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Erweiterungen des Helbing-Modells zur Fußg¨ angerdynamik: Herding und ¨ Ubergang zum Kontinuum Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Science Westf¨ alische Wilhelms-Universit¨ at M¨ unster Fachbereich Mathematik und Informatik Institut f¨ ur Numerische und Angewandte Mathematik Betreuung: Prof. Dr. Martin Burger Eingereicht von: Karolina Weber unster, 10.10.2011

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Erweiterungen des Helbing-Modells zur

Fußgangerdynamik:

Herding und Ubergang zum Kontinuum

Bachelorarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Bachelor of Science

Westfalische Wilhelms-Universitat Munster

Fachbereich Mathematik und Informatik

Institut fur Numerische und Angewandte Mathematik

Betreuung:

Prof. Dr. Martin Burger

Eingereicht von:

Karolina Weber

Munster, 10.10.2011

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Zusammenfassung

In dieser Arbeit geht es um das Helbing-Modell als Fußgangermodell zur Paniksimulati-

on. Neben einer allgemeinen Beschreibung und der Vorstellung des Herding-Effekts, wird

systematisch eine makroskopische Gleichung fur dieses Modell hergeleitet. Anhand von Si-

mulationen werden Aussagen uber die Evakuierungszeit und auftretende Phanomene einer

Menschenmasse getroffen. Die Simulationsergebnisse werden mit vorhanden Erkenntnissen

und Simulationen verglichen.

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ii

Eidesstattliche Erklarung

Hiermit versichere ich, Karolina Weber, dass ich die vorliegende Arbeit selbststandig verfasst

und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Gedanklich,

inhaltlich oder wortlich Ubernommenes habe ich durch Angabe von Herkunft und Text oder

Anmerkung belegt bzw. kenntlich gemacht. Dies gilt in gleicher Weise fur Bilder, Tabellen,

Zeichnungen und Skizzen, die nicht von mir selbst erstellt wurden.

Alle auf der CD beigefugten Programme sind im Rahmen des Seminars Nichtlineare Model-

lierung in den Naturwissenschaften entstanden, wurden aber von mir erweitert und teilweise

verandert.

Munster, 25. Juni 2010

Vorname Nachname

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Das Helbing-Modell 3

2.1 Allgemeine Vorstellung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2.2 Der Herding-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

3 Mathematische Grundlagen 10

3.1 Mikroskopische und makroskopische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3.2 Mean-Field-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3.3 Kerndichteschatzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4 Helbing im Kontinuum 13

4.1 Das skalierte Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

4.2 Vlasov-Gleichung fur das Helbing-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

4.3 Euler-Gleichung fur das Helbing-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

5 Numerische Auswertung 19

5.1 Parameter und Annahmen bei der Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

5.2 Schatzung der Dichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

5.3 Evakuierungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

5.4 Weitere Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

6 Fazit und Ausblick 27

Abbildungsverzeichnis 28

Literaturverzeichnis 29

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1 Einleitung

In der heutigen Zeit finden immer haufiger große Massenveranstaltungen statt, obgleich sie

ein hohes Risiko fur alle teilnehmenden Personen aufgrund von schnell entstehenden Paniksi-

tuationen und daraus resultierenden Verletzungen darstellen. Ein tragisches Beispiel fur eine

solche Situation ist die Loveparade 2010 in Duisburg, bei der es 21 Tote und mehr als 500

Verletze gab. Etliche Menschen befanden sich dicht gedrangt an einem Ort, an dem spater

Panik ausgebrochen ist. Bei der hohen Anzahl an Personen konnten dabei die Ausgange nicht

effizient genutzt werden [10]. Aber auch in alltaglichen Situationen und an offentlichen Orten

wird die Thematik der Evakuierung immer wichtiger. Die hohe Einwohnerdichte in immer

mehr Stadten kann eine große Massenpanik z. B. in Fallen von Branden, Terroranschlagen

oder auch Naturkatastrophen begunstigen. Aus diesem Grund ist es notwendig, sich mit dem

Verhalten einer großen Menschenmenge zu beschaftigen und dieses zu modellieren. Im An-

schluss daran konnen Erkenntnisse anhand von Simulationen gewonnen werden, welche einen

praktischen Nutzen besitzen. Unter Variation von verschiedenen Parametern, wie z. B. der

Anzahl von Ausgangen, lassen sich Schwachstellen bei einer Evakuierung erkennen, welche

anschließend in der Realitat vermieden werden konnen.

Anhand von Beobachtungen und der Befragung von Beteiligten, ließen sich in der Vergangen-

heit schon Erkenntnisse uber Panikverhalten sammeln. Dieses weist folgende Charakteristika

auf: Die beteiligten Personen wollen fluchten und bewegen sich deshalb schneller als ublich.

Dabei stoßen sie aufeinander und beginnen sich gegenseitig zu schubsen, um selbst moglichst

schnell zum Ausgang zu kommen. Dabei werden die einzelnen Bewegungen unkoordinierter,

die Ausgange werden durch die Masse der dort hin strebenden Personen blockiert und es wird

innerhalb der Menschenmenge ein sehr hoher Druck erzeugt. Dieser Druck kann Steinwande

brechen und erst recht Verletzungen der Fußganger hervorrufen. Verletzte und auf dem Bo-

den liegende Personen stellen dabei Hindernisse fur die anderen Menschen dar und behindern

die Flucht. Außerdem neigen die Fußganger dazu, sich nach dem Verhalten der am nachsten

stehenden Personen zu richten und ihnen zu folgen. Das fuhrt unter anderem dazu, dass nicht

alle Ausgange effizient genutzt und teilweise ubersehen werden (vgl. [4]).

Ausgehend von diesen Beobachtungen hat Professor Helbing ein soziales Kraftemodell entwi-

ckelt, welches die obige Situation und die beobachteten Phanomene einer Menschenmasse sehr

realitatsnah modelliert. Dieses Modell ist dafur geeignet, optimale Fluchtstrategien anhand

von Simulationen zu entwickeln und dadurch gefahrliche Situationen moglichst zu verhindern.

Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass man viele Parameter verandern und das Modell

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1 Einleitung 2

der jeweiligen Situation anpassen kann. Doch dieser Vorteil wird mit wachsender Personen-

anzahl zum Nachteil, da die Berechnung in diesem Fall sehr lange dauert und nicht mehr

effektiv ist. Deshalb ist es von Vorteil, von dem mikroskopischen Helbing-Modell zu einem

effektiveren makroskopischen Modell uberzugehen.

Diese Arbeit ist wie folgt organisiert: Zuerst wird eine allgemeine Beschreibung des Helbing-

Modells und der Erweiterung durch den Herding-Effekt gegeben. Im Anschluss werden Unter-

schiede zwischen einem mikroskopischen und makroskopischen Modell genannt und zusatzlich

ein statistisches Verfahren zur Schatzung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung vorgestellt. Aus-

gehend davon wird die makroskopische Euler-Gleichung fur das Modell hergeleitet und in

Kapitel 5 die Verteilung der Ortsvariablen mit Hilfe des Kerndichteschatzers ermittelt und

graphisch dargestellt. Abschließend wird das Verhalten der Fußganger bei unterschiedlichen

Parameterwerten untersucht und mogliche Erklarungen fur eintretende Phanomene gegeben.

