets erreicht wird und die Terroristen zu immer neuenGewalttaten anreizt, hier mit dem Zwischentitel „1915killings recalled” (Die Tötungen von 1915 in Erinnerunggerufen).

Im Jahre 1968 veröffentlichte Pastor Vartan Hartunianaus Watertown in der Nähe von Boston die Erinnerungenseines Vaters, Pastor Abraham H. Hartunian, in denen erseine Erlebnisse aus den Wirren der Kriegs- und Nach-kriegszeit schildert, zunächst die Türken verdammend,schließlich aber, vor der Einnahme Izmirs durch dieTruppen Kemal Atatürks, verflucht er die christlichenMächte und ihre Repräsentanten:

„Leid komme über dich, ungerechte Diplomatie!Schamlose, niedrige, hinterlistige Diplomatie!Die griechische Nation verriet ihre Leute und liefertesie an die Türken aus,damit sie von jenen erwürgt werden!Ich speie dich an, höllische Diplomatie!

Wie verrückt liefen wir durcheinander und sagten einan-dern: Jene niedrigen, mörderischen Moslem-Türkenbehandelten uns besser als diese europäischen Christen!Hätten wir das vorher gewußt, wir wären bei den Türkengeblieben!”Die Einsicht kam spät, die Einsicht, daß nicht die Türken,sondern die Griechen den Invasionskrieg von 1921begonnen hatten, mit all seinen tragischen Folgen, kamihm nie; Verständnis für das Verhalten der Türken, dievon ihren armenischen Mitbürgern mitten in den Wirrenund den Bedrohungen des Ersten Weltkrieges hinterrücksangegriffen worden waren und sich mit den Entente-mächten verbündeten, schon gar nicht.Abraham H. Hartunians Sohn, der einflußreiche arme-nisch-protestantische Prediger Vartan Hartunian von der„First Armenian Church”, kennt deshalb auch keinenarmenischen Terror, sondern bloß sogenannten Arme-nierterror.

„The Liberation of our Homeland” - die Befreiung unse-res Heimatlandes - ist mehr als eine todbringende, gän-gige Phrase, es ist die Lebenslüge der Drahtzieher des

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armenischen Terrors, weil die Armenier niemals in derGeschichte in Ostanatolien oder sonst wo auf dem Bodendes Osmanenreiches über eine Mehrheit verfügten; esgibt keinen einzigen Bezirk, ja keine einzige Stadt, die sieals „homeland” in diesem Sinne bezeichnen können. Der Besitzer der Tankstelle in Kalifornien, die er „AM”nennt, ist sicher, daß Ani den Türken zum Opfer gefallenist, wie der Besitzer des Wagens, der meint, Ahtamar seivon den Seldschuken den Armeniern abgenommen wor-den. In Wahrheit fielen alle die halb-unabhängigen arme-nischen Fürstentümer Anatoliens schon Generationen,mindestens aber Jahrzehnte vor den Türken den Byzanti-nern, Mamluken oder Kreuzrittern zum Opfer. Überallwaren die Türken von den Armeniern als Befreier vombyzantinischen Joch begrüßt worden; die türkisch-arme-nische Freundschaft hielt auch bis tief ins 19. Jahrhun-dert.

Ein bezeichnender Leserbrief in einer der zahllosen arme-nischen Wochenschriften in den Vereinigten Staaten:

„Die Befreiung unseres Heimatlandes

Am 12. März 1985 übernahmen drei armenischeFreiheitskämpfer die türkische Botschaft in Ottawa,Kanada, und hielten sie viereinhalb Stunden lang. ÜberTelephon gaben sie ihre Forderungen bekannt, dielauteten: die Türkei muß das armenische Land freigebenund den Völkermord an den Armeniern zugeben. DieMedien berichteten umfassend.Nichtsdestoweniger fahren die Medien fort, und das trotzder klar ausgesprochenen Forderungen, die Zielsetzungder armenischen Sache (zumindest teilweise) alsRacheakt darzustellen.Zwei Wochen darauf wurde die Drohung ausgesprochen,im Untergrundbahnsystem von Toronto würde eineBombe gelegt, wollte man die drei nicht sofort auf freienFuß setzen. Wieder reagierten die Medien mit umfassen-der Berichterstattung. Und wieder wurde das Ziel derarmenischen Sache falsch als Rache ausgedeutet. Wenn wir als Ziel unserer Aktivitäten die Anerkennungdes Völkermordes fordern, ist es ganz klar, daß dieÖffentlichkeit annimmt, wir suchen einfach Rache.Nichtsdestoweniger wird die öffentliche Meinung unsereSache nicht mehr als Racheakt ansehen, wenn wir klarund deutlich sagen, daß unser Hauptziel die Befreiungunseres Heimatlandes ist.Deshalb ist es unabdingbar für alle Armenier, seien sienun Lobbyisten im Kongreß, Straßendemonstranten,Freiheitskämpfer im Rahmen militärischer Aktionen oderWortführer in den Medien, daß unser Ziel die Befreiungdes von den Türken besetzten Armeniens ist sowie dieAnerkennung des Völkermordes durch die Türkei undnicht Rache.

Garen YeghparianAra Khanjian

Woodside, N. Y.”

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Die zentrale Geschichtsverfälschung, um die sich dergesamte armenische Mythos des Terrors dreht, ist dieständig wiederholte Behauptung, die osmanische Regie-rung hätte eineinhalb Millionen Armenier umbringen las-sen. Hier, auf der Inschrift von Montebello in Kalifor-nien, gehen die Erbauer des Monuments sogar noch einenSchritt weiter und behaupten, der Genozid - also der Völ-kermord - sei „by the Turkish governement” (von der tür-kischen Regierung) angeordnet worden, obwohl es imJahre 1915 noch längst keine türkische Regierunggegeben hat. Der Zweck der Übung ist klar: es soll diemoderne Türkei in Zusammenhang mit Dingen gebrachtwerden, die auch schon für die Osmanen nicht zugetrof-fen haben. Tatsache ist, daß nach den Aufständen vonMu§ und Van im März des Jahres 1915, die Zehntausendemoslemische Opfer forderten und Bürgerkrieg bedeu-teten, von der osmanischen Regierung ein Umsiedlungs-befehl erlassen wurde. Durch die kriegsbedingten Wirrenan den Fronten und die ununterbrochenen Aufständekamen viele Armenier um - allerdings betrugen die isla-mischen Verluste an Menschenleben ein Vielfaches. Nie-mand fragte bis heute nach dem Schicksal der Moslems,die den von armenischen Terroristen angezetteltenUnruhen zum Opfer fielen.

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Illustration aus Abraham H. Hartunians Buch „Neither ToLaugh nor To Weep” mit dem Untertitel Familie Hartunian im jähre1920 (von Familie Hartunian überlassen). Die Aussagekraftdieses Fotos steht in krassestem Widerspruch zu denErzählungen Abraham Hartunians über die Ereignisse undseine persönlichen Erlebnisse in jener Zeit.

Illustration aus Abraham H. Hartunians Buch „Neither To Laughnor To Weep” mit dem Bildtext Mutter und Kind (zur Verfügunggestellt von Harry S. Nakashian und John K. Garabedian). KeineSilbe wird in dem haßerfüllten Buch über die Leiden der islami-schen Bevölkerung verloren, die ein Vielfaches an Menschen-leben und Leid zu beklagen hatte; keine Silbe wird darüber ver-loren, daß der Bürgerkrieg von 1915 von armenischenTerrorkommandos begonnen worden war.

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Die Armenier und ihr sogenannter Terror

Erklärung von Rev. Vartan Hartunian, Watertown, Mass.;abgegeben am 12. 8. 1985. Wie reagieren Armenier auf den Terror? Was denkt einarmenischer Pastor über den armenischen Terror?„Was die sogenannten armenischen Terroristen und dieAnschläge auf türkische Diplomaten betrifft, kann ich nursagen, daß wir das aus Vernunftgründen verurteilen.Armenier stimmen darin überein, daß es für solche Tatenkeine Zustimmung gibt und daß man ihnen energisch ent-gegentreten sollte . . . und das ist unser Vernunft-standpunkt; aber in der Seele des Armeniers gibt es aucheinen tiefen Schmerz, seit 70 Jahren. Dieser Schmerzkommt nicht nur von den schrecklichen Taten der Türken,die schließlich zum Völkermord führten, sondern auchvon der amtlichen Leugnung dieses Tatbestandes. Imganzen Zusammenhang dieses Schmerzes gibt es imHerzen der Armenier eine Art Gerechtigkeitssinn, einenirrationalen Gerechtigkeitssinn, der befriedigt zu seinscheint, wenn solche Attentate stattfinden . . .”Offenbar ist es nicht Terror, sondern bloß sogenannterTerror, so lange andere Menschen umgebracht werden.

Die vorgeschriebene „Offenbarungstafel” vor der Kirche deseinflußreichen Predigers Vartan Hartunian, der nur vomsogenannten armenischen Terror spricht.

Die Eroberung und Zerstörung von Ani „durch die Türken”gehört zu den Basislegenden armenischer Terroristen und ihrergeistigen Motivation. In Wahrheit wurde das armenische Für-stenrum Ani Jahrzehnte vor dem Einfall der Seldschuken vonden Byzantinern okkupiert und später durch Erdbeben zerstört.

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„. . . und im siebenten Monat, am siebzehnten Tage desMonats, ruhte die Arche auf den Bergen von Ararat”,erzählt die Bibel. „Gehe aus der Arche, du und mit dirdeine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne.Alles Lebende von allen Wesen, die bei dir sind, Vögelund Vieh und alles Gewürm, das auf dem Boden kriecht,laß mit dir herausgehen, damit sie wimmeln auf der Erde,fruchtbar sind und sich mehren auf der Erde.” Die frühen armenischen Chronisten wie Moses von Kho-ren oder Thomas Ardsruni und andere schrieben, dasarmenische Volk stamme von Noach ab, dessen Arche jaam Ararat gelandet sei; im heiligen Eifer scheint mandabei übersehen zu haben, daß - wenn überhaupt jemandvon Noach kommt - alle Menschen in gleicher Weise vonihm abstammen müssen.Manche Länder leiten ihre Namen von ihren Bewohnernab; Frankreich, England, Deutschland oder die Türkeibezeichnen Gegenden, in denen Franzosen, Engländer,Deutsche oder Türken zu Hause sind. Ländernamen wieAmerika, Bolivien oder Ecuador bezeichnen eine geogra-phische Zone, ohne auf den Ursprung der Menschen dorteinzugehen.Im Altertum gab es in Anatolien zahlreiche Provinzna-men, die gleichzeitig für die Bewohner dieser Regionengalten, wie etwa Paphlagonien, Pamphylien oder Kappa-dokien; die Bewohner einer solchen Provinz gehörten

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Armenien: Mythos und geschichtliche Wirklichkeit

keineswegs einem einheitlichen Stamm an, aber manbenannte sie nach der gemeinsamen Wohnlandschaft.Wie bei zahllosen anderen Landschaftsnamen auch kenn-zeichnete der Name „Armenien” eine geographischeZone, kein Volk. Die Armenier nennen sich selber in ihrerSprache „Haik” und geben schon dadurch zu erkennen,daß die Landschaft Armenien keineswegs ihr Ursprungs-land ist.Woher die „Haik” (sing. „Hai”) kommen, ist nicht genaubekannt. Alles deutet darauf hin, daß sie aus dem Westeneinwanderten und sich in kleinen Gruppen schließlichöstlich des Euphrat niederließen. Die Sprache der Arme-nier ist im wesentlichen indoeuropäisch, hat sich abernach der Einwanderung mit nicht-arischen, anatolischenSprachen vermischt.Manche Gelehrte (wie J. Karst, Die vorgeschichtlichenMittelmeervölker) meinen, daß armenoide Stämme einstan der nördlichen Ägäis, im nördlichen Thessalien unddem anschließenden Illyrien - also auf dem Balkan -beheimatet waren. Nach ähnlicher Ansicht wären dieArmenier Abkömmlinge phrygisch-thrakischer Stämme,die infolge illyrischen Drucks nach Osten abwanderten.Obwohl es so gut wie sicher ist, daß die Armenierursprünglich auf dem Balkan oder in Thessalien wohnten,ist die Zeit ihrer Einwanderung nach Anatolien nichtgenau feststellbar; an ihrem Herkunftsort hinterließen sieZu beiden Seiten eines tief eingeschnittenen Canons im Süden

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von Van, an der Grenze zu Hakkari, befinden sich die Höhlen vonYedisalkrm, knapp 80 m oberhalb des Talbodens. Die Fels-zeichnungen sind größtenteils mit dunkelroter oder brauner Farbeausgeführt. Bilder von Göttern, Göttinnen mit unverhältnismäßiggroßem Geschlechtsteil, tanzende menschliche Figuren, Sonnen-und Wildmotive und Jagdszenen mit inzwischen ausgestorbenenTierarten herrschen vor. Eine Darstellung der Muttergottheit, dieauf einem Tier steht, repräsentiert die älteste bekannte Zeichnungeiner „Herrscherin der Tierwelt” in Anato-lien überhaupt.

keine Spuren, die Zeit der anatolischen Einwanderungliegt sicher nicht vor dem 6. Jahrhundert vor Christus.Am Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus (401 bis 400)erzählt Xenophon in seiner „Anabasis” von den Arme-niern im Zusammenhang mit anderen anatolischen Stäm-men.Die erste Erwähnung der Armenier überhaupt findet sichin der dreisprachigen (iranisch, babylonisch und elami-tisch) Inschrift von Behistun, Westiran, in der der Perser-könig Darius (485 vor Christus) Armenien als eine seinerSatrapien aufzählt. Diese Erwähnung hat geradezu sym-bolischen Charakter, brachten es doch die armenischenGemeinschaften so gut wie nie in ihrer Geschichte überden Status von Satrapien oder bestenfalls halb-unabhän-gigen Fürstentümern hinaus.

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Bisutun (Behistun): Das Aquarell Sir Robert Ker Porters ausdem Jahre 1818 zeigt den Felsberg mit der Königsinschrift desDarius in Westpersien.

Bisutun (Behistun): Darstellung des Gottes Ahura Mazda auf derFelswand mit der dreisprachigen Königsinschrift des Darius.Unterhalb des Basreliefs sind die Repräsentanten der tributpflich-tigen Stämme zu sehen, darunter auch ein Armenier.

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Die prähistorischen Kulturen Ostanatoliens -ein Schlüssel zum Verständnis der Geschichte Anatoliens

Sensationell war die Entdeckung zahlloser Felsbilder inden vergangenen Jahren. Die ostanatolischen Felsbilderzeigten die frühgeschichtliche Entwicklung dieserRegion plötzlich in einem völlig neuen Licht. DieDarstellungen von Göttern, Adoranten, Wild und Jägernsind zum Teil 15.000 Jahre alt.Die Felszeichnungen Ostanatoliens kommen hauptsäch-lich in vier Landkreisen vor: um Malatya-Adiaman, beiKars, in der Gegend um Van sowie in den Bergen vonHakkariDr. Oktay Belli, Mitglied der Türkischen HistorischenGesellschaft (Türk Tarih Kurumu), entdeckte die Fels-zeichnungen der Van-Region, die in der Zeit zwischen15.000 und 7000 vor Christus entstanden sind. In der

Thrakische Landschaft unweit von Edirne.Wahrscheinlich stammen die Armenier, die zwischen dem 6.und 4. Jahrhundert vor Christus in Anatolien einwanderten, ausdem Balkangebiet, vielleicht aus Thrakien. Die indogermanis-chen Armenier hinterließen allerdings an ihrem Herkunftsortkeinerlei bis heute erfaßbare Spuren; möglicherweise wird dieintensive Forschungstätigkeit der Archäologen in Südosteuropain absehbarer Zeit Antwort auf die Frage nach der Herkunftsge-gend der Armenier geben können.

Von seiner geopolitischen Lage her ist Ostanatolien eineSchlüsselregion der Weltgeschichte. Im Süden liegtMesopotamien (die Wasser des Zweistromlandes,Euphrat und Tigris, entspringen in OstanatoliensBergen!), im Osten der Iran, im Norden der Kaukasusund im Westen Zentralana tolien. Folge dieser einmaligenLage ist, daß seine eigenen, erst in jüngster Zeit enträtsel-ten Kulturen wie jene der Urartäer und ihrer Vorläufer,der Hurriter, in engster Beziehung zu den sie umgeben-den Kulturen Mesopotamiens oder des Iran oderZentralanatoliens standen.Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus wußte manüber die prähistorische Besiedlung Ostanatoliens so gutwie nichts. Als in Westeuropa uralte Höhlenmalereienentdeckt wurden, schien es, als handle es sich dabei umdie ältesten Zeugnisse der Kunst der Menschheit über-haupt; dann wurden Höhlenzeichnungen in den SteppenAsiens und in Afrika entdeckt. Erst vor kurzem entdeck-ten türkische Altertumsforscher Zeugnisse ältester, dich-ter Besiedlung Ostanatoliens. Das Hochland von Ostana-tolien wies alle Voraussetzungen für die Jäger und Samm-ler jener Zeit auf: dichte Wälder, überreiche Wildbe-stände, Wasser.

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Die Zeichnungen stammen von prototürkischen Stämmen, die vorTausenden Jahren in Ostanatolien lebten. Türkische Noma-denstämme beherrschen noch immer das Bild der BergregionenOstanatoliens (das untere Foto zeigt Felszeichnungen aus derKurbanaga-Höhle unweit von Camiшli, Bezirk Kars).

Gegend von Yedisalkim, in den Hakkari-Bergen, findensich in den Höhlen hoch oberhalb der Talböden auch Göt-terbilder prähistorischer Herkunft.Über die Menschen, die jene Kunstwerke schufen, gibt esheute eindeutige Hinweise. Denn ähnliche Felszeichnun-gen wurden in Ost-Aserbaidschan, in Kohistan, in derAltai-Region sowie in Sibirien gefunden. Die Dichte desVorkommens dieser Felszeichnungen weist eindeutigdarauf hin, daß sie prototürkischen Ursprungs sind; dieMenschen, die diese Zeichnungen ausführten, gehörtenzu frühen türkischen nomadischen und halbnomadischenStammesverbänden. Ähnlich verhält es sich mit den stili-sierten Zeichnungen aus dem Gevaruk-Tal (Hakkari) andauf dem Plateau von Tirschin.Die Felszeichnungen aus Gevaruk und Tirschin sind inso-ferne von besonderer Bedeutung, als sie große Ähnlich-keit mit den Zeichnungen und Zeichen der Cunni-Höhlebei Erzurum und auf den Steinblöcken des Zeustempelsvon Aizani (Чavdarhisar, bei Kütahya) aufweisen; siestammen von alttürkischen Familienverbänden jenerGegend.Die jüngsten Entdeckungen machen augenfällig, daßschon in prähistorischer Zeit ein Zusammenhang zwi-schen Ostanatolien und den künstlerischen und kulturel-len Zentren der Steppen Aserbaidschans und Sibirienssowie der Bergregionen des Altai, der Heimat der Turk-völker, bestand. Seit prähistorischen Tagen besteht bis indie jüngste Zeit eine lebendige Verbindung wandernderund halb-nomadischer türkischer und prototürkischerStämme zwischen Innerasien und Anatolien. Asien ist die Heimat der Yurte. „Yurt” ist ein türkischesWort und bedeutet gleichzeitig so viel wie Zelt und Hei-mat.Yurtenähnliche „Bienenkorbhäuser” in Anatolien sindeine Schöpfung der Hurriter, Vorläufern der Urartäer,deren Bereich zwischen Kaukasus, Urmiasee und derGegend um Malatya-Elazig lag. Dieser Kulturzone wur-den verschiedene lokale Namen gegeben, wie Kura-Aras-Kultur oder Karaz-Kultur; Träger dieser Kultur gehörtenin den Kreis der ural-altaiischen Völkerfamilie, zu derauch die Türken zählen. Die Frühe Hurritische Kultur wieauch die Hurritische Kultur bildeten die Grundlage fürdas darauffolgende Urartäische Reich. Ein charakteristi-scher Zug der hurritischen Kultur war das Rundhaus -ähnlich den Rundzelten der halbnomadischen Hurriter.Rundhäuser hurritischen Typs gibt es heute noch in derGegend von Urfa und Haran. Die späteren türkischenKuppelbauten der osmanischen Zeit wirken wie eine logi-sche Weiterentwicklung der Yurte und des Bienenkorb-hauses. Daß die Osmanen die von den Römern und Grie-chen entwickelte Technik des Großkuppelbaues mit sol-cher Begeisterung übernahmen und weiterbildeten, hängtsicher mit der althergebrachten Vorliebe der Turkvölkerfür Rundhäuser und Yurten zusammen.Ostanatolische Landschaft oberhalb des Vansees: in urartäisch-er Zeit bedeckten noch dichte Wälder diese Höhen, die schonfrüh abgeholzt wurden.

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Eine Yurte der Yörüken in Zentralanatolien. - Bienenkorbhäuserin Südanatolien (Haran). - Die Vorliebe der Osmanen für Kup-pelbauten entwickelte sich folgerichtig aus dem Leben inYurten und Rundhäusern.

Prototürkische Felszeichnungen aus Camышlы.

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Keilschrift vom Burgfelsen von Van, aus dem 8. Jahrhundertvor Christus. Die Hauptstadt des Reiches Urartu trug denNamen Tuschpa, nach einer den Hurritern und Urartäerngemeinsamen Gottheit Tischeba. Gründer des Reiches vonUrartu war König Sardur I. (840-830 vor Christus), ererrichtete auch die Burg von Van - damals Tuschpa. Der Name„Ararat”, der von den Hebräern erwähnt wird, ist Urarat in denQumran-Texten, ist Urartu im Assyrischen. Die Urartäer nan-nten sich selbst Biainili - von diesem Wort leitet sich derOrtsname „Van” ab. (Blick vom urartäi-schen Burgfelsen aufdie von den Armeniern im Jahre 1915 zerstörte osmanischeAltstadt von Van.)

Anatolien hat schon viele Herren gesehen: hethitische Vorherr-schaft im Zeichen des Doppeladlers, Perser, Alexander denGroßen, Griechen, Römer, Byzantiner, Araber, Mamluken undschließlich Seldschuken und Osmanen. Sie alle herrschten überdie historische Landschaft „Armenien” in Ostanatolien, eineLandschaft, deren Name nichts mit dem Anspruch derArmenier (die sich selbst Haik nennen und wahrscheinlich vomBalkan stammen) zu tun hat, zumal die Haik dort niemals übereine Mehrheit verfügten.

Eine Königsinschrift von der Burg Van, Ostanatolien. Seit kur-zem ist die urartäische Schrift weitgehend entziffert. Es stehtnun eindeutig fest, daß Urartäisch als Sprache asiatischenUrsprungs klassifiziert werden muß; sie gehört, wie dasTürkische, zu den agglutinierenden Sprachen. Sprachforschersind der Ansicht, daß die Hurriter aus den Steppen undGebirgen Zentralasiens nach Anatolien kamen - wie dieUrartäer, die sich um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. vonden Hurritern trennten. Es steht heute eindeutig fest, daß dasHurritische wie das Urartäische mit der indoeuropäischarmenischen Sprache nichts zu tun hat -außer, daß nach derarmenischen Einwanderung gewisse Elemente des Urartäis-chen aufgesetzt wurden. Armenisch gehört zur Satem-Gruppeder indoeuropäischen Sprachen, wohingegen das Urartäischeauch noch durch seine Eigenheit, durch das Anhängen vonSuffixen an eine vorgegebene Wurzel neue Wörter zu bilden,Ähnlichkeiten mit den ural-altaiischen Sprachen aufweist.

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Der Glorreiche Koran, Sure II/63:All denen - seien es Gläubige, Juden, Christen oderSabäer - wenn sie nur an Gott glauben, an den JüngstenTag, und das Rechte tun, wird einst Lohn von ihremHerrn, und weder Furcht noch Traurigkeit wird über siekommen.

Das Bild zeigt die Religionsgemeinschaft der Sabäer bei einerTaufe am Tigris; der Koran erwähnt die Sabäer gleich viermal.Als „Schriftbesitzer” gelten Mohammed auch die Juden undChristen, die vom Islam auch stets als solche respektiert wurden.

Nach der Eroberung Ostanatoliens durch die Araber wurden dieKalifen von Damaskus Herren der Armenier. Bild: Die Omaija-denmoschee von Damaskus.

Die „Teufelsanbeter”, die in den Bergen von Ostanatolien undim irakischen Zagrosgebirge ihre Kultstätten haben, gehörten zuden merkwürdigsten Religionsgemeinschaften des Osmanenrei-ches; ihr stark mit schamanistischen Elementen untersetzterKult setzt sich aus zoroastrischen, christlichen, jüdischen undislamischen Bestandteilen zusammen. Obwohl sie im Sinne desKorans kaum „Schriftbesitzer” genannt werden konnten,bewahrten auch sie ihre Eigenart über alle Wirrnisse hinweg.

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In den gewaltigen Herrschaftsbereich der Osmanenkalifengehörte nicht nur die sunnitische Mehrheit der Reichsbevölke-rung, sondern auch eine zahlenmäßig wohl weit weniger starke,auf Grund ihrer Strukturen und geheimen Verbindungen undVerzweigungen aber doch sehr einflußreiche schiitische Minder-heit. Das Bild zeigt den Scheich der schiitischen Sekte der Sche-bek aus der Gegend um Mossul, damals eines der wichtigstenZentren osmanischer Machtausübung im Zweistromland.

Seine Heiligkeit, der Patriarch Mar Addai II. der „Kirche desOstens” (Nestorianer) in Bagdad.

Ein junger Sabäer aus Bagdad; Mohammed erwähnt die Sabäerausdrücklich im Koran als „Schriftbesitzer” wie Juden undChristen.

Die nestorianischen Christen (die den Beschluß des Konzilsvon Ephesos, Maria „Gottesmutter” zu nennen, nicht anerkan-nten) wären von der byzantinischen Staatsmacht und dergriechischorthodoxen Kirche völlig aufgerieben worden, hättensie nicht bei den zoroastrischen Persern und später bei denomaijadischen, abbasidischen und osmanischen Kalifen Schutzund Zuflucht gefunden. Die Katastrophe brach über sie erstherein, als sie während des Ersten Weltkrieges mit den Russenähnlich gemeinsame Sache machten wie die Armenier und denTürken in den Rücken fielen. Sie mußten sich aus den Bergenvon Hakkari zurückziehen; die Mehrheit, ungefähr 40000nestorianische Christen (sie nennen sich selber „Kirche desOstens”), lebt heute im Irak.

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Jahrhundertelang herrschten die abbasidischen Kalifen, die inBagdad oder Samarra residierten, über die christlichenArmenier Ostanatoliens.

Vankale (die Burg von Van auf ihrem charakteristischen Felsen),die Seelandschaft des urartäischen Herzlandes und die Vanebenevon den unteren Hängen des Susan-Daь, einer der späterenFluchtburgen der Urartäer, gesehen.

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Kaiser Romanos IV. Diogenes (1068 bis 71), einemtüchtigen und umsichtigen Feldherrn, fiel die fataleAufgabe zu, die in übertriebenem Expansionsbestrebenbegangenen Fehler des Bulgarentöters und des„Monomachos” Konstantin auszugleichen . . . und erscheiterte daran. Überall im Osten des ByzantinischenReiches begrüßte die der ewigen Steuerbelastung und deswiderwärtigen religiösen Drucks müde Bevölkerung dietürkischen Seldschuken als kleineres Übel - wenn nichtgar als Befreier. Bei Mantzikert (Malazgirt), wenigeWegstunden nördlich des Vansees, endete die Entschei-dungsschlacht zwischen Seldschuken und Byzantinernmit einer vernichtenden, völligen Niederlage des Roman-os Diogenes, der - es war das erste Mal in der Geschichtevon Byzanz - als Kaiser in Gefangenschaft gehen mußte.Der ritterliche Sieger, Alp Arslan, schloß mit RomanosIV. Diogenes einen Vertrag, doch den Kaiser ereilte,kaum nach Konstantinopel zurückgekehrt, ein typischesSchicksal, das die Politik der Byzantiner sprichwörtlichwerden ließ: die verräterische Gegenpartei ließ ihm trotzschriftlichem, von der Kirche gegengezeichnetemGarantieschreiben mit glühenden Eisen die Augen aus-brennen. „Erst dieses ungeheuerliche Nachspiel machte dieNiederlage von Mantzikert zu einer wahrenKatastrophe”, schreibt Georg Ostrogorsky über jenesEreignis, denn der zwischen Alp Arslan und KaiserRomanos IV. geschlossene Vertrag war nun hinfälliggeworden. Der Weg für die türkischen Seldschuken lag offen - schonzwei Jahre später war Konia (Zentralanatolien!) Haupt-stadt des rumseldschukischen Reiches . . . und diegeschäftstüchtigen armenischen Händler und die nichtminder tüchtigen armenischen Handwerker folgten schon

ihren neuen Herren auf dem Fuße, betrieben Handel undwebten Teppiche und erfreuten sich einer religiösen undbürgerlichen Freiheit wie nie zuvor.Der alles verheerende Mongolensturm machte zweiGenerationen später dem aufblühenden Rumseldschu-kenreich ein jähes Ende. Im Jahre 1236 verwüsteten dieMongolen das blühende Ani, - und keineswegs die türki-schen Seldschuken, die unter dem Mongolensturm genauso litten wie alle anderen Volksgruppen Ost- und Mittel-ana toliens.In einer „offiziellen Publikation” des „Katholikosats vonKilikien”, im Libanon herausgebracht, heißt es: „Im Jahre1065, als das Armenische Königreich gleichzeitig mit derZerstörung seiner Hauptstadt Ani durch die Seldschukenim Jahre 1065 unterging . . .”: kein Wunder, daß zahlloseArmenier, die die Publikationen ihrer Kirchen gutgläubiglesen, die Wahrheit über den Zusammenbruch der letzten,halbunabhängigen armenischen Fürstentümer inOstanatolien, der Jahrzehnte vor der Ankunft der Sel-dschuken eintrat, nicht kennen . . .

Bild oben:Blick von der osmanischen Festung Hoschap-Güzelsu, die alsGrenzbefestigung nach Osten gegen die Perser diente.

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Seldschuken, Mongolensturm und Osmanen

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Die gewaltige Burg von Hoschap bildete einen osmanischenSperriegel gegen die stets angriffsbereiten Perser. Hoschap ruhtauf urartäischem Fundament.

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Symbole der Machtausübung nach dem Zusammenbruch der let-zten, halbunabhängigen armenischen Fürstentümer, derByzantiner und der Seldschuken: ein mongolisches Wappenzei-chen sowie das Sinnbild der türkischen Herrschaft, der „Schwar-zen Hammel” (13. und 14. Jahrhundert nach Christus). ZumSchaden aller hat der extreme Nationalismus der armenischenFührungsschicht ein weiteres Zusammenleben dieses Volkes mitden anderen Völkern und Stämmen Ostanatoliens verhindert.

„Der Löwe von Patnos”, Bronze, urartäisch, frühes 8. Jahrhun-dert vor Christus. (Alle Objekte aus dem Museum in Van.)

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Das Schlachtfeld von Malazgirt, nördlich des Vansees: Hiervernichtete ein seldschukisches Reiterheer unter der Führungvon Alp Arslan im Jahre 1071 die byzantinische Armee undnahm Kaiser Romanos IV. Diogenes gefangen. Den Türkenstand der Weg nach Anatolien offen, auch dank der Tatsache,daß die Byzantiner die armenischen Puffer-Fürstentümer längstunterworfen hatten.

Ein Gotteshaus der armenisch-orthodoxen Gemeinde von Kay-seri, dem römischen Caesarea in Zentralanatolien. Hier wurdeder junge Parther Gregor zum Christentum bekehrt, der als„Gregor der Erleuchter” und Bekehrer des armenischen Volkesin die Geschichte einging.

Der seldschukische Friedhof von Ahlat am Vansee, ein Symbolder friedlichen Zusammenarbeit zwischen den seldschukischenEroberern und den Haik, die endlich die byzantinische Herrschaft,die ständige religiöse Verfolgung bedeutet hatte, losgewordenwaren.

Für den Kunsthistoriker ist es schwierig, ja mitunter unmöglich,die wechselseitigen Einflüsse von iranischer, türkischer, byzanti-nischer oder arabischer Kunst zu analysieren. Fest steht, daß das Reich der Kalifen, die in Kairo, in Damaskusoder Bagdad residierten, unter sehr starkem mamlukischem - alsotürkischem - Einfluß stand. Fest steht auch, daß gerade das fried-liche Zusammenleben von Türken und Armeniern herrlicheErgebnisse zeitigte.

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Juden im Osmanenreich

Bericht des Botschafters Ihrer Majestät aus Istanbul nachLondon:

No. 350Sir A. H. Layard an den Marquis von Salisbury

No. 148Konstantinopel, 13. April 1880 (In London eingelangt am23. April 1880)

My Lord,ich beehre mich, mit gleicher Post Eurer Lordschaft einenBericht über das Vilayet Angora (Ankara) zu überreichen,den Herr Vizekonsul Gatheral verfaßt hat und den ichvom Generalkonsul Wilson erhielt, der gleichzeitig vor-schlägt, Gatherals Brief drucken zu lassen. Schlußformel A. H. Layard. (m. p.)

F. O. 424/106, p. 306, No. 151 Türkei No. 23 (1880) p. 121, No. 72

Beilage zu No. 350Bericht über die Bevölkerung, Industrien, Gewerbe, Han-del, Landwirtschaft, Öffentliche Arbeiten, Instandhaltungund Regierung der Stadt und Provinz von Angora,Anatolien; von Vizekonsul Gatheral, Auszug. Die Bevölkerung dieser Stadt und Provinz ist gering(hundert Jahre später sollte Ankara an die zwei MillionenEinwohner haben . . .), besonders angesichts der Weiteund Fruchtbarkeit dieses Landstrichs. In den vergangenenfünf Jahren hat die Bevölkerungszahl ständig abgenom-men, weil während der Hungersnot von 1873 bis 74 vieleabwanderten und die Einberufungen für den Krieg von1877 bis 78 auch stark ins Gewicht fielen. Die Erzeugnis-se der Provinz Angora konnten in den vergangenen dreiJahren von den christlichen Händlern auch nicht gut ab-gesetzt werden, was ein weiterer Grund für die Abwande-rung nach Konstantinopel und andere Teile Anatolienswar.Eine türkische Volkszählung nimmt auf Frauen oder Kin-der männlichen Geschlechts unter 15 Jahren keine Rück-sicht und listet ausschließlich die Moslems auf, die mili-tärdienstpflichtig sind, während sie bei den Christen dieZahl jener nennt, die eine Militärdienst-Ersatzsteuer zah-len. Die letzte Volkszählung fand 1877 statt und ihreGesamtzahl betrug 449.242 Menschen. Diese Zahl mit dreimultipliziert (das ist das Verfahren des Red-house, desprotestantischen Presse- und Missionshauses in Istanbul)ergibt eine Gesamtsumme von 1,347.726 Seelen. Sie teilensich auf folgende Gemeinschaften auf: Moslems, Grego-

rianische (orthodoxe) Armenier, Katholische Armenier,Protestantische Armenier, Griechen, Juden und Zigeuner.Nach dem gleichen Verfahren ergibt das folgendeZahlen:Moslems, wehrdienstpflichtig 393.074Moslemische Gesamtbevölkerung 1,179.222Christliche Militärdienst-ErsatzsteuerzahlerGregorianische Armenier 33.445Römisch-katholische Armenier 3.985Protestantische Armenier 660Juden 280Zigeuner 262Gesamtzahl der Nicht-Moslems 168.501Gesamtzahl der Männer 449.241Gesamtbevölkerung in Vilayet Angora 2.229.570

Die verschiedenen Rassen haben so verschiedeneUrsprünge wie ihre Glaubensbekenntnisse. Die Moslemsstammen größtenteils von jenen Kämpfern ab, die dasVilayet Angora von den Byzantinern eroberten, A. D.1344 bis 45, unter Sultan Murad, der damals in Bursaregierte.Die Armenier sind das Ergebnis einer Einwanderung ausdem Osten während des 15. Jahrhunderts; in jüngster Zeitwurden sie in Römische Katholiken und Protestantenunterteilt; die führenden katholischen Familien wurdenim Jahre 1830 von Sultan Mahmud aus Istanbul ausgesie-delt; ihr Reichtum, ihre Intelligenz und ihre Handelsbe-ziehungen mit Europa trugen viel zum Wohlstand derStadt bei; später hatte eine energische Jesuitenpropa-ganda, von Rom aus geleitet, beträchtlichen Erfolg, dochnachher verloren sie ihre Expansionskraft, weil sie sich inAltkatholiken und Katholiken aufspalteten, wie inEuropa; das Schisma wurde inzwischen wohl nach außenhin beigelegt, aber die ränkesüchtigen Gefühle zueinan-der blieben bestehen. Sie scheinen auch keinen Erfolgmehr bei ihrer Proselytenmacherei zu haben. DieProtestanten sind das Ergebnis der amerikanischenMissionsanstrengungen während der vergangenen zwan-zig Jahre. Sie sind zwar immer noch gering an Zahl, aberals Gemeinschaft sind sie besser ausgebildet, ehrlicherund anständiger als irgendeine der anderen christlichenSekten und sie nehmen rapide an Zahl und Einfluß zu.Die orthodoxen oder gregorianischen Armenier sind, alsGemeinde, unwissend, abergläubisch und arm, aber zahl-reicher als alle anderen Unterteilungen. Die kleine jüdis-che Gemeinde hier ist fast durchwegs blondhaarig undspricht ein verkommenes Spanisch; sie ist offensichtlichiberischen Ursprungs, während der Ursprung der weni-gen nomadischen Zigeunerstämme, die kommen undgehen so wie in Europa, auch in Anatolien ein großesGeheimnis bleibt.(Der Rest des Briefes beschäftigt sich mit interessanten,aber im Zusammenhang mit dem Problemkreis diesesBuches weniger relevanten Einzelheiten aus der ProvinzAnkara.)

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„Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegsblondhaarig und spricht ein verkommenes Spanisch; sieist offensichtlich iberischen Ursprungs . . .”, berichteteder britische Vizekonsul Gatheral an seinen Botschafterin Istanbul, der sich beeilte, die präzisen AufzeichnungenGatherals über das Vilayet Angora (Ankara) sofort an sei-nen Außenminister in London weiterzuleiten. Die blondhaarige Judengemeinde mit ihrem „bastardSpa-nish” war tatsächlich iberischen Ursprungs. Diekatholischen Könige hatten ja nicht nur mit Arabern undallen Moslems auf der Iberischen Halbinsel radikalaufgeräumt, sondern schließlich auch eine Endlösung mitden Juden des christlichen Königreiches ins Auge gefaßt.Seit 1412 hatten Juden entwürdigende Abzeichen an ihrerKleidung zu tragen, seit 1480 verfolgte sie die Inquisitionmit Todfeindschaft; der Großinquisitor setzte schließlichdie Enteignung und Ausweisung von 300.000 Judendurch. Sie fanden in Marokko, vor allem aber imOsmanischen Reich Zuflucht; der Sultan schickte ihnensogar seine eigenen Schiffe, um ihnen rascher zu helfen.Ähnlich großzügig kam die türkische Regierung denjüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und den vonHitler beherrschten Ländern entgegen und gewährteZehntausenden Asyl.

29. Mai 1453: Osmanische Truppen erobern unter Führung vonSultan Mechmed II. die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches -Konstantinopel - das „zweite Rom”. Der osmanische Sultan ret-tete im Jahre 1492 zehntausenden spanischen Juden das Leben:als die Inquisition an die Auslöschung der Juden ging, nahm derSultan die sephardischen „Hispaniolen” im Osmanenreich auf. „Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs blond-

haarig . . .”

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Das griechisch-orthodoxePatriarchat

Vor der Eroberung von Byzanz durch Sultan MechmedFatih im Jahre 1453 war der Herrschaftsbereich des grie-chisch-orthodoxen Patriarchen auf das Stadtgebiet vonKonstantinopel zusammengeschrumpft. Das änderte sich schlagartig, als Konstantinopel-Istanbulnach dem 29. Mai 1453 Hauptstadt des OsmanischenReiches wurde. Wohl mußte der Patriarch die Kirche derHagia Sophia räumen - sie wurde in eine Moschee umge-wandelt -, doch der Machtbereich und die Machtfülle desgriechisch-orthodoxen Patriarchen erreichte unter denosmanischen Sultanen Ausmaße, wie er sie nie zur Zeitder byzantinischen Kaiser gehabt hatte. Der griechisch-orthodoxe Patriarch regierte wie ein nationaler Königüber alle griechisch-orthodoxen Bürger des osmanischenWeltreiches; die Griechen des „Phanar”, des Stadtviertelsvon Istanbul, in dem sich bis heute das griechisch-ortho-doxe Patriarchat befindet, gehörten, so wie die nicht min-der tüchtigen Armenier, zu den angesehensten,wohlhabendsten und einflußreichsten Bürgern desOsmanischen Reiches.Eine tragische Entwicklung setzte erst ein, als das König-reich Griechenland und vor allem die Regierung Venize-los nach dem Ersten Weltkrieg versuchte, den Traum voneinem „Griechischen Großreich” zu verwirklichen. ImMai 1919 besetzten die Griechen Izmir (Smyrna) undstießen mit ihren Invasionstruppen nach Zentralanatolienvor, immer in der Hoffnung, das in sich zusammenbre-chende Osmanenreich als leichte Beute zu gewinnen. Der Widerstand der Türken unter Kemal Atatürk undIsmet Inönü machte aber den hochfliegenden Plänen derGriechen im Jahre 1922 ein Ende. Die Invasionsarmeemußte Kleinasien schimpflich räumen; vor der Flucht set-zten die Verlierer noch Izmir-Smyrna in Brand, um deneinrückenden Türken nur „verbrannte Erde” zu hinterlas-sen. Die Armenier Izmirs - die 1915 nicht umgesiedeltworden waren, hatten die Toleranz der Türken schlechtgelohnt . . .Nach dem Zusammenbruch der griechischen Offensivewurde ein Bevölkerungsaustausch vereinbart; KleinasiensGriechen übersiedelten nach Griechenland, Griechen-lands Türken nach Anatolien und Thrakien. Dieser Bevöl-kerungsaustausch schwächte naturgemäß die Stellung desökumenischen Patriarchats in Istanbul. Nach dem Putschder griechischen Militärjunta im Jahre 1974 verließenabermals viele Griechen Istanbul, so daß die Bedeutungdes griechisch-orthodoxen Patriarchats (und das auss-chließlich durch die rücksichtslose ExpansionspolitikAthens) heute stark geschmälert ist, wenngleich dasAnsehen von Persönlichkeiten wie Patriarch Athenagorasoder Patriarch Demetrios unabhängig von der Tagespoli-tik oder äußeren Einflüssen uneingeschränkt fortbesteht.

Die Kirche der Göttlichen Weisheit - Aghia Sophia; von Mechmeddem Eroberer in eine Moschee, von Kemal Atatürk in ein Museumumgewandelt; Seine Heiligkeit Patriarch Demetrios; die griechisch-orthodoxe Kirche am Taksim (erbaut im 19. Jahrhundert); imVordergrund das von dem Italiener Canonica im Jahre 1928 geschaf-fene Denkmal der Republik.

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Liebevoll nannten sie die osmanischen Sultane-Kalifenihre „treuesten Untertanen”. Unter der Herrschaft derSeldschuken und Osmanen, zwischen dem 11. und 19.Jahrhundert, hatten die Armenier ihre glücklichste, großeZeit.Heute bilden die Türkei-Armenier die größte, immernoch in Wirtschaft, Kunst, Technik, Medizin, Handel undHandwerk hoch angesehene Minderheit. Sie genießen diegleichen Rechte und tragen die gleichen Pflichten wieandere türkische Bürger auch, gleichgültig welcher Her-kunft.Vor dem Entstehen der Armenischen Frage - die mit demrussischen Diktat von San Stefano, 1878, zur Welt kam -bestand die armenische Bevölkerung des Osmanenreichsaus vier sehr unterschiedlichen Gruppen: In Istanbul undIzmir lebten die einflußreichen Amiras, wohlhabende,hochgebildete Armenier. In Anatolien wohnten die Kava-ragan, die Provinzler, wohlbestallte Handwerker, Händ-ler, deren Einfluß auch in den Städten spürbar war. DieBauern wieder unterschieden sich in den Lebensgewohn-heiten kaum von ihren islamischen Mitbürgern; zu guterLetzt kamen noch die Bergbewohner, die sich besondererRechte, ja sogar innerhalb der Autonomie des armeni-schen Millets einer gewissen zusätzlichen Freiheit, ja hal-ben Unabhängigkeit erfreuten; die osmanische Zentral-verwaltung ließ sie so lange es ging und so lange es trag-bar war völlig ungeschoren. Leider setzten die armeni-schen Revolutionäre und einige protestantische Eiferergerade in diesen halb-unabhängigen Dorfgemeinschaftenmit ihrer maßlosen nationalistischen Hetze alle Mittel derDemagogie ein, um Unruhe zu stiften; der Armenierauf-stand von Zeitun ist dafür bezeichnend.

Patriarch Schnorkh Kalustian, geistliches Oberhaupt der Türkei-Armenier. Im Osmanenreich entsprachen seine Machtbefugnissedenen eines „nationalen Königs”; ihm unterstanden alle mono-physitischen Christen des Reiches und die Zigeuner.

Das armenisch-orthodoxe Patriarchat

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Jede Gemeinschaft (im Türkischen Milkt) des Osmanen-reiches verfügte über weitgehende Autonomie und ver-waltete sich selbst.Der armenisch-orthodoxe Patriarch von Istanbul war Herrüber alle Christen, die nicht der griechisch-orthodoxenKirche angehörten. Das waren neben seinen eigenen Gre-gorianern vor allem die monophysitischen Kirchen deskleinasiatisch-afrikanischen Raums wie die Jakobitenund Syrer sowie die Kopten Ägyptens.Da man damals die Zigeuner als „Kopti” bezeichnete (inder Meinung, sie stammten aus Ägypten), wurden auchalle Zigeuner des Osmanenreiches zivilrechtlich demarmenischen Patriarchen von Istanbul unterstellt.Eine weitere Konfessionsgruppe unter armenisch-ortho-doxer Herrschaft waren die Bogomilen des Balkans undderen Gründerväter, die Paulikianer, die sich in kleinerenGemeinden noch in Ostanatolien hielten und manichäi-sches Gedankengut pflegten.Die Geschichte der historischen Provinz Armenien undder zahlreichen Volksgruppen, die sie bewohnten, begin-nt im Zeichen des Kampfes um die Weltherrschaft zwis-chen Orient und Okzident.

Als die Haik, Indogermanen, die wahrscheinlich aus demBalkan und aus Thrakien kamen, im 6. Jahrhundert vorChristus in Ostanatolien in die historische Provinz Arme-nien einwanderten, geschah das zu einem Zeitpunkt, dadas urartäische Reich unter den Schlägen der Skythenzusammenbrach.Die neu eingewanderten, indogermanischen Haik ver-mischten sich teilweise mit den ansässigen Urartäern,deren asianide (wie das Türkische agglutinierende) Spra-che so wie ihre überragende Kultur auf das indogermani-sche Armenisch einen gewissen Einfluß ausübte. Noch während ihrer Einwanderung gerieten die Haik -dieArmenier - unter medische Herrschaft und im Jahre 550nahm Großkönig Kyros das alte Land der Urartäer samtden neu eingewanderten Haik in Besitz. Die ersteErwähnung der Armenier - bereits als unselbständiges,unter persischer Herrschaft stehendes Volk - findet sich inder Felsinschrift von Behistun im Zusammenhang mitden Triumphmeldungen über die Siege des Darius (486vor Christus).

Im 4. Jahrhundert vor Christus stand Armenien (mit allden Völkern und Stämmen und Vermischungen, die dortlebten) unter der Herrschaft der Achämeniden, undanschließend jener der Seleukiden; als die Parther dieVorherrschaft erlangten, mußte der armenische PrinzTigran als Geisel an den parthischen Hof.

Tigran II. (95 bis 55 vor Christus) gelang es, sich von denParthern frei zu machen und ein unabhängiges ReichArmenien zu schaffen. Seine Hauptstadt war Tigranakert(heute Silvan, südwestlich des Vansees). Tigran II. ver-mählte sich mit der Tochter des Königs von Pontus, Mith-ridates VI. Eupator, und beging den verheerenden Fehler,sich mit Mithridates gegen Rom aufzulehnen.

Als der Armenierkönig Tigranes sich weigerte, dem römischenHeerführer Lucullus seinen Schwiegervater Mithridates, dengrößenwahnsinnig gewordenen Herrscher des Pontos,auszuliefern, zog Lucullus gegen „Tigranesstadt”. Die eisenbe-deckten Lanzenreiter des Tigranes allein waren zahlreicher alsdie gesamte Streitmacht des Lucullus, über die die Armenierhöhnten, sie sei „für eine Gesandtschaft zu groß, für ein Heeraber zu klein”. Am einzigen Schlachttag, dem 9. Oktober 69,vernichteten die Römer die zwanzigfach stärkere Streitmachtdes Tigranes; der römische Heeresbericht meldete, es seien sogut wie keine Römer, sondern nur Armenier gefallen. Tigraneskonnte unerkannt entkommen und traf sich wieder mit seinemSchwiegervater Mithridates, den später seine eigenen Leuteumbrachten; die unterworfenen Völker fielen von demZwingherrn Tigranes ab und huldigten den Siegern Lucullusund Pompejus.

