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„…ES BLIEB KEIN ANDERER WEG…” Zeitzeugenberichte und Dokumente aus dem Südtiroler Freiheitskampf

ES BLIEB KEIN ANDERER WEG

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„…ES BLIEBKEIN

ANDERER WEG…”Zeitzeugenberichte und

Dokumente aus demSüdtiroler Freiheitskampf

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ImpressumHerausgeber: Sepp Mitterhofer, Günther ObwegsGestaltung, Satz: Hauger-Fritz, MeranDruck: Varesco, AuerISBN-Nummer: 88-8300-008-0

Gedruckt mit Unterstützung von

K U N S T

K U L T U R

SÜDTIROL

SÜDTIROL

der Kulturabteilung für die deutsche und ladinische Volksgruppein der Südtiroler Landesregierung

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DIE WAHRHEIT

KANN MAN

NICHT VERBRENNEN,DENN DIE WAHRHEIT

IST DAS FEUER!

Das wiederholte Lesen der Berichte und Dokumentationen, die das vorlie-gende Manuskript enthält, bot mir ein aufwühlendens Erlebnis. Die Ausführun-gen wirkten auf mich wie ein Heldenepos, das in realistischer, dokumentarischuntermauerter und zugleich packender Weise dem Leser ein wahrheitsgetreuesBild vor Augen hält.

Das hier Gebotene muss unbedingt als Buch jedermann zugänglich gemachtwerden. Es hält nicht nur die Erinnerung an eine Tiroler Heldenzeit wach, sondernstärkt auch das Tiroler Landesbewusstsein, für das es nicht die «Länder Tirol undSüdtirol», sondern nur das eine Land Tirol geben darf, wenn es auch auf zweiStaaten aufgeteilt ist.

Dr. Egon Kühebacher

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INHALTSVERZEICHNISGeleitwort Dr. Bruno Hosp ............................................................................................................................. 7

Geleitwort der unterfertigten Freiheitskämpfer ............................................................................................... 9

Vorwort der Herausgeber ............................................................................................................................. 13

Einleitung ...................................................................................................................................................... 15

Die Wurzeln des WiderstandesHans Stieler .................................................................................................................................................. 21

Warum wir nicht zusehen konntenSepp Mitterhofer .......................................................................................................................................... 35

Für uns galt es, die Heimat zu retten…Luis Steinegger ............................................................................................................................................. 59

Die «Cura speciale»Luis Gutmann ............................................................................................................................................... 65

Die Freiheit nicht haben und… SorgenHelmut Kritzinger ......................................................................................................................................... 99

Das Gefängnsleben als politischer HäftlingSepp Mitterhofer ........................................................................................................................................ 107

Mit 32 Jahren ist man halt noch belastbarJohanna Clementi ....................................................................................................................................... 135

Man sah ihm deutlich die Misshandlung anMaria Mitterhofer ....................................................................................................................................... 143

Wie viele Tränen flossen, blieb verborgenMidl von Sölder .......................................................................................................................................... 151

«Ihr Mann, wo ist er?»Rosa Klotz .................................................................................................................................................. 161

Grüß mir die Heimat, die ich mehr geliebt als mein LebenFranz Amplatz und Günther Obwegs ......................................................................................................... 191

Wir Tiroler wollen selber frei entscheidenEin Rundschreiben von Sepp Kerschbaumer ............................................................................................... 211

Das Leben des Sepp KerschbaumerSepp Mitterhofer ........................................................................................................................................ 219

Die Nacht und die Berge gehörten ihnen… – Eine Stimme aus dem ExilSiegfried Steger .......................................................................................................................................... 241

Südtiroler Freiheitskampf – Als Österreicher im Dienst der SacheUniv.-Prof. Dr. Erhard Hartung – Innsbruck ................................................................................................ 257

Die Urteile .................................................................................................................................................. 301

Die Toten .................................................................................................................................................... 325

Und noch kein Ende? ................................................................................................................................. 331

