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Erste Serienproduktion für Hybridmodule in Deutschland Die Inbetriebnahme der ersten Produktionsstätte Deutschlands zur industriellen Serien- fertigung von Hybridantriebsmodulen bei ZF in Schweinfurt gilt als Meilenstein. Auf einer Produktionsfläche von 1200 m 2 werden ab dem vierten Quartal 2008 Hybridmodule mon- tiert und an Kunden ausgeliefert. Derzeit gibt es insgesamt acht Entwicklungsprojekte für vier Fahrzeughersteller von Pkw, Bussen und Lieferfahrzeugen. 1 Projektauftrag Nach mehrjähriger intensiver Entwick- lungsarbeit konnte Ende 2006 mit der Serienbeauftragung durch die Daimler AG der Startschuss zum Aufbau einer Hy- bridmodulfertigung bei ZF Sachs gege- ben werden. Um den Herausforderungen gerecht zu werden, die sich aus der Komplexität und Novität sowohl des Produktes als auch der Herstell- und Beschaffungspro- zesse ergaben, wurde ein Projekt „Auf- bau einer Serienproduktion für Hybrid- module“ eröffnet. Dieses fasste fachüber- greifend die Aktivitäten zur Planung und Umsetzung der Produktion zusammen. Ein Steuerkreis aus Produktbereichs-, Entwicklungs- und Produktionsleiter bil- dete die Klammer zwischen Gesamt-Con- trolling, Entwicklung und Produktion, ergänzt durch den Werkleiter „Verstell- bare Dämpfungssysteme“ aus dem Ge- schäftsfeld Fahrwerk. Mit ihm sollten die Erfahrungen dieses Bereichs mit elektro- mechanischen Komponenten und deren besondere Anforderungen in Produk- tion, Logistik und Organisation in die in- terdiszi plinäre Projektgruppe einf lie- ßen, Bild 1. 2 Entwicklung der Serienprozesse Ein neues und innovatives Produkt benö- tigt innovative Fertigungsverfahren. Um das beste Verfahren für die Produktions- schritte zu ermitteln, war der Anlagenbe- schaffung eine mehrjährige Prozessaus- wahl und -entwicklung vorgeschaltet. Zur Verif izierung der Kernprozesse ka- men größtenteils Technikumsanlagen zum Einsatz. Auf diesen wurden die not- wendigen Grundlagenuntersuchungen sowie die benötigten Prozessanpassungen an das Produkt bei ZF Sachs im bereichs- eigenen Musterbau durchgeführt. BEST PRACTICE ATZproduktion 04I2008 46 Montagetechnik

Erste Serienproduktion für Hybridmodule in Deutschland

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Page 1: Erste Serienproduktion für Hybridmodule in Deutschland

Erste Serienproduktion für

Hybridmodule in Deutschland

Die Inbetriebnahme der ersten Produktionsstätte Deutschlands zur industriellen Serien-fertigung von Hybridantriebsmodulen bei ZF in Schweinfurt gilt als Meilenstein. Auf einer Produktionsfläche von 1200 m2 werden ab dem vierten Quartal 2008 Hybridmodule mon-tiert und an Kunden ausgeliefert. Derzeit gibt es insgesamt acht Entwicklungsprojekte für vier Fahrzeughersteller von Pkw, Bussen und Lieferfahrzeugen.

1 Projektauftrag

Nach mehrjähriger intensiver Entwick-lungsarbeit konnte Ende 2006 mit derSerienbeauftragung durch die Daimler AG der Startschuss zum Aufbau einer Hy-bridmodulfertigung bei ZF Sachs gege-ben werden.

Um den Herausforderungen gerechtzu werden, die sich aus der Komplexität und Novität sowohl des Produktes als auch der Herstell- und Beschaffungspro-zesse ergaben, wurde ein Projekt „Auf-bau einer Serienproduktion für Hybrid-module“ eröffnet. Dieses fasste fachüber-

greifend die Aktivitäten zur Planung und Umsetzung der Produktion zusammen. Ein Steuerkreis aus Produktbereichs-, Entwicklungs- und Produktionsleiter bil-dete die Klammer zwischen Gesamt-Con-trolling, Entwicklung und Produktion,ergänzt durch den Werkleiter „Verstell-bare Dämpfungssysteme“ aus dem Ge-schäftsfeld Fahrwerk. Mit ihm sollten die Erfahrungen dieses Bereichs mit elektro-mechanischen Komponenten und deren besondere Anforderungen in Produk-tion, Logistik und Organisation in die in-ter diszi plinäre Projektgruppe einflie-ßen, Bild 1.