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2 Das Helbing-Modell

Die Vorstellung des Fußgangermodells zur Paniksimulation von Professor Helbing und die

Erweiterung des Modells mit dem Herding-Effekt folgt in diesem Kapitel den Darstellungen

von [4], [5]. Es werden zusatzliche Bilder des programmierten Modells in Matlab benutzt um

einen allgemeinen Einblick in das Modell zu liefern. Die genauen Auswertungen befinden sich

dagegen in Kapitel 5.

2.1 Allgemeine Vorstellung des Modells

Aufgrund von Beobachtungen des menschlichen Verhaltens innerhalb von Paniksituationen

hat Professor Helbing ein soziales Kraftemodell entwickelt, welches die Interaktionen der

Fußganger untereinander und die Interaktionen mit den Wanden berucksichtigt. Die Krafte

wirken additiv und beschreiben die Gesamtkraft, die auf jeden einzelnen Fußganger innerhalb

einer Menschenmasse einwirkt.

Gegeben sei die Fußgangeranzahl N und jeder Fußganger i besitze die Masse mi und den

Radius ri. Die Position xi des Fußgangers i zum Zeitpunkt t wird durch seinen Mittelpunkt

beschrieben. Jeder Fußganger i mochte eine bevorzugte Geschwindigkeit v0i erreichen und

bewegt sich dabei in eine bevorzugte Richtung e0i , welche idealerweise in einer Paniksitua-

tion den Ausgang darstellt. Innerhalb einer charakteristischen Zeit τi passt der Fußganger

i seine Geschwindigkeit vi zum Zeitpunkt t der bevorzugten Geschwindigkeit an, um sich

dieser anzunahern. Dabei hatv0i (t)e

0i (t)

τidie Bedeutung eines Antriebsterms und −vi(t)

τieiner

dissipativen Reibung, wobei 1τi

den Reibungskoeffizienten darstellt. Zusatzlich mochte der

Fußganger eine Distanz zu den anderen Fußgangern und den Wanden wahren. Somit lasst

sich die Beschleunigungsgleichung durch einen Antriebsterm, interpedestriale Krafte und die

Wandkrafte charakterisieren. Da die Anderung des Ortes zur Zeit t die Geschwindigkeit zur

Zeit t angibt, erhalt man folgende Gleichungen fur das Helbing-Modell:

dxidt

= vi, (2.1)

dvidt

=v0i (t)e

0i (t)− vi(t)τi

+1

mi

∑j 6=i

fij +1

mi

∑W

fiW . (2.2)

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2 Das Helbing-Modell 4

Als Nachstes werden die interpedestrialen Krafte∑j 6=i

fij und die Wandkrafte∑W

fiW einzeln

vorgestellt.

Die Kraft, welche auf den Fußganger i ausgehend von allen anderen Personen wirkt, ist

definiert durch

fij = {Aiexp[(rij − dij)/Bi] + k(rij − dij)1{rij>dij}}nij + κ(rij − dij)1{rij>dij} 4 vtji · tij .(2.3)

Sie lasst sich in drei einzelne Krafte aufteilen. Der Term Aiexp[(rij − dij)/Bi]nij bezeichnet

dabei die abstoßende Interaktionskraft zwischen den Fußgangern i und j, wobei Ai und Bi

Konstanten sind. Je kleiner die Distanz dij =‖ xi − xj ‖ zwischen zwei Personen ist, de-

sto großer ist die Differenz rij − dij und damit auch die abstoßende Interaktionskraft. Hier

wird der aufaddierte Radius der Personen i und j mit rij = ri + rj bezeichnet. Der Vektor

nij =(xi−xj)dij

ist ein normierter Vektor, der von dem Fußganger j zum Fußganger i zeigt.

Es ist zu beachten, dass die beiden anderen Teilkrafte nur dann wirken, wenn die Distanz dij

kleiner ist als die Summe der Radien rij von i und j ist, d. h. wenn sich die beiden Fußganger

beruhren. In diesem Fall wirkt zum einen eine Kraft auf den Korper des Fußgangers i, die

durch den Term k(rij − dij)1{rij>dij}nij mit der Konstante k beschrieben wird und zum

anderen entsteht dann eine gleitende Reibungskraft κ(rij − dij)1{rij>dij} 4 vtji · tij , sobald

zwei Personen aneinander vorbeigehen. Die Tangente wird durch tij = (−nij(2), nij(1)) defi-

niert, wobei nij(1) und nij(2) jeweils die erste und zweite Koordinate des Normalenvektors

nij angeben. Fur die tangentiale Differenz der Geschwindigkeiten der Personen i und j gilt

4vtji = (vj − vi) · tij .

Die Wandkrafte beschreiben die Krafte, welche von den Wanden W auf den Fußganger i

wirken. Es gilt

fiW = {Aiexp[(ri − diW )/Bi] + k(ri − diW )1{ri>diW }}niW − κ(ri − diW )1{ri>diW }(vi · tiW )tiW .

(2.4)

Diese Kraft kann man ebenso in drei Teilkrafte unterteilen, wobei hier nicht die anderen

Fußganger, sondern der nachstgelegenste Punkt auf der entsprechenden Wand W einen Be-

zugspunkt darstellt. Bei der abstoßenden Interaktionskraft Aiexp[(ri−diW )/Bi]niW betrach-

tet man in diesem Fall den Radius ri und die Distanz zur Wand diW der Person i. Der

Normalenvektor zu der Wand W wird durch niW beschrieben. Je kleiner die Distanz diW zu

der Wand W ist, desto großer ist diese Kraft.

Des Weiteren gelten auch hier die Kraft auf den Korper k(ri − diw)1{ri>diw}niw und die glei-

tende Reibungskraft κ(ri − diw)1{ri>diw}(vi · tiw)tiw nur fur den Fall, dass die Distanz diW

zwischen dem Fußganger i und der Wand W kleiner ist als der Radius ri des Fußgangers i.

Die Normale niW steht senkrecht zu der Wand W und die Tangente tiW lasst sich analog zu

oben in der Form (−niw(2), niw(1)) schreiben.

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2 Das Helbing-Modell 5

Bei der Wahl der Parameter wird eine Masse von mi = 80 kg, eine Relaxationszeit von

τi = 0, 5 s und fur die Konstanten Werte von Ai = 2× 103N und Bi = 0, 08m angenommen.

Die letzten beiden Werte legen die Distanz zwischen den Fußgangern bei normalen Wunsch-

geschwindigkeiten fest. Blockierungseffekte durch die Interaktionen zwischen den Fußgangern

werden mit den Konstanten k = 1.2× 105 kg s−1 und κ = 2, 4× 105 kgm−1s−1 erwirkt.

Aus Vereinfachungsgrunden werden fur jeden Fußganger die gleichen Werte bei den Varia-

blen gewahlt, damit zum einen der rechnerische Aufwand minimiert und zum anderen die

Ergebnisse besser miteinander verglichen werden konnen. Trotzdem wird in [4] empfohlen,

normalverteilte Durchmesser der Fußganger im Intervall [0.5 m, 0.7 m] zu wahlen, damit es

nicht zu einem Personenstau kommt, bei dem keine Bewegung mehr moglich ist.

Die Wunschgeschwindigkeit ist abhangig von der Situation, welche in mehrere Stadien ein-

geteilt werden kann. Entspannte Bedingungen liegen bei einer Wunschgeschwindigkeit von

v0i ≈ 0, 6m/s vor, normale Bedingungen bei v0i ≈ 1m/ und mit v0i & 1, 5m/s werden nervose

Bedingungen bezeichnet, wobei diese Erkenntnis mit Beobachtungen erlangt wurde. Bevor-

zugte Geschwindigkeiten konnen aber auch einen Werte von 5m/s bis zu 10m/s annehmen.

Die Abbildung 2.1 zeigt eine Simulation des Helbing-Modells. Mit der Wahl der Wunschge-

schwindigkeit v0i = 1, 5m/s liegen nervose Bedingungen vor. Zum Anfangszeitpunkt werden

die Orte der Personen zufallig bestimmt und im Laufe der Zeit bewegen sich alle Fußganger in

Richtung Ausgang. In der Zeit von vier bis zehn Sekunden nach dem Beginn der Simulation

gruppieren sich alle Fußganger fast schon in einer Art Halbkreis vor dem Ausgang und gehen

dann aus dem Raum heraus. Die 40 Personen benotigen dabei im Mittel eine Zeit von 20

Sekunden. Nahere Informationen dazu werden in Kapitel 5 geliefert.

Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass es der jeweiligen Situation durch Festlegung

der Variablen individuell angepasst werden kann. Dabei konnen auch der Raum und die

Ausgange individuell festgelegt werden. Diese Eigenschaft macht das Modell nicht nur fur

Paniksituationen, sondern auch fur Situationen unter normalen Bedingungen verwendbar.

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2 Das Helbing-Modell 6

(a) nach 0,08 s (b) nach 1 s

(c) nach 2 s (d) nach 4 s

(e) nach 10 s (f) nach 16 s

Abbildung 2.1: Simulation mit 40 Personen und einer Wunschgeschwindigkeit von 1,5 m/s

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2 Das Helbing-Modell 7

2.2 Der Herding-Effekt

Oftmals treten Paniksituationen ein, in denen die Personen innerhalb der Menschenmenge

die Orientierung verlieren und nicht mehr wissen wo sich der Ausgang befindet. Das kann

passieren, wenn sich die Personen z. B. an dem befindlichen Ort schlecht auskennen oder der

Ausgang schlecht gekennzeichnet ist. Eine weitere Moglichkeit die Orientierung zu verlieren

kann in einer Rauchsituation passieren. Dieser Rauch begrenzt die Sichtweite der Personen

und dies kann dazu fuhren, dass sich ein Fußganger entschließt, sich an den vorbeigehen-

den Personen in seiner Sichtweite zu orientieren. Der Herding-Wert pi gibt in diesem Fall

die Wahrscheinlichkeit an, wie stark sich die Person i an der gemittelten Richtung 〈e0j (t)〉ider Vorbeilaufer in einem bestimmten Radius Ri (vgl. Abb.2.2) orientiert. Mit der Wahr-

scheinlichkeit (1 − pi) hingegen folgt der Fußganger weiterhin seiner individuellen Richtung

ei. Dieses Verhalten wird durch die Formel

e0i (t) = Norm[(1− pi)ei + pi + 〈e0j (t)〉i] (2.5)

mit Norm(x) = x‖x‖ festgehalten. Wenn sich aber keine Personen innerhalb des Radius Ri

befinden, folgt der Fußganger weiterhin seiner individuellen Richtung ei. Folglich tritt Herden-

verhalten bei hohen Werten von pi ein, wohingegen kleine Werte von pi Individualverhalten

hervorrufen.

Abbildung 2.2: Radius von 2m, in welchem der Herding-Effekt wirkt. Hier orientiert sich dieWunschrichtung der Person innerhalb des Kreises an den Wunschrichtungenvon vier anderen Personen.

Es ist zu beachten, dass fur pi = 0, also fur reines Individualverhalten der einzelnen Fußganger,

die Wunschrichtung nicht wie die bevorzugte Richtung ohne Herding-Effekt berechnet wird.

Das wird besonders in einer Rauchsituation deutlich. Die Fußganger wissen hochstens am An-

fang, wo sich der Ausgang befindet und haben dementsprechend eine Wunschrichtung zum

Zeitpunkt t = 0. Aber im Laufe der Zeit kommt es bei genugend hoher Fußgangeranzahl zu

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2 Das Helbing-Modell 8

Interaktionen zwischen den Personen untereinander und den Wanden. Dabei wirken sich die

jeweiligen Krafte auf die Wunschrichtung aus und die ursprungliche Wunschrichtung wird

verandert. Das fuhrt dazu, dass ein Fußganger nur noch zufallig den Ausgang finden kann,

da er sich nicht an dem Verhalten der anderen Personen orientiert. Im Gegensatz dazu wird

bei der bevorzugten Wunschrichtung ohne Herding-Effekt die Wunschrichtung fur jeden Zeit-

punkt neu berechnet, weil die Position des Ausgangs bekannt ist.

Bei großen Herding-Werten und einer hohen Personendichte innerhalb des Raumes uberschneiden

sich viele Radien der Personen (vgl. Abb. 2.3). Die Simulationen haben gezeigt, dass in dieser

Abbildung 2.3: Radien (2m) von zehn Personen im Raum

Situation bei einer Personenanzahl von N = 40 der Ausgang schnell gefunden wird und die

Fußganger eher nicht oder nur kurz in einer Ecke des Raumes verweilen. Dies geschieht aber

unter der Annahme, dass zum Zeitpunkt t = 0 bekannt ist, wo sich der Ausgang befindet.

Anders sieht es fur N = 15 aus. In diesem Fall ist es bei dem Simulationen ofter passiert, dass

die Fußganger einander folgten und in einer Ecke des Raumes stehen blieben (vgl. Abb.2.4).

Dies lasst sich wahrscheinlich damit erklaren, dass bei einer geringen Personenanzahl im

Raum die Moglichkeit besteht, dass keine Person mit der Wunschrichtung zum Ausgang an

ihnen vorbeigeht und ihnen damit den Weg weist. Wenn aber zum Zeitpunkt t = 0 nicht

bekannt ist, wo sich der Ausgang befindet, konnen hohe Herding-Werte dazu fuhren, dass die

Personen nicht alle Ausgange nutzen und sich eventuell in die falsche Richtung bewegen [4].

Damit wird deutlich, dass reines Herdenverhalten und Individualverhalten keine sinnvollen

Strategien sind, um einen Raum zu verlassen und eine Mischung aus beidem am sinnvollsten

ist.

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2 Das Helbing-Modell 9

(a) nach 2 sec (b) nach 3 sec

(c) nach 4.654 sec

Abbildung 2.4: Simulation mit 30 Personen, einer Wunschgeschwindigkeit von 1,2 m/s undeinem Herding-Faktor von 0,7

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3 Mathematische Grundlagen

3.1 Mikroskopische und makroskopische Modelle

Mikroskopische Modelle liefern fur jeden einzelnen Partikel eine Gleichung pro Zeiteinheit.

Dies hat den Vorteil, dass man fur jeden einzelnen Partikel unterschiedliche Eigenschaften

definieren kann und fuhrt dazu, dass mikroskopische Modelle eine hohe Genauigkeit aufwei-

sen. Sie eignen sich deshalb zwar fur Untersuchungen von Details, sind aber sehr aufwendig in

der Auswertung, da die Eigenschaften der Partikel durch viele Variablen beschrieben werden

konnen (vgl. [5]). Das Helbing-Modell ist ein Beispiel hierfur. Makroskopische Modelle hinge-

gen sind effizienter in der Auswertung. Die Variablen eines solchen Modells sind Mittelwerte

von Verteilungsfunktionen (siehe [7]), wie z.B die raumliche Dichte oder die makroskopi-

sche Geschwindigkeit. Hieraus ergibt sich die Motivation, eine makroskopische Gleichung fur

das Helbing-Modell herzuleiten. Ein Beispiel fur ein makroskopisches Modell ist die Euler-

Gleichung. In Kapitel 4 werden wir sehen, wie man diese Gleichung fur das Helbing-Modell

herleitet.

3.2 Mean-Field-Gleichungen

In diesem Abschnitt folgen wir der Darstellung von [3]. Eine Mean-Field-Gleichung beschreibt

ein Modell fur N Partikel. Dabei betrachtet man den Partikel i in Zusammenhang mit den

anderen Partikeln und deren Entwicklung. Der Zustand des Partikels i wird durch die Dichte

f(x, ξ, t) beschrieben, mit der Ortsposition x und dem Impuls ξ zur Zeit t. Es wirkt zudem

ein Kraftfeld auf den Partikel i, welches als Durchschnitt der einzelnen Interaktionen mit

i gewahlt wird. Ein Beispiel fur eine Mean-Field-Gleichung stellt die Vlasov-Gleichung dar.

Sie beinhaltet die Interaktionen auf einen Partikel ausgehend von allen anderen Partikeln im

System. Diese Interaktionen werden durch ein Potential V beschrieben, welches Interaktionen

zwischen zwei Partikeln beschreibt. Stoße zwischen den Partikeln werden bei dieser Gleichung

nicht berucksichtigt.

Gegeben sei die empirische Dichte mit folgender Definition:

Definition 3.2.1. ([1], [3])

Die empirische Dichte eines Systems mit N Teilchen ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf

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3 Mathematische Grundlagen 11

R2d × R+ mit

fN (x, v, t) =1

N

N∑i=1

δ(x− xi(t))δ(v − vi(t)). (3.1)

Mit dieser Definition ist sie eine Losung der Vlasov-Gleichung im Sinne von Distributionen,

wobei das Potential V beschrankt sein muss (siehe [1], [3]).

3.3 Kerndichteschatzer

Neben der allgemeinen Herleitung und Berechnung von Formeln fur die Dichte und die ma-

kroskopische Geschwindigkeit, kann man sich auch der Methode des Kerndichteschatzers aus

der Statistik bedienen, um die Dichte fur ein gegebenes Modell zu erhalten.

Gegeben sei eine Zufallsvariable X und empirische Daten als Realisation der Zufallsvariable.

Dann lasst sich mit Hilfe des Kerndichteschatzers die Wahrscheinlichkeitsverteilung von X be-

stimmen. Da wir in Kapitel 5 einen Schatzer fur die zweidimensionale Ortsvariable benotigen,

betrachten wir den multivariaten Kerndichteschatzer f .

Definition 3.3.1. ([2])

Eine Funktion K : Rd → R heißt Kern, falls gilt:∫Rd

K(y) dy = 1 und (3.2)

(1)K ist radialsymmetrische Wahrscheinlichkeitsdichte (3.3)

(2)Beschrankter Trager oder zumindest |x|K(x)→ 0 fur |x| → 0. (3.4)

Definition 3.3.1. ([2])

Sei K : Rd → R ein Kern. Dann heißt

f(x) =1

Nhd

N∑i=1

K

(x− xih

), x ∈ Rd. (3.5)

multivariater Kerndichteschatzer mit Bandbreite h und Kern K.

Dieser Schatzer ist definiert als die mit dem Stichprobenumfang N skalierte Summe von

Kernen, welche mit den empirischen Datenpunkten zentriert wird. Mit dieser Definition ist

f(x) die Dichte eines Wahrscheinlichkeitsmaßes. Und die gewahlte Bandbreite h hat insofern

Einfluss auf die Qualitat der Schatzung, als dass die Schatzung enweder glatter und grober

wird, oder feiner mit hoherem Rauscheffekt (vgl. [2]).

Wir werden fur die Auswertungen in Kapitel 5 den Gaußkern verwenden. Dieser hat die Ei-

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3 Mathematische Grundlagen 12

genschaft, denjenigen empirischen Werten xi einen hoheren Wert zuzuordnen, welche sehr

nah an x sind. Die Bandbreite legt dabei den Radius um x fest, in dessen Bereich die empiri-

schen Werte eine hohe Bedeutung zugewiesen bekommen. Diese Annahme deckt sich mit den

Kraften im Helbing-Modell. Ein Fußganger j, der sehr nah an dem Fußganger i steht, wirkt

eine hohere Kraft auf i aus als eine entfernter stehende Person.

Definition 3.3.1. ([2])

Fur den multivariaten Gaußkern mit x ∈ Rdgilt

G(x) =1

(2π)d2

exp(−1

2xTx). (3.6)

Dieser Schatzer liefert eine stetige Schatzung der Zufallsvariable X und lasst sich mit einer

Erhohung des Stichprobenumfangs bei gleichzeitiger Anderung der Bandbreite optimieren

(vgl. [9]).

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4 Helbing im Kontinuum

Dieses Kapitel befasst sich mit dem Ubergang des Helbing-Modells zum Kontinuum. Ausge-

hend von den Vorteilen eines makroskopischen Modells werden die in Kapitel 3 vorgestellen

Vlasov- und Euler-Gleichungen fur das betrachtete Modell in Anlehnung an [1] hergeleitet.

4.1 Das skalierte Modell

In diesem Abschnitt gehen wir von den Gleichungen (2.2)-(2.4) aus und skalieren sie mit

der Fußgangeranzahl N . Die Abhangigkeit von der Personenanzahl wird bei der anschließen-

den Herleitung der Vlasov-Gleichung notwendig sein, weil dabei der Grenzwert fur N → ∞betrachtet wird. Wir setzen λ = 1

τiund verwenden im weiteren Verlauf dieses Kapitels v0i

anstelle von v0i e0i fur die Wunschgeschwindigkeit. Durch diese Wahl ist v0i kein Skalar mehr,

sondern ein Vektor, der in Richtung des Ausgangs zeigt .Mit der Skalierung

xi =xiN

und vi =viN

erhalten wir die Gleichungen

dxidt

(t) =dxidt

(t) · 1

N= vi(t) ·

1

N= vi(t), (4.1)

dvidt

(t) =dvidt

(t) · 1

N= λ(v0i (t)− vi(t)) +

1

N ·mi

∑j 6=i

fij +1

N ·mi

∑W

fiW , (4.2)

mit den skalierten Kraften

fij ={Aiexp[N(rij − dij)/Bi] + k ·N(rij − dij)1{rij>dij}}nij

+ κ ·N(rij − dij)1{rij>dij} 4 vtji · tij , (4.3)

fiW ={Aiexp[N(ri − diW )/Bi] + k ·N(ri − diW )1{ri>diW }}niW

− κ ·N(ri − diW )1{ri>diW } · (Nvi · tiW )tiW . (4.4)

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4 Helbing im Kontinuum 14

Dabei gilt

rij =rijN

, 4vtji = (Nvj −Nvi) · tij , tij = (−nij(2), nij(1)) und

nij =(xi(t)− xj(t))‖ xi(t)− xj(t) ‖

=(Nxi(t)−Nxj(t))‖ Nxi(t)−Nxj(t) ‖

=(xi(t)− xj(t))‖ xi(t)− xj(t) ‖

= nij .

4.2 Vlasov-Gleichung fur das Helbing-Modell

Von dem skalierten Modell in Abschnitt ?? ausgehend betrachten wir die empirische Dichte

fN (x, v, t) =1

N

N∑i=1

δ(x− xi(t))δ(v − vi(t)) (4.5)

und berechnen deren schwache Ableitung mit der stetig differenzierbaren Testfunktion ϕ(x, v).

〈∂tfN (., ., t), ϕ〉 =d

dt〈fN (., ., t), ϕ〉

=d

dt

1

N

N∑i=1

ϕ(xi(t), vi(t))

=1

N

N∑i=1

[∇xϕ(xi(t), vi(t)) ·

dxidt

(t) +∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·dvidt

(t)]

=1

N

N∑i=1

[∇xϕ(xi(t), vi(t)) · vi(t) +∇vϕ(xi(t), vi(t)) · λ(v0i (t)− vi(t))

+∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·1

N ·mi

∑j 6=i

fij(xi(t)− xj(t), vi(t)− vj(t))

+∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·1

N ·mi

∑W

fiW (xi(t), vi(t))]

=1

N

N∑i=1

∇xϕ(xi(t), vi(t)) · vi(t) +∇vϕ(xi(t), vi(t)) · λ(v0i (t)− vi(t)) (4.6)

+1

N2

N∑i=1

∑j 6=i∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·

1

mifij(xi(t)− xj(t), vi(t)− vj(t) (4.7)

+1

N2

N∑i=1

∑W

∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·1

mifiw(xi(t), vi(t)) (4.8)

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4 Helbing im Kontinuum 15

Wir betrachten nun die einzelnen Summanden der obigen Gleichung und rechnen auf diese

Weise die schwache Ableitung aus. Beginnend mit (4.6) gilt

1

N

N∑i=1

∇xϕ(xi(t), vi(t)) · vi(t) +∇vϕ(xi(t), vi(t)) · λ(v0i (t)− vi(t))

= 〈fN ,∇xϕ · v +∇vϕ · λ(v0 − v)〉. (4.9)

Um den Summanden (4.7) weiter umzuformen setze vorab 1mi· fij = fij und beachte, dass

folgendes gilt:

1

N

N∑j=1

fij(xi(t)− xj(t), vi(t)− vj(t))

=1

N

N∑j=1

〈δ(x− xj(t))δ(v − vj(t)), fij(xi(t)− x, vi(t)− v)〉

=〈fN , fij(xi(t)− x, vi(t)− v)〉

=

∫RN

∫RN

fN (x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv

Unter Beachtung der obigen Gleichheit lasst sich (4.7) umformen zu

1

N2

N∑i=1

∑j 6=i∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·

1

mifij(xi(t)− xj(t), vi(t)− vj(t)

=1

N2

N∑i=1

N∑j=1

∇vϕ(xi(t), vi(t)) · fij(xi(t)− xj(t), vi(t)− vj(t))

− 1

N2

N∑i=1

∇vϕ(xi(t), vi(t)) · fij(0, 0)

=〈fN ,∇vϕ ·∫RN

∫RN

fN (x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv〉+O(1

N) (4.10)

Da fij(0, 0) beschrankt ist, kann man im Ubergang von N → ∞ den Term der Ordnung

O( 1N ) vernachlassigen.

Bevor wir den letzten Summanden (4.8) umformen, setzen wir

1

N

∑W

fiW (xi(t), vi(t)) =∑W

fiW (xi(t), vi(t)),

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4 Helbing im Kontinuum 16

mit

fiw =1

N· fiw =

1

mi·[{Ai

Nexp[N(ri − diw)/Bi] + k(ri − diw)1{ri>diw}

}niw

− κ(ri − diw)1{ri>diw} · (Nvi · tiw)tiw

].

Dann folgt fur (4.8)

1

N2

N∑i=1

∑W

∇vϕ(xi(t), vi(t)) ·1

mifiw(xi(t), vi(t)) = 〈fN ,∇vϕ ·

∑W

fiW (x, v)〉. (4.11)

Zusammenfassend folgt fur die Schwache Form der Vlasov-Gleichung mit N →∞

〈∂tf, ϕ〉 =〈f,∇xϕ · v +∇vϕ ·[λ(v0 − v)

+

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v)

]〉.

Durch partielle Integration gelangt man zu der starken Form der Vlasov-Gleichung

∂tf + v · ∇xf +∇v ·[f · λ(v0 − v) +

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv

+∑W

fiW (x, v)

]= 0 (4.12)

4.3 Euler-Gleichung fur das Helbing-Modell

In diesem Kapitel leiten wir ausgehend von der Gleichung (4.12) die Euler-Gleichung fur die

ortliche Dichte ρ und die makroskopische Geschwindigkeit u her. Wir setzen

ρ(x, t) =

∫f(x, v, t) dv (4.13)

u(x, t) =

∫vf(x, v, t) dv∫f(x, v, t) dv

. (4.14)

Mit dieser Definition von u ist der Impuls das Produkt der ortlichen Dichte und der makro-

skopischen Geschwindigkeit.

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4 Helbing im Kontinuum 17

Fur die Zeitableitung von ρ gilt unter Beachtung des Satzes von Gauß

∂tρ =

∫∂tf dv

=−∫∇x · (vf) dv −

∫∇v ·

[f · (λ(v0 − v)

+ (

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v)

]dv

=−∇x∫vf dv − lim

R→∞

∫BR(0)

∇v ·[f · (λ(v0 − v)

+

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v)

]dv

=−∇x∫vf dv − lim

R→∞

∫∂BR(0)

∇v ·[f · (λ(v0 − v)

+

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v)

]· ndS(v)︸ ︷︷ ︸

=0,da f → 0 fur |v| → ∞

=−∇x∫vf dv

=−∇x · (ρu)

Mit der gewahlten Definition von ρ und u erhalt man die Transportgleichung

∂tρ+∇ · (ρu) = 0. (4.15)

Eine Gleichung fur u kann man herleiten, indem man die Zeitableitung von ρu betrachtet.

∂t(ρu) =

∫v∂tf dv

=−∫v∇x · (vf) dv −

∫v∇v ·

[f ·(λ(v0 − v)

+

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v)

)]dv

=−∇x ·∫v ⊗ vf dv −

∫f ·(λ(v0 − v)

+

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v)

)dv

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4 Helbing im Kontinuum 18

Unter Beachtung der Gleichung ∂t(ρu) = ∂tρ · u+ ρ · ∂tu und der Transportgleichung (4.15)

erhalt man aus der obigen Aquivalenz

∂tu · ρ− u∇x · (ρu) +∇x ·∫v ⊗ vf dv (4.16)

=−∫f ·(λ(v0 − v) +

∫RN

∫RN

f(x, v, t)fij(xi(t)− x, vi(t)− v) dx dv +∑W

fiW (x, v) dv

)(4.17)

Wenn man (4.16) mit ρ kurzt und die Abschlussrelation∫v ⊗ vf dv = u ⊗ uρ wahlt, um

ein endliches System von Gleichungen zu haben, erhalt man fur (4.16) unter Beachtung von

∇x · (u⊗ uρ) = ∇x · (ρu) · u+ ρu · ∇xu

∂tu+1

ρ

(∇x ·

∫v ⊗ vf dv − u∇x · (ρu)

)(4.18)

=∂tu+1

ρ(∇x · (u⊗ uρ)− u∇x · (ρu))

=∂tu+1

ρ(u∇x · uρ)

=∂tu+ u · ∇xu (4.19)

Fur (4.17) gilt mit den Definitionen von ρ und u

−∫fλ(v0 − v) dv −

∫f dv

∫ ∫f · fij(xi(t)− x, u(xi(t))− u(x)) dx dv (4.20)

−∫f ·∑W

fiW (xi(t), u(xi(t))) dv

=− λ(v0 − u)ρ− ρ ·∫f · fij(xi(t)− x, u(xi(t))− u(x)) dx dv − ρ ·

∑W

fiW (xi(t), u(xi(t))) dv

(4.21)

Wenn man (4.21) mit ρ kurzt (4.19) von (4.21) subtrahiert, erhalt man die gesuchte Euler-

gleichung

∂tu+ u · ∇xu− λ(v0 − u) +

∫f · fij(xi(t)− x, u(xi)− u(x)) dx dv

+∑W

fiW (xi(t), u(xi(t))) dv = 0. (4.22)

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19

5 Numerische Auswertung

Nach einer Beschreibung der getroffenen Annahmen bei der Programmierung des Modells,

wird in diesem Kapitel die graphische Ausgabe der Dichte vorgestellt. Zusatzlich werden einige

Auswertungen des Modells bezuglich der Evakuierungszeit geliefert und mit den Ergebnissen

von Prof. Helbing verglichen. Abschließend werden zwei weitere Phanomene erlautert und

mogliche Grunde fur das Zustandekommen gegeben. Es sei an dieser Stelle erwahnt, dass das

Programm in einem Praktikum entstanden ist, es aber von mir erweitert und ausgewertet

wurde (siehe [6]).

5.1 Parameter und Annahmen bei der Programmierung

Bei der Programmierung des Modells in Matlab werden verschiedene Annahmen zur Verein-

fachung gewahlt. Zuerst werden die Gleichungen des Helbing-Modells zur Entdimensionali-

sierung mit einer typischen Zeit T , einer typischen Lange L und einer typischen Masse M

skaliert. Der Raum ist zweidimensional und wird derart in das Koordinatensystem eingepasst,

dass die linke untere Ecke die Position (0,0) hat. Er ist quadratisch mit einer Seitenlange von

10 m und einer 1 m breiten Tur, die sich in der Mitte der rechten Wand befindet. Der Radius ri

und die Masse mi sind fur jede Person gleich gewahlt mit ri = 0, 3m und mi = 80 kg. Des Wei-

teren wird fur die Relaxationszeit τi = 0, 5 s und den Zeitschritt dt = 0, 002 gewahlt. Ebenso

ist die Wunschgeschwindigkeit v0i fur alle Fußganger identisch und das Festlegen der Orte

der Fußganger erfolgt zufallig, aber unter der Bedingung, dass die Anfangsdistanz zwischen

zwei Fußgangern einen kritischen Wert nicht unterschreitet. Sobald eine Person i außerhalb

des Raumes ist, wirkt sie keine Kraft auf die ubrigen Fußganger mehr aus. Eine zusatzliche

Annahme wurde bei dem Herding-Effekt getroffen, die darin besteht, dass die Personen zum

Zeitpunkt t = 0 die Position des Ausgangs kennen. Unter diesen Annahmen dauert eine Si-

mulation mit einer Wunschgeschwindigkeit von v0i = 1, 5m/s und einer Fußgangeranzahl von

N = 40 ca. 15 Minuten.

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5 Numerische Auswertung 20

5.2 Schatzung der Dichte

Die Schatzung der Wahrscheinlickeitsverteilung erfolgt mit Hilfe des Kerndichteschatzers aus

N zweidimensionalen Daten und j Durchlaufen. Das machen wir mit dem Kerndichteschatzer

f(x) =1

N

1

j

1

h2

N∑i=1

∑j

1

2πexp

(−1

2

1

h2[(x(1)− xi(1))2 + (x(2)− xi(2))2]

)(5.1)

Dabei bezeichnet x(1) die erste und x(2) die zweite Koordinate des zweidimensionalen Orts-

vektors x.

Der Raum sei im skalierten Helbing-Modell mit dem Volumen 1 in Kastchen der Große

kN = 1N eingeteilt. Dann wird fur die numerische Auswertung die Bandbreite h = 4 ·kN = 4

N

gewahlt.

Die Abbildung 5.1 zeigt die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Orte von 40 Personen mit einer

Wunschgeschwindigkeit von v0i = 1, 5m/s zu sechs Zeitpunkten. Bei dem ersten Bild kann

man erkennen, dass die Ortsdichte in der Mitte des Raumes in etwa den gleichen Wert an-

nimmt und nur an der Randern zu den Wanden abnimmt. Da dieses Bild nach 0,04 s nach

dem Beginn der Simulation entstanden ist, zeigt es noch die Anfangspositionen der Fußganger,

welche anscheinend gleichmaßig im Raum vergeben wurden. Nach 1,5 Sekunden nach dem

Beginn der Simulation wird das Maximum der Dichte in der Nahe der Tur angenommen. In

der Zeit von drei bis 20 Sekunden erkennt man eine Bewegung in Richtung Ausgang, der die

Position (1, 0.5) besitzt. Dabei wird die Dichtefunktion immer kleiner und nur in der Nahe

des Ausgangs nimmt die Funktion Werte ungleich null an, was darauf schließen lasst, dass

die Personen den Raum verlassen.

Wenn man diese Abbildung mit der Abbildung 5.2 vergleicht, erkennt man einige Unterschie-

de. Abgesehen von einer anderen Verteilung nach 0,01 Sekunden bei Abbildung 5.2, sieht diese

nach zwei Sekunden ahnlich aus wie die Abbildung 5.1 nach vier Sekunden. Das liegt wahr-

scheinlich daran, dass bei der einen Simulation eine Wunschgeschwindkeit von vi(0) = 1, 5m/s

und bei der anderen vi(0) = 3, 0m/s gewahlt wurde. Dementsprechend bewegen sich die

Fußganger schneller fort und erreichen die Tur fruher. Bei der Abb. 5.2 nach zwolf Sekunden

erkennt man eine kleine Wolbung der Dichtefunktion zwar in der Nahe der Tur, aber fast

schon in der Mitte des Raumes. Da diese bei dem Bild nach acht Sekunden nicht zu erkennen

ist, lasst sich vermuten, dass in der Nahe der Tur eine starke abstoßende Kraft auf mindes-

tens einen Fußganger gewirkt hat und er durch diese Kraft wieder zu der Mitte des Raumes

gedrangt wurde.

Bei Betrachtung der geschatzten Dichte durch den Kerndichteschatzer zu unterschiedlichen

Zeitpunkten lasst sich somit die Bewegung der Fußganger erkennen und auch Effekte wie z.

B. das Aufeinandertreffen von vielen Personen in Ausgangnahe oder das Wegdrangen von

Personen werden deutlich. Letzteres konnte aber mit dem Zeitschritt zusammenhangen und

eventuell bei einer Verkleinerung von dt behoben werden.

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5 Numerische Auswertung 21

(a) nach 0,04 sec (b) nach 1,5 sec

(c) nach 3 sec (d) nach 4 sec

(e) nach 10 sec (f) nach 20 sec

Abbildung 5.1: Darstellung des Kerndichteschatzers fur 40 Simulationen mit 40 Personen undeiner Wunschgeschwindigkeit von 1,5 m/s

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5 Numerische Auswertung 22

(a) nach 0,01 sec (b) nach 2 sec

(c) nach 4,2 sec (d) nach 8 sec

(e) nach 12 sec (f) nach 13 sec

Abbildung 5.2: Darstellung des Kerndichteschatzers fur 40 Simulationen mit 40 Personen undeiner Wunschgeschwindigkeit von 3,0 m/s

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5 Numerische Auswertung 23

5.3 Evakuierungszeit

In diesem Abschnitt werden die Evakuierungszeiten in Abhangigkeit vom Herding-Effekt un-

tersucht. Dies geschieht zum einen mit einer Fußgangeranzahl von N = 20 und zum anderen

N = 30. Bei beiden Auswertungen wurden 20 Durchgange des Modells gemacht und die Eva-

kuierungszeiten gemittelt.

Bei der Evakuierungszeit mit 20 Personen in Abbildung 5.3 konnten die Personen mit einem

Herding-Wert von p = 0 am schnellsten aus dem Raum fluchten. Dies geschah nach 18,366

Sekunden. Dagegen haben die Personen mit einem Herding-Wert von p = 0, 1 und p = 0, 2

durchschnittlich 21,204 Sekunden benotigt, um zu fliehen. Mit steigendem Herding-Wert von

p = 0, 3 bis p = 0, 5 sinkt die Evakuierungszeit auf einen Wert von 19,122 Sekunden und bildet

hier einen Tiefpunkt und steigt danach wieder mit wachsendem Herding-Wert. Die Differenz

zwischen der kurzesten und der langsten Evakuierungszeit betragt in etwa 3 Sekunden und

es werden zwischen 18 und 21 Sekunden benotigt, um den Raum zu verlassen.

Im Vergleich wird deutlich, dass 30 Personen eine langere Fluchtzeit zwischen 23 und 27

Sekunden benotigen. Eine Gemeinsamkeit wird aber bei einem Herding-Wert von p = 0, 5

deutlich, denn dieser bildet in beiden Fallen einen der Tiefpunkte und damit eine schnelle

Evakuierungszeit. Dies liegt moglicherweise daran, dass in diesem Fall eine Mischung zwi-

schen Individual- und Massenverhalten wirkt. Zudem kann man aber auch erkennen, dass

Personen mit einem Herding-Wert von p = 0, 9 den Raum mit am schnellsten verlassen. Da

aber die Annahme gemacht wurde, dass die Fußganger zum Anfangszeitpunkt die Lage der

Tur kennen und es hier nur einen Ausgang gibt, konnte Massenverhalten in diesem Fall das

Finden der Tur und die Evakuierungszeit bei einer Rauchsituation begunstigen. Denn bei

vielen Leuten innerhalb des Raumes, die zusatzlich den Ausgangsort kennen, beeinflussen sie

sich gegenseitig und die gemittelte Wunschrichtung zeigt in Richtung des Ausgangs.

Ein anderer Unterschied zwischen den beiden Abbildungen besteht in der relativen Stan-

dardabweichung. In dem Fall von 20 Personen ist diese mit Werten zwischen ca. 20% und

26% deutlich hoher als in dem Fall von 30 Personen mit einer Standardabweichung zwischen

9% und 17%. Dies konnte damit zusammenhangen, dass es bei wenigen Personen dazu kom-

men kann, dass sie in einer Ecke des Raumes stehen bleiben und keine Person an ihnen

vorbeilauft, die in Richtung Tur geht. Somit wurde die Evakuierungszeit stark variieren. Bei

einer hoheren Anzahl an Fußgangern kommt es jedoch haufiger zu Uberschneidungen der fur

den Herdingeffekt relevanten Radien Ri und damit ist die Moglichkeit haufiger gegeben, sich

an der Richtung der anderen Personen zu orientieren.

In [4] wurde ebenfalls der Herding-Faktor untersucht, aber unter der Annahme, dass die

Fußganger die Position des Ausgangs nicht kennen und ihn zuerst finden mussen. Sehr hohe

als auch sehr niedrige Werte fur den Herding-Faktor fuhren in dieser Situation zu hohen Eva-

kuierungszeiten. Ein mittlerer Herding-Wert von p = 0, 4 ist in dieser Situation optimal. In

den Abbildungen 5.3 ist ein mittlerer Herding-Wert zwar nicht der optimalste Wert fur eine

schnelle Evakuierungszeit, fuhrt aber trotzdem zu einer schnellen Flucht.

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5 Numerische Auswertung 24

(a) 20 Personen mit Wunschgeschwindkeit 1,2 m/s

(b) 30 Personen mit Wunschgeschwindigkeit 1,2 m/s

Abbildung 5.3: Evakuierungszeit in Abhangigkeit vom Herding-Faktor bei unterschiedlicherPersonenanzahl

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5 Numerische Auswertung 25

Abschließend untersuchen wir noch die Evakuierungszeit in Abhangigkeit von der Wunschge-

schwindigkeit von 40 Personen bei 20 Simulationen mit einer typischen Zeit von T = 20 s. In

[4] wird das Phanomen vorgestellt, dass in einer Simulation mit einer hohen Geschwindigkeit

der Fußganger, diese letztendlich eine langere Fluchtzeit benotigen als wenn sie sich mit einer

langsameren Geschwindigkeit bewegen wurden.

Die Abbildung 5.4 zeigt aber bei der vorliegenden Situation keine vollkommene Ubereinstimmung

mit dieser Beobachtung. Bei einer Geschwindigkeit von 1,2 m/s benotigen die Fußganger im

Durchschnitt 20 Sekunden, um den Raum zu verlassen. An dieser Stelle sei darauf hinge-

wiesen, dass die Simulation nur 20 Sekunden anzeigt und dann abbricht. Deshalb ist es

moglich, dass teilweise die Fußganger eine langere Fluchtzeit gebraucht hatten. Mit wach-

sender Geschwindigkeit bis zu 3,3 m/s sinkt die Evakuierungszeit auf einen Tiefpunkt von

ca. 13 Sekunden. Fur die Geschwindigkeiten 3,6 m/s und 3,9 m/s steigt die Fluchtzeit auf

20 Sekunden an. Der grundlegende Unterschied bei den vorgegebenen Werten besteht in der

Anzahl der Fußganger. Die zuvor genannte Simulation wurde mit 200 anstelle von den hier

benutzen 40 Personen durchgefuhrt. Somit konnte der beschriebene Effekt moglicherweise

erst bei einer sehr großen Menschenmenge in Kraft treten. In der Situation von Abbildung

5.4 tritt dieser Effekt erst ab ca. 3,3 m/s ein.

Abbildung 5.4: Evakuierungszeit in Abhangigkeit von der Wunschgeschwindigkeit

5.4 Weitere Effekte

Bei der Simulation konnten einige Effekte zwischen den Fußgangern beobachtet werden. Ei-

ner davon ist die Bildung eines Art Halbkreises in Turnahe und eine damit verbundene

Blockierung des Ausgangs. Dieser Effekt wurde bei einer hohen Personenanzahl und einer

hohen Wunschgeschwindigkeit deutlich. In den Abbildungen 5.5 und 5.6 tritt dieser Effekt

auf. Nach [4] kann dieses Blockieren der Tur bei erhohten Wunschgeschwindigkeiten großer

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5 Numerische Auswertung 26

als 1,5 m/s festgestellt werden. Und dies ist bei den beiden abgebildetetn Simulationen mit

den Wunschgeschwindigkeit v0i = 1, 5m/s und v0i = 3, 0m/s der Fall.

Abbildung 5.5: Simulation mit 70 Personen und einer Wunschgeschwindigkeit von 3,0 m/snach 5,952 s

Abbildung 5.6: Simulation mit 70 Personen und einer Wunschgeschwindigkeit von 1,5 m/snach 7,186 s

Eine anderes Phanomen ereignet sich bei Simulationen mit Herding-Effekt und betrifft das

Stehenbleiben in einer Wandecke. Wie in Abb. 2.4 erkennbar, bewegen sich einige Fußganger

in eine Ecke. Dieses Verhalten lasst sich vermutlich wie folgt erklaren. Wenn der erste

Fußganger an der Wand ankommt, wirkt die Wandkraft auf ihn und seine Wunschrichtung ein.

Er wird zuerst langsamer. Wenn dann weitere Personen nachkommen, wirkt die Wandkraft

auch auf sie ein und sie bleiben stehen, da sich die Wunschrichtung und die Wandkraft gegen-

einander aufheben. In einer Rauchsituation konnte man sich dieses Verhalten so erklaren, dass

die Personen nicht mehr wissen wohin sie gehen sollen und erstmal stehen bleiben. Dies ware

aber keine ideale Fluchtstrategie, wenn sich Fußganger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr weiter

bewegen. Eine Losung dieses Problems konnte man eventuell mit definierten Wandstrategien

erzielen, die das Verhalten im Falle von der beschrieben Situation beeinflussen.

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27

6 Fazit und Ausblick

Wir haben in dieser Arbeit ein Fußgangermodell allgemein vorgestellt und mit dem Herding-

Effekt erweitert. Anhand von Simulationen haben wir einige auftretende Effekte entdeckt und

gesehen, was bei Veranderung einzelner Parameter geschieht. Bei den Simulationen wurde

deutlich, dass die Auswertung sehr stark von dem gewahlten Zeitschritt abhangt und sehr

aufwendig bei einer hohen Personenanzahl ist. Deshalb wurde fur das mikroskopische Herding-

Modell die makroskopische Euler-Gleichung hergeleitet. Zusatzlich haben wir die Ortsdichte

numerisch mit dem Verfahren des Kerndichteschatzers bestimmt.

Das Helbing-Modell und vor allem die Simulationen helfen Paniksituationen besser zu verste-

hen. Anhand von Analysen konnen Raume besser gestaltet und z. B. mit Hindernissen kann

der Fußgangerstrom beeinflusst und kontrolliert werden (siehe [4], [5]).

Bei den numerischen Auswertungen haben wir gesehen, dass es zu Problemen beim Einsatz

des Herding-Faktors kommen kann. Wenn Personen in einer Ecke des Raumes stehen bleiben,

waren Verhaltensstrategien in dieser Situation nutzlich, damit die Personen auch weiterhin

den Ausgang finden. Eine Berucksichtigung von akustischen Signalen ware ebenso von Vor-

teil, die eine Verstandigung der Personen ermoglichen wurde.

Auch wenn diese Punkte eine nutzliche Erweiterung darstellen konnten, wurde das Modell

damit von noch mehr Faktoren abhangen und ware in der Berechnung sehr zeitintensiv. Des-

halb bleibt die Frage, ob das allgemeine Helbing-Modell nicht schon ausreichend ist, da es

die beschriebenen Panikeffekte (vgl. [4]) schon realitatsnah widergibt.

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28

Abbildungsverzeichnis

2.1 Simulation mit 40 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.2 Radius beim Herding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.3 Radien (2m) von zehn Personen im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.4 Simulation mit Herding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

5.1 Kerndichteschatzung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

5.2 Kerndichteschatzung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

5.3 Evakuierungszeit in Abhangigkeit vom Herding-Faktor bei unterschiedlicher

Personenanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

5.4 Evakuierungszeit in Abhangigkeit von der Wunschgeschwindigkeit . . . . . . 25

5.5 Halbkreisbildung und Blockieren der Tur 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

5.6 Halbkreisbildung und Blockieren der Tur 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Page 33: Erweiterungen des Helbing-Modells zur Fuˇg angerdynamik ... Weber.pdf · ii Eidesstattliche Erkl arung Hiermit versichere ich, Karolina Weber, dass ich die vorliegende Arbeit selbstst

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Literaturverzeichnis

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