Schon im Jahre 69 vor Christus besiegte der römischeFeldherr Lucullus den Armenierherrscher Tigran II. - undder kurze Traum einer armenischen Unabhängigkeit warausgeträumt. Wenn heute Haik sich gelegentlich auf jenekurze Episode wirklicher Armenierherrschaft in Ostana-tolien berufen und armenische Terroristen darauf Herr-schaftsansprüche begründen, ist das genauso originell, alswollten italienische Mafiosi in den USA sich als Nach-folger der Römer - genauer des Lucullus oder Trajan -auf-spielen oder als Erben der Sieger von Tigranakert dieMacht in Ostanatolien ergreifen . . .In Mitteleuropa könnten die Ungarn Wien beanspruchen,weil dort einmal Mathias Corvinus kurze Zeit regiert hat- die Kette der Beispiele ließe sich endlos fortsetzen.Wollte jedes Volk Gebiete beanspruchen, wo es irgend-wann einmal in der Geschichte geherrscht hat, müßte sogut wie die ganz Erde evakuiert, umgesiedelt, in endloseKriege verwickelt werden.Nach wechselvollen Jahrhunderten, in denen zeitweisedie Römer (Trajan, Nero, Hadrian, Diokletian) oder diepersischen Sassaniden die Vorherrschaft in Ostanatolienausübten, ernannte Kaiser Diokletian Tiridates III. zumKönig von Armenien. Gregor Parthev, ein Parther, pre-digte das Christentum.Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daßArmenien erst nach der Bekehrung Kaiser Konstantins,also erst nach 313 - wahrscheinlich im Jahre 314 -, aufGeheiß von König Trdat (Tiridates) das Christentumannahm. Die Missionierung Armeniens war wahrschein-lich von Edessa (dem heutigen Urfa) ausgegangen; christ-liche Gemeinden sind seit dem 2. Jahrhundert in Arme-nien nachweisbar. Der große Bekehrer war Gregor Par-thev Lusarevic, der Erleuchter, keineswegs ein Angehöri-ger des Volkes der Haik, sondern ein Armenier im eigent-lichen Sinne, also ein Bewohner der Provinz Armenien,allerdings parthischen Ursprungs.Gregor lebte als Flüchtling vor den Persern im römischenCaesarea (Kayseri) und trat dort zum Christentum über.König Tiridates ließ Gregor zunächst verfolgen, nahm

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aber schließlich selber das Christentum an und mit ihmallmählich das Volk von Armenien.Der Triumph des Christentums, das im Römerreich undin seinem Vorfeld, in Georgien wie in Albanien (Kauka-sus) und Armenien, rasch Fuß faßte, beunruhigte die Per-ser zutiefst. Julian der Apostat, der mit den Persern viel-leicht fertig geworden wäre, starb überraschend und seinNachfolger Jovian überließ die Kaukasusländer undArmenien den Persern kampflos. Nach dem Tode vonKaiser Theodosius im Jahre 395 wurde das RömischeReich in ein West- und ein Ostreich geteilt. Vergeblichbemühten sich die armenischen Fürsten, ständig unter derunduldsamen, zeitweise fanatisch antichristlichenReligionspolitik der Sassaniden leidend, um mehr Bewe-gungsfreiheit.In der Entscheidungsschlacht von Avarayr, im Jahre 451,erlag der Armenierführer Vardan Mamikonean den Per-sern; vergeblich hatte er die Hilfe Ostroms (der Byzanti-ner) erfleht. Im gleichen Jahr - in dem armenischenSchicksalsjahr 451 - fand das IV. Ökumenische Konzil zuChalzedon (heute Kadiköy, gegenüber Istanbul) statt.Wegen der tragischen Kriegslage konnten die Christen vonjenseits der byzantinischen Grenzen an dem Konzil nichtteilnehmen; die kaiserliche Politik, die offizielle Politikdes byzantinischen Klerus, errang zu Chalzedon unan-

Als die Kirche von Ahtamar im 10. Jahrhundert errichtet wurde,standen die in Ostanatolien ansässigen Armenier und deren Für-sten unter der Oberhoheit der abbasidischen Kalifen von Bagdad,die ihrerseits wieder unter der Vormachtstellung der an ihremHofe lebenden und Kunst und Kultur (nicht nur das Militär!)beherrschenden „Mamluken”, türkischen Angehörigen der Mili-tär- und Verwaltungskaste, standen. Sie beeinflußten sowohl denseldschukischen wie auch den armenischen Baustil mit ihren klas-sischen Rundbauten.

gefochten den Sieg und setzte ihre christologische Lehr-meinung von den zwei Naturen in Christus, der Göttli-chen und der Menschlichen, durch; die „Monophysiten”,vor allem die Armenier, aber auch die Syrer, die ägypti-schen Kopten, ihre südlichen Nachbarn in Äthiopien unddie indische Kirche wie auch die damals in Persien sehrstark vertretenen Nestorianer erkannten die Beschlüssedes Konzils von Chalzedon nicht an. Zwischen Byzanz und den Armeniern sollte es infolgedieses Konflikts zu einer für beide Teile folgenschweren,

Dauerthemen armenischer Kunst: Der ständige Kampf gegen diePerser, von den Tagen der Einwanderung in Ostanatolien bis zurSchlacht bei Чaldiran, als die Osmanen im Jahre 1514 die Perservertrieben.Illustration aus dem Codex 189 vom Vansee: Die Haik im Jahre451 im Kampf gegen die Perser. Bei Awarair verloren die Haiknicht nur eine Schlacht, sondern auch die Blüte ihres kampffähi-gen Adels unter Vartan Mamigonian (Darstellung aus dem 16.Jahrhundert zum Kanon des hl. Vartan und seiner Gefährten,Mechitaristenkloster, Wien).Das gleiche Thema, die verlorene Schlacht von Avarair, mit denAugen des 19. Jahrhunderts gesehen (Georg Drah, 1888): DerPerserkönig Yadzegert II. versuchte im Jahr 451 (ausgerechnetzum Zeitpunkt des Konzils von Chalzedon) die Haik zurück inden Mazdaismus zu zwingen. Das gelang nicht, aber die Haikgerieten durch ihre Nichtteilnahme am Konzil von Chalzedon inein Schisma. Mechitaristenkloster, Wien.

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ja verheerenden Feindschaft kommen; die Byzantinersahen voll Hohn zu, wenn Armenien geschwächt wurde,und übersahen dabei, daß sie damit ihr Vorfeld gegen-über dem persischen Erzfeind - aber auch gegenüber denaus dem Osten heranstürmenden neuen Völkern - opfer-ten.Im Jahre 484 wurde Persien von den aus dem Osten her-anstürmenden Persern entscheidend geschwächt; als eineGeneration später in Ostrom Kaiser Justinian an dieMacht kam, blieb nicht einmal eine Spur armenischerUnabhängigkeit über; die Macht wurde zwischen Persernund Byzantinern geteilt, und Kaiser Maurizius siedeltegar zahlreiche Armenier in Thrakien - wahrscheinlichihrem Ursprungsland - an.Nach der Auseinandersetzung der Perser und Römer umdie Vorherrschaft in Armenien teilten sich Araber undOstrom in der Machtausübung, bis im Jahre 1040 Byzanzden letzten Rest armenischer Selbständigkeit auslöschte.Noch im Jahre 630 schmiedete Kaiser Heraklios Plänezur Kirchenunion mit den monophysitischen Armeniern,doch schon zehn Jahre später nahmen ihm die Araberdiese Sorgen ab, indem sie in Ostanatolien eindrangenund die Macht der Byzantiner brachen. GelegentlicheMachtgewinne der Byzantiner, so unter Kaiser JustinianII. (685 bis 695), verführten sie nur zu Versuchen, dieArmenier mit Brachialgewalt in die griechisch-orthodoxeReichskirche pressen zu wollen.Schließlich teilten sich Byzantiner und Araber die Herr-schaft über Armenien, ähnlich wie es schon vorher, zwi-schen Römern und Persern, ein Übereinkommen zurMachtausübung in Ostanatolien und im angrenzendenKaukasus gegeben hatte.Bei seiner Krönung zum König von Armenien erhieltFürst Aschkot seine Insignien von Arabern und Byzanti-nern gemeinsam; Armenien blühte als ein halbunabhän-giger Pufferstaat zwischen Arabern und Byzantinern undfuhr dabei gar nicht schlecht. Die Klugheit armenischer

Castell und Moschee der Semiramis bei Wan. Aus der Kunstan-stalt des Bibliographischen Instituts in Hildshausen, A. D.MDCCCXXXXIX (1849)

Fürsten, die die Grenzen ihrer Macht - und des MachundErreichbaren - kannten, war immer der beste Garant fürein Wohlergehen der Haik gewesen. In jener Zeit entstanden die Prachtbauten von Ani und dieKirche der Insel Ahtamar im Vansee. Die Oberherrschaftder Kalifen von Damaskus - oder später Bagdad -war dur-chaus erträglich, keinem Araber fiel es auch nur imTraume ein, die Armenier wegen ihres monophysitischenGlaubens zu bedrängen, im Gegenteil, sie übertrugen denArmeniern sogar die Oberaufsicht über die heiligenStätten Jerusalems.Die Armenier erreichten unter den Bagratiden unterbyzantinischer und arabischer Vorherrschaft eine Blüte

Glückliche Kinder, Wasser, frisches, sauberes Wasser, Hirtenund Herden, Freiheit . . . das ist türkisch-anatolischer Lebensstilseit urdenklichen Zeiten.

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ihrer Kultur. Ani wurde vollendet, die Kirche von Ahta-mar blühender Sitz armenischer Katholiki. Doch die Byzantiner konnten es nicht lassen, die mono-physitischen Armenier immer kürzer an die Kandare zunehmen. Schon kamen immer neue, immer beunruhigen-dere Nachrichten über neue, junge Völker, die aus demOsten, über Persien, nach Westen vorstießen; doch dieByzantiner, anstatt den armenischen Pufferstaat zu fördernund zu stärken, zwangen den Fürsten von Ani, HovanesSmbat, ihnen Ani vollständig und uneingeschränkt zu ver-machen. Die byzantinische Expansionspolitik unterBasileos II., dem „Bulgarentöter”, der sich nach seinemTriumph auf dem Balkan als ebenso erfolgreicherFeldherr im Kaukasus und in Armenien betätigte, fandunter seinem Nachfolger, Kaiser Konstantin IX., in Arme-nien ihren krönenden Abschluß: Konstantin IX. Mono-machos, ein rücksichtsloser orthodoxer Eiferer, annek-tierte das „ketzerische” Ani und verleibte es dem recht-gläubigen Byzantinerreich ein. In armenischer Lesartheißt das: „König Gagik II. wird in Konstantinopel zurÜbergabe des Reiches gezwungen.” 1045 - ein armeni-sches Schicksalsjahr. Seit 1045 gibt es in Ostanatolien, inder historischen Landschaft Armenien, weder ein selb-ständiges noch ein halbselbständiges armenisches Für-sten- oder Königtum, nicht die Spur einer armenischenSelbstverwaltung oder gar Selbständigkeit.

Die Gregorkirche des Tigran HonentEs gehört zu den Mythen armenischen Selbstverständnisses,daß „die Türken” die Hauptstadt der Bagratidendynastie ver-nichtet hätten. Die geschichtliche Wahrheit: spätestens seit 772nach Christus stand die ursprünglich urartäische Stadt unterarabischer Vorherrschaft.Nach dem Vordringen der Byzantiner, Plünderung der Stadtdurch die Georgier und weiterer Schwächung des Fürstentumsmußte Hovhannes Smbat seine Hauptstadt vertraglich denByzantinern vermachen; ein Abkommen, das Basileos II. der„Bulgarentöter” im Jahre 1041 einlösen wollte. Als dieArmenier ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollten,schickte der Byzantinerkaiser Konstantin Monomachos zweiArmeen nach Ani und brach gemeinsam mit dem Araberfürstenvon Dwin den armenischen Widerstand - im Jahre 1045öffneten Patriarch und Gouverneur von Ani den Byzantinerndie Stadttore, womit der letzte Rest armenischer Unabhängig-keit in Ostanatolien verschwunden war.Der Seldschukenführer Alp Arslan drang erst 1065 - also vollezwei Jahrzehnte später - bis Ani vor und kämpfte nicht gegendie Armenier, sondern gegen die Byzantiner, die damalsgemeinsam mit den Arabern die Herrschaft über Ostanatoliennoch ausübten.

Es war Kaiser Basileos II., der Bulgarentöter, undschließlich Kaiser Konstantin IX. Monomachos, der jedeArt armenischen politischen Eigenlebens in Ostanatolienauslöschte - und niemand sonst.

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Ohne auf die Geschichte der armenischen Fürstentümerin Kilikien hier näher eingehen zu können, genügt dieFeststellung der Tatsache, daß es zur Zeit der Übernahmeder Macht in Kilikien durch die Osmanen - im Jahre 1512durch Sultan Selim I. - schon seit 137 Jahren nicht dieSpur eines unabhängigen oder halbunabhängigen arme-nischen Fürstentums in Kilikien gab; Sis war schon imJahre 1375 von den Mamluken erobert worden. DerKampf um die Vorherrschaft in Ostanatolien sowie umdie angrenzenden Gebiete im Süden und Südosten desosmanischen Herrschaftsgebietes endete am 23. August1514 mit der Schlacht bei Caldiran, in der Sultan Selim I.(1512-1520) die persischen Safawiden vernichtendschlug und die gesamte historische Provinz Armenien -von einer Machtausübung noch so subalternerArmenierfürsten war schon seit einem halben Jahrtausendkeine Rede mehr - unter osmanische Kontrolle brachte.Fast auf den Tag genau zwei Jahre später, am 24. August1516, öffnete Selim I. durch die siegreiche Schlacht beiMerdsch Dabik, unweit Aleppo, für die Osmanen dieTore nach Syrien; Selims Nachfolger Suleiman derPrächtige eroberte dann Rhodos, Aserbaidschan und dengesamten Kaukasus, das Zweistromland (das erst imErsten Weltkrieg wieder verlorenging) und Ungarn; erstdie Wiener brachten ihn im Jahre 1529 zum Stehen. Fürdie Armenier, die in der Folge der osmanischenExpansion, stets auf den Fersen der siegreichen Armeen,ihren kaufmännischen und handwerklichen Bereich aufein Hundertfaches ihres ostanatolischen Wirkungsberei-ches ausgedehnt hatten, brach ein goldenes Zeitalter an.

Der Triumph der Osmanen in Ostanatolien und Kilikien

Die Insel Ahtamar mit ihrer berühmten Heiligkreuzkirche. Alsdas Gotteshaus im 10. Jahrhundert errichtet wurde, stand Ost-anatolien mit seinem armenischen Fürstentümern unter derHerrschaft der abbasidischen Kalifen, die in Bagdad resi-dierten. Vor den Abbasiden gehörte Ostanatolien mit seinenVolkschaften in den Machtbereich der omaijadischen Kalifen,die von Damaskus aus regierten.

Das Schlachtfeld von Ç aldiran. Hier besiegte Sultan Selim I.am 23. August 1514 die Perser und brachte Ostanatolienendgültig unter osmanische Herrschaft; die damals ausgehan-delte Grenze gilt bis heute. Auf den Tag genau zwei Jahrespäter brachte Selim den Süden Anatoliens und Syrien unterseine Herrschaft; unmittelbar darauf zog Selim I. als Sieger inKairo ein und der Scherif von Mekka erkannte Selim als neuenKalifen an. Die Osmanen blieben Kalifen, bis die neuetürkische Republik das Kalifat im Jahre 1924 abschaffte.

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Die armenische Tragödie beginnt. Übersteigertes nationa-listisches Gedankengut sowie ein unglückseliger Wett-kampf armenischer Kirchen und Sekten untereinander umdie Gunst nationalistischer Eiferer heizten das innen-politische Klima im Osmanenreich an. Großmächte derdamaligen Zeit - England, Rußland und Frankreich -woll-ten das Osmanenreich schwächen und nützten dieArmenier dabei rücksichtslos aus.

Von der Eroberung der byzantinischen Gebiete Ostanato-liens durch die Seldschuken an (11. und 12. Jahrhundert)

Der Konkurrenzkampf der Kirchenund Sekten um die

Gunst der osmanischen ArmenierWährend einer Missionsreise zu den Choctaw-Indianernkam dem nordamerikanischen Missionar WilliamGoodell der Gedanke, das Heilige Land - damals zurGänze in osmanischem Besitz - für das Christentum„zurückzuerobern”.Der neue Kreuzzug - als solcher war das Unternehmendurchaus konzipiert - begann mit einer Reihe von gera-dezu militärisch geplanten Erkundungstouren, wobei dieamerikanischen Missionare kein persönliches Opferscheuten; ihr vorbehaltloser Einsatz im Dienste der vonihnen als gut verstandenen Sache verdient jeden Respekt.Im Jahre 1821 bezog ein kleiner Voraustrupp Quartier amHeiligen Grab, vor allem mit dem Ziel, auf die zahlre-ichen Pilger missionarisch (protestantisch) einzuwirken.Doch Jerusalem brachte diesen ersten Missionsversuchennur ein vollständiges Fiasko; weder ließen sich Juden,noch und schon gar nicht Moslems, aber auchnichtchristliche Bürger zum Protestantismus amerikanis-cher Prägung bekehren.Schließlich gaben die Amerikaner den unglückseligenMissionierungsversuch in Jerusalem auf und übersiedel-ten nach Beirut. Trotz mannigfacher Widerstände vonallen christlichen Niederlassungen im Libanon konntendie Amerikaner zwei Armenier in ihr Lager ziehen,Gregor Vardapet und Garabed Dionysius.Bald stellte sich heraus, daß die Armenier - damals aus-schließlich gregorianische Armenier, die in allen zivil-rechtlichen Belangen ihrem Patriarchen in Istanbul unter-standen - vor allem das reichhaltige und großzügige Bil-dungsangebot der Amerikaner annahmen. Nach wahren Irrwegen der protestantischen Missionareim Osmanenreich - ihre Missionstätigkeit führte sie überMalta und Griechenland schließlich weiter nach Smyrna-Izmir - und bewunderswerten Leistungen der Missio-nare, zeigte sich schließlich, was sich schon in Beirut

bis tief in das 19. Jahrhundert hinein, lebten Armenierund Türken in schlechthin vollendeter Harmonie. Die Ursachen der „armenischen Tragödie” liegen nichtinnerhalb, sondern außerhalb des Machtbereiches dessel-dschukischen und osmanischen Vielvölkertaates. Im 19. Jahrhundert war es vor allem Rußland, das mitHilfe der Amerikaner (der protestanischen Missionare ausBoston vor allem) ins Osmanenreich Unruhe bringt. Ruß-lands Ziel war, den Zugang zu den „warmen Meeren” zuerreichen. Die Amerikaner -, die protestantischen Missio-nare - erwiesen sich als die „nützlichen Idioten”.

Die armenische Tragödie begann auch hier, in derBeaconsstreet 14, Boston, Massachusetts, dem Hauptquartierder amerikanischen protestantischen Missionare.

abgezeichnet hatte, daß die Mission ausschließlich bei denarmenischen Gregorianern Erfolg hatte, zum Teil, weilsich die armenisch-orthodoxe Hierarchie zu wenig um die

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Die Ursachen der armenischen Tragödie

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Vom Hafen von Boston aus stachen amerikanische Missionare inSee, um in einer Art neuen Kreuzzug - wie sie es selbst verstan-den - das Heilige Land wieder christlich zu machen. Leider hat-ten die Missionare weder bei Juden noch Moslems Erfolg, son-dern so gut wie ausschließlich bei Armeniern - also Christen, dieihrer angestammten Kirche abgeworben worden waren.

Bildungsbedürfnisse der überdurchschnittlich intelligen-ten Landsleute bemühte, zum Teil, weil sie in Reichtumund Macht geradezu erstickte. Schließlich eröffneten dieAmerikaner unter der Leitung von William Goodell ihreMissionszentrale in Konstantinopel. Beim Studium deramerikanischen Missionsgeschichte im Osmanenreich istes höchst spannend, den Irrweg, der Missionare durch dieWeiten des Reiches zu verfolgen und mitzuerleben, mit

welcher Erleichterung sie schließlich erkannten, daß dieHauptstadt des Riesenreiches auch der eindeutig besteOrt für eine Missionszentrale war.Die Untersuchungen der Missionare Smith und Dwightbestätigten bald, was sich schon in Beirut und Smyrnaabgezeichnet hatte: die bildungshungrigen Armenier nah-men das Bildungsangebot der Missionare der nun in Kon-stantinopel angesiedelten „American Board of Commis-sioners for Foreign Missions” dankbar, ja begierig auf. Schon im Jahre 1833 traten zahlreiche, lern- und wißbegie-rige armenische Studenten zum Protestantismus über. Imgleichen Jahr verfügte die protestantische Mission schonüber 15 junge Armenier als Kleriker. Die Missionswellegriff bald von Konstantinopel auf die Provinz über. Benja-min Schneider eröffnete schon 1834 eine Missionsstationin Bursa, bald folgte eine in Trapezunt. Fünf Jahre später, im Jahre 1839, begann, was die prote-stantisch-armenisch-amerikanische Geschichtsschreibungals „spirit of persecution” bezeichnet: der armenisch-orthodoxe Klerus, unruhig geworden durch die ganzunglaublichen Missionserfolge der Amerikaner bei denbegabten, den begabtesten und tüchtigsten Armeniern,versuchte, die Missionare loszuwerden und die Abtrünni-gen zurückzugewinnen.Wenn Überredung nicht half, griff die Kirche auch zurGewalt. Schulen wurden niedergebrannt, „arrests weremade and terror spread”, schreibt der MissionschronistWilliam E. Strong. Der allzu tolerante Patriarch wurdeabgesetzt, und eine Liste mit etwa 500 „Hauptverdächti-gen” aufgestellt, und die gehörten zur obersten Gesell-schaftsschicht des armenischen Millets; es handelte sichum Bischöfe, Bankiers, Großhändler, Künstler, und allewurden sie der Häresie geziehen, was Ausschluß aus dergregorianischen Kirche und, damals für die Betroffeneneine persönliche Katastrophe, damit verbunden de facto„Staatenlosigkeit” bedeutete, weil sie ohne Zugehörigkeitzu einem Milkt weder heiraten noch christlich begrabenwerden konnten, keinerlei Rechtsschutz genossen undauch gesellschaftlich der Ächtung anheimfielen. Trotzdem ging die Ausbreitung der protestantischenArmenier weiter, was zweifellos für die Tüchtigkeit desarmenisch-amerikanischen Klerus wie auch für den Bil-dungshunger der osmanischen Armenier spricht. Sogar inVan entstand eine protestantische Missionsstation,sozusagen im äußersten Winkel des weiten Osmanenrei-ches, und auch unter den „Bergnestorianern” in den fer-nen Hakkaribergen hatten die Amerikaner Missionser-folge. Weder den Nestorianern noch den Menschen vonVan sollte das später zum Glück gereichen; beide Grup-pen, Armenier wie Nestorianer, setzten dann aufs „russi-sche Pferd”, machten mit den Russen (und amerikani-schem Geld) gemeinsame Sache und drifteten schließlichin die Aufstandsbewegung vom März 1915 ab, was dieOsmanen mit einem allgemeinen Umsiedlungsbefehlahndeten - dem Beginn der osmanisch-armenischenKatastrophe von 1915, die auf beiden Seiten so vieletragische Opfer forderte.

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Im Jahre 1846 ging der Vorhang gleich zweimal herunter,im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn: in derarmenisch-orthodoxen Patriarchatskirche von Konstanti-nopel verlas der Patriarch bei heruntergelassenem Vor-hang und verhülltem Altar in einer verdunkelten Kircheeine Exkommunikationsbulle gegen die protestantischgewordenen Armenier, und alles Übel der Welt wurdeihnen nachgesagt und angedroht. Danach wurde dasEdikt der Exkommunikation in allen armenisch-ortho-doxen Kirchen des Landes unter ähnlich theatralischenUmständen verlesen.Den völlig entrechteten armenischen Bürgern protes-tantischen Bekenntnisses eilten nun die Großmächte zuHilfe, England vor allem, das da eine günstige Interven-tionsmöglichkeit sah.Schließlich sah sich der Großwesir des OsmanischenReiches zum Handeln gezwungen, und am 1. Juli desJahres 1846 wurde im Osmanenreich ein völlig neuesMillet ins Leben gerufen, das der „Ersten EvangelischenArmenischen Kirche”. Im Jahre 1848 veröffentlichte derGroßwesir einen kaiserlichen Firman in dieserAngelegenheit, und zwei Jahre später, 1850, gewährteder Sultan persönliche seinem neuen, protestantischenMillet einen Freibrief. Nun waren die protestantischenArmenier berechtigt, ihre eigenen Repräsentanten zuwählen und diese wieder konnten die Anliegen ihresMillets vor der Hohen Pforte gleichberechtigt mit jenender orthodoxen Kirchen vortragen.So vielversprechend diese neue Ära auch begonnenhaben mag, so großartig, ja fast unvergleichlich der Mutund die Opferbereitschaft der Missionare auch gewesensein mochte, die Ergebnisse waren - ungewollt - für dieArmenier des Osmanenreiches verheerend.

Die katholischen Armenier

Spätestens seit der Errichtung des protestantischenMillets setzte nun ein dreifach verstärkter Kampf um dieHerzen der osmanischen Armenier ein: da war diealteingesessene „gregorianische” Kirche, die sich aufdie Gründung durch Gregor den Erleuchter berief; dazukam die im Jahre 1850 offiziell etablierte protestantis-che Kirche und, als dritte, wenn auch mit anderen Maß-stäben zu messen, die katholisch-armenische Gemeins-chaft des Osmanenreiches. Während die Protestantenihre Anerkennung letztlich der Intervention der Englän-der und (bescheidener) der Amerikaner verdankten,ging die Errichtung des katholisch-armenischen Milletsauf die Intervention Frankreichs zurück, das sich schonimmer als Protektor der Katholiken des Orients gerierthatte. Es ist bezeichnend, daß der erste im Jahre 1831, vom

Sultan anerkannte katholisch-armenische Patriarch, Ha-gop Tschukurian, zunächst in Adana, also in der Bann-meile des seit Jahrhunderten nicht mehr bestehenden kili-kischen Königreichs der Armenier, residierte. Armenier lebten in Kiliken seit einer groß angelegtenUmsiedlungsaktion der Byzantiner, im Gefolge einigerbyzantinischer Siege über die Araber. Die bedeutendstenarmenischen Familien jener Umsiedler, Hetum undRüben, brachten die Führer Kilikiens hervor, und imJahre 1080 fühlte sich Rüben stark genug, ein eigenes,von den Byzantinern unabhängiges Fürstentum zu grün-den. Das „armenische Kilikien” bestand, ganz oderwenigstens halb unabhängig, bis zum Jahre 1375, als ihmdie Mamlu-ken ein Ende bereiteten.

Eine der bedeutendsten, ja überragenden Persönlichkeiten desarmenischen Millets war Mechitar von Sebaste (von Sivas, Zen-tralanatolien), der am 7. Februar 1676 als Kind armenischerKaufleute zur Welt kam. Früh kam er mit Jesuitenmissionaren,„Franken” in Berührung, die bei ihrer Missionstätigkeit unterden Armeniern stark an die fränkisch-armenischen Beziehungennoch aus der Zeit der Kreuzzüge anknüpften. Mechitar wurdeeiner der größten Gelehrten der osmanischen Armenier, Kongre-gationsgründer und gilt als Wiederhersteller der armenischenLiteratur.

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Der Anfang vom Ende –ein protestantisch-armenisches Millet wird errichtet

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Die Lage der armenisch-katholischen Kirche in Istanbul, amTaksim-Platz, könnte nicht typischer sein: das Gotteshauswächst geradezu aus dem eleganten Gebäudekomplex der ehe-maligen französischen Botschaft heraus, so wie auch dieGründung eines eigenen, armenisch-katholischen Millets imJahre 1831 auf massive französische Interventionen bei derHohen Pforte zurückging.

Die armenischen Führer Kilikiens suchten sich naturge-mäß stets Verbündete, die im Rücken ihrer unmittelbarenNachbarn wohnten, seien es nun die (sonst so vielge-schmähten) Mongolen oder die noch mehr verteufeltenKatholiken - im Falle Kilikiens verband man sich sogarmit den Kreuzrittern. Der Höhepunkt dieser Allianzwurde erreicht, als im Jahre 1198 Konrad Kardinal vonWitteisbach Fürst Leo II. zum König von Kilikien salbte.Das 14. Jahrhundert war eine Zeitspanne erbitterter, gna-denloser Kämpfe zwischen armenisch-orthodoxen undarmenisch-katholischen Familien Kilikiens. Im Jahre1342 wurde Kilikien „fränkisch”, als es an Guy deLusignan fiel. Die gregorianische Mehrheit unter denArmeniern Kilikiens reagierte mit Aufstand und Guy deLusignan und 300 seiner fränkischen Ritter wurden 1344umgebracht. Unter seinen katholischen Nachfolgernbestand das „Königreich” nur mehr aus der Stadt Sis. Im April 1375 eroberten die Mamluken Sis und nahmenLeo V. gefangen. Damit war auch die letzte Spur armeni-schen Staatslebens getilgt, sofern das fränkische Kilikienüberhaupt noch etwas mit Armenien zu tun hatte.Der von vielen Europäern als sehr romantisch empfun-dene Tod des letzten Königs von Kilikien in Paris, den einFranziskanermönch nach groß angelegten Geldsammlun-gen von den Mamluken freigekauft hatte, blieb imGedächtnis der Franzosen haften; nicht zuletzt auch des-halb, weil jener Leon V. nach feierlichem Staatsbegräbnisneben den französischen Königen im Pariser Celestinen-kloster seine letzte Ruhe fand.Der Untergang des Kilikischen Königreiches im Jahre1375, gut eineinhalb Jahrhunderte vor der Eroberung Kili-kiens durch die Osmanen, änderte nichts an der Tatsache,daß in Kilikien zahlreiche Armenier lebten, wenn auch, sowie überall in Anatolien, in kleiner Minderheit.

An diese Erinnerung knüpften die Franzosen an, als siedie Errichtung eines katholisch-armenischen Patriarchatsim Jahre 1831 durchsetzten. An diese Erinnerung knüpf-ten die Franzosen wahrscheinlich auch an, als sie sichbeim Aufstand vom Musa Dagh, im Jahre 1915, an derTragödie der dortigen osmanisch-armenischen Gemeindemitschuldig machten; ähnlich mitschuldig wurden sie, alssie im Jahre 1918 im Süden Truppen landeten und derarmenischen Minderheit Versprechungen machten, diesie nicht halten konnten.

Robert’s College, Istanbul (heute Bosporus-Universität), im Jahre1840 als Schule für begabte Armenier gegründet, erwies sich auchals Exerzierfeld des armenischen Nationalismus. Die Gründer von Robert’s College, Cyrus Hamlin vor allem,wollten die Lage des neuen Colleges durchaus als „Programm”verstanden wissen: sie bauten unmittelbar neben Rumeli-Hisar,der Festung, von der aus die Osmanen halb Europa erobert hatten.Nun sollte das neue Schulgebäude ein Symbol der „reconquista”werden. In seiner Geschichte der „American board” bezeichnetWilliam E. Streng den Schulgründer ausdrücklich als „Schreckendes ausweichenden Türken”, während die Armenier „in jedermöglichen Weise” gefördert werden sollten. Der mißverstandene,übersteigerte Nationalismus nahm nun seinen Lauf.

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Die amerikanisch-protestantische Mission bei den Armeniernvon Van setzte im Jahre 1872 ein; angesichts des erbittertenWiderstandes des eingeborenen armenisch-orthodoxen Klerus -Van war doch immerhin lange sogar der Regierungssitz desarmenischen Katholikos gewesen - dauerte es volle fünf Jahre,bis es den Amerikanern gelang, das erste Gotteshaus ihrer Mis-sion zu errichten.Die Amerikaner nannten Van „das Sebastopol der ArmenischenKirche”, offenbar in Anspielung auf die lange Belagerung undihre schließliche Erstürmung durch die Alliierten im Jahre 1855.Van wurde, nicht zuletzt infolge des erbitterten Wettstreits zwi-schen orthodoxen und protestantischen Armeniern, wer nun der„bessere” Armenier sei, alsbald zu einer Hochburg des fanati-schen Nationalismus, der sich in mehreren Aufständen undzuletzt in der Revolte von 1915 entlud, bei der ZehntausendeMoslems umkamen. Ein Bildungsangebot, das in nationalisti-schen Exzessen endete - trotz des idealistischen Eifers vieler gut-gesinnter Missionare, wie Dr. Reynolds und seiner Gemahlin.

Gottesdienst in einer armenisch-protestantischen Kirche inIstanbul (errichtet 1914, unmittelbar vor Ausbruch des ErstenWeltkrieges).

Das „rote Haus” - die Zentrale der amerikanisch-protestanti-schen Mission in Istanbul.

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Zu welchen publizistischen Exzessen sich die amerikani-sche protestantische Propaganda schließlich verstieg,zeigt ein im Jahre 1896 unter dem Titel „Die Türkei unddie armenischen Greueltaten” (der Autor war sich derDoppelbödigkeit seiner Titelwahl mit Sicherheit nichtbewußt) erschienenes Buch, dessen Geist und Inhalt ambesten durch einige Sätze aus dem Vorwort von FrancesE. Willard demonstriert werden.Armenier gehören offenbar zur edelsten Rasse überhaupt,denn „in Gesicht, Figur und Haltung sind siebemerkenswert attraktiv. Es heißt, daß ihr persönlichesErscheinungsbild dem wahrscheinlichen Aussehen unse-res Herrn Jesus Christus ähnlicher kommt als das irgend-einer anderen Rasse”.Angesichts der ungeheuren Waffenmengen, die von denArmeniern nicht nur gehortet, sondern auch in unzähligenAufständen nach Kräften genützt wurden, erscheint eswie blanker Hohn, wenn Frances E. Willard bemerkt, dieArmenier seien „unbewaffnet” und täten „niemandemetwas zuleide”. 1896 war ein Jahr des exzessivstenTerrors der Armenier, auch der spektakuläre Überfall aufdie Osmanische Bank mit Geiselnahme fand damals statt.Aber islamische Geiseln zählten in der kritiklosen Bevor-zugung der „armenischen Rasse” damals offenbar über-haupt nicht mehr, „glauben doch Mohammedaner vorallen anderen Dingen an den Harem”. Schlußfolgerung:

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„Die Armenier sind die Nation; der Sultan und seine Sol-daten sind des Teufels Geißel; kaltherziger Zuschauer istdie angelsächsische Rasse” - zumindest interveniertenEngland und die Vereinigten Staaten nach Meinung derprotestantischen Missionare noch immer zu wenig; ähnli-che Ansichten wurden übrigens auch von russischer Seitegeäußert. Die Armenier waren um die Jahrhundertwendebereits zum beliebtesten Vorwand der Mächte geworden,sich in die inneren Angelegenheiten des OsmanischenReiches einmischen zu können.

Von Bluthunden eingeschlossen: Sultan Murad V. wird hierdargestellt, wie er versucht, mit den aufständischen europäis-chen Provinzen des Osmanenreiches fertig zu werden, mitBosnien, der Herzegowina, Montenegro und Serbien (die alleden Vorteil hatten, auf ihrem Boden über solide, in sichgeschlossene Mehrheiten zu verfügen, während die Armeniernirgendwo im Osma-nenreich auch nur annähernd einmehrheitliches, geschlossenes Siedlungsgebiet besaßen). DerZar von Rußland, Österreichs Kaiser Franz Joseph, Kaiser Wü-helm I., König Georg I. von Griechenland und Italiens KönigHumbert, schauen interessiert zu, während Deutschlands FürstBismarck und Englands Beacons-field schon eingreifenwollen. Damals erklärte der armenische Patriarch Nerses II.Vartabedian dem britischen Botschafter, „wenn es notwendigist, sich zum Aufstand zu erheben, um die Sympathie der euro-päischen Mächte zu erringen, gibt es keine Schwierigkeiten, soeine Bewegung ins Leben zu rufen” (Brief des britischenBotschafters Henry Elliot an seinen Außenminister in London;F. O. 424/46 p. 205-206, 7. Dezember 1876). Karikatur: PUNCH, 22. Juli 1876

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Rev. Melvin A. Wittler von der armenisch-protestantischenKirche bei einer Feier auf Kinali Ada, wo der armenisch-ortho-doxe Patriarch seine Sommerresidenz hat.

Eine friedliche Zusammenkunft religiöser Führer dermodernen Türkei auf Kmah-Ada, anläßlich eines armeni-schen Kirchenfestes auf der Insel. Kmali-Ada ist wie einSinnbild der interkonfessionellen Streitigkeiten der Chri-sten. Zunächst war die Insel mehrheitlich von griechisch-orthodoxen Gläubigen bewohnt, bis sie schließlich zueiner fast ausschließlichen Domäne der Armenier wurde.Im 19. Jahrhundert gelang es den protestantischen Mis-sionaren, die Inselbevölkerung zur Gänze dem Protestan-tismus zu gewinnen und es bedurfte ganz gewaltigerAnstrengungen des Patriarchats, die Armenier vonKmali-Ada wieder der gregorianischen Glaubensge-meinde zurückzugewinnen.Todfeinde von einst sitzen nun, mehr oder weniger ausökumenischer Gesinnung oder den Umständen entspre-chend, friedlich zusammen: unierte (katholische) Arme-nier, Repräsentanten Roms (das durch den Kreuzzug von1204 wesentlich zum Untergang von Byzanz beigetragenhatte), Chaldäer (ihre nestorianischen Brüder waren derVerfolgung durch Byzanz ausgesetzt), orthodoxe Grie-chen (einst die Todfeinde der Armenier, heute vielfach imgemeinsamen Haß gegen die Türken vereint) und schließ-lich Protestanten.Sie alle verdanken ihr kirchliches Überleben im HeiligenLand und auf dem Boden des ehemaligen OsmanischenReiches ausschließlich der toleranten Haltung derMamlu-ken und der Osmanen - vom Islam blieb in denvon Europäern wiedereroberten Territorien (wie etwa inSpanien) nicht die kleinste Minderheit übrig.

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„Volksmengen erwarten den Besuch des Katholikos in Adana”heißt es mit maschingeschriebenem Text auf diesem historischenFoto aus dem Jahre 1903, und unfreiwillig gibt die genaue topo-graphische Beschreibung der verschiedenen armenischen oderpseudo-armenischen Institutionen oberhalb des Bildes genau denHintergrund der beginnenden armenischen Tragödie preis: linksaußen befindet sich die „Mission Residence”, das Wohnhaus derprotestantischen, amerikanischen Missionare, dann folgt die„Gregorian Church”, die Kirche der armenischen Orthodoxen,schließlich die Armenisch-katholische Schule der Mechitaristenund zu guter Letzt noch die Kirche der Protestanten. Diese Zer-splitterung in einander erbittert bekämpfende Lager ‘mag auch dieErklärung dafür sein, daß nur sehr bescheidene „crowds” dendamals für eine Provinzstadt wie Adana gewiß sensationellenBesuch des Katholikos erwarteten; die innere Zerrissenheit undder nationalistische Konkurrenzkampf der Armenier untereinan-der verhinderte bereits eine gemeinsame Begrüßung des arme-nisch-orthodoxen kirchlichen Oberhauptes.

Erklärung von Rev. Melvin A. Wittler, Repräsentant derAmerican Board of Missionaries, Istanbul, vorn 8. Juni1985:Wirklichkeitsferne Träume . . .

„In jener tragischen Zeit des Ersten Weltkriegs gab es die,Ideale’ des Nationalismus, der aus dem Westen kam undvon den fremden Schulen hier verbreitet wurde. Es gabschreckliche Tragödien - auch als Ergebnis wirklichkeits-fremder Träume und Gefühle der verschiedenen nationa-len Gruppen. Dann kam die Bevölkerungsbewegung vonChristen aus der heutigen Türkei in andere Teile desdamaligen Osmanenreiches. Es gibt keinen Zweifel dar-über, daß Ideen, die damals einige dieser Gemeinschaftenbewegten, über die fremden Schulen hereingebracht wur-den.Doch mit dem Entstehen der türkischen Republik imJahre 1923 und der Errichtung des sekulären Staatesblieb unsere Mission hier und sie erkennt diesenweltlichen Staatsgrundsatz voll an. Wir versuchen, fürVersöhnung zu wirken, gerade in diesem Teil der Welt,wo so verschiedene Volksgruppen leben.”

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Der osmanisch-armenische Baumeister Garabed Amira Balyan(1800-1866, links oben) arbeitete für die Sultane Mahmud II.,Abdülmejid (Mitte) und Abdul Hamid II. (rechts). Zu seinenbedeutendsten Werken zählen die Ortaköy Camii sowie dergewaltige Dolmabahce-Palast zu Istanbul am Ufer des Bosporus.Allmählich ging so gut wie der gesamte Außen- und Binnenhan-

del in die Hände der osmanischen Armenier über, eine Tatsache,die ihnen später insofern mit zum Verhängnis wurde, als dieDrahtzieher der Armenieraufstände auch aus der Überzeugungheraus handelten, das Osmanische Reich müsse unweigerlichzusammenbrechen, wenn die Armenier den Osmanen dieFreundschaft kündigten.

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Das 19. Jahrhundert: Ein goldenesZeitalter für Armenier und

Osmanen, trotz der beginnendennationalistischen Hetze von außen

Nach der Eroberung Istanbuls trachtete Sultan Mechmed Fatihdanach, mit allen unterworfenen Völkern (damals besser: Reli-gionsgemeinschaften; völkische oder gar rassische Begriffebestanden kaum) gutes Einvernehmen herzustellen und ihnenweitestgehende Autonomie einzuräumen.Schon acht Jahre nach der Eroberung Instanbuls berief SultanMechmed Fatih den gleichfalls von den Osmanen gekürtenarmenisch-orthodoxen Erzbischof von Bursa, Hovakim, nachIstanbul und ernannte ihn zum Patriarchen.Patriarch Hovakim wurde geistlicher (und weitgehend auchweltlicher) Führer aller nicht-islamischen, nicht-griechisch-orthodoxen Bewohner des Osmanenreiches; seine Macht über-stieg die des armenischen Katholikos von Edschmiadsin oder Sisbei weitem. Niemals in der Geschichte des armenischen Volkeshatte ein Armenier so viel Macht und Autorität besessen wiePatriarch Hovakim (und seine Nachfolger bis ins 19. Jahrhunderthinein). Von Anfang an verstanden sich die Armenier auch bess-er mit den Osmanensultanen als die Griechen; während diegriechischorthodoxen Patriarchen von Konstantinopel wieGennadios II. Scholarios, Isidoros II. Xanthoüulos oderSophronios I. Syropo-los einander in stets wechselnder Weise,oft mehrmals hintereinander, in kurzen Regierungsabschnittengeradezu die Klinke in die Hand gaben, fanden die Armeniergleich den richtigen Ton im Umgang mit den Osmanen und baut-en ihre Machtstellung immer mehr aus.Bilder: Seine Seligkeit, der armenisch-orthodoxe Patriarch vonIstanbul, Schnorkh Kalustian; Szenen vom 29. Mai, dem Jahres-tag der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453.

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Ein goldenes Zeitalter osmanisch-armenischer Zusam-menarbeit: Vom 15. bis ins 19. Jahrhundert sind dieArmenier des Sultans „treues Millet” und das armenischePatriarchat von Istanbul des Sultan-Kalifen ureigeneSchöpfung.

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Eine Abbildung aus dem „Türkischen Hofer” (Nürnberg, 1721)zeigt einen der für jene Zeit typischen Baumeister aus denglücklichen Tagen osmanisch-armenischen Zusammenlebensund der Zusammenarbeit zu beiderseitigem Nutzen, als derSultan seine Armenier auch noch als ein „treues Millet” beze-ichnete. Das war alles noch vor dem Einsickern eines ebensomißverstandenen wie maßlos übersteigerten Nationalgefühls,das so viele Völker schon ins Verderben führte - auch das Volkder Haik.

Noch einige Beispiele der vollendeten osmanisch-armenischenZusammenarbeit, die teilweise bis über den Armenieraufstandvon 1915 und die darauffolgende Umsiedlung der ArmenierAna-toliens anhielt.

Die Türbe (Grabbau) des letzten, auf osmanischem Boden gestor-benen Sultans Mechmed V. Reschad, der am 27. April 1909 denThron bestieg und auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges,am 2. Juli 1918, verschied, wurde - wie selbstverständlich - voneinem armenischen Architekten errichtet. Die Türbe befindet sichunterhalb von Eyüp unmittelbar am Ufer des Goldenen Horns.

Ein Kiosk des Beylerbey Palastes, gegenüber des Ciragan-Pala-stes am Südufer des Bosporus, errichtet von Agop Balyan.

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Das Portal des von dem osmanischen Armenier Balyan errichte-ten Dolmabadsche-Palastes mit der Tughra, dem kaiserlichen,allerhöchsten Namenszug von Sultan Abdül Hamid.

Mit der Eroberung Konstantinopels durch Sultan MechmedFatih im Jahre 1453 und der im Jahre 1461 erfolgten Erhebungdes armenisch-orthodoxen Erzbischofs von Bursa zumPatriarchen von Konstantinopel begann für die Armenier desOsmanenrei-ches ein goldenes Zeitalter - oft im buchstäblichenSinne des Wortes.Armenier übernahmen die Münzprägung im OsmanischenReich, die Buchhaltung im Hauptschatzamt von Istanbul wurdein armenischer Sprache geführt.

Armenische Baumeister führten eine ununterbrochene Kette vonGroßaufträgen ihrer osmanischen Herren aus; das Bild der„treuen Armeniergemeinde”, die dem Sultan - zu beiderseitigemVorteil - ergeben diente, wurde im Osmanenreich sprichwörtlich.

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Als blindes Hasardieren sahen die Engländer sinngemäß das,was die Russen nach ihrem Diktat von San Stefano von denEuropäern forderten.England bestand darauf, als Voraussetzung für eine Teilnahmean dem von Bismarck vorgeschlagenen Berliner Kongreß, daßjeder einzelne Artikel des „Vertrages” von San Stefano genauunter die Lupe genommen werde. (Punch, 30. März 1878.)

Der Marquis von Salisbury (britischer Außenminister 1878-1880).

Das Gebäude der amerikanischen Botschaft in Istanbul-Pera,einem der elegantesten, um die Jahrhundertwende bevorzugt vonreichen Armeniern und Griechen bewohnten Stadtviertel. Kaum ein Botschafter war im Osmanenreich derartig auf dieBerichte und Übersetzungen seiner (durchwegs armenisch-stäm-migen) Dragomane und die Erzählungen der gleichfalls durch-wegs armenierfreundlichen amerikanischen Missionareangewiesen wie der jeweilige US-Botschafter.Obwohl die USA und das Osmanenreich nie gegeneinanderKrieg führten, beherrschte gerade in den USA das Bild vom„häßlichen Türken” die öffentliche Meinung, auch ein Ergebnisder verzerrten Berichte, die aus Konstantinopel in Washingtoneintrafen.

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Mit dem Eindringen der Mongolen - damals der Groß-macht des Ostens -, die 1236 Ani verwüsteten, und mitder neuerlichen Mongoleninvasion in Ostanatolien unterTimur Lenk (1379) sah sich die armenische Bevölkerungeiner solchen Bedrängnis ausgesetzt, daß das Katholiko-sat nach Etschmiadzin verlegt wurde. Sis, die letzteArmenierbastion im Süden Anatoliens, war 1375 von denMamluken erobert worden.Damit waren die Armenier - abgesehen von ihren religiö-sen und kulturellen Aktivitäten - aus der Geschichte alsMacht- oder Gebietsfaktor ausgetreten. Wie trotzdem eine Armenische Frage als Faktor derPolitik der Großmächte entstehen konnte, geht fastausschließlich auf die Expansionsbestrebungen des zaris-tischen Rußland und seine damit verbundenenSchachzüge zurück; wiederholt erwiesen sich dieArmenier in diesem häßlichen Spiel als die nützlichsten„Bauernopfer”, die die Meister desselben in Moskau oderSt. Petersburg darbringen konnten.Ein kurzer Blick auf die atemberaubende Geschwindig-keit und Zielstrebigkeit, mit der Rußland türkisches undpersisches Territorium gewann und sich das südlicheZentralasien, Nordpersien, den Kaukasus, die Krim undschließlich den Zugang zum Balkan eroberte, macht dieWichtigkeit der Existenz einer Armenischen Frage klar,vor allem im Hinblick auf Rußlands bis heute größtesZiel: die Eroberung der Dardanellen.1774 war der Auftakt zur Abtakelung des Osmanenrei-

ches. Im Vertrag von Kütschük Kainardscha, fünf-undsechzig Jahre nach dem für die Türken soschlimmen Vertrag von Karlowitz, büßte das Osma-nenreich so viel Ansehen ein, daß fortan nur mehrÖsterreich und Rußland auf dem Balkan das Sagenhatten; im Osten allerdings ausschließlich die Rus-sen.Seit dem Jahre 1515 war Ostanatolien osmanisch;1578 hatte Sultan Murad III. Georgien erobert. Dieeinzigen Rivalen der Türken im Osten waren diePerser. Im Jahre 1639 schlossen die Osmanen mitden Safawiden den Vertrag von Kasr-i-Schirine, undtrotz der nachfolgenden Kriege verläuft die heutigetürkisch-iranische Grenze immer noch so wie 1639bestimmt.Alle türkisch-persischen Kriege galten armenischemTerritorium, armenisch allerdings ausschließlich imSinne der Bezeichnung einer historischen Provinz,aber keineswegs irgendeiner Machtposition des Vol-kes der Haik, das, gemeinsam mit anderen Vökernund Stämmen, die ostanatolischen und angrenzen-den Gebiete bewohnte. Zur Zeit des Vertrages vonKasr-i-Schirine, 1639, war die Krim osmanisch,ebenso wie Georgien und die gesamte Schwarz-

Die Politik der Großmächte und die Armenische Frage

meerküste; das Schwarze Meer war ein türkisch-osmanisches Binnenmeer.Eriwan gehörte seit 1639 zu Persien, es war einefast ausschließlich islamische Stadt. Der erste Schritt der Russen in Richtung Kaukasuserfolgte 1556, als sie Astrachan eroberten. Transkaukasien gehörte zwar nominell zu Persien,doch stand Aserbaidschan de facto unter osmani-scher Kontrolle.Das einzige Mal, daß Armenier - genauer gesagt:Haik - in jener Zeit erwähnt werden, ist, als SchahAbbas in den Jahren 1603-1604 die Armenier vonEriwan und Dschulfa nach Innerpersien schaffen. Im Jahre 1461 hatte Mechmed der Eroberer dasarmenische Patriarchat von Istanbul gegründet, unddem armenischen Patriarchen der Stadt unter-standen alle Armenier und Monophysiten desReiches, unabhängig von der Existenz der armenis-chen Katholiko-sate von Sis oder Etschmiadsin -damals persisch -hatte im Osmanenreich keinerleiMacht. Die Russen mischten sich in den türkisch-persis-chen Krieg von 1723 bis 1727 ein und entsandtenMilitär ans Kaspische Meer; das Khanat von Kuba,nördlich von Baku, geriet unter russischen Einfluß. 1768 brach in der Folge der Ereignisse in Polen einrussisch-türkischer Krieg aus. Die osmanischeArmee wurde geschlagen, und 1774 der Vertrag von

Der Gebäudekomplex der kaiserlich-russischen Botschaft inIstanbul-§ishane. Von der Beletage der Botschaft haben dieRussen einen prachtvollen Ausblick auf die Meerengen. An derrussischen Politik, die immer zu den „warmen Wassern”drängte, hat sich so wenig geändert wie an der russischenUnterstützung der armenischen Terroristen, die seit den Tagendes Zaren blutige Tradition hat.

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Kütschük Kainardscha geschlossen. Jetzt drangendie Russen zum ersten Mal in den Kaukasus vor,und zwar bis Kutaissi und über Poti bis Akhaltsiche- also fast bis unmittelbar an die heutige Grenzezwischen Türkei und der Sowjetunion. Der Vertrag von Kütschük Kainardscha lieferte denRussen aber auch Kabartay in Transkaukasien aus(an den Osthängen des Elbrus) und - wichtiger nochals alle Gebietsgewinne - er übertrug den Russen eingewisses Mitspracherecht beim Schütze derChristen des Osmanenreiches. Von diesem Zeit-punkt an strebte Rußland ständig nach Gebietser-weiterung auf Kosten der Türken und Osmanen -und zwar fast immer unter dem Vorwand, Christenbeschützen zu müssen.

1783 schloß Rußland mit den christlichen Geor-gierfürsten einen Schutzvertrag und gewann damitweitgehend die Kontrolle über das alte „Iberien”.

1787 traf sich Kaiserin Katharina II. von Rußland mitKaiser Josef II. von Österreich auf der HalbinselKrim, in Cherson, und vom 14. Mai bis 13. Juniverhandelten die beiden Monarchen über dieAufteilung des Osmanenreiches. Das „GriechischeProject”, das da in Cherson, keine sechzig Kilo-meter vor Yalta, ausgehandelt wurde, sah die Grün-dung eines griechisch-orthodoxen Staates Dacienvor und sollte Bes-sarabien, die Walachei und dieMoldau umfassen, was zunächst den Russen dieGebiete westlich des Dnjepr sicherte und Österreichden Einfluß auf dem Balkan. Für den Fall einesFalles von Konstantinopel sollte ein neues Byzanzgegründet werden. Kurz darauf erklärte dasOsmanenreich den Russen den Krieg, und abermalskam es im Kaukasus zu Gefechten, allerdings zukeinen Gebietsveränderungen.

1796 nahmen die Russen persische Versuche, verlorenesTerrain zurückzugewinnen, zum Anlaß, in Kuba, Baku,Derbent, Kirvan und Karabag aufzumarschieren.

1801 annektierten die Russen Georgien.1812 erlangten die Russen nach dem Frieden von

Bukarest Kontrolle über das Becken von Riom,westlich von Suram, im Kaukasus.

1813 okkupierten die Russen nach dem Frieden von Guli-stan die persischen Gebiete am Kaspischen Meer (inetwa noch der heutige russisch-iranische Grenzver-lauf). Als Schah Abbas Mirza seine verlorenenGebiete zurückgewinnen wollte, heimste er bloßeine neue, diesmal verheerende Niederlage ein.

1828 mußten die Perser im Vertrag von Türkmentschaydie Khanate von Eriwan und Nachitschewan (heuteeine Autonome SSR unmittelbar südöstlich vomArarat) an die Russen abtreten. Die damals gezoge-nen Grenzen bestehen bis heute. In diesem Kriegebeteiligten sich erstmals armenische Freiwillige ingrößerer Zahl, ähnlich 1814-22. Folgenschwer war die Tatsache, daß die Haik desGebietes um Eriwan nun statt unter iranischer unter-

russischer Herrschaft standen, und die Russen längsterkannt hatten, zu welch nützlichen Werkzeugensich die Armenier mißbrauchen ließen. 1828 kamauch Etschmiadsin, Sitz eines armenisch-ortho-doxen Katholikos, unter russische Herrschaft. In der Folge des Vertrages von Türkmentschay unddes für die Osmanen so unglücklich verlaufendenKrieges mit den Griechen, Briten und Franzosen imWesten drangen die Russen bis Erzurum vor.

1839 erhielten die Russen im Vertrag von Edirne dieSchwarzmeer-Festungen Poti und Anapa sowieAchaltsik, Akhalkalak und Atschur, womit die heu-tige russisch-türkische Grenze erreicht war. DerKaukasus ging damit vollständig in russischeHände.Mit Abschluß des Friedensvertrages konnten dieHaik und die Moslems für Rußland oder das Osma-nische Reich optieren. Mehr als 100.000 Armenierverließen damals die Gegend bis Erzurum und gin-gen in das Gebiet der heutigen SowjetrepublikArmenien, während die überwiegende Zahl derMoslems den Kaukasus verließ und nach Anatolienzog. Bis zu diesem Zeitpunkt war Eriwan fast aus-schließlich von Moslems bewohnt gewesen.

SIR AUSTEN HENRY LAYARD

British Ambassador at Istanbul(1877-1880)

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Nach dem Vertrag von Türkmentschay (1828; Türk-mentschay liegt in Nordpersien am Urmiasee) hatteder Zar aus den Khanaten Nachitschewan undErivan ein Armenien gegründet, alle Bewohner derRegion zu russischen Bürgern und sich selbst zum„König von Armenien” erklärt - so wie er ja auchden Titel eines „Königs von Polen” trug.

1849 wurde die Kaukasusregion in zwei Hälften geteilt,schon

1854 wurde die Teilung aber wegen ständiger Unruhenzurückgenommen, weil die Moslems sich mit derVorherrschaft der georgischen und armenischenChristen in diesen Großzonen einfach nicht abfan-den.Fürst Worontsoff, der mit der Reorganisation diesesKrisengebietes beauftragt wurde, splitterte dieLandschaft in zahlreiche kleine politische Bezirkeauf. Die Armenier bewohnten vor allem die RegionTiflis; bald gingen sie auch in größerer Zahl in dieRegion Eriwan.

1854 war auch das Jahr des Krimkrieges; er brach aus,weil sich die Osmanen weigerten, ein allgemeinesrussisches Protektorat über die Christen des Osma-nenreiches anzuerkennen.Ziel der Russen war es, das Osmanische Reich zuFall zu bringen - den „kranken Mann am Bosporus”sterben zu lassen und selbst dort die Macht zuergreifen.

1854 fiel Kars nach heldenmütiger Verteidigung in russi-sche Hände.

1856 beendete das „Protokoll von Wien” den Krimkrieg.Der Friede von Paris - im gleichen Jahr - bedeutetefür das Osmanische Reich einen echten Erfolg,erhielt es doch Kars zurück und außerdem fiel dasodiose „Protektorat” über die orthodoxen Christender Türkei (das wie eine Vorwegnahme der späterenBreschnjew-Doktrin anmutet).Vor allem England hatte sich geweigert, den russi-schen Teilungsplänen über das Osmanenreich zuzu-stimmen, weil es seine eigenen Interessen gefährdetsah. Schon zwanzig Jahre später sollte Rußlandabermals versuchen, das Osmanenreich in die Kniezu zwingen.

1863 erschien ein „Reglement de la nation armenienne”,das zwar nichts an der Stellung der Armenier inner-halb des Osmanenreiches änderte, aber - auf Grundder Wünsche der Vertreter der armenischen Min-derheit - die Rechte des Patriarchen entscheidendschmälerte. Neben dem katholischen und dem pro-testantischen „Millet”, die die Macht des Patriar-chen schon beschnitten, mischten nun auch die poli-tischen Repräsentanten der Armenier mit, und allemiteinander kämpften sie um die Vormacht inner-halb der armenischen Volksgruppe - zum Schadender Armenier, zum alleinigen Vorteil der Radikalen.Einsichtigen Armeniern war schon damals klar, daßes verheerende Folgen für ihre Volksgruppe haben

Der für das Osmanenreich verheerende russische Sieg im Kriegvon 1878/79 brachte auch eine Katastrophe für die Balkan-Tür-ken. Auf dem Boden des neu entstehenden Fürstentums Bulga-rien wurden innerhalb weniger Tage 400000 islamische Türkenniedergemetzelt, mehr als eine Million türkischer Flüchtlingesuchte in Istanbul Zuflucht. Verzweifelt versuchten die Flücht-linge, den im Çiragan-Palast internierten, abgesetzten SultanMurad zu befreien, von dem sie sich eine Wende des Kriegsver-laufes erhofften; die Bewacher richteten unter den Aufständi-schen ein Blutbad an (Zeichnung aus der VSEMIRNAJAILLU-STRATIJA, St. Petersburg, 24. Mai 1878). Für dieosmanischen Flüchtlinge setzte sich keine der Mächte ein, dieMassenmorde blieben ungesühnt.

Eines der Meisterwerke osmanisch-armenischer Baukunst,selbst als Ruine noch bezaubernd schön: die Überreste des vonNigo-gosch Balyan errichteten Ciragan-Palastes am Bosporus,in dem Sultan Murad V. seine Verbannungsjahre verbrachte.

müsse, wenn die alten, seit der Krimkonferenz zwi-schen Josef II. und Katharina II. nie vergessenenPläne, ein griechisch-orthodoxes Byzanz unter russi-schem Protektorat zu errichten, wahr würden - daskonnte nur neue Versuche der griechisch- (oder rus-sisch-)orthodoxen Kirche zeitigen, die Armeniervoll unter ihre Herrschaft zu bringen.Schon die russische Herrschaft über den Kaukasushatte klar gezeigt, daß der Zar nicht im Traume

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Schloß Beylerbey am Bosporus, ein Meisterwerk desosmanisch-armenischen Architekten Agop Bey Balyan,war Schauplatz einer Begegnung zwischen Sultan AbdulHamid und dem russischen Großfürsten Nikolaus. In derStunde äußerster Bedrängnis des Osmanenreiches liefendie Armenier, bisher das treue Millet, trotz ihrerBeteuerungen der Anhänglichkeit zu Beginn des Krieges,zu den Russen über und versuchten, die Gunst der Stundezu nützen. Die Osmanen haben diesen Treuebruch nievergessen, das armenisch-osmanische Verhältnis gestaltetesich von da an immer schwieriger.

daran dachte, den Armeniern besondere Rechte oder gar(die von manchen erhoffte) Unabhängigkeit zu gewähren- das hätte bloß die anderen, von den Russen gleichfallsunterworfene Völker auf ähnliche Unabhängigkeitsge-danken gebracht. Tatsache ist, daß bis 1870 die Armenierin der internationalen Politik noch kaum irgendeine Be-deutung hatten. Das Unheil bereitete sich langsam, fastunmerklich vor.

1876 lehnte es eine in Istanbul versammelte Botschafter-konferenz der Großmächte einfach ab, auf eineDemarche des armenischen Patriarchen auch nur inetwaeinzugehen. Die einzigen, die bis dahin Interesse an denArmeniern gehabt hatten, waren die Russen, die bei ihrenGebietseroberungen im Ostendie armenische Minderheitgut gebrauchen konnten, gelegentlich auch alsHenkersknechte, die unter den Moslems Angst undSchrecken verbreiteten, ohne daß sie sich selber dieHände schmutzig machen mußten (so bei der EroberungErzurums im Jahre 1839; als die Armenier unter denMoslems ein Massaker anrichteten).

1877 zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Russen, nach-dem der Balkan bereits vergeben war, auf der AchseErzurum - Alexandrette (heute Iskenderun) in RichtungMittelmeer vorstoßen wollten.

Jetzt gewannen die Armenier erst ihre richtigeBedeutung für Rußland; sie sollten als 5. Kolonne dienen.Dazu nützte Rußland nicht nur den armenischen Klerusaus, sondern mehr und mehr auch die Kader der revolu-tionären Armenier. Zur gleichen Zeit regte sich auch das Interesse derEngländer an den Armeniern. Es tauchte der Gedankeeines armenischen Pufferstaates auf, der im Falle einesZusammenbruches des Osmanischen Reiches alsPrellbock zwischen den Großmächten dienen könnte.

1877 24. April: Der kürzeste, aber für die Osmanen ver-heerendste Krieg mit Rußland beginnt. Für die Türken istauch heute noch „die Katastrophe von zwölf-hundertdreiundneunzig” (1293 nach osmanischerZeitrechnung) sprichwörtlich.Von Beginn an waren die Russen an der Ostfront imVorteil. Am 18. November fiel Kars. Die Russen standenunter dem Kommando des armenischen Generals LorisMelikof. Erzurum hielt wohl allen russischen Angriffenstand, aber an der Balkanfront erlitten die Türken beiPlevna eine verheerende Niederlage.

1878 31. Jänner: Waffenstillstand von Edirne. Das Schicksaldes Osmanischen Reiches scheint besiegelt zusein. Nichts kann die Russen aufhalten, nach Kon-stantinopel zu marschieren.Doch zunächst nehmen die Vertreter der Armenier mitden Russen Kontakt in Edirne auf. Noch zu Beginn desKrieges hatten sie sich einmütig hinter ihr osmanischesVaterland gestellt, jetzt, nach der Katastrophe von Plevna,schwenkte das gesamte armenische Lager auf die russis-che Linie um. Erste Kontakte fanden schon in Edirne statt. Ob und wiesich Patriarch und Katholikos in das Szenario einschal-teten, scheint umstritten; das Ergebnis der Interventionenwar jedenfalls, daß sich Rußland im Friedensdiktat vonSan Stefano ausdrücklich (wenn auch sehr unverbindlich,denn schließlich wollte man den eigenen, den russischenArmeniern ja auch keineswegs Unabhängigkeitgewähren) für die Armenier verwendete.Im Artikel 16 des Vertrages von San Stefano (Yesil-köy)heißt es: „. . . la Sublime Porte s’engage ä rea-liser sansplus de retard les ameliorations et les reformes exigeespar les besoins locaux dans les pro-vinces habitees par lesArmeniens et ä garantir leur securite contre les Kurdes etles Circassiens”. Dieser an sich völlig nichtssagende Vertragspunkt, derbloß verlangte, daß die Osmanen für die Sicherheit ihrerarmenischen Bürger vor kurdischen und tscherkessischenÜberfällen sorgen sollten, bedeutete doch einenWendepunkt; zum ersten Mal waren damit die Armenierin einem internationalen Vertragswerk, wenngleich einemDiktat, erwähnt worden. Die Armenier wußten das richtigzu schätzen, so nichtssagend ihre Nennung auch seinmochte (die Russen wußten, warum).

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Nur zu bald schon sollte sich herausstellen, daß der„Friedensvertrag” von San Stefano bloß sehr vorläu-figen Charakter hatte; sowohl England als auchÖsterreich lehnten ihn ab. Schließlich wurde FürstBismarcks Vorschlag angenommen, in Berlin einenKongreß einzuberufen, der die Osmanische Frageregeln sollte.Die Vertreter der Mächte tagten in Berlin vom 13.Juni bis zum 13. Juli 1878. Außer den beidenReichskanzlern Gortschakow und Fürst Bismarckweilten für Österreich-Ungarn Graf Andrassy, LordBeaconsfield für Großbritannien, Waddington fürFrankreich, Corti für Italien, Karatheodori undMeh-med Ali für das Osmanische Reich in derneuen deutschen Reichshauptstadt, und einzigerZweck des Kongresses war, das Diktat von SanStefano der für die Osmanen allzu drückendenBestimmungen zu entkleiden - was auch geschah.Vergeblich war eine starke armenische Delegationunter der Führung von Prälat Khrimian - ein frühe-rer armenisch-orthodoxer Patriarch - nach Berlingereist. Längst war allgemein bekannt, daß dieArmenier nirgendwo in Anatolien auch nur im ent-ferntesten über eine Mehrheit verfügten; niemandwollte einer Minderheit, die einzig und allein in Vanselbst über ein Drittel des Bevölkerungsanteils ver-fügte, auch nur eine Autonomie zubilligen - aufGrund welcher Tatsache hätte man das gemacht?Am 8. Juli 1878 nahm der Kongreß - anstelle desArtikels 16 von San Stefano - den „Artikel 61” an,der im wesentlichen jenem von San Stefano ent-sprach, und auch Artikel 62 bezog sich auf Reli-gionsfreiheit. Doch von einer Autonomie war nir-gendwo die Rede; dafür war das armenische milleteinfach zu schwach.Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert des Trium-phes der Nationalstaaten - aber auch der demokra-tischen Mehrheit geworden.. Bulgarien, Serbien,Griechenland, Rumänien, alle wurden unabhängig,überall aber verfügte die Nation auch über einesolide Mehrheit.Mit den Armeniern verhielt sich das ganz anders. Inden von ihnen beanspruchten riesigen Gebietenmochte vor fast 2000 Jahren, unter völlig anderenBedingungen, tatsächlich einmal ein armenischerKönig über ein armenisches Reich regiert haben.Aber das 19. Jahrhundert verlangte nach Mehrheiten- und die gab es ausschließlich für Moslems, undzwar in allen Teilen Anatoliens. Unter diesen Umständen griffen armenische Kreise,die sich mit den Tatsachen nicht abfinden konnten,Gruppen von Revolutionären, Klerikern, Intellektu-ellen, aufgehetzt hauptsächlich von Rußland, zumTeil aber auch von Missionaren, zu immer kühne-ren, immer abenteuerlicheren Methoden, um Auf-merksamkeit zu erregen und irgendwann doch ein-mal Herrschaft über die Mehrheit zu erringen.

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Die Selimie von Edirne, ein Meisterwerk des Mimar Sinan. InEdirne trafen im Jahre 1878 Vertreter des armenischen Patriar-chen Khrimian von Istanbul mit den siegreichen Russen zusam-men. Dies empfanden die Osmanen als schändlichen Verrat.

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Bismarcks Deutschland und Kaiser Franz Josephs Österreich-Ungarn vereitelten gemeinsam mit Großbritannien die Plänedes Zaren, die im Diktat von San Stefano eingeleiteteLiquidation des Osmanenreiches zu vollziehen.Bild: Die prachtvolle Sommerresidenz des österreichisch-ungarischen Botschafters am Bosporus; heute von der österre-ichischen Regierung dem Verfall preisgegeben.

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Sir A. H. Layard an den Marquis von Salisbury No.211. Vertraulich.Konstantinopel, 17. Februar 1880 (In London eingelangt am 26. Februar 1880) My Lord,der gregorianische Patriarch, Mgr. Narses, beschwertsich bei mir ständig über die schlechte Behandlung unddie Ungerechtigkeit, denen die Armenier Kleinasiensausgesetzt seien, und fordert mich auf, für sie eineVerwaltungsreform und Wiedergutmachung zuerwirken. Ähnliche Beschwerden bringt er bei derDeutschen Botschaft vor, und zweifellos auch beianderen Botschaften. Ich wünschte daraufhin, mehrInformationen zu erhalten und schickte Sir. A. Sandisonzu Seiner Seligkeit, um genaueres über dieForderungen der armenischen Bevölkerung zuerfahren, seine Ansichten genauer kennenzulernen,sofern sie eine Verbesserung der Lage der Armenierbetreffen, damit ich bei der Hohen Pforte mit einigerAussicht auf Erfolg vorsprechen könne. Ich dachte, dassei eine günstige Gelegenheit, Eurer Lordschaft Anwei-sung, wie in dem Brief No. 79 ausgedrückt, Geheimund Höchst vertraulich, vom 2. dieses Monats, worin esheißt, gemeinsam mit dem deutschen Geschäftsträgerin der armenischen Frage vorzugehen.Über meinen Vorschlag zeigte sich Graf Radolinski(der deutsche Geschäftsträger) sofort damit einver-standen, daß Herr M. Testa, erster Dolmetsch an derDeutschen Botschaft, Sir. A. Sandison bei seinemBesuch bei Mgr. Narses begleiten solle.Ich habe die Ehre, ein Memorandum von Sir Alfred alsErgebnis dieses Besuches beizuschließen; es ist dasErgebnis des Besuches bei Seiner Seligkeit, und EureLordschaft werden es mit Interesse lesen.Ich habe bereits meine Ansicht ausgedrückt, daß manvon der Pforte nicht verlangen kann, stets einenArmenier als Gouverneur der Provinz Erzurum zu ernen-nen. Das währen der erste Schritt in eine Autonomie, derdie türkische Regierung nicht zustimmen kann. Darüberhinaus haben die Armenier, wie mir scheint, kein Recht,auf dieser Bedingung zu bestehen. Das Verlangen, daßdiese Stelle für Christen wie für Moslems offen stehensollte, ist eine andere Sache und wäre vertretbar. Demwurde auch grundsätzlich kürzlich von Rüstem Paschazugestimmt, der aber leider wegen seines schlechtenGesundheitszustandes zurücktreten mußte.Es ist unwahrscheinlich, daß die Hohe Pforte irgend-einem Vorschlag zur Schaffung einer ArmenischenAutonomen Provinz Gehör schenken würde, noch - ichbin davon überzeugt - liegt es im wahren Interesse derArmenier, daß sie so eine Absicht durchsetzen sollten.Wenn die Armenier auf Ost-Rumelien hinweisen, umeinen Prä-sidenzfall für ihr Verlangen vorzubringen,scheinen sie zu vergessen, daß in jener Provinz dieChristen über eine beträchtliche Mehrheit gegenüberisalmischen Bevölkerung verfügten.Das Gegenteil ist in so gut wie allen Teilen derAsiatischen Türkei der Fall.

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Jeder Versuch der Armenier, Autonomie zu erlangen,die ja, in dem Sinne, den die Armenier der Autonomiezugrundelegen, unweigerlich ausschließlicheHerrschaft der Christen und christliche Verwaltungbedeutet, würde den Widerstand der Moslems bis zumletzten hervorrufen. Sie kennen heute das Schicksal,das ihren islamischen Brüdern in Rumelien undBulgarien widerfahren ist.Die Folge wäre, mit höchster Wahrscheinlichkeit,blutiger Kampf, wenn nicht gar ein allgemeinesArmeniermassaker, dem nur mit Hilfe einerbewaffneten Intervention von seifen Rußlands ein Endegemacht werden könnte, die aller Wahrscheinlichkeitnach mit dem Aufgehen der Armenier in russischemHerrschaftsgebiet enden würde, mit dem Verlust ihrerNationalität, ist Rußland doch noch weniger als dieTürkei geneigt, armenische Autonomie zu fördern odergar letztliche Unabhängigkeit. (Der Rest des Briefes berichtet über die Ablehnungbritischer Konsularberichte über die Zustände inAnatolien, die größtenteils, nach Meinung der Pforte,von Patriarch Narses inspiriert seien.)

Schlußformel A. H. Layard (m. p.)

F. O. 424/106, p. 174-175, No. 81

Sir. H. Elliot an den Earl of Derby No. 1337

Constantinopel, 7. 12. 1876 (In London eingelangt am 15. Dezember 1876)

My Lord,der armenische Patriarch suchte mich gestern auf.Gegenstand seines Besuches war es, im Namen derchristlichen Gemeinde, deren Oberhaupt er ist, dieHoffnung auszudrücken, die Botschafterkonferenzwerde nicht darauf bestehen, daß nur jenen Provinzenvon der Hohen Pforte Zugeständnisse gemacht werden,die sich gegen die Regierung erhoben hatten, sondernauch jenen, die ruhig geblieben waren.Ich antwortete zurückhaltend, und erklärte, die Konfe-renz befasse sich mit dem Ziel, in den Provinzen wiederRuhe herzustellen, wo ein Aufstand den allgemeinenFrieden bedroht hatte, und daß sie sich nicht zurAufgabe gestellt hatte, sich mit der Frage derVerwaltung des Osmanischen Reiches als ganzes zubefassen. Der Patriarch antwortete, daß seine Leutesehr erregt seien, und sagte, für den Fall, daß esnotwendig ist, sich zum Aufstand zu erheben, um dieSympathie der europäischen Mächte zu erringen, gibtes keine Schwierigkeiten, so eine Bewegung ins Lebenzu rufen. (Der Rest des Briefes beschäftigt sich mit tscherkessis-chen Flüchtlingen, die aus Europa nach Asien über-siedeln mußten.)

SchlußformelHenry Elliot (handschriftlich)

F. O. 424/46, p. 205-206, N. 336

Patriarch Mygirditsch Khrimian (1869-1874) war der Führereiner armenischen Delegation, die mehrere europäischeHauptstädte besuchte, um bei den Mächten ein „autonomes”Armenien durchzusetzen. Am Vorabend des Berliner Kongressesüberreichte Prälat Khrimian dem Kongreß ein in diesem Sinnegehaltenes Schreiben. Nach seiner Rückkehr forderte PrälatKhrimian die Armenier indirekt zur Gewalt auf, indem er alle-gorisch feststellte, die Balkanvölker hätten sich ihre RationFreiheit „mit dem eisernen Löffel geholt”, während dieArmenier mit Papierlöffeln speisten. Die Folge war eine ganzeKette von blutigen Aufständen der armenischen Minderheit, diedie Beschlüsse des Berliner Kongresses einfach nicht zurKenntnis nehmen wollte.

Patriarch Nerses II. Vartabejian, Armenischer Patriarch vonIstanbul (1874-1884), schrieb am 13. April 1877 an LordSalisbury, daß „coexistence” zwischen Armeniern und Türken„impossible” sei, und der einzige Ausweg aus der Unruhe in derSchaffung einer „autonomen christlichen Organisation” (alsoeines christlichen Staates) nach „libanesischem Vorbild” bestünde. «Une autorite Chretienne . . . doit donc remplacer l’autoriteMusulmane partout oü il y a agglomeration des Chretiens . . .»Selbst der Patriarch wagt es nicht, von einer christlichen Mehr-heit in Ost- oder Südanatolien zu schreiben; er wählt das Wort„agglomeration”, die vielleicht in einigen Straßenzügen oderbesseren Wohnvierteln ostanatolischer Städte bestanden hat,nicht aber in auch nur einer einzigen Stadt (Briefzitat aus F. O.424/70, pp 70-72, No. 134/1).

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Berliner Kongreß: Die überragende Persönlichkeit Bismarckssteht im Mittelpunkt. Für das Osmanische Reich werden ehren-volle, erträgliche Bedingungen ausgehandelt; die ArmenischeFrage wird keineswegs im Sinne der armenischen Minderheitgelöst, bleibt aber ein Anlaß und Hebelpunkt für ausländischeEinmischung.

Großfürst Nikolai trifft den Sultan in Beylerbey, wo der Kalifmit Mühe und Not eine Besetzung Istanbuls durch die Russenin zähen Verhandlungen zu verhindern weiß.

Guten Appetit!Im Jahre 1879 tauchten Gerüchte über einen bevorstehendenKrieg mit Burma auf. Die Macht des Britischen Weltreichesnäherte sich seinem absoluten Höhepunkt, nichts schien sowichtig wie die Sicherung des indischen Kolonialbesitzes, derBurma genauso zum Opfer fiel wie Zypern oder dasOsmanenreich überhaupt; die Armenische Frage bildete dabeibloß einen billigen Vorwand, in der Türkei mitmischen zu kön-nen, ohne daß das geringste Interesse an den wahrenLebensbedürfnissen der armenischen Minderheit bestandenhätte. Rumelien, Zypern, Burma, Afghanistan oder die Türkeihatten dabei keinen anderen Stellenwert als die Frage derArmenier oder des Zululandes . . .

Brief aus dem Britischen Außenministerium an denBotschafter ihrer Majestät in Konstantinopel

Der Marquis von Salisbury an Mr. Layard

London, Foreign Office, 30. May 1878

Sir,der Fortschritt bei den Geheimverhandlungen, die seiteiniger Zeit zwischen Ihrer Majestät Regierung undder Russischen Regierung laufen, macht eswahrscheinlich, daß jene Artikel des Vertrages von SanStefano, die die Europäische Türkei betreffen, ausre-ichend abgeändert werden, um sie in Harmonie mit denInteressen der europäischen Mächte zu bringen, beson-ders jene Englands. Allerdings gibt es hinsichtlich der asiatischen Türkeikeine derartigen Aussichten hinsichtlich einer Revisiondes Vertrages von San Stefano. Es ist offenkundig, daßbezüglich Batum und der Festungen nördlich desAraxes die Russen von keinem der Zugeständnisselassen werden, die ihnen die Pforte machte.(Der sehr ausführliche Brief setzt sich im Anschlußdaran mit der Tatsache auseinander, daß die Russenvon nun an Batum, Ardahan und vor allem die FestungKars dazu benützen werden, „um die asiatischenBesitzungen der Pforte in seine Bestandteileaufzulösen”.) Der überraschende, wahrhaft imperialistische Schlußaus den russischen Expansionsbestrebungen lautet so:Ich fordere Eure Exzellenz daher auf, der Hohen Pfortevorzuschlagen, einer Abmachung mit nachfolgendemErgebnis zuzustimmen, und ich übertrage Ihnen hier-mit volle Autorität, diesen Vertrag namens der Königinund Ihrer Majestät Regierung abzuschließen: „Wenn Batum, Ardahan, Kars, oder eine dieser Städtevon Rußland einbehalten werden, oder wenn dieRussen noch irgendeinen Versuch unternehmen, irgendeine andere Besitzung des Sultans in Asien zu beset-zen, die ihm im endgültigen Friedensvertrag zuge-sprochen wird, verpflichtet sich England, dem Sultanmit Waffengewalt beizustehen.Als Gegenleistung verspricht der Sultan England dienotwendigen Reformen einzuleiten (die später zwis-chen den beiden Mächten ausgehandelt werden),sofern sie Christen und andere Bürger betreffen, undder Sultan stimmt darüber hinaus zu, um England dienotwendigen Voraussetzungen für die Durchführungseines Engagements zu verschaffen, die Insel Zyperndurch England besetzen und verwalten zu lassen.” Iam, (Schlußformel)

SALISBURY (m. p.)Turkey, No. 36, (1878), p. 1-2, No. 1

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Armenakan, Hintschaks und Daschnaksutiun:Revolutionäre Parteien, Terror als Methode

Die erste politische Partei der armenischen Minderheit,die eine gewisse Bedeutung erlangte und, nach europäi-schem Vorbild organisiert, auch über eine eigene Publika-tion verfügte, war die „Armenakan Partei”, im Herbst desJahres 1885 in Van gegründet.Der führende Kopf dieser durch und durch revolutionärenBewegung war der Sohn eines steinreichen armenischenBankiers aus Konstantinopel und hieß MekeritschPortukalian. Nach zahlreichen Schwierigkeiten mitseinen Schulgründungen in Van emigrierte er nachMarseille, von wo aus er seine Armenierpartei fortandirigierte. In Marseille brachte er auch eine Zeitschriftheraus, Arme-nia, und seine Zielsetzung, die in Europaverstreut lebenden Armenier für die Gründung einesArmenierstaates (wenngleich aus der Ferne!) zu begeis-tern, fand Widerhall in der Gründung einer „ArmenischenPatriotischen Gesellschaft”, die fortan viel Geld sam-melte und folgerichtig Waffen und Munition kaufte. Ihr Ziel war die „Erringung der Selbstregierung durchRevolution”, und die Mitglieder der Armenakan wurdenin Van und Umgebung mit den modernsten Waffen aus-gerüstet, in der Kunst der Guerilla und der „Ausrichtungdes Volkes der Armenier auf eine allgemeine Erhebung”mit Berücksichtigung der Unterstützung „durch befreun-dete Großmächte” abgerichtet. Die Armenakans verfüg-ten bald über revolutionäre Zellen in Trapezunt und Kon-stantinopel sowie Kader in Rußland, Persien und in denUSA.Nach dem Zeugnis des armenierfreundlichen HistorikersChristopher J. Walker verlor sich die lichtvolle Entwick-lung unter Portukalian alsbald in „sterile brutality” derarmenischen Terrorszene.Im Jahre 1887 gründeten Armenier in Genf die erstebetont marxistische Partei, deren Symbol die Glocke war(hnschak = Glocke). Die Hintschaks rekrutierten sich fastausschließlich aus russischen Armeniern und zeichnetensich durch den besonders militant-revolutionären Geistdes Dunstkreises um den Kaukasus aus (auch der jungeDschugaschwili, Vulgo Stalin, kam aus dieser Welt). DasParteiorgan hieß Huntschak, und im Jahre 1890 nahm dieGruppe den Namen „Revolutionäre Partei der Huntscha-kian” an - kurz Huntschaks genannt. Führer war derfanatische Revolutionär Avetis Nasarbekian, ein „sehrhübscher, dunkelhaariger, orientalisch wirkender jungerMann, der vorzüglich Violine spielte” und „revolutionä-ren Terror” als natürliche Folge der Ablehnung „kapitali-stischer” Gesetzgebung ansah.Die „Föderation Armenischer Revolutionäre” schließlich,die „Hai Hegapokhakanneri Daschnaksutiun”, entstand

Der Nationalismus greift von den Kirchen auf profaneOrganisationen über

Theatervorhang einer armenischen Schule in Ostanatolien miteiner Darstellung der revolutionären Hintschakisten HabeteTevekelian und Kalust Andrassian. Terroristen dieser Gattungbereiteten die groß angelegte und von langer Hand geplante„Erhebung von Van” vor, die wieder einmal die Weltöffentlich-keit wegen der „Greueltaten der Türken” aufrütteln sollte. Zu diesem Zwecke brauchte man auch Geld, viel Geld, und dassollte auch der Abt des Klosters Ahtamar im Vansee beisteuern.Als er es ablehnte, den Terroristen Tribut zu leisten, weil erfand, die Armenier führten im Osmanenreich ein gutes Leben,wurde er - so wie sein Sekretär - ermordet und die viergeteiltenLeichen warfen die Terroristen in den See. Der Nachfolger desAbtes Boghos zahlte dann willig die geforderte Summe. Ein Jahr darauf, im Juni 1896, brach dann die Revolte von Vanaus, ein blutiges Vorspiel zu der Tragödie des Frühjahrs 1915,als die Terroristen die gesamte Bevölkerung der islamischenStadtviertel von Van auslöschten.

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als Folge der Notwendigkeit, all die großen und kleinenTerrorgruppen und revolutionären Zellen unter eineDachorganisation zu stellen. Ziel der Organisation war(und ist) es, die Unabhängigkeit ihres Armeniens durcheinen Volkskrieg zu erringen. Da alsbald wieder mehrereGruppen dieses gemeinsame Dach mieden, änderten dieDaschnaks ihren Namen in „Hai HegapokhakanDaschnaksutiun” - „Armenische Revolutions-Födera-tion”, eine Bezeichnung, die von den Daschnaks nochheute geführt wird. So wie im 19. Jahrhundert mancheprotestantisch-armenische Pastoren erbittert mit den gre-gorianischen Priestern um die Palme kämpften, wer dennder „bessere” nationalistische Hirte sei, rivalisieren diebeiden politischen Gruppen der Daschnaks und Hint-schaks im Wettstreit um die Gunst der Armenier; dieHintschaks legen mehr Wert auf ihre sozialistische, dieDaschnaks mehr auf ihre nationalistische Gesinnung, inder Mischung aber ergeben sie haargenau jenes national-

Das Banner der Daschnaksutiun mit den beiden Aufschriften„Revolutionäres Komitee der armenischen Daschnaksutiun”und „Freiheit oder Tod”. Schwer bewaffnete Daschnakistenkommen vom Ararat her, und die explodierende Bombe imVordergrund symbolisiert die Arbeit der Revolutionsgruppenim Osmanen-reich. Das Blatt erschien im Jahr 1909 in Genf.

sozialistische Zerrbild einer fanatischen Weltanschauungwie andere Gruppierungen aus diesem gedanklichenDunstkreis auch.Besonders die Daschnaks nützten und nützen brutalenTerror als politisches Mittel zum Zweck; zahlreicheAnschläge, bis in jüngste Zeit, gehen auf ihr Konto; dieFinanzierung ihrer Tätigkeit erfolgt meistens mit Hilfeder Einschüchterung und Erpressung.

21. Juli 1905: Das „Yildiz-Attentat” auf Sultan Abdul Hamid.

Eines der grausamsten Attentate des Aktionskomitees derDaschnak-Organisation war der Anschlag auf SultanAbdul Hamid. Der armenische Politiker K. Papasian,Autor des Buches „Patriotism Perverted” (Boston, 1934)bemerkt dazu, „der Mordversuch an Sultan Abdülhamidsei einer der letzten Versuche der revolutionären Arme-nier im Namen der Daschnakisten” gewesen, mit Hilfeeines Attentats politische Ziele zu erreichen; da es fehl-schlug, habe es nur unangenehme Folgen gebracht. DieBomben waren zu früh explodiert, da sich der Sultan nachdem Besuch der Yildiz-Moschee zu lange mit demScheich ul Islam unterhalten hatte. Der Sultan par-donierte die Attentäter vergeblich; fortan verlegten sichdie Unruhestifter auf das Anzetteln möglichst großangelegter Aufstände, um die Aufmerksamkeit Europaszu erwecken.

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Am 30. September 1895 organisierte die Hintschakisten-Partei eine spektakuläre Demonstration unmittelbar imBannkreis der Hohen Pforte (Bab Ali). Die RevolutionäreHintschak-Partei hatte sich dabei etwas Besonderes aus-gedacht, was seine Wirkung auch nicht verfehlte: dieHintschakisten sandten schon im voraus einen Brief analle Botschaften in Istanbul, in dem sie die friedlicheDemonstration ankündigten und gleichzeitig jedenGewaltakt als ein Werk der Ordnungskräfte denunzierten.Allen Beteiligten war aber bekannt, daß ein besondersradikaler Parteiflügel Ausschreitungen kalkuliert ein-plante. Viele Demonstranten erschienen schwer bewaffnet, umden 30. September zu einem denkwürdigen Tag zu gestal-ten. Gegen Mittag hatten sich bereits 2000 am Kum Kapi,dem armenischen Patriarchat, versammelt. Maßlose For-derungen wurden laut, und einer der Rädelsführer desSassun-Auf Standes schrie schließlich „Freiheit oderTod!” in die Menge, die sich daraufhin in Richtung BabAli wälzte. Unterwegs wurde ein Polizeioffizier umge-bracht-und damit erreichten die Organisatoren endlich,was sie von Anfang an geplant hatten, nämlich auch dieOrdnungskräfte zur Gewalt zu provozieren. Drei Tagelang hielten die Unruhen die Hauptstadt in Atem; am 3.Oktober erwischte es sogar noch Murad (HampartsumBoya-dschian), gleichfalls ein professioneller Aufwieglerder Sassun-Revolte, der leicht verwundet wurde. DerSultan persönlich bat den Patriarchen um Vermittlungund Wiederherstellung der Ordnung, vergeblich; dieParteigrößen der Hintschakisten wollten das Chaos.Schließlich fanden doch auch die (erwarteten) Racheak-tionen der moslemischen Bevölkerung statt, und wieimmer in solchen Fällen, erwischte es hauptsächlichUnschuldige, die mit den Unruhestiftern nichts zu tungehabt hatten; aber das war ja, wie in Sassun oder Zeitun,beabsichtigt.Am 10. Oktober verließen die letzten Armenier ihre Kir-chen, in denen sie Asyl gefunden hatten, und jeder, derwollte, konnte sich unter den persönlichen Schutz desrussischen Botschafters stellen. Botschafter Newilowwußte, wem er zu helfen hatte, wurden doch bei mehre-ren hundert Demonstranten Waffen gefunden. In derFolge der Bab Ali-Demonstration tauchte ein neues Wortauf, kusaktsakan. Kusaktsakan war ein besonders treuerParteigänger der Hintschakisten, einer, der nicht fragte,warum die Partei etwas befohlen hatte, sondern nur denBefehlen gehorchte. In Rußland sollten diese Typenspäter den Namen Apparatschik bekommen.

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Die Bab Ali-Demonstration, die Hintschakisten und die Kusaktsakan

Eine Selbstdarstellung der Hintschakisten, der marxistisch-revolutionären Organisation, anläßlich ihres 20jährigenBestehens, um das Symbol der Glocke schart sich einErinnerungsbogen von besonders blutigen stets von Hintschaksoder ihren geistigen Vätern hervorgerufenen Unruhen.

Armenier-Unruhen in Istanbul, 1896: Der Aufruhr folgte einemstets gleichbleibendem Grundkonzept. Zunächst wurde irgendwoin der Stadt, sei es in der Osmanischen Bank, vor demSultanspalast oder in der Nähe des Patriarchensitzes, ein Anschlagverübt, zu dem nach Tunlichkeit bereits europäischeBerichterstatter eingeladen waren. Die Unruhestifter mußten, teilsauf ausländischen Druck, teils wegen der Hoffnung der HohenPforte, Begnadigung wirke beruhigend, fast immer wieder freige-lassen werden (daher finden sich die gleichen Rädelsführer beizahllosen Attentaten wieder), was mitunter die Volkswut soerregte, daß d is von den Revolutionären erstrebte Ziel, nämlichArmenierunruhen mit Toten oder Verletzten, über die wieder welt-weit berichtet werden konnte, tatsächlich eintrat.

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Eine Illustration aus dem Buch „Turkey and the Armenian Atro-cities”, das 1896 in den USA erschien: „Abschlachtung vonArmeniern in Sassun. Das ist ein wahres Bild des Abschlachtensvon Unschuldigen, das die grausamen (auch: verdammten)Kurden und in Wut gebrachten Soldaten an den unbewaffnetenund unschuldigen Armeniern verübten. Die Schlächterei lief inein Gemetzel von 50.000 oder mehr Menschen aus. Hunderttau-sende wurden durch Plünderung und Brandstiftung mittel- undobdachlos.”

Die Ereignisse von Sassun sind nun wahrlich Bilderbuch-Illustrationen, allerdings nicht zur Mordlust der Kurdenoder der „in Wut gebrachten Soldaten”, sondern zurTechnik des Unruhestiftens, die nur einen einzigenZweck hat: den politischen Gegner zu Maßnahmen zuzwingen, mit deren Hilfe es der Minderheit gelingen soll,sich in den Schlagzeilen der internationalen Presse alsverfolgtes Opfer auszugeben; daß bei den Unruhen tat-sächlich zahlreiche Unschuldige ums Leben kamen,störte die Drahtzieher am allerwenigsten. Die gehörtenübrigens zur Partei der Hintschak.In jedem Handbuch armenischer Geschichte sind dieNamen der Helden nachzulesen, die unter der Bevölke-rung von Sassun zum Aufstand hetzten: es waren MiranDamadian und Hampartsum Boyadschian, beide bereitserfahrene Unruhestifter, ging doch die Revolte von KumKapu (April 1890) auch auf ihr Konto. Mihran Damadianhatte nach seiner Flucht aus Konstantinopel in Athenantitürkische Demonstrationen angezettelt, und Boya-dschian, der sich als islamischer Scheich verkleidet hatte,kam aus dem Kaukasus nach Sassun; wohlversorgt mitGeld, wodurch der Ankauf von Waffen kein Problemmehr darstellte.Wie unbewaffnet die Aufständischen waren, geht alleinaus der Tatsache hervor, daß die angreifenden Kurden 12Tage wilder Schlacht bedurften, um eine einzige Stellungder Armenier einzunehmen.„The Times” vom 17. November 1894 brachte aus derFeder eines G. Hagopian, der aus Fulham schrieb, einen

Artikel über die Ereignisse von Sassun, daß selbst einChristopher Walker in seinem Werk „Armenia - The Sur-vival of a Nation” von „rather imprecise details” spricht.Doch wen scherte das schon? Die Weltpresse griff denBericht Hagopians auf und alle Welt entsetzte sich überdie Niederschlagung von Aufständen, die schon damalsbürgerkriegsähnliche Formen annahmen, Aufständen, dievon Unbewaffneten kamen. Damals gewöhnte sich dieWeltöffentlichkeit auch an jene absolut unsinnigen Ver-lustzahlen, wie sie in der Bildunterschrift erschienen:„50.000 Tote oder mehr”. Die Leser nahmen dieseUnsinnszahlen genau so kritiklos hin wie heute dieBerichte von zweieinhalb Millionen toten Armeniernwährend des Ersten Weltkrieges; nach den islamischenOpfern zu fragen war schon zur Zeit des Erscheinens von„Turkey and the Armenian Atrocities” uninteressant.

Der Bandenchef Kavafian, einer der Unruhestifter von Sassun,als russischer Offizier - der er schon immer gewesen war, auchals Unruhestifter in Sassun.Die Rädelsführer und Anstifter der Armenierrevolten, diegegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor dem Ersten Weltkriegdes öfteren in der internationalen Presse Schlagzeilen machten,waren selbstverständlich Berufsrevolutionäre. Als der ErsteWeltkrieg ausbrach, fand man sie auch prompt wieder alsAnführer armenischer Freiwilligenverbände oder Terroris-tengruppen, die es sich zum Ziel setzten, die Türken zu ver-nichten.

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Das Portal der mächtigen Fassade der „Osmanh Bankasi”in der Bankalar Caddesi, Istanbul-§i§hane; die Osmani-sche Bank gehört noch immer zu den bedeutendsten Pri-vatbanken der Türkei, im 19. Jahrhundert war sie das füh-rende Geldinstitut des Osmanenreiches, das besonders indie Finanzierung der Eisenbahn- und Industriebautenjener Zeit involviert war.Am 26. August des Jahres 1896 bildete der Überfallarmenischer Terroristen auf die Osmanische Bank mitgleichzeitiger Geiselnahme den traurigen Höhepunkteines an Gewalttaten überreichen Jahres.Drahtzieher des Unternehmens war diesmal die armeni-sche Daschnak-Partei, die mit diesem spektakulärenÜberfall mit ihrer Konkurrenz, der armenischen Hin-tschak-Partei, die fast alle anderen Terrorakte von 1896organisiert hatte, endlich gleichziehen wollte. Ausführende waren drei Armenier aus dem Kaukasus(damals schon in russischer Hand). Ihr Rädelsführer,Karekin Pasdermadjian, brachte es im Jahre 1908 nochzum armenischen Abgeordneten von Erzurum und führteim Ersten Weltkrieg auf russischer Seite eine Gruppearmenischer Freiwilliger im Kampf gegen die Osmanen. Am 26. August drangen die Terroristen um 18.30 Uhr indie Osmanische Bank ein, warfen Bomben, verschanztensich hinter Säcken voll mit Silbermünzen, schössen wildum sich, nahmen Geiseln und verlangten - am Stil dieserArt Terrorüberfälle hat sich seit diesem für alle nachfol-genden Terrorkommandos beispielhaften Unternehmennichts geändert - die Veröffentlichung und Erfüllung ihresForderungskataloges:– Die Bestellung eines europäischen Hochkommissars

für die Armenier des Osmanenreiches– Die Unterstellung der Gendarmerie und der Ordnungs-

kräfte unter einen europäischen Offizier– Eine Rechtsreform nach europäischem Muster– Vollkommene Presse- und Religionsfreiheit– Eine Steuerumschichtung– Eine Steueramnestie– Eine Generalamnestie– Die Einsetzung einer europäischen Kontrollkommis-

sion zur Überwachung der Durchführung dieserForderungen.

Am Ende der üblichen Verhandlungen bei Geiselnahmeund Morddrohung begaben sich der Generaldirektor derOsmanischen Bank, Sir Edgar Vincent, und der Chefdra-goman der Kaiserlich Russischen Botschaft, Maximoff,in das belagerte Hauptgebäude und handelten - auch dasein gültiges Terrormodell bis heute - mit den Terroristenfreies Geleit aus.Wenn auch nicht gleich die ganze britische und französi-sche Mittelmeerflotte vor Istanbul aufkreuzte, um die ins-gesamt 17 Insurgenten feierlich in Empfang zu nehmen(wie es die Männer eigentlich erwartet hatten), war esimmerhin die pompöse Privatjacht Sir Edgar Vincents, aufdie sich die Bande zurückziehen konnte. Von dort stiegen

Das Hauptportal der Osmanischen Bank in der Bankalar-Straße, Istanbul, Schauplatz des Überfalls am 26. August 1896.Der Überfall auf die Osmanische Bank mit Geiselnahme,Forderung nach Veröffentlichung eines erpreßten „Manifestes”und Verlangen (und Erhalt!) von „freiem Abzug” mit Hilfe aus-ländischer Mächte dient bis zum heutigen Tag den Terroristenin aller Welt als klassisches Terror- und Erpressungsmodell.

Ein Nachspiel zu dem spektakulären Raubüberfall auf die Osma-nische Bank mit eingeplanter Geiselnahme, Erpressung und aus-ländischer Intervention zugunsten der Terroristen: Die „Leipzi-ger Illustrierte” berichtete damals nicht nur über die Ausstellungder bei armenischen Terroristen gefundenen Waffen und Spreng-körper, sondern auch über die alsbaldige Schließung der Ausstel-lung nach einer Intervention der Botschaften - so machte dasheute noch gültige Terrorschema Schule.

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EINER DER HÖHEPUNKTE ARMENISCHEN TERRORS: DER ÜBERFALL AUF DIE OSMANISCHE BANK

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sie später auf das französische Kriegsschiff La Girondeum, das sie sicher nach Marseille brachte, von wo aus sieweitere Terroranschläge planten und durchführten. Da der Überfall nur zum Teil seinen Zweck erfüllt hatteund die erwarteten und erhofften Unruhen nicht stattfan-den (denn in der Folge solcher Unruhen gab es nicht nurTote und Verwundete, sondern auch reichen Spendenflußfür die „armenische Sache”), halfen andere Terror-kommandos ein wenig nach und brachten am 30. Augustmehrere Bomben in Galata zur Explosion. Diesmal „funktionierte” die Sache insofern besser, alsdaraufhin die Möglichkeit bestand, von „4000-6000 totenArmeniern während der Unruhen” zu phantasieren, Zah-len, für die es nach einem Geheimbericht der britischenBotschaft (FO. 424/188, No. 149 und 169, 3. 9. 1896)„leider nicht den geringsten Beweis gibt”.

Die Koranschule „mit den zwei Minaretten” ist ein Wahr-zeichen Erzurums. „Ars er Rum”, also „Land der Römer”nennt der arabische Geograph Ibn Battuta die Stadt; dieSeldschuken eroberten sie im Jahre 1049. Die Byzantiner hielten hier im Jahre 632 eine Synode ab,in deren Verlauf den besiegten armenischen Fürstentü-mern die Annahme der griechischen Orthodoxie befohlenwurde. Als „Karen” gehörte Erzurum zum Bagratiden-reich, das den Kalifen tributpflichtig war; die Türkensetzten sich nach ihrem Sieg bei Mantzikert (1071) inErzurum fest.

Im Herbst des Jahres 1914 fand hier ein Kongreß derarmenischen Daschnaksutiun-Partei statt, die Erzurum alsHauptstadt eines künftigen Großarmenien betrachtete.

Eine entscheidende Wende im Schicksal des armenischenVolkes stellt der Ausbruch des Ersten Weltkrieges dar.Kurz vorher - das Osmanische Reich trat ja erst AnfangNovernber auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg ein -fand in Erzurum ein Kongreß der revolutionärenDaschnaksutiun statt. Über den Verlauf gibt es rechtunterschiedliche Berichte, vor allem über die Haltung derDelegierten zum Osmanischen Staat. Allerdings gibt es dazu eine Aussage von Hovhannes Ka-tschasnuni, dem späteren Ministerpräsidenten der Unab-hängigen Armenischen Republik, die er im Juli 1923 vordem Bukarester Kongreß der Daschnaksutiun machte:„Am Beginn des Herbstes 1914, als die Türkei noch nichtin den Krieg eingetreten war, die Vorbereitungen dazuaber bereits anliefen, begann mit großer Begeisterung dieAufstellung revolutionärer Verbände in Transkaukasien(also im zaristischen Rußland, Anm. d. Übers.), und dasmit besonders großem Lärm. Im Gegensatz zu den inErzurum erst wenige Wochen vorher getroffenen Ent-scheidungen spielte die Armenische Revolutionäre Fronteine aktive Rolle sowohl bei deren Aufstellung als auchbei ihrer künftigen militärischen Teilnahme am Kriegsge-schehen gegen die Türkei . . .”Nach einer kurzen Stellungnahme zu der für HovhannesKatschasnuni betrüblichen Tatsache, daß sich die RAFTranskaukasiens selten an Beschlüsse gehalten hatte,setzt der ehemalige Ministerpräsident der RepublikArmenien fort: „Es ist nutzlos, heute darüber nachzuden-ken, ob unsere Freiwilligenverbände ins Feld hätten zie-hen sollen oder nicht. Geschichtliche Ereignisse habenihre eigene, unwiderlegbare Logik. Im Herbst des Jahres’1914 organisierten sich armenische Freiwilligenverbände

Was machte das schon aus? Ein Modell-Terrorüberfallauf eine Bank mit anschließender Geiselnahme, erpreßterVeröffentlichung eines unannehmbaren Forderungskata-logs und freiem Abzug mit allem publizistischem Drumund Dran war ein für allemal geschaffen.

1980 (!) schreibt der Brite Christopher Walker in seinemBuch „Armenia - The survival of a Nation” zu diesemÜberfall auf die Osmanische Bank: „Die Daschnaks, dieentkamen, waren die Glücklichen. Man brachte sie aufdie Gironde, die nach Frankreich auslief. Ihre armenis-chen Mitbürger blieben zurück, um vielfach für dasVerbrechen zu büßen (to expiate - many times over - forthe crime of terrorising . . .), eine terroristischeGesellschaft terrorisiert zu haben.”

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Die letzte Chance der Armenier - von den Daschnakisten vertan . . .

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und kämpften gegen die Türken, weil sie sich aus diesemKampf nicht heraushalten wollten. Das war das unver-meidliche Ergebnis einer Psychologie, von der sich dasarmenische Volk eine ganze Generation lang ernährthatte: diese Geisteshaltung sollte ihren Ausdruck finden,und fand ihn daher auch . . .

Die Aufstellung dieser militärischen Verbände war falsch,doch die Wurzeln dieses Irrtums müssen ganz wo andersgesucht werden, tiefer vor allem . . . Der Winter 1914 undder Frühling 1915 waren Zeitabschnitte größterBegeisterung und Hoffnung für alle Armenier desKaukasus, einschließlich der Daschnaksu-tiun. Wirzweifelten nicht daran, daß der Krieg mit einem voll-ständigen Sieg der Alliierten enden werde; die Türkeiwürde besiegt und auseinandergenommen und ihrearmenische Bevölkerung schließlich befreit werden.Rußland hatten wir aus vollem Herzen umarmt, ohnejeden Vorbehalt. Ohne jede wirkliche Grundlage glaubtenwir, daß uns Rußlands zaristische Regierung eine mehroder weniger breite Selbstregierung im Kaukasus einräu-men werde, das aber auch in den von den Türken befrei-ten armenischen Vilayets, und zwar als eine Belohnungfür unsere Loyalität, unsere Bemühungen und unserenBeistand.”Kaum jemand aus den inneren Reihen hat den Armeniernso trocken, selbstverständlich und kompromißlos dieWahrheit gesagt wie ihr eigener Premierminister derArmenischen Republik, Hovannes Katschasnuni. Wenner von den „eigenen Wünschen, die wir in die Absichtenanderer hineingetragen haben” spricht, weiß er, wovon erredet.Denn wie fast immer in ihrer Politik, hatten die Russenauch im Jahre 1914 die volle Wahrheit über ihreAbsichten bezüglich Armenien verkündet (so wie späterauch Lenin seine Absichten gegenüber der „kapitalistis-chen Welt” offen aussprach, nur glaubt es bis heute imWesten kaum jemand) - man brauchte bloß den Aufrufdes Zaren lesen - nicht einmal genau lesen, so unverhülltzerstörte er eigentlich alle armenischen Illusionen:

„Armenier!Von Ost bis West haben alle Völker Großrußlandsrespektvoll auf meinen Ruf geantwortet. Armenier!Die Stunde ist gekommen, um euch von der Tyrannei, dieeuch 500 Jahre lang beherrschte, jener Tyrannei, die soviele von euch ausgelöscht hat und noch immer aus-löscht, zu befreien. Die Russen erinnern sich gerne derglorreichen armenischen Mitbürger. Die Lazaroff und dieMelikoff und andere haben an der Seite ihrer slawischenBrüder für den Ruhm des Vaterlandes gekämpft. DerenTreue ist auch uns ein Garant für eure Treue; Wir sindsicher, daß ihr alle eure Pflicht erfüllen werdet und fürden Sieg unserer Waffen und unserer gerechten Sachealles beitragen werdet.Armenier! Ihr werdet mit euren Brüdern unter der Regie-

Ein seldschukischer Doppeladler von der Medrese in Erzurum:die altseldschukischen Städte Sivas, Erzurum oder Konya wur-den mit ihrer reichen Symbolik Zentren des türkischen Wider-standes gegen die Teilung Anatoliens.

Im armenisch-amerikanischen Journal „Azk” erschien diesesBild am 2. März 1915 - das heißt, die Aufnahme ist mindestensdrei Monate älter als der Umsiedlungsbefehl der osmanischenRegierung, der infolge der ununterbrochenen bewaffnetenAufstände hinter der Front erlassen wurde. Das Foto zeigtHintschakisten, die an der Kaukasusfront gegen die Osmanenkämpften. Zum Großteil handelte es sich dabei um Überläufer,die sich durch besondere Grausamkeit gegenüber derZivilbevölkerung hervortaten.

Armenieraufstand hinter der osmanischen Front, Februar/März1915: Mit dabei ist Papkene (links hinten), der schon den Über-fall auf die Osmanische Bank im Jahre 1896 mit organisierte.

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rung der Zaren vereint sein und endlich die Wohltaten derFreiheit und der Gerechtigkeit erfahren!” Und was enthielt dieser Aufruf, außer der Feststellung,daß die Armenier - dereinst, russischen Sieg vorausge-setzt - unter der Regierung der Zaren vereint sein wür-den?Nicht die Spur eines Versprechens von Unabhängigkeit,nicht einmal die Andeutung einer Selbständigkeit oderwenigstens autonomen Selbstverwaltung. Und dennoch: Die Armenier lieferten sich selbst auf dierussische Schlachtbank, ließen sich willig opfern auf demSchachfeld russischer Großmachtpolitik - und habennichts dazugelernt, bis heute, da sich der armenische Ter-rorismus, gewollt oder ungewollt, in den Dienst russi-scher Großmachtpolitik stellt.„Wir hatten uns selbst in unseren Hirnen eine dichteAtmosphäre der Illusion geschaffen. Wir hatten unsereeigenen Wünsche in die Absichten anderer hineingetra-gen, wir hatten jeden Wirklichkeitssinn verloren und lie-ßen uns von unseren Träumen forttragen. Von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr gaben wir geheim-nisvolle Worte weiter, die der Vizekönig gesagt habensollte, wir schenkten unsere Aufmerksamkeit irgend-einem angeblichen Brief, den Worontzow-Daschkowdem Katholikos geschickt haben sollte, als handelte essich dabei um ein gewichtiges Dokument unserer Rechteund Ansprüche - und dabei handelte es sich um nichts alsein schlau abgefaßtes Schriftstück, daß man auslegenkonnte wie immer man wollte.Wir überschätzten einfach die Fähigkeiten des armeni-schen Volkes, seine politische und militärische Kraft, undwir überschätzten auch die Dienste und ihre Wichtigkeit,die unsere Leute den Russen leisteten. Und indem wirunseren äußerst bescheidenen Wert überschätzten, über-trieben wir auch unsere Hoffnungen und Erwartungen.Die Deportierungen und Massenaustreibungen und Mas-saker, die im Sommer und Herbst des Jahres 1915stattfanden, waren für die Sache Armeniens tödlicheSchläge. Die Hälfte des historischen Armeniens - undzwar genau jene Hälfte, wo ja die Grundlagen unsererUnabhängigkeit gelegt werden sollten, so wie wir es ausder Tradition der frühen achtziger Jahre übernommen hat-ten, und so wie wir es auch von der europäischenDiplomatie erhoffen durften - genau jene Hälfte also warnun aller Armenier entblößt; die armenischen Provinzender Türkei standen nun ohne armenische Bevölkerung da.Die Türken wußten genau, was sie taten, und habenkeinen Grund, heute irgendetwas zu bedauern. Es war dieentschiedenste Methode, die armenische Frage in derTürkei ein für alle Mal zu beenden.Nochmals, es ist heute sinnlos, zu hinterfragen, bis zuwelchem Ausmaß die Teilnahme der Freiwilligen amKriege zum Unglück der Armenier beigetragen hat. Sicher aber ist, jedenfalls - und das ist das Wesentliche -daß jener Kampf, der Jahrzehnte zuvor gegen die türki-sche Regierung begonnen hat, die Deportierung oderAuslöschung der Armenier in der Türkei gebracht hat,

diese Auslöschung eines türkischen Armeniens. Das wardie schreckliche Tatsache!”Und einen kurzen Abschnitt weiter kommt der ehemaligeMinisterpräsident der Republik Armenien zu demSchluß: „Auf Grund einer ungewöhnlichen geistigenVerirrung vergaßen wir, eine politische Partei, daß unseregroße Sache für die Russen bloß eine zufällige und triv-iale Phase (in ihrem Kampfe gegen die Osmanen undihren Vormarsch zum Mittelmeer, Anm. d. Übers.) war,so trivial, daß sie, wenn notwendig, ohne einenAugenblick des Zögerns auch auf unseren Leichenherumtrampeln würden . . .Wenn die Russen auf dem Vormarsch waren, pflegten wiraus der Tiefe unserer Seele zu sagen, sie kämen, um unszu retten . . . und wenn sie sich zurückzogen, sagten wir,sie lieferten uns dem Massaker aus.In beiden Fällen mißverstanden wir die Folgen, denZweck und die Absicht . . .”

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17. Mai 1915:Die Armenier erobern Van und stecken die moslemische

Altstadt in Brand

Ein tragischer, aber bezeichnender Zufall wollte es, daßausgerechnet am 24. April, als der osmanische Innenmi-nister die Anordnung gab, die Parteifunktionäre, bekan-nte Revolutionäre und Aufrührer in Istanbul festzu-nehmen - von einem Umsiedlungsbefehl war noch keineRede! - der Gouverneur von Van folgendes Telegrammnach Istanbul schickte:

„BIS JETZT BEFINDEN SICH UNGEFÄHR4000 ARMENISCHE REBELLEN IN DERUMGEBUNG DER STADT. DIE REBELLENSPERREN STRASSEN, GREIFEN DIE DÖRFERDER UMGEBUNG AN UND STECKEN SIE INBRAND: ES IST UNMÖGLICH IHRE ANGRIFFEABZUSTELLEN. ZUR ZEIT SIND HIERVIELE FRAUEN UND KINDER OBDACH-LOS. ES IST WEDER MÖGLICH NOCHZWECKMÄSSIG SIE IN DEN UMLIEGEN-DEN DÖRFERN DER STÄMME UNTER-ZUBRINGEN. WÄRE ES NICHT MÖGLICHDAMIT ZU BEGINNEN DIE FRAUEN UNDKINDER IN DIE WESTPROVINZEN ZU TRANS-FERIEREN?”

Wahrlich ein absurdes Telegramm: Der Gouverneur vonVan wollte die islamischen Frauen und Kinder in densicheren Westen schaffen - noch dachte niemanddaran, die Armenier umzusiedeln, nur die Moslems. Am 8. Mai begannen die Armenischen Aufständischeneinen Generalangriff in der Umgebung von Van, alleumliegenden islamischen Dörfer gingen in Flammenauf. Jetzt ordnete der osmanische Gouverneur CevdetPascha den Rückzug an. Am 17. Mai räumten dieosmanischen Truppen Van. Am gleichen Tag zündeten dieeinrückenden Armenier die islamische Stadt an underrichteten eine totale Armenierherrschaft nach ihremSinn.Wenige Tage später trafen die russischen Vorhuten in Vanein - es waren armenische Einheiten; einige Tage daraufzogen reguläre russische Truppen nach. Bei ihremEintreffen überreichte der neue armenische Machthabervon Van, Aram, dem russischen Kommandeur GeneralNikolajew die Schlüssel der Stadt. Zwei Tage später bestätigte Nikolajew die amtierendeprovisorische armenische Regierung unter Aram alsGouverneur. Der Sinn dieser auffallenden russischenGroßzügigkeit war klar: es sollte den Armeniern desOsmanenreiches Appetit auf ähnliche Selbstverwaltungnach ähnlichen Aufständen gemacht werden.Der Spuk dauerte bloß sechs Wochen, dann rückten dieOsmanen vor und eroberten Van zurück. Sie zogen in eineleere Stadt ein: die Moslems waren umgebracht, und diegesamte armenische Bevölkerung, die amerikanischenMissionare eingeschlossen, flohen mit den Russen nachNorden, in das sichere Transkaukasien.

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Titelblatt der Armenierzeitung „Hentschak” mit demKriegsaufruf der Hintschakisten gegen das Osmanische Reich,erschienen im Sommer 1914.

Aufruf der Hintschakisten zu Beginn des Ersten Welt-krieges

Das Komitee der Sozialdemokratischen Hintschak, dasseit mehr als einem Vierteljahrhundert auf dem bluti-gen Pfade wandelt, um den Armeniern die Befreiungzu bringen . . . nützt die derzeitigen politischenUmstände, um die Glocke des Aufstandes und derSchlacht zu läuten und vom Gipfel des Taurus und denGrenzen Armeniens hinunterzusteigen in die Arena,um die osmanische Tyrannei im Blut zu ersäufen.Das Komitee der Hintschakisten faßt alle materiellenund moralischen Kräfte zusammen, nimmt, den Säbeldes Aufstands in der Hand, an diesem gewaltigenKampf um den Bestand der Nation teil, und zwar alsVerbündeter der Tripelentente, und ganz besonders alsVerbündeter der russischen Armeen, und mit allenKräften und Mitteln der Revolution und der Politik, dieihm zur Verfügung stehen, wird es der Entente helfen,den Sieg in Armenien und in Kilikien zu erringen, imKaukasus und in Aserbaidschan . . .Vorwärts, Kameraden, ans Werk! Unser Tod wird denTod überwinden, der Armenien bedroht; Armenienwird dann ewig leben!Paris 1914 Hauptquartier des Komitees

Sozialdemokratischer Hintschakisten

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Die 2. Kompanie des Freiwilligen-Regiments der Hintschakisten(aus „La Jeune Armenie” vom 20. Juli 1915).

Eine Gruppe der 8. Kompanie eines armenischen Hintschakisten-Regiments, das gemeinsam mit den Russen an der Kaukasusfrontgegen die Osmanen kämpfte.

Die Anordnung des osmanischen Innenministers, die am 24. Aprildie Verhaftung armenischer Separatistenführer und dieBeschlagnahme belastenden Materials zur Folge hatte, zeitigtenoch andere Erfolge: Hunderte Waffenlager wurden entdeckt,Waffen und Munitionsdepots, die auch Kanonen und schwereMinen umfaßten.Was sich in Van abgespielt hatte, nämlich die Eroberung einerProvinzhauptstadt durch armenische Rebellen hinter der osmani-schen Front, wäre genau so gut in Adana, Maras, Ankara oderAdipazan möglich gewesen - im weiteren Verlauf des Kriegeseine für die Osmanen gewiß tödliche Bedrohung.

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Frühling 1915: Armenische Freischärler, von den Russen mitArtillerie ausgerüstet, eröffnen hinter den osmanischen Linieneine zweite Front, um den Russen die Einnahme von Van zu erle-ichtern.

Bereit, Rache zu üben: Das armenische Kontingent im Kaukasus.Es hieß, die Truppe sei von den armenischen Komitees in Ame-rika und Europa aufgestellt worden, was möglicherweise bloßzum Zwecke leichteren Geldsammeins propagiert wurde.

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Der Umsiedlungsauftrag: Die Ursachen und Folgen

und das zu einem Zeitpunkt, als die osmanische Armeeam schwächsten war, sind verräterische Handlungen, dieLeben und Zukunft unseres Landes gefährden. Wiederhat sich gezeigt, daß die Aktivitäten dieser Komitees,deren Hauptquartiere sich in anderen Ländern befindenund die, selbst in ihren Namen, ihre revolutionärenAttribute beibehalten, darauf abzielen, ihre Autonomie zuerringen und dabei jedweden Vorwand und alle Mittelnützen. Das hat sich bestätigt durch die Bomben, die inKayseri gefunden wurden, in Sivas und anderenGebieten, auch in den Handlungen der Armenier-Komi-tees, die an dem russischen Angriff gegen unser Land teil-genommen haben (indem sie Freiwilligenregimenter auf-stellten, die auch osmanische Armenier enthielten, in derrussischen Armee) und durch ihre Veröffentlichungenund Operationen, die darauf abzielen, die osmanischeArmee von hinten anzugreifen.Selbstverständlich - da die Osmanische Regierung dieFortsetzung solcher Operationen und Anschläge niemalsdulden wird, da sie eine Frage von Leben und Tod für denStaat bedeuten - hat sie sich veranlaßt gesehen, alle diesepolitischen Organisationen aufzulösen; sie wird auch dieExistenz dieser Komitees nicht weiter dulden. Sie sind deshalb angewiesen, sofort alle Zweigstellen derHintschak, Daschnak und ähnlicher Organisationen zuschließen, die in ihren Lokalen gefundenen Dokumenteund Papiere zu beschlagnahmen und sicherzustellen, daßdieselben weder verlorengehen noch zerstört werden; alleführenden Personen sofort zu verhaften und auch allefestzunehmen, die der Regierung bereits als gefährlichbekannt sind. Armenier, deren Anwesenheit in einem bes-timmten Gebiet als unangebracht angesehen wird, sind inandere Teile der Provinz zu schaffen, so daß sie in kein-erlei gefährliche Handlungen mehr verstrickt werdenkönnen. Es ist nach verstecken Waffen zu suchen undaußerdem sind die Militärkommandanten von allfälligmöglichen Gegenaktionen zu verständigen. Wie in einemTreffen mit dem amtierenden Oberkommandierenden,sind alle im Zuge dieses Unternehmens festgenommenenPersonen den Militärgerichtshöfen zu überantworten, wieauch die bei ihnen gefundenen Papiere. Alle dieseSchritte sind sofort einzuleiten. Das Ministerium ist vomFortgang der Operation, von der Zahl der Festgenomme-nen und ähnlichem zu unterrichten. Für Bitlis, Erzurum, Sivas, Adana, Maras, und Aleppo:Da diese Operation den einzigen Zweck hat, dieAktivitäten der armenischen Komitees zu treffen, wirdstreng befohlen, diese Verordnungen nicht in einer Weisedurchzuführen, daß dabei gegenseitig Menschen aus denarmenischen oder islamischen Volksgruppen ums Lebenkommen. 11. April 1331 (24. April 1915)

Der Innenminister”

In aller Welt gedenken die Armenier am 25. April desTages, an dem „der Völkermord an den Armeniernbegann.” Das Gedenken ist aus mehreren Gründen zuüberdenken. Der Gedenktag 25. April vermischt nämlich,gewiß in voller Absicht, Wirkung mit Ursache. Am 24. April 1915 hat der osmanische InnenministerTalaat Pascha tatsächlich telegrafische Anordnung gege-ben, die Rädelsführer der Insurgenten zu verhaften -dochvon einer Umsiedlung der armenischen Bevölkerung war,da noch immer nicht als notwendig erachtet, keine Rede.Das verschlüsselte Telegramm erging an die Gouverneureder von armenischer Subversion betroffenen Provinzenund lautet folgendermaßen:„Abermals haben die jüngsten Aufstände in Zeitun, Bitlis,Sivas und Van, gerade jetzt, wenn der Staat Krieg zu füh-ren hat, gezeigt, daß die Armenischen Komitees weiterhinversuchen (mit Hilfe ihrer revolutionären und politischenOrganisationen), für sie eine unabhängige Verwaltung aufosmanischem Boden zu errichten. Der Beschluß des Daschnak-Komitees nach dem Aus-bruch des Krieges, die Armenier in Rußland gegen uns zumobilisieren und die Armenier des Osmanischen Reicheszur Rebellion zu veranlassen, und zwar mit aller Kraft,

Der ehemalige armenische Deputierte von Erzurum, KarekinPastirmadjian - als Revolutionär trug er den Kriegsnamen„Armen Garo Nummer eins” - mit den Gruppenchefs Tero undHetscho. Sie nehmen an einer der üblichen „Segnungen” teil,nach denen die fanatisierten, unwissenden jungen Idealisten insFeuer geschickt wurden.Die „Armenskaja Isvestija” präsentierte ihren Lesern Kindervornehmer armenischer Familien, die für eine verlorene Sacheins Feuer geschickt wurden: „Wir vergaßen ganz, daß dieArmenier für die Russen bloß ein zufälliges, trivialesZwischenspiel bedeuteten . . .”, sagte der spätere armenischeMinisterpräsident Katschasnuni nachher über diese Zeit.

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Die Kämpfe um Van, im Frühling 1915, als die Armenier hinter denosmanischen Linien eine zweite Front eröffneten und so denRussen entscheidende Vorteile verschafften, stellten naturgemäßein beliebtes Thema bei den Alliierten dar, die den Armenierauf-stand nach Kräften unterstützten: im Hinterland mit Hilfe derMissionare, die ihre guten Dienste zur Verfügung stellten, und imallgemeinen Kriegsgeschehen durch Waffenlieferungen und Geld.Der groß angelegte Armenieraufstand im Vilayet Van, der zurEinnahme der Provinzhauptstadt durch die Insurgenten führte,fand zur gleichen Zeit statt, als die Alliierten mit massivenAngriffen an den Dardanellen die Hauptstadt des Osmanenrei-ches bedrohten. Die Anordnung zur Umsiedlung der Armenier ausden gefährdeten Gebieten wurde erst nach dem Armenieraufstandvon Van erteilt.

Am 7. April 1918 wurde Van wieder osmanisch. Der türkischeStadtteil war völlig zerstört; zu Füßen des urartäisch-osmani-schen Burgberges lag nur mehr eine tote Ruinenstadt, heute einbleibendes Mahnmahl gegen Gewalttätigkeit und Terror.

Die Anordnung vom 24. April - die Verhaftungen setztenin Istanbul am folgenden Tag ein, in der Provinz zum Teiletwas später - traf ausschließlich die Rädelsführer derDaschnaksutiun und der Hintschaks sowie einige polizei-bekannte Aufrührer; mit einer allgemeinen Umsiedlungs-aktion hatte die Anordnung absolut nichts zu tun.Der Befehl der Regierung, die Armenier als Volksgruppeaus den gefährdeten Gebieten umzusiedeln (Istanbul oderIzmirwaren, da als „sicher” und „unter Kontrolle” ange-sehen, überhaupt nicht betroffen), kam erst Monate spä-ter, und zwar nach dem fürchterlichen Angriff armeni-scher Terroristen und Freischärler auf die Stadt Van, dermit der Eroberung Vans, der Ausrufung einer „Armeni-schen Republik von Van”, der völligen Vernichtung desislamischen Stadtteils von Van und der Ermordung vonetwa 30.000 Moslems einen entsetzlichen Höhepunkt desarmenischen Terrors bildete.Nochmals, der Gedanke, die armenische Bevölkerung(also nicht nur die Rädelsführer der Terrorgruppen) ausden gefährdeten Gebieten umzusiedeln, kam erst nach derKatastrophe von Van.Die Regierungstruppen waren am 17. Mai 1915 von denRebellen gezwungen worden, Van zu räumen - und dashinter den russischen Angriffslinien, die sich immer tiefernach Ostanatolien vorschoben. Die Spitzen der russisch-zaristischen Angriffstruppen wurden von armenischenFreiwilligen gebildet, die sich durch besondere Grausam-keit gegenüber der islamischen Bevölkerung Ostanato-liens hervortaten. Mittlerweile waren die wahren Aus-maße der Katastrophe von Van auch in Istanbul bekanntgeworden. Der Gedanke, die armenische BevölkerungAnatoliens geschlossen umzusiedeln, kam erst nach derRebellion von Van. Vorher gab es nur lokal beschränkteInhaftierungen von Rädelsführern oder ortsbekanntenTerroristen und nicht mehr. Das Konzept einer Umsied-lung entstand erst, als der amtierende Armeekommandant- gewitzigt von den entsetzlichen Folgen der armenischenVan-Revolte - in einem Geheim-Kommunique (No.2049) dem Innenminister vorschlug, Schritte der Russen(die mit den Armeniern abgesprochen schienen!) mit glei-chen Maßnahmen zu beantworten:„Die Armenier aus der Gegend des Vansees sowie inanderen Bezirken, der Gouverneur von Van kennt sie,sind noch immer mit der Vorbereitung von Revolutionund Rebellion beschäftigt. Ich bin der Ansicht, daß dieseBevölkerung aus dem Gebiet entfernt werden sollte, unddieses Nest des Aufruhrs aufgebrochen werden sollte.Wie ich vom Kommandeur der 3. Armee erfahre, habendie Russen am 7. April (das ist der 20. April 1915) damitbegonnen, die moslemische Bevölkerung auszutreibenund sie - ohne ihr Eigentum - über unsere Grenzen zustoßen.Es ist notwendig, in Beantwortung dieser russischen Vor-gangsweise, entweder die Armenier nach Rußland zuschicken oder sie und ihre Familien in andere GebieteAnatoliens umzusiedeln. Ich ersuche darum, die entspre-chenden Befehle zu erteilen. Wenn nichts dagegen einzu-

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wenden ist, würde ich vorschlagen, die Urheber dieserAufstände samt ihren Familien über unsere Grenze zuschicken (also nach Russisch-Armenien) und sie anstelleder islamischen Flüchtlinge, die uns die Russen über dieGrenze schickten, anzusiedeln.

19. April 1331 (2. Mai 1915)”

Die Bedeutung dieses Dokuments liegt darin, daß es klardie Beweggründe des Armee-Oberkommandos aufzeigt:die Russen hatten die gesamte islamische Bevölkerungdes Kaukasusgebietes nach Ostanatolien geschickt, ihrnichts als das nackte Leben gelassen, und im Ostteil desOsmanenreiches - vor allem in Van - hatten die Armeniertotal die Macht ergriffen, die Moslems umgebracht undihre „Armenische Republik Van” ausgerufen. Die Ent-scheidung, unter diesen Umständen die Armenier Anato-liens - innerhalb der Reichsgrenzen des Osmanenreiches- „in Gegenden umzusiedeln, die als sicherer galten”,

Der Burgfels von Van, mit seiner aus urartäischer Zeitstammenden Festungsanlage. Unterhalb der Zitadelle dieRuinen des ehemaligen islamischen Stadtteiles von Van, der imZuge des Armenieraufstandes von Van von den Terroristen völ-lig eingeebnet wurde. 30000 Moslems fanden hier innerhalbweniger Tage den Tod.Ein „Hiroshima” des Terrors: Nur die Grundmauern der islami-schen Stadt Van blieben erhalten und einige Überreste einststolzer, mächtiger Moscheen. Der Armenieraufstand von Vanhatte im Februar 1915 begonnen und erreichte im April einenersten Höhepunkt. Die islamische Altstadt von Van wurde am17. Mai von den Rebellen angezündet, am gleichen Tag, alssich die kleine osmanische Garnison aus der Stadtzurückziehen mußte. Erst am 22. Juli 1915 konnten dieOsmanen Van zurückerobern, und in der Zwischenzeit wurdedie gesamte islamische Bevölkerung von Van, die nichtrechtzeitig hatte flüchten können, von den armenischenTerroristen liquidiert.

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dem Zugriff der Russen oder der Ententemächte Europasnicht so ausgesetzt waren, ist wohl verständlich. Die osmanische Regierung veröffentlichte in der Folge inder Tavim-i Vakayi (der „Osmanischen Zeitung”, Amts-blatt des Reiches) am 19. Mai 1311 (am 1. Juni 1915) fol-gende Verordnung:„Artikel 1: Für die Dauer des Krieges sind Armee,Armeekorps und Abteilungskommandanten sowie unab-hängige Befehlshaber befugt und verpflichtet, alleAnzeichen von Widerstand oder Angriff strengstens zuahnden und, sollten sie auf bewaffneten Widerstandstoßen, im Sinne der Verteidigung des Vaterlandesdurchzugreifen. Artikel 2: Die Armee, Armeekorps und Abteilungskom-mandanten sind befugt, die Bevölkerung von Dörfern undStädten ab- und umzusiedeln, sei es einzeln oder gemein-sam, und das entsprechend den militärischen Bedür-fnissen, aber auch in Beantwortung jedes Anzeichens vonVerrat oder Betrug.Artikel 3: Diese vorläufige Regelung wird am Tage ihrerVeröffentlichung rechtskräftig.”Zweifellos sind bei der Umsiedlungsaktion der Armenierim Jahre 1915 und danach viele unschuldige Menschenum Hab und Gut, Gesundheit, ja um das Leben gekom-men, viele Armenier und ein Vielfaches an Moslems. Dieunweigerliche Frage nach der Schuld an diesen tragis-chen Ereignissen findet ihre Antwort wahrscheinlich impassiven Verhalten der überwältigenden Mehrheit inner-halb der damaligen armenischen Minderheit des Osmanenrei-ches. Jahrzehntelang hatte die Mehrheit des armenischenBevölkerungsanteiles geduldet, daß innerhalb ihrerVolksgruppe eine Minderheit von fanatischen Parteigän-gern eines unsinnigen, undurchführbaren und absolut un-gerechten Unabhängigkeitsstrebens (die Armenier ver-fügten nirgendwo im Osmanenreich über eine Mehrheit)immer mehr Macht gewann, Moslems und Armenier ter-rorisierte und schließlich sogar, nach dem Beginn desErsten Weltkrieges, in offenen Bürgerkrieg überging. In den Wirren des Krieges, als das Osmanenreich schließ-lich um seine nackte Existenz kämpfen mußte, bliebkeine andere Wahl, als diese Umsiedlungsaktion durchzufü-hren. Die Ereignisse nach dem Ende des Weltkrieges, alsdie Alliierten nach Anatolien eindrangen und die Griechenfast bis Ankara vorstießen, bewiesen, wie richtig die Ve-rantwortlichen des Umsiedlungsauftrages gehandelt hatten.Hätte sich die „schweigende Mehrheit” der osmanischenArmenier rechtzeitig gegen die Wahnsinnspläne ihrerrevolutionären Einpeitscher und der „romantischen”Ansichten der Missionare gewandt - vielen Armeniernund noch viel mehr Moslems des Osmanenreiches wäreunendliches Leid erspart geblieben. So aber mußten vielefür die Vergehen einer Minderheit büßen.Oft - allzu oft - ist es eine Frage des Durchsetzungsver-mögens der vernünftig und besonnen denkenden Mehr-heit gegenüber ihrer unbesonnenen Minderheit von Auf-rührern, Fanatikern oder Romantikern, ob einem Volkoder einer Volksgruppe Unheil widerfährt oder nicht.

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Ein türkisches Denkmal für die islamischen Opfer desArmenieraufstandes vom Frühjahr 1915; unterhalb desMonuments ruhen in einer Mulde, die sich zum Vansee hinöffnet, 5000 Moslems, die an der gleichen Stelle zusam-mengetrieben und niedergemacht worden waren.

Eines der zahllosen islamischen Bauwerke von Van, diewährend des Armenieraufstandes zugrundegingen. Währendimmer wieder - berechtigte - Forderungen nachWiederherstellung oder Erhaltung armenischer Bauwerke inOstanatölien laut werden, kümmerte sich bisher dieWeltöffentlichkeit um die genau so gefährdeten islamischenMonumente der Region - wie diese osmanische Moschee -überhaupt nicht; es verhält sich dabei ähnlich wie bei denmoslemischen Opfern der Armenieraufstände, von denenaußerhalb der Türkei noch niemals gesprochen wurde, obwohldie islamische Bevölkerung ein Vielfaches an Menschenlebenzu beklagen hatte.

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nach Van vorstießen, das von den Armeniern gegen ihreeigene, osmanische Regierung besetzt gehalten wurde.Stießen die Russen vor, brachten die Armenier zahlloseMoslems um. Das war ein Vor - und Zurück - über dreiJahre hinweg. Eine Menge Armenier wurde vonMoslems umgebracht, viele Moslems von Armeniern.

Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy befaßte sich besonders mitder Bevölkerungsstatistik im Osmanischen Reich. Er ist Autordes Buches „Muslims and Minorities - The Population ofOttoman Anatolia at the End of the Empire”, in dem er wis-senschaftlich nachweist, daß die armenische Minderheit imOsmanenreich in keinem einzigen Vilayet, ja nicht einmal inVan selber, wo sie am stärksten vertreten waren, über dieMehrheit verfügte. Sein Buch „Muslims and Minorities”erschien 1983 bei „New York University Press”, New York andLondon.

Grafische Darstellung der anatolischen Provinzen mit ihrenMehrheitsverhältnissen im Jahre 1912, aus: Muslims andMinorities, The Population of Ottoman Anatolia and the End ofthe Empire, New York University Press, von Justin Mcarthy.

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Keinem Volk, das sich von einer Minderheit verführenoder zum Schweigen bringen ließ, erging es anders; auchdie deutschen Nationalsozialisten bildeten eine Minder-heit des deutschen Volkes und zwangen die Mehrheit derfriedliebenden Deutschen in einen Weltkrieg, für denschließlich alle Deutschen zu bezahlen hatten, mit Habund Gut, Verlust der Heimat, mit dem Leben, ob sie nunNationalsozialisten gewesen waren oder nicht.Das erschreckende an der Geschichte des armenischenVolkes scheint zu sein, daß die überwältigend große, sofleißige, intelligente und hochgebildete Mehrheit derArmenier sich von einer Handvoll fanatischer Parteigän-ger eines irrationalen Rachefeldzuges manipulieren,erpressen, verleiten und unterdrücken läßt, schweigenddie Terrorakte der Kampfgruppen oder Befreiungskämpfer, oder wie immer sich die Terroristen nennen mögen,übergeht, um Besitz, Gesundheit oder Leben fürchtet,still an die Terrorgruppen zahlt und so tut, als wäre nichtsgeschehen, wenn wieder eine Bombe hochgeht, wiederUnschuldige oder Aufrechte zugrundegehen. Es war vordem Ersten Weltkrieg nicht anders; heute kommt derMythos vom Völkermord hinzu, der als Entschuldigungs-grund herhalten muß, auch wenn es sich in Wahrheitganz anders verhalten hat.

Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy (Lousville) über seineForschungsergebnisse:

„Über die Armenier im Osmanischen Reich wurdeschon viel Unwahres erzählt, besonders über die Zahlder Armenier, die seinerzeit im Osmanenreich lebten,und was mit den Armeniern geschah.Diese Karte zeigt das historische Armenien - was nichtsdamit zu tun hat, wieviele Armenier tatsächlich dort leb-ten, oder ob jemals Armenier dort herrschten. Es ist einGebiet von der russischen Grenze bis ans Mittelmeer.Gegen Ende der Zeit des Osmanenreiches bestandenhier sechs Provinzen - genannt „Wilajets”. Dort gab eswohl Armenier - aber in keinem einzigen Wilajet warenmehr als ein Drittel Armenier, meistens waren es vielweniger. Tatsache ist: Wäre die gesamte armenischeWeltbevölkerung in Ostanatolien zusammengezogenworden, wären die Moslems in Armenien immer noch inder Mehrzahl gewesen. In Wirklichkeit lebten sie abernicht dort, und das Verhältnis Moslems: Armenier stand6:1. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges beschloß dieosmani-sche Regierung, Armenier, die sie alsBedrohung ansahen, aus diesen Regionen in den Südenumzusiedeln. Eine weit größere Anzahl von Armeniern,als jemals zum Umsiedeln gezwungen wurden, flohenmit den Russen nach Norden.Im Weltkrieg gab es eine unerhörte Sterblichkeitsrate.Typhus, Cholera wüteten; außerdem gab es drei Jahrelang keine Ernte. Viele Menschen, die hier lebten, ver-hungerten, fielen einer Seuche zum Opfer - oder wurdenumgebracht. Ich meine Mord - wenn etwa die Russen

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Im Jahre 1915, als die große Umsiedlungsaktion der Armenieranlief, endete die Bahnlinie aus Zentralanatolien mitten im Tau-rus, in Pozanti. Von dort aus gab es nur mehr Straßenverbindun-gen nach Syrien; erst 1916 konnten die Deutschen die Bahn nachAleppo vollenden.Von Pozanti aus hatten alle Reisenden zu Fuß zu gehen oderWagen zu benützen; auch der gesamte militärische Nachschub(das Bild zeigt Truppen auf dem Weg über den Taurus nachSyrien) wurde mit den einfachsten Hilfsmitteln bewältigt.

Zwischendurch stießen die Russen nach Süden vor undgingen zurück, dann stieß wieder die osmanischeArmee vor und zog sich zurück, und mit jedemVormarsch oder Rückzug zogen die Menschen, die sichmit Russen oder Osmanen identifizierten vor - oderzurück. Wenn die Russen auf dem Rückzug waren, gin-gen die Armenier zurück. Wenn die Osmanen verloren,zogen die Moslems, Turkvölker vor allem, mit ihnenund immer gab es dabei hohe Verluste.Das Elend betraf das gesamte Gebiet von Ägäis undMittelmeer bis zum Schwarzen Meer und demKaukasus. In dem gesamten Gebiet gab es ungefähr600.000 tote Armenier. Im gleichen Gebiet aberzweieinhalb Millionen tote Moslems - meistens Türken.Allein hier gab es gut eine Million tote Türken, zumin-dest waren die meisten moslemischen Toten Türken.In dem Gebiet, das man Armenien heißt, gab es umviele Hunderttausende mehr islamische als armenischeTote. Ich weiß, es heißt, hier seien Armenier hinge-mordet worden. Bis zu einem gewissen Ausmaß ist daswahr. Aber um die geschichtliche Wahrheit zu sagen, müssenwir daran erinnern, daß hier auch Moslems ermordetwurden, tatsächlich viel mehr Moslems, und wirmüssen bedenken, daß die Zeit vor, in und nach demErsten Weltkrieg eine zutiefst unmenschliche Zeit war,eine Zeit der Massenmorde und der Unmenschlichkeit,und daß sie alle betraf, nicht einfach Armenier oderTürken. Wir müssen das ganze als menschliches, nicht alssektiererisches Problem betrachten. Das war nichtetwas, was Armenier allein betraf; wer das nichtbegreift, wird nie verstehen, was damals geschah.”

Franz Werfeis weltberühmter Roman „Die vierzig Tagedes Musa Dagh” soll eine „moderne Saga einer verfol-gten und zum Widerstand entschlossenen Minderheit”sein; er sollte „das unfaßbare Schicksal des armenischenVolkes dem Totenreich alles Geschehenen entreißen”.Die amerikanische Ausgabe des Romans begründeteWerfeis Weltruhm und wurde nicht nur von denArmeniern, sondern auch von den Juden in aller Welt als„Gleichnis der Leiden ihres Volkes verstanden” heißt esrichtig im Klappentext zu einer Fischer-Ausgabe der„Vierzig Tage”. Aber die zentrale, die grundlegendeAussage des Romans von Franz Werfel, daß nämlich dieVerantwortlichen des Osmanischen Reiches einenAusrottungsbefehl gegeben hätten, ist falsch.In Werfeis Diktion liest sich die makabre Szene zwischendem osmanischen Kriegsminister Enver Pascha und demInnenminister Talaat Pascha (die als Verantwortliche füreinen Völkermord hingestellt werden) so: „Ein Sekretär bringt einen Pack Depeschen, die Talaat im

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Stehen zu unterschreiben beginnt. Beim Sprechen blickter nicht auf:,Diese Deutschen fürchten ja nur das Odium der Mitver-antwortlichkeit. Sie werden uns aber noch um ganzandere Dinge betteln müssen als um die Armenier.’Damit wäre wohl das Gespräch über die Verschickung fürheute erledigt, würde nicht ein neugieriger Blick Enversdie Depeschen streifen.Talaat Bey bemerkt den Blick und läßt, indem er sieschwenkt, die Papiere rauschen: ,Die genauen Weisungenan Aleppo! Mittlerweile, denke ich, dürften die Straßenwieder leer sein. Im Laufe der allernächsten Wochen wer-den Aleppo, Alexandrette, Antiochia und die ganze Küsteabgehen können.’,Antiochia und die Küste’, wiederholt Enver fragend, alshätte er zu diesem Punkt eine Bemerkung zu machen.Aber er sagt keine Silbe mehr, sondern sieht gespannt aufdie dicken Finger Talaats, die unaufhaltsam wie imSturmangriff ihre Unterschrift unter die Texte setzen.Dieselben biedermännisch derben Finger haben denunchif-frierten Befehl verfaßt, der an alle Walis undMutessarifs erging: ,Das Ziel der Deportation ist dasNichts.’Die raschen Schriftzüge zeigen den Schwung einer uner-bittlichen Überzeugung, die kein Bedenken kennt. Jetztrichtet der Minister seinen ungeschlachten Körper aus dergebückten Stellung auf:,So! Im Herbst werde ich all diesen Leuten mit der größ-ten Aufrichtigkeit antworten können: La question arme-nienne n’existe pas.’”Franz Werfel nimmt mit dieser Wortwahl geradezu sehe-risch die „Wannsee-Konferenz” vorweg, in der die Mäch-tigen des Dritten Reiches, diabolische Gestalten wieHimmler und Kaltenbrunner, die Vernichtung des jüdi-schen Volkes beschließen; für manche allerdings bildetdie Schlüsselszene in Franz Werfeis „Die vierzig Tagedes Musa Dagh”, in der die zu diabolischen Existenzendimi-nuierten Türken Enver Pascha und Talaat Pascha dieAusrottung der osmanischen Armenier „beschließen”,hinreichend Entschuldigungsgrund für blinden Terror undwütende Racheakte - und das, obwohl Franz WerfeisArgumentation zur Gänze auf den gefälschten Dokumen-ten des Aram Andonian beruht.Franz Werfeis Roman beruht auf dem Wissensstand desDichters, den er sich im Umgang mit armenischen Kon-taktpersonen angeeignet hatte - gewiß nach bestem Wis-sen und Gewissen; als er merkte, daß er Fälschungen auf-gesessen war, wagte er es aus Furcht vor armenischenRacheakten nicht, die Wahrheit einzubekennen. (Auf diediesbezügliche Aussage eines jüdischen Freundes FranzWerf eis kommen wir noch zu sprechen).

Der Mosesberg - Musa Dagh - Schauplatz des Dramas der vonden Alliierten zum Bürgerkrieg aufgehetzten Armenier.

Ein Derwisch aus Konia: Nach dem Informationsstand FranzWerfeis zeichneten sich die sunnitischen religiösen Ordendurch besonderen nationalen Fanatismus aus, was nicht derWahrheit entspricht.

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Die Tatsache, daß Dschemal Pascha in dem Buche desJohannes Lepsius „Deutschland und Armenien” unge-wöhnlich gut wegkommt (das Buch diente FranzWerfel weitgehend als Unterlage für seine „40 Tage”)schlägt sich auch in einer indirekten Aussage FranzWerfeis über Dschemal Pascha nieder. An einer Stelleseines Romans läßt er über einen eifernden Jungtürkendenunzierend sagen: „Einer der jüngeren Müdürs ver-stieg sich sogar zu der Behauptung, Dschemal Paschasei trotz seiner bekannten Rolle in der Regierung, wasdie Armenier anbetrifft, nicht ganz zuverlässig undhabe sogar mit ihnen in Adana paktiert”.Wie ernst die armenische Mafia solche Aussagennimmt, geht daraus hervor, daß in der gängigenamerikanischen Ausgabe der „40 Tage” („The FortyDays of Musa Dagh”, erschienen bei Carroll & GrafPublishers, New York, published by arrangement withViking Penguin Inc.) diese Stelle einfach gestrichen ist.Ein überaus sorgfältiger Lektor (besser: Zensor) hatalle Absätze in Werfeis Roman, die auch nur in dieNähe einer objektiven Aussage rücken, ersatzlos her-ausgestrichen; im Falle von Dschemal Pascha sollteoffensichtlich der Mord an diesem Manne, der allesMenschenmögliche für die Armenier getan hat, auchnoch gerechtfertigt werden. Die am Kampf gegen die Türkei interessierten armeni-schen Kräfte kennen die Schwachstellen in FranzWerfeis Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh” nur zugenau, auch jene, in der sich der Autor aufgeschichtliche Daten einläßt und - in gutem Glauben,aber sträflich leichtsinnig bei der Einholung der his-torischen Daten - den armenischen Aufstand von Vannach der Verkündigung des Umsiedlungsbefehles aus-brechen läßt.Bei Franz Werfel liest sich das so:„Der Staatsräson ist es niemals darauf angekommen,eine anmutige Volte zwischen Ursache und Wirkung zuschlagen. Das schlechte, jedoch umso denkfaulereGewissen der Welt, die Presse der jeweiligenMachtgruppen und das durch sie verschnittene Hirnihrer Leser haben das Ding immer nur so gedreht undverstanden, wie sie es gerade brauchten”.Es ist, als ob der armenische Zensor, der diese Stelleaus der englischen Übersetzung eliminierte, dienachfolgenden Zeilen - die er gleichfalls gestrichenhat - gemeint haben muß: „Über die Sache von Wan durfte man bestimmten

Ortes empört schreiben und empörter lesen: ,DieArmenier haben gegen das osmanische Staatsvolk, dassich in schwerem Krieg befindet, die Waffen erhobenund sind zu den Russen übergegangen. Die vonArmeniern bewohnten Vilajets müssen daher vondiesem Volke durch Deportation befreit werden.’Ähnliches konnte man in den türkischen Verlautbarun-gen lesen, nicht aber die Umkehrung, welche dieWahrheit enthielt: ,Die Armenier von Wan und Urfahaben sich, in Verzweiflung über die längst im Gangbefindliche Deportation, gegen die türkischeMilitärmacht so lange zur Wehr gesetzt, bis sie durchden Einmarsch der Russen erlöst worden sind’”.Es steht außer Zweifel, daß Franz Werfel, bei derAbfassung seines Romans „Die 40 Tage des MusaDagh” ausschließlich aus armenischen Quellen und ausdem Informationszustand eines Johannes Lepsiusschöpfend, von dem, was er schrieb, überzeugt war: daßnämlich der Aufstand von „Wan” (wie man damalsnoch schrieb) eine Reaktion auf den Umsiedlungsbefehlgewesen sei, sozusagen eine verzweifelte Notwehr.Die Wahrheit ist genau umgekehrt: der Aufstand, derAuftakt zum Bürgerkrieg in der Ostprovinz Van,begann schon im Februar 1915 - fast zwei Monate vordem Umsiedlungsbefehl, der eine Folge desAufstandes von Van war; keineswegs war der Van-Aufstand eine „Abwehrreaktion” gegen denUmsiedlungsauftrag, das heißt wahrlich, die Wahrheitauf den Kopf stellen. Die armenischen Kreise, die Werfeis Roman in derenglischen Ausgabe derartig verstümmeln und hinter-hältig kürzen, wissen selbstverständlich genau, warumsie diese Stellen - in diesem Fall ist es eine ganzeDruckseite - aus dem Buche Franz Werfeis heraus-nehmen (ohne übrigens irgendwo auch nur eine Silbedarüber zu verlieren, daß der Roman dergestaltumgeändert wurde): heute gibt es bereits vereinzeltGeschichtswerke, in denen sich Interessierte über diewirklichen Zeitabläufe und Geschehnisse informierenkönnen; in der einen oder anderen Bibliothek gibt essogar noch einschlägige Publikationen, in denen dieArmenier ihren Krieg gegen die Osmanen rühmen. Inder Zwischenzeit sind allerdings fast alle Bibliothekenvon diesen Publikationen gesäubert worden und es ist mitunterschon recht schwierig, einer Zeitschrift wie „DerOrient”, die Johannes Lepsius herausgegeben hat, nochhabhaft zu werden.

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Der uneinnehmbare Burgfelsen von Van, von den Trümmernder im Bürgerkrieg von 1915 völlig zerstörten moslemischenAltstadt von Van aus gesehen.

Der Aufstand von Van war Ursache und nicht Folge der armeni-schen Tragödie. Dasselbe gilt für den Musa Dagh: Zuerst kamenAufstand und Bürgerkrieg, dann der Umsiedlungsbefehl.

Armenische Flüchtlinge vom Musa Dagh, die nach ihrer Fluchtaus der Bergfestung von Schiffen der Entente aufgenommenwurden; an Bord eines französischen Kreuzers wurden sie nachÄgypten und Marseille gebracht.

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Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg, als das OsmanischeReich auf Seiten der Mittelmächte Deutschland, Öster-reich-Ungarn und Bulgarien gegen die EntentemächteEngland und Frankreich sowie deren Verbündetekämpfte, wurde den Osmanen bewußte Ausrottungspoli-tik gegenüber ihrer armenischen Minderheit vorgewor-fen.Im Kriege war das - im Zuge der groß angelegten Kriegs-propaganda - Teil eines der üblichen Konzepte, wie sievon allen Regierungen zu allen Zeiten praktiziert wurden.Im Falle der Osmanen und ihrer türkischen Erben verliefdie Sache allerdings dramatischer.Die Hetze gegen die Türken ließ nicht nach, imGegenteil; warf man den Osmanen zunächst Massakervor, steigerte sich die Wortwahl nach dem ZweitenWeltkrieg in den Vorwurf des Völkermordes, offen-sichtlich mit der Absicht, das Schicksal von Armeniern inden Wirren des Ersten Weltkrieges mit der Ausrottungs-politik Hitlers am jüdischen Volk in Verbindung zu brin-gen.Ausgangspunkt der Anklage gegen die Osmanen (spätergegen die Türken) war ein Buch, das im Jahre 1920geschrieben wurde, „Die Erinnerungen von Naim Bey:Offizielle türkische Dokumente zu den Armeniermassa-kern und Deportationen” (Documents Officiels concer-nant les Massacres Armeniens). Aram Andonian veröf-fentlichte sein Buch im Jahre 1920 gleichzeitig in Paris,London und Boston, und zwar in Englisch, Französischund Armenisch. Seit damals bilden die Dokumente, dieAndonian veröffentlichte, Rückgrat und Basis aller arme-nischen Anklagen gegen die Osmanen und ihre türki-schen Erben.Aram Andonian gibt vor, in Aleppo nach dem Einmarschder Briten einen osmanischen Beamten namens NaimBey kennengelernt zu haben, der ihm - Andonian - diePapiere mit den Mordbefehlen zugespielt habe. Ohne hiernäher auf die gravierenden Unterschiede in der engli-schen und französischen Ausgabe dieser „DocumentsOfficiels” eingehen zu wollen, muß gesagt werden, daßnach dem Studium beider Editionen nicht mehr klar ist,ob es sich nun um Erinnerungen dieses Naim Bey oderAram Andonians handelt.Im Text der englischen Ausgabe finden sich verstreut insgesamt 48 offizielle osmanische Dokumente, die folgen-den Personen oder Institutionen zugeschrieben werden: Person/Organisation Zahl der DokumenteInnenminister Talaat Pascha 30Direktor der Siedlungskommission von AleppoAbdülahad Nun Bey 8Gouverneur von Aleppo, Abdülhalik Bey 3Komitee für Einheit und Fortschritt (damals die Regierungspartei, der auch Enver und Talaat angehörten) 2Kriegsminister Enver Pascha 1

Innenministerium 1Gouverneur des Gebiets Deir es Zor, Zeki Bey 1Gouverneur des Gebietes Antep, Ahmed Bey 1Nicht zuzuordnen 1

Nicht alle diese Dokumente sind vollständig; manchmalfehlt das Datum, manchmal die laufende Nummer, gele-gentlich beides. Insgesamt ist genau die Hälfte schon indieser Beziehung defekt.Die Originale der von Andonian abgedruckten Papierewurden niemals gesichtet. In seinen Büchern erscheinenAbbildungen von 14 Dokumenten; als er nach den Vorla-gen gefragt wurde, gab er an, sie seien verloren, nicht eineinziges der von Andonian produzierten Originale istheute irgendwo auffindbar. Wahrscheinlich sind dieDokumente vernichtet worden, um den Nachweis der Fäl-schung zu erschweren; Andonian hat allerdings derartig

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Die Fälschungen des Aram Andonian

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viele Fehler bei der Herstellung der Papiere begangen,daß die Aufdeckung der Fälschung mit absoluter Sicher-heit auch ohne seine ursprünglichen Papiere möglich ist.

Die falschen DatenDie einfachste, absolut unwiderlegbare Methode, diePapiere des Aram Andonian als Fälschung auszuweisen,ist seine irrtümliche Verwendung der Kalenderangaben;Andonian läßt - um nur ein Beispiel zu nennen - denGouverneur von Aleppe zu einem Zeitpunkt Dokumenteunterschreiben, da er noch nicht einmal ernannt war undnoch in Istanbul lebte.Naturgemäß verwendete Andonian bei seinen Fälschun-gen den Rumi-Kalender, der damals im OsmanischenReich in Verwendung stand. Der Rumi- (römische)Kalender der Osmanen war eine besondere Spielart desallgemeinen islamischen Kalenders, der von derHedschra, der Flucht Mohammeds von Mekka nachMedina im Jahre 622 n. Chr., ausgeht. Da er nachMondjahren berechnet wurde, waren bei der Ermittlungdes Rumi-Kalenders nur 584 Jahre abzuziehen, das Jahr1987 A. D. wäre nach Rumi-Kalender 1403. Doch derRumi-Kalender weist noch eine Tücke auf, man rechnetnicht nur 584 Jahre, sondern auch 13 Tage dazu. DasRumi-Jahr begann jeweils am 1. März. Das bedeutet, daßdie letzten beiden Monate des Rumi-Kalenders (alsoJanuar und Februar) bereits die ersten Monate deschristlichen Kalenders sind.

Das richtige Jahr - nach christlicher Zählung - für diesebeiden letzten Monate des Rumi-Kalenders werdenermittelt, indem man 584 plus einem Jahr rechnet. EinBeispiel: Der 5. Januar des Jahres 1331 (Rumi) entsprichtdem 18. Januar des Jahres 1916 A. D. (1331+584+1 und13 Tage).Das ist aber noch nicht genug der Tücke. Wie gesagt, dasosmanische Jahr begann immer mit dem 1. März. ImFebruar des Jahres 1917 wurde - um die Umrechnung zuerleichtern - die Differenz von 13 Tagen zwischen Rumi-und Gregorianischem Kalender abgeschafft, allerdingsblieb die Jahreszählung mit der Differenz von 584 Jahrenunverändert. Auf diese Art wurde der 16. Februar 1332(Februar 1917) plötzlich zum 1. März 1333 (oder 1. März1917 A. D.) und zur gleichen Zeit wurde das Jahr 1333(1917) als ein Jahr mit zehn laufenden Monaten vom 1.März bis 31. Dezember angesehen. So wurde der 1. Januar 1334 zugleich der 1. Januar 1918A. D. (Nur zur Information: Die Türkische Republiknahm den Gregorianischen Kalender erst im Jahre 1925an, womit das Rumi-Jahr 1341 zu 1925 A. D. wurde.)Diese kalendertechnischen Angaben mögen sich sehrkompliziert und uninteressant ausnehmen, sind aber imZusammenhang der „Vierzig Tage des Musa Dagh” undden Fälschungen Aram Andonians, denen Franz Werfelzunächst aufgesessen ist, von entscheidender Bedeutung.Bei der Zählung (und fortlaufenden Numerierung) der„Andonian-Papiere” und der echten Dokumente derosmanischen Regierung darf auch nicht übersehen wer-

Ein von Aram Andonian gefälschter Brief mit dem Datum 18.Februar 1331 (2. März 1916). Der Brief beginnt oben mit einem„Bismillah” (einem Segensspruch), wie er von einem Moslemniemals geschrieben worden wäre. Der fatalste Irrtum passiertedem Fälscher Andonian jedoch mit dem Datum. Da er sich offen-bar mit den Tücken der Umrechnung des Rumi-Jahres derOsmanen und der Beseitigung einer Differenz von 13 Tagen zwi-schen Rumi-Kalender und Gregorianischem Kalender nicht rich-tig vertraut gemacht hatte, datierte er ihn gleich um ein ganzesJahr falsch, an Stelle von 1330 kam er bereits in das Jahr 1331 -also 1916, obwohl der Inhalt dieses Briefes so abgefaßt ist, daß erdie lange Vorausplanung der Umsiedlungsaktion beweisen soll.

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den, daß die Ordnungszahlen der ein- und ausgehendenDokumente stets mit dem 1. März begannen (1333 Rumi= 1917 A. D.) und, durchnumeriert, mit dem 28. Februar(dem letzten Tag des Rumi-Kalenders) endeten. „Neu-jahr” war dann wieder 1. März.Nun passierte Aram Andonian schon bei der Fälschungdes wichtigsten Briefdokuments, dem er die Nummer einsgab, ein entscheidender Fehler. Doch zunächst zu denwichtigsten Abschnitten dieses Dokuments. Dokument Nr. 1„Im Namen Gottes, des Barmherzigen des Gnädigen. An Dschemal Bey, den Delegierten von Adana 18. Februar 1331 (2. März 1916)Die einzige Kraft, die imstande wäre, das politischeLeben der Partei (Union und Fortschritt) in der Türkei zubeenden, wären die Armenier, und nach unseren jüngstenInformationen aus Kairo scheint es, als ob die Daschnak-sutiun einen letzten und endgültigen Schlag gegen dieUnion vorbereiteten.”Nach einer kurzen Überleitung kommt das angeblicheBriefdokument Nr. 1 vom 18. Februar 1331 zu folgendemSchluß:„Das Komitee hat beschlossen, das Land vor den Leiden-schaften dieser Verfluchten (den Armeniern) zu rettenund auch die Verantwortung für die Schande zu tragen,die wegen dieser Sache über das Osmanische Reich kom-men könnte. Das Komitee, das die unglücklichen Ereig-nisse der Vergangenheit, in der ein Racheakt dem anderenfolgte, nicht vergessen kann, hat beschlossen (vollHoffnung auf die Zukunft), alle in der Türkei lebendenArmenier zu vernichten, bis auch nicht ein einziger übrig-bleibt. In dieser Angelegenheit hat das Komitee derRegierung große Befugnisse übertragen.Die Regierung wird den Gouverneuren und Armeekom-mandanten alle notwendigen Erläuterungen hinsichtlichder Vorkehrungen für die Massaker geben . . .” Nach umständlichen Erläuterungen folgt schließlich eineunleserliche Unterschrift.

Vom Fälscher Andonian zum Mordinstrument umfunktioniert:ein Morseapparat aus jener Zeit.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß dieserentscheidende Schlüsselbrief in Andonians Dokumenten-sammlung in der ursprünglichen, französischen Fassungseines Buches mit 18. Februar 1331 datiert ist, in der eng-lischen Version dagegen das Datum 8. Februar 1331 trägt.Nun, der ursprüngliche türkische Text trägt eindeutig dasDatum 18. Februar 1331.Erinnern wir uns: Nach allen Regeln der Kalenderum-rechnung entspricht der 18. Februar 1331 dem 2. März1916 (weil der Februar 1916 als Schaltjahr 29 Tage hatte),und nicht dem 18. Februar 1915, wie in der französischenÜbersetzung angegeben, und auch nicht dem 25. März1915, wie in der englischen Übersetzung. Mit anderenWorten, um ein richtiges Datum zu fälschen, hätte Ando-nian 1330 schreiben müssen, und nicht 1331. Ein Brief, am2. März 1916 geschrieben, kann kaum Ereignisse einleiten, die schon neun Monate vorher stattgefunden habenmüßten!Wer meint, es könne sich bei dieser Fälschung noch umirgendeine Art Zufall, einen Irrtum von offizieller Seitehandeln, wird durch Dokument Nr. 2, in AndoniansSammlung gleich eines besseren belehrt. Der zweiteBrief seiner Sammlung hätte selbstverständlich mit demDatum 25. März 1332 versehen sein müssen (25. März1915), trägt aber fatalerweise das Datum 25. März 1931.Es ist völlig klar, das der Fälscher vom osmanischenKalendersystem zu wenig wußte und die Tücken dieserUmrechnung einfach übersah.Die türkischen Historiker §inasi Orel und Sürreya Yucahaben im Jahre 1984 eine umfangreiche wis-senschaftliche Arbeit über die Fälschungen des AramAndonian veröffentlicht, in der sie allen Einzelheiten - essind Hunderte– der mißglückten Täuschung nachgehen; von verräteri-schen Datierungen über nachgeahmte Unterschriften biszu verballhornten Segenswünschen, „Bismillahs”, wie sieein Moslem nie gewagt hätte zu schreiben.Ein besonders niederträchtiger Abschnitt der gefälschtenAndonian-Papiere beschäftigt sich - psychologisch vor-züglich aufgebaut - mit der „Erweiterung der Massaker”- vor allem deren Ausdehnung auf Kinder. In einer dieserAndonian-Fälschungen heißt es:Dokument Nr. 4„Das ist die entzifferte Kopie eines verschlüsselten Tele-gramms des Innenministeriums Nummer 502, vom3. September 1331 (16. September 1915).Es wird empfohlen, daß die vorher herausgegebenenAnweisungen hinsichtlich der männlichen Personen nunauf Frauen und Kinder ausgedehnt werden und vertrau-enswürdige Individuen mit dieser Angelegenheit befaßtwerden.

Der Innenminister Talaat

Anmerkung:An Abdülhalad Nuri Bey. 5. September. Haben sie denGendarmeriekommandanten getroffen?

Der Gouverneur Mustafa Abdülhalik”

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Abgesehen davon, daß die Unterschrift des Gouverneurseindeutig (und primitiv) gefälscht ist, hat sich Andonianbei der Abfassung dieses Telegramms noch einen beson-deren, aus Schlampigkeit geborenen Schnitzer durchge-hen lassen: Weder am 3. September noch am 5. Septem-ber konnte ein „Gouverneur Mustafa Abdülhalik” mitVerwaltungsakten in Aleppo etwas zu tun haben, weil derGouverneur von Aleppo damals Bekir Sami Bey hieß.Mustafa Abdülhalik weilte anfangs September noch inIstanbul. Er trat seinen Dienst in Aleppo am 10. Oktober1915 an . . .Es gibt in den osmanischen Archiven ein Telegramm vom3. September 1331 an den Gouverneur von Aleppo, BekirSami Bey, allerdings unter der Ordnungszahl 78, undnicht unter der von Andonian frei erfundenen 502. Es hatden Anschein, als ob Franz Werfel bei der Abfassungseines Buches „Die vierzig Tage des Musa Dagh” vondem Andonian-Kapitel „Die Ausweitung der Massaker”besonders betroffen gewesen sei; sollten doch nun -immer den Fälschungen Andonians folgend - nicht nurdie Männer, sondern auch die Frauen und Kinder umge-bracht werden. Zwölf Dokumente Andonians befassensich mit dieser Frage, gleich fünf davon sollen von TalaatPascha persönlich stammen. Zum Glück sind geradediese Telegramme gleich auf Grund mehrerer Kriterien(Datum, Unterschrift, Ernennung, Ordnungszahl) alsbesonders plumpe Fälschungen entlarvt worden. Auf Franz Werfel haben die Fälschungen Arem Ando-nians zunächst überzeugend gewirkt. Er hat auch denErzählungen seiner Wiener Kreise, die ihn mit Berichtenüber „die Untaten der Türken” versorgten, anfangs sichergeglaubt. So ist es verständlich, wie er über die Mevlana-Mönche urteilt, ohne offensichtlich eine wirklicheVorstellung von islamischer Mystik oder den Zielsetzun-gen des Derwischordens der Mevlana Kenntnis zu haben.Gelegentlich appellieren seine Berichte, sicher von sei-nen Informanten beabsichtigt, deutlich an gewisse Instin-kte, etwa, wenn er über den osmanischen KriegsministerEnver Pascha spricht und diesen einen „eitlen Lustknabendes Ottomanischen Reiches” nennt oder nach einer Schil-derung der Meditationsübungen der Mevlanamön-chemeint, „diese Liebesfeier dort unten kommt ja nicht ausdem Geiste, sondern aus wilden Verrenkungen des Kör-pers” - als ob die harmonischen Bewegungen der tanzen-den Mevlanajünger auch nur die Spur mit „wilden Ver-renkungen” zu tun hätten! Doch all das mag ja noch hin-gehen angesichts der hohen Aufgabe, die sich FranzWerfel gestellt hatte.

Franz Werfel wußte, daß er Fälschungen aufgesessen war.

Abraham Sou Sever ist ein sephardischer Jude, der vordem Ersten Weltkrieg in Izmir zur Welt kam und später indie Vereinigten Staaten emigrierte. Er lebt heute hoch-betagt in Kalifornien. Abraham Sou Sever hat ein schriftliches Zeugnis verfaßt,

Die gefälschte Unterschrift des Gouverneurs Mustafa Halik,der zu der Zeit, da ihn der Fälscher Andonian „unterschreiben”läßt, noch gar nicht ernannt war!

das Teil seines Testaments ist, in dem er die Zusammen-hänge zwischen den armenischen Behauptungen vomVölkermord und ihren Propagandamethoden aus seinerpersönlichen Sicht und Erfahrung erläutert. Von besonde-rer Bedeutung ist sein Bericht über Franz Werfel. Abra-ham Sou Severs notariell beglaubigte Aussagen befindensich in sicherer Aufbewahrung. Abschriften wurden wis-senschaftlichen Institutionen der USA zur Verfügunggestellt.Abraham Sou Severs Aussage zu den Geschehnissen aufdem Musa Dagh und Franz Werfel lautet so: „Wenn dieWahrheit über den Musa Dagh herauskommt, ist das dasbeste Zeugnis armenischer Doppelzüngigkeit und Rebel-lion. Fünfzigtausend Armenier hatten sich auf den Höhendes Mosesberges bewaffnet versammelt, nachdem Vorrätegesammelt worden waren, um einer Belagerung zu wider-stehen. Tägliche Überfälle von diesem Berg aus galtenden rückwärtigen Linien der osmanischen Armee. Nachden Überfällen zogen sich die Armenier wieder in dasBerggebiet zurück. Als die Osmanen endlich die Befe-stigung entdeckten, die die Armenier errichtet hatten, kon-nten sie dieselbe weder angreifen noch besetzen. Sie hieltder Belagerung vierzig Tage lang stand - ein gutesZeichen dafür, mit welcher Sorgfalt man sich unter denAugen der osmanischen Regierung vorbereitet hatte. Eswurde auch niemals erklärt, daß diese armenische Rebel-lion von den Russen angestiftet, organisiert, finanziert undmit Waffen und Munition versorgt worden war. Führer der revolutionären armenischen OrganisationDaschnaksutiun haben seither zugegeben, von den Rus-sen betrogen worden zu sein, betrogen mit Versprechun-gen von Unabhängigkeit und einem Neuen Armenien.Sie haben zugegeben, daß sie von Rußland bezahlt undausgerüstet worden waren. Sie haben zugegeben, daß

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Banden armenischer Revolutionäre zusammengestelltwurden, um die osmanische Armee hinterrücks zu sabo-tieren, die ihre Heimat verteidigte, und das, noch bevordie Osmanen Rußland den Krieg erklärt hatten. Die Tausenden, die den Musa Dagh besetzt hielten, fürvierzig Tage, entkamen, indem sie vom Berg herunterstie-gen und einen geheimen Ausschlupf in Richtung Mittel-meer nahmen, während die Osmanen die Vorderfront desBerges belagerten.Die Armenier hatten sich mittels Leuchtzeichen mit denSchiffen der französischen und britischen Marineverständigt, die im Mittelmeer patrouillierten. JeneTausende, die da entkamen, wurden an Bord britischerund französischer Schiffe genommen und nachAlexandrien, nach Ägypten, transportiert. Die Armenierfanden, es läge in ihrem Interesse, zu erzählen, jeneTausende Menschen wären umgekommen und hielten dieRettung durch Franzosen und Briten geheim. Nur einekleine armenische Einheit, die kämpfend auf dem Bergzurückgeblieben war, ergab sich schließlich.Mein lieber, verstorbener Freund Franz Werfel, der dasBuch „Die vierzig Tage des Musa Dagh” geschrieben hat,

In der gesamten, sehr umfangreichen Literatur, die vonarmenischer oder armenier-freundlicher Seite über dietragischen Ereignisse während des Ersten Weltkriegeserschien, wird man vergeblich nach irgendeinem Wortdes Bedauerns über die Not und den Tod so vielerunschuldiger Moslems suchen, die im Zuge der Arme-nieraufstände und ihrer fürchterlichen Folgen umkamen.Nach den verläßlichen Ergebnissen der Forschungen vonUniv.-Prof. DDr. McCarthy verloren ungefähr 600.000Armenier in der Folge der Aufstände, Kriegswirren, Seu-chen und Umsiedlung, Flucht und Hungersnot ihr Leben.Zur gleichen Zeit und aus den gleichen Ursachen kamenin den gleichen Gebieten zweieinhalb Millionen Men-schen auf islamischer Seite ums Leben - die meisten vonihnen waren Türken.Die türkische Regierung begann erst in jüngster Zeit,nach den schrecklichen Mordüberfällen auf türkischeDiplomaten in aller Welt, der Dokumentation der von denarmenischen Fanatikern verübten Greueltaten vermehrtesAugenmerk zu schenken. Die Wahrheit darüber findetsich gelegentlich zwischen den Zeilen, so etwa in demBuch Christopher Walkers „Armenia - The Survival of aNation”, auf Seite 247, wenn er über die erbittertenKämpfe zwischen Türken und Armeniern und ihre ent-setzlichen Folgen für die Zivilbevölkerung schreibt:„Greueltaten und Gegen-Greueltaten, von Türken undArmeniern gleichermaßen verübt, brachten die Lage zumFlammpunkt, besonders in Erzindschan. Wo immer die

Am schlimmsten wüteten die Terroristen nach dem Abzug derrussischen Truppen aus Ostanatolien, im Frühjahr 1918, unmit-telbar vor dem Nachrücken der osmanischen Verbände. Erzurumund Ezingan sowie die umliegenden Dörfer wurden am ärgstenheimgesucht. Zum Teil vernarben die letzten Wunden erst heute -so wird das ehemalige amerikanische Konsulat in Erzurum,damals eine von den Terroristen errichtete „Ordnungs-dienststelle”, die bei der Bevölkerung Angst und Schrecken ver-breitete, erst jetzt erneuert.

war niemals in jenem Gebiete gewesen, um über dasnachzuforschen, worüber er geschrieben hatte. Er schriebes so, wie es ihm seine armenischen Freunde in Wienerzählten. Vor seinem Tode sagte mir Werfel, daß er sichschäme und daß er es bereue, dieses Buch geschrieben zuhaben, und wegen der vielen Unwahrheiten undFälschungen, die ihm die Armenier angedreht hatten.Aber er wagte es nicht, öffentlich diese Tatsachen zubekennen, aus Furcht, von den Daschnag-Terroristenumgebracht zu werden.Christliche Missionare hatten in den Armeniern willigeund leicht zu gewinnende Überläufer von ihrem ange-stammten orthodoxen Christentum zu den protestanti-schen und katholischen Firmenmarken gefunden. VollSympathie für ihre Konvertiten halfen sie mit, die fal-schen Geschichten vom Massaker in der gesamten westli-chen Welt zu verbreiten. Die falschen Ansprüche vonGenozid und Holocaust haben ihnen in der gesamtenwestlichen Welt große Sympathie eingebracht. Sie kön-nen Widerlegung oder Gegenbeweis einfach nicht ertra-gen. Das ist auch der Grund, warum sie Gegenbeweisemit Drohungen zu ersticken versuchen.”

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Und die islamischen Opfer?

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Wahrheit über die Geschichten von all den verübtenGreueltaten liegen mag (und es erscheint als wahrschein-lich, daß die Armenier, die Rache für den Völkermordausüben wollten, Türken ohne Hemmung töteten) . . .”Wie immer in diesen Fällen übersehen die Armenier oderihnen sympathisch gegenüberstehende Autoren, daß dasganze entsetzliche Elend durch den rücksichtslosen Fana-tismus armenischer Einpeitscher verursacht worden war,die ihr armes Volk als „de facto kriegführende Nation”ansahen - wie es der Chef der „Armenischen Delegation”,Bogosch Nubar, in seinem Brief am 3. Dezember 1918 anden französischen Außenminister Stephen Pichon for-muliert.Dieser von den Armeniern begonnene Befreiungskrieghatte ungefähr den gleichen historischen Hintergrund, alshätten die Albaner - als Nachkommen der alten Illyrer -während des Ersten Weltkrieges versucht, den gesamtenBalkan und Mitteleuropa mit Hilfe von Aufständen,Bomben, Morden und Attentaten sowie Teilnahme vonFreiwilligenformationen an den Kriegshandlungenwieder unter ihre Kontrolle zu bringen, und das mit der„historisch fundierten” Begründung, die Illyrer hätten vordem Einfall der Kelten über ganz Mittel- undSüdosteuropa geherrscht.

Nach dem Krieg erreichte der armenische Terrorismuseinen neuen Höhepunkt, es sollte nicht nur auf dem histo-rischen Boden Großarmeniens, eines Reiches also, daßvor zwei Jahrtausenden für wenige Jahrzehnte bestandenhatte und auf dem sich niemals in der Geschichte einearmenische Mehrheit befunden hatte ein neuesGroßarmenien geschaffen werden, es sollte auch an denTürken im allgemeinen und den Führern des türkischenVolkes im besonderen Rache genommen werden. Die Alliierten wurden nach dem Ersten Weltkrieg von denarmenischen Agitatoren so lange bedrängt und mitDenunziationen versorgt, bis sich die Briten entschlossen,mehr als 140 osmanische Würdenträger - höhere Beamte,höhere Offiziere, Regierungsmitglieder - nach Malta zuschaffen, um ihnen dort - fast wie in einer versuchtenVorwegnahme des Nürnberger Prozesses - einen MalteserProzeß zu machen.Mit feinem britischem Humor stellten die Briten ihreGefangenen auch gleich im Torbogen des wunderschönenosmanischen Friedhofs von Malta zum Gruppenfoto auf,als wollten sie das sichere Todesurteil schon vorweg-nehmen. Handelte es sich nicht um Massenmörder,Schreibtischtäter und Irre, die man da nach Malta ver-schifft hatte? Gab es nicht massenweise konkreteZeugenaussagen und Dokumente?Mehr als zwei Jahre lang wurden die osmanischen Gefan-genen auf Malta festgehalten. Mehr als zwei Jahre langsuchten die Sieger - vor allem die Briten - fieberhaft nachBeweisen.

Als Sultan Mechmed V. Reschad im Sommer des Jahres 1918 (!)starb, errichtete wieder ein armenischer Architekt die Türbedes letzten auf osmanischem Boden beigesetzten Sultans undKalifen.

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Der Osmanenfriedhof von Malta. Mit feinem britischem Humorstellten die Sieger ihre Gefangenen zum Gruppenfoto untersFriedhofstor: Todesurteile galten als ebenso sicher wie dasVorurteil „schuldig”.

Das Gefängnis der in Valetta (Malta) aufgrund falscherAnschuldigungen festgehaltenen osmanischen Würdenträger.

Schließlich wandten sich die Briten, nachdem auch inParis keine Beweise auflagen und weder in Istanbul nochin Anatolien irgendeine Evidenz für die den Osmanen indie Schuhe geschobene Absicht einer Massentötung zufinden war, an die Amerikaner. Dort saßen bereits mäch-tige armenische Lobbies, dort gab es dank der jahrzehnte-langen antitürkischen Hetze mancher protestantischerKreise gewiß mehr zu erfahren, Beweise zu finden. Die Antwort aus Washington lautete: „I regret to informYour Lordship . . .” Seiner Majestät Botschafter in Wa-shington hatte Seine Lordschaft darüber zu informieren,daß auch die Amerikaner keinerlei Beweis gegen dieGefangenen von Malta auftreiben konnten. Kurz daraufwurden die osmanischen Würdenträger wieder freigelas-sen.Am 25. Oktober des Jahres 1921 verließen die osmani-schen Angeklagten die Gefängnisse der Insel Malta -damals noch britische Kronkolonie -, in denen sie mehrals zwei Jahre lang unschuldig festgehalten wordenwaren, als freie Männer.Nach außen hin taten die Briten, als ob nichts geschehensei. Die Abreise der ehedem osmanischen Gefangenenwurde mit keiner Silbe erwähnt, die Lokalpresse brachtein der Rubrik „Sailed” bloß die Kurznotiz, daß SeinerMajestät Schiffe Chrysanthemum und Montreal, denHafen von Valette in Richtung Istanbul verlassen hatten.Aber die Chrysanthemum war immerhin die Jacht desGouverneurs von Malta. Und auf ihre befanden sich - alsdes Gouverneurs honoured guests - die freien osmani-schen Würdenträger, die wieder in ihre Heimat zurück-kehrten.

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Nach den Freisprüchen von Malta griffendie armenischen Terroristen zur Selbst-justiz und ermordeten die osmanische

FührungsschichtDas Ende des Ersten Weltkrieges und die Niederlage desOsmanischen Reiches bedeuteten für die ArmenischeRevolutionäre Föderation (besser bekannt als „Dasch-kaks”) grünes Licht zur Bildung einer Sondereinheit desTerrors, die den sinnigen Namen „Nemesis” erhielt. Völ-lig unabhängig von Gesetz, Verfahren oder gar Möglich-keit zur Verteidigung hatte sie das einzige Ziel, die vonihr erkorenen Symbole „hinzurichten”. Erstes Schlach-topfer wurde Talaat Bey, Minister des Inneren, späterKriegsminister. Er wurde am 15. März 1921 in Berlin aufoffener Straße niedergeschossen. Seinem Mörder,Soghomon Tehlirian, machte man wohl den Prozeß, dochleistete ein augenblicklich ins Leben gerufener „So-ghomon Tehlirian Verteidigungsfond”, der aus aller Welt,besonders aus den USA, Spenden in unerhörter Höheerhielt, massiven Beistand. Tehlirian wurde nach zweitä-gigem, äußerst oberflächlichem Verfahren freigelassen.Einziger Pluspunkt für den Rechtsstaat: die von der Ver-teidigung angebotenen „Andonian-Dokumente”, die eineHauptschuld Talaats an den Vorgängen von 1915 nach-weisen sollten, wurden schon damals nicht alsBeweismittel anerkannt . . .

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ETERNAL VIGILANCE IS THE PRICE OF LIBERTY -ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit - heißt es auf demSockel des Symbols der Staatsmacht mit dem Liktorenbündel:In den Archiven der Vereinigten Staaten in Washington suchtendie Amerikaner sorgfältig nach Beweisstücken gegen die desMordes angeklagten osmanischen Führer. Es gab keineSchuldigen, es gab auch keine Verurteilungen.

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Neun Monate nach Talaat erwischten die Armenier denehemaligen Großwesir und osmanischen AußenministerPrinz Said Halim Pascha. Er wurde in Rom von demDaschnakisten Arschawir Schirakian ermordet, obwohlsoeben auf Malta von den Briten unschuldig befunden.Arschawir Schirakian konnte das „Hinrichten” nicht las-sen: schon vier Monate später ermordete er, gemeinsammit einem Komplizen namens Aram Yerganian, zwei Mit-glieder des Jungtürkischen Komitees, Bahaeddin Шikirund Dschemal Azmi. Sie fielen am 17. April 1922 inBerlin unter den Kugeln ihrer Mörder.

Wieder in paar Monate später fand ein Mann sein Ende,der stets für die Armenier eingetreten war, selbst nachdem Zeugnis so notorischer Turkophoben wie Dr. Lepsius

Dschemal Pascha wurde - gemeinsam mit seinem jungenAdjudanten (Yaver) Süreyya Bey - am 22. 7. in Tiflis er-mordet. Die Armenier übten an Dschemal Pascha Rache,obwohl er ihnen während seiner Dienstzeit als Militär-kommandant von Syrien geholfen hatte, wie immer erkonnte. Selbst der glühende Türkenhasser und völlig kri-tiklose Armenierfreund Dr. Johannes Lepsius schreibt inseinem Buche „Deutschland und Armenien”: „DschemalPascha, der Oberkommandierende der 4. Armee in Syrien. . . nahm eine Sonderstellung gegenüber denMachthabern in Konstantinopel ein. Er hat schwere Aus-schreitungen in seinem Bezirk verhindert und einiges fürdie Ernährung der Deportierten und die Versorgung derAnstalten getan . . .”An einer anderen Stelle des Buches heißt es in einemZitat aus einem Dokument des Außenamtes in Berlin:

„Kaiserliches Deutsches KonsulatAleppo TelegrammAbgang aus Marsch, den 1. April 1915Ankunft in Pera, den 1. April 1915

An die Deutsche Botschaft, Konstantinopel Dschemal Pascha hat Mittwoch den Befehl geben lassen,niemand solle sich in Religionsangelegenheiten einmi-schen. Ein Muhammedaner, der einen Armenier angreife,werde vor das Kriegsgericht gestellt.

Rößler”

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Enver Pascha stand selbstverständlich gleichfalls auf derarmenischen Abschußliste; als er 1922 im fernen Dschu-schambe in Tadschikistan im Kampfe gegen die Bolsche-wisten fiel, behaupteten die Armenier noch lange, sie hät-ten Enver ermordet.Tatsache ist, daß die führenden osmanischen Regierungs-mitglieder der Zeit des Ersten Weltkrieges von Armeniernermordet - „hingerichtet” worden sind. Wenn dasGerechtigkeit sein sollte - warum geht das Morden heute,Generationen später, ungehemmt weiter?

Vom Ersten Weltkrieg zu einem neuenAbschnitt türkisch-armenischer Beziehun-

gen: die wichtigsten Etappen zu denFriedensschlüssen von Gümrü-Alexan-

dropol und Lausanne sowie deren Folgen

Die Jahre 1917 und 1918 waren durch eine ganze Kettevon Zusammenbrüchen gekennzeichnet, die alle in unge-rechte und maßlos überzogene „Friedens”-diktate mün-deten. Die schwächsten Glieder dieser Unglückskette bil-deten zugleich Beginn und Ende dieser Serie: es begannfür Rußland in Brest-Litowsk und endete mit dem Diktatgegen die Osmanen in Sevres.Es ist bezeichnend, daß gerade diese beiden Friedensdik-tate, das erste und das letzte der Reihe, nie tragend wur-den. Der Vertrag von Brest-Litowsk wurde schon vor sei-ner Erfüllung durch das Diktat von Versailles ungültigund die Türkei hat das Diktat von Sevres niemals aner-kannt; es wurde schließlich durch den Friedensvertragvon Lausanne ersetzt.Eine chronologische Auflistung zeigt die Dramatik jenerJahre, die unser Schicksal weitgehend bis heute bestimm-ten; der Sonderfall „Osmanisches Reich - Türkei” wirdim Zusammenhang mit der armenischen Frage aus-führlicher behandelt.

Von den Pyrrhussiegen von Brest-Litowskund Bukarest zu den Katastrophen der

Diktate in den Pariser Vororten

Am 8. November 1917 beschloß der II. GesamtrussischeSowjetkongreß ein „Dekret über den Frieden”. Es enthieltdie Forderung nach einem Frieden ,ohne Annexionen undKontributionen’, wobei gleichzeitig die Geheimverträgezwischen der zaristischen Regierung und den West-mächten gekündigt werden. Die bald darauf erfolgte Ver-öffentlichung dieser Geheimverträge entlarvt die Kriegs-ziele der in der Entente vereinigten Großmächte.Sie entlarvt vor allem die Haltung der Entente hin-sichtlich der Armenier, die sich seit Kriegsbeginn an allenFronten gegen das Osmanische Reich im „de factoKriegszustand” befanden.Denn in dem großen Aufteilungs- und Einflußzonenplan,der da zutage trat, der die südliche Türkei den Franzosen,den Westen den Italienern und die Meerengen und Ost-anatolien den Russen zusprach, kam das Wort „Arme-nien” oder „Armenier” nicht einmal vor. Die Armenierdurften bloß Aufstände riskieren und an den Fronten ihreKöpfe hinhalten . . . sonst nichts.

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Erst nach dem Ausscheiden Rußlands (der Sowjets) ausdem Geschehen des Ersten Weltkrieges überlegte man,ein künftiges „Armenien” auf jenem Territorium zuerrichten, das anfänglich dem zaristischen Rußland zuge-dacht gewesen war . . . und ließ auch diesen Gedankensofort wieder fallen, als sich die Türken in Lausannequerlegten . . .Am 15. Dezember 1917 wurde in Bukarest einWaffenstillstand zwischen Rumänien und den damalsnoch siegreichen Mittelmächten geschlossen, und zwis-chen dem 22. Dezember 1917 und dem 3. März 1918 fan-den die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk zwis-chen der neuen Sowjetmacht und den Mittelmächten statt. Der Friede von Brest-Litowsk, der die Sowjets die balti-schen Staaten und die Ukraine kostete und bei den Mittel-mächten voreilig „Brotfriede” genannt wurde (tatsächlichbrachte er kein Brot, sondern bloß neue Probleme) hatteauch einschneidende Bedeutung für das OsmanischeReich.

Brest-Litowsk: die Osmanen erhaltenOstanatolien zurück

Schon am 15. November 1917 hatten die Bolschewikenerklärt, daß alle innerhalb Rußlands lebenden Völker völ-lig gleichberechtigt seien und sich daher auch von Ruß-land trennen könnten, um autonome Regierungen zu bil-den.Die Proklamation einer „Republik Armenien”, die balddarauf erfolgte, beruht auf jener Erklärung. Allerdingssollten erst die kommenden Jahre zeigen, bis zu welchemGrad die Versprechungen der Kommunisten als bareMünze zu nehmen waren.Am 26. November, nach den Unabhängigkeitserklärun-gen Estlands und Finnlands, erbaten die Sowjets einenWaffenstillstand.

Die Verhandlungen zwischen der kaiserlich-osmanischenRegierung und den Sowjets begannen noch vor der Eröff-nung der ersten Runde in Brest-Litowsk in der heißumkämpften Stadt Erzurum - von den Armeniern längstals Hauptstadt eines Großarmenischen Reiches auserse-hen. Allein die Wahl dieses Verhandlungsortes zwischenRussen und Türken signalisierte bereits, daß davon nie-mals die Rede sein konnte.Ein russisch-osmanisches Abkommen wurde am 18.Dezember 1918 unterzeichnet. Sein Inhalt bestätigte bloßeinen Status quo ante: jede der beiden Armeen sollte inihren Stellungen verbleiben, bis eine Klärung des neuenGrenzverlaufes erreicht sei.Es war das eine gute Einleitung zu den Friedensverhand-lungen in Brest-Litowsk, an denen auf Seite der Mittel-mächte auch eine osmanische Delegation teilnahm, zuerstunter der Führung des kaiserlich-osmanischen Außenmi-nisters Nesimi Bey, dann unter Leitung des GroßwesirsTalaat Pascha.Am 13. Jänner 1918 veröffentlichte die „Prawda” ein„Dekret Nr. 13”, unterzeichnet von Lenin und Stalin, indem von der Bildung einer provisorischen armenischenRegierung unter dem Beistand des „Kommissars für kau-kasische Angelegenheiten, Chomian” die Rede war.Hauptinhalt der Verordnung war, daß die Russen daran-gingen, die Armenier zu bewaffnen, bevor sie sich, wieim Vertrag von Brest-Litowsk schließlich vorgesehen, ausden alten osmanischen Städten Ardahan und Kars, aberauch aus Batum zurückziehen würden. Eine endgültigeGrenzziehung sollte „den Staaten der Region” vorbehal-ten bleiben.Die wichtigsten Bestandteile des sowjetisch-osmanischenEinverständnisses (Annex zu dem Vertrag von Brest-Litowsk) beinhalten1) Die Räumung Ostanatoliens durch die Russen 5) Die Entwaffnung der „armenischen Freischärler-Ban-den”und - das wichtigste Ergebnis für die Osmanen - festge-legt im Artikel III, die Wiederherstellung der Grenzenwie sie vor 1878 bestanden hatten, also vor dem unglück-seligen russisch-türkischen Krieg, der auch der Auftaktzum Elend der Armenier geworden war.

Die russisch-orthodoxe Kirche von Kars: Die Russen waren in derZeit ihrer Besetzung Ostanatoliens ausschließlich an ihrer eigenenMachtausdehnung und nicht an einer Förderung der Armenierinteressiert.

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Am 10. Februar 1918 konstituierte sich in der Folge dersowjetischen Erklärungen vom November 1917 eine„Vereinigte Sozialistische Republik Transkaukasien”, dieGeorgier, Aserbaidschaner, Daghestaner und Armenierumfaßte. Unter der Führung eines georgischen Mensche-wiken, Y. Ketetschgoni, wurde eine provisorische Regie-rung gebildet.

An einem der besonders großen Massengräber, die kürzlich beiErzurum entdeckt wurden, errichtete die türkische Regierung eineinfaches Mahnmal, das in Gegenwart von Staatspräsident KenanEvren eingeweiht wurde.Bilder von der Exhumierung islamischer Opfer der Armenierauf-stände: auch in Igdir gibt es noch vereinzelt Überlebende der vonArmeniern verübten Massaker, die - so wie in zahllosen anderentürkischen Orten - ihre tragischen Erinnerungen zu Protokollgeben.

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Die grauenhaften Bilder der Opfer jenes unsinnigen, mörderischenDe-facto-Krieges, wie es der armenische Politiker Bogosch Nubarformulierte, sind austauschbar, in den türkischen Archiven findensich Hunderte und Aberhunderte Bilder dieser Art, die islamischeOpfer des armenischen Terrors oder armenischer Aufständischerzeigen; und die Armenier verfügen über nicht weniger entsetzlicheBilder, die ihre toten Landsleute zeigen, bedauernswerte Menschen,die Mord und Totschlag und Hunger und Erschöpfung anheimgefall-en waren. Die Aufrechnung der Opferzahlen und Leiden derMenschen ist sinnlos, einzig die Frage nach der Ursache solchtragischer Entwicklungen ist zielführend zu einer besseren,friedlicheren Zukunft.

Übersicht zu den Verhältniszahlen der islamischen (meist türki-schen) Opfer des De-facto-Krieges zwischen dem OsmanischenReich und seiner damaligen armenischen Minderheit.

Prozentsätze der islamischen Toten, 1912—1922:

Wichtigste Folge der Abmachungen von Brest-Litowskund der daraufhin von den Sowjets eingeleiteten Neuord-nung in Ostanatolien war, daß osmanische Truppen diehistorischen Gebiete wieder in Besitz nahmen: Am 13. Februar wurde Erzingan wieder osmanisch, am24. Februar Trapezunt, am 12. März Erzurum und am 7.April Van.Am 14. April marschierten osmanische Truppen in Batumein.Am 25. April 1918 eroberten die osmanischenStreitkräfte Kars zurück, das, so wie ein TeilOstanatoliens, seit 1879 von den Russen gleichsam alsErsatz für „Kriegsschulden” besetzt gehalten worden war.Leider wurden die Tage des „Interregnums” zwischendem Abrücken der russischen Truppen und dem Einzugder osmanischen Armee von armenischen Terrorkom-mandos zu einer letzten „Abrechnung” mit der islami-schen Bevölkerung mißbraucht und ganze Landstricheentvölkert, so als wäre damit noch etwas zu „retten” fürdie Sache „Großarmeniens”.Am schlimmsten wüteten die Terroristen in Erzurum undErzindschan: „. . .es scheint wahrscheinlich, daß dieArmenier, die Rache für den Völkermord suchten, Türkenohne Bedenken töteten . . .” schreibt Christopher Walkerdarüber.Noch im April und ganz im Zeichen dieser dramatischenEreignisse fand sich in Gümrü-Alexandropol (heuteLeninakan) die armenische Nationalversammlungzusammen und lehnte die Ergebnisse des Vertrages vonBrest-Litowsk ab. Gleichzeitig beschloß sie, auf eigeneFaust „den Krieg fortzusetzen”.Erst als ihre militärische Lage unhaltbar geworden war,beugten sie sich den Notwendigkeiten der Stunde und derSeim der Transkaukasischen Republik beschloß, inTrapezunt mit den Osmanen Verhandlungen aufzuneh-men und die Beschlüsse von Brest-Litowsk anzuerken-nen, was nun ihrerseits den Osmanen nicht mehr genügte.Schließlich traf man sich am 11. Mai 1918 zur Konferenzvon Batum, bei der Halil Pascha auf der Abtretung vonAchaltsik, Akhalkalak und Gümrü bestand. Neuerlichdrohten die Feindseligkeiten auszuufern, als armenischeEinheiten in der Umgebung von Karaklis moslemischeDörfer brandschatzten.Inmitten der allgemeinen Wirren und gegenseitigenUnzufriedenheit löste sich die Vereinigte Transkaukasi-sche Republik am 26. Mai auf. Noch am gleichen Tagerklärte Georgien seine volle Unabhängigkeit, unmittel-bar darauf Aserbaidschan.Spät in der Nacht vom 28. zum 29. Mai 1918 erklärte dasarmenische nationale Zentralkomitee Armenien zur unab-hängigen Republik.Am 4. Juni 1918 schien der Friede in die leidgeprüfteRegion einzukehren: die Osmanen unterzeichneten inBaku eine Übereinkunft mit Armenien, Georgien undAserbaidschan, und vier Tage darauf auch mit Daghe-stan. Nakitschewan blieb osmanisch. Es schien, als solle

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nach der ganzen Unruhe und all dem Unfrieden, der seitdem Vorstoß des zaristischen Rußland in die kaukasischeund ostanatolische Region dort herrschte, daß nach allden Kriegen der Kleinen untereinander, die nur den Gro-ßen nützten, endlich Friede und Verständigung herauf-dämmern mochte.Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Lage imKaukasus und Ostanatolien sollte eine bezeichnendeEpisode nicht übersehen werden, die sich in der Folgeder Konferenz von Batum (11. Mai 1918) und der durchsie ermöglichten Gründung der Republik Armenienergab: In Batum hatte die osmanische Delegation ver-sprochen, sich für einen Friedensschluß zwischen denMittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn,Bulgarien) und den neuen Ländern der Kaukasusregioneinzusetzen, also auch Armenien Anerkennung zu ver-schaffen. Im Zuge der Vorbereitungen eines solchenFriedens kam eine Delegation von Vertretern dieserLänder nach Istanbul; Sprecher der Armenier waren dieHerren Aharonian und Hadissian. Am 6. Dezember 1918wurden die Armenier von Sultan Mehmed IV. Vahdeddinnach dem Freitagsgebet (dem „Selamlik”) empfangen.Am 9. September sandte Herr Aharonian ein Telegrammfolgenden Inhalts an seinen Premierminister Katschas-nuni nach Armenien:

„Arn 6. September wurden wir nach dem Selamlik vomSultan in Audienz empfangen. Wir sprachen unsere Glück-wünsche anläßlich seiner Thronbesteigung aus und über-brachten unsere Wünsche für das Wohlergehen desKaiserreiches und seinen Fortschritt. Wir erinnertendaran, daß es die osmanische Regierung gewesen ist, diezum ersten Mal an die Gründung eines unabhängigenArmenien dachte und daß die armenische Nation dasniemals vergessen werde, und daß die armenischeRegierung alles Mögliche tun werde, um die bestehendenfreundschaftlichen Beziehungen zwischen den beidenLändern zu erhalten und zu stärken.Seine Majestät hat uns gedankt und gleichzeitig seinerFreude darüber Ausdruck gegeben, Vertreter eines freienund unabhängigen Armeniens begrüßen zu können. Erwünschte auch, daß Armenien stark sein möge, um seineUnabhängigkeit verteidigen zu können, und auf dem Wegedes Fortschrittes voranzukommen. Seine Majestät ver-sicherte, daß er an gute Beziehungen und freundschaftlicheBande zwischen der Türkei und Armenien glaube. SeineMajestät schloß die Unterredung indem er sagte, er freuesich ganz besonders darüber, daß Armenien aus sich selb-st die Kraft geschöpft habe, einen unabhängigen Staat zuerrichten, fähig, Delegierte nach Istanbul zu schicken, under erneuerte abermals seine Wünsche für unser Land.”

Aharonian setzt seinen Bericht fort indem er schreibt:„Talaat Pascha ist nach Berlin gereist, um die Problemezu besprechen, die sich aus der Lage im Kaukasus erge-ben . . .” die verwirrend genug war, weil sich Deutschlandgleichfalls in jener neuralgischen Zone der Weltpolitikfestsetzen wollte und mit den Osmanen erbittert umEinfluß rang.

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Sultan und Kalif Mechmed VI. Vaheddin (1918-1923).

Doch inzwischen nahm der Erste Weltkrieg eine dramati-sche Wendung.Die weit überforderten Kräfte der Mittelmächte erlahm-ten.Am 8. Oktober 1918 trat das Kabinett Talaat Paschazurück, damit das Osmanenreich die Rahmenbedingun-gen Wilsons für einen Frieden (Konstantinopel befandsich allerdings mit den USA nicht in Kriegszustand)besser erfüllen könne. Am 30. Oktober 1918 unterzeich-neten Osmanen und die Vertreter der Ententemächte anBord von H. M. S. AGAMEMNON im Hafen vonMudros (Insel Lemnos), fast in Sichtweite derDardanellen, ein Waffenstillstandsabkommen.

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Am 11. November unterzeichneten die Vertreter Deutsch-lands die Kapitulation zu Compiegne. Verhältnismäßig kurze Zeit darauf erfolgte bereits dieUnterzeichnung der Friedensdiktate von Versailles undSt. Germain: am 28. Juni nahm das geschlagene Deutsch-land den Gewaltfrieden an, der schon 21 Jahre später inden Zweiten Weltkrieg führte, und Österreichs Vertreterunterzeichneten am 10. September 1919.Am 27. November 1919 unterzeichnete Bulgarien inNeully (es verlor durch diesen Friedensschluß denZugang zur Ägäis, also jene Gebiete, die es im Balkan-krieg den Osmanen abgenommen hatte) und am 4. Juni1920 mußte das Königreich Ungarn - oder das, was vonihm noch geblieben war - zu Trianon beigeben. Der Höhepunkt der „Triumphe” der Siegermächte schienin Sevres erreicht zu werden: nachdem sich die neuenMachthaber Deutschlands, Österreichs, Bulgariens undUngarns hilf- und widerstandslos in die Bedingungenihrer Diktatfrieden gefügt hatten, erwartete man selbst-verständlich die gleiche „Haltung” auch von den Vertre-tern des Osmanenreiches - und sie wurden nicht ent-täuscht.Das Diktat von Sevres konnte sich sehen lassen . . . eskonnte schlimmstenfalls noch mit jenem verglichen wer-den, das Österreich in St. Germain hinnehmen mußte.Das osmanische Reichsgebiet schrumpfte nach diesem

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Der Zusammenbruch der Mittelmächteund der fortdauernde Widerstand des

Osmanenreiches

Der Reigen der Waffenstillstandsabkommen war amBalkan eröffnet worden.Am 2. Oktober 1918 brach die bulgarische Westfrontunter dem Druck der vielfach überlegenen Ententekräftezusammen und Sofia mußte in Thessaloniki kapitulieren.Fast gleichzeitig drückten die Briten und Franzosen,unter starker Beteiligung armenischer Einsatztruppen, dieosmanische Palästinafront ein.Am 30. Oktober wurde zwischen Osmanen und Alliiertender Waffenstillstand in Mudros geschlossen. Unmittelbardarauf durchfuhren die Schiffe der Briten und Franzosen,die sich dort im Jahre 1915 noch eine schmählicheNiederlage geholt hatten, die Dardanellen. Eine mächtigeFlotte von 55 Kriegsschiffen ging nun unter den Mauernder Kalifenstadt vor Anker. Admiral Calthorpe, der fürdie Briten den Waffenstillstand von Mudros unterzeichnethatte, wurde britischer Hochkommissar in Istanbul unddamit mächtigster Mann des Osmanenreiches.Österreich-Ungarn streckte am 3. November in Padua dieWaffen.

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Gewaltfrieden auf etwa ein Zehntel seiner Fläche zusam-men, die es noch 1912 gehabt hatte.„Armenien” - erst nach dem Zusammenbruch des Zaren-reiches von den Westmächten „entdeckt” - sollte ungefährdie Fläche einnehmen, die nach den Geheimverträgenunter den Ententemächten ursprünglich Rußlandzugedacht waren.Es ist wohl merkwürdig und gewiß auch schmerzlich, daßdie osmanische Vertretung dieses wahnwitzige Diktatunterschrieb.Es gibt wohl eine Entschuldigung: die Hauptstadt desOsmanenreiches war von den Alliierten besetzt, derSultan völlig in den Händen der Sieger; außerdem hatte erseinen fähigsten Truppenführer, Mustafa Kemal, mitGeld versorgt und nach Anatolien geschickt, damit er dortWiderstand organisieren könne; nichtsdestoweniger hättedie osmanische Vertretung unter dieses Diktat keineUnterschrift setzen dürfen, und eine Verweigerung hättedie prekäre Lage des Sultans bestimmt nicht verschlim-mern, in den Augen des Reichsvolkes - der Türken - undder Gläubigen (also aller Moslems auf Erden, der Sultanwar ja noch immer Kalif!) nur verbessern können, zuverlieren war ja nichts mehr.Das Diktat von Sevres wurde allerdings - so wie vorherjenes von Brest-Litowsk - nie wirksam. Denn unabhängigvon der de facto-Gefangenschaft der osmanischen Regie-rung in Istanbul, die ja nicht mehr für die Bevölkerungfrei sprechen konnte, hatte sich in Zentralanatolien eineneue türkische Führung herausgebildet, unter der Füh-rung Mustafa Kemals, der später den Ehrentitel „Vaterder Türken” erhalten sollte: Atatürk.

Der Überlebenskampf der Türkeiund Armeniens:

beide Nationen retteten ihren Bestand; dieTürken in traditioneller Unabhängigkeit,

die Armenier in ebenso historisch gewachsener, beschränkter Souveränität

Während für die Staaten der geschlagenen Mittelmächtenach den Friedensdiktaten von Versailles, St. Germain,Neuilly und Trianon ein Überlebenskampf einer ausge-bluteten, verarmten Bevölkerung innerhalb neuer Gren-zen begann, die immerhin „sicher” waren, begann für dastürkische Volk ein Überlebenskampf nicht nur um diepersönliche nackte Existenz jedes einzelnen Türken, son-dern auch jene um ein Stück Boden zum Überleben über-haupt. Denn nach den Plänen der Entente blieb den Tür-ken wenig mehr als die Gegend um Ankara . . alles anderewurde zum Kolonial- oder Herrschaftsgebiet derEntentemächte degradiert.Alsbald bildeten sich auf dem Boden des altehrwürdigenkaiserlich-osmanischen Reichsgebildes zwei Machtzonenheraus:

Unter der Führung von Damad Ferid Pascha verläßt eine vomSultan bestellte osmanische Delegation an Bord des französi-schen Kriegsschiffes „Democratie” am 6. Juni 1920 Istanbul,um in Sevres am 10. August 1920 das „Friedens”diktat derEntente gehorsam anzunehmen, ähnlich wie es die Deutschenund Österreicher in Versailles und St. Germain getan hatten.Das Diktat wurde nie rechtskräftig, da die türkischeNationalversammlung dessen Annahme verweigerte.

Da war zunächst das von der Entente besetzte Istanbulmit dem von den Siegern zur Ohnmacht verurteiltenSultan und seiner Regierung.Da war aber noch das türkische Kernland, Anatolien. Undda formierte sich der Widerstand . . . nicht zuletzt „dank”der schamlosen Invasion griechischer Truppen, die dasgeschlagene Osmanenreich billig beerben wollten. Am15. Mai 1919, mehr als ein halbes Jahr nach dem Waf-fenstillstand von Mudros, landete ein gewaltiges griechi-sches Expeditionskorps - mit Einverständnis der Entente- in Izmir, um „endlich” die „megali idea”, die „GroßeIdee eines Großgriechischen Reiches” Wirklichkeit wer-den zu lassen. Wer sollte Anatolien gegen den neuen,unverhofften Feind, die Griechen, verteidigen? Am 19. Mai 1919 ging der vom Sultan nach Anatolien ent-

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sandte Mustafa Kemal Pascha in Samsun an Land. Ersollte den nationalen Widerstand der Türken organisierenund leiten. Am 11. September 1919 trat in Sivas ein Kon-greß zusammen, der es sich zum Ziele setzte „die Teiledes Osmanischen Kaiserreiches wie sie innerhalb derGrenzen, wie sie am 30. Oktober 1918 beim Abschlußdes Waffenstillstandes von Mudros bestanden hatten”,unversehrt zu erhalten:„1. Die Teile des Osmanischen Kaiserreiches umfassenalles, was sich am Tage des Waffenstillstandes vonMudros (30. Oktober 1918) der zwischen der HohenPforte und der Entente abgeschlossen worden war, inner-halb unserer Grenzen befand. Diese Gebiete sind überallvon einer überwältigenden Mehrheit einer islamischenBevölkerung bewohnt, die unteilbar und untrennbar mit-einander verbunden ist.”Die ganze Kraft und geschichtliche Wirksamkeit diesesersten und wichtigsten Satzes der Erklärung von Samsunsind vielfach bis heute nicht voll erkannt worden. Die Grundsätze, wie sie vom freien Kongreß in Sivasgefaßt worden waren, fanden die volle und ungeteilteZustimmung des letzten osmanischen Parlaments, das dieProklamation von Sivas am 20. Jänner 1920 vollinhalt-

Unter der Führung Mustafa Kemals wurde Ankara zum Zentrumdes nationalen Überlebenskampfes der Türken. Blick von der Zitadelle auf die Altstadt von Ankara.

lieh bestätigte. Diese Entschließung ist in der Türkeiheute als der „Nationalvertrag” bekannt.Da sich allenthalben der Geist des Widerstandes regte,wurde Istanbul, immer noch die Hauptstadt des Osmani-schen Reiches, am 16. März 1920 von den Briten besetzt.Das osmanische Parlament wurde gewaltsam aufgelöstund die - im Auftrag der Briten und nach Nominierungdurch osmanisch-armenische Denunzianten festgenom-menen Würdenträger, die im Verdachte standen, sichgegen die Armenier während des Krieges unkorrektbenommen zu haben -, nach Malta verschickt. Zur Antwort wählte die inzwischen nach Zentralanato-lien, nach Ankara übersiedelte osmanische Nationalver-sammlung Mustafa Kamal zu ihrem Präsidenten, das waram 23. April 1920.Von diesem Tage an wurde Ankara zur Nervenzentrale deserst jetzt in Schwung kommenden türkisch-nationalenWiderstandes; denn bis zu diesem Tag hatten die Türken

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immer noch übernational gedacht und gehandelt, alsReichsvolk und nicht als Volk eines türkischen National-staates. Doch die Umstände zwangen die Türken dazu,endlich - als letzte der nationalen Einheiten ihres Vielvöl-kerstaates, zum Zwecke des Überlebens in einer durchund durch nationalistisch gesinnten Umwelt gleichfallsnational zu denken.Zum Zwecke der Verteidigung Anatoliens, das in weitenTeilen bereits von fremden Okkupanten besetzt war,wurde rasch die Armee reorganisiert und der von denOkkupanten aufgezwungene Dreifrontenkrieg aufge-nommen: im Westen waren die Griechen eingedrungen,die sich bereits den Toren von Ankara näherten, im Südenmarschierten die mit den Franzosen verbündetenArmenier vor und hatten schon weite Teile Kilikiens unterihre Kontrolle gebracht, und im Osten hatten die Armenierbegonnen, ihren großarmenischen Traum angesichts derNiederlage des Osmanenreiches und seines vermeint-lichen Zusammenbruchs zu verwirklichen.

Die Wirren einer verlängerten KriegszeitTürken und Armenier zwischen den Verträgen von Brest-Litowsk (Dezember 1918) sowie Gümrü, Moskau und

Kars (Oktober 1921)

Zwischen 1917 und 1918, also nach dem Zusammenbruchdes russischen Zarenreiches, der ja die Westmächte ihresgroßen Verbündeten im Osten beraubte und den Mittel-mächten eine Atempause gewährte, wurden die armeni-schen Freischärler, ob sie nun an der ostanatolischen oderägyptisch-arabischen Front kämpften oder bloßrhetorisch gegen die Türken, Österreicher und Deutschenhetzten, zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor imKampfe gegen das zäh sich verteidigende OsmanischeReich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Deutschland. Nun wurden endlich Versprechungen gemacht, die einegewisse reale Grundlage hatten; die Zugeständnisse, dieim Sykes-Picot-Abkommen an das zaristische Rußlandgemacht worden waren, hatten ja dem Zaren genützt, undkeineswegs den so hoffnungsfrohen armenischen Extre-misten (extremistisch sowohl in ihren politischen Metho-den wie auch ihren übersteigerten Hoffnungen). Nun, nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches unddem Heraufdämmern eines neuen, bislang unbekanntenWesens, des kommunistisch-bolschewistischen Rußland(niemand konnte ahnen, daß es sich in seiner Politik innichts, aber auch schon gar nichts von der der Zarenunterscheiden würde; am allerwenigsten vermuteten dasdie Armenier!) versprach „man” alles das, was im Sykes-Picot-Abkommen dem Zaren versprochen worden war,den armen Armeniern; mochten sie sich im Kampfegegen das Osmanenreich doch ruhig noch ein bisserlmehr hervortun!Llyod George, der in seiner bekannt blumenreichen Spra-che Armenien (allerdings nicht ahnend, daß er dabei die

Wahrheit sagte) als ein „Land, vollgesogen von Blut”beschrieb und dabei unfreiwillig das Blut der Moslemsmeinte, die ein Vielfaches an Toten zu beklagen hattenwie die „christlichen” Armenier, heuchelte genau so wieWilson oder Clemenceau: sie alle hatten ein „romanti-sches” Opfer erkoren, und ließen es fallen, als es nichtsmehr nützte.Als die „Friedenskonferenz” - in Wahrheit war es eineunselige Diktats-Vorbereitungskonferenz - im Jänner1919 in Paris zu tagen begann, schien die Stunde derarmenischen Extremisten heraufgezogen zu sein. Die Armenier entsandten gleich zwei Delegationen zu der„Friedenskonferenz”. Eine stand unter der Führung derBerufs-Emigranten Bogosch Nubar, der (ähnlich wieMasaryk im Falle Österreich-Ungarn) die Demontierungdes Osmanenreiches seit vielen Jahren betrieb, und einekam aus der (nur von den Türken überhaupt ermöglich-ten, nach dem Vertrag von Baku am 28. Mai 1918 gegrün-deten) Republik Armenien.Wie bei den Armeniern üblich, begannen die beidenDelegationen sofort zu lizitieren und einander inGebietsforderungen zu überbieten und Vernunftgründenzu unterbieten: sie verwechselten offensichtlich einenTeppichbasar, bei dem es um Webmuster und Quadrat-meter sowie Alter des begehrten Stückes gehen mag mitPolitik: ihre Forderungen wurden so maßlos, daß selbstso eingefleischte Teppichliebhaber wie die führendenEntentemachthaber

Ü berreste einer armenischen Dorfkirche oberhalb des Vansees, inBakracli Köyi, auf dem Wege nach Yedikilisse-Warakwank, vondem nur mehr die Grundmauern erhalten sind. Der beklagenswerte Zustand vieler armenischer Baudenkmäler istden Behörden wohl bewußt, doch gibt es eine weit weit größereAnzahl von seldschukischen oder osmanischen Bauten, derenZustand - oft dank der Einwirkungen des Bürgerkrieges von 1915 -noch viel schlimmer ist und die naturgemäß Priorität bei allfälligenErhaltungs- oder Wiederherstellungsvorhaben genießen.

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jener Zeit die Lust zu einem reellen Angebot verloren: esmußte ja nicht ausgerechnet ein armenischer Teppichsein; schließlich waren jene der Türken noch viel älter,kostbarer und reeller als die der notorischen Chauvini-sten.Hatte die armenische Delegation unter Bogosch Nubarzunächst noch ein Armenien in Ostanatolien verlangt,steigerte sich die gemeinsame Delegation (inzwischenwar unter Führung von Avetis Aharonian auch eineAbordnung aus der von den Türken ermöglichten Repu-blik Armenien eingetroffen) in Gebietsansprüche hinein,die vom Schwarzen Meer, mit Trapezunt als Hafen, bisnach Kilikien reichten.Der armenische Bevölkerungsanteil in diesem „Großar-menien” hätte - auf der Basis des Jahres 1914! - nicht ein-mal ein Fünftel der Bewohner jener Region ausgemacht;und selbst wenn man damals, 1914, die gesamte armenis-che Bevölkerung der Erde allein in Ostanatolien versammelthätte, wäre noch immer keine armenische Mehrheit erreichtworden. Doch was sollte es: so wie sich im 19.Jahrhundert die diversen armenischen Kirchen darumgerauft hatten, welche die „armenischste” sei und späterdie Daschnaks und Hintschaks um die Palme im Kampfe,wer der bessere Terrorist sei, obsiegen wollten, überboteneinander nun die Delegationen aus der RepublikArmenien und jene der armenischen Diaspora. Wiegesagt: ihr „gemeinsames Memorandum” verlangte nichtnur die „sechs Wilajets” Van, Bitlis, Diyarbekir, Karput,Sivas und Erzurum (in denen die Armenier niemals in derGeschichte eine Mehrheit gehabt hatten) sondern darüberhinaus Trapezunt, Karabagh (wo so gut wie keineArmenier jemals gelebt hatten) Sansegur und weite TeileGeorgiens, und dazu Kilikien.Dabei war der Ruf der Armenier als eine Nation der Fried-liebenden, der Schlachtopfer, die wehr- und hilflos vonden blutrünstigen Osmanen hingemordet, ja ausgerottetworden waren (man staunte insgeheim, wie die Armeniertrotzdem in Syrien, im Kaukasus, im Iran ja selbst inFrankreich überall präsent waren!) doch sehr erschüttertworden. Die Ursache: die junge, selbständige RepublikArmenien hatte nichts Besseres zu tun gewußt, als gleicheine ganze Kette von Eroberungskriegen zu beginnen.

Der Präsident der „Delegation Nationale Armenienne”persönlich faßt in einem Brief an den AußenministerFrankreichs, Stephen Pichon, zusammen, warum sich dieOsmanen, die im Ersten Weltkrieg an fünf Frontengleichzeitig kämpften und sich dabei im Innerenbürgerkriegsähnlichen Armenieraufständen konfrontiertsahen, wehren und die armenische Bevölkerung aus dengefährdeten Gebieten umsiedeln mußten:

„Monsieur le Ministre,ich beehre mich, namens der Armenischen NationalenDelegation Eurer Exzellenz untenstehende Erklärungzu übermitteln und daran zu erinnern:Daß die Armenier, von Beginn des Krieges an, de factoeine kriegsführende Macht waren, wie Sie es auch selb-st anerkannten, und zwar bis zum Preise der schwerstenOpfer und der Leiden, die sie unerschütterlich für dieSache der Entente ertrugen. Sie haben sich an allenFronten auf Seiten der Alliierten geschlagen: In Frankreich durch ihre Freiwilligen, die sich schon inden ersten Tagen bei der Fremdenlegion meldeten, wosie sich unter den Fahnen Frankreichs mit Ruhmbedeckten; In Palästina und in Syrien, wo die armenis-chen Freiwilligen, rekrutiert von der DelegationNationale über Verlangen der Republik selbst, mehr alsdie Hälfte des französischen Kontingents gestellt habenund zum großen Teil den Sieg des Generals Allenbyermöglichten, wie er auch selbst und seine französis-chen Kommandeure offiziell erklärt haben;Im Kaukasus, wo, ohne von den 150.000 Armeniern zureden, die in der Kaiserlich-Russischen Armeekämpften, mehr als 40.000 Freiwillige an der Befreiungeines Teiles der armenischen Vilayets teilnahmen undwo, unter dem Kommando ihrer Befehlshaber Antranikund Nazarbe-koff, die Armenier die einzigen warenunter den Völkern des Kaukasus, die den türkischenArmeen Widerstand leisteten, und zwar von demBeginn des Rückzugs der Bolschewisten an bis zurUnterzeichnung eines Waffenstillstandes.”

(Der Brief trägt das Eingangsdatum des französischenAußenamtes vom 3. 12. 1918).Auf diese Weise erklärte Boghos Nubar, daß die Arme-nier, die vom 1. November 1914 an bis zur Unterzeich-nung des Waffenstillstandes von Mudros am 30. Oktober1918 gegen das Osmanische Reich ununterbrochen Krieggeführt hatten, in seinen Augen „de facto eine kriegfüh-rende Macht waren”.

Reproduktion des Briefes von Boghos Nubar an den französi-sehen Außenminister (1. Seite vollständig; von der SchlußseiteGrußformel und Unterschrift Boghos Nubars).

Ostanatolische Landschaft oberhalb des Vansees (Yedikilisse-Warakwank).

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Die Kriege der Republik ArmenienErstes Opfer der jungen armenischen Republik wurdendie Georgier.Die Ursprünge des Konflikts Georgier - Armenier reichenbis in den Beginn der armenischen Einwanderung im 6.bis 4. vorchristlichen Jahrhundert zurück; immer wiederfanden zwischen Georgiern und Armeniern Kriege undFehden statt.Im Jahre 1920 wurde ein vorläufiger Höhepunkt erreicht,als die Armenier über Alaverdi hinausstießen und bis anden nördlichen Iori vordrangen; aus reiner Eroberungs-sucht. Hätten die Georgier diesen Ansprüchen nachgege-ben, wäre das das Ende Georgiens gewesen . . . die geor-gische Hauptstadt hätte nur mehr „armenisches” Umlandgehabt. Der Anspruch auf die Iori-Zone war ähnlich maß-los wie jener auf Kars, Erzurum oder Adana . . . nur beun-ruhigender, weil er einen schwachen Nachbarn betraf, derselbst mit tausend Problemen seiner jungen Unabhängig-keit kämpfte.Für gewisse Zonen am Iori hatten die machthabendenDaschnaks wenigstens eine kleine Ausrede: gelegentlichgab es auch nördlich von Tiflis Armenier, die dort, wie

überall auf von Moslems einmal beherrschtem Gebiet,eine Minderheit inmitten von Mehrheiten bildeten, ohnedaß daraus Ansprüche erwachsen konnten. Die armenische Armee unter General Dor begnügte sichaber nicht mit der „Inkorporierung” armenischer Bauern-höfe oder Dörfer, sondern stieß gleich in Zonen vor, indenen es überhaupt keine Armenier mehr gab. Armeni-sche Einheiten drangen bis in die Bannmeile von Tiflisvor.Erst in diesem kritischen Kriegsabschnitt rafften sich dieGeorgier zu entschlossenem Widerstand gegen die Arme-nier auf und drängten die Invasoren zurück.Der armenische Vormarsch auf Tiflis öffnete allerdingsder staunenden Weltöffentlichkeit die Augen. Zum erstenMal erkannte man, daß es die Nachbarn der Armeniernicht mit einer „verfolgten, unschuldigen, unbewaffne-ten, pazifistischen, christlichen” Nation zu tun hatten,sondern mit einem bedauernswerten Volk, das sich inHänden einer Terrororganisation, der Daschnaksutiun,befand, die ruhe- und rastlos nach Macht und Landstrebte, so gut wie völlig unabhängig von tatsächlichenarmenischen Siedlungsräumen. Sicher war es auch dieseMaßlosigkeit, die alle großarmenischen Träume zunächst

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in Ost- dann in Südanatolien und schließlich im Kaukasuszerstieben ließ.Das nächste Aggressionsopfer der jungen RepublikArmeniern wurde deren östlicher Nachbar, Aserbaid-schan.Die Briten zogen ihre Truppen aus dem Kaukasusgebietim August des Jahres 1919 zurück, nicht ohne ihren arme-nischen Schützlingen große Mengen modernster Waffenzu hinterlassen. Der einzige Ort im Kaukasus, in dem sichnun noch alliierte Streitkräfte befanden, war Batum, vonwo aus die Briten allerdings noch kräftigst zugunstenArmeniens mitmischten.Der Rückzug der Alliierten aus dem Kaukasus führte au-genblicklich zu offenen Feindseligkeiten zwischen Ar-menien und Aserbaidschan. Die Armenier beanspruchtenja nicht nur türkisches Hoheitsgebiet und die Siedlungs-zonen der Moslems (Türken, Kurden, Tscherkes-sen . . .)sondern auch Teile aserbaidschanischen Landes, vorallem Wohn- und Weidezonen der Tataren. SowohlNachitschewan als auch die Berge und Täler von Kara-bagh standen alsbald im Zeichen entschlossenen Tatari-schen Widerstandes gegen die armenischen Okkupanten.Bald erfaßten die Aufstände der islamischen Bevölkerung- die ursprünglich selbstverständlich auch im Gebiet derspäteren „Republik Armenien” so gut wie überall in der

Die Offensive Armeniens gegen die unabhängige christlicheNachbarrepublik Georgien, die ähnlich expansionistische Zielehatte wie der Krieg der Armen;er gegen die aserbaidschanischenNachbarn, zerstörte nicht nur das Image der „friedliebendenMärtyrernation der Armenier”, sondern auch zahllose Kirchenund Klöster in dem umkämpften Gebiet.

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Mehrheit gewesen war - selbst den Bezirk Eriwan. Nora-schen wurde von den aufständischen Tataren erobert und- wie üblich in armenischer Diktion - „wurde dieBevölkerung der wehrlosen armenischen Dörfer von denTataren massakriert”. Vom Vorspiel wird dabei nichtgeredet: nämlich davon, daß Armenien zuerstKarabagh und Nachitschewan okkupiert hatte . . . Amschlimmsten wüteten die Armenier in Sansegur, wo sie 40(!) islami sche Dörfer dem Erdboden im Zuge einer„Strafexpedi tion” gleichmachten und deren Bevölkerungauslöschten. Die blutigen und grausamen Kämpfe hieltenbis zum Ende des Winters von 1920 an und schwächtensowohl Armenien als auch Aserbeidschan ganz entschei-dend in dem nun heraufziehenden Anbruch einesbolschewisti schen Zeitalters im Kaukasus, dessenLänder sich ihrer kurzen - von den Osmanen ermöglicht-en! - Selbständigkeit dank armenischer Großmannssuchtnur sehr bedingt erfreuen hatten können.Schon im April 1920 fiel das durch den Krieg mit Arme-nien geschwächte Aserbeidschan den Sowjets anheim,und mit deren Hilfe und Schiedsspruch wurden Sansegurund Karabagh aserbeidschanisch, was das Überleben derdortigen islamischen Bevölkerung gewährleistete. Dann folgte der Kriegszug der Armenier gegen die Tür-ken.Seit dem Waffenstillstand von Mudros am 30. Oktober1918 - kurz vorher war unter der Schirmherrschaft derOsmanen die Republik Armenien entstanden - drängtendie Armenier wieder nach Ostanatolien hinein. Das merkwürdige Interregnum, das sowohl zeitlich wieauch geographisch die Zeit- und Gebietszonen zwischenKaukasus und Ostanatolien umfing, schien den Armeni-ern alle Trümpfe in die Hand zu geben, weil die lokalen- in ihrer Ausrüstung wie in ihrer Finanzkraft äußerstbeschränkten - islamischen Einheiten, zum Teil untertatarischer Führung, den vereinigten Briten und Armeni-ern nicht widerstehen konnten.Im April 1919 rückten die Armenier - mit britischer Hilfe- bis Kars vor. Während Oltu und Ardahan wenigstensnach außen hin eine britische Verwaltung erhielten, überließen die neuen Kolonialherren Kars gleich zur Gänzeden Armeniern.Damals, im April 1919, glaubte sich die junge armenischeRepublik, die zur gleichen Stunde auch das islamischeNachitschewan okkupierte, auf dem vorläufigen Höhe-punkt ihrer Macht: endgültiges Ziel konnte ja nur sein,vom Brückenkopf Kars aus im Norden Trapezunt zubesetzen (als Zugang zum Schwarzen Meer) und dann die

Als das „christliche” Armenien gegen das - gleichfalls christliche!- Georgien im Jahre 1920 einen Offensiv-Krieg zur Vergrößerungseines Territoriums führte, war es, hoffentlich, das letzte Mal, daßeine Eroberungsarmee im Zeichen des Kreuzes auszog, um eingleichfalls christliches Nachbarland zu unterjochen.

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Nach dem christlichen Nachbarland Georgien fiel das islamis-che Aserbaidschan der Expansionslust der Republik Armenienzum Opfer, als die Armenier die ausschließlich islamischen,von Türken, Tataren und Aserbaidschanern bewohntenProvinzen Nach-itschewan und Karabah okkupieren wollten.

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Vereinigung mit den armenisch-französischen Invasions-truppen zu suchen, die von Adana nach Norden vorrück-ten, was ein „Großarmenien” vom Schwarzen Meer biszum Mittelmeer ergeben sollte (wie bei der Pariser Frie-denskonferenz 1919 lautstark verlangt). Daß die Armenier selbst zu ihren bevölkerungsstärkstenZeiten in jenem Gebiet nur ein Sechstel der Bevölkerungausgemacht hatte, daß sie selbst in ihrem stärksten Wila-jet, in Van, bloß ein Drittel der Bevölkerung ausgemachthatten . . . was sollte es?Kars war der Expansionspunkt nach Erzurum und Sivasim Westen, Trapezunt im Norden und Adana im Süden.Es waren die zurückhaltende Klugheit Mustafa Kemalsund das militärische Genie des Kazim Karabekir, diegemeinsam die Pläne der Armenier verhinderten.

Im Frühjahr des Jahres 1919 begannen die Armenier einenExpansionskrieg nach Anatolien hinein; ihr erster Angriffrichtete sich gegen Oltu.

Ein georgischer Adler: Die Georgier konnten den armenischenAngriffskrieg von 1920 nur dank internationaler Interventionüberstehen.

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Die Wiedereroberung von Kars und dasEnde der armenischen Expansion

In den letzten August- und ersten Septemberwochen desJahres 1920 trat über Einladung der Internationale inBaku ein „Kongreß der Völker des Ostens” zusammen,bei dem eine geschlossene, einheitliche Front allerKaukasusvölker und der im Kaukasus und dessenUmkreis lebenden Turkvölker zutage trat.Gemeinsames Motiv all der großen und kleinen Völkerund Stämme die da vertreten waren schien die Angst vorder Armenierherrschaft zu sein; bei den Sowjets gewißauch das Vorhaben, auch die Republik Armenien untersowjetrussische Kontrolle zu bringen, so wie vorher jaauch Russisch-Armenien völlig unter der Kontrolle derweißen Zaren gestanden hatte.Für die Armenier änderte sich ja, nicht zuletzt dank ihrerMaßlosigkeit, letztlich nichts, als daß sie nach ungeheu-rem Blutzoll der islamischen Völker und der eigenenLandsleute wieder dort landeten, wo sie in der Geschichtefast immer gewesen waren: in der Abhängigkeit; fortaneben unter der der Russischen Bolschewiken (anstatt, wievorher, unter der des Zaren).

Auf dem internationalen Parkett hatte die junge armeni-sche Republik inzwischen jedwede Glaubwürdigkeit,jeden Kredit verloren. Die ununterbrochenen Kriege mitden georgischen und aserbeidschanischen Nachbarn hat-ten den so kunstvoll aufgebauten Ruf vom „unbewaffne-ten, friedlichen Märtyrervolk” das so geschickt seinejahrzehntelange Terrortätigkeit hatte vergessen machenkönnen, zerstört; die machthabenden Daschnaks, dievorher Terroristengruppen geführt haben, dirigierten nuneben einen ganzen (wenn auch kleinen) Staatsapparat:vom Gruppen- zum Staatsterror war es nur ein Schritt. Am 27. Juni 1920 griffen die armenischen Truppen Tuzlaunweit von Oltu an. Als sie sich geschlagen zurückziehenmußten, beschossen sie am 30. Juni 1920 Oltu mit ihrerArtillerie.

Im April 1919 besetzten die Armenier mit britischer Hilfe Karsund bauten es zur Schlüsselstellung des Angriffs gegen Anato-lien aus. Ziel war, zwei Zugänge zum Meer zu erkämpfen - imNorden Trapezunt, im Süden Adana - und ein „Großarmera-sches Reich” vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer zuerrichten, obwohl die Armenier dort immer nur in einer kleinenMinderheit gelebt hatten.

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Am 8. Juli stießen sie nach Dügün Tepe vor, tags daraufnach Cambar. Unmittelbar danach nahmen sie die Grenz-gebiete von Nachitschewan und Kagizman aufs Korn unddrangen nach Kulp vor.Nach gründlicher und gewissenhafter Vorbereitung - dieTürken verfügten nur über sehr altmodische, verbrauchteAusrüstung und keinerlei Luftwaffe, wohingegen dieArmenier eine kleine Staffel besaßen, - ging Kazim Kara-bekir im September 1920 zum Gegenangriff über.Am 29. September eroberten die Türken Sarikamis,zurück, am 1. Oktober erreichten sie Kagizman, nur mehr80 Kilometer südöstlich der Schlüsselburg Kars. Am 27. Oktober begann der Angriff gegen Kars, und dreiTage später war die Festung mitsamt einer ungeheurenKriegsbeute in türkischer Hand.Unter den Gefangenen befanden sich ein Minister, dreiGeneräle, sechs Oberste und zwölf Provinzgouverneure . . .der festgenommene armenische Kriegsminister Aratowsah nun wohl endlich ein, daß der Vorstoß zumSchwarzen Meer und zum Mittelmeer nur mehr einTraum war . . . zum Glück allerdings unblutiger Natur.Wenige Tage darauf erreichten die Türken Gümrü-Alex-andropol, und am 6. November erbaten die Armeniereinen Waffenstillstand.Leider flackerten die Kämpfe kurz darauf wieder auf,doch in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember 1920 wardann endlich Frieden: das Abkommen von Gümrü wurdeunterzeichnet.Drei Monate später wurde das Abkommen von Gümrü(Alexandropol; heute „Leninakan”) in Moskau noch ein-mal unterzeichnet; zu diesem Zeitpunkt hatten dieSowjetrussen bereits das vollkommene Sagen und die indem „Vertrag von Moskau” genannten Länder Armenienund Georgien waren von den Russen zur Vertragsunter-zeichnung weder geladen noch gar gefragt worden: siewaren wieder russische Untertanen wie vorher. Das Ab-kommen von Gümrü wurde übrigens nicht nur in Moskau(am 16. März 1921) sondern, nach Approbierung durchdie Große Nationalversammlung, am 22. September 1921auch noch in Kars unterzeichnet.Am 26. September 1921 begannen in der gleichen Stadtallgemeine Friedensgespräche der Kaukasusländer:neben der russischen Delegation kamen auch die Vertre-ter von Aserbaidschan, Georgien und von Armenien; dieTürkei wurde durch Kasim Karabekir repräsentiert. Die Verhandlungen liefen bis 13. Oktober; da wurde auchder Vertrag unterzeichnet. An jenem Tag zog endlich inder leidgeprüften Region Ostanatolien-Kaukasus einFriede ein - der abgesehen von kleineren armenischenTerroranschlägen - über alle kommenden Wechselfälleder Geschichte, auch über die gefährliche Lage währenddes Zweiten Weltkrieges hinweg, hielt. Damals hattensich ja unter der Führung der Deutschen Wehrmachtunter der Hakenkreuzflagge auch armenische Truppen-verbände gebildet; nach dem Zweiten Weltkrieg schienes, als wolle die Sowjetunion - so wie vorher das Zaren-reich - abermals nach Kars und Ostanatolien greifen,

Kasim Karabekir Pascha.

doch blieb den Menschen jener Gebiete, die sich noch sostark an die tragischen Ereignisse von 1915 und aller Fol-gen erinnerten, zum Glück ein neuer Krieg erspart. Das Vertragswerk von Kars, datiert mit dem „13. Oktober1921, 13-14 h” - enthält neben den präzisen Angabenüber die Gültigkeiten der Grenzverläufe (an denen sichnichts mehr geändert hat) und die Nichtigkeitserklärungaller allfälligen sonstigen Abmachungen bezüglich diesesVertrages (auch das Diktat von Sevres änderte nichts amVertrag von Kars, auch nicht der Friedensvertrag vonLausanne) auch eine rechtsgültig - auch von Armenien -unterzeichnete Vertragsformel, in der es wörtlich heißt:

„15 - Jede Regierung dieser Signatarmächte(Russische S.S.R., Armenische S.S.R., S.S.R.Aserbeidschan und S.S.R. Georgien, sowie dieTürkei) wird eine allgemeine Amnestie nach derVertragsunterzeichnung verkünden, ,pour tous lesmeurtres et delits commis en temps de guerre . . .’”und die Armenier waren wohl, das steht nach ihreneigenen Angaben außer Zweifel, eine de factokriegführende Nation, vom August 1914 an;eigentlich schon seit dem Jahre 1878, als diearmenischen „Volksführer” meinten, mit Hilfe derRussen das Osmanische Reich und die Türken ent-machten zu können.

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Ein genauso tragisches Nachspiel an derSüdfront

Im Jahre 1915, als sich die osmanische Regierung nachden mörderischen Armenieraufständen von Musch undVan genötigt sah, das gefährdete Anatolien - die Armenierhatten ja innerhalb der Reichsgrenzen eine zweite Fronteröffnet - durch eine Umsiedlung der Armenier zuschützen, gelangten mehrere hunderttausend Armeniernach Syrien.Kaum war der Waffenstillstand von Mudros geschlossen,fluteten die Umsiedler wieder in ihre Wohnorte zurück,freilich nun in der Meinung, einen neuen kilikisch-arme-nischen Staat dort gründen zu können, wo sie nach demKrieg genau so eine Minderheit waren wie schon vor demWeltkrieg.Ohne auf die Ereignisse auf diesem Nebenkriegsschau-platz näher eingehen zu können, sei stellvertretend eineEpisode berichtet, die das ganze Ausmaß dieses Unter-nehmens das an die „Tradition der Kreuzzüge erinnern”sollte (und es leider auch tat) verstehen macht: Nachdem die Türken die französisch-armenischen Inva-soren schon längst wieder zurückgeworfen und Marsinund Tarus wieder fest in der Hand ihrer Bewohner waren,die sich eine armenisch-französische Herrschaft nichtaufzwingen ließen, erklärte ein Haufen armenischerFanatiker die Region zwischen den Flüssen Sehun undJehun für „sich selbst regierend”.Rädelsführer dieser absurden Aktion war Mihran Dama-dian, in Unehren ergrauter Terrorist, der sich seine erstenblutigen Lorbeeren beim Anzetteln von Aufständen inSassun geholt hatte.Als die Franzosen ihn in die Schranken weisen wollten,erklärte er am 5. August 1920 einen „unabhängigen arme-nischen Staat Kilikien” unter französischem Mandat, undbesetzte nach Terroristenmanier mit einer Handvollbedingungslos ergebener Partisanen das Palais des Gou-verneurs von Adana.Er - als Repräsentant der Armenischen Nationalen Dele-gation (was immer das in Kilikien sein mochte) - erklärtesich dort zum „armenischen Gouverneur unter französi-schem Schutz”. Das unglückliche Theaterstück endetebereits eine Stunde später, als der französische Komman-dant den Mihran Damadian mitsamt seiner „Regierung”unmißverständlich aufgefordert hatte, „cette comedieridicule” raschest zu beenden.Die Franzosen beendeten ihre kilikisches Abenteuer balddarauf.Am 11. Dezember 1918 hatte ein französisches Bataillon,bestehend aus 400 fanatisierten Armeniern, Dörtyol - alsodie notorische armenische Aufstandsgegend im Bannedes Musa Dagh und Zeituns - besetzt. Am 20. Jänner 1920 begannen die Franzosen mit der Eva-kuierung von Marasch. (Am 6. Februar telegrafierte derPatriarch von Istanbul nach Paris, 2000 Armenier seienvon den Türken „massakriert” worden; am 25. Februarkabelte Reuter in alle Welt, die Türken hätten 70000 [sieb-

zigtausend] Armenier in Marasch hingeschlachtet . . .)Der Kampf an der Südflanke der Türkei nahm jedenfallsechten Kriegscharakter an, wenn auch keineswegs imSinne dessen, was Reuter in üblicher Manier, offenbarnoch in der Tradition der Kriegshetze, kolportierte.Der Kampf spielte sich vielmehr zwischen den bestausge-rüsteten armenischen Einheiten und ihren nunmehr wie-der voll kampffähigen, von einer effizienten Regierung inAnkara geführten türkischen Truppen ab, die mangelndeAusrüstung und Transportmittel durch Vaterlandsliebeersetzten.Am 20. Oktober 1921 wurde zwischen M. FranklinBouillon als Vertreter Frankreichs und der türkischenRegierung ein Abkommen über den bedingungslosenAbzug der Franzosen unterzeichnet.Dank einer unerhörten Panikmache schloß sich die über-wiegende Mehrheit der erst 1918 wieder nach Kilikienzurückgekehrten armenischen Bevölkerung - die imSüden der Türkei als wertvolles Mitglied der türkischenGemeinschaft genau so wertvoll und willkommen gewe-sen wäre wie im übrigen Anatolien - der französischenRückzugsbewegung an.Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die geschlosseneAbwanderung der Armenier aus Kilikien geplant und aufein Ziel hin programmiert war: man wollte den „dümmli-chen, unfähigen Türken” beweisen, daß es ohne dasarmenische Element „einfach nicht ginge”; Handel - vorallem internationaler Handel - und Gewerbe und Industrieendgültig zusammenbrechen müßten. Das Gegenteil tratein. Unter allen Nachfolgestaaten des Osmanenrei-ches, indenen sich die enorm tüchtigen Armenier zuHunderttausenden niederließen (sie waren ja 1915 keines-wegs ausgesiedelt sondern umgesiedelt worden!) hat sichkeiner auch nur im entferntesten mit der Entwicklung inder Türkei messen können. Einzig die Türkei schaffte bis-lang den Weg in eine sichere, friedliche Gegenwart miteiner an die Grenzen der Gewißheit gehenden Option füreine noch bessere, friedliche Zukunft, während dieunglücklichen Nachfolgestaaten, Syrien und der Libanonvor allem, in einem Meer von Blut und Terror - nichtzuletzt von Armeniern getragenem Terror - versinken. Àpropos „Libanon”:Der französische Oberkommandierende in Kilikien,General Dufieux, ein notorischer Türkenhasser, der es biszum letzten Augenblick vermied, auch nur mit einemTürken Kontakt aufzunehmen, verließ Adana am 24.November 1921.Unmittelbar vorher besuchte er noch den französischenSoldatenfriedhof alldort, und als er den obligatorischenKranz niederlegte sagte er traurig: „Den französischenSoldaten, die vergeblich ihr Blut hingegeben haben.”Es war, als wollte er dieses Wort stellvertretend für alleFranzosen sagen, die der Terroropfer im Libanon undTerroropfer des libanesischen Desasters gedenken wol-len; die geradezu unfaßbaren Terrorwellen, die Paris undFrankreich aus dem Libaron in der Zwischenheit erreich-ten und unzählige unschuldige Opfer forderten sind alle

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und ausschließlich Opfer einer französischen Politik, diemeinte, sie könnte Macht und Einfluß im Osmanenreich(also auch in Syrien und im Libanon) gewinnen, wenn siearmenischen Terror gewähren lasse, ja unterstütze.Inzwischen sind in Paris zahllose, von Armeniern gelegteBomben hochgegangen und haben viele, viele unschul-dige französische Bürger getötet; Bomben, die vor allemaus dem einst von Frankreich zum Zwecke größeren Ein-flusses im Osmanischen Reich künstlich hochgepäppel-ten Libanon kamen.Ein Herzstück anatolisch-orientalischer Zivilisation: die Wasser,die vom Keban-Damm bei Elazig aufgestaut werden, kommen ausden Quellgebieten des Euphrat, während sich die Tigrisquellenunmittelbar am Südostrand des Kebean-Sees befinden. Hier wur-den die Zeugnisse der frühen neolithischen Kultur gefunden, dieeindeutig beweisen, daß die von asiatischen Einwanderern kom-mende Kultur der Hurriter - die urartäische Kultur ist ihr eng ver-wandt - auf anatolischem Boden entstand und von dort in denKaukasus und in den Iran ausstrahlte.

Die armenische Einwanderung nach Anatolien - zwischen dem 6.und 4. Jahrhundert vor Christus - bildete nur eine kleinere Episodein der überreichen Geschichte des Landes, in dem sich nach demZusammenbruch des osmanischen Vielvölkerstaates die türkischeRepublik aufbaute. Die türkische und prototürki-sche BesiedlungAnatoliens ist uralt - und noch immer bilden türkischeHalbnomaden einen wertvollen Bestandteil der Bevölkerung Ost-, Zentral- und Südanatoliens.

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Das Burgtor der Zitadelle von Van. Die Vertragswerke vonGümrü, Kars und Moskau (1920 und 1921) sichern dietürkische Souveränität über Ostanatolien.

Die armenischen Terroristen und ihre schiitischen Kom-plizen betrachten diese Hinschlachtung der an der Tragö-die des Libanon völlig unschuldigen Franzosen von heutegenauso als ihren „legitimen” Tribut zu einer spätenRache wie die noch viel unbeteiligteren Türken vonheute: denn die haben an der Unglücksserie der Armeniernoch viel weniger „Schuld” als die Franzosen an denheutigen Zuständen im Mittleren Osten; die haben jaeinst, gemeinsam mit Russen und Briten und amerikanis-chen Missionaren, die unglücklichen Armenier insInferno der Aufstände und des Bürgerkrieges gehetzt . . .Am Mittwoch, dem 1. Dezember 1921 rückten türkischeTruppen an die Küste vor und in Adana fand die feierli-che Übergabe der Verwaltung von den Franzosen an dieTürken statt. Damit war endlich auch der unseligeBürgerkrieg an der Südfront beendet, der dank derfranzösischen Intervention wieder so grausam aufge-flackert war. Blieb noch die türkische Westfront: dort hat-ten die griechischen Truppen seit dem Beginn ihrerInvasion am 15. Mai 1919 halb Westanatolien besetzt undbereiteten bereits die Eroberung von Ankara vor.

Der Friede von Gümrü (Alexandropol;heute Leninakan) vom 2. Dezember 1922

Die schweren, verlustreichen Kämpfe zwischen denTruppen Käsim Karabekirs und der Republik Armenienendeten zunächst mit dem Waffenstillstand vom 6.November, den die Armenier nach der Einnahme vonKars durch die Türken und deren Vorrücken nach Gümrüerbeten hatten.Nach schwierigen und zähen Vorverhandlungen underneuten armenischen Angriffen erbat die Republik nachder Niederlage ihrer modernst ausgerüsteten Armee beiSchahtachti am 15. November erneut um Waffenruhe.Zehn Tage darauf begannen die Friedensverhandlungenvon Gümrü, die am 2. Dezember 1922 zum Abschlußeines - bis heute gültigen und verbindlichen - Friedenszwischen der Türkei und der Republik Armenien führten.(Kurze Zeit darauf, am 16. März 1921, unterzeichnetendie Türken den „Vertrag von Moskau”, weil ja Armenien,so wie fast immer in seiner Geschichte, kein souveränerStaat war, sondern unter der Oberhoheit Moskaus stand.Armenien hatte bereits am 11. Oktober 1920 mit demsowjetrussischen Bevollmächtigten Legrand vereinbart,daß „Armenien die Vermittlung Rußlands bei der Lösungseiner Gebietsprobleme akzeptiert” - also seine außenpo-litische Souveränität an Moskau abtrat.) Der Vertrag von Alexandropol-Gümrü legt die Grenzenzwischen der Türkei und seinem armenischen Nachbarnvöllig eindeutig fest; so natürlich auch den Grenzverlaufnordöstlich des Berges Ararat - der Ararat ist der höchsteGipfel der Türkei. Nichtsdestoweniger führt die Sowjet-republik Armenien immer noch den Ararat in ihrem Wap-pen, was ähnlich absurd ist wie wenn die Briten in ihremWappen den Kilimandscharo führten, bloß weil sieirgendwann einmal in ihrer Geschichte dort Souveränitätausgeübt hatten . . .

Die türkische Ostgrenze ist eine der stabilsten der Welt. Nochunter Sultan Selim I. wurden gewaltige Festungswerke an derReichsgrenze gegen Persien errichtet und später verteidigtenStammesfürsten aus Ostanatolien das Osmanenreich (Bild:Güzelsu, südöstlich von Van).Kopie des Vertragswerke von Gümrü, das den Grenzverlaufzwischen der Sowjetunion und der Türkei festlegt.

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Das Ende der armenisch-griechischenInvasion und der

Friedensvertrag von Lausanne (1923)Als die osmanische Regierung im April 1915 nach denverheerenden Armenieraufständen in Ostanatolien, vorallem in Van, die Umsiedlung der anatolischen Armenierin die sicheren Südprovinzen anordnete, sparte sie diearmenische Bevölkerung Istanbuls und Izmirs ausdrück-lich aus, weil dort keine Gefahr im Verzug zu sein schien.Spätestens im Frühjahr 1919 sollte sich in Izmir zeigen,wie vorteilhaft für alle es gewesen wäre, auch die Arme-nier Izmirs rechtzeitig umzusiedeln, weil sie im Zuge dergriechischen Invasion alles taten, um ihre türkischenLandsleute zu schädigen. Armenier taten sich in denersten Tagen der Besetzung Izmirs durch die Griechenmit Gewalttaten gegen die Türken besonders hervor. Als sich die Griechen nach dem maßlosen Ausufern desTerrors in Izmir schließlich gezwungen sahen, gegen ihreeigenen Parteigänger vorzugehen, um dem Morden undPlündern Einhalt zu gebieten, befanden sich unter denzum Tode verurteilten auch zwei armenische Rädelsfüh-rer.Im Berichte der Bristol-Kommission (der sich in derKongreßbibliothek zu Washington befindet und dieLagebeurteilung durch einen Entente-Offizier enthält) istausdrücklich von armenischen Banden die Rede, die inder Gegend zwischen Izmir und Istanbul, vor allem umYalova und Gemlik, türkische Dörfer brandschatzten unddas Land, das künftighin nur mehr von Griechen undArmeniern beherrscht werden sollte, von Türken „säu-berten”.Während der späteren Friedenskonferenz von Lausannebrachte der türkische Delegationsleiter Ismet Inönü dieseVorkommnisse auch ausdrücklich zur Sprache - und nie-mand widersprach ihm.Die griechische Invasion Anatoliens endete für die Aggressorenmit einer Katastrophe: am 15. Mai 1919 waren sie bei Izmirgelandet, am 9. September 1922 eroberten die Türken ihrebedeutendste Hafenstadt zurück. Unmittelbar vor dem Einmarschder Türken brach im Armenierviertel ein Großbrand aus, der25000 Wohnhäuser vernichtete und den Türken eine zur Hälftevernichtete Stadt hinterließ.

Der griechische Überraschungscoup gegen die Türkenhatte am 15. Mai 1919 mit der groß angelegten InvasionWestanatoliens begonnen; endlich sollte - nach zweitau-send Jahren! - wieder „Groß-Griechenland” auf deminzwischen längst türkisch gewordenen Boden Anato-liens entstehen. Die Alliierten hatten das abenteuerlichegriechische Unternehmen zuvor „abgesegnet”, was nichthieß, daß sie bei dessen Scheitern den Opfern dieses Grö-ßenwahns beistehen würden, wie das Schicksal der grie-chischen und armenischen Flüchtlinge alsbald anschau-lich zeigte.Die mit modernsten Waffen und viel Kapitaleinsatzdurchgezogene griechische Aggression wurde für das tür-kische Anatolien existenzbedrohend, als die hellenischeExpeditionsarmee Haymana erreichte und damit dasWeichbild der neuen Hauptstadt Ankara. Dort war unun-terbrochen der Kanonenlärm vom Schlachtfeld her zuhören und die Regierung dachte zwar nicht ans Aufgeben,aber ans Übersiedeln - oder Fliehen - nach Sivas. Dochdie Griechen hatten ihre Expansionskraft überspannt.Allmählich gewannen die Türken, vor den TorenAnkaras, wieder an Boden und nach elftägiger Schlacht(vom 21. August bis 2. September 1921) brach diegriechische Angriffsspitze vor Ankara und die Verteidigerdrängten die Aggressoren rasch nach Westen ab, barfußzwar und elendiglich ausgerüstet und versorgt . . . abereben siegreich.Frankreich erkannte sehr rasch, daß sich das Blatt wen-dete und beeilte sich, gute Beziehungen zu Ankara herzu-stellen. Außenminister Henri Franklin-Bouillon eilte nachAnatolien und gab so zu erkennen, daß sein künftigerVerhandlungspartner in Ankara - und nicht in Istanbul -saß, wo ja noch immer eine machtlose osmanische Regie-rung Souveränität vortäuschte.Frankreich also akzeptierte den neuen türkischen „Natio-nalpakt” und gab gleichzeitig zu erkennen, daß es dasDiktat von Sevres als nichtig betrachte. So hat jeneNation, die in der Vergangenheit die Armenier amentschiedensten und unverfrorensten zu Krieg und Terroraufstachelte, als es darum ging, das Osmanenreich zuschwächen, reagiert, als es sich abzeichnete, daß denTürken damit nicht beizukommen war. Über Nacht gerietdie „Sache der Armenier” so in Vergessenheit, wie jene„Großgriechenlands”, das sich soeben durch Überspan-nen der Möglichkeiten selbst liquidierte. Im August 1922 begannen die Türken nach sorgfältigerVorbereitung ihren Angriff gegen die griechischen Inva-soren, die sich inzwischen in Westanatolien eingeigelthatten und alles auf die Karte „Sieg” setzten; am 13. Juni1921 begab sich sogar König Konstantin persönlich aufdas anatolische Schlachtfeld und setzte, bedeutungs-schwanger, seinen Fuß dort an Land, wo die unglückli-chen Kreuzfahrer Jahrhunderte vorher (gleichfallsvergeblich) an Land gegangen waren.Am 2. September 1922 befreiten die türkischen TruppenEski§ehir, eine Woche später Manisa, das die Griechenvor ihrem Abzug in Brand steckten, so wie kurz darauf

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Izmir. Den Türken sollte „verbrannte Erde” hinterlassenwerden.Als die Kemalisten endlich vor Izmir standen, brachunmittelbar vor dem Einmarsch der siegreichen Türkenim Armenierviertel der Hafenstadt ein verheerenderGroßbrand aus, der 25000 Häuser einäscherte, die Hälftedes Hausbestandes von Izmir. Löschmannschaften irrtenhilflos umher und suchten vergeblich nach Wasseran-schlüssen: die Zisternen waren leer, die Brandlöschgerätezerstört, die Wasseranschlüsse unterbrochen. Es dürfte sich bei dem Holokauston, diesem größtenBrandopfer, das innerhalb des Kraftfeldes der Antikejemals dargebracht worden ist, um den nach der Auslö-schung von Van (im Frühling 1915) entsetzlichstenTerrorakt der Daschnaks gehandelt haben, der je die Weltheimsuchte.

Schreckliches Ende des griechischen Angriffskrieges gegen dieTürken: Eine Flüchtlingswelle verläßt das brennende Izmir, in derFolge verlieren Millionen Menschen ihre angestammte Heimat, inGriechenland wie in Anatolien. Die Rechnung der griechischenAggressoren war ebensowenig aufgegangen wie jene der armenis-chen Terroristen.

Selbstverständlich verbreiteten die Brandstifter überall inder Welt das Gerücht, die Türken hätten - am Tage ihressiegreichen Einzuges in Izmir! - die nach Istanbul größte,reichste und schönste Stadt Anatoliens gebrandschatzt . .. und die Weltöffentlichkeit schluckte auch diesenUnsinn, so wie sie vorher die anderen Greuelberichtebefriedigt zur Kenntnis genommen hatte. Die Mär vom„häßlichen Türken” zog immer.Am 11. Oktober 1922 unterzeichneten die siegreichenTürken und unterlegenen Griechen den Waffenstillstandvon Mudanya, unweit von Yalova, wo die armenischenFreischärler während der griechischen Besatzungszeit soschamlos gewütet hatten.Dieser Waffenstillstand bedeutete das Ende, das siegrei-che Ende, des „Istiklal Harbi”, des türkischen Unabhän-gigkeitskrieges. Die Regierung Seiner Majestät des Sul-tans - immer noch Gefangener der Entente in Istanbul -,schickte Glückwünsche.

Istanbul, Topkapi-Serail, für Jahrhunderte Residenz derosmani-schen Sultane-Kalifen.

Die Friedensverhandlungen begannen in Lausanne, am22. November 1922.Ismet Pascha, der Sieger von Inönü, trat als Führer dertürkischen Delegation nach seinen Siegen auf denSchlachtfeldern Anatoliens auch als geschickterDiplomat hervor. Er schaffte es, die türkischenUnterhändler als gleichberechtigte Verhandlungspartnerzu präsentieren und keinesfalls als Diktatsempfänger, wiees noch in Sev-res geschehen war, auch wenn dieSiegermächte diese Tatsache kaum zu fassen schienen.Im Osten der Türkei gab es keinerlei Gebietsproblememehr. Die Verträge von Gümrü, Moskau und Kars regel-ten längst alle Gebietsfragen, die es zwischen der Sowjet-union (als neuem Herren der Armenier) und der Türkeigegeben haben mochte. Die Türken weigerten sich auch,in Lausanne über ihre Ostgrenze auch nur eine Silbe zuverlieren.Aus den Friedensverhandlungen von Lausanne ging dieTürkei als Sieger hervor, der seine - ihm auferzwungenen- nationalen Grenzen mit Geschick und Bestimmtheit zuverteidigen wußte. Der ganze Fragenkomplex „Nationali-tät” oder „Volkszugehörigkeit” war den Osmanen ja auf-erzwungen worden; die osmanische Dynastie kannte ja,wie alle gewachsenen Monarchien, die diskriminierendeEigenschaft einer „Nationalzugehörigkeit” nicht: bei einer

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Dynastie zählte ausschließlich die Loyalität innerhalbeines Reichsverbandes, und niemals eine Bluts- oderStammeszugehörigkeit. Obwohl die Türkei - gezwunge-nermaßen, und absolut nicht freiwillig! - nun auf demWege zu einem modernen „Nationalstaat” dahinschritt,weigerten sich die türkischen Vertreter in Lausanne, ihrenun gewonnene „nationale Integrität” durch zusätzlicheNationalismen gefährden zu lassen. Folgerichtig kommtdas Wort „Armenier” im Vertrag von Lausanne nicht ein-mal andeutungsweise vor.Als Lord Curzon, offensichtlich in der Meinung, einePflichtübung absolvieren zu müssen, auf die Armenier zusprechen kam, obwohl sie ihn nicht mehr interessierten(sie hatten ihre Schuldigkeit als nützliche Idioten der En-tente längst getan) fuhr ihm Ismet Inönü über den Mund:„Es ist jetzt an der Zeit, zu betonen, daß auf dem Bodendes Osmanischen Reiches, heute auf seine rein türkischenLandesteile zusammengeschmolzen, keinerlei Minderheitlebt, die einen eigenen Staat beanspruchen könnte.Obwohl der Grundsatz der Nationalität nicht überall glei-chermaßen angewendet werden kann, erscheint mir dieTatsache, daß mancher unserer Nationalitäten Unabhän-gigkeit anstrebten und den osmanischen Reichsverbandverlassen wollten, bis zu einem gewissen Maße gerecht-fertigt. Aber heute ist die Lage völlig anders. (Die Türkeiwar ja bereits auf den Rang eines reinen Nationalstaateszusammengestutzt worden!).So wie es völlig undenkbar wäre, daß die Griechen, diezum Beispiel in Marseille wohnen, dort einen unabhän-gigen Staat bilden könnten oder Marseille ihrem grie-chischen Mutterland einverleiben könnten, ist es auchausgeschlossen, daß Griechen oder Armenier der Türkeisolche Rechte beanspruchen!”Als der griechische Ministerpräsident Venizelos, derdurch die Invasion griechischer Truppen in Anatolien unddas nachfolgende Debakel dieses Angriffskrieges einegewaltige Blutschuld auf sich geladen hatte (er mußte jadas ganze Flüchtlingselend verantworten!) in seiner Redekurz auch die armenische Problematik streifen zu müssenglaubte, fiel ihm Ismet Inönü ins Wort: „Mir scheint, Herr Venizelos hat vergessen, darüber eineBemerkung zu machen, welch eine Quelle des Unglücksdie Besetzung Kleinasiens durch die griechische Inva-sionsarmee auch für die Armenier gewesen ist. Diesebedauernswerten Menschen waren gezwungen, in diegriechische Armee einzutreten (. . .) und wurden an dieFront geschickt, um auf die Türken zu schießen. Nach dergriechischen Niederlage gab es dann diese verheerendenBrände und Zerstörungen. Anderseits haben die Griechenversucht, die Untaten, die während jener griechischenBesatzungszeit geschahen, nachher den Armeniern in dieSchuhe zu schieben. Schließlich, als sich die Griechengeschlagen aus Kleinasien zurückziehen mußten, rissensie die Armenier mit sich. Die griechische Regierung istwohl die letzte, die sich für die Armenier verwenden darf,weil sie direkt in alles verwickelt ist, was den Armeniernan Schlimmem widerfuhr . . .”

Als Lord Curzon am 13. Dezember von „drei MillionenArmeniern” zu faseln begann, „die es einstmals in Klein-asien gegeben habe” antwortete ihm Inönü, daß es imgesamten Laufe der Weltgeschichte keinenBevölkerungsstand von drei Millionen Armeniern inAnatolien gehabt habe (tatsächlich lebten vor demAusbruch des Ersten Weltkrieges dort 1,5 MillionenArmenier). Bitter bemerkte Inönü, daß man die ArmenierKilikiens erst jüngst gezwungen habe - und zwar vonseifen ihrer eigenen Revolutionskomitees - ihre Heimatgemeinsam mit den abrückenden Franzosen in RichtungSyrien wieder zu verlassen. Der Hintergedanke beisolchen forcierten Abwanderungen war, daß die türkischeWirtschaft völlig zusammenbrechen würde, verfügte sichnicht über die armenische Infrastruktur und dieAußenhandelserfahrung der Armenier - ein Gedanke, dersehr bald durch die Tatsachen widerlegt wurde.Als am 6. Jänner 1924 noch einmal die Rede auf dieArmenier kam, erklärte Inönü: „Es sind ausschließlichdie Alliierten, die Schuld gegenüber den Armeniernhaben. Es sind die Alliierten, die die Armenier gegen dieTürken aufhetzten und sie als Werkzeug ihrer Politikmißbrauchten . . . es sind die Alliierten, die die Armenierdem Hunger, den Epidemien und schließlich dem Exodusüberantworteten. Uns trifft dafür keine Schuld, sondernausschließlich die Mächte der Entente. Wenn dieArmenier eine Kompensation für all das verdienen, wassie erlitten haben, dann gebt sie ihnen!”Nach diesem dramatischen Konferenztag kam die Proble-matik der bedauernswerten Armenier, die sich von denVersprechungen der Entente hatten hinreißen lassen,nicht mehr zur Sprache.Da das Wort „Armenien” oder „Armenier” im Vertrags-text von Lausanne nicht vorkommt, war auch endlich derdiabolische Vorwand, den die Russen durch Einfügungeiner armenischen Klausel in San Stefano und in Berlin(1878) geschaffen hatten, aus der Welt geschafft, zumNutzen jener Armenier, die in der Türkei verblieben unddort als Bürger wie jeder andere Mensch der türkischenGemeinschaft leben, unter den gleichen Gesetzen, mitgleichen Rechten und Pflichten wie alle. Am 24. Juli 1923 unterzeichneten die Mächte den Vertragvon Lausanne. Die armenische Delegation hatte schonam 2. Februar, als sie die Aussichtslosigkeit ihrerBemühungen und die Hilflosigkeit ihrer „Verbündeten”erkannte, Lausanne verlassen.Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Sowjet-russen, die Russisch-Armenien am 29. November 1920durch die Gründung der „Armenischen SozialistischenSowjetrepublik” wieder völlig in der Hand hatten, durchihren Außenminister Tschitscherin von einem neuen„nationalen Foyer für die Armenier” an der Wolga oder inSibirien redeten. In den dreißiger Jahren machte dannStalin diesen Zynismus zur schrecklichen Wirklichkeit,als er begann, die Armenier in großem Umfange aus-gerechnet in das Altai-Gebiet (die Urheimat der Türken)umzusiedeln.

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Nach der Beendigung der Friedenskonferenz von Lausanne ver-lassen die Delegierten der Entente und der Türkei am 24. Juli1923 den Schauplatz des Geschehens, bei dem sich Ismet Inönüals türkischer Delegationschef voll durchgesetzt hatte, das Kon-ferenzgebäude, die Universität von Lausanne.

Meist wird im Zusammenhang mit der Tragödie derArmenier übersehen, auf den Artikel 31 des Vertrages vonLausanne hinzuweisen: er enthält die Bestimmung, daßjeder ehemalige Staatsangehörige des OsmanischenReiches, der im Zuge der Gründung der Nachfolgestaateneine neue Staatsbürgerschaft erhalten hatte innerhalb vonzwei Jahren als türkischer Bürger in die Türkei kommen konnteund Artikel 31 galt selbstverständlich auch für alleosmanisch-armenischen Bürger, die während des Kriegesumgesiedelt worden waren, ja aus welchem Grund auchimmer in der Nachkriegszeit nicht auf türkischem Bodenweilten. Artikel 31 war für die umgesiedelten

Die Türkei schrumpft nach dem Weltkrieg auf ein Zehntel ihrerFläche.(Aus: „Chronik der Menschheit”, Chronik-Verlag, Dortmund.)

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Armenier, die in die Türkei zurückkehren wollten, maß-geschneidert.Entsprechend diesem Vertragspunkt konnte jeder Armenier,der einmal osmanischer Bürger gewesen war, bis zum 24. Juli1925 als gleichberechtigter türkischer Bürger in die Türkeikommen.Damit ist jede Rede von „Austreibung” hinfällig; zumal dieArmenier nach den Aufständen von Ostanatolien ja nicht ausdem Reichsgebiet ausgesiedelt, sondern in weniger gefährdeteProvinzen umgesiedelt worden waren.

Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches zerbrach einerder vornehmsten, großartigsten Vielvölkerstaaten der Weltge-schichte. Die Welle des tödlichen Giftes „Nationalismus” hatteihn spät, aber umso verheerender erreicht. Trotz aller Fehlerund Fehlleistungen der Osmanen schält sich im Bild derGeschichte immer klarer die Bedeutung dieses Reiches heraus,in dem Sunniten wie Schiiten, Christen vieler Bekenntnisse,Juden und Sabäer ihre gute Zeit hatten.

Der Terrorismus als blutiger, realerPhantasiekrieg

Terrorismus ist die Kampfart des Phantasiekrieges. Terrorund Phantasiekrieg sind ein Phänomen, das Menschendazu verleitet, so zu tun, als gäbe es „Krieg” mit allseinen Freibriefen zum Töten, wobei in fast allen Fällender Gegner (meist sind es Staaten, denen derPhantasiekrieg erklärt wird) dazu neigt, denselbenwegzuleugnen, zu verdrängen, so zu handeln, als gäbe esdiese phantastische Kriegserklärung nicht.Wird einmal einer der Kriegsgegner gefaßt, versucht dieStaatsgewalt meist, den Unhold so schnell wie möglichwieder loszuwerden, ihn laufen zu lassen, um nicht lästi-gen Erpressungen ausgesetzt zu sein. Frankreich kann fürdiese Verhaltensweise besonders gegenüber dem Arme-nierterror als abschreckendes Beispiel genannt werden.Es braucht zu einem solchen Phantasiekrieg mindestenszwei gegenseitige, organisierte Gruppen (und manch einStaat scheint aus diesem Grunde den Eindruck erweckenzu wollen, nicht organisiert handeln zu wollen). Meisthandelt es sich um einen bestimmten Staat auf der einenSeite, der sich den Angriffen einer mehr oder wenigergroßen Organisation ausgesetzt sieht, die sich staatlicheAttribute (Vollmacht zur Exekution von „Urteilen”, alsoHerrschaft über Leben, Freiheit und Tod, erpresserischesEintreiben von Steuern und Abgaben, Beeinflussung odergar Beherrschung der Medien) arrogiert. Terrorgruppen verüben die schlimmsten Verbrechen imNamen ihrer „Eigenstaatlichkeit” und der daraus resultie-renden „Eigengesetzlichkeit”, die sie zur allgemeinenNorm erheben und anerkannt sehen wollen. Die Phantasiekriege der Terroristen führen entweder zumoffenen, „echten” Krieg, der mit dem Unterliegen einerPartei endet - allzuoft mit dem Untergang eines Staates -oder sie laufen sich im fortgesetzten, oft über Jahrzehnteoder wie im Falle des armenischen Terrors gar über mehrals ein Jahrhundert währenden Schreckenstaten fest.Gerade solche Organisationen wie die armenischen Ter-rorkommandos zeichnen sich durch eine besondere, wennauch pervertierte „Liebesbeziehung” zu einem „Liebe-sobjekt” aus: sie wollen einen armenischen Großstaat,obwohl es so etwas bloß vor zwei Jahrtausenden und füreine ganz kurze Zeit gegeben hat und das noch dazu aufeinem Territorium, auf dem es niemals in der Geschichteeine armenische Mehrheit gegeben hat. Sie wollen außer-dem Rache für ein bestimmtes historisches Ereignis, daszumindest in der Form, wie sie es verstehen, niemals stat-tfand. Eine doppelt irrationale Motivation, offensichtlichdoppelt gefährlich als andere Terrorgruppen mit wenig-stens einer Spur von Wirklichkeitssinn und historischemRüstzeug.Terroristen - besonders armenische Terroristen - lebenmitten unter uns, bauen sich ihre eigene Subkultur auf,mit eigenem Wertsystem und versuchen zudem ständig,Proselyten zu machen, Überläufer zu finden, die ihre ter-

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Zeitgenössische armenische Postkarten mit den Helden desTerrors; in der Mitte der oberen Reihe einer der Rädelsführerdes Überfalls auf die Osmanische Bank, Papkenian.

roristische Gegenkirche höher einschätzen als eine ortho-doxe armenische Kirche oder eine andere, friedlichearmenische Organisation.Da die Armenier ein überdurchschnittlich intelligentesVolk mit - dank ihrer Tüchtigkeit und ihres Fleißes - über-durchschnittlich hohen Einkommen und Bildungsgradensind, zeichnen sich die durch die Führer des armenischenTerrors gewonnenen Kader durch besondere Effizienzaus, eine Wirkungskraft die so weit geht, daß es Journali-sten, Historiker, Filmemacher oder Fernsehmanager, diedurchaus genug Einfluß und Wissen hätten, gerade denarmenischen Terror und die falschen Voraussetzungen derihm zugrundeliegenden Argumentation zu enttarnen,ängstlichst vermeiden, etwas gegen die Gewalttäter zuunternehmen. Das ist einer der Hauptgründe, wenn nichtder Hauptgrund, warum an jede Meldung über einenneuen Bomben- oder Revolveranschlag armenischer Ter-roristen wie in einer fest eingefahrenen rituellen Pflicht-übung der Standardsatz angehängt wird: „Das Terror-kommando, das die Verantwortung für den Anschlagübernommen hat, rechtfertigt das Attentat mit dem vonden Türken im Jahre 1915 verübten Völkermord an denArmeniern.” Hier wird eine ganz gewöhnliche PR-Nach-richt nicht mit Geld, sondern mit Blut eingehandelt! Allein das Weglassen dieses albernen, durch nichts zuentschuldigenden Nachsatzes würde das wesentlicheMotiv der Attentäter - die ständige Wiederholung einesniemals in dieser Form stattgefundenen Ereignisses -zunichte machen.Solange die „Botschaft” mit Hilfe des Blutzolls allerdingsso leicht über die Rampe zu bringen ist, wird es auch Ter-roranschläge von dieser Seite geben. Im „Normalfall” der menschlichen Existenz spielt derbiologisch motivierte Überlebenstrieb, der den Gedankenan Tod und ein endgültiges „Aus” meisterhaft zu verdrän-

Gewisse armenische Kreise, vor allem in den Vereinigten Staaten,pflegen den „Helden”-Kult um zeitgenössische Terroristen genau-so wie ihre geistigen Väter im 19. Jahrhundert. Das Verbrechen des Schweigens liegt weniger über der Sache desUnglücks des armenischen Volkes - über das sehr, sehr viel pub-liziert wurde -, sondern vielmehr auf Seiten jener Autoren undHistoriker, die geschichtliche Zusammenhänge wohl kennen, aberaus Angst vor armenischem Terror die Wahrheit nicht sagen.

gen weiß, durch tausend Mechanismen übertölpelt undendlich dazu führt, daß der Mensch Jahr für Jahr dahin-lebt, und seinen Freuden und Leiden lebt als gäbe es keinendgültiges „Aus”, das allerdings jede Sekunde eintretenkann, eine lebensbeherrschende Rolle. In manchen Fällenhilft die Vorstellung von Unsterblichkeit, der Hoffnung(oder Gewißheit), der Tod sei nichts als ein Schritt vomirdischen, zeitlich begrenzten in das ewige Leben. Wäh-rend in fast allen menschlichen Existenzen der Tod alsetwas Schwerwiegendes, als ein nach Möglichkeithinauszuschiebendes Ereignis betrachtet wird und Ärztein diesem „Hinausschieben” mitunter Unmenschliches zuleisten wissen, während Priester um längeres Leben oder

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ewiges Leben beten und Sakramente spenden, geht derTerrorist in vielen Fällen mit einem Achselzucken übereigenes — und fremdes - Leben hinweg: die anderenToten sind nichts als Bauschutt auf dem Wege zum Zielund sein eigener Tod ist ein gerne geleisteter Zoll an dasangenommene Ideal, sei es nun ein (armenisches) Utopiaoder vollzogene Rache, auch wenn es nichts zu rächengab.Es gibt im menschlichen Zusammenleben allerdings einenAusnahmezustand in dem der Tod so massenhaft auftritt,daß er dadurch seine Schreckhaftigkeit wie oft sogarseine Meßbarkeit zu verlieren scheint; einen Ausnahmezu-stand, in dem der Tod mitunter mit größter Begeisterunggesucht wird, und Freunde und Verwandte den Tod einesgeliebten Menschen mit Jubel, Stolz und Begeisterungbegrüßen können, besonders dann, wenn der Dahinge-

Während sich weder auf dem Festungshügel von Van noch aufdem von Cavustepe auch nur eine Spur von armenischer Besied-lung findet, gibt es mehrere urartäische Inschriftensteine, diespäter entweder mit Kreuzen verziert oder in armenische Grab-steine umgewandelt wurden; solche Monumente fanden sich auchin dem Dorf zu Füßen von Чavuшtepe, das an der gleichen Stelleliegt wie das alte urartäische Dorf.Zum Schaden aller hat der extreme Nationalismus der armeni-schen Führungsschicht ein weiteres Zusammenleben dieses Vol-kes mit den anderen Völkern und Stämmen Ostanatoliens ver-hindert.

Es gibt verschiedene Arten der Meuchel-Propaganda; eine derübelsten ist die der versteckten Fälschung. Das Pamphlet „DerVölkermord an den Armeniern vor Gericht” - schon in sich eineUnwahrheit - wird garniert durch eine Bildmontage, hergestelltaus einem Portrait des inkriminierten Talaat Pascha sowie einemschaurigen Berg von Totenschädeln.Der flüchtige, oberflächliche Betrachter - und auf den kommt esan, weil er die überwältigende Mehrheit bildet - wird unweiger-lich Talaat mit dem auf dem Titelbild wiedergegebenen Kranionin Verbindung bringen; womöglich gar als Täter. Die Wahrheit istfreilich völlig anders: Die Schädelstätte gibt ein Gemälde des rus-sischen Schlachtenmalers Wassilij W. Werestschagin (1842-1904)wieder und ist eine „Apotheose des Krieges” von 1871 (Preußen-Frankreich), stammt also aus einer Zeit, in der es ein „armeni-sches Problem” noch gar nicht gab . . . das wurde erst 1878 beimDiktat von San Stefano von Rußland ins Spiel gebracht.

schiedene vor seinem eigenen Tod noch möglichst viele„Feinde” umgebracht oder mit in den Tod genommen hat;wenn er etwa ein Flugzeug zum Absturz oder ein Passa-gierschiff zum Sinken oder eine Stadt zum Verglühengebracht hat. Solche Menschen werden ausgezeichnet,hoch dekoriert, sogar auf ihre Gräber legen die Oberen nochDiplome und Orden: es ist der Krieg, der diesen Primat desTodes über das Leben öffentlich gutheißt, ja begrüßenswerterscheinen läßt, daß eine Gesellschaft die andere auslöscht,eine Hochkultur die andere in den Abgrund stürzt.

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Jeder einzelne Soldat darf im Kriege Mitmenschen inbeliebiger Zahl umbringen, wenn sie nur auf der „ande-ren” Seite stehen, je mehr, desto besser, und der Kriegs-zustand ermöglicht es, daß gefangengenommene, hoch-dekorierte feindliche Soldaten, die den Ausweis über ihreTötungskapazität sozusagen stolz auf der Brust tragen,sogar vom siegreichen Feinde geehrt und geachtet wer-den.Ein gefangengenommener Terrorist, ein geschnappterKiller von der Terrorfront, verlangt denn auch stereotyp,von seinen Häschern als „Kriegsgefangener” behandeltzu werden, nicht nur wegen der besseren Haftbedingun-gen, sondern auch wegen der Schwierigkeit einer Verur-teilung und einer baldigen Entlassung. Tatsächlich befindet sich jeder Terrorist - subjektiv - imKriegszustand, wenngleich es sich dabei um seinen per-sönlichen Phantasiekrieg handelt, denn zum wirklichenKriegführen bedarf es wenigstens zweier klar unter-scheidbarer Einheiten, die wenigstens über einebeschränkte Souveränität verfügen. Dazu muß kommen,daß wenigstens eine der Streitparteien einen „Feind”erkennt (im Falle Türken - Armenier recht schwierig, weildie Türken die Armenier noch immer sehr achten undhoch einschätzen, wie jeder Türkeireisende leicht selberfeststellen kann) und es muß ein casus belli vorhandensein, ein Kriegsgrund, der in fast allen Fällen auch denfriedfertigsten Gegner zwingt, eine ähnlich feindseligeHaltung einzunehmen wie der Feind, will er überleben.Die Folgerungen für die Terrorszene sind klar: die Terro-risten haben der menschlichen Gesellschaft, unter wel-chen Vorwänden auch immer, den Krieg erklärt.Auffallend bei der Entwicklung des armenischen Terrorsist die Haltung, die einige armenische Gemeinschaften -vor allem in den USA und in Frankreich, wo sie einengewichtigen, finanzkräftigen und hochintellektuellenFaktor des öffentlichen Lebens ausmachen - gegenüberder Terrorszene einnehmen. Armenische Vereine undVerbände geben sich dort mitunter bemerkenswert konzi-liant, wenn sie nicht gar den Terror offen unterstützen.. Esist sogar wiederholt vorgekommen, daß in öffentlichenGottesdiensten umgekommener oder dingfest gemachterTerroristen gedacht wurde. Das „Betriebsklima” bei die-sen Gedächtnis- und Sympathiekundgebungen, die sichin weltlichem wie in kirchlichem Rahmen abspielen,stammt nicht nur von der Tatsache her, daß viele Arme-nier Opfer von Erpressungen durch die eigenen Terroror-ganisationen werden, sondern vor allem von dem aufge-putschten, weitgehend falschen Geschichtsbewußtsein,das vor allem in manchen Presseerzeugnissen der armeni-schen Diaspora verbreitet wird, wobei es auf solche Lap-palien wie „EINE Million Tote im Jahr 1915, zwei oderzweieinhalb Millionen Opfer” (gelegentlich in der glei-chen Zeitschrift!) überhaupt nicht anzukommen scheint.Armenische Intellektuelle zeigen auch eine bemerkens-werte Intoleranz gegenüber Fachleuten, die andererAnsicht über den Verlauf der Geschichte sind als sie: sokann Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy, der die sensatio-

nelle, wissenschaftlich unwiderlegbare Publikation„Muslims and Minorities” verfaßte, in der die wahrenBevölkerungszahlen Anatoliens erstmals aufscheinen,seine Vorträge stets nur unter massivem Polizeischutzabhalten; dem Historiker Stanford J. Shaw, dessen„History of the Ottoman Empire” dem armenischenGeschichtsbild nicht entsprach, wurde das Haus zer-bombt, um ihn einzuschüchtern und an weiterenPublikationen zu hindern. Diese Einschüchterung geht so weit, daß heute bezweifeltwerden darf, ob sich noch ein armenischer Verlegerfände, der das einigermaßen objektive, aber durchausarmenierfreundliche Buch der Louise Nalbandian überdas „Armenian Revolutionary Movement” neu auflegenwollte, weil sich darin immerhin einige kritische Wortefinden.

Die armenischen TerrororganisationenDie armenischen Terroristen führen ihre Anschläge unterdem (Deck)namen mehrerer Organisationen durch, abertrotz der verwirrend erscheinenden Vielfalt von Kürzelnund breit ausgewalzten Programmtiteln läuft alles aufbloß zwei Organisationen hinaus.Die älteste armenische Terrororganisation erwuchs ausder Daschnakisten-Partei, die von Anfang an im Banneder russischen Anarchisten und Ultras stand. Sie wurde inRussisch-Armenien groß und war eine Antwort derExtremisten auf die vergeblichen Bemühungen der glei-chen Kreise, der armenischen Minderheit innerhalb desosmanischen Reichsverbandes einen eigenen Staatzukommen zu lassen, Bemühungen, die wegen der klei-nen Minderheit, die die Armenier in Ostanatolien immergebildet hatten, von vornherein zum Scheitern verurteiltwaren.Das Erbe dieses armenischen Ur-Terrors (in diesemBuche wird über den armenischen Terrorismus imOsmanischen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts aus-führlich berichtet), der dem Terror der schiitischenSelbstmordkommandos verblüffend ähnelt, trägt - aushistorischer Sicht - in erster Linie die JCAG (JusticeCommandos of the Armenian Genocide, Gerechtigkeits-kommandos für den Armenischen Völkermord’).Die Terrorüberfälle der JCAG gelten, es klingt fastkomisch, als von „Konservativen” ausgeführt. Ihre Spe-zialität scheint die Ermordung türkischer Diplomaten undihrer Familienangehörigen zu sein.ASALA (Armenian Secret Army for the Liberation ofArmenia, Armenische Geheimarmee zur BefreiungArmeniens’) wird hingegen allgemein als eine marxistis-che, stark am Gängelband der Sowjetunion hängendeTerrororganisation angesehen, die in der Existenz einer„Sozialistischen Armenischen Sowjetrepublik” einenIdealzustand sieht und die „Vereinigung” Ostanatoliensmit der ASSR anstrebt.

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Die Sowjets können diesem Gedanken nur bedingt zus-timmen, fürchten sie doch, daß ein allzu großes Arme-nien leicht abtrünnig werden könnte, unterstützen aberdennoch die gegen die Türkei (auch als wichtigemNATO-Bündnispartner) gerichteten Aktivitäten. Die ASALA genoß im Libanon jahrelang auch die Gast-freundschaft und Förderung schiitischer Terrorgruppen,zu denen diese armenischen Terroristen überhaupt einebesondere Affinität zu haben scheinen . . . von derTodesbereitschaft, ja Todessehnsucht bis zu der Radikali-tät der Anschläge, bei denen stets ohne die Spur einerRücksicht auf völlig Unbeteiligte vorgegangen wird.Trotz der offenkundigen geistigen Verwandtschaft zu denschiitischen Auffassungen über Wert oder Unwert desLebens verkündete die ASALA in ihrem SprachrohrARMENIA: „Unsere Streitkräfte werden niemals gegendie Sozialistische Armenische Sowjetrepublik (ASSR)vorgehen, die schon befreit ist.”Das entspricht vollendet den Interessen der Sowjetrus-sen, die so wie ihre zaristischen Väter den Zugang zu den„Warmen Wassern”, also die Herrschaft über Ostanato-lien (als Brücke zum Golf) und den Bosporus (alsPassage ins Mittelmeer) mit allen Mitteln anstreben.Trotz der Massendeportationen von Armeniern ins InnereAsiens, die Stalin durchführen ließ, kamen die armeni-schen Intellektuellen mit dem Sowjetsystem meistbestens zurecht, wie die Karrieren eines Anastas Mikojanoder eines Juri Andropow, der es gar zum sowjetischenStaatsoberhaupt brachte, schlagend beweisen. Diezahllosen anderen Terrororganisationen, die in denVerbrechenslisten aufscheinen, sind nichts als Sigel fürdie zwei großen Terrorgruppen, die nach Gutdünken undBelieben Umbenennungen vornehmen, teils, um dieÖffentlichkeit über die wahren Größenverhältnisse zutäuschen, teils um die eigenen Mitglieder in ihrerEitelkeit zu befriedigen, eine „neue” Terrorgruppe führenzu dürfen.Die Öffentlichkeit sollte sich von gelegentlichen Streite-reien oder Eifersüchteleien - wenn etwa JCAG undASALA um den Lorbeer ringen, wer wen wann woumgebracht habe - nicht täuschen lassen. In dieserunheimlichen Welt der Schatten und Spiegelbilder ist derunlautere Wettbewerb ein Bestandteil des gleichenunlauteren blutigen Handwerks, das letztlich nur ein Zielkennt: den Terror um seiner selbst willen.

Der politische Hintergrund der armeni-schen Terrororganisation ASALA

Ein in der Geschichte des internationalen Terrors bislangbeispielloser „Gipfel” fand im Februar des Jahres 1986 inTeheran statt, wo sich anläßlich des 7. Jahrestages derRevolution unter Führung des Ayatollah Khomeini die„Ismaischen Revolutionäre” - iranischer Prägung - mitden Führern der libanesischen Hezbollah-Bewegung,Hussein Mussavis Männern der Jihad-Organisation, densaudiarabischen Mudschahedin, den schiitischen Amal-Gruppierungen aus Bahrein, Vertretern der Moro-Bandenvon den Philippinen sowie libyschen Geheimdienstmän-nern zusammenfanden.Was westliche Beobachter an diesem Treffen besondersbeunruhigte, war die Tatsache, daß bei der Teheraner Ter-roristen-Konferenz auch die Armenier mit von der Partiewaren.Im Iran allein leben an die 200000 Armenier, die bishervon den fanatischen Schiiten des Ayatollah bemerkens-wert ungeschoren davonkamen. Diese Armenier werdenweitgehend gegen die Türkei genützt, die offiziell wohlgute Beziehungen zur Türkei unterhält, auch stark vonTransitverkehr durch Anatolien abhängt, aber nach denverbesserten Beziehungen der Türkei mit dem Irakzunehmend in ein antitürkisches Fahrwasser gerät. DieArmenier dienen, wieder einmal, als nützliche Idioten derMachthaber eines Landes, das ausschließlich seine eige-nen Interessen vertritt.Die ASALA, bislang im Iran „unter Verschluß” gehalten,kann nun recht offen und mit offizieller iranischer Unter-stützung, verstärkt mit Terrorgruppen wie jener AbuNidals, kooperieren. Beobachter weisen auch immer wie-der auf die verblüffenden Parallelen armenischer undschiitischer Terrorüberfälle (etwa auf den Flughäfen vonWien, Rom und Paris) hin. Kürzlich veröffentlichte die inParis erscheinende armenische Zeitung „GAMK” einengroß aufgemachten Artikel, in dem „bewaffneter Kampf”propagiert wurde, nachdem GAMK vorher die rhetori-sche Frage stellte, ob „der Versuch, den Westen zuschwächen, mit der Armenischen Frage zusammen-hängt”. Die Antwort lautete: „In Türkisch Armenien (!)gibt es sowohl NATO- als auch US-Basen. Das ist auchder Grund, warum die USA sich jedem Versuch widerset-zen, die Stabilität dieser Region zu gefährden oder derenStatus quo zu ändern. Mit anderen Worten: um armeni-sches Land zu befreien, müssen nicht nur die Türken,sondern auch die Amerikaner bekämpft werden sowie dieAtlantische Allianz. Wenn sich der armenische Freiheits-kampf verstärkt, wird die amerikanische Regierung dieFreiheit der Armenier innerhalb wie außerhalb der USAeinschränken und alles Menschenmögliche tun, um diearmenische Freiheitsbewegung zu zerbrechen. Entwederwir geben den armenischen Freiheitskampf auf und ver-söhnen uns mit der Türkei und den USA oder wirbefreien armenisches Land und erzürnen damit die Tür-

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kei, die NATO und die USA . . . Eine geschwächte NATOund geschwächte Vereinigte Staaten würden es leichtermachen, armenisches Land zu befreien . . . und außerdemhelfen, die Dritte Welt vom Joche des amerikanischenImperialismus zu befreien”. Die stärkste armenische Terrorgruppe, die ASALA, diesich völlig an die Sowjetunion anlehnt, findet neuerdingssehr starke Unterstützung auch durch den Iran. Von derASALA spalteten sich kürzlich wieder zwei besondersmarxistisch orientierte Splittergruppen ab, die DFPMLA(Democratic Front of the Populär Movement for the Libe-ration of Armenia) und die ÄRA, die „Armenian Revolu-tionary Army”, bis vor kurzem noch unter dem KürzelJCAG (Justice Commando of the Armenian Genocide)bekannt. Die ASALA verfügt in Frankreich über eine bre-ite Unterstützung durch die dort ansässigen Armenier,eine sehr wohlhabende, einflußreiche Gruppe, die mehrals 400000 Menschen zählt. An einem Demonstrations-marsch, der von der ASALA organisiert worden war, nah-men nicht weniger als 5000 Armenier teil, von denenviele ASALA-Abzeichen und Fahnen mit sich führten.Viele ASALA-Anhänger werden auch mit dem von ÄraToranian geführten Armenian National Movement in Ver-bindung gebracht.Mehrere armenische Terroristen, die der Polizei ins Netzgingen, bestätigten die Unterstützung, die die ASALAvon der PFLP des George Habasch erfährt. Die PFLPunterstützt übrigens auch kurdische Separatistenbewe-gungen im Nahen Osten.Sowohl die ASALA als auch die ÄRA haben wiederholtunter Beweis gestellt, daß sie weltweit operieren können,auch in Zusammenarbeit mit palästinensischen wie auchkurdischen Extremistengruppen. Im Lichte des erklärtenZieles, sowohl die USA als auch die NATO und derenMitgliedsländer - vor allem die Türkei - zu schwächen,bestärkt den vielfach ausgesprochenen Verdacht, daß hin-ter allen armenischen Terroraktionen letztlich die Sowjetsund deren unmittelbare Interessen stehen.(Aus: „Confidential Early Warning, Vol. IV, No 1,Februar 1986; die Stichhaltigkeit der Beweisführungwurde durch die grauenhafte Attentatsserie vomSeptember 1986 - hinter der die ASALA steckte -bewiesen. „Early Warning” ist davon überzeugt, daß eineFülle von Beweisen und Indizien vorliegt, die dieSowjetunion als den „ultimate Sponsor” der armenischenTerroristen ausweist.) Eine beispiellose Verherrlichung von Terroristen findetsich in dem Buche „The First Genocide of the 20th Cen-tury” von James Frazer, in New York bei T & TPublishing Inc. erschienen: die Attentäter ArschavirSchiragian, So-ghomon Tehlirian, Aram Yerganian undMissak Torlakian werden als „ArmenischeNationalhelden” gefeiert - als ob politischer Mord,„Hinrichtung ohne Verfahren und Beweisführung” jemalseinem Volk Gutes gebracht hätten.

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Varudschian Garabedian, der Anführer der Bande, die am 15. Juli1983 in Orly einen Massenmord verübte: acht Menschen wurdenbei der Bombenexplosion getötet, 60 andere Menschen wurdenverwundet, viele von ihnen werden zeitlebens Krüppel sein.Garabedian wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, und es gibtBeobachter, die meinen, Garabedian könnte sogar der Kopf derASALA sein, der unter dem Decknamen Hagop Hagopian agiert,dessen wahrer Name und Identität den Behörden aber nichtbekannt sind.

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17. Jänner 1973 Santa Barbara, KalifornienDer Teufelskreis modernen armenischen Terrorsbeginnt: der Armenier Karakin Yanikian, US-Bürger,lädt den türkischen Generalkonsul Mehmet Baydarund Konsul Bahadir Demir zu sich nach Hause „zumTee” ein. Arglos befolgen die beiden Diplomaten diefreundliche Einladung. Karakin Yanikian ermordetseine beiden Gäste und wird zu lebenslänglicher Haftverurteilt, doch wegen Krankheit wieder entlassen.

4. April 1973 ParisBombenanschlag gegen das türkische Generalkonsu-lat und das Büro der THY (Türk Hava Yollari) - dertürkischen Fluglinie. Schwerer Sachschaden.

26. Oktober 1973 New YorkAttentatsversuch gegen das Türkische Fremdenver-kehrsbüro. Die Bombe wird rechtzeitig entdeckt undentschärft. Zu dem Anschlag bekennt sich eine„Gruppe Verurteilter Karakin Yanikian” - sie will denDoppelmörder von Santa Barbara, Karakin Yanikian,der zwei türkische Diplomaten hinterhältig ermor-dete, freipressen.

7. Februar 1975 BeirutAttentatsversuch gegen das Türkische Fremdenver-kehrsbüro. Die Bombe explodiert während der Ent-schärfung. Ein libanesischer Polizist wird verletzt.Bekenneranruf der „Yanikian”-Gruppe.

20. Februar 1975 Abermals schlägt die „Yanikian”-Gruppe zu, die den Doppelmörder von Santa Barbarafreipressen will. Erheblicher Sachschaden nach einerBombenexplosion im Büro der THY. Übrigensbekennt sich auch die ASALA (Secret Army for theLiberation of Armenia) zu dem Anschlag.

22. Oktober 1975 WienDer türkische Botschafter Dani§ Tunaligil wird in sei-nem Arbeitszimmer von drei armenischen Terroristenermordet. ASALA übernimmt die „Verantwortung”.

Der armenische Terror - eine Bilanz

24. Oktober 1975 ParisBotschafter Ismail Erez und sein Fahrer Talip Yenerwerden ermordet. Um die „Verantwortung” streitensich ASALA und JCAF („Justice Commandos for theArmenian Genocide”).

28. Oktober 1975 BeirutGranatenwerferangriff gegen die türkische Botschaft.Zur „Verantwortung” bekennt sich die ASALA.

16. Februar 1976 BeirutDer Erste Sekretär der türkischen Botschaft, OktayCirit, wird in einem Restaurant in der Hamrastraßeermordet. Die ASALA übernimmt die „Verantwor-tung”.

17. Mai 1976 Frankfurt, Essen, KölnDie Generalkonsulate von Frankfurt, Essen und Köln

sind gleichzeitig Ziel armenischer Bombenanschläge. 28. Mai 1976 Zürich

Bombenanschläge gegen das Büro des türkischenArbeitsattaches und der Garanti Bankasi. ErheblicherSachschaden. Eine im türkischen Fremdenverkehrs-büro plazierte Bombe wird rechtzeitig entschärft. Die„Verantwortung” übernimmt die JCAG.

2. Mai 1977 BeirutDie Wagen des Militärattaches Nahit Karakaya unddes Verwaltungsrates Ilhan Özbabacan werden zer-stört; die beiden Diplomaten bleiben unverlet-zt. „Bekenner” ist die ASALA.

14. Mai 1977 ParisBombenanschlag gegen das türkische Fremdenver-kehrsbüro, erheblicher Sachschaden. Die „Neuearmenische Widerstandsorganisation” übernimmt die„Verantwortung”.

6. Juni 1976 ParisBombenanschlag gegen den Laden des türkischenStaatsbürgers Hüsejin Bülbül.

9. Juni 1977 RomMordanschlag gegen den türkischen Botschafterbeim Heiligen Stuhl, Taha Carim, der bald nach demAttentat seinen schweren Verletzungen erliegt. Die„Verantwortung” übernimmt die JCAG.

4. Oktober 1977 Los Angeles, KalifornienVor dem Hause des amerikanisch-jüdischen Universi-tätsprofessors Stanford Shaw, der in Los Angelesosmanische Geschichte lehrt und auch eine zweibän-dige „Geschichte des Osmanischen Reiches und derModernen Türkei” veröffentlichte, explodiert eineBombe; offensichtlich, um den Historiker einzu-schüchtern. Die „Verantwortung” übernimmt eine„Armenische Gruppe 28”.

2. Jänner 1978 BrüsselBombenanschlag gegen eine türkischeBankniederlassung. Dazu bekennt sich eine Gruppe„Neuer armenischer Widerstand”.

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2. Juni 1978 MadridTerroranschlag gegen den Wagen des türkischen Bot-schafters Zeki Kuneralp. Seine Frau, Necla Kuneralp,sowie Botschafter a. D. Beschir Balcioglu sterben imKugelhagel sofort, der spanische Chauffeur AntonioTorres erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen.Um die „Verantwortung” streiten ASALA und JCAG.

6. Dezember 1978 GenfEine Bombe explodiert vor dem türkischen Konsulat.Schwerer Sachschaden. Die „Verantwortung” über-nimmt eine „Neue armenische Widerstandsgruppe”.

17. Dezember 1978 GenfEine Bombe explodiert vor dem THY-Büro. Die„Verantwortung” übernimmt diesmal die ASALA.

8. Juli 1978 ParisDie französische Hauptstadt erlebt an einem einzigenTage gleich vier Bombenanschläge: zunächst imTHY-Büro. Dann explodiert eine Sprengladung imBüro des Arbeitsattaches, hierauf im TürkischenFremdenverkehrsbüro. Das vierte Attentat, es galtdem türkischen ständigen Delegierten bei der OECD,konnte rechtzeitig verhindert werden. Die„Verantwortung” übernahm die JCAG.

22. August 1979 GenfEine Bombe wird gegen das Auto des türkischenKonsuls, Niyazi Adali, geschleudert. Der Diplomatbleibt unverletzt, zwei unbeteiligte Schweizer werdenverletzt, zwei Wagen zerstört.

27. August 1979 FrankfurtDie THY-Büros werden durch eine Bombenexplosionvöllig zerstört. Ein Passant wird verletzt. Die „Verant-wortung” übernimmt die ASALA.

4. Oktober 1979 Kopenhagen Zwei Dänen werden verletzt, als eine nahe des THY-Büros abgelegte Bombe explodiert. „Verantwortung”trägt die ASALA.

12. Oktober 1979 Den HaagAhmed Benler, der Sohn des türkischen BotschaftersÖzdemir Benler, wird von armenischen Terroristenauf offener Straße überfallen. Zehn Personen müssenzusehen, wie die Terroristen den Medizinstudenten -Jahrgang 1952! - abschlachten. Die Mörder entkom-men. Sowohl die JCAG als auch die ASALAreklamieren die „Verantwortung”.

30. Oktober 1979 MailandDas Büro der THY wird durch eine Bombenexplosionzerstört. Die ASALA zeichnet „verantwortlich”.

8. November 1979 RomDas Büro des Leiters der Türkischen Fremdenver-kehrswerbung wird durch eine Bombe zerstört. DieASALA übernimmt die „Verantwortung”.

18. November 1979 ParisBombenexplosionen zerstören die Büros der THY,der KLM und der Lufthansa, wobei zwei französis-che Polizisten verletzt werden. „Verantwortung”wird von der ASALA reklamiert.

25. November 1979 MadridBombenexplosion vor den Büros der Trans WorldAirlines und British. Die ASALA, die dafür die„Verantwortung” übernimmt, erklärt, das sei eineWarnung für den Papst gewesen: Er möge seinegeplante Türkeireise absagen.

9. Dezember 1979 RomZwei Bomben explodieren im Stadtzentrum und zer-stören die Büros von PAN AMERICAN, BRITISHund Philippine Airways. Neun Menschen werden beidem Terroranschlag verwundet. Die „Neue armenis-che Widerstandsbewegung” übernimmt die Verant-wortung.

17. Dezember 1979 LondonSchwerer Sachschaden bei einer Explosion im Büroder THY. Die „Verantwortung” übernimmt eine„Front zur Befreiung Armeniens”.

22. Dezember 1979 ParisYilmaz Colpan, der türkische Tourismusattache, wird auf

den Champs Elysees angeschossen und ermordet. DieASALA, die JCAG und eine „Armenische militanteMacht gegen den Völkermord” raufen um die„Verantwortung”.

22. Dezember 1979 AmsterdamSchwerer Sachschaden durch eine Explosion vor demTHY-Büro. Die „Verantwortung” übernimmt dieASALA.

23. Dezember 1979 RomBombenexplosion vor dem Flüchtlingszentrum des

Weltkirchenrates. Dort finden oft armenische Flücht-linge aus dem Libanon vorübergehend Asyl. DieASALA übernimmt die „Verantwortung” und „warntdie italienische Regierung davor, die armenische Dia-spora in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken”.

23. Dezember 1979 RomDrei Bomben explodieren vor den Büros der TWAund der Air France. Ein Dutzend Passanten wird ver-letzt. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung”und will das Attentat als eine Warnung für die franzö-sische Regierung verstanden wissen, „keine repres-siven Maßnahmen gegen die Armenier in Frankreichzu ergreifen” (Verdächtige zu überprüfen, Verbrechenzu verfolgen . . .).

10. Jänner 1980 TeheranExplosion vor dem THY-Büro, schwerer Sachschaden.„Verantwortung” reklamiert die ASALA.

20. Jänner 1980 MadridEine ganze Serie von Bombenanschlägen mit zahllo-sen Verletzten gilt den Büros der TWA, der BRITISH,SWISSAIR und der SABENA. Eine Gruppe„Gerechtigkeitskommando Völkermord an denArmeniern” beansprucht die „Verantwortung”.

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2. Februar 1980 BrüsselIm Stadtzentrum explodieren innerhalb wenigerMinuten Bomben vor den Büros der THY und derAeroflot. Eine „Neue armenische Widerstands-gruppe” veröffentlicht ein „Communique” dazu undübernimmt die „Verantwortung”.

6. Februar 1980 BernEin Terrorist schießt auf den türkischen BotschafterDogan Türkmen, der mit leichteren Verletzungen ent-kommt. Der Beinahe-Mörder, ein Armenier aus Mar-seille namens Max Klindjian, wird gefaßt und an dieSchweiz ausgeliefert. „Verantwortung” trägt dieJCAG.

18. Februar 1980 RomDurch zwei Bombenanschläge werden die Büros vonLUFTHANSA, El AI und SWISSAIR beschädigt.Telephonische Botschaften geben drei „Ursachen” fürdie Anschläge an: 1. Die Schweizer verhielten sich„repressiv” gegenüber Armeniern; die Deutschenunterstützten den „türkischen Faschismus” und dieJuden seien Zionisten. (ASALA).

10. März 1980 RomBombenanschläge auf die Büros der THY und derTürkischen Fremdenverkehrswerbung auf der Piazzadella Repubblica. Dabei werden zwei Italiener getötetund vierzehn weitere verwundet. „Verantwortung”trägt der „Neue armenische Widerstand der armeni-schen Geheimarmee”.

17. April 1980 RomDer türkische Botschafter beim Heiligen Stuhl, VecdiTürel, wird bei einem Attentat schwer, sein FahrerTahsin Güvenc leicht verletzt. „Verantwortung”reklamiert die JCAG.

19. Mai 1980 MarseilleEine Rakete, auf das türkische Konsulat zielend, wirdrechtzeitig entdeckt und entschärft, ASALA und eineGruppe „Schwarzer April” streiten um die „Verant-wortung”.

31. Juli 1980 AthenGalip Özmen, Verwaltungsrat an der türkischen Bot-schaft, wird mitsamt seiner Familie im Auto vonarmenischen Terroristen attackiert. Galip Özmen undseine vierzehnjährige Tochter werden dabei ermordet,seine Frau Sevi und sein sechzehnjähriger Sohn Kaankommen mit schweren Verletzungen davon.„Verantwortung” für diese Morde reklamiert dieASALA.

5. August 1980 LyonZwei armenische Terroristen stürmen das türkischeKonsulat und feuern wild um sich. Sie bringen dabeizwei Menschen um und verwunden mehrere andere.ASALA übernimmt die „Verantwortung”.

11. August 1980 New YorkEine „Armenische Gruppe” schleudert Farbbombengegen das Turkish House (genau gegenüber desGebäudes der Vereinten Nationen; es beherbergt dastürkische Konsulat und die türkische UN-Delegation)und „erinnert die imperialistische türkischeRegierung ihrer Verbrechen gegen das armenischeVolk”.

26. September 1980 ParisSelcuk Bakalbasi, Presserat an der türkischen Bot-schaft, wird beim Nachhausekommen zweimal ange-schossen. Er überlebt, bleibt aber teilweise gelähmt.ASALA und eine „Armenische geheime Armeeorga-nisation” wollen die „Verantwortung” tragen.

3. Oktober 1980 GenfZwei Armenier werden in ihrem Hotelzimmer ver-letzt, als unter ihren Händen eine Bombe hochgeht.Die beiden Männer, Suzi Machseredian aus GanogaPark in Kalifornien und Alexander Jenikomechian,werden verhaftet. Das führt zur Bildung einer neuenGruppe, die sich „3. Oktober” nennt und in der Folgezahlreiche Anschläge gegen schweizerische „Ziele”richtet.

3. Oktober 1980 MailandZwei Italiener werden durch eine Bombenexplosionvor dem THY-Büro verwundet. „Verantwortung”trägt die ASALA.

5. Oktober 1980 MadridDie Büros der ALITALIA fallen einem Bombenan-schlag zum Opfer, wobei zwölf Menschen verletztwerden. Die „Geheimarmee zur Befreiung Arme-niens” übernimmt die „Verantwortung”.

6. Oktober 1980 Los AngelesZwei Molotowcocktails werden in die Wohnung destürkischen Konsuls, Kemal Arikan, geschleudert. DerKonsul kommt mit Verletzungen davon.

10. Oktober 1980 BeirutZwei Bomben gehen in der Nähe schweizerischerBüros hoch. Der Verein „3. Oktober” meldet sich alsUrheber. Am gleichen Tag ähnliche Anschläge inLondon.

12. Oktober 1980 New York CityVor dem „Turkish House” explodiert eine Bombe,vier Passanten werden verwundet. JCAG übernimmtdie „Verantwortung”.

12. Oktober 1980 Los AngelesEin Reisebüro, dessen Besitzer aus der Türkeistammt, wird zerstört. ASALA zeichnet „verant-wortlich”.

12. Oktober 1980 LondonEine Bombe beschädigt das Türkische Fremdenver-kehrsbüro. ASALA übernimmt die „Verantwortung”.

12. Oktober 1980 LondonEin schweizerisches Geschäftszentrum in der Citywird zerstört. Wieder hat der „3. Oktober” zugeschla-gen.

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13. Oktober 1980 ParisDas schweizerische Tourismusbüro wird von einerBombe zerstört. Wieder reklamiert die Organisation„3. Oktober” die Urheberschaft.

21. Oktober 1980 InterlakenIn einem schweizerischen Expreßzug, der aus Pariskommt, wird eine Bombe gefunden, die zum Glücknicht explodierte. Als Urheber des Anschlags, dereine Katastrophe hätte auslösen können, wird der „3.Oktober” angesehen.

4. November 1980 GenfDer schweizerische Justizpalast wird durch eineExplosion schwer beschädigt. Der „3. Oktober”zeichnet „verantwortlich”.

9. November 1980 StraßburgSchwerer Sachschaden nach einer Explosion imtürkischen Konsulat. Eine „Türkisch-KurdischeArbeiterpartei” und die ASALA zeichnen „verant-wortlich”.

10. November 1980 RomFünf Menschen werden bei Anschlägen auf die Bürosder SWISSAIR und der Verkehrswerbung verletzt.ASALA, der „3. Oktober” und die „Kurdisch-türki-sche Arbeiterpartei” geizen um die „Verantwortung”.

19. November 1980 RomDas türkische Tourismusbüro und das der THY wer-den bei Bombenexplosionen beschädigt. ASALAreklamiert die „Verantwortung”.

25. November 1980 GenfDie Büros des Schweizerischen Bankvereins werdenvon einer Bombe beschädigt. Urheber: „3. Oktober”.

5. Dezember 1980 MarseilleEine Bombe, die im schweizerischen Konsulat ent-deckt wird, kann rechtzeitig entschärft werden. „3.Oktober”.

15. Dezember 1980 ParisZwei Bomben werden im Französischen Fremden-verkehrsbüro rechtzeitig entdeckt. Der „3. Oktober”bezeichnet den versuchten Anschlag als Rache für diefranzösisch-schweizerische Zusammenarbeit in derBekämpfung des armenischen Terrors.

17. Dezember 1980 SydneyZwei Terroristen ermorden den türkischen General-konsul Sarik Aryak und seinen Leibwächter EnginSever. JCAG zeichnet „verantwortlich”.

25. Dezember 1980 ZürichEine Bombenexplosion zerstört die Radaranlage desFlughafens Zürich-Kloten. Eine Bombe auf derLandepiste kann rechtzeitig entschärft werden.„Verantwortlich” für diesen versuchten Massenmord:der „3. Oktober”.

29. Dezember 1980 MadridEin Spanischer Journalist wird von einer Bombe zer-rissen, als er aus einer Telefonzelle über den Bom-benanschlag auf das Büro der SWISSAIR an seineRedaktion berichten will. „Verantwortung”: „3. Okto-ber”.

30. Dezember 1980 BeirutBombenanschlag gegen das Büro der „Credit Suisse”.ASALA und „3. Oktober” streiten um die Urheber-schaft.

2. Jänner 1981 BeirutIn einem Pressecommunique droht die ASALA allenschweizerischen Diplomaten wegen der „schlechtenBehandlung, die Suzi und Alex in der Schweiz wider-fährt”; ein paar Tage darauf erklärt die ASALA, denSchweizern bis 15. Jänner „Bedenkzeit” zu geben.

14. Jänner 1981 ParisIm Auto von Botschaftsrat Ahmet Erbeyli explodierteine Bombe. Obwohl der Wagen völlig zerstört wird,bleibt Erbeyli am Leben. Für den Mordanschlagzeichnet eine Gruppe „Alex JenikomechianKommando”, aber auch die ASALA „verant-wortlich”.

27. Jänner 1981 MailandDie Büros der SWISSAIR und des SchweizerischenFremdenverkehrsbüros werden durch eine Bomben-explosion beschädigt, zwei Passanten verwundet. Ineinem Rundruf an alle lokalen Blätter bezeichnet sichdie Gruppe „3. Oktober” als „verantwortlich”.

3. Februar 1981 Los AngelesIm schweizerischen Konsulat kann eine Bombe ent-schärft werden. Die Terroristen „teilen mit”, dieAnschläge würden „so lange fortgesetzt, bis unserFreund Suzy Mahseredian freigelassen wird”.

5. Februar 1981 ParisBombenexplosion in den Büros von TWA und AirFrance. Ein Verletzter, schwerer Sachschaden. Urhe-ber: „Die armenische nationalistische Bewegung vom3. Oktober”.

4. März 1981 ParisZwei Terroristen eröffnen das Feuer: es gilt Re§atMorali (Arbeitsattache) und Teceli Ari (Attache fürreligiöse Angelegenheiten an der türkischen Bot-schaft) sowie dem Repräsentanten der AnadoluBankasi, Ilkay Karakoc. Als die drei Türken schonfast entkommen und Re§at Morali sowie IlkayKarakoc in ein Cafe flüchten können, werden sie vomEigentümer wieder auf die Straße gestoßen. Karakockann fliehen, Morali wird vor dem Cafe ermordet.Tecelli Ari, der schon als erster angeschossen wurde,starb kurz darauf. Zahllose Zeugen - doch niemandkonnte sich „erinnern” wie die Mörder ausgesehenhatten. Die Gruppe „Schahan Natali” der ASALAzeichnete „verantwortlich”.

12. März 1981 TeheranEine Gruppe ASALA-Terroristen versucht, die türki-sche Botschaft zu besetzen und ermordet dabei zweiWachen. Zwei Attentäter werden gefaßt und von denPersern hingerichtet. ASALA zeichnete „verantwort-lich”.

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3. April 1981 KopenhagenCavit Demir, der Arbeitsattache an der türkischenBotschaft, wird spät abends bei seiner Heimkehr vomBüro vor seiner Wohnung zusammengeschossen undschwer verwundet. Eine ganze Serie von Operationenrettet ihm das Leben. ASALA und JCAG reklamieren„Verantwortung”.

3. Juni 1981 Los AngelesBomben verhindern den Auftritt einer türkischenVolkstanzgruppe. Ähnliche Bombendrohungen ver-hindern auch den Auftritt der Gruppe in San Fran-cisco.

9. Juni 1981 GenfMehmet Savas Yerguz, Konsularbeamter, wird vondem armenischen Terroristen Mardiros Jamgotschianermordet. Die Verhaftung des ASALA-Terroristenführt zur Bildung einer neuen Terrorzelle - des „9.Juni”. Sie wird für eine Serie, neuer Anschläge„Verantwortung” tragen . . .

11. Juni 1981 ParisEine Gruppe armenischer Terroristen besetzt unterder Führung von Ära Toranian die Büros der THY.Die französischen Behörden sehen dem Terroran-schlag zunächst tatenlos zu und greifen erst nachenergischem Protest der türkischen Botschaft ein.

19. Juni 1981 TeheranBombenexplosion bei der SWISSAIR. Der „9. Juni”zeichnet „verantwortlich”.

26. Juni 1981 Los AngelesBombenexplosion vor den Büros der Schweizeri-schen Banking Corporation. Es war wieder der „9.Juni” . . .

19. Juli 1981 BernBombenexplosion vor dem Schweizerischen Parla-ment. „9. Juni” . . .

20. Juli 1981 ZürichWieder schlägt der „9. Juni” zu: eine Bombe explo-diert in einer Paßfoto-Zelle am Flughafen Zürich-Klo-ten.

21. Juli 1981 Lausanne20 Frauen werden verwundet, als eine von Armenierngelegte Bombe in einem Warenhaus explodiert. („9.Juni”)

22. Juli 1981 GenfEine Bombe explodiert in einem Schließfach des Bahn-

hofs. Man vermutet einen fehlgegangenen Anschlagdes „9. Juni”.

22. Juli 1981 GenfEine Stunde später explodiert abermals eine Bombein einem Bahnhofs-Schließfach. Da das Geländewegen der vorhergegangenen Explosion noch abges-perrt war, gibt es glücklicherweise keine Verletzten.

11. August 1981 KopenhagenZwei Bomben zerstören das Büro der SWISSAIR.Ein amerikanischer Tourist wird dabei verwundet.Der „9. Juni” übernimmt die „Verantwortung”.

20. August 1981 Los AngelesVor dem Büro der „Swiss Precision Instruments”explodiert eine Bombe. Urheber: „9. Juni”, spezielleTerrorgruppe der ASALA.

20. August 1981 ParisExplosion bei ALITALIA. Die Terrorgruppe „3.Oktober” bringt sich in Erinnerung.

15. September 1981 KopenhagenZwei Personen werden schwer verletzt, als eineBombe vor dem Büro der THY explodiert. Ein weit-erer Explosivkörper kann rechtzeitig entschärft wer-den. Urheber: „Die 6. armenische Befreiungsarmee”.

17. September 1981 TeheranEine Bombenexplosion beschädigt das Gebäude derSchweizerischen Botschaft. (ASALA, „9. Juni”).

24. September 1981 ParisVier armenische Terroristen besetzen das türkischeKonsulat in Paris. Während des Eindringens werdenKonsul Kaya Inal und der Sicherheitsmann CemalÖzen schwer verwundet.Die Terroristen nehmen 56 Geiseln, zwei von ihnenwerden leicht verletzt. Als die Terroristen endlich denAbtransport von Kaya Inal und Cemal Özen erlauben,ist es für den Beamten schon zu spät: er stirbt im Spi-tal. Da der Forderung nach Freilassung armenischerTerroristen naturgemäß nicht nachgegeben wird, ver-langen sie den Status als „politische Häftlinge”. AlleTerroristen kamen aus dem Libanon und gehörten derASALA an.

3. Oktober 1981 GenfDas Hauptpostamt und das Kantonsgericht sind Zielarmenischer Bombenanschläge . . . im Gerichtsge-bäude war eine Verhandlung gegen einen armeni-schen Terroristen anhängig. Ein Verletzter. Urheber:die ASALA-Filiale „9. Juni”.

25. Oktober 1981 RomFeuergefecht zwischen einem armenischen Terrori-sten und dem Zweiten Sekretär der Türkischen Bot-schaft, Gökberk Ergenekon, der trotz seiner Verwun-dung bei dem Überfall sein Auto verläßt und den Ter-roristen anschießt, der aber flüchten kann. Die Terror-organisation „24. September”, ein Zweig derASALA, übernimmt die „Verantwortung”.

25. Oktober 1981 ParisDas elegante Restaurant „Fouket’s” wird Ziel einesarmenischen Bombenanschlags. Urheber: „Septem-ber-France”.

26. Oktober 1981 ParisDie gleiche Gruppe läßt vor dem Restaurant „LeDrugstore” eine Autobombe hochgehen.

27. Oktober 1981 Paris„September-France” verübt ein Bombenattentat aufdem Flughafen Paris-Roissy.

27. Oktober 1981 ParisEine zweite Bombe explodiert in einem Aufzug desFlughafens Paris-Roissy. Keine Verletzten. Urheber:„September-France”.

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28. Oktober 1981 ParisDie gleiche Gruppe verübt einen Bombenanschlag ineinem Film-Theater. Drei Verletzte.

3. November 1981 MadridDrei Verletzte bei einer Explosion im Büroder SWISSAIR. Schwerer Sachschaden bei denumliegenden Gebäuden. Urheber: ASALA.

5. November 1981 ParisEin Verletzter bei einer Bombenexplosion auf demGare de Lyon. Urheber: die armenische „Orly-Organi-sation”.

12. November 1981 BeirutGleichzeitige Bombenexplosionen vor drei französi-schen Ämtern: vor dem Kulturinstitut, der AIRFRANCE sowie dem Haus des Konsuls. Urheber: die„Orly-Organisation”. Sie verdankt ihren Namen derTatsache, daß die französische Polizei auf dem Flug-hafen von Paris-Orly einen Armenier wegen seinergefälschten Papiere festgenommen hatte; der Mannsollte, wie in anderen Fällen auch, „freigebombt”werden . . .

14. November 1981 ParisEin Auto wird nahe des Eiffelturms zerbombt.„Orly” . . .

November 1981 „Orly” beschießt eine Gruppe Touristen, die ein Seine-Boot verlassen wollen.

November 1981 Die „Orly-Gruppe” droht, ein AIRFRANCE-FLUGZEUG während des Fluges mitallen Passagieren in die Luft sprengen zu wollen.

15. November 1981 BeirutDrei französische Ziele werden gleichzeitig angegrif-fen: das Büro der Union des Assecurances de Paris,das der AIR FRANCE sowie das der Banque Libano-Francaise. Urheber: „Orly”.

15. November 1981 ParisEin McDonald’s-Restaurant wird von „SeptemberFrance” zerstört.

16. November 1981 ParisEine Bombenexplosion verletzt zwei völlig unbetei-ligte Menschen auf dem Gare de l’Est. „Orly” über-nimmt die „Verantwortung”.

18. November 1981 Paris„Orly” kündigt eine Explosion auf dem Pariser Nord-bahnhof an, doch wird keine Bombe gefunden.

20. November 1981 Los AngelesDas türkische Konsulat von Beverly Hills wird schw-er beschädigt. Bombenleger: die CCAG.

13. Jänner 1982 TorontoASALA verursacht mit einer Bombenexplosion imtürkischen Konsulat schweren Sachschaden.

17. Jänner 1982 GenfBombenexplosionen - die Urheberschaft reklamierenASALA und der „9. Juni”. Keine Verletzten, bloß zer-störte Autos.

17. Jänner 1982 ParisBombenexplosion in der „Union des Banques”, kurz-darauf bei „Credit Lyonnais”. Da war wieder „Orly”am Werk.

19. Jänner 1982 ParisBombenexplosion im AIR-FRANCE-Büro des Palaisdes Congres. Es war wieder „Orly”.

28. Jänner 1982 Los AngelesKemal Ankan, der türkische Generalkonsul, fälltwährend der Fahrt zu seinem Arbeitsplatz demarmenischen Terrorismus zum Opfer. Sein Mörder,ein Neunzehnjähriger (!), wird gefaßt und zulebenslangem Kerker verurteilt; sein Komplize, gle-ichfalls ein libanesischer Armenier, namens KrikorSaliba, entkommt. Der neunzehnjährige HampigSassunian ist wie ein trauriges Symbol für diearmenische Terrorszene zu betrachten: Nicht derjugendliche Mörder ist schuldig, sondern seine teu-flischen Hintermänner, die wider besseres Wissenund Gewissen ihre jungen Opfer in die Terrorszenehetzen und sie zu seelischen Krüppeln und schließlichMördern werden lassen.

22. März 1982 Boston (Cambridge, Mass.)Vorspiel zu einem grauenhaften Mord: der türkischeGeneralkonsul in Boston besitzt einen Laden, der indie Luft gesprengt wird. Gleichzeitig erhält er einUltimatum: entweder er legt seine Würde zurück,oder er wird „hingerichtet”. Orhan Gündüz lehnt ab.„Verantwortung” - das Wort scheint sich zu sträuben,in so einem Zusammenhang zitiert zu werden —übernimmt die JCAG.

26. März 1982 BeirutZwei Tote bei einer Bombenexplosion in einem Kino,das gelegentlich türkische Filme zeigte. 16 Verwun-dete. Ein ASALA-Anschlag.

8. April 1982 OttawaKani Gungor, Handelsdelegierter der türkischen Bot-schaft in Kanada, wird bei einem Anschlag in derGarage seines Wohnhauses von armenischen Terrori-sten schwer verwundet. Ein ASALA-Attentat.

24. April 1982 DortmundMehrere türkische Geschäftsleute fallen armenischenTerroranschlägen zum Opfer. Die „Neue armenischeWiderstandsorganisation” zeichnet „verantwortlich”.

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4. Mai 1982 Boston (Cambridge, Mass.)Orhan Gündüz, türkischer Honorarkonsul in Boston,hat dem Ultimatum der armenischen Terroristen, sei-nen ,Honorarkonsul’-Titel zurückzulegen, nichtgebeugt. Nun wird er überfallen, kaltblütig abge-knallt. Präsident Ronald Reagen ordnet persönlicheine umfassende Untersuchung an. Vergeblich. EinAugenzeuge, der eine Personenbeschreibung desTäters geben könnte, wird niedergeschossen. Er über-lebt . . . schweigt aber fürderhin. Einer der scheuß-lichsten „Triumphe” des sinn- und hirnlosen armeni-schen Terrors. Denn: das Morden bringt absolutnichts - außer Selbstbestätigung innerhalb der inSelbstbefriedigung versinkenden armenischen Ter-rorszene.

Wenn solche Spuren eines Mörders bleiben - wie hier im Falle desMordes am türkischen Honorarkonsul Orhan Gündüz (Boston,Mai 1982), ist es schon viel: eine 357 Magnum sowie eine 9-mm-Handfeuerwaffe und eine von dem Verbrecher benützteJoggerbluse blieben am Tatort zurück. Nach den Angaben einesAugenzeugen fertigte die Polizei ein Phantombild an und Fernse-hen und Presse beteiligten sich an der Jagd nach dem Attentäter.Als der Zeuge allerdings niedergeschossen wurde und denAnschlag nur knapp überlebte, versiegten alle Hinweise aus derBevölkerung. Ergebnis: der Mörder des Orhan Gündüz wurde niegefaßt.

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4. Mai 1982 GenfBomben explodieren in zwei Bankfilialen. Urheber:eine armenische „Welt-Strafexpedition”.

18. Mai 1982 TorontoVier Armenier werden verhaftet. Sie wollten für dieTerrorszene Geld außer Landes schmuggeln, das vor-her, wie weltweit üblich, Armeniern abgepreßt wor-den war. Im Zuge der Untersuchungen stellte sichheraus, daß die Terroristen das Haus eines Armeniers,der sich geweigert hatte, seinen „Beitrag” zumarmenischen Terror zu leisten, mit Hilfe von Brand-bomben dem Erdboden gleichgemacht worden war.

18. Mai 1982 Tampa (Florida)Nag Karahan, türkischer Honorarkonsul, verteidigtmit der Pistole in der Hand sein Büro. Die armeni-schen Terroristen fliehen.

18. Mai 1982 Los AngelesDer Schweizerische Bankverein wird von einer arme-nischen Bombe beschädigt. Verdächtige: vier polizei-bekannte armenische Terroristen, die der ASALAangehören.

26. Mai 1982 Los AngelesDrei Angehörige der ASALA werden verhaftet, alssie soeben eine Bombe im AIR CANADAFrachtbüro legen.

7. Juni 1982 LissabonErkut Akbay, Verwaltungsattache an der türkischenBotschaft, und seine Frau Nakide werden vor ihremWohnhaus umgebracht. JCAG übernimmt die „Ver-antwortung”.

1. Juli 1982 RotterdamKemalettin Demirer, türkischer Generalkonsul inRotterdam, wird von vier armenischen Terroristenüberfallen. Die „Armenische Rote Armee”beansprucht die „Verantwortung”. Oder was siedarunter verstehen.

21. Juli 1982 Paris16 Verwundete nach einer Bombenexplosion ineinem Cafe auf der Place Saint-Severin. Urheber:„Orly”. Ursache: „Orly” beklagt sich darüber, daß dieFranzosen die armenischen gefangenen Terroristennicht als „politische Gefangene”, sondern alsgewöhnliche Verbrecher behandeln.

26. Juli 1982 Paris„Orly” verwundet zwei Frauen bei einem Bombenan-schlag auf das Pub „Saint-Germain”.

2. August 1982 Pierre Gulumian, ein armenischer Ter-rorist, tötet sich selbst, als ihm beim Hantieren miteiner Bombe die tödliche Ladung unter den eigenenHänden explodiert.

7. August 1982 Ankara, Flughafen EsenbogaZwei armenische Terroristen eröffnen auf dem Flug-hafen von Ankara das Feuer auf wartende Reisende.Als einer der Massenmörder von der Polizei gefaßtwird, nimmt der andere 24 Menschen als Geisel. Ins-gesamt fallen den skrupellosen, von ihren „Lehrern”perfekt indoktrinierten Killern 9 Menschenleben zumOpfer, zweiundachtzig Menschen wurden, zum Teilschwer, verwundet. Der überlebende Terrorist LevonEkmekian, der seine Untat vor seiner Hinrichtungerkannt hat, richtete einen flammenden Appell anseine jungen Genossen, von dem Mordprogramm, dasauf Irreführung beruhe, Abstand zu nehmen.

Levon Ekmekdschian (übrigens ein türkischer Name, der soviel wie Bäckersohn bedeutet) war einer der beidenMassenmörder von Ankara. Im Zuge eines Feuerüberfalls aufvöllig unbeteiligte Fluggäste starben neun Menschen, 82Personen wurden zum Teil sehr schwer verletzt. Der ASALA-Attentäter, der das Feuergefecht mit den Sicherheitskräftenüberlebte, wurde vor Gericht gestellt und hingerichtet.So wie alle diese bedauernswerten Attentäter, die Opfer einerumfassenden Indoktrinierung durch ihre Auftraggeber sind,war auch er zunächst von der „Rechtmäßigkeit” seinerHandlungsweise überzeugt. Er hat allerdings während seinerHaft eine völlig andere Haltung eingenommen und einenAppell an seine Landsleute gerichtet, diese sinnlosenMordtaten zu unterlassen.

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8. August 1982 ParisEine Bombe wird rechtzeitig entschärft. „Orly” be-dauert die Entdeckung.

12. August 1982 ParisTerroristen eröffnen das Feuer auf einen Polizisten,der den türkischen Fremdenverkehrsbeauftragtenbewacht. Der Mann entkommt glücklicherweiseunverletzt.

27. August 1982 OttawaOberst Attila Altikat, Militärattache an der türkischenBotschaft, gerät in einen armenischen Feuerüberfall,entkommt aber unverletzt.

9. September 1982 Burgas (Bulgarien)Bora Sülkan, Verwaltungsrat am türkischen Konsulatvon Burgas, wird vor seinem Hause ermordet. DerAttentäter hinterläßt eine „Botschaft”: „Wir erschos-sen einen türkischen Diplomaten. Kampfeinheit derGerechtigkeitspartei gegen den Armenischen Völker-mord”. Ein anonymer Anrufer nannte eine Teilorgani-sation der ASALA-Zentrale in Beirut als „verantwort-lich”.

26. Oktober 1982 Los AngelesFünf armenische Terroristen stehen vor Gericht, weilsie das Büro des türkischen Honorarkonsuls in Phila-delphia in die Luft sprengen wollten. Alle gehörtender JCAG an.

8. Dezember 1982 AthenZwei motorisierte Armenier bombardieren das Büro derSAUDI ARABIAN AIRLINES. Ein Explosivkörpertraf eine Starkstromleitung und tötete den Terroristen.Sein Komplize, ein iranischer Armenier namensVahech Kontaverdian, wurde verhaftet. Es stellte sicheindeutig heraus, daß die beiden im Auftrag derASALA gehandelt hatten, weil Saudi-Arabien mit derTürkei freundschaftliche Beziehungen pflege . . .

21. Jänner 1983 Anaheim, KalifornienIn einer armenischen Bäckerei in Anaheim werdenneun „äußerst wirkungsvolle” Bomben sichergestellt,nachdem den Armeniern eine Bombe unfreiwillig los-gegangen war und einen Großbrand verursacht hatte.

22. Jänner 1983 ParisZwei Terroristen greifen das THY-Büro mit Handgra-naten an. Sachschaden, keine Verletzten, „Verant-wortlich”: die ASALA.

22. Jänner 1983 ParisDie französische Polizei entdeckt rechtzeitigeine starke Bombenladung in der Nähe des THY-Schalters in Paris-Orly.

2. Februar 1983 BrüsselBombenanschlag gegen das THY-Büro. „Verantwort-lich”: die „Neue armenische Widerstandsorganisa-tion”.

28. Februar 1983 LuxemburgEine Bombe in der türkischen Botschaft wirdrechtzeitig entschärft. Der „Armenian Reporter” inNew York berichtet, Urheber sei eine „NeueArmenische Widerstandsorganisation”.

28. Februar 1983 ParisBombenexplosion im „Marmara-Reisebüro”. EinFranzose, Angestellter der Firma, Renee Martin,kommt bei dem Anschlag ums Leben, vier weitereFranzosen werden dabei verwundet. Wenige Minutennach dem Attentat „bekannte” sich die ASALA zudem mörderischen Anschlag.

9. März 1983 BelgradGalip Baikar, türkischer Botschafter in Jugoslawien,wird in Belgrad ermordet. Necaty Kayar, seinenChauffeur, trifft ein Schuß in den Magen. Bürger derStadt Belgrad verfolgten die Mörder mutig. Ein jugo-slawischer Oberst wird niedergeschossen, ein Polizistverhaftet einen der Attentäter. Der zweite Armenierschoß während der Flucht einen jungen Studentenund ein Mädchen nieder, beide erlagen ihren Verlet-zungen. Sowohl Krikor Levonian als auch Raffi Elbe-kian - die Mörder - wurden verhaftet und verurteilt.

31. März 1983 FrankfurtBombendrohung gegen die Redaktion des „TER-CÜMAN”.

24. Mai 1983 BrüsselBombenexplosion vor dem türkischen Kulturinstitutund dem türkischen Fremdenverkehrsbüro. Der italie-nische Direktor wird verwundet. Urheber: ASALA.

16. Juni 1983 IstanbulArmenische Terroristen greifen mit Handgranatenund automatischen Waffen im Basar von Istanbul an.Zwei Tote, 21 Verwundete. Eine ASALA-Verantwort-lichkeit.

8. Juli 1983 ParisDas „British Council” wird von armenischen Terrori-sten angegriffen. Ursache: in London stehen armeni-sche Terroristen vor Gericht.

14. Juli 1983 BrüsselDursun Aksoy, Verwaltungsattache an der türkischenBotschaft, wird ermordet. Gleich drei Terrorgruppenbewerben sich um die Schande, die Mördereinheitgestellt zu haben: ASALA, JCAG und eine „Armeni-sche Revolutionäre Armee”.

15. Juli 1983 ParisBombenexplosion am Schalter der THY in Paris-Orly. Acht Tote, mehr als 60 Verwundete. Einachtund-zwanzigjähriger syrischer Armenier gestehtden Massenmord: Waradian Garbidian. Er gestehtauch, daß geplant war, die Bombe erst während desFluges explodieren zu lassen.

15. Juli 1983 LondonEine Bombe wie jene von Orly wird rechtzeitig ent-deckt. „Verantwortlich” für beide Anschläge zeichnetdie ASALA.

18. Juli 1983 LyonBombendrohung der ASALA gegen den LyonerHauptbahnhof.

20. Juli 1983 LyonPanikartige Evakuierung der Eisenbahnstation Perra-che in Lyon nach Bombendrohung der ASALA.

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22. Juli 1983 TeheranBombenattacke der „Orly” gegen französische Bot-schaftsgebäude und die Air France.

27. Juli 1983 LissabonFünf armenische Terroristen versuchen, die türkischeBotschaft zu stürmen. Als es mißlingt, das Kanzler-büro zu besetzen, dringen sie in die Residenz ein undnehmen den Geschäftsträger sowie dessen Familie alsGeiseln. Unter den Händen der Terrorgruppe explo-dieren die mitgebrachten Bomben; vier der Verbrecherund die Frau des Geschäftsträgers, Cahide Micioglu,werden in Stücke gerissen; Yurtsev Micioglu und seinSohn werden verletzt. Der fünfte Terrorist war beimSturm auf das Gebäude von einem türkischen Sicher-heitsbeamten erschossen worden. Auch ein portugie-sischer Polizist kam ums Leben, ein anderer wurdeverwundet. „Verantwortlicher” für das Massaker wareine Terrorgesellschaft namens „ARA”.

28. Juli 1983 LyonNeuerliche Bombendrohung gegen die Eisenbahnsta-tion Perrache (ASALA).

29. Juli 1983 TeheranDrohung eines Raketenangriffs gegen die türkischeBotschaft. Der Iran verstärkt Maßnahmen zur Kon-trolle der Armenier.

31. Juli 1983 Lyon und RennesBombendrohungen armenischer Terroristen zwingenzwei Linienflugzeuge mit 424 Passagieren zurNotlandung.

10. August 1983 TeheranBombenexplosion in einem Auto vor der französi-schen Botschaft. Die ASALA „bekennt” sich zu demAnschlag.

25. August 1983 BonnIn einer ganzen Serie von Bombenanschlägen gegenfranzösische Konsulate kommen zwei Menschen umsLeben, 23 andere werden verwundet. Die ASALAzeichnet „verantwortlich”.

9. September 1983 TeheranBombenangriff gegen die französische Botschaft.Zwei Passanten werden verwundet. Urheber: die„Orly”-Gruppe.

1. Oktober 1983 MarseilleEine Bombenexplosion zerstört die Pavillonsder Sowjets, der USA und Algeriens auf derInternationalen Handelsmesse. Ein Toter, 26Verwundete. ASALA und „Orly” „bekennen” sich zudem Anschlag.

6. Oktober 1983 TeheranZwei Verwundete bei einem Bombenanschlag aufeinen Wagen der französischen Botschaft. „Orly”.

29. Oktober 1983 BeirutHandgranatenangriff gegen die französische Bot-schaft. Einer der ASALA-Attentäter wird gefaßt.

29. Oktober 1983 Drei armenische Terroristen greifendie türkische Botschaft an. Einer der Attentäter,Sarkis Danielian, wird von den türkischen Wachendingfest gemacht: der arme Kerl ist ganze 19 Jahre alt. . . und die „Verantwortung übernahm ASALA”.

4. Februar 1984 ParisArmenische Bombendrohung gegen die New-York-Maschine der Air France.

28. März 1984 TeheranEine zeitlich genau konzertierte Aktion gegen türki-sche Diplomaten wird generalstabsmäßig durchge-führt:Zwei armenische Terroristen schießen auf IsmailPamukcu, Mitglied der Militärmission, und verwun-den ihn schwer.Hasan Servet Oktem, Erster Botschaftssekretär, wirdbeim Verlassen seines Hauses angeschossen. IbrahimÖzdemir, Verwaltungsattache, kann dieDingfestmachung von zwei Armeniern veranlassen.Nachmittags werden nochmals zwei Terroristen vorder Botschaft verhaftet.Ein armenischer Terrorist fliegt mitsamt seinerBombe in die Luft, als er sie im Auto des türkischenHandelsrates befestigen will. Der Tote wird als SultanGrego-rian Semaperdan identifiziert (ASALA).

29. März 1984 Los AngelesDie ASALA schickt eine schriftliche Attentatsdrohunggegen türkische Sportler, die an der Olympiade teil-nehmen werden.

8. April 1984 ASALA verschickt ein „Communique”: siebetrachtet alle Linienmaschinen, die die Türkeianfliegen, als „militärische Ziele”.

26. April 1984 AnkaraPremierminister Turgut Özal empfängt eine ASALA-Drohung: während seines Iranbesuches werde einegrößere „Aktion” gegen die Türkei beginnen.

28. April 1984 TeheranZwei Motorradfahrer eröffnen das Feuer auf Isik Yon-der und dessen Frau Sadiye, als er zu seinem Arbeits-platz in der türkischen Botschaft fährt. Isik Yonderwird tödlich getroffen. ASALA „bekennt” sich zudem neuen, völlig sinnlosen Mord.

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20. Juni 1984 WienErdogan Özen, Arbeits- und Sozialattache an der tür-kischen Botschaft in Wien, wird Opfer der armeni-schen Terroristen, als eine Bombe in seinem Wagenexplodiert. Fünf Menschen werden verwundet, unterihnen ein wachhabender Polizist, der unter den Fol-gen der Explosion besonders zu leiden hat. Ehre sei-ner Frau, die treu zu ihm steht, alles für ihn tut.„ARA”-Terroristen „bekennen” sich zu der Untat.Persönliche Bemerkung des Autors: Es war dieses Attentat, das in mir spontan den Entschlußweckte, etwas gegen diesen Wahnsinn zu unternehmen,da ich Erdogan Özen, einen besonders liebenswürdigen,arglosen Menschen, der nichts mehr liebte als seine Frauund seinen zwölfjährigen Sohn und seine Sozialarbeit,gut kannte; er war mir ein verehrungswürdiger Freund,ein anständiger feiner Kerl. R. I. P.

Den Attentätern sei verziehen: sie wußten nicht, wen sietöteten, sonst hätten sie es bestimmt nicht getan.

Monika Özen, eine gebürtige Salzburgerin, mit ihrem zwölfjähri-gen Sohn Murad Özen bei der Überführung des Leichnams vonErdogan Özen nach Istanbul auf dem Wiener Flughafen . . . SohnMurad und Frau Monika bildeten den Lebensinhalt des ErdoganÖzen, der sonst in seiner Aufgabe, die türkischen Gastarbeiter inÖsterreich zu betreuen, voll aufging.

Anatomie einer sinnlosen Untat: Mittwoch den 20. November1983 erreicht der Arbeits- und Sozialattache der türkischen Bot-schaft um dreiviertel neun seinen Arbeitsplatz. Er parkt seinenWagen vor einer Seitenfront des Botschaftsgebäudes, begrüßt denwachhabenden Polizisten . . . und dann explodiert eine ferngezün-dete Bombe.Das Auto wird in die Luft geschleudert, kommt schließlich ver-kehrt zum Stehen, und Erdogan Özen ist tot . . . sein Körper biszur Unkenntlichkeit verkohlt; der Wachhabende, der 62jährigePolizist Leopold Smetacek, geriet in den Feuerstrahl der Explo-sion . . . er wird monatelang mit dem Tode ringen, sein Gesicht istvöllig verbrannt. Mehrere Passanten werden verletzt. Die„Armenische Revolutionäre Armee” - Kürzel „ÄRA” - über-nimmt wieder einmal die „Verantwortung”. Der Mörder warsicherlich von der „Gerechtigkeit” seiner Tat überzeugt; wahr-scheinlich hat er von den wahren Hergängen und den Hinter-gründen der Tragödie seines Volkes während des Ersten Welt-krieges keine Ahnung - das einzige, was er weiß, sind die ihmeingetrichterten Lehren vom „häßlichen Türken”. Geschichte -falsch verstandene Geschichte - als Motiv für unmenschlicheTaten: das ist im Umfeld der Terrorszene einmalig.(Foto: Neue Kronenzeitung)

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25. Juni 1984 Los AngelesEine französische Agentur erhält die Warnung, daßalle, Regierungen, Organisationen, Firmen, Individu-en . . . kurzum alle, die dem türkischen Olympiateambehilflich sein sollten, auf die Abschußliste des arme-nischen Terrors kommen.

14. Juli 1984 BrüsselDursun Aksoy, Verwaltungsrat an der türkischen Bot-schaft, wird umgebracht. „ASALA” übernimmt die„Verantwortung”.

13. August 1984 LyonBombenanschlag auf den Bahnhof. Erheblicher Sach-schaden; ein ASALA-Attentat.

September 1984 TeheranNach Erhalt von Drohbriefen kommen türkische Fir-men im Iran ins Schußfeld. Erstes Opfer wird dieSezai Türkes Comp.; während der Löscharbeitenwird ein türkischer Angestellter verletzt. Eine Kettevon „kleineren” Einschüchterungsanschlägen folgt -selbstverständlich ohne politisches Ergebnis.

1. September 1984 TeheranDie iranischen Behörden decken ein armenis-ches Mordkomplott gegen Ismet Birsel, dentürkischen Botschafter, auf.

3. September 1984 IstanbulZwei armenische Terroristen sterben, als eine ihrerBomben zu früh losgeht. Im Hintergrund: ÄRA.

19. November 1984 WienEnver Ergun, Botschafter bei den Vereinten Nationen,wird während der Fahrt ins Büro kaltblütig „abge-schossen”. Der Attentäter legt eine Flagge mit denBuchstaben „A. R. A.” über den Leichnam.Persönliche Bemerkung:Ich kannte Enver Ergun nicht, aber ich kenne seineFrau. Sie betrauert ihren Mann - einen treuen, auf-rechten Ehepartner, einen Geliebten und Freund. Sieist ohne jedwedes Haßgefühl gegen die Mörder ihresMannes. Im Gegenteil: sie hat Mitleid mit demunwissenden (wahrscheinlich sehr jungen) Attentäter,der meinte, für eine „gerechte Sache” morden zumüssen. Fluch den Hintermännern, den Verführerndieser weitgehend unschuldigen „Kämpfer” - oderwie immer sie sich nennen mögen - für eine ebensoungerechte wie unmenschliche Sache.

Die türkische Presse reagiert mit Verbitterung - und Unverständ-nis - auf die armenischen Terroranschläge in Österreich: „Die 3.Schandtat in Wien”, schreibt der Hürriet; es handelt sich um den3. Mord nach der „Hinrichtung” von Botschafter Danis Tuna-ligil(1975) und Arbeitsattache Erdogan Özen (1984), als der türkischeBotschafter bei den Vereinten Nationen in Wien, am 19.November 1984, auf offener Straße ermordet wird. Das„Phantombild” der Polizei ist so dürftig wie die Ergebnisse derNachforschungen: außer dem Bekenneranruf der A. R. A. gibt eskeine Spuren, der Mörder läuft noch immer frei herum.

Dezember 1984 BrüsselEin Attentat auf Selcuk Incesu, türkischenBotschaftsangestellten, wird rechtzeitig verhindert.

29. Dezember 1984 BeirutBombenangriff gegen zwei französische Anwesen.ASALA reklamiert „Verantwortung”.

29. Dezember 1984 ParisDie Polizei verstärkt ihre Sicherheitsmaßnahmen aufdem Charles-de-Gaulle-Flughafen, nachdem neuerli-che armenische Bombendrohungen einlangen.

3. Jänner 1985 BeirutDie Büros der Agence France Press werden durch einen

armenischen Bombenangriff schwer beschädigt. 3. März 1985 Paris

AFP erhält einen Drohanruf: Alle, die in den Prozeßgegen die Orly-Attentäter irgendwie verwickelt sind,mögen sich „in acht nehmen”.

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12. März 1985 OttawaDrei schwerbewaffnete armenische Terroristen stür-men die türkische Botschaft und ermorden dabei denSicherheitsmann - den Kanadier Fred Pinkerton.Nachdem sie das Tor sprengten, dringen sie in dieBotschaft ein. Botschafter Coskun Kirca kannentkommen, verletzt sich aber bei der Flucht schwer.Während der folgenden, vierstündigen Belagerungmuß er regungslos - trotz seiner Verletzungen - aufdem eiskalten Betonboden des Hofes liegen.Schließlich geben die Terroristen auf und lassen dieGeiseln - darunter die Frau und die Tochter desBotschafters - frei. Drei Terroristen wird der Prozeßgemacht. „Verantwortlich”: ÄRA.

26. März 1985 TorontoBombendrohung gegen die Untergrundbahn. Arme-nische Terroristen erzwingen die vollständige Lahm-legung des Verkehrssystems während der Spitzenzeitdes Berufsverkehrs. „Verantwortlich” zeichnet eineTerrororganisation für die „Befreiung des Heimatlan-des”.

November 1985 BrüsselEine Spezialeinheit der belgischen Polizei enttarntund verhaftet eine Dreiergruppe armenischerTerroristen mit portugiesischen Pässen. Sie planteneinen Anschlag gegen türkische Offiziere im NATO-Haupt-quartier.

28. November 1985 ParisDie französische Polizei verhaftet den Führer der ame-rikanisch-armenischen Terrororganisation ASALA-RM (Geheime armenische Armee für die BefreiungArmeniens - Revolutionäre Bewegung).Monte Melkonian, Rädelsführer der ASALA-RM,war früher die rechte Hand des Hagop Hagopian*,Gründer der ASALA, bis er nach dem Orly-Attentatseine eigene Organisation (die RM) gründete. ImHause Hagopians wurden nicht nur Waffen, Munitionund Bomben gefunden, sondern auch Unterlagen zueinem bevorstehenden Schlag gegen türkische Passa-gierschiffe. Auch ein Foto des türkischen Botschafterswurde gefunden; wahrscheinlich war ein Mordan-schlag gegen Adnan Bulag geplant.

Dezember 1985 Paris41 Geschäftsleute werden verletzt, als eine Kette vonBombenexplosionen in der berühmten Geschäfts-straße Galerie Lafayette & Printemps explodiert. InPanik flüchten etwa 10000 Menschen, die ihre Weih-nachtseinkäufe tätigten, auf die Straße. Zwölf Men-schen werden dabei zusätzlich verletzt. ASALArühmt sich des Attentats.In New York meint die Zeitung schon am 12. Dezem-ber, daß ASALA hinter diesem Anschlag steckt.

23. November 1986 Melbourne/Australien2.15 Uhr, Explosion vor dem türkischen Generalkon-sulat.1 Toter (vermutlich der Bombenleger) und ein austra-lischer Verletzter.

Die Schlagzeile von „TIME” vom September 1986 „PARIS INFEAR” (Paris in Angst) täuscht über die Wirklichkeit hinweg:in Wahrheit waren nämlich die meisten lournalisten undKommentatoren selber mehr als ängstlich bemüht, dieWahrheit zu verdrängen und zu verschweigen, um die allewußten: hinter der grauenhaften Bombenserie vom blutigenSeptember 1986 in Paris steckte die ASALA, die sich desaufgeblasenen und trotzdem genau programmierten Namens„Committee for Solidarity with Arab and Middle East PoliticalPrisoners” (C. S. P. P. A.) bediente, um zu verkünden, was siewollte, nämlich die Freibom-bung des Hauptverantwortlichenfür den mörderischen Bombenanschlag auf dem FlughafenOrly (15. Juli 1983, 8 Tote, 60 Verwundete), VaradschianGarabedian, der sich selbst als der Führer der ASALA inFrankreich bezeichnete.

* Hagop Hagopian - in Wirklichkeit dürfte er MihranMihranian oder Bedros Ohanesian aus Mossul, heißen - warschon einer der Rädelsführer bei dem entsetzlichenTerrorangriff auf die Münchner Olympischen Spiele 1972.

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Gebet der armenisch-apostolischen Kirche um Frieden -eine innerhalb der christlichen Gemeinschaften einmalige

Liturgie.

Kaum eine Kirchengemeinschaft hat unter dem tödlichenEinfluß übersteigerten Nationalgefühls mehr gelitten alsdie armenisch-apostolische, die gregorianische Kirche.Gelang es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein derKirche, das armenische Volk ohne Fanatismus, aber den-noch im stolzen und freien Bekennen armenischer Eigen-art und Einmaligkeit durch die Zeiten zu führen, ohneStaat, aber im Vollbesitz nationalen Selbstbewußtseins,brachte die Entwicklung der Missionen aus Europa undAmerika, die üble Proselytenmacherei christlicherGemeinschaften untereinander, ein Wettrennen im Kampfum die Herzen der Armenier. Schließlich mischten auchnoch die verschiedenen politischen Parteien mit, revolu-tionär, nationalistisch, sozialistisch in ihrem Programmund vollkommen gewissenlos in der Exekutierung ihresirrationalen Vorhabens, ein utopisches Ziel - einengroßarmenischen Nationalstaat - zu erreichen. Die verheerenden Folgen für das armenische Volk sindbekannt. Von drei Opfern der armenischen Terrorkom-mandos sind gleich zwei armenischer Volkszugehöri-gkeit. Das Ergebnis ist ein Vorhang des Schweigens;kaum ein Armenier (außer jenen, die in Sicherheit, also inder Türkei leben) getraut sich, öffentlich gegen denarmenischen Terrorismus aufzutreten.Die Ironie der Geschichte will es, daß die armenischenTerroristen, die gegenüber ihren ursprünglichen Feindbil-dern, den zaristischen oder sowjetischen Russen sowieden osmanischen oder kemalistischen Türken durch ihreSchreckenstaten nichts, aber auch schon gar nichtserreichten - denn weder Russen noch Türken gabenterroristischen Forderungen jemals nach - das erwünschteKlima der Furcht dafür bei ihren eigenen Landsleutenerzeugten. Das muß auch der Grund dafür sein, daß es ausden Reihen der Armenier so gut wie niemals Stimmengegen den Terrorismus gibt - ein sonst völlig unerklärbar-er Tatbestand bei einem Volk vom Intelligenz- undBildungsgrad wie dem der Armenier. Dafür bilden sich -heute wie in den zwanziger Jahren, als es ein „SoghomonTechlirian” Komitee gab, um dem Mörder Talaatsbeizustehen -augenblicklich Zirkel, die Geld sammeln,um einem Mörder unserer Zeit beizuspringen: so geschahes auch im Jahre 1982, als ein zwanzigjähriger armenis-cher Immigrant den türkischen Generalkonsul in LosAngeles, Kemal Arikan, umbrachte.Sofort gab es ein „Hamping Sassunian-Komitee”, dasalles unternahm, um den hinterhältigen Mord zu rechtfer-tigen und nach Möglichkeit ungesühnt zu lassen. Oft las-sen sich auch kirchliche Kreise in dieses schamlose Trei-ben ein, denn der Konkurrenzkampf um die Seelen derarmenischen Emigranten geht auch in der Neuen Weltweiter.Die armenisch-apostolische Kirche in der Türkei hatallerdings aus den Lehren der Vergangenheit ihreSchlüsse gezogen. Sie und die Armenier der Türkeiverurteilen einmütig den Terrorismus, der niemandemnützt als den Terroristen selbst, - und ihren durchTerrorismus stets wohlgefüllten Kassen.

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Erklärung Seiner Seligkeit des Patriarchen SchnorkhKalu-stian zum Problem des Armenischen Terrors undder Lage der armenischen Bevölkerungsgruppe in derTürkischen Republik; Istanbul, Kumkape (ArmenischesPatriarchat) am 27. Mai 1985.

„Wir Armenier bilden heute die größte Minderheit in derTürkei, etwa 50000 Menschen, die hauptsächlich inIstanbul leben, einige sind in Anatolien zerstreut. Dank Gott - es geht uns gut, wir üben unsere Religion freiaus und genießen die gleichen Rechte wie andere türki-sche Bürger.Unsere hauptsächliche Schwierigkeit ist, daß wir hören,wie unschuldige Menschen getötet werden; das beunru-higt uns, wie andere Mitbürger auch. Alle Religionen fühlen sich der Erhaltung menschlichen

Lebens verpflichtet, töten ist in allen Religionen unter-sagt - und als gläubiger Mensch verurteile ich alleAnschläge auf das kostbare menschliche Leben - ichverurteile sie immer wieder.Wir leben hier, wie ich schon sagte, unter glücklichenUmständen, unsere Schulen sind wohlbestallt und nie-mand mischt sich in unser innerkirchliches Leben ein.Wir wollen nur in Frieden leben, in Glück und in diesemLand, und wir wünschen allen, daß auch sie in Friedenleben können.Mögen doch diese unglückseligen Ereignisse endlichaufhören - ich bin sicher, daß alle Verantwortlichenzusammenwirken, um diese Terroranschläge, die in vie-len Ländern stattfinden, zu einem Ende zu bringen. Mögeder Friede Gottes mit allen Menschen guten Willenssein!”

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Eine Feierstunde der armenisch-orthodoxen Kirche auf KinaliAda bei Istanbul unter dem Vorsitz von Patriarch SchnorkhKalustian. Friedlich sitzen die Vertreter der katholischen, chal-däischen, griechisch-orthodoxen, der protestantischen und derunierten Kirche zusammen. Ihr Überleben im Mittleren Osten ver-danken alle diese Kirchen der Tradition der Toleranz, wie sie dieomaijadischen, abbasidischen und vor allem die osmanischenKalifen pflegten; ohne diese Vorherrschaft hätten sich die Kirchenwahrscheinlich gegenseitig ausgerottet. Es gehört zu den trauri-gen Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts, daß der nation-alistische Wettstreit der Kirchen untereinander (wenn vielleichtauch unfreiwillig) die geistigen Voraussetzungen für den national-istischen Wettstreit der revolutionären Gruppierungen schuf.

Ausgewählte Bibliographie

Die Zahl der zum Thema „Armenien” - besonders imHinblick auf die Ereignisse von 1915 - erschienenPublikationen ist Legion. Der Kriegslage von 1915/16entsprechend gibt es, ausgenommen eine im Jahre 1917in Istanbul erschienene Sammlung „Aspirations etAgissements Revolutionnaires des Comites Armeniensavant et apres la proclamation de la ConstitutionOttomane”, die versucht, die damals bekannten Faktenentsprechend der militärischen Lage zu veröffentlichen,so gut wie keine Literatur, welche „die osmanisch-türkische Seite” vertreten würde. Nach der Veröf-fentlichung der - gefälschten -„Telegramme” mit den„Mordbefehlen” des osmanischen Innenministers durchAram Andonian (1922) folgte eine wahre Flut vonVeröffentlichungen zu diesem Thema, die so gut wieausschließlich den armenischen Standpunkt vertreten,während die türkische Seite zu diesem Thema aus völligfalsch verstandener „Position der Unschuld” heraus dasSchweigen vorzog. Das Ergebnis war eine völlig einseit-ige Information der Weltöffentlichkeit, die heute weitge-hend die armenischen Anschuldigungen für bare Münzenimmt, dabei übersieht, daß die Armenier tatsächlichgegen das Osmanische Reich, dem sie angehörten, Kriegführten (ein Faktum, das sie nach dem Kriege sehr heftigunterstrichen, dann aber vergessen machten, als es oppor-tun erschien, „unbewaffnet” dazustehen) und eine end-gültige Aufteilung des Osmanenreiches wie der Türkeibetrieben.In der nachfolgenden Zusammenstellung der bekannte-sten und wichtigsten Bücher zu diesem Thema, die nichtden geringsten Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sindbeide Standpunkte - der türkische wie der armenische -vertreten; in einem Annex wird noch auf die Publikatio-nen von türkischer Seite hingewiesen, die in jüngster Zeiterschienen, die - spät aber doch - die Ereignisse aus tür-kischer Sicht darstellen.

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EpilogArmenischer Terrorismus: die Geschichte ist Gift undGegengift zugleich!Historiker tragen zur Diskussion über den zeitgenössi-schen Terrorismus gewöhnlich nur wenig oder gar nichtsbei. Historiker, die sich mit der Zeitgeschichte des NahenOstens beschäftigen, äußern sich niemals zum armeni-schen Terror und ziehen es vor, eher über alte Gefechte zureden, weil dabei die Wahrscheinlichkeit geringer ist, daßnoch zurückgeschossen wird.Dennoch darf auch die Geschichte nicht vergessen wer-den, wenn über armenische Gewalttaten gesprochen wird.Denn Geschichte ist zugleich Ursache, aber auch einzigesHeilmittel des armenischen Terrors. Armenischer Terrorismus wurzelt in falscher Geschichts-betrachtung.Nur wenn wir diesen irrigen Blickwinkel ausschalten, dieGeschichte ins richtige Licht rücken, kann der armenis-che Terrorismus überwunden werden. Ich schlage deshalbeine ansonsten unübliche Arbeitsweise vor, um denarmenischen Terrorismus zu bekämpfen: das Studium derGeschichte.Jeder Terrorist braucht eine raison d’etre - eine Philoso-phie und eine Motivation, für die er töten und sterbenkann. Geschichte spielt in diesem Zusammenhanggewöhnlich eine gewisse Rolle, und das gleich aus zwei-erlei Grund: erstens bedeutet Vergangenheit für viele Ter-roristen eine Art friedlichen Hafens, in dem noch alles gutwar, und zweitens wollen Terroristen fast immer anirgend jemandem Rache nehmen, weil dessen Ahnenangeblich Unheil angerichtet haben; stets aber wollen siejemanden befreien, von fremdem Joch, versteht sich. Soverhielt es sich mit dem Vietkong, den Mau Mau, so ist esmit der I. R. A. Die armenischen Terroristen sind da ein-malig: denn Geschichte, wie sie sie verstehen, ist über-haupt ihr einziger Rechtfertigungsgrund für alle ihreTaten.Es gibt im Falle des armenischen Terrors ja kein Volk, daszu befreien wäre. Im Falle des armenischen Terrors gibt esnur einen einzigen Beweggrund: Rache, Rache für etwas,was sie für Fehler der anderen - der Türken - halten.Ich ging davon aus, zu behaupten, daß die beste Waffegegen den armenischen Terrorismus das Studium derGeschichte sei. Es wäre vielleicht noch besser zu sagen:die beste Waffe ist die Wahrheit.Dann könnte auch das Wort von Patriarch SchnorkhKalustian Wahrheit werden, der sagte:„Mögen doch diese unglückseligen Ereignisse endlichaufhören. Möge der Friede Gottes mit allen Menschenguten Willens sein!”

Wien, im Dezember 1986

Der Verfasser

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Page 147: Erich Feigl - Ein Mythos des Terrors. Armenischer Terrorismus, seine Ursachen und Hintergründe. Edition Zeitgeschichte, Freilassing 1986

InhaltEin persönliches Wort zum Geleit .............................................................................................................................................. 6Einführung von Afif Erzen .......................................................................................................................................................... 8„Five faces of terrof” ................................................................................................................................................................... 18Die Armenier und ihr sogenannter Terror .................................................................................................................................... 22Armenien: Mythos und geschichtliche Wirklichkeit ...................................................................................................................... 23Die prähistorischen Kulturen Ostanatoliens ................................................................................................................................... 25Seldschuken, Mongolensturm und Osmanen.................................................................................................................................. 33Juden im Osmanenreich .................................................................................................................................................................. 36Das griechisch-orthodoxe Patriarchat .......................................................................................................................................... 38Das armenisch-orthodoxe Patriarchat ............................................................................................................................................. 39Der Triumph der Osmanen in Ostanatolien und Kilikien ............................................................................................................ 44Die Ursachen der armenischen Tragödie ........................................................................................................................................ 45Der Anfang vom Ende - ein protestantisch-armenisches Milkt wird errichtet ............................................................................... 47Das 19. Jahrhundert: Ein goldenes Zeitalter für Armenier und Osmanen, trotz der beginnenden nationalistischen

Hetze von außen ...................................................................................................................................................................... 53Die Politik der Großmächte und die Armenische Frage................................................................................................................. 57Der Nationalismus greift von den Kirchen auf profane Organisationen über ................................................................................ 65Die Bab Ali-Demonstration, die Hintschakisten und die Kusaktsakan .......................................................................................... 67Einer der Höhepunkte armenischen Terrors: Der Überfall auf die Osmanische Bank ................................................................ 69Die letzte Chance der Armenier - von den Daschnakisten vertan .................................................................................................. 70Der Umsiedlungsauftrag: Die Ursachen und Folgen .................................................................................................................. 75Die Fälschungen des Aram Andonian ............................................................................................................................................. 84Und die islamischen Opfer? ......................................................................................................................................................... 88Nach den Freisprüchen von Malta griffen die armenischen Terroristen zur Selbstjustiz und ermordeten

die osmanische Führungsschicht .................................................................................................................................................. 91Vom Ersten Weltkrieg zu einem neuen Abschnitt türkisch-armenischer Beziehungen: die wichtigsten Etappen

zu den Friedensschlüssen von Gümrü-Alexandropol und Lausanne sowie deren Folgen .......................................................... 93Von den Pyrrhussiegen von Brest-Litowsk und Bukarest zu den Katastrophen der Diktate in den Pariser Vororten . . 93Der Zusammenbruch der Mittelmächte und der fortdauernde Widerstand des Osmanenreiches ................................................ 98Der Überlebenskampf der Türkei und Armeniens: beide Nationen retten ihren Bestand; die Türkei in traditionellerUnabhängigkeit, die Armenier in ebenso historisch gewachsener, beschränkter Souveränität ...................................................... 99Die Wirren einer verlängerten Kriegszeit ........................................................................................................................................ 101Die Kriege der Republik Armenien ................................................................................................................................................. 104Die Wiedereroberung von Kars und das Ende der armenischen Expansion ............................................................................... 108Ein genauso tragisches Nachspiel an der Südfront.......................................................................................................................... 110Der Friede von Gümrü (Alexandropol; heute Leninakan) vom 2. Dezember 1922 ....................................................................... 112Das Ende der armenisch-griechischen Invasion und der Friedensvertrag von Lausanne (1923) ................................................... 114Der Terrorismus als blutiger, realer Phantasiekrieg ..................................................................................................................... 118Die armenischen Terrororganisationen ............................................................................................................................................ 121Der politische Hintergrund der armenischen Terrororganisation ASALA ...................................................................................... 122Der armenische Terror - eine Bilanz ............................................................................................................................................. 124Ausgewählte Bibliographie.............................................................................................................................................................. 140Türkische Publikationen aus jüngster Zeit....................................................................................................................................... 142Epilog ............................................................................................................................................................................................... 142

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Page 148: Erich Feigl - Ein Mythos des Terrors. Armenischer Terrorismus, seine Ursachen und Hintergründe. Edition Zeitgeschichte, Freilassing 1986

Nachweis der AbbildungenTitelfoto: Eine armenische Terrorgruppe aus dem ostanatolischen Van (1912), Armenischer Terrorüberfall auf dem Flug-hafen von Ankara sowie eine Seite aus dem Boston Herald, American Sunday, vom 24. Oktober 1982.Alle Farbbilder vom Autor.Schwarzweißfotos, wenn nicht in der Bildlegende anders angeführt, aus dem Heeresarchiv Ankara.

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Page 149: Erich Feigl - Ein Mythos des Terrors. Armenischer Terrorismus, seine Ursachen und Hintergründe. Edition Zeitgeschichte, Freilassing 1986

Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

EDITION ZEITGESCHICHTE • SALZBURG - FREILASSING

ERICH FEIGL

ER

ICH

FEIG

L

ein mythosdes terrorsein

myth

os d

es terrors

Armenian Extremism:Its Causes and Its HistoricalContext

Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

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Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

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ERICH FEIGL

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ein mythosdes terrorsein

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Armenian Extremism:Its Causes and Its HistoricalContext

Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

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Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch währendseines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wen-dete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen desMittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikasbrachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in diefrühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen undMythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten denStaatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil vonArabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über dieReligionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowieErich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung undUntergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türkengekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aberauch die berühmten TV-Dokumentationen über KaiserinZita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erst-mals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wiederin die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 unddie Geschichte und Hintergründe der armenischenTragödie.Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstel-lerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seinegroßen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" alsauch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos -Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichtedes Osmanischen Reiches - besonders in seinerEndphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, überden Ursprung und die Hintergründe der Tragödie desarmenischen Volkes in Anatolien eine Monographie ausder Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seinerorientalischen Umwelt zu verfassen, zumal ProfessorErich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - ausallen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehntenkennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weitgediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordungdes türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmischeDokumentation über jenen „Mythos des Terrors"herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben aufdem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahrwährenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl dasnun vorliegende Buch, das fast ausschließlichFotomaterial aus der Hand des Autors enthält und dieWurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der inerster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenierschadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigenMinderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielle-icht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusam-menhänge, die zum armenischen Terror führten undführen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, dieaußer einigen Schlagworten über „Völkermord" und„Armeniermassaker" und immer neue armenischeTerroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falschinterpretierte - Fakten kennt.Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die histo-rischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; dieüberraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, daswahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheilabzuwenden.

Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichenSinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabeihandelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie derTerror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namensAram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er alsBeweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenischeVolk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahn-taten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat ingutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zurGänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschungaufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtumöffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine

blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.

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Armenian Extremism:Its Causes and Its HistoricalContext

Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nachAbschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbesterein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach demVorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierteAfif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (beiWilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei demer bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnungund Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; dieÜbersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhin-derte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei HelmutBerve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikienbis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 been-dete.Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an derUniversität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde imJahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentlichesMiglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlinund war bis 1983 Vorstand der AbteilungGrundwissenschaften der Geschichte des Altertums ander Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten vonBonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübin-gen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in

avu tepe und Ainos.Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zen-trum für Geschichts- und Archäologieforschung und imJahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte derHerkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, derHaik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründeteseine Ausgrabung von avu tepe, der bedeutendstenurar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjähri-gen Grabung in avu tepe brachten Afif Erzen weltweiteAnerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"(Belleten 1953)„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"(Arch. Anz. 1973)„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)„Das Marmarameer und die Meeresenge in derGeschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,1972) „ avu tepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seineAusgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allemüber seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale undYukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischenForschungen, zum Teil gemeinsam mit dem SumerologenProf. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesemZusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)sowie das Erscheinen von „ avu tepe II" (Ankara, 1986)- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabung-stätigkeit im urartäischen avu tepe zusammen.

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