2 Entwicklung der Serienprozesse

Ein neues und innovatives Produkt benö-tigt innovative Fertigungsverfahren. Umdas beste Verfahren für die Produktions-schritte zu ermitteln, war der Anlagenbe-schaffung eine mehrjährige Prozessaus-wahl und -entwicklung vorgeschaltet. Zur Verifizierung der Kernprozesse ka-men größtenteils Technikumsanlagen zum Einsatz. Auf diesen wurden die not-wendigen Grundlagenuntersuchungen sowie die benötigten Prozessanpassungen an das Produkt bei ZF Sachs im bereichs-eigenen Musterbau durchgeführt.

BEST PRACTICE

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Montagetechnik

Page 2: Erste Serienproduktion für Hybridmodule in Deutschland

Bild 1: Projektstruktur mit Verantwortlichkeiten

Die Autoren

Jens Baumeister ist Leiter Produktion

und Logistik Hybrid-

antriebe bei ZF Sachs

in Schweinfurt.

Wolfgang Fischerist Leiter Montage-

planung Hybridan-

triebe bei ZF Sachs

in Schweinfurt.

In mehreren Entwicklungsschleifenwurde gemeinsam mit der Produktent-wicklung der Fertigungsprozess und dasProduktdesign überprüft und angepasst. Die parallel zu den Prozessentwicklungs-schleifen durchgeführten Qualifizie-rungs- und Komponententests liefertendie notwendigen Erkenntnisse für dienachfolgenden Optimierungszyklen. Diesehr hohen technischen Anforderungenan die E-Maschine hinsichtlich Vibra-tions- und Schwingungsfestigkeit, Was-serdichtheit, Temperaturbeständigkeit und Isolationsfestigkeit grenzten die auf dem Markt verfügbaren Materialien und Fertigungsprozesse sehr stark ein.

Einige der ausgewählten Fertigungs-verfahren hatten bisher noch keine An-wendung im Automotivebereich erfah-ren. Deshalb war eine deutlich aufwen-digere Qualifizierung erforderlich als bei Technologien, die bereits als Standard inder Herstellung von Zulieferteilen der Automobilindustrie anzusehen sind. Auch die Kombination der unterschied-lichen Werkstoffe, deren Verarbeitung sowie deren Einflüsse aufeinander sindnur durch umfangreiche Versuchsreihen qualifizierbar. Begonnen mit der Aus-wahl und Festlegung der Fertigungsver-rrfahren bis zur Freigabe für die Serienfer-rrtigung war ein Zeitraum von vier Jahrennötig. Durch die Teilung der Arbeitsvor-rrbereitung/Technologieentwicklung in Produkt-AV und Prozessentwicklungkonnte die systematische Entwicklungder Fertigungsprozesse effektiv erfolgen. Die Verknüpfung mit den Kundenanfor-rr

derungen seitens der Produkte geschahin Zusammenarbeit zwischen den Mitar-rrbeitern der Produkt-AV, den Prozessent-wicklern und der Prototypenfertigung.Deren Erkenntnisse aus der Produktionvon Musterteilen über die Technikums-anlagen flossen direkt in die Technolo-gieentwicklung ein, Bild 2.

Parallel zu diesen vielfältigen Aktivi-täten erzielte eine Studie mit dem Institutfür Produktionstechnik (ifp) zur industriel-lllen Umsetzung des gewonnenen Wissens,die im Herbst 2005 gestartet wurde, wich-hhtige Ergebnisse für den späteren Aufbauder Serienproduktion.

3 Gebäude- und Flächenplanung

Um für die Serienproduktion benötigteFlächen zu ermitteln, wurde im Vorfeldder Anlagenkonstruktion bereits die De-finition der Einzelmodule durchgeführt.Die Abschätzung der Flächenbedarfe pro Modul geschah auf Basis der ifp-Studie,der Erfahrungen mit den Technikumsan-lagen und den Angaben von potenziellenLieferanten für die Anlagen. Annahmen für die Logistik- und Verkehrsflächen,Büros, Sozialräume und Bedarfe für dieQualitätssicherung vervollständigten diePlanwerte. Unter Einbezug weiterer Para-meter, wie Zustand der Gebäude, An- undAblieferbedingung von Waren, benötigteMedien, Sauberkeit und Brandschutz,entstand ein Anforderungsprofil, das dieSuche und Auswahl geeigneter Flächenbestimmte.

Die Flächenplanung berücksichtigtenicht nur die aktuell in Projektierung befindliche Fertigungslinie für Außen-läufer-E-Maschinen, sondern auch die Erweiterung durch eine zweite Linie für Innenläufer-E-Maschinen. Die Trennung der Fertigung in je eine Linie für Außen- beziehungsweise Innenläufer ist auf-ffgrund der teilweise völlig unterschied-lichen Fertigungsverfahren zwingend erforderlich.

Seit März 2008 läuft bereits die Pla-nung für die Erweiterung für Innenläu-fer. Ende 2009 wird die Fertigung von Außenläufern sowie von Innenläufern (jeweils E-Maschine und Hybridmodule) möglich sein.

4 Entwicklung des Serienlayouts

Die Serienspezifikationen der E-Maschi-ne und deren konstruktive Umsetzung bildeten die Grundlage für die Erstellung eines Produktions-Ablaufplanes. Dieser wurde im Laufe der Anlagen- und Flä-chenprojektierung permanent und zeit-nah an die gewonnenen Erkenntnisse aus den Spezifikations- und Freigabever-rrsuchen, der Prozessentwicklung, der Pro-totypenfertigung, der Umsatzplanungund den Angaben von Prozesslieferanten angepasst. Dies führte zielgerichtet zur Modifikation der Grundlagenplanung, die auf Basis der ifp-Studie, der Prozess-entwicklung und der Gebäudeplanung entstanden war.

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Die Festlegung der künftigen Ferti-gungsstätte steckte den verfügbaren Rah-men für die Layoutgestaltung ab. Da einNeubau nicht zur Diskussion stand, be-grenzten die baulichen Gegebenheitenerheblich den Freiheitsgrad für die Auf-ffstellung der Anlagen. Erste Entwürfe zeigten, dass eine flächenoptimierte An-ordnung der Fertigungsmodule ohne in-terdisziplinäre Abstimmung nur zu un-zufriedenstellenden Lösungen führt.

Ein GPS-Workshop unter Leitung zwei-er GPS-Trainer aus dem ZF Sachs Fachbe-reich brachte den entscheidenden Durch-bruch. Das Team aus Mitarbeitern der zentralen Logistik, der Prozessentwick-kklung, der Bereichslogistik, der Fertigungs-leitung und -planung erarbeitete vier Lö-sungsansätze. Nach gewichteter Bewer-rrtung verfeinerte die Arbeitsgruppe dasfavorisierte Modell. Dieses beinhaltet ei-nen zentralen Milkrun, eine klare Struk-kk

tur der Produktion in Rotor-, Stator- undFertigmontage mit Funktionsprüfung, die Trennung der wertschöpfenden Arbeitvon logistischen Tätigkeiten und die be-darfsgerechte Einrichtung von Logistik-kkflächen. Zusammen mit den Anlagenlie-feranten erfolgte, über mehrere Detaillie-rungen, die praktische Umsetzung in derProduktionshalle. Erste Erfahrungen beiden Inbetriebnahmen und bei der D-Mus-terfertigung bestätigten das theoretisch gewonnene Konzept, Bild 3.

5 Anlagenbeschaffung

Der sehr knapp bemessene Terminplan (zehn Monate) für die Anlagenbeschaf-fffung machte einen in der Automobilzu-lieferindustrie üblichen Beschaffungs-prozess unmöglich. Alleine für den Aus-schreibungsprozess inklusive Liefe-rantentag, Rückfragen der Anlagenher-rrsteller, Besichtigung der Lieferanten, An-gebotslegung und Beauftragung wird er-rrfahrungsgemäß für die Anzahl von elfEinzelmodulen mit hoher technischerKomplexität ein Zeitraum von zehn bis 12 Wochen benötigt. Damit wären von der Gesamtbeschaffungszeit bereits 40 % aufgebraucht.

Um diese Vorlaufzeit mindestens zuhalbieren, wurde ein Vorschlag des Ein-kaufs mit Zustimmung der Geschäftslei-tung realisiert. Diese erstmals ange-wandte Strategie basiert auf einem Bench-mark bereits im Hause ZF Sachs bekann-ter Anlagenlieferanten. Folgende Krite-rien für die Auswahl kamen zum Ansatz:Erfahrungen in produktbezogenen Tech-nologien, Umfang der Fertigung (Engi-neering, Fertigungstiefe), räumliche Ent-ttfernung, Mitarbeiterkapazität.

Den Ausschlag für den von uns ausge-wählten Anlagenbauer gab, zusätzlichzum Prozess-Know-how für die Herstel-lung der E-Maschinen, die geographische Nähe zum Standort der Hybridfertigung.Der Vorteil der Standortnähe stellte sichbei der gemeinsam durchgeführten Las-tenhefterstellung, der Konstruktion und dem Aufbau der Module als unbezahlbar heraus. Besonders die, ebenfalls erstmalspraktizierte, gemeinsame Erstellung derLastenhefte erwies sich als äußerst effek-kktiv, zielführend und zeitsparend, da die Prozesskenntnisse des Anlagenherstel-lers schon in die Konzeptphase einflos-

Bild 2: Die vier Hauptelemente zur Dokumentation der Prozessentwicklung

Bild 3: Planungsstufen zur Entwicklung des Serienlayouts

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sen. Damit konnten spätere Nachbesse-rungen, die sich negativ auf die Kon-struktion und den Aufbau der Anlagen hätten auswirken können, vermieden werden, Bild 4.

Die Konzeption der Anlagen ist so ge-staltet, dass durch die Definition einesProzessraumes die Fertigung von E-Ma-schinen mit verschiedenen Durchmes-sern und verschiedenen aktiven Längenohne großen Rüstaufwand möglich ist.Das so gestaltete Fertigungskonzept ge-stattet eine größtmögliche Flexibilität in punkto Losgrößen und Typreihenfolge.Dieses neue Beschaffungskonzept ermög-gglichte, dass die Lieferungen der Anlagen im geplanten, sehr sportlichen, Zeitraum durchgeführt werden konnten.

6 Logistik

Bei der Planung der neuen Fertigungs-halle hatte die Gestaltung der logisti-schen Abläufe hohe Priorität. Aufgrund der gegebenen Flächen und des gege-benen Hallenlayouts war es erforderlich,ein ausgeklügeltes Logistikkonzept zuerarbeiten. Der niedrige Bestand bezie-hungsweise eine hohe Umschlagshäufig-keit, das Fifo-Prinzip, standardisierteTransportbehälter sowie eine effektive Materialandienung an die Anlagen wa-ren die Kernaufgaben der Logistikpla-nung. Das Fifo-Prinzip wurde mittels Durchlaufregale und SAP-Steuerung der Wareneingänge realisiert. Das Anlagen-layout berücksichtigt eine optimale Ma-terialandienung und eine effiziente Leer-rrgutentsorgung. Mitarbeiter aus der Lo-gistik bestücken teilweise die Anlagen, an denen ein Teilemagazin vorhandenist, um die Wertschöpfung zu entlasten.Über die Einbindung des Einkaufs wer-rrden die Zulieferer so gesteuert, dass dieEinzelteile im Kundentakt angeliefert werden.

7 Einbindung des ZF Sachs Global Performance Systems (GPS)

GPS steht für die konsequente Anwen-dung von Prinzipien und Methoden, diesich als besonders wirkungsvoll heraus-gestellt haben. Diese Prinzipien sind alstragende und schützende Elemente im „Haus des GPS“, Bild 5, verankert.

Beim Aufbau der Serienproduktion wurden bereits in der PlanungsphaseGPS-Elemente konsequent integriert. Schon bei der Konstruktion der Anlagenwurde das Rüstkonzept festgelegt. DasEinrichten auf andere Typen wurde mini-miert, um die sportliche Zielsetzung ei-ner Rüstzeit von fünf Mannminuten proModul ohne Werkzeug zu erreichen. DieWechselteile werden an den Fertigungs-modulen aufbewahrt, um unnötige Wegeeinzusparen. Weiterhin ist die Produktionkonsequent nach dem Fließprinzip ausge-richtet. Ergänzende Elemente aus dem „Haus des GPS“ sind PokaYoke, OEE und Absicherung der Produktqualität übermodulintegrierte Prüfeinrichtungen, dieden Status der Teile feststellen und an ei-nen Leitrechner, zusammen mit Para-metern, melden. Eine Wertschöpfung in„n.i.O.“-Teile wird durch diese Überwa-chung ausgeschlossen.

8 Zusammenfassung

Die Herausforderung, innerhalb eines eng gesteckten Zeitrahmens eine völlig neuar-rrtige Produktion für Hybridmodule zu in-stallieren, wurde mit Hilfe vielfältiger, auch unkonventioneller Abläufe gelöst. Dies versetzt die ZF Sachs AG in die Lage, Ende 2008 die Serienproduktion mit einer Kapazität von 35.000 Einheiten pro Jahr aufzunehmen. Die intensiven Planungen ermöglichen zudem eine flexible Erweite-rung auf der zur Verfügung stehenden Fläche bis zu einem Ausstoß von maximal 200.000 Hybridmodulen pro Jahr.

Bild 4: Montagestation für Magnetpole

Bild 5: Aufbau des Global Performance Systems

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