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Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Kafka

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Erläuterungen zu

Franz Kafka

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von Volker Krischel

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4. Auflage 2008ISBN: 978-3-8044-1818-9© 2005 by C. Bange Verlag, 96142 HollfeldAlle Rechte vorbehalten!Titelabbildung: Franz KafkaDruck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk

Über den Autor dieser Erläuterung:

Volker Krischel, geb. 1954, arbeitete nach dem Studium derGermanistik, Geschichte, katholischen Theologie, Erzie-hungswissenschaften, klassischen Archäologie, Kunstge-schichte und Geografie mehrere Jahre als wissenschaftlicherMitarbeiter – besonders im Bereich der Museumspädagogik –am Württembergischen Landesmuseum Stuttgart. Heute ister als Studienrat in Gerolstein, Eifel, tätig.

Er hat mehrere Arbeiten zu Autoren der neueren deutschenLiteratur sowie zur Museums- und Unterrichtsdidaktik ver-öffentlicht.

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich ge-schützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlichzugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichenEinwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: We-der das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solcheEinwilligung eingescannt oder gespeichert und in einNetzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranetsvon Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

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Vorwort ............................................................... 5

1. Franz Kafka: Leben und Werk .......................... 71.1 Biografie ................................................................ 71.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund............................. 141.3 Angaben und Erläuterungen zu

wesentlichen Werken ............................................. 20

2. Textanalyse und -interpretation ........................ 272.1 Entstehung und Quellen ........................................ 272.2 Inhaltsangabe ......................................................... 302.3 Aufbau ................................................................... 432.4 Personenkonstellation und Charakteristiken ........... 452.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen .............. 612.6 Stil und Sprache ..................................................... 622.7 Interpretationsansätze ............................................. 66

3. Themen und Aufgaben ........................................ 76

4. Rezeptionsgeschichte ........................................... 79

5. Materialien ........................................................... 83

Literatur ............................................................... 86

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„Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, dieeinen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, unsnicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu le-sen wir dann ein Buch?“1

Diese doch sehr extreme Auffassung Kafkas über die Wir-kung von Literatur trifft die Wirkung seiner Werke jedochrecht genau. Kafkas Werke können auch heute noch für dieLeser, die sich auf sie einlassen, der erweckende „Faust-schlag auf den Schädel“ sein. Egal, wie man Kafkas rätsel-hafte Erzählwelt beurteilt, allen seinen Werken ist einesgemeinsam, sie hinterlassen „eine starke persönliche Betrof-fenheit.“2 Man muss sich auf Kafkas rätselhafte Welt einlas-sen, nur wenn man dazu den Mut, aber auch die Geduldaufbringt, können seine Werke zu „der Axt ... für das gefro-rene Meer in uns“3 werden.„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumenerwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheue-ren Ungeziefer verwandelt.“ Der berühmte Einleitungssatzaus Kafkas wohl bekanntester Erzählung Die Verwandlungführt unmittelbar in Kafkas rätselhafte realistisch-phantasti-sche Welt ein. Aber im Gegensatz zu Märchen und zu Hor-rorgeschichten wird die Verwandlung eines Menschen inein Ungeziefer nüchtern, realistisch, fast sachlich geschil-dert. Und das ist typisch für Kafkas Erzählwelt: Phantasti-sches und Alltägliches, scheinbar Unmögliches und Norma-les werden so aufeinander bezogen,

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„dass ein verstörender Umschlag stattfindet: alltägliche Dingeerscheinen nun plötzlich fremd und doppelbödig, der Alptraumrichtet sich in der Normalität ein und gewinnt eine – oft er-schreckende – realistische Logik.“4

Ratlosigkeit ist oft die erste Reaktion des Lesers, aber manmuss in Kafkas Welt hineinsteigen und sie erforschen.Diese Erläuterungen wollen bei der „Erarbeitung“ von Kaf-kas Erzählung Die Verwandlung, sei es im schulischen oderprivaten Bereich, Hilfe bieten. Sie geben dem Leser Hin-tergrundinformationen zu Autor, Werk sowie Rezeption undstellen einige Aspekte der Erzählung vertiefend dar. So wol-len sie dem interessierten Leser Orientierungspunkte beiseiner Erforschung von Kafkas Erzählwelt bieten und ihmhelfen, seine eigene Deutung der Erzählung zu finden.Als Textgrundlage dient die im Jahre 2001 bei Reclam er-schienene Ausgabe der Verwandlung.

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Jahr Ort Ereignis3. Juli Prag Franz Kafka wird als 1. Kind1883 des deutsch-jüdischen Kauf-

manns, Hermann Kafka (1852–1931) und seiner Frau Julie,geb. Löwy, (1856–1934) ge-boren.

1889– Besuch der „Deutschen Kna-1893 benschule am Fleischmarkt“;

Geburt der Schwestern Gabri-ele, genannt Elli (1889), Vale-rie, genannt Valli (1890), Otti-lie, genannt Ottla (1892); diejüngeren Brüder Georg (1885)und Heinrich (1887) sterbenbereits im Kindesalter.

1893– Besuch des humanistischen1901 „K. K. Staatsgymnasiums mit

deutscher Unterrichtssprachein Prag-Altstadt“, in dieserZeit entstehen Frühwerke, diespäter von Kafka vernichtetwerden.

1896 Bar-Mizwa

Alter

6–10

10–18

13

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Jahr Ort Ereignis Alter17

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1900 Triesch Ferien bei seinem Lieblings-Roztok bei onkel, dem Landarzt SiegfriedPrag Löwy in Triesch, Sommerfe-

rien mit den Eltern in Roztokbei Prag.

1901 Norderney, Abitur, Ferien mit seinemHelgoland Onkel Siegfried Löwy auf

Norderney und Helgoland;Studienbeginn an der „Deut-schen Universität Prag“,zunächst Chemie, dann Jura,nebenbei hört er kunstge-schichtliche Vorlesungen.

1902 Prag Germanistikstudium, ab demWintersemester Fortführungdes Jurastudiums; erste Be-gegnung mit Max Brod (1884–1968).

1903 Weißer Rechtshistorische Staatsprü-Hirsch fung; Aufenthalt im Natur-bei Dresden heilsanatorium in Weißer

Hirsch bei Dresden, danachin Südböhmen; Arbeit amverschollenen Roman DasKind und die Stadt.

1904 Prag Beginn der Arbeit an Be-schreibung eines Kampfes, Er-zählungen, Skizzen und Prosa-gedichten.

1905 Zuckmantel Im Sommer: SanatoriumSchweinburg in Zuckmantel,

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im Winter: Beginn der regel-mäßigen Zusammenkünftemit den Freunden OskarBaum, Felix Weltsch undMax Brod.

1906 Prag Volontariat in einer Advoka-tur, Promotion zum Dr. jur.,Hochzeitsvorbereitungen aufdem Lande.

1906– Prag „Rechtspraxis“ zunächst beim1907 Landgericht, dann beim Straf-

gericht.1907 Prag Ab Oktober: Aushilfskraft in

der Assicurazioni Generale inPrag.

1908 Prag Erste Veröffentlichung: 8 Pro-Tetschen sastücke aus dem späteren

Band Betrachtung in der Zeit-schrift Hyperion; Eintritt als„Aushilfsbeamter“ in die „Ar-beiter-Unfall-Versicherungs-anstalt“ für das KönigreichBöhmen in Prag, ersteDienstreise nach Tetschenund Cernosic; Beginn der en-gen Freundschaft mit MaxBrod.

1909 Riva Ferienreise mit Max und OttoTetschen Brod nach Riva am Gardasee;Pilsen zahlreiche Dienstreisen (Tet-

schen, Pilsen, Maffersdorff);

Cernosic

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Aeroplane in Brescia, Beginnder Tagebücher.

1910 Prag Ernennung zum „Anstaltscon-Paris cipisten“; Besuch von Wahl-

versammlungen und sozialis-tischen Massenveranstaltun-gen sowie einer jiddischenSchauspieltruppe; Ferienreisemit Max und Otto Brod nachParis.

1911 Friedland Dienstreisen u. a. nach Fried-Italien land, Reichenberg und Grot-Paris tau; Ferienreise mit Max BrodErlenbach an die oberitalienischen Seenbei Zürich und nach Paris; Aufenthalt

im Naturheilsanatorium Fel-lenberg in Erlenbach bei Zü-rich; stiller Teilhaber an ei-ner Asbestfabrik; Leiden-schaft für das jiddischeTheater, Freundschaft mitdem jiddischen SchauspielerJizchak Löwy, Beschäftigungmit dem Judentum.

1912 Prag Erste Fassung des Verscholle-Weimar nen; Ferienreise mit Max BrodHarz nach Weimar, Aufenthalt im

Naturheilsanatorium „Just’sJungborn“ im Harz; Zusam-menstellung des ersten Ban-des Betrachtung; lernt im

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Hause Brod Felice Bauer ken-nen, Beginn der Korrespon-denz mit ihr; Das Urteil, DieVerwandlung.

1913 Prag Ernennung zum „Vice-Sekre-Wien tär“; verschiedene Treffen

mit Felice Bauer, Heiratsan-trag an Felice Bauer; Begeg-nung mit Grete Bloch undBeginn der Korrespondenz;Dienstreisen mit seinem Vor-gesetzten nach Wien; HeiratMax Brods; Der Heizer.

1914 Berlin Offizielle Verlobung mit Feli-ce Bauer; Verlockung im Dorf,Aussprache mit Felice Bauerim Berliner Hotel „Askani-scher Hof“, Lösung der Verlo-bung; Beginn der Arbeit amProceß, In der Strafkolonie.

1915 Ungarn Erstes Wiedersehen mit Feli-Frankenstein ce Bauer; Reise nach Ungarn;

Sanatoriumsaufenthalt in Fran-kenstein bei Rumburg; CarlSternheim gibt die mit demFontanepreis verbundeneGeldsumme an Kafka weiter.

1916 Marienbad Ferien mit Felice in Marien-München bad (inoffizielle Verlobung);

öffentliche Lesung in Mün-chen; Der Gruftwächter, Frag-

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mente von Der Jäger Graccus,mehrere Erzählungen, u. a. EinLandarzt.

1917 Prag Ein Bericht für eine Akademie,Die Sorge eines Hausvaters,Beim Bau der Chinesischen Mau-er; zweite offizielle Verlobungmit Felice; erster Blutsturz,Beginn der Lungentuberkulo-se; Entlobung von Felice.

1918 Hebräischstudien.1919 Schlesien Verlobung mit Julie Wohry-

Prag zek; Brief an den Vater; FeliceBauer heiratet.

1920 Matliary Beförderung zum „Anstaltsse-kretär“; Entlobung mit JulieWohryzek; erster Entwurf zuDas Schloss; Sanatoriumsauf-enthalt in Matliary (Hohe Ta-tra); Freundschaft mit RobertKlopstock; Begegnung mitMilena Jesenská.

1921 Prag Erstes Leid.1922 Prag Ein Hungerkünstler, Fürsprecher,

Beginn mit der Arbeit amSchloss; Beförderung zum„Obersekretär“, vorzeitigekrankheitsbedingte Pensionie-rung; letzte Begegnung mitMilena Jesenská.

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Jahr Ort Ereignis Alter40

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1923 Berlin Hebräischstudien; lernt TileRößler und Dora Diamant(Dymant) kennen; Übersied-lung nach Berlin zusammenmit Dora Diamant; Eine kleineFrau, Der Bau.

1924 Prag Rückkehr nach Prag; Josefine,Kierling die Sängerin; Diagnose Kehl-Berlin kopftuberkulose; in Begleitung

Klopstocks und Dora Diamantsins Sanatorium Hoffmann inKierling bei Klosterneuburg;Doras Vater verweigert seineZustimmung zur Eheschlie-ßung; Kafka stirbt am 3. Juni,einen Monat vor seinem41. Geburtstag.

1925 Berlin Max Brod gibt den Proceßheraus.

1942 Chelmno Tod der Schwestern Elli undValli im VernichtungslagerChelmno.

1943 Auschwitz Tod der Schwester Ottla imKonzentrationslager.

1944 Ravensbrück Tod Milena Jesenskás imKonzentrationslager Ravens-brück und Grete Blochs inAuschwitz.

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Auschwitz

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Kafkas Leben und Werk wurde nicht unwesentlich durchseine Heimatstadt Prag und durch seine jüdische Herkunftgeprägt.

Prag gehörte bis zu seiner Auflösung1918 zum Vielvölkerstaat der Habs-

burger Monarchie und diese „Vielvölkersituation“ spiegeltesich im Kleinen auch in Prag wider. Die Stadt wurde vondrei Nationen bewohnt: Seit dem 9./10. Jahrhundert lebtenin Prag neben den einheimischen Tschechen die eingewan-derten Deutschen und die (Tschechisch oder Deutsch spre-chenden) Juden.Die ständigen Auseinandersetzungen dieser drei Bevölke-rungsgruppen untereinander prägten die Stadt und machtenPrag über Jahrhunderte hinweg zum Treffpunkt westlicherund östlicher Kulturen.Mit etwa 90 % bildeten die Tschechen zu Kafkas Lebzeitendie Bevölkerungsmehrheit der Stadt. Die deutsch-öster-reichische Bevölkerungsgruppe machte ca. 5 % der Ge-samtbevölkerung aus und die restlichen 5 % fielen auf denjüdischen Bevölkerungsteil.7

Infolge der Niederlage des tschechisch-protestantischenAdels im Dreißigjährigen Krieg und der Rekatholisierungwar das Tschechische zur Sprache der niederen Schichtenabgesunken bei gleichzeitigem Aufstieg des Deutschen (undFranzösischen) zur Hofsprache.Und noch im Prag des Habsburgerreiches des 19. Jahrhun-derts bildeten die Tschechen hauptsächlich die untere und

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mittlere Bevölkerungsschicht, während die deutsch-öster-reichische Bevölkerung die dünne Oberschicht Prags stell-te. Deutsch war durch Kaiser Josef II. (1765–1790) zur offizi-ellen Amtssprache im ganzen Habsburger Reich erhobenworden. Jedoch waren um 1900 nur ca. 10 % der Einwoh-ner Prags deutschsprachig.8

Durch die unter Josef II. einsetzende Verdeutschung Pragsentstand bei der tschechischen Bevölkerungsgruppe als Ge-genreaktion ein antideutscher, aber auch antisemitischertschechischer Nationalismus. Während die deutschsprachi-ge Bevölkerungsgruppe kaisertreu und nach Wien ausge-richtet war, strebte die tschechische Bevölkerung zumGroßteil die Befreiung von der österreichischen Herrschaftan.Die jüdische Bevölkerung Pragsstand zwischen der verfeindetendeutschen und tschechischen Bevöl-kerungsgruppe, neigte sich aber überwiegend der deutschenBevölkerungsgruppe zu. Das führte dazu, dass sich der Na-tionalismus der tschechischen Bevölkerung nicht nur gegendie Deutschen, sondern auch gegen die Juden richtete.Viele Juden besuchten deutsche Schulen und Universitäten,weil sie (wie auch Kafkas Vater) glaubten, sich dadurch eingutes berufliches Weiterkommen und gesellschaftlichenAufstieg zu ermöglichen. So waren bei einem Bevölkerungs-anteil (in Böhmen) von nur 1,46 % 1904 29,8 % der Studen-ten der Prager Deutschen Karls-Universität Juden. Die Ju-den stellten aber nur 1 % der Studenten der tschechischenUniversität Prags. 29,2 % der Studenten der deutschenTechnischen Hochschule waren Juden, aber nur 1,2 % der

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tschechischen Technischen Hochschule. 90 % aller jüdi-schen Kinder gingen auf deutsche Schulen.9

Besonders im literarischen und journalistischen Bereich wa-ren die Juden gerade in der Generation Kafkas besonderserfolgreich. Erwähnt seien hier nur Max Brod, FelixWeltsch, Willy Haas sowie Franz Werfel, Ernst Weiss undschließlich Franz Kafka selbst.Dass die jüdische Bevölkerung des Habsburgerreiches(mehr oder weniger) gleichberechtigt mit und neben denanderen Nationen des Habsburger Vielvölkerstaates lebenkonnte, verdankt sie dem Toleranzedikt Kaiser Josefs II. undseiner Erweiterung durch Kaiser Franz Josef (1848–1916) imJahr 1849. Erst jetzt begann die sog. Emanzipation der Ju-den, die bisher an ein Leben in Ghettos gebunden waren.Noch Kafka erinnerte sich an das verwinkelte Prager Juden-ghetto, das erst zu seiner Zeit abgerissen und durch einViertel im Stil der „Belle Epoque“ ersetzt wurde.Mit der Judenemanzipation einher ging jedoch auch einneuer, aus dem tschechischen Nationalismus aufkeimenderAntisemitismus. Die meisten Juden waren deutschsprachigund so enthielt die anwachsende antideutsche Stimmung imtschechischsprachigen Kleinbürgertum immer auch antise-mitische Tendenzen. Verstärkt wurden sie zudem nochdurch die relative wirtschaftliche Besserstellung der Juden.Im Nationalismus und in der Judenfeindlichkeit fand diedurch die soziale Unsicherheit im Rahmen der Säkularisie-rung und Industrialisierung orientierungslos gewordenetschechische Unter- und Mittelschicht den Halt, den siesuchte.10 So nahmen antisemitische Ausschreitungen trotzder Judenemanzipation und der Aufhebung der Ghettos zu.

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Kafka selbst wurde mehrfach mit antisemitischen Aus-schreitungen konfrontiert.Bewusst selbst erlebt hat Kafka die gewaltsame Ausschrei-tung gegen Deutsche, vor allem aber gegen Juden, in Pragim November 1920. Er berichtet Milena Jesenská darüber:

„Die ganzen Nachmittage bin ich jetzt auf den Gassen und badein Judenhass. Prasivé plemeno [d. h. räudige Rasse] habe ichjetzt einmal die Juden nennen hören. Ist es nicht das Selbstver-ständliche, dass man von dort weggeht, wo man so gehasstwird ... Gerade habe ich aus dem Fenster geschaut: berittenePolizei, zum Bajonettangriff bereite Gendarmerie, schreiendeauseinander laufende Menge und hier oben im Fenster die wi-derliche Schande, immerfort unter Schutz zu leben.“11

Viele Juden hatten, wie auch Kafkas Vater, ihre Identität inder jüdischen Religion verloren. Die religiösen Riten undFeste waren für sie nur noch zu inhaltslosen gewohnheits-mäßigen Gesten geworden. Aber auch der Versuch, eineneue Identität durch „Integration unter den fremden Völ-kern“12 zu erreichen, wurde durch die antisemitischen Aus-schreitungen und Stimmungen bei diesen Völkern er-schwert.So fand die Idee Theodor Herzls(1860–1904), die er 1896 in seinemBuch Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Ju-denfrage bekannt machte, bei vielen europäischen JudenAnklang. Herzl sah als einer der Ersten das Judentum, dasbisher nur als kulturelle und religiöse Gemeinschaft gese-hen wurde, auch als eine nationale Einheit. Er verstand

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sich daher weniger als religiöser Führer, sondern als Politi-ker. In einer Zeit, in der in vielen europäischen Ländernantisemitische Stimmungen aufkeimten, suchte er die „Ju-denfrage“ politisch zu lösen, indem er die Rückkehr derJuden nach Palästina und die Gründung eines jüdischenStaates anregte.Nach dem Berg Zion, dem Hügel des alten Jerusalems aufdem die Burg Davids gestanden hatte, nannten sich die Ju-den, die für die Gründung eines neuen jüdischen Staates inPalästina eintraten, „Zionisten“.Der Zionismus stärkte das jüdische Selbstverständnis. Invielen europäischen Städten entstanden zionistische Bewe-gungen. 1909/1910 hielt Martin Buber Vorträge in Prag, diestarken Eindruck auf Kafka machten und ihn veranlassten,sich noch stärker mit jüdischer Literatur und seiner jüdi-schen Herkunft zu beschäftigen.Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand auch ein neuer„Berufstyp“, der Angestellte, der unselbstständig, abernicht körperlich arbeitende Arbeitnehmer.Er gehörte seinem Selbstverständnis nach dem Mittelstandan, war faktisch diesem gegenüber jedoch deklassiert, ohneaber das proletarische Bewusstsein oder das Solidaritätsge-fühl der Arbeiter zu besitzen.13

Der Beruf des Angestellten bot den angepassten Juden diewohl einzige Gelegenheit, ihrer alten Domäne, dem kauf-männischen Bereich, zu „entkommen“. Aber auch ehemali-ge Offiziere und ursprünglich unabhängige Mittelständlerfanden sich unter den Angestellten. Sie mochten zwar recht-lich, aber nicht sozial als Angestellte gelten.

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„Fremd ragen diese bürgerlichen Ruinen mit ihren Privatge-fühlen und der ganzen verschollenen Innenarchitektur in dierationalisierte Angestelltenwelt hinein.“14

Auch Gregor Samsa aus Kafkas Verwandlung ist ehemaligerOffizier und seine Familie führte vor dem Zusammenbruchdes elterlichen Geschäftes durchaus das Leben „unabhängi-ger Mittelständler“. Im erzwungenen Beruf des Angestelltenfühlt er sich fremd und wird zur „bürgerlichen Ruine“ mit„Privatgefühlen“, der sich abends hinlegt, um als Käfer zuerwachen.Wie diese Angestellten von ihren Chefs ausgebeutet wur-den, konnte Kafka selbst tagtäglich im Geschäft seines Va-ters erleben.

„Die despotische Behandlung der Angestellten, in der der Fa-milientyrann [Kafkas Vater] sein Regiment auch ins Geschäfthinein fortsetzt, widert ihn an. Er identifiziert sich als Kindmehr mit diesen ‚bezahlten Feinden’ des Vaters als mit seinereigenen (Unternehmer-)Familie; er sieht sie eigentlich vonunten, so wie Gregor das zunehmend in der ‚Verwandlung’tut.“15

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Im Gesamtwerk Franz Kafkas bildet das erzählerischeWerk nur ein „schmales CEuvre“.17 Weit umfangreichersind Kafkas Tagebücher und Briefe. Daneben hat er inseiner Funktion als Beamter der Arbeiter-Unfall-Versiche-rungsanstalt zahlreiche Aufsätze über Unfallverhütung ge-schrieben.Auf das Gesamtwerk näher eingehen zu wollen, würde da-her den Rahmen dieser Publikation sprengen, so können imFolgenden nur einige seiner bedeutendsten Schriften vorge-stellt werden.Zeitlebens litt Kafka unter seinem ihm übermächtig erschei-nenden Vater. In dem zwischen dem 10. und 13. November

1919, unmittelbar nach der geschei-terten Beziehung Kafkas mit Julie

Wohryzek entstandenen über 100 Seiten langen Brief an denVater legt Kafka umfassend seine Sicht des Vaters und ihrerBeziehung dar.Immer wieder erwähnt Kafka hier Begebenheiten, bei de-nen sein Charakter und seine Lebensauffassung mit der desVaters zusammenstießen und stets waren es Begebenheiten,bei denen der schwächere Sohn zurückstand.Wollte man den Brief aber (nur) als „Abrechnung“ mit demVater sehen,

„würde dies seinem Inhalt, vor allem aber seinem Stil nichtgerecht – der Brief ist vielmehr eine Analyse ihres gemeinsa-men Lebens; er ist eine Gelegenheit, die Kafka nutzte, um

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dem Vater ihre Beziehung aus seiner Sicht erschöpfend darzu-stellen.“18

Zwar verteidigt Kafka vordergründig die Person und dieWesensart seines Vaters, unbewusst macht er sie ihm je-doch zum Vorwurf. Der Brief ist also kein Dokument, dasaus spontaner Leidenschaft geschrieben wurde, dafür ist errhetorisch viel zu versiert. Kafka verstärkt seine Zielset-zung noch dadurch, dass er die beschriebenen Ereignisseinterpretiert, statt sie chronologisch und wertfrei wiederzu-geben. Bei dieser Vorgehensweise bleibt eine subjektiveVerzerrung der Ereignisse und Handlungen natürlich nichtaus.Kafkas Vater hat den Brief wohl nie erhalten, vielmehrwurde er in Kafkas Nachlass gefunden. Das und der rheto-risch-künstlerische Stil des „Briefes“ machen ihn zu einem„komplex komponierte[n] Werk“19, das wohl ebenso sehr Li-teratur ist wie biografisches Dokument.Auch die berühmten Briefe an Felice, die Kafka vom 13. Au-gust 1912 über fünf Jahre hinweg an seine Verlobte FeliceBauer schrieb, sind ein Werk, aus dem „uns ein manipulie-render und überreizter Kafka entgegenzutreten“20 scheint.Für Elias Canetti sind die Briefe an Felice sogar das größtevon Kafkas literarischen Kunstwerken.21

Sowohl im Brief an den Vater als auch in den Briefen anFelice tritt uns nicht das biografische Ich Kafkas entgegen,sondern Kafka erscheint als literarische Kunstfigur. Er zeigtsich in seinen Briefen so, wie er von Felice (und vielleichtauch von der lesenden Nachwelt) gesehen werden wollte.

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Das Bild, das Kafka hier sowie in vielen anderen Briefenund Tagebuch-Aufzeichnungen von sich selbst malt, ent-spricht nämlich nicht dem Bild, das sein persönliches Auf-treten bei anderen hinterließ. Kafka hat das selbst bemerktund wiederholt thematisiert. So spricht er auch in einemBrief an Felice vom 19. März 1913 von seiner fast schonzwanghaften Neigung zur Selbstdarstellung.

Kafka hatte Felice Bauer einenAbend lang im Hause seines Freun-

des Max Brod kennen gelernt. Diese kurze Begegnung lösteeine Flut von „Liebes“-Briefen aus. Dabei bleibt offen, ober Felice Bauer im fernen Berlin wirklich liebte, denn nurdie körperliche Abwesenheit Felices machte es Kafkaüberhaupt möglich, einen Briefwechsel von solch enormemAusmaß mit ihr zu führen:

„Die durch sie gegebene Verbindung aus menschlicher Näheund Distanz wurde für Kafka zur einigermaßen erträglichenund daher fast idealen Bedingung einer literarischen Existenz.Nur in dieser prekären Balance überhaupt ließ sich ein Liebes-verhältnis solange aufrechterhalten, das Kafka mit dem Satzcharakterisierte: ‚Ich kann mit ihr nicht leben und ich kannohne sie nicht leben.’“22

Hauptinhalte von Kafkas Briefen sind daher weniger Lie-besbezeugungen als Kafkas Konflikt zwischen Schriftsteller-existenz und der Existenz als Ehemann. Immer wieder malter Felice das (unerträglich schwere) Leben als Ehefrau anseiner (Schriftsteller-)Seite in den krassesten Farben. Manweiß schließlich nicht mehr, ob Kafka seine „unerträgli-

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chen“ Eigenschaften aufzählt, um Felice von einer Ehe mitihm abzuhalten oder ob er bei ihr schon im Voraus Nach-sicht für seine Eigenheiten erlangen will. Aber selbst nachseiner gescheiterten Verlobung mit Felice nimmt Kafkaschließlich wieder Kontakt mit ihr auf, der bis 1917 andau-ert.Seine bereits am 23. September 1912entstandene Erzählung Das Urteil in-terpretiert Kafka in einem Tagebuch-Eintrag vom 14. Au-gust 1913 in Bezug auf sein Verhältnis zu Felice.23

Dies und die in der Erzählung artikulierte Not des jungenMannes, der vom hyperdominanten Vater an der Verwirk-lichung der eigenen Lebensziele gehindert wird, dessenVerlobung missbilligt und dessen beruflicher Erfolg alsNutznießertum abgewertet wird, fordert die biografischeLesart geradezu heraus.Dieser biografische Interpretationsansatz allein wird der Er-zählung jedoch nicht gerecht. Bei genauerem Lesen fälltnämlich auf, dass auch der Sohn nicht unschuldig an sei-nem Untergang ist. Er ist unfähig, mit der Außenwelt ineine emotionale Beziehung zu treten. So „verdrehen“ sichdie Verhältnisse: Der kranke, gelähmte Vater ist der Le-bendigere. Er ist in der Lage, zwischenmenschliche Kontak-te einzugehen. Der körperlich gesunde Sohn hingegen istemotional gelähmt, „quasi autistisch“24. Nach der Logik desTextes ist das „vitale Prinzip“25 berechtigt, das emotionalTote auszuschließen. So gesehen ist das Urteil keine persön-liche Abrechnung, sondern ein fast naturhafter Vorgang.Der Sohn erkennt das an und akzeptiert das Urteil, das er

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an sich selbst ausführt. „Die Erkenntnis der Ausgeschlos-senheit von der menschlichen Gemeinschaft lässt keinenanderen Ausweg als den Tod, ja ist bereits der Tod.“26

Eine von Kafkas bekanntesten Erzählungen ist Die Verwand-lung, die ebenfalls in der Zeit der „Beziehung“ zu FeliceBauer entstand. In mehreren Briefen schildert er ihr seineArbeit an der Erzählung (vgl. 2.1).Neben den Briefen, Tagebüchern und Erzählungen hatKafka noch drei große, teilweise fragmentarisch gebliebeneRomane verfasst. Einmal den wohl auch als Reaktion aufdie Entlobung mit Felice Bauer entstandenen Proceß, derKafkas Weltruhm begründet, sowie den Verschollenen, dervon Max Brod bei der Herausgabe in Amerika umbenanntwurde, und Das Schloss.Schildert Kafka in einer Art albtraumhaften Straf- undSchuldphantasie in seinem vielschichtigen Roman Der Pro-ceß den vergeblichen (z. T.) tragisch-grotesken Versuch desJosef K., nach seiner merkwürdigen Verhaftung bis zum Ge-richt vorzudringen, so scheitert die Hauptfigur K. aus DasSchloss mit ihrem Wunsch, zur Schlossbehörde zu gelangen.Kafkas 1922 entstandener und 1926 erschienener Roman Das

Schloss zählt neben dem Proceß zwei-fellos zu den rätselhaftesten Romanen

der Weltliteratur. In vieler Hinsicht verweist er auf den Pro-ceß, sei es im gemeinsamen Namen der Hauptpersonen oderim vergeblichen Versuch beider, zu einer weit über denMenschen stehenden Behörde vorzudringen.Wie beim Proceß gibt es neben den unverkennbaren autobi-ografischen Spiegelungen auch zum Schloss die unterschied-lichsten Deutungsansätze27. Aber wie in allen Werken Kaf-

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kas kann man auch im Schloss keine eindeutige Zuordnungvornehmen.Das Romanfragment Der Verschollene bzw. Amerika ist zwarschon 1913 kurz nach der Erzählung Das Urteil entstanden,wurde von Max Brod allerdings als letzter Roman erst 1927aus dem Nachlass Kafkas veröffentlicht. Bei dieser Fassunghandelt es sich um die Zweitfassung des Romans. Eine ers-te Fassung von 1911/1912 wurde von Kafka als misslungenbetrachtet und ist bis heute verschollen.Der Roman erzählt von dem 16-jährigen Karl Roßmann, dervon seinen Eltern, weil ihn ein Dienstmädchen verführtund ein Kind von ihm bekommen hat, nach Amerika ge-schickt wurde. Hier versucht er in verschiedenen BerufenFuß zu fassen, scheitert aber immer wieder durch dieSchuld anderer.Der Roman bildet in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme inKafkas Schaffen. Ihm fehlt die albtraumhafte, beängstigen-de Unerklärlichkeit vieler anderer seiner Werke. Kafkaselbst muss das empfunden haben, als er Max Brod gegenü-ber betonte, „daß dieser Roman hoffnungsfreudiger und‚lichter’ sei als alles, was er sonst geschrieben hat.“28

Allerdings finden sich auch in diesem Roman bereits Moti-ve, die Kafka in seinen späteren Werken verwendet hat,etwa die undurchschaubare und unfassbare bürokratischeBerufsklassenstruktur im Hotel Occidentale, die bereits aufdie undurchschaubare Richter- und Beamtenhierarchie derspäteren Romane hinweist. Auch umkreist der junge KarlRoßmann wie später der Landvermesser K. im Schloss undJosef K. im Prozeß ein sich ihm immer wieder entziehendesZiel: „Ihm ... gelingt es nicht oder nur vorübergehend, indieser Welt aus eigengesetzlicher, entpersönlichender Per-fektion und Grausamkeit einzudringen.“29

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Obwohl Karl wiederholt extrem ungerecht behandelt wird,nimmt er sein Schicksal geduldig auf sich und erweist sichso als typische Kafkafigur. Allerdings unterscheidet sich dernaiv-unbeschwerte 16-jährige gutwillige Junge deutlich vonden „marionettenhaften, negativen Helden der späteren Ro-mane ... seine Situation ist nicht tragisch, seine ganze Le-benslandschaft weniger gespenstisch und irreal.“30

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Kafkas Erzählung Die Verwandlung ist zwischen dem 17. No-vember und dem 6./7. Dezember 1912 entstanden. Parallelarbeitete Kafka an seinem Roman Amerika (Der Verscholle-ne).31 In den Briefen an seine Verlobte Felice Bauer schil-dert er die einzelnen Phasen der Entstehung.Kafka gibt an, dass ihm die Geschichte „in dem Jammer imBett“32 eingefallen sei. Helmut Binder vermutet, dass Kaf-kas „Jammern“ auf das Ausbleiben der Post von Felice zu-rückzuführen sei, das Kafka wohl als „Abwendung der Ge-liebten“ interpretierte.33

„Dieses Ereignis hatte einen allerdings erheblichen Problem-horizont, insofern der quälende Beruf sinnlos erschien, sobaldeine Ehe mit Felice unmöglich wurde. Der Hass auf den Vater,die Klagen gegenüber Felice, das ‚vernünftige Trösten’ der be-sorgten Mutter erhöhten die innere Anspannung, bringen denDichter dazu, sofort ein fiktives Problemlösungsspiel durchzu-führen.“34

Die ursprünglich als „kleine Geschichte“ geplante Erzäh-lung entwickelte sich im Laufe ihrer Entstehung immermehr zu „einer großen Geschichte“35, die schließlich aufdrei Kapitel anwachsen sollte.

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Bereits nach der Hälfte der Erzählung bezeichnet Kafka sieals „ausnehmend ekelhafte Geschichte“ und betont gegenü-ber Felice, dass diese Gefühle aus seinem „Herzen“ kämenund er sich von ihnen frei schreiben müsse, um „rein und

würdig“ für Felice zu werden. Die-ses „Hinausschreiben“ des Ekelhaf-ten aus seinem Herzen ist aber

nichtsdestotrotz für Kafka ein „äußerst wollüstige(s) Ge-schäft“36, das ihm offenbar eine gewisse Befreiung von sei-nen eigenen Problemen bringt, denn wie sein ErzählheldGregor Samsa lebt Kafka noch als erwachsener Sohn beiseinen Eltern. Wie Gregor leidet er unter seinem (für ihn)übermächtigen Vater. So steht Kafkas persönliche Situationbei der Entstehung der Verwandlung unter keinem gutenStern. Seine Empfindung, er fühle sich „mit einem Fußtrittaus der Welt geworfen“37, zeigt nur zu deutlich seine innereVerfassung während dieser Zeit.In seinem Brief vom 25. November 1912 spricht Kafkabereits von Arbeitsverzögerung an Der Verwandlung. Er hatwohl genaue Vorstellungen über die Arbeits-(Entstehungs-)zeit seiner Geschichte, denn Kafka hat das Gefühl, dassman eine solche Geschichte „mit einer Unterbrechung inzweimal 10 Stunden niederschreiben“ müsse. Dann „hättesie ihren natürlichen Zug und Sturm, den sie vorigen Sonn-tag in meinem Kopf hatte.“38

Kafka hofft daher, dass seine Dienstreise nach Krakau unddie damit erzwungene Unterbrechung „keine allzu schlim-men Folgen für die Geschichte haben werden“39. Doch

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schon zwei Tage später glaubt er, sich in der Geschichte„verrannt“40 zu haben.In seinem Brief vom 1. Dezember schildert Kafka Feliceallerdings schon, dass seine Arbeit an der Verwandlung ihmwieder gut von der Hand geht:

„... ich bin jetzt endlich bei meiner kleinen Geschichte ein we-nig ins Feuer gerathen, das Herz will mich mit Klopfen weiterin sie hineintreiben. Ich muss versuchen, mich so gut es gehtaus ihr herauszubringen und weil das eine schwere Arbeit seinwird und Stunden vergehen werden ehe der Schlaf kommt,muss ich mich beeilen, ins Bett zu gehen.“41

Am 7. Dezember schreibt Kafka an Felice, dass er seine„kleine Geschichte“ beendet habe, ist allerdings mit ihremSchluss nicht zufrieden: „... mich [macht] der heutigeSchluss gar nicht froh, er hätte schon besser sein dürfen,das ist kein Zweifel.“42

Diese Unzufriedenheit Kafkas mit der Verwandlung findetsich auch noch fast ein Jahr später in seinen Tagebüchern:„... nun las ich zu Hause Die Verwandlung und finde sieschlecht“43 oder einige Monate später:

„Großer Widerwille vor ‚Verwandlung’: Unlesbares Ende. Un-vollkommen fast bis in den Grund. Es wäre viel besser ge-worden, wenn ich damals nicht durch die Geschäftsreise ge-stört worden wäre.“44

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Kapitel I (S. 5–23)Als der Reisende in Tuchwaren Gregor Samsa eines Morgenserwacht, findet „er sich in seinem Bett zu einem ungeheue-ren Ungeziefer verwandelt“ (S. 5). Er glaubt zunächst an eineSinnestäuschung, denn in seinem Zimmer findet er alles so,wie er es am Abend vorher hinterlassen hatte. Gregor ver-sucht weiterzuschlafen, um „alle Narrheiten“ (S. 5) zu ver-gessen. Aber er kann sich mit seiner neuen Käfergestaltnicht in seine gewohnte Schlafstellung bringen. So reflektierter über seine ungeliebte berufliche Situation. Die Schuldenseiner Eltern bei seinem Chef zwingen ihn, weiter für diesenzu arbeiten. Wenn er die Schulden nach 5 bis 6 Jahren abge-arbeitet hat, will Gregor jedoch kündigen.Nach einem Blick auf seinen Wecker stellt Gregor voll Ent-setzen fest, dass es bereits nach halb sieben ist, der Weckeraber auf vier Uhr eingestellt ist. Er wundert sich, dass erden Wecker überhört hat, und überlegt, wie er nochhalbwegs pünktlich zur Arbeit kommen kann. Die Idee,sich krank zu melden, verwirft er rasch wieder, weil er inseiner fünfjährigen Dienstzeit noch nie krank war und seinChef seine Krankheit garantiert mit dem Krankenkassenarztüberprüfen würde.Als Gregor gerade aufstehen will, klopfen seine Mutter,sein Vater und schließlich auch seine Schwester an den Tü-ren seines Zimmers, um sich zu erkundigen, warum ernoch nicht zur Arbeit gegangen sei. Da Gregor die Türenaber versperrt hat, kann kein Familienmitglied sein Zim-mer betreten. Gregor versucht sie zu beruhigen und willendlich aufstehen. Dabei macht er die erschreckende Er-fahrung, dass ihm seine Stimme nicht mehr gehorcht, denn

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„ein nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen“ (S. 8)mischt sich in seine Sprache ein. Immer noch glaubt Gre-gor aber, dass seine Verwandlung sich als „reine Einbil-dung“ (S. 9) entpuppen würde, wenn er erst einmal aufge-standen sei.In mehreren Anläufen versucht Gregor so aus dem Bett zusteigen, dass er unverletzt bleibt. Doch alle Versuche miss-lingen zunächst. Er befürchtet, dass jemand aus dem Ge-schäft nach ihm fragen würde, und überlegt sogar einenAugenblick, dass die Hilfe „zwei[er] starke[r] Leute“ (S. 11),die seines Vaters und die des Hausmädchens, genügen wür-den, um ihn aus dem Bett zu heben.Als es läutet, ahnt Gregor gleich, dass es jemand aus demGeschäft ist, und muss an den ersten Worten erkennen, dassder Prokurist selbst gekommen ist. Gregor ist verärgertüber das Misstrauen, das seine Firma ihren Mitarbeiternentgegenbringt, indem sie den Prokuristen selbst zur Kon-trolle schickt. Infolge der Erregung, in die er durch seineÜberlegung versetzt wird, gelingt es Gregor, sich aus demBett zu schwingen und mit einem vom Teppich abgedämpf-ten dumpfen Schlag auf dem Boden zu landen.Der Krach ist auch vom Prokuristen und den Eltern gehörtworden, sie bitten Gregor, die Tür zu öffnen, und den Pro-kuristen, der (noch) freundlich zu ihm spricht, einzulassen.Derweil versucht die Mutter vergeblich Gregor beim Pro-kuristen zu entschuldigen, indem sie seinen großen Einsatzfür die Firma betont.Gregor weigert sich jedoch, die Tür zu öffnen, und fragtsich, warum die Schwester noch nicht bei den anderen seiund warum sie weint.Der Prokurist verlangt inzwischen energisch, dass Gregordie Tür öffnet, und unterstellt ihm schlechte Arbeitsleis-

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tung und sogar Veruntreuung. Gregor versucht ihn zu beru-higen. Er entschuldigt sich für seine Verspätung und bittetden Prokuristen, seine Eltern zu schonen. Gregor will dieTür öffnen und mit dem Prokuristen sprechen. Er ist ge-spannt, wie die anderen auf sein verändertes Äußeres rea-gieren werden. Dabei ist ihm seine Käferexistenz immernoch nicht richtig bewusst und er hofft noch immer,spätestens um acht Uhr am Bahnhof zu sein, um zur Arbeitfahren zu können.Während Gregor mühsam versucht, sich aufzurichten, hörter, dass weder der Prokurist noch seine Eltern ihn verstan-den haben. Der Prokurist glaubt sogar, eine „Tierstimme“(S. 16) vernommen zu haben. Die Eltern sind besorgt unddie Mutter schickt die Tochter zu einem Arzt, während derVater einen Schlosser holen lässt.Durch das Bemühen seiner Eltern, ihm zu helfen, gestärkt,gelingt es Gregor unter größter Mühe, mit dem Mund denSchlüssel umzudrehen, wobei er sich erheblich verletzt,und die Tür zu öffnen.Als die anderen Gregor sehen, sind sie zunächst starr vorEntsetzen, dann fällt die Mutter in Ohnmacht, der Vaterweint und der Prokurist zieht sich langsam zurück. Gregorist der Einzige, der die Ruhe bewahrt. Er will auf den Pro-kuristen zugehen und versucht ihn zu beruhigen, indem erihn an seine früheren Verdienste um das Wohl der Firmaerinnert. Schließlich bittet Gregor den Prokuristen, ein gu-tes Wort beim Chef für ihn einzulegen.Der Prokurist aber sieht Gregor nur entsetzt an und ver-sucht, aus der Wohnung zu entfliehen. Gregor erkennt, dasser ihn in dieser Stimmung auf keinen Fall gehen lassendarf, wenn er seine Stellung im Geschäft nicht aufs Äußers-te gefährden will, und bedauert, dass seine Schwester nicht

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da ist, um den Prokuristen, der ein großer „Damenfreund“(S. 20) ist, zu halten.Als Gregor bei dem Versuch, den Prokuristen aufzuhalten,ins Zimmer krabbelt, schreit seine Mutter entsetzt um Hil-fe, flieht in Panik auf den gedeckten Kaffeetisch und wirftdabei die volle Kaffeekanne um. Gregor schnappt beim An-blick des auf den Teppich fließenden Kaffees mehrfach mitdem Kiefer ins Leere. Die Mutter flüchtet daraufhin ver-ängstigt vom Küchentisch in die Arme des Vaters.Gregor hat aber keine Zeit, sich um die Eltern zu küm-mern. Er will versuchen, den Prokuristen aufzuhalten. Aberder Prokurist ist schon über die Treppe entflohen. Stattdes-sen tritt der Vater Gregor in den Weg und versucht, ihnmit Hilfe der Zeitung und des zurückgelassenen Stocks desProkuristen in sein Zimmer zurückzutreiben. Um dem töd-lichen Schlag des Vaters zu entgehen, bemüht sich Gregor,rückwärts gehend in sein Zimmer zu gelangen, aber er be-merkt entsetzt, dass er zu ungeübt ist, um die Richtungeinzuhalten. So dreht er sich langsam um und versucht,verfolgt vom zischenden und stampfenden Vater, in seinZimmer zu fliehen. Da Gregors Käfergestalt aber zu breitfür die Zimmertür ist und niemand auf die Idee kommt,den zweiten Türflügel zu öffnen, muss er sich durch dieTür in sein Zimmer quetschen. Dabei verletzt er sich er-heblich. Schließlich gibt ihm der Vater einen starken Stoß,sodass Gregor heftig blutend ins Zimmer fliegt, und stößtdie Zimmertür mit dem Stock zu.

Stichwörter/wichtige Textstellen„Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhielte,ich hätte längst gekündigt ...“ (S. 6)

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„Es war eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und Ver-stand.“ (S. 7)„Er fühlte sich wieder einbezogen in den menschlichenKreis ...“ (S. 16)„Unerbittlich drängte der Vater und stieß Zischlaute aus,wie ein Wilder.“ (S. 22)

Kapitel II (S. 24–44)Am Abend erwacht Gregor aus einem ohnmachtsähnlichenSchlaf. Er fühlt sich ausgeruht und glaubt, dass jemand inseinem Zimmer war. Als er sein Bett verlassen will,schmerzt ihn seine ganze linke Seite, sodass er humpelnmuss. Ein Beinchen kann er sogar nur noch leblos mit-schleppen.An der Tür bemerkt Gregor einen Topf mit süßer Milchund kleingeschnittenem Weißbrot. Hungrig versucht er eszu essen, muss aber feststellen, dass er aufgrund seiner Ver-letzung nicht richtig essen kann und dass ihm die Milch,früher sein Lieblingsgetränk, nicht mehr schmeckt. Gregorglaubt, dass seine Schwester ihm das Essen hingestellt hat.Durch die Türspalte sieht er Licht im Wohnzimmer, aberer hört den Vater nicht wie sonst aus der Zeitung vorlesen,sondern alles ist still.Gregor ist stolz, dass er seiner Familie ein Leben in einerschönen Wohnung und in Wohlstand bieten kann. Die Ge-danken, dass dieses Leben ein schreckliches Ende nehmenkönnte, versucht er dadurch zu verdrängen, dass er durchsZimmer krabbelt.Zweimal wird seine Tür langsam geöffnet, als wolle jemandsein Zimmer betreten, traue sich aber dann doch nicht.Gregor ist entschlossen, den zögernden Besucher in seinZimmer zu bekommen, um zu erfahren, wer er sei. Aber

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die Türen, obwohl jetzt alle aufgeschlossen, werden nichtmehr geöffnet.Gregor überlegt, wie er mit seinem neuen Leben zurecht-kommen solle und wie er den Eltern möglichst wenigMühe bereiten könne. Obwohl ihm sein Zimmer vertrautist, fürchtet er sich und flieht unter das Kanapee. Von hierbeobachtet er auch, wie seine Schwester die Tür öffnet undsich nach ihm umschaut, dann aber, als sie ihn unter demKanapee sieht, erschrocken die Tür wieder schließt. Siekommt jedoch erneut herein, und als sie sieht, dass Gregorvon der Milch nichts getrunken hat, bringt sie ihm ver-schiedene Esswaren.Als Gregor sich zum Essen begibt, stellt er fest, dass erwieder vollständig hergestellt ist und keine Schmerzenmehr verspürt. Er stürzt sich direkt auf die bereits verdor-benen Speisen, während ihn die frischen Speisen anwidern.Satt gegessen beobachtet er unter seinem Kanapee heraus,wie seine Schwester die Essensreste zusammenkehrt undwieder verschwindet. Die Schwester versorgt Gregor nuntäglich zweimal mit Nahrung.Da niemand Gregor verstehen kann, glaubt seine Familie,dass umgekehrt Gregor sie auch nicht verstehe. Aber Gre-gor lauscht stets ganz begierig an der Zimmertür, sobald erhört, dass seine Familie im Wohnzimmer sitzt. So erfährt erauch, dass das Dienstmädchen um seine Entlassung gebe-ten und geschworen hat, niemandem etwas zu erzählen.Um am Familienleben teilhaben zu können, muss Gregoran der Wohnzimmertür lauschen. Er erfährt aus den Ge-sprächen seiner Familie, dass sein Vater beim Konkurs sei-nes Geschäfts nicht alles Geld verloren hat, sondern einenTeil als eiserne Reserve heimlich zurückgelegt hatte. Auchdas monatliche Gehalt, das Gregor seiner Familie zur Ver-

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fügung stellte, war nicht ganz aufgebraucht worden, sodassdie Familie jetzt ein kleines Vermögen besitzt, von dessenZinsen sie zwar nicht leben kann, das aber reicht, um sieein bis zwei Jahre erhalten zu können.Gregor ist zwar erstaunt, dass der Vater ihn über diesesGeld nicht informiert hat, freut sich aber aufgrund der jet-zigen Situation über das kleine Vermögen. Er hat nämlichein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass sein al-ter, schwerfälliger Vater oder gar seine asthmakranke Mut-ter arbeiten müssten. Besonders beschämt ihn jedoch dieVorstellung, dass auch seine 17-jährige Schwester ihr bishe-riges sorgloses Leben aufgeben und arbeiten gehen müsste.Gregor hält sie für viel zu jung, um Geld zu verdienen.Auch bedauert er, dass aufgrund der veränderten Situationsein mehrfach vom Vater kritisierter Plan, seiner Schwes-ter eine musikalische Ausbildung an einem Konservatoriumzu finanzieren, nicht mehr verwirklicht werden kann.Gregor macht es sich zur Gewohnheit, aus seinem Fensterzu blicken. Dazu rückt er mühsam einen Sessel ans Fens-ter. Es ist für ihn die einzige Möglichkeit, Kontakt zur Au-ßenwelt zu erhalten.Gregors Schwester kümmert sich um ihn, bringt ihm Es-sen, räumt sein Zimmer auf und rückt nun seinen Sesselans Fenster. Aber Gregor bemerkt, dass ihre Fürsorge sichallmählich in Ekel zu verwandeln beginnt, besonders fälltes ihr immer schwerer, den Gestank in Gregors Zimmerauszuhalten.Gregor werden die Aufräumaktionen seiner Schwesterimmer quälender, weil er erkennt, dass sie ihn offensicht-lich zunehmend widerwärtiger findet. Als seine Schwestereines Tages unerwartet eintritt und ihn am Fenster erblickt,schließt sie entsetzt die Tür. Gregor schleppt daraufhin ein

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Leintuch aufs Kanapee, das ihn, wenn er sich unter demKanapee versteckt, ganz verdeckt.Die Eltern scheuen sich davor, Gregors Zimmer zu betre-ten. Sie erkennen aber die Arbeit der Schwester an undfragen täglich nach Gregors Befinden. Die Mutter willschließlich Gregor sehen, wird aber vom Vater und derSchwester zurückgehalten. Auch Gregor wünscht sich, dieMutter zu sehen.Er gewöhnt sich allmählich an seine Käfergestalt, die ihmdas Kriechen über Decke und Wände ermöglicht. Um Gre-gor das Krabbeln und Klettern zu erleichtern, will seineSchwester die Möbel aus seinem Zimmer räumen. Da siedas nicht allein kann, den Vater und das Dienstmädchenaber nicht fragen will, bittet sie die Mutter, ihr zu helfen.Die Mutter bekommt jedoch beim Möbelrücken Skrupel,da das Entfernen der Inneneinrichtung zeige, dass man jedeHoffnung auf Besserung von Gregors Zustand aufgegebenhabe. Auch Gregor wird jetzt bewusst, dass seine Möbeleine letzte Verbindung an seine menschliche Existenz sind,und er will die Einrichtung behalten.Gregors Schwester glaubt aber aufgrund ihrer Fürsorge fürGregor eine besondere Sachverständige in Angelegenheitenihres Bruders zu sein und lässt sich nicht von ihrem Vorha-ben abbringen. Gregor muss zusehen, wie sie seine Möbelund damit die Erinnerung an sein bisheriges Leben ausräu-men. Verzweifelt will er wenigstens sein Lieblingsbild, dasvon ihm gerahmte Illustriertenbild einer Dame im Pelz, ret-ten, kriecht unter dem Kanapee hervor und legt sich aufdas an der Wand hängende Bild.Als die beiden Frauen in sein Zimmer treten, entdeckt dieSchwester Gregor zuerst. Sie will die Mutter abhalten, dasZimmer zu betreten. Aber die Mutter erblickt Gregor und

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fällt in Ohnmacht. Zum ersten Mal droht seine SchwesterGregor mit erhobener Faust und eilt der Mutter aufgebrachtzur Hilfe.Gregor, außer sich vor Sorge, will der Mutter auch helfenund folgt der Schwester, die nach Medizin sucht, ins Wohn-zimmer. Gregors Schwester schlägt jedoch die Tür zu, so-dass Gregor im Wohnzimmer gefangen ist. In seiner Ver-zweiflung kriecht er durch das ganze Zimmer und fälltschließlich auf den Tisch.Unerwartet kommt der Vater von der Arbeit und GregorsSchwester berichtet ihm genervt, dass Gregor „ausgebro-chen“ (S. 41) sei. Um den Vater zu besänftigen, flieht Gre-gor zu seiner Zimmertür. Erstaunt nimmt er dabei das ver-änderte Aussehen und Auftreten des Vaters wahr. DerVater trägt die Uniform des Dieners eines Bankinstitutesund tritt selbstbewusst und furchterregend mit seinen fürGregor riesig erscheinenden Stiefeln auf ihn zu. Gregor ver-sucht durch das Zimmer zu fliehen. Das strengt ihn sehr anund er kommt immer mehr außer Puste, als der Vater ihnmit Äpfeln bewerfend in sein Zimmer zurückzutreiben ver-sucht. Ein Apfel verletzt Gregor schwer am Rücken. Bevorder Vater aber weiter werfen kann, kommt Gregors Mut-ter, die aus ihrer Ohnmacht erwacht ist, aus Gregors Zim-mer gestürmt und bittet um Schonung seines Lebens.

Stichwörter/wichtige Textstellen„Früh, als die Türen versperrt waren, hatten alle zu ihmhereinkommen wollen, jetzt, da er die eine Tür geöffnethatte und die anderen offenbar während des Tages geöffnetworden waren, kam keiner mehr, und die Schlüssel steck-ten nun auch von außen.“ (S. 25)

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„Er erkannte daraus, dass ihr sein Anblick noch immer un-erträglich war und ihr auch weiterhin unerträglich bleibenmüsse ...“ (S. 34)„Lasst mich doch zu Gregor, er ist ja mein unglücklicherSohn!“ (S. 35)„Sie räumten ihm sein Zimmer aus; nahmen ihm alles, wasihm lieb war ...“ (S. 39)„Gregor ist ausgebrochen.“ (S. 41)

Kapitel III (S. 44 – 63)Der Apfel bleibt, da ihn niemand entfernt, in Gregors Rü-cken stecken. Er kann jetzt nur noch mühsam am Bodenkriechen. Aber seine Familie, auch sein Vater, hat erkannt,dass er zur Familie gehört und man ihn „dulden“ (S. 44)muss. Sie lassen daher abends die Tür zum Wohnzimmeroffen, sodass Gregor ihr Familienleben beobachten kann.So stellt er fest, dass der Vater auch zu Hause seine Uni-form trägt, abends müde nach Hause kommt und bald imSessel einschläft. Die Mutter und Gregors Schwester arbei-ten inzwischen auch. Die Mutter näht für ein Modegeschäft,die Schwester arbeitet als Verkäuferin und lernt abends Ste-nografie und Französisch, um später einmal einen besserenPosten zu erreichen.Besorgt muss Gregor feststellen, dass es seiner Familie trotzihrer Arbeit schlechter geht. Sie müssen sogar Schmuckstü-cke verkaufen und das Dienstmädchen entlassen. Eine klei-nere Wohnung können sie nicht nehmen, weil sie angeblichnicht wissen, wie sie mit Gregor umziehen sollen.Gregor erinnert sich oft an sein Leben vor der Verwand-lung, kann vor Kummer nicht mehr schlafen und kaumnoch etwas essen. Außerdem vernachlässigt ihn seineSchwester immer mehr. Sie versorgt ihn nur noch sehr lieb-

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los mit Essen und reinigt sein Zimmer nicht mehr richtig.Allerdings besteht sie darauf, Gregors Zimmer alleine auf-zuräumen. Als die Mutter es trotzdem einmal gründlichsäubert, reagiert Gregors Schwester gekränkt und be-schwört einen Familienkrach herauf, den Gregor, da nie-mand die Wohnzimmertür geschlossen hatte, verängstigtmiterleben muss.Die neue Bedienerin entdeckt eines Tages durch Zufall Gre-gor. Sie fürchtet sich jedoch nicht vor ihm, beobachtet ihnzunächst nur erstaunt, um ihn dann zu hänseln und ständigzu stören.Gregor isst kaum noch etwas. Sein Zimmer wird immermehr zur Rumpelkammer, da die Familie ein Zimmer andrei Untermieter („Zimmerherren“) vermietet hat. Diese er-tragen keine unnützen oder gar schmutzigen Sachen und ha-ben z. T. ihre eigenen Einrichtungsgegenstände mitge-bracht, sodass alles Unnütze und Schmutzige in GregorsZimmer landet.Die Familie vernachlässigt Gregor immer mehr. Ihre ganzeAufmerksamkeit gilt nun den drei Zimmerherren, die siefast unterwürfig bedienen. Als Gregors Schwester einesAbends Violine spielt, erregt das die Aufmerksamkeit derdrei Untermieter. Sie bitten sie, ihnen vorzuspielen. Gre-gors Schwester und besonders ihre Eltern kommen ihrerBitte mit unterwürfigem Stolz nach.Auch Gregor fühlt sich von der Musik ergriffen und kriechtlangsam ins Wohnzimmer. Dabei stellt er fest, dass dieZimmerherren das Interesse am Violinespiel der Schwesterbereits verloren haben und ihrer sogar überdrüssig sind.Gregor ist darüber sehr verärgert und will zu seinerSchwester kriechen, um sie zu bitten, in seinem Zimmernur für ihn zu spielen.

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Als die Untermieter Gregor entdecken, der aufgrund derVernachlässigung total verschmutzt ist, sind sie amüsiertund schockiert. Sie kündigen empört, weigern sich sogar,ihre noch ausstehende Miete zu zahlen, und drohen GregorsVater mit Schadenersatzansprüchen. Als die Zimmerherrendas Wohnzimmer verlassen haben, fallen die Eltern er-schöpft in die Sessel. Gregors Schwester aber lässt ihremZorn und ihrer Aggression gegen Gregor freien Lauf undfordert, ihn loszuwerden. Das Ungeziefer sei nicht mehrihr Bruder, denn der hätte nie zugelassen, dass die ganzeFamilie derart unter seiner Existenz zu leiden habe. Manhabe lange genug alles Menschenmögliche für ihn getan,aber jetzt müsse man ihn loswerden.Gregor ist gekränkt und traurig, aber auch einsichtig undquält sich mühsam unter Schmerzen in sein Zimmer zu-rück. Kaum ist er in seinem Zimmer, wirft die Schwesterdie Tür zu und schließt sie ab. Gregor bricht zusammen. Erdenkt voll Liebe und Rührung an seine Familie und istauch der Meinung, dass er verschwinden müsse. Am frü-hen Morgen stirbt er.Als die Bedienerin am Morgen in sein Zimmer kommt,glaubt sie zunächst, er spiele den Beleidigten. Aber nach-dem sie ihn mit dem Besen hin und her geschoben hat,erkennt sie, dass er tot ist.Gregors Eltern und seine Schwester reagieren auf seinen Todzunächst mit Erleichterung, aber dann auch mit (etwas) Mit-gefühl und Trauer. Als die Zimmerherren, die noch nicht aus-gezogen sind, nach ihrem Frühstück verlangen, wirft GregorsVater sie mit neu gewonnener Autorität aus der Wohnung.Die Familie nimmt Gregors Tod zum Anlass, an diesemTag nicht zur Arbeit zu gehen. Sie schreiben je einen Ent-schuldigungsbrief an ihre Chefs und fahren ins Grüne.

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Zufrieden beschließt die Familie, die Bedienstete zu entlas-sen und sich eine kleinere und günstigere Wohnung zu neh-men. Auch ihre finanzielle und berufliche Situation er-scheint ihnen zukunftsversprechend. Die Eltern entdeckenstolz, dass ihre Tochter trotz der Belastung der letzten Zeitzu einem „schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht“(S. 63) ist, und denken daran, sie nun auch bald zu verhei-raten.

Stichwörter/wichtige Textstellen„Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater, auch zuHause seine Dieneruniform abzulegen ...“ (S. 45)„... war ... er ganz staubbedeckt; Fäden, Haare, Speiseüber-reste schleppte er auf seinem Rücken und an den Seitenmit sich herum ...“ (S. 52 f.)„War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff?“ (S. 53)„Wir müssen es loszuwerden suchen ...“ (S. 56)„An seine Familie dachte er mit Rührung und Liebe zu-rück.“ (S. 59)

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Kafkas Erzählung Die Verwandlung ist streng aufgebaut. Siebesteht aus drei seitenzahlmäßig fast gleich langen Kapi-teln, die auch einen vergleichbaren Aufbau haben:

„Jeder Teil wird eingeleitet durch einen Ausbruchsversuch Gre-gors und endet mit einer gesteigerten Erfahrung der Ausgren-zung und Zurückweisung durch die Familie.“45

Das letzte Kapitel endet schließlich mit der endgültigenAusgrenzung Gregors, seinem Tod, der Entsorgung seines„Kadavers“ und dem Ausflug der „befreiten“ Familie. DieKapitel sind neben ihrem vergleichbaren Aufbau auchdurch ihren jeweiligen „thematischen Schwerpunkt“strukturiert.46

Steht in Kapitel I Gregors Auseinandersetzung mit seinerverwandelten Existenz und „den widersprüchlichen Bedin-gungen seiner Lebensweise, seines neuen und seines bishe-rigen Daseins“47, im Mittelpunkt, so geht es in Kapitel IIvor allem um Gregors Verhältnis zu den einzelnen Mitglie-dern seiner Familie (Schwester, Vater, Mutter) und der all-mählichen Annahme seiner Käferexistenz. In Kapitel IIIentfernt sich Gregors Familie immer mehr von ihm. „Erbewegt sich selbst in Richtung Musik und Tod.“48

Parallel zu dieser Entwicklung geht Gregors ständige inne-re (Weiter-)Verwandlung vom Menschen zum Käfer einher.Muss anfänglich Gregors Bewusstsein zunächst seine kör-

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perliche Metamorphose in einen Käfer erst noch richtig er-fassen und wahrnehmen, so wandelt sich sein Verhaltenimmer mehr ins Käferhafte (vgl. u. a. S. 27, 35, 50).Bis zum Schluss bleibt allerdings offen, „wieweit ... Gregorin der veränderten Situation eine neue Identität erlangenbzw. wieweit er äußerliche Erscheinung und Denken [wirk-lich] miteinander in Einklang bringen kann.“49

Grafisch lässt sich der Aufbau folgendermaßen darstellen:

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Kapitel III(S. 44–63)

Gregors Vereinsa-mung und Tod

Höhepunkt:Gregors letzter„Ausbruchsver-such“ in Familieund Menschsein(letzter „Erlö-sungsversuch“)

Kapitel I(S. 5–23)

Gregors Auseinan-dersetzung mitder eigenen Exis-tenz (Verdrän-gungsversuche)

Höhepunkt:Gregor zeigt sichin seinerKäfergestalt

Kapitel II(S. 24–44)

Gregors Verhält-nis zu seiner Fa-milie und allmäh-liche Annahmeder tierischenExistenz

Höhepunkt:Gregor wird vomVater „gejagt“ undverletzt

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Die eindeutige „Zentralfigur“ der Erzählung ist GregorSamsa. Die ganze Handlung ist auf ihn bezogen und wird(bis auf die wenigen Stunden nach seinem Tod) aus seinerSicht (monoperspektivisch) wiedergegeben (s. auch Kapitel2.6).Das Geschehen in Die Verwandlung spielt im engsten Kreisder Familie Samsa und ist geprägt durch die sich verän-dernden Positionen Gregors und seiner Familie (hierbesonders seines Vaters und seiner Schwester). Der Proku-rist, die Dienstmädchen sowie die drei Zimmerherren ha-ben nur „Statistenrollen“.Ist Gregor vor der Verwandlung (scheinbar) der Mittel-punkt der Familie, Ernährer und Familienoberhaupt, vondem der Rest der Familie abhängig ist, so wird er nach derVerwandlung immer mehr zum isolierten Außenseiter, zumlästigen und belastenden Anhängsel, dessen man sichschließlich entledigt, um „aufsteigen“ und sich „befreien“zu können.In dem Maße, wie Gregors Stern sinkt, steigen der seinesVaters und der seiner Schwester auf.Grafisch kann man dieses Beziehungsgeflecht und seineVeränderung folgendermaßen darstellen:

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Gregor Samsa ist ein ca. 30-jähriger Reisender in Textil-waren. Mit seiner Arbeit ernährt er auch seine Eltern undseine Schwester. Zugleich zahlt erdie Schulden seiner Eltern bei sei-nem Chef ab. Durch diese Ernährerfunktion ist er auch soetwas wie das Familienoberhaupt, da sein Vater erfolglosund schwerfällig erscheint (vgl. u. a. S. 32, 42). Nach sei-ner Verwandlung ist für Gregor nicht seine Käfergestalt dasHauptproblem, sondern seine berufliche Situation. Er hasstseinen Beruf und würde gerne kündigen, ist aber durch dieSchulden seiner Eltern gezwungen, in seinem Beruf auszu-harren (vgl. S. 6). Gregor nimmt diese Situation aber ohneMurren an. Sein aufopfernder, bedingungsloser Einsatz fürdas Wohl seiner Familie wird von dieser allerdings als et-was Selbstverständliches hingenommen und eine „besonde-re Wärme“ (S. 30) in ihrer Beziehung besteht nicht.Aber Gregor verklärt seine Familiensituation, und selbst alser feststellen muss, dass sein Vater ihn hintergangen undheimlich Geld beiseite geschafft hat, erregt das nicht sei-nen Unmut, sondern er freut sich, dass seine Familie vondiesem Geld noch einige Zeit leben kann (vgl. S. 30, 32).

„Gregor erscheint dem Leser als ein Mensch, der ein gestörtesVerhältnis zur Außenwelt – hier repräsentiert durch die Fami-lie – und zu sich selbst hat. Somit haben wir eine Persönlich-keit vor uns, die kein Bewusstsein für ihr zugefügtes Unrechtentwickelt, geschweige denn sich dagegen zur Wehr setzenkann; bei der – umgekehrt – Schuldgefühle ausgelöst werden,welche die Aufmerksamkeit vom schuldhaften Verhalten ab-und auf das eigene Ich hinlenken.“50

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Etwas anders verhält es sich im beruflichen Bereich. Hiererkennt Gregor sehr wohl die ausbeutende Unmenschlich-keit seiner Situation (vgl. u. a. S. 7, 11) und hat sogar ag-gressive, fast schon rebellische Gedanken (vgl. S. 6, 11).Aber in seinem Handeln erweist Gregor sich als autoritäts-gläubig und unterwürfig (vgl. u. a. S. 14 f.). Er bleibt „eineKreatur des Chefs, ohne Rückgrat ...“ (S. 7), die es ausAngst vor ihm und dem Krankenkassenarzt nicht wagt, sichkrank zu melden, obwohl ihr Zustand alles andere als ge-sund ist. Aus Angst und Sorge um seine Familie ist Gregorso zunächst auch nicht bereit, seine Verwandlung richtig zuregistrieren.Engeren Kontakt zu Personen außerhalb der Familie hatGregor nicht. Seine Kollegen bleiben ihm fremd und er nei-det ihnen sogar ihren (vermeintlichen) Erfolg (vgl. S. 6),besonders da er selbst, obwohl er „nichts im Kopf als dasGeschäft“ (S. 13) hat, bei seinem Chef keine Anerkennungfindet.Selbst in seiner Freizeit geht Gregor nicht aus, sondernbleibt zu Hause und geht „Hobbies“ nach, für die er keineGesellschaft braucht: Zeitung lesen, Fahrpläne studierenund Laubsägearbeiten (vgl. S. 13).

Gregors Verhältnis zu Frauen schei-tert, wie etwa seine ernsthaften Be-

mühungen um eine Kassiererin aus einem Hutgeschäft, anseiner Schwerfälligkeit und Trägheit (vgl. S. 47) oder bleibtauf einer merkwürdigen, fast infantilen Ebene, wie beimIllustriertenbild der Dame mit Pelz, das er ausschneidetund rahmt. Dieses Verhalten erinnert mehr an das Starfoto-aufhängen von Jugendlichen als an das Verhalten eines er-wachsenen Mannes.

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„Dies alles ergibt den Typ nicht nur des gehemmten Junggesel-len, sondern auch des ‚geistig obdachlosen’ Angestellten ...,der sich mangels eigener charakterlicher Festigkeit in einerLeutnantsuniform noch am wohlsten fühlt und darin ‚sorgloslächelnd’ jene Autorität verkörpert, vor der er im zivilen Le-ben kuschen würde. Nicht als Persönlichkeit, sondern ‚für sei-ne Haltung und Uniform’ erwartet ein solcher Mensch ‚Re-spekt’.“51

Die engste emotionale Bindung hatGregor noch zu seiner SchwesterGrete. Als er morgens die Tür nicht öffnet, ist sie die Ein-zige, die um Gregor richtig besorgt ist und ihm Hilfe an-bietet (vgl. S. 8). Nach seiner Verwandlung kümmert sichallein seine Schwester um Gregor, reinigt sein Zimmer undversorgt ihn mit Essen. Gregor seinerseits war bereit, derSchwester einen Konservatoriumsbesuch zu finanzieren,auch gegen den Willen des Vaters, und sie so ihren Neigun-gen nach zu fördern.Betrachtet man dieses Verhältnis Gregors zu seiner Schwes-ter aber etwas genauer, so kann man auch noch andere As-pekte entdecken. Als seine Schwester den drei Zimmerher-ren vorspielt, fühlt sich Gregor, der vor seiner Verwand-lung kaum Interesse an Musik hatte, ergriffen und zu seinerSchwester hingezogen, die er am liebsten in sein Zimmergelockt hätte. „... denn niemand lohnte hier das Spiel so,wie er es lohnen wollte“ (S. 53). Dort wollte Gregor ihrerklären, dass er sie aufs Konservatorium schicken wollteund er „würde sich [dann] bis zu ihrer Achsel erheben undihren Hals küssen“ (S. 54).

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„Sieht man die in Aussicht gestellte ‚Belohnung’ im Zusam-menhang mit dem ... Zitat, so wird klar, dass es sich dabeinicht – jedenfalls nicht nur – um das Studium am Konservato-rium handeln kann, sondern erotische Absichten im Spiel seinmüssen; so ließe sich auch die These halten, die plötzlicheAbwendung Gretes geschehe aus Eifersucht. Beide Beobach-tungen würden es erlauben, ein inzestuöses Verhältnis zwischenGregor und Grete anzunehmen, wobei freilich die Erzählungkeinen Aufschluss darüber gibt, wieweit dieser Inzest geht.“52

Gregors Schwester Grete ist ein 17-jähriges Mädchen, de-ren Hauptbeschäftigung vor Gregors Verwandlung darausbestand, „sich nett zu kleiden, lange zu schlafen, in derWirtschaft [d. h. im Haushalt, Anm. des Verfassers] mitzu-helfen, an ein paar bescheidenen Vergnügungen sich zu be-teiligen und vor allem Violine zu spielen“ (S. 32). Diesessorglose Leben einer verwöhnten höheren Tochter führtdazu, dass Grete den Eltern „als ein etwas nutzloses Mäd-chen“ (S. 34) erscheint und auch Gregor sie als „Kind“(S. 32) bezeichnet. Im Gegensatz dazu steht allerdings seinWunsch, die Schwester vermöge es den Prokuristen, einen„Damenfreund“ (S. 20), am Gehen zu hindern (vgl. S. 20 f.).

Nach Gregors Verwandlung ist seineSchwester die Einzige, die sich um

ihn kümmert. Sie bringt ihm Essen und reinigt sein Zim-mer. Grete zeigt damit Verantwortungsbewusstsein undmacht so einen ersten Schritt in die Selbstständigkeit hinzum Erwachsenensein. Sie gewinnt dadurch aber auch in-nerhalb der Familie eine neue Position, die sie auch vertei-digt, indem sie bestimmt, was mit Gregors Zimmer ge-schieht.

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Allerdings ist ihre Fürsorge bei genauerem Betrachtenkaum echte Zuwendung oder wirkliches Interesse am Zu-stand ihres Bruders. Grete erhält Gregor zwar am Leben,aber der von Gregor ersehnte zwischenmenschliche Kontakterfolgt weder durch eine direkte Ansprache noch durchBlickkontakt.Diese einseitige Beschränkung auf Gregors physische Be-dürfnisse zeigt sich auch in Gretes Idee, Gregors Zimmerauszuräumen, um ihm mehr „Krabbelfläche“ zu verschaf-fen. Seine psychischen Bedürfnisse, seine Möbel als letzteErinnerung an seine menschliche Existenz zu behalten, willsie nicht sehen. So treibt sie die Isolation Gregors weitervoran. Ihr Verhalten Gregor gegenüber ähnelt weniger ge-schwisterlichem Verhalten als vielmehr dem Verhalten, dasman Haustieren gegenüber zeigt.53

Im Verlauf der Erzählung schwindetGretes anfängliche Sorge um ihrenBruder immer mehr: „Je lästiger ihrdie Versorgung Gregors wird, destomehr vernachlässigt sie ihn.“54 So macht auch GregorsSchwester im Verlauf der Erzählung eine (Ver-)Wandlungdurch: „Während sie anfangs noch eine potenzielle Erlöse-rin zu sein scheint ..., tritt sie am Schluss als Richterin auf,die das Urteil spricht.“55

Der Grund für diesen radikalen Wandel in ihrer Einstel-lung zu Gregor lässt sich nicht eindeutig benennen.Sicherlich ist es einmal ihr immer stärker werdender Wi-derwille gegen das „Ungeziefer“, in dem sie ihren Brudernicht mehr sehen kann und will. Andererseits brechen ihre

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negativen Gefühle gegenüber ihrem Bruder erst dann deut-lich hervor, als er mit seinem Erscheinen die Mutter soerschreckt hat, dass sie in Ohnmacht fällt. Erstmals seitseiner Verwandlung spricht Grete ihren Bruder an undwirft ihm „eindringliche( ) Blicke( )“ (S. 40) zu.Die Erklärung gegenüber dem Vater für die Ohnmacht derMutter: „Gregor ist ausgebrochen“ (S. 41), zeigt ihr Verhält-nis zu Gregor deutlich. Es ist bestenfalls noch das Verhält-nis zu einem (Haus-)Tier, wobei nicht Gregor ausgebro-chen war, sondern Grete und ihre Mutter in GregorsZufluchtsort eingebrochen waren.Als Grete und ihre Mutter Gregor sehen, sitzt er auf demBild mit der Dame im Pelz, das Gregor bereit ist, auchgegen seine Schwester zu verteidigen. Das legt die Fragenahe, warum Grete angesichts dieses Bildes und des Ver-haltens ihres Bruders so aggressiv reagiert.

„Bedenkt man den ‚Alleinvertretungsanspruch’ der Schwesterfür Gregor, auf dem schließlich ihre Position innerhalb derFamilie beruht, so könnte sie die Dame als Gefährdung ihrerMachtstellung begreifen, auch wenn zu dieser Befürchtungkein realer Anlass besteht. Ob darüber hinaus ein inzestuösesVerlangen, das wir für Gregor nicht ausschließen konnten,auch für sie zutrifft, lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten,da die Erzählperspektive keinen Einblick in ihr Innenleben ge-währt. Man kann die Möglichkeit einer erotischen Rivalitätzumindest nicht von der Hand weisen, wenn auch dem Leserkeine tatsächlichen Reaktionen Gretes auf den Besitzan-spruch ihres Bruders bekannt sind.“56

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Es ist schließlich Grete, die im „Fa-milienrat“ Gregors Beseitigung for-dert. Sie versucht dem Vater klar zumachen, dass das Tier mit Gregor nichts mehr gemein hat,und unterstreicht die Distanz auch durch das Personalpro-nomen „es“. Sprachlich verdeutlicht sie so „den Entfrem-dungs- und Ablösungsprozess ... gegenüber ihrem Bruder,der für sie alle menschlichen Züge verloren hat.“57

So fühlen sie und ihre Eltern sich nach Gregors Tod be-freit, Grete auch von der Fürsorge für Gregor, aberebenfalls von seiner Fürsorge für sie. Sie kann sich nunselbst entfalten vom Kind zu einem „schönen und üppigenMädchen“ (S. 63).Damit übernimmt Grete (und nicht der Vater) am Ende diePosition Gregors, „weil ihre jugendliche Schönheit ein indie Zukunft investierbares ‚Kapital’ darstellt.“58 Allerdingszeigt der Wunsch der Eltern, sie bald als Ehefrau eines„braven Mann[es]“ (S. 63) zu sehen, dass Gretes emanzipa-torische Versuche (Verkäuferin, Erlernen von Stenografieund Französisch für eine bessere Position) keinen Raum inim Zukunftsbild der Eltern haben, sondern Grete vielmehrdem üblichen weiblichen Rollenklischee der damaligen Zeitentsprechen soll.Gregors Vater ist vor der Verwandlung Gregors einscheinbar schwächlicher älterer Mann, der nach einem mü-hevollen, doch erfolglosen (Berufs-)Leben und dem Zusam-menbruch seines Geschäfts von seinem Sohn finanziell ab-hängig in seiner Familie dahinlebt (vgl. u. a. S. 32, 42).Sieht man aber genauer hin, so erhält das Bild des senilen,hinfälligen, alten Mannes ganz andere Züge. Der Vater ist

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zwar alt, aber durchaus gesund (könnte also arbeiten). Erist durch 5-jährige (berufliche) Untä-tigkeit (quasi von seinem Sohn finan-

zierte „Ferien“ (S. 32)) bequem und fett geworden (vgl.S. 32). Dabei stellt sich schnell die Frage, ob der Vater, dermeist den ganzen Tag im Schlafrock im Lehnstuhl sitzt (vgl.S. 42) und bestenfalls an „ein paar Sonntagen im Jahr“ und„den höchsten Feiertagen“ (S. 42) im Schutz seiner Familiemühsam vor die Tür geht, so schwach ist oder nur soschwach erscheinen will. Der Vater zeigt nämlich auchganz andere Züge: Gleich in der ersten Szene der Erzählungklopft der Vater mit der Faust an Gregors Tür und schickt,als Gregor nicht öffnet, nach einem Schlosser. In GregorsAbwesenheit bestimmt der Vater, welche außerfamiliärenInformationen die Familie bekommt, denn er pflegt seinerFrau und seiner Tochter „mit erhobener Stimme“ (S. 25) ausder Zeitung vorzulesen. Auch der Prokurist scheint diewahre Position des Vaters zu spüren, als er zu Gregor vondessen „Herren Eltern“ [Hervorhebung durch den Verf.](S. 14) spricht.Nach Gregors Verwandlung treten diese Züge des Vatersnoch deutlicher hervor. Als Gregor versucht, ins Wohnzim-mer zu kommen (jedes Mal mit durchaus edlen Motiven,einmal um den Prokuristen aufzuhalten und sein Verhaltenzu erklären, einmal aus Sorge um die Mutter), wird er je-des Mal vom Vater mit wachsender Brutalität in sein Zim-mer zurückgetrieben.Beim ersten Mal erscheint der Vater Gregor stock- und zei-tungsbewaffnet, ihn mit Zischlauten vorwärts (bzw.rückwärts) treibend „wie ein Wilder“ (S. 22). Beim zweitenMal treibt der Vater ihn erst „mehrmals ... um das Zim-mer“ (S. 42 f.), bis Gregor mit „Atemnot“ ermüdet „dahin-

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torkelt“ (S. 43) (Dabei weiß der Vater, dass Gregor „keine... vertrauenswürdige Lunge“ (S. 43) besitzt). Erst jetzt be-wirft der Vater Gregor mit Äpfeln, um ihn endgültig insein Zimmer zu vertreiben, und verletzt ihn dabei schwer.All das

„lässt sich zum Bild eines Menschen zusammenfassen, derohne Gespür für die jeweilige Situation und den Zustand seinesSohnes mit äußerster Brutalität vorgeht, um diesen in seineSchranken zu weisen und über ihn triumphieren zu können; inden beiden Szenen am Ende des ersten und des zweiten Teilsgewinnt die Rächergestalt des Vaters barbarische Züge unddie Art seines Vorgehens, seine unbeeinflussbaren Aktionenund Bewegungen erinnern an eine Maschine, jedenfalls an eineunpersönlich-anonyme Instanz.“59

Aber der Vater geht noch weiter, um Gregor seine Überle-genheit zu demonstrieren. Als er nach Gregors zweitem„Ausbruchsversuch“ seinen Sohn mit Äpfeln bewirft, umihn ins Zimmer zu treiben und ihn dabei erheblich ver-letzt, kommt die Mutter aus dem Zimmer gestürmt, umihren Sohn zu retten. Da sie ohnmächtig war und Grete sieentkleidete, um ihr das Atmen zu erleichtern, ist sie nurmit dem Hemd bekleidet. Auf dem Weg zum Vater gleiten„die aufgebundenen Röcke einer nach dem anderen zu Bo-den“ (S. 44). Schließlich dringt sie über die Röcke stol-pernd auf den Vater ein und bittet ihn, „in gänzlicher Ver-einigung mit ihm“ [Hervorhebung durch den Verf.] (S. 44),um Gregors Leben. Gregors „Sehkraft“ versagt bei dieserSzene.

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Es fällt nicht schwer (verdeutlicht durch Kafkas Wortwahl),diese Szene als Sexualakt der Eltern zu deuten, den Gregorbeobachten muss und der all seine Sehkraft (d.h. wohl seinAuffassungsvermögen) versagen lässt.60

Der Vater zeigt sich (wieder) als der potente Mittelpunktder Familie. Gregor ist nur noch ein hilfsloses impotentesUngeziefer, das sich bestenfalls noch auf weibliche Illus-triertenbilder setzen kann (vgl. S. 40).Fragt man nach den Gründen für dieses Verhalten des Va-ters, so liegt die Vermutung nahe, dass es hier um die Ri-valität zwischen Vater und Sohn, um die Machtposition in-nerhalb der Familie geht.61 Auch dass der Vater ein kleinesVermögen ohne Wissen Gregors und auf dessen Kostenheimlich beiseite geschafft hat, zielt in die gleiche Rich-tung. Die

„scheinbare Senilität zu Beginn der Erzählung täuscht [näm-lich] leicht darüber hinweg, dass er, ganz in der patriarchali-schen Tradition gerade auch der jüdischen Familie, durchausdas Regiment führt.“62

Wird die ethnische Zugehörigkeit der Familie Samsa zwarvöllig offen gelassen, so ist doch die Mischung aus deut-scher Sprache, aber tschechisch klingendem Namen undkeiner ausgeprägten Religiösität „eine für das deutsch assi-milierte städtisch-bürgerliche Judentum Prags ... nicht un-typische Mischung.“63

In dem Maße, wie Gregor nach seiner Verwandlung seine(Macht-)Position in der Familie verliert, steigt sein Vater

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(wieder) zum Familienhaupt auf und erlebt so (zumindestin Gregors Augen) auch eine Verwandlung. Der Vater ent-wickelt wieder Aktivität (zunächst besonders gegenüber sei-nem Sohn) und, da er sich hier dem verwandelten Gregorüberlegen zeigt, auch neues Selbstbewusstsein. Er plant dieweitere, auch finanzielle Zukunft der Familie und suchtsich einen neuen Beruf. Das Zeichen seiner neuen Position,seine Uniform, trägt er nicht nur im Dienst, sondern auchzu Hause.Endgültig erlangt der Vater seine „Machtposition“ in derFamilie zurück, als er die drei Zimmerherren energisch undselbstbewusst aus seiner Wohnung wirft (vgl. S. 61). Jetztist er auch nach außen hin das unangefochtene Familien-oberhaupt. In dieser unangefochtenen Stellung kann der Va-ter nun auch „Schwächen“ zeigen, indem er u. a. doch soetwas wie Mitleid und Trauer über die Situation seines Soh-nes bzw. dessen Tod (vgl. S. 57, 61) oder seine eigenen(körperlichen und nervlichen) Schwächen zeigt (vgl. u. a.S. 46, 55), wenngleich das allabendliche „Zubettbringen“schon fast komisch-rituelle Züge annimmt (vgl. S. 46).Gregors Mutter versucht sich nocham ehesten wirklich für ihren Sohneinzusetzen. Als der Prokurist erscheint, um sich nach Gre-gors Fernbleiben zu erkundigen, versucht sie ihn durch dieBetonung von dem stetigen und uneingeschränkten EinsatzGregors für die Firma zu beruhigen (vgl. S. 13).Nachdem Gregors Schwester die Pflege seines Zimmersimmer mehr vernachlässigt, reinigt die Mutter das Zimmergründlich, riskierend, dass sie mit der Tochter darüber inStreit gerät (vgl. S. 48). Die Mutter ist auch die Einzige, diebetont, dass Gregor noch zur Familie gehört, und die ihnsehen will: „Lasst mich doch zu Gregor, er ist ja mein un-

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glücklicher Sohn!“ (S. 35). Als sie Gregor schließlich aber inseiner verwandelten Gestalt sieht, kann sie seinen Anblicknicht ertragen und fällt wieder in Ohnmacht (vgl. S. 40).Allerdings ist es auch Gregors Mutter, die den Vater davonabhält, Gregor weiter mit Äpfeln zu bewerfen und ihm da-mit vermutlich das Leben rettet. Seine Mutter allein er-kennt, dass das Mobiliar in Gregors Zimmer die einzigeund letzte Verbindung zu seiner menschlichen Existenz ist,und sie weigert sich daher (zunächst), sein Zimmer auszu-räumen.Die Mutter ist aber nicht stark genug, ihre Position gegenGrete und den Vater durchzusetzen. Sie ist körperlich durchihr Asthmaleiden geschwächt und nicht in der Lage, extre-me Situationen zu bewältigen, sie fällt in Ohnmacht.

„Dieses In-Ohnmacht-Fallen, schon in den Novellen und Dra-men Kleists regelmäßig Zeichen für die Machtlosigkeit einerFigur in der sie bedrängenden Situation, wird von Kafka ge-zielt – und deutlich stilisiert – eingesetzt, um die Begrenztheitdieser Person zu signalisieren.“64

Nach Gregors Tod fühlt sich aber auch die Mutter befreit.Sie ist schnell bereit, „endlich die alten Sachen“ (S. 63) zuvergessen und ihre Aufmerksamkeit dem Familienober-haupt zu widmen (vgl. S. 63).Der Prokurist, die drei Zimmerherren und die Bediens-teten im Hause Samsa sind nur Nebenfiguren, da die ei-gentliche Handlung in Gregors Familie stattfindet. Sie ver-anlassen die Familie Samsa jedoch auch zu einemVerhalten, das einen erweiterten Blick auf sie zulässt.

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Der Prokurist ist der verlängerte Arm von Gregors Chefund gibt einen Einblick in Gregors berufliche Welt. SeinEindringen in Gregors Familie und Privatsphäre zeigt des-sen Position in der Firma. Gregor ist nur ein kleiner Rei-sender, dessen Stellung alles andere als gefestigt ist (vgl.S. 14). „Gregor ist einer jener ‚Angestellten’, in denen derChef ,samt und sonders Lumpen ...’ vermutet und sie auchso behandelt.“65

Da es aus Gregors beruflichem Verhalten keinen Grund fürdiese Einschätzung gibt, ist das Verhalten und die Unterstel-lung des Prokuristen mehr als unverschämt. Dass der Proku-rist nicht nur im Namen der Firma, sondern auch der Elternspricht, resultiert wohl daraus, dass Gregor nicht nur derErnährer der Familie ist, sondern auch die Schulden seinerEltern bei seinem Chef abbezahlen muss (vgl. S. 6). „So feh-len ein familiärer ‚Schonraum’ und eine vor beruflichen An-forderungen gegebenenfalls schützende Privatsphäre.“66

Die unter dem „Deckmantel der Freundlichkeit“67 ausge-sprochenen Drohungen und Unterstellungen des Prokuris-ten entbehren jeder Grundlage, zeigen aber auch, dassselbst unter normalen Umständen eine Verständigung zwi-schen Gregor und Prokurist wohl unmöglich gewesen wäre.Zudem entpuppt sich der Prokuristals Intrigant, denn was er vorgibt,dem Chef ausgeredet zu haben, hat er – liest man den Textgenau – wohl dem Chef geradezu eingeredet: „Ich legtewahrhaftig fast mein Ehrenwort dafür ein, dass diese Er-klärung nicht zutreffen könne.“ [Hervorh. durch den Verf.](S. 14)68 Der Prokurist wird von Gregor zudem als „Damen-

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freund“ (S. 20) charakterisiert, den selbst ein 17-jähriges„Kind“ beeinflussen kann (vgl. S. 20 f.).Als der Prokurist Gregor schließlich in seiner verwandeltenGestalt erblickt, erweist er sich als schreckhafter Feigling,wobei seine theatralischen Gesten und seine unartikulier-ten Ausrufe einen besonders karikaturistisch-entlarvendenKontrast zu seinem vorherigen autoritären, amtlich-präzisenSprachverhalten und Auftreten bilden.Die drei Zimmerherren treten weniger als Individuendenn als Gruppe auf. Sie haben fast gleiches Aussehen, wo-bei der mittlere Herr allerdings als Wortführer fungiert.Obwohl die drei Zimmerherren nur ein Zimmer gemietethaben, okkupieren sie auch das Wohnzimmer, sodass sichdie Familie wie Bedienstete in die Küche zurückziehenmuss.Sie sind quasi die „Herren“ der ganzen Wohnung, denn siebringen ihre eigenen Möbel mit und spielen sich auch wielaunische „Herrscher“ auf, die u. a. das Essen in die Küchezurückschicken können, unterwürfige Bedienung erwarten(vgl. S. 51) und die Tochter zum Musizieren herbeirufenkönnen, aber dann schnell desinteressiert in halblaute Ge-spräche verfallen, an denen sie die Vermieterfamilie nichtteilnehmen lassen (vgl. S. 52 ff.).Auf das Erscheinen Gregors reagieren sie nicht entsetzt,sondern eher „ein wenig böse“ (S. 54), und als der Vater siein ihr Zimmer zurückdrängen will, spielen sie ihre Macht-position aus und kündigen.Gregors Tod führt nun allerdings zu einer Umkehrung derPosition: Der Vater wirft die Zimmerherren hinaus, sie rea-gieren schließlich mit „Demut“ (S. 61). Auch ihre Herr-scherposition schwindet, bezeichnenderweise erhalten sienoch nicht einmal mehr ein Frühstück.

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Textbeleg ErklärungS. 5 Reisender: Handlungsreisender, VertreterS. 7 Kasten (österreichisch): (Kleider-)SchrankS. 11 Prokurist: der mit einer Handlungsvollmacht

(Prokura) ausgestattete geschäftliche undrechtliche Vertreter einer Firma

S. 14 paradieren hier: angeben, sich hervortun, mitetwas prunken

S. 14 Inkasso: Einziehen von Bargeld, besondersvon ausstehenden Beträgen von Kunden anOrt und Stelle

S. 22 Überzieher: HerrenmantelS. 26 Kanapee: Sofa mit Rücken und SeitenlehnenS. 30 Kommis: Nach dem Französischen commis

voyageur = reisender HandlungsgehilfeS. 35 Plafond (französisch): ZimmerdeckeS. 45 Stenografie: KurzschriftS. 50 Zimmerherren: UntermieterS. 50 Bedienerin: sog. „Zugehfrau“, arbeitet nur

stundenweise und ist daher billiger als einim Haus wohnendes Zimmermädchen

S. 62 Principal: Geschäftsinhaber, Geschäftseigen-tümer

S. 63 Elektrische: elektrische Straßenbahn

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Kafkas Sprache steht im Gegensatz zum Inhalt seiner Erzäh-lung. Während er „phantastische Geschehnisse“ schildert,verwendet Kafka eine „gehobene Alltagssprache“69, die„knapp( ), kühl( ), unbeteiligt( )“70 wirkt. Diese Sprache istsicherlich auch durch seine Arbeit als Jurist geprägt. Auchhier ist Sachlichkeit und präzise Ausdrucksweise gefordert.

Die Diskrepanz zwischen der Schil-derung eines phantastisch-ungeheuer-lichen Geschehens und dem Ge-

brauch einer sachlichen, kühlen, präzise-nüchternenSprache, die sich nicht nur in der Verwandlung, sondern auchin den anderen Werken Kafkas findet, trägt nicht unwesent-lich zum sog. kafkaesken Stil(-Empfinden) bei.71 Beim Leserbewirkt dieser Stil, der selbst das Phantastische als das Nor-male schildert eine Spannung, die ihn unwillkürlich in ih-ren Bann zieht.

„Die selbstverständliche Einbettung des Ungeheuerlichen insAlltägliche lässt jene Distanz nicht zu, die er [der Leser] klas-sischen Horrorgeschichten gegenüber leicht wahren kann.“72

Mindestens genauso markant wie Kafkas Sprachstil istsein Erzählstil in Die Verwandlung. Wie in einer Kurzge-schichte wird der Leser unmittelbar in die Handlung hi-neinversetzt. Alles wird aus der Perspektive Gregors er-zählt, nur selten (u. a. nach Gregors Tod) kann man so

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etwas wie auktoriales Erzählen feststellen. Dieses persona-le Erzählen, das den Leser (fast) ausschließlich auf dieSichtweise der Hauptperson, Gregor Samsa, festlegt, be-zeichnet man auch als eigensinniges oder monoperspekti-visches Erzählen.73 Außer durch diesen ganz auf Gregorssubjektiv gefärbte Sichtweise (Perspektive) konzentriertenErzählstil erhält der Leser noch zusätzlich Einblick in Gre-gors Gefühlsleben durch die erzähltechnischen Mittel desinneren Monologs und der erlebten Rede.Ein weiteres Stilelement in Kafkas Die Verwandlung ist diefast schon an Stummfilmdarstellun-gen erinnernde (Selbst-)Charakteri-sierung der Personen durch Gestik und Mimik. Besondersdeutlich wird das in der „Szene“, als Eltern und Prokuristden verwandelten Gregor wahrnehmen (vgl. S. 20 ff.), undbei der Darstellung der drei Zimmerherren (vgl. S. 51,54 f., 60 ff.). Bei diesem szenischen Erzählstil tritt diePerspektive der Hauptperson ganz in den Hintergrund.

Im Folgenden werden einige Sprach- und Stilmittel, die Kaf-ka in seiner Erzählung verwendet, in Auswahl kurz vorge-stellt:74

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SprachlicheMittel/Stil

Gebrauch modalerAdverbien, hypo-taktische und pa-rataktischeSatzkonstruktion

Innere Monologeund erlebte Rede

Dialoge

Erklärung

Die Wirklichkeiterscheint als un-zuverlässig undMisstrauenerweckend

Häufig objektivfalsche Einschät-zung der jeweiligenSituation durchGregor, die subjek-tive Wahrnehmungerscheint so frag-würdig; Darstel-lung von GregorsinnererAufgewühltheit

Zeigen das Schei-tern einer Ver-ständigung unddas Nichtzustan-dekommen vonKommunikations-prozessen, ver-deutlichen dieSprachlosigkeitstatt ihreBeseitigung

Textbeleg

S. 5, 41 u. a.

S. 20 u. a.

S. 11 u. a.

S. 14 f., 16 u. a.

Page 66: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Detailreiche undkorrekte Sprache

SzenischesErzählen

AbgerundeterSchluss

Verwehrt demLeser ein schnel-les Aufkommenvon Emotionen

Selbstcharakteri-sierung von Perso-nen, oft komisch-ironische (Selbst-)Entlarvung

In seiner trivialenBeschaulichkeitEntlarvung desfalschenklein(spieß-)bür-gerlichenFamilienidylls

S. 5, 6 u. a.

S. 20, 21, 29, 60 ff.u. a.

S. 63

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Kafkas Erzählung Die Verwandlung hat immer wieder zu In-terpretationsversuchen herausgefordert. Seine vieldeutige,realistisch-phantastische und komplexe Erzählwelt hatdabei eine Fülle der unterschiedlichsten, sich zum Teilauch widersprechenden Deutungen hervorgebracht. In An-gel Flores’ Kafka-Bibliografie aus dem Jahr 1976 werdenbereits 121 Interpretationen zu dieser Erzählung aufgelistetund bis heute sind noch unzählige Auslegungsversuche hin-zugekommen. Allerdings entzieht sich auch dieses WerkKafkas beharrlich einer endgültigen Deutung.Jeder Leser, der sich auf Kafka und sein Werk einlässt,muss für sich eine eigene Deutung finden. Die bisherigenInterpretationsversuche können allerdings „Richtlinien undOrientierungspunkte durch das ‚Labyrinth’ von Kafkas ...[literarischer Welt] ... bieten [und] Hilfen bei der eigenenVerständnissuche [sein].“75

Es würde allerdings den Rahmen dieser Publikation spren-gen, wollte sie auf alle Interpretationsversuche oder auchnur auf die Vielzahl der Interpretationsrichtungen eingehen.Daher kann im Folgenden nur eine (zugegeben subjektive)Auswahl der Deutungsansätze herausgegriffen und kurz vor-gestellt werden.

Es ist unverkennbar, dass KafkasErzählung „stark autobiografische

Züge“76 aufweist. Nicht nur, dass der Name Samsa als Kryp-togramm für Kafka gelesen werden kann, auch Kafka lebtelange Zeit als erwachsener berufstätiger Sohn bei seinen El-tern. Hier erlebte Kafka, wie seine Erzählfigur Gregor, dieDominanz seines Vaters.

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„Ich war ja schon niedergedrückt durch Deine bloße Körper-lichkeit ... Ich mager, schwach, schmal, Du groß, breit.“77

Ähnlich empfindet der verwandelte Gregor bei den Kon-frontationen mit seinem Vater (vgl. S. 42 u. a.). Wie Gregorwird auch Kafka von seinem Vater gedemütigt.

„Insbesondere seinem Sohn Franz machte er [der Vater] stetsschwere Vorwürfe wegen seiner Andersartigkeit. Diese Erfah-rungen, dass er in seiner Art und mit seinen Neigungen nichtakzeptiert wurde und dass er andererseits den Erwartungennicht entsprechen konnte ..., prägte die Persönlichkeit Kafkasentscheidend. Innerlich war er von permanenten Angstzustän-den, Unsicherheiten, Minderwertigkeits- und Schuldgefühlenund Kontaktschwierigkeiten gedrängt ...“78

Besonders erniedrigend und verletzend muss für Kafka derKommentar seines Vaters zur Mitteilung des Sohnes überseine Verlobung gewesen sein. Kafkas Vater wertet die Ge-fühle des Sohnes als eine Art sexueller Entzugserscheinungab und empfiehlt ihm, lieber ins Bordell zu gehen, als eine„Beliebige“ zu heiraten, um dann dem Sohn überheblichvorzuschlagen: „Wenn du dich fürchtest, werde ich selbstmit dir gehen.“79

„Dass sein Sohn Kontaktschwierigkeiten zu Frauen und eingespaltenes Verhältnis zur Sexualität, Ehe und Familie hatte,wundert daher nicht mehr.“80

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Auch diese persönlichen Erfahrungen Kafkas finden sich beiGregor Samsa wieder. Auch er ist nicht mehr in der Lage,ein normales Verhältnis zu Frauen aufzubauen, und auch erfühlt sich dem Vater vital und sexuell unterlegen (s. Kapi-tel 2.4).

Selbst das (zunächst) gute VerhältnisGregors zu seiner Schwester Gretekann man als literarische Spiegelungdes Verhältnisses von Kafka zu sei-ner jüngeren (Lieblings-)Schwester

Ottla deuten. Aber wie bei Gregor kam es auch bei Kafkazu einer Entfremdung zwischen den Geschwistern, als Ott-la 1912 wie die Eltern der Meinung war, Kafka müsse sichmehr um die familieneigene Asbestfabrik kümmern. Kafkaempfand dieses Verhalten als „Verschwörung“ gegen sich.81

Dass Kafkas Vater zu dieser Zeit durch geschäftliche Miss-erfolge und Krankheit gezeichnet war und über Kafka dieGefahr schwebte, bei geschäftlichem Ruin oder einer Ver-schlimmerung der Krankheit des Vaters an dessen Stelletreten und seinen Lebensstil ändern zu müssen, spiegeltsich in Gregors Lebenslauf wider, der seine militärischeKarriere aufgeben musste, um anstelle des Vaters für dieFamilie den Lebensunterhalt zu verdienen.Selbst Kafkas Beziehung zur Mutter und ihre Stellung zwi-schen Mann und Sohn, die er im Brief an den Vaterfolgendermaßen beschreibt,

„Es ist wahr, dass die Mutter grenzenlos gut zu mir war,aber ... die Mutter hatte unbewusst die Rolle eines Treibers inder Jagd ...“82,

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findet sich nur kaum literarisch verkleidet in Die Verwand-lung wieder.So augenfällig diese autobiografischen Spiegelungen sind, sonegiert Kafka doch eine Gleichsetzung Gregors mit seinerPerson. Er räumt allerdings gewisse Parallelen ein:„Samsa ist nicht restlos Kafka. ‚Die Verwandlung’ ist kein Be-kenntnis, obwohl es – in gewissem Sinne – eine Indiskretionist.“ [Hervorh. durch den Verf.]83

Kafkas Erzählung allerdings nur als literarische Spiegelungdes frustrierten Lebens und der Minderwertigkeitsgefühledes Autors zu sehen, würde sie zu kurz und zu einseitigdeuten und damit ihren literarischen Wert schmälern.Der Käfer (das Ungeziefer) in derVerwandlung signalisiert nämlichnicht nur die Minderwertigkeit derPerson, die es ersetzt, ihre Entfremdung und ihr Außensei-tertum als Spiegelung der persönlichen Situation und derGefühle ihres Verfassers, sondern kann auch als eine Meta-pher für das Judentum gedeutet werden.So zeigen verschiedene Äußerungen Kafkas, dass schon zuseiner Zeit Juden mit Ungeziefer gleichgesetzt wurden unddass er sich damit auch teilweise identifizierte. In einemBrief an Milena Jesenská etwa schreibt Kafka, dass Judenals „räudige Rasse“ bezeichnet worden seien, und fährt fort:

„Ist es nicht das Selbstverständliche, dass man von dort weg-geht, wo man gehasst wird? ... Das Heldentum, das darinbesteht, dort zu bleiben, ist jenes der Schaben, die auch nichtaus dem Badezimmer auszurotten sind.“84

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Page 71: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Kafka hat die Metapher in seiner Erzählung wörtlich ge-nommen und einen Menschen zum Ungeziefer werden las-sen. Herausgekommen ist:

„Eine höchst gelungene Geschichte ... Literatur durch unddurch. Aber: gab es nicht auch andere, die eine Metapherbeim Wort nahmen und Menschen nicht nur Ungeziefer nann-ten, sondern sie auch als Ungeziefer behandelten? Zuerst nah-men sie ihnen ihre bürgerlichen Rechte, dann sprachen sie ih-nen ihr Menschsein ab, sie waren Ratten, Ungeziefer, das umder Gesundheit des Volkskörpers willen beiseite geschafft wer-den musste. Die Metapher wurde wörtlich genommen. Ausden Menschen wurden Tiere, aus den Tieren Untiere, aus denUntieren Zeug, das nichts mehr wert war, das man also weg-werfen konnte und musste.“85

So gesehen beschreibt Kafka

„das Wesen seiner Zeit mit unglaublich scharfem Durchblick... Während einigen seiner Zeitgenossen schien, seine Texteseien Traumvisionen, dichterische Übertreibungen und phan-tastische Halluzinationen, konstatieren wir heute mit Erstau-nen die Genauigkeit und Nüchternheit dieser Beschreibung.“86

Die Metapher kann aber nicht nur in Bezug auf das Juden-tum interpretiert werden, sondern noch weitergehend stehtsie für alle (unterdrückten, verachteten) Minderheiten, fürden „entfremdeten Großstadtmenschen und Statisten einerIndustriegesellschaft“ ebenso wie für den „Homosexuellen“,den „Gastarbeiter“, den „Kranken“ oder „Alternden“.87

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Dieser mehr sozial- und gesell-schaftskritische Ansatz lässt sich beider Figur Gregors aber noch präzi-sieren. Gleich zu Beginn der Erzählung reflektiert Gregorüber die negativen, ausbeuterischen und z. T. sogar un-menschlichen Arbeitsbedingungen, unter denen er offen-sichtlich leidet (vgl. S. 6 f.), und der Prokurist, der seinFehlen überprüfen will, bestätigt diese NegativeinschätzungGregors genau. Gregor glaubt, sich nur durch vollkommeneUnterwerfung seinen Arbeitsplatz sichern zu können, emp-findet sich selbst als „Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat undVerstand“ (S. 7).

„Die Entfremdung, die Gregor in seinem Beruf erfährt, führtzur Entfremdung von seinem eigenen ‚Ich’. Die Verwandlungzum Käfer könnte also Folge der unmenschlichen Arbeitsbe-dingungen sein; eingebunden in innerbetriebliche Mechanismenverliert der Mensch sein ihm eigenes Wesen und verwandeltsich zum Tier.“88

Aber nicht nur im Beruf, auch in seiner eigenen Familiewird Gregor ausgebeutet und hintergangen. So „darf“ erzwar unter Aufgabe seiner eigenen Lebensziele die Familieernähren, wird aber u. a. über ihre wahre (günstige) Ver-mögenslage nicht informiert (vgl. S. 31 f.). Auch wird ihmin keiner Weise ehrlicher Dank, menschliche Nähe oderangemessene Herzlichkeit entgegengebracht. Sein Einsatzwird im Gegenteil als selbstverständlich gesehen:

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„Man hatte sich eben daran gewöhnt ... man nahm das Gelddankbar an, er lieferte es gern ab, aber eine besondere Wär-me wollte sich nicht mehr ergeben.“ (S. 30)

Scheinbar hat Gregor seine Situation akzeptiert, aber in sei-nen „unruhigen Träumen“ (S. 5) protestiert er gegen seineAusbeutung.

„Gregor protestiert gegen seine Lebensweise als Reisender undder Protest drückt sich sinnfällig in seiner Verwandlung zumKäfer aus, die ihn für jede Reisetätigkeit untauglich macht.Das revoltierende Unterbewusstsein hat sich eine äußere Ge-stalt geschaffen ... seine abstoßende Käfergestalt bringt seineunglückliche, geknechtete Existenz und seinen lang unterdrück-ten Protest grotesk zum Ausdruck.“89

Auf seine Angehörigen wirkt Gregors neue Gestalt (selbst-)entlarvend, die Familie wird durch seine (neue) Existenzals Käfer und den Umgang mit dieser Situation gezwungen,ihr wahres Gesicht zu zeigen:

„Als Ernährer der Familie, dessen ganzes Sinnen und Trach-ten nur allein auf dieses Ziel gerichtet war, ist Gregor un-brauchbar geworden. Man zeigt ihm, dass man gezwungenist, nun seinetwegen selbst Geld zu verdienen und ihn dochnicht so ohne weiteres los werden kann. Aber man vernach-lässigt ihn, negiert seine menschliche Existenz, indem man keinWort mit ihm wechselt und mit seinen Möbeln auch die Erin-nerung an diese Existenz entfernt. Das Insekt wird zum Sta-chel im Fleisch der Familie, zu jener Wahrheit, die die Familie

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verdrängen will. Gregor muss am Ende seine Überflüssigkeit,die völlige Sinnlosigkeit seines Lebens erkennen. Seine Familie,die scheinbar ohne seine Arbeit unfähig war zu überleben, er-kennt nach seinem Tod selbstzufrieden, dass sie sehr wohlsich selbst erhalten kann und dass es ihr jetzt nicht schlechtergeht als zur Zeit ihres Ernährers Gregor.“90

Betrachtet man Gregor und seine Käferexistenz genauer, sofällt die merkwürdige Ähnlichkeit in seinem Denken undVerhalten vor und nach seiner Verwandlung auf. KlagteGregor vor seiner Verwandlung über das „unregelmäßige,schlechte Essen“ und „ein[en] immer wechselnde[n], nieausdauernde[n], nie herzlich werdende[n] menschliche[n]Verkehr“ (S. 6), so hat sich in seinem Insektenleben diesbe-züglich nichts geändert. Auch Gregors Verhalten bleibt un-verändert. Seine hervorstechendsteEigenschaft, seine schon fast krank-hafte Rücksichtnahme, sein jedenAnlass zur Sorge oder gar Verdrussvermeidendes „Wohlverhalten“ bleibt auch als Käfer domi-nierende Eigenschaft.Gregor versteckt sich unter einem Laken, um Schwesterund Mutter seinen Anblick zu ersparen. Seine größte Sorgeist, die Familie nicht zu stören: „Das größte Bedenkenmachte ihm die Rücksicht auf den lauten Krach, den esgeben müsste“ (S. 10 f.), wenn er sich aus dem Bett fallenließe, und selbst sterbend zieht er sich mit letzter Kraft insein Zimmer zurück, um seiner Familie im Wohnzimmerseinen Anblick zu ersparen (vgl. S. 58 f.).

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All das legt eine weitere Interpretationsmöglichkeit nahe:

„Eine Verwandlung hat gar nicht stattgefunden. Gregor Samsa‚erwacht’ eines Tages und erblickt die Wirklichkeit – seinenvöllig sinnenthobenen beruflichen Alltag, das Fehlen menschli-cher Wärme, die Armut seines Gefühlslebens und nicht zuletztauch die Entfremdung vom eigenen Körper und seinen Bedürf-nissen. Hier hat das Bild des mit den ‚flimmernden’ Gliedernhilflos auf dem Rücken liegenden Käfers eine unmittelbarePlastizität. Gregor ignoriert die Schmerzen, wie er seinen Kör-per ignoriert und wohl stets ignoriert hat.“91

Abschließend soll noch auf eine Deutung hingewiesen wer-den, die auf den ersten Blick recht paradox erscheinenmag. Unabhängig von allen möglichen Deutungsansätzenkann man Kafkas Die Verwandlung auch als grotesk-komi-sche Erzählung sehen. Aber nicht nur Die Verwandlung,„auch die Handlung der anderen Erzählungen und RomaneKafkas lässt sich immer wieder als komisch verstehen.“92

So berichtet Kafkas Freund Max Brod, dass Kafka und seineFreunde beim Vorlesen seiner Werke häufig in herzhaftesLachen ausgebrochen seien93, und auch in Die Verwandlungfinden sich viele Stellen, die (grotesk) komisch sind. Dasgeht von „struktureller Komik“ über „Situationsko-mik“, „verbale Komik“ und „Erzählerironie“ bis hin zur„theatralischen Komik“.94

So ist die Reaktion der Mutter beim ersten Erscheinen desverwandelten Gregors schon fast slapstickhaft-grotesk (vgl.

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S. 21) und auch die Erscheinung und das Gehabe der dreiZimmerherren wirkt wie aus einem Chaplin-Film. Selbstdas Bewerfen des verwandelten Gregors mit Äpfeln durchden Vater wird „skurril, grotesk, geradezu albern-ko-misch“95, sobald dem Leser die aberwitzige Situation einerInsektenjagd mit Äpfeln bewusst wird.Abraham glaubt, dass Kafka hier das jiddische Theater, wiees auch durch seinen Freund, dem ostjüdischen Schauspie-ler-Regisseur Jizchak Löwy, und seine Theatergruppe ver-treten wurde, parodieren wollte.96

Es lässt sich jedoch noch eine weitere Deutung für Kafkasgrotesk-komische Darstellungsweise finden. Die Wirkungdieser Darstellungsweise in vielen Szenen lebt (auch) von„der Differenz der Darstellung des Widersinnigen im Ge-gensatz zu einer vernünftig geordneten Welt.“97 Aber genauder Einbruch des vernünftig nicht Erklärbaren in die ver-nünftig-(klein-)bürgerlich geordnete Lebenswelt der Fami-lie Samsa ist ein Element der Verwandlung.So lässt sich auch bei der Verwandlung Thomas Gräffs Fazitzu Kafkas grotesker Darstellung im Proceß anführen:

„Nach Kafka haben viele Schriftsteller erkannt, dass sie dermodernen Wirklichkeit nur noch mit Absurditäten (z. B. Io-nesco, Beckett) oder der Tragikomödie (z. B. Dürrenmatt)begegnen können. Die Übertreibung der Wirklichkeit scheintnotwendig zu sein, um ihr nahe kommen und ihr gerecht wer-den zu können.“98

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Die Lösungstipps beziehen sich auf die Kapitel der vorlie-genden Erläuterung.

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Thema: Kafka und Die VerwandlungZeigen Sie, wie sich Kafkas familiäre Situ-ation in Die Verwandlung widerspiegelt.Wie stellt Kafka in seinem Brief an den Va-ter sein Verhältnis zum Vater dar? StellenSie die entsprechenden Stellen heraus.Arbeiten Sie heraus, wie Kafka die Positi-on seiner Mutter im Verhältnis Vater –Sohn sieht und vergleichen Sie sie mit derPosition und dem Verhalten von GregorsMutter.

Thema: Gregor und seine FamilieWie ist das Verhältnis Vater – Sohn bzw.Sohn – Vater vor der Verwandlung Gre-gors, wie danach? Arbeiten Sie die Verän-derungen heraus und versuchen Sie sie zubegründen.Stellen Sie heraus, inwiefern Gregor vonseiner Familie ausgebeutet wird. BeachtenSie dabei das Verhalten der einzelnen Fa-milienmitglieder vor und nach der Ver-wandlung.Gregors Schwester ist die Erste, die sichnach seiner Verwandlung um ihn küm-mert. Sie ist aber auch die Erste, die sich

Lösungshilfen:2.7, 4, 5

1.3, 2.7, 5

2.4, 2.7

Lösungshilfen:2.4, 2.7, 5

2.4, 2.7, 5

2.4

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dafür einsetzt, ihn loszuwerden. Erarbei-ten Sie die Gründe für diesen krassenWandel in Gretes Einstellung.

Thema: Gregor und die FrauenArbeiten Sie Gregors Verhältnis zumweiblichen Geschlecht heraus. Können Sieeinen Unterschied zwischen der Zeit vorund nach seiner Verwandlung feststellen?Welche Bedeutung könnte das Bild derDame im Pelz für Gregor haben? Verän-dert sich die Bedeutung nach GregorsVerwandlung?Diskutieren Sie: Warum reagiert Grete soschroff und aggressiv beim Zimmeraufräu-men auf Gregor? Beachten Sie dabei auchdie Bedeutung des Bildes der Dame imPelz.

Thema: Gregor und seine beruflicheSituationDiskutieren Sie: Ist Gregor wirklich „eineKreatur des Chefs, ohne Rückgrat undVerstand“?Glauben Sie, dass Gregor, wenn er nichtwegen seiner Eltern finanziell abhängigwäre, wirklich längst seinem Chef dieMeinung gesagt und gekündigt hätte? Be-gründen Sie Ihre Meinung.Wie stellt sich das Verhältnis Gregor –Prokurist dar? Ist der Prokurist sein

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Lösungshilfen:2.4, 2.7

2.4, 2.7

2.4

Lösungshilfen:

2.4, 2.7

2.4, 2.7

2.4, 2.7

Page 79: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Freund oder sein Feind? Untersuchen Siedie Aussagen und das Verhalten desProkuristen.

Thema: Gregors VerwandlungListen Sie mögliche Gründe für GregorsVerwandlung auf. Betrachten Sie die Ver-wandlung auch als Metapher.Verwandelt sich Gregor wirklich? Beach-ten Sie sein Verhalten vor und nach derVerwandlung.Gregor wird in einen Käfer/ein Ungezieferverwandelt. Diskutieren Sie, für wen/wasdieser verwandelte Gregor stehen könnte.

Thema: Groteske oder DramaIst Die Verwandlung eine komische odereine tragische Geschichte? Begründen SieIhre Meinung.Diskutieren Sie: Stirbt Gregor am Verhal-ten seiner Familie oder an seinem eige-nen?Ist die Szene, in der Gregors Vater ihndurch Bewerfen mit Äpfeln schwer ver-letzt, eine dramatische oder eine groteskeDarstellung ihres Verhältnisses? Versu-chen Sie, sich die Episode szenisch darge-stellt vorzustellen.

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Lösungshilfen:2.4, 2.7, 4, 5

2.7, 4

2.7, 5

Lösungshilfen:2.7

2.4, 2.7

2.7, 5

Page 80: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Die frühen, bereits zu Lebzeiten Kafkas erschienenen Re-zensionen zu Die Verwandlung betonen besonders die Dar-stellung des Wunderbaren. So stellt der LiteraturhistorikerOskar Walzel Kafkas Erzählung in den Zusammenhang der„Literatur des Wunderbaren“99 und besonders ihrer deut-schen Vertreter. Kafkas Vorbild bezüglich seines Stils undseiner Darstellungsweise glaubt Walzel hingegen in Hein-rich von Kleist gefunden zu haben.Max Brod sieht in Kafkas Verwandlung eines der „jüdischs-ten Dokumente unserer Zeit“, in dem Kafka „wunderbarstarke Symbole des reuigen Ausgeschlossenheitsbewusst-seins, das die Seele des modernen Juden durchtobt“100, dar-stellt.Im Gegensatz zu Brod sieht Robert Müller in Kafkas Er-zählung eine „saubere, unromantische Erzählkunst“, betontaber, dass Kafka dadurch, dass er in der Verwandlung Gre-gor Samsas „alle biomechanische Wahrscheinlichkeit“ auf-hebt, den „Geschmack“ der Leser zu sehr strapaziert undkommt zu dem ablehnenden Ergebnis:

„Die sonst absichtslose Erzählkunst Kafkas, die etwas Ur-deutsches, rühmlich Artiges, im Erzählenden Meistersingerli-ches besitzt, wird durch die hypothetische[n] Flicke[n] auf ih-rem schönen Sachgewande deformiert.“101

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Kafka nimmt sich diese ablehnende Kritik Müllers sehr zuHerzen102, macht sich aber auch darüber lustig, dass Mül-ler seine Erzählung als „urdeutsch“, Brod hingegen als „jü-disches Dokument“ sieht. Ironisch schreibt er an Felice:„Ein schwerer Fall. Bin ich ein Circusreiter auf 2 Pferden?Leider bin ich kein Reiter, sondern liege am Boden.“103

In seiner Besprechung im Prager Tagblatt stellt Eugen Lö-wenstein die „psychologischen Aspekte“ von Kafkas Erzäh-lung in den Mittelpunkt seiner Besprechung und betont hierbesonders das „Vaterproblem“. Löwenstein erkennt aberauch schon, dass es sich in Kafkas Erzählung um zwei Ver-wandlungen handelt, die von Gregor Samsa und die seinerFamilie.104

Einen Schritt weiter geht einige Jahre später Helmut Kai-ser in seiner psychoanalytischen Untersuchung zu KafkasErzählung. Er sieht Die Verwandlung als „Triebdokument desDichters“105, in dem Kafka seine Konflikte literarisch ver-wandelt hat. Allerdings erliegt Kaiser in seiner Interpretati-on oft der Gefahr, seine Schlüsse (stark reduziert) auf „daseinfache Schema ödipaler und genitaler Rivalität“106 zurück-zuführen.Walter Benjamin lehnt sowohl die psychologische wieauch die psychoanalytische Deutung von Kafkas Die Ver-wandlung ab. Für ihn sind diese Interpretationsansätzelediglich zwei Wege, „Kafkas Schriften grundsätzlich zu ver-fehlen.“107 Benjamin untersucht Kafkas Erzählungen unterdem Gesichtspunkt der Geschichtsphilosophie, „die die

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heutige ‚Beamtenwelt’ und die ‚Welt der Väter’ im Sinneder ‚Vorwelt’ aufeinander bezieht.“108

Während des Nationalsozialismus gehört Kafka zu den Au-toren, deren Werke als „verbrennungswürdig“ deklariertwerden und die aus den Bibliotheken und Buchhandlungenentfernt werden müssen. Erst nach dem Zweiten Weltkriegkommen von den im Ausland lebenden Exilierten und Emi-granten Anstöße zu einer Neubeschäftigung.Bahnbrechend sind hier vor allem Günther Anders’ Über-legungen in der Neuen Rundschau. Anders lehnt die bis-herige Interpretation Kafkas als „Heiliger“, „Mythen-schmied“ oder „Symbolist“ usw. ab und bezeichnet ihnvielmehr als „realistischen Fabeldichter“:

„nicht dass Georg Sanna [gemeint ist Gregor Samsa] amMorgen als Käfer aufwacht, sondern dass er darin nichts Er-staunenswertes sieht, diese Alltäglichkeit des Grotesken machtdie Lektüre so entsetzenerregend.“109

Auch mit seinen Bemerkungen zu Kafkas „Prinzip der Ver-bildlichung“, dass Kafka die (metaphorischen) Worte quasibeim Wort nimmt und damit „ihren verschütteten Bildsinnwiedererweckt hat“110, weist Anders der literaturwissen-schaftlichen Beschäftigung mit Kafkas Werk neue Wege.Walter H. Sokel gibt in Monatshefte111 eine der Freud-schen Theorie verpflichtete Analyse der Verwandlung undzieht damit „ein vorläufiges Fazit der im Englischen und

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Amerikanischen verbreiteten psychologischen und psycho-analytischen Kritik“112 zu Kafkas Erzählung.Neben diesen Deutungen ist in den 50er Jahren aber vorallem die werkimmanente Interpretation von Kafkas Wer-ken weit verbreitet, wie sie sich etwa bei Edmund Edelwiederfindet. Er deutet in Wirkendes Wort den „Sinn“ derVerwandlung als „Bekenntnis zum Reich des Geistes“ undbringt Gregors Tod auf die Formel „Das Edle schwindet,das Geziefer bleibt.“113

In seinem marxistischen Deutungsversuch zu Kafkas Werkkommt Helmut Richter hingegen zu folgender Interpretati-on der Verwandlung:

„Damit ist die Funktion der Verwandlung geklärt. Verwan-delt wird ein Mensch, der vor seiner menschlichen Aufgabeversagt hat und für den deshalb das Äußere eines ekelhaft-parasitären Ungeziefers als gemäße Form der Existenz geltensoll. Das Verhalten seiner Angehörigen zu ihm ist damit nichtnur aus äußeren, sondern auch aus inneren Gründen gerecht-fertigt ...“114

Werner H. Sokel wiederum deutet Die Verwandlung in sei-ner ideologiekritischen Auslegung als „ausgezeichnetes Bei-spiel für Kafkas Mythisierung begrifflichen Denkens“, denndie Erzählung lässt seiner Meinung nach „den in der mo-dernen Ideengeschichte zentralen Begriff der Selbstentfrem-dung buchstäblich Ereignis werden.“115

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Kafka beschreibt in seinem Brief an den Vater das Va-ter-Sohn-Verhältnis aus seiner Sicht, subjektiv ge-färbt, wie es auch Gregor gegenüber seinem Vater tut.Im folgenden Abschnitt aus diesem Brief schreibt Kaf-ka, wie die von ihm empfundene „Übermächtigkeit“des Vaters ihn hinderte, sich körperlich zu entfalten:

„Aber da ich keines Dinges sicher war, von jedem Augenblickeine neue Bestätigung meines Daseins brauchte, nichts in meinemeigentlichen, unzweifelhaften, alleinigen, nur durch mich eindeutigbestimmten Besitz war, in Wahrheit ein enterbter Sohn, wurdemir natürlich auch das Nächste, der eigene Körper unsicher; ichwuchs lang in die Höhe, wusste damit aber nichts anzufangen,die Last war zu schwer, der Rücken wurde krumm, ich wagtemich kaum zu bewegen oder gar zu turnen, ich blieb schwach;staunte alles, worüber ich noch verfügte, als Wunder an.“116

Eugen Löwenstein (1877–1961), der auch mit Kafkapersönlich bekannt war, stellt in seiner Kritik der Er-zählung Gregors „Vaterprobleme“ als letztendlichenGrund für seine Verwandlung dar und analysiert dasVater-Sohn-Verhältnis psychologisch:

„Das Buch ist ganz Vaterproblem. Von den ins Unbewusste ge-fallenen Erlebnissen der Kindheit ist nämlich keine für den Jüng-ling und Mann bedeutungsvoller wie dessen Beziehung zum Vater... Dem kleinen Knaben erscheint sein Vater als das stärkste undmächtigste aller Geschöpfe. Später bestehen dann ebenso zärtli-

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che als auch feindliche Regungen gegen den Vater nebeneinanderfort und erzeugen so oft übermäßige Störungen des Trieblebens.Alles, was wir in Gregor Samsas Lebensgeschichte als Verhäng-nis ansehen, kann auf diese Linie, welche sich mit der Ablösungvom Vater befasst, zurückgeführt werden. Es ist die alte jam-mervolle Klage eines Sohnes, welcher mit seinen Eltern nicht fer-tig werden kann, eines Sohnes, der bitter an sich selbst und anseiner Familie leidet und bei dem sich nun alle diese Leiden zueiner Wanzenphantasie verdichten. Er geht an der Tragik desGehorchens zugrunde, an der Überschätzung von Autoritäten,indem er die Gestalt des abgetanen Vaters ins Ungeheure erhöht,die Macht des Prokuristen überbewertet und vor den Beziehun-gen zu seiner Familie erschrickt. Man kann Gregor zu jenenMenschen zählen, welche die Kinderstube ewig mit sich herum-tragen und die den befreienden Weg aus dieser Enge niemals fin-den können.“117

Eugen Löwenstein hebt auch als Erster die in Die Ver-wandlung dargestellte doppelte Verwandlung, nämlichdie Verwandlung Gregors und die Verwandlung seinerFamilie, hervor:

„Das große Talent Kafkas bewahrt ihn aber davor, in diesereinen Idee einseitig aufzugehen: Es ist nämlich besonders interes-sant, den diametralen Gegensatz zwischen Sohn und Familie fest-zustellen. In der ‚Verwandlung’ spielen eigentlich zwei Verwand-lungen mit. Die erste ist die körperliche Verwandlung desparasitenartigen Reisenden. Die Seele dieser Menschenwanzebleibt aber bis zum Ende ihres Daseins ungemein nobel und fin-det im bewussten Opfer einen fast erhabenen Weg letzter Läute-

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rung. Die zweite Verwandlung ist die seelische Verwandlung derFamilie. Während diese am Anfang noch eine gewisse äußereAnständigkeit zeigt, sinkt sie zum Schluss der Erzählung auf diegleiche Stufe herab wie die ordinäre Hausmeisterin. Und ausdem blühenden Leib der Schwester blinkt der hässliche, brutaleEgoismus einer bösen Seele. Hier ist die gleißende Täuschung,dort die symbolisch nach außen projizierte schmerzliche innereWandlung eines leidenden Menschen.“118

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Page 87: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Ausgaben:Kafka, Franz: Die Verwandlung. Nachwort von Egon

Schwarz. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co.,2001 (Universal-Bibliothek Nr. 9900).(Nach dieser Ausgabe wird zitiert.)

Kafka, Franz: Tagebücher 1910–1923. Frankfurt am Main:Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 1983 (Franz Kafka.Gesammelte Werke, herausgegeben von Max Brod, Ta-schenbuchausgabe in 7 Bänden).

Kafka, Franz: Briefe an Felice und andere Korrespondenz ausder Verlobungszeit, herausgegeben von Erich Heller undJürgen Barn. Frankfurt am Main: Fischer TaschenbuchVerlag GmbH, 1976.

Kafka, Franz: Brief an den Vater. Faksimile, herausgegebenund mit einem Nachwort versehen von Joachim Unseld.Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH,1994.

Lernhilfen, Kommentare, Arbeitsmaterial für Schüler:Abraham, Ulf: Franz Kafka: Die Verwandlung. Frankfurt am

Main: Verlag Moritz Diesterweg, 1998 (2. Aufl.) (Grund-lagen und Gedanken, Erzählende Literatur).(Der Band gibt allgemeine Grundlagen zur Erzählung, ihrerStruktur und zu den unterschiedlichen Deutungsgedanken.)

Beicken, Peter: Franz Kafka: Die Verwandlung. Erläuterun-gen und Dokumente. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH& Co., 2001 (Universal-Bibliothek Nr. 8155).

Brück, Martin: Franz Kafka: Die Verwandlung, Das Urteil.Freising: Stark Verlagsgesellschaft mbH, 1999 (Interpre-tationshilfe Deutsch).

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Page 88: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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(Informative Einführung u. a. in Aufbau, Struktur, biographi-sche Hintergründe und thematische Schwerpunkte der Erzäh-lung.)

Große, Wilhelm: Franz Kafka: Die Verwandlung. Stuttgart,Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 2004 (Lektüreschlüs-sel für Schüler; Universal-Bibliothek Nr. 15342).(Informationen zur ersten „Erschließung“ der Erzählung sowieüber den Autor.)

Rahner, Thomas: Franz Kafka: Die Verwandlung. Mün-chen: Mentor Verlag, 1997 (Mentor Lektüre Durchblick,Band 325).(Dem Konzept der Reihe entsprechende knappe, aber z. T.sehr gute Einführung in die Erzählung, hervorgegangen auseinem Leistungskurs Deutsch.)

Schafarschik, Walter: Franz Kafka: Die Verwandlung. Stutt-gart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 2004 (Lehrprak-tische Analysen, Sekundarstufe II, 32. Folge).(Kurze Einführung in Erzählperspektive und Deutungsversu-che, Tipps zur Unterrichtsarbeit.)

Sekundärliteratur:Anz, Thomas: Franz Kafka. München: Verlag C. H. Beck,

1992 (2. Aufl.) (Beck’sche Reihe; 615: Autorenbücher).Beicken, Peter: Franz Kafka, Der Process. München: Ol-

denbourg Schulbuchverlag GmbH, 1999 (2. Aufl.) (Ol-denbourg Interpretation, Band 70).

Fingerhut, Karl-Heinz: Die Verwandlung. In: Müller, Mi-chael (Herausgeber): Franz Kafka. Romane und Erzäh-lungen. Interpretationen. Stuttgart: Philipp Reclam jun.GmbH & Co., 1994, S. 42–74.

Flores, Angel: A Kafka bibliography: 1908–1976. New York:Gordian Press, 1976.

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Page 89: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Gilman, Sander L.: Die Ängste des jüdischen Körpers. AusAnlass der unwiderstehlichsten Kafka-Biografie, die es bisheute gibt: Reiner Stack lehrt uns, ein Genie neu zu lesen. In:Literaturen, 1/2, II, 2003, S. 12–18.

Gräff, Thomas: Lektürehilfen. Franz Kafka, Der Proceß.Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig: Ernst-Klett-Verlag, 2001(8. Aufl.) (Klett LernTraining)

Hayman, Ronald: Kafka. Sein Leben, seine Welt, sein Werk.Bern, München: Scherz Verlag, 1983.

Kosik, Karel: Das Jahrhundert der Grete Samsa. Von der Mög-lichkeit oder Unmöglichkeit des Tragischen in unserer Zeit.In: Krolop, Kurt und Zimmermann, Hans-Dieter (He-rausgeber): Kafka und Prag. Colloquium im Goethe-Insti-tut Prag, 24.–27. Nov. 1992. Berlin, New York: Walter d.Gruyter & Co., 1994, S. 187–198.

Krischel, Volker: Franz Kafka, Der Proceß. Hollfeld:C. Bange Verlag, 2004 (Königs Erläuterungen und Materi-alien, Band 417).

Meurer, Reinhard: Franz Kafka. Erzählungen. München:Oldenbourg, 1988 (2. Aufl.).

Müller, Michael: Franz Kafka. Der Proceß. Erläuterungen undDokumente. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co.,1993 (Universal-Bibliothek Nr. 8197).

Politzer, Heinz: Franz Kafka. Der Künstler. Frankfurt amMain: Suhrkamp, 1978.

Redaktion Kindlers Literatur Lexikon: Amerika. In:Kindlers Literatur Lexikon im dtv, Bd. 3. München:Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 1974,S. 977 f.

Sautermeister, Gerd: Die Verwandlung. In: Kindlers Lite-ratur Lexikon im dtv, Bd. 22. München: Deutscher Ta-schenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 1974, S. 9904 f.

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Page 90: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Schlingmann, Carsten: Franz Kafka. Stuttgart: PhilippReclam jun. GmbH & Co., 1995 (Literaturwissen fürSchüler, Universal-Bibliothek Nr. 15205).

Scholz, Ingeborg: Franz Kafka, Erzählungen I. Hollfeld: C.Bange Verlag, 1999 (6. Auflage) (Königs Erläuterungenund Materialien, Band 279).

Sokel, Walter H.: Franz Kafka. Tragik und Ironie. Zur Struk-tur seiner Kunst. Frankfurt am Main: Fischer Taschen-buch Verlag GmbH, 1976.

Wagenbach, Klaus: Franz Kafka in Selbstzeugnissen und Bild-dokumenten. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch VerlagGmbH, 1988 (rowohlts monographien 91).

Zimmermann, Hans Dieter: Franz Kafka: Der Process.Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg, 1995(Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählen-der Literatur).

Zimmermann, Hans Dieter: Kafka für Fortgeschrittene.München: C. H. Beck, 2004.

Rezensionen:Anders, Günther: Franz Kafka – Pro und Contra. In: Neue

Rundschau, 58, 1947, H. 6, S. 119–157.Benjamin, Walter: Franz Kafka. In: Benjamin, Walter: Ge-

sammelte Schriften. Band 2.2. Frankfurt am Main: Suhr-kamp, 1977, S. 409–438.

Brod, Max: Unsere Literaten und die Gemeinschaft. In: DerJude (Berlin und Wien), Oktober 1916.

Edel, Edmund: Franz Kafka: Die Verwandlung. Eine Ausle-gung. In: Wirkendes Wort, 8, 1957/58, S. 217–226.

Kaiser, Helmut: Franz Kafkas Inferno. Eine psychologischeDeutung seiner Strafphantasien. In: Imago, 17, 1931, S. 41–103.

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Page 91: Erläuterungen Zu Franz Kafka Die Verwandlung

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Löwenstein, Eugen: Franz Kafka: Die Verwandlung. In: Pra-ger Tagblatt, 9. April 1916.

Müller, Robert: Franz Kafka: Die Verwandlung. In: NeueRundschau, Oktober 1916.

Richter, Helmut: Franz Kafka. Werk und Entwurf. Berlin:Rütten & Loening, 1962.

Sokel, Walter H.: Kafka’s ‚Metamorphosis’. Rebellion and Pu-nishment. In: Monatshefte, 48, 1956, H. 4, S. 203–214.

Sokel, Walter H.: Von Marx zum Mythos: Das Problem derSelbstentfremdung in Kafkas ‚Verwandlung’. In: Monatsheftefür deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Litera-tur, 73, 1981, H. 1, S. 6–20.

Walzel, Oskar: Logik im Wunderbaren. In: Berliner Tage-blatt, 6. Juli 1916.

Sonstige Literatur:Hess, Robert: Die Geschichte der Juden. Ravensburg: Ravens-

burger Buchverlag Otto Meier GmbH, 1988.sbg: ... Nächstes Jahr in Jerusalem! Der Streit um den Zionis-

mus. In: Geschichte mit Pfiff, 11, 1988, S. 36 f.

Materialien aus dem Internet:

http://gutenberg.spiegel.de(Kafkas Werke online)

http://www.xlibris.de(Unter dem Autor Franz Kafka findet man hier kurze In-haltsangaben und informative Einführungen zu seinen bekann-testen Werken.)

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http://www.franzkafka.de/franzkafka/home/(Informatives Online-Nachschlagewerk des S. Fischer Verlages)

Verfilmungen von Kafkas Die Verwandlung:

Metamorphosis (Die Verwandlung) 1975Regie: Jan NemecDarsteller: Heinz Bennent, Zdenka Procházkova, Edwege Pierre

u. a.Land: Tschechoslowakei

Förwandlingen (Die Verwandlung) 1976Regie: Ivo DvorákDarsteller: Peter Schildt, Ernst Günther, Inga-Lill Carlsson u. a.Land: Schweden

The Metamorphosis of Mr. Samsa (Die Verwandlung) 1977Regie: Carolin LeafDarsteller: n. v.Land: Kanada(Animation, Kurzfilm)

Metamorphosis (Die Verwandlung) 1987Regie: Jim GoddardDarsteller: Tim Roth, Steven Berkoff, Linda Marlowe u. a.Land: Großbritannien(TV-Film)

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