Das Buch und die Wahrheit des Prof. Rolf Steininger ............................................................................... 339

Ein letztes Wort und Dank ......................................................................................................................... 357

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Die Aufarbeitung von Geschichte istnicht immer einfach – vor allem dannnicht, wenn es sich um eine leidvolleund bewegte Geschichte handelt. ImRückblick sind viele Ereignisse verschie-den interpretierbar. Geschichtsschrei-bung gewinnt dann an Wert, wenn dieGeschichte nicht nur von einem Ge-sichtspunkt, sondern aus verschiedenenSichtweisen beschrieben und für dieNachwelt festgehalten wird. Das Rin-gen um Wahrheit spricht sich in einersolchen Pluralität an Sichtweisen in ei-ner demokratischen und gerechtenWeise aus; und es bleibt den nachfol-genden Generationen überlassen, sichaus den verschiedenen Quellen ein um-fassendes und objektives Urteil über dieGeschehnisse zu formen, von denenihre eigene Welt mit abhängt.

Das vorliegende Buch schildert ei-nen Abschnitt der jüngeren GeschichteSüdtirols aus der Sicht von ehemaligenpolitischen Häftlingen und deren Frau-en, die selbst an den damaligen Ereig-nissen Teil hatten. Es bringt damit ei-

GELEITWORTDr. Bruno Hosp

nen Gesichtspunkt und eine Leseart ein,die bisher nicht im Vordergrund der öf-fentlichen Diskussion stand, aber dochmit gesehen werden sollte. Denn jeneSüdtiroler, die um 1961 – Ende der 50erund Anfang der 60er Jahre – versuchthaben, mit spektakulären Mitteln dasWeltgewissen auf das Unrecht an ihrerHeimat aufmerksam zu machen, habenbei all ihren Aktionen darauf abgezielt,Menschenleben nicht nur nicht als Mit-tel der politischen Erpressung einzuset-zen, sondern sie überhaupt zu scho-nen. Eine Vorgangsweise, die sich haus-hoch über den politischen Terrorismusunserer Tage hinaushebt. Und sie ha-ben zumeist harte und lange Gefäng-nisstrafen verbüßt, nachdem sie in derVoruntersuchungsphase zum allergröß-ten Teil Misshandlungen zu erduldenhatten, die einer modernen demokrati-schen Rechtspflege unwürdig waren.Ich halte es daher für sehr angebracht,dass ihre Erlebnisschilderungen undjene ihrer Frauen, die mitgelitten ha-ben, der Nachwelt überliefert werden.

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Bozen, am 10.04.2000 Dr. Bruno HospLandesrat für Kultur

Auch einige eingefügte Lebensbildervon Aktivisten der Sechzigerjahre ma-chen Geschichte von der menschlichenSeite her erfahrbar und das ist wichtig,wenn man ihre eigentliche Dimensionbegreifen will. Die Schicksale, die an

diese Kapitel Tiroler Geschichte gebun-den waren und zum Teil auch noch im-mer gebunden sind, machen das vorlie-gende Buch für viele Interessierte zu ei-nem lesenswerten, ja spannenden Do-kument.

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GELEITWORT DER UNTERFERTIGTEN FREIHEITSKÄMPFER

Nachdem die Zeitzeugen – die Frei-heitskämpfer der 50er- und 60er Jahre –immer weniger werden, hat sich der Süd-tiroler Heimatbund (SHB), als Vertretungder Südtiroler politischen Häftlinge zuseinem 25-jährigen Bestandsjubiläumentschlossen, ein Symposium über denFreiheitskampf abzuhalten. Diese Veran-staltung im Grieser Kulturheim übertrafalle Erwartungen, vor allem viele Jugend-liche hatten sich eingefunden und regesInteresse gezeigt. Auch das Echo in denMedien war sehr positiv. So wurde dieIdee geboren, die Referate der Zeitzeu-gen mit Berichten von Häftlingsfrauen,Dokumenten und Fotos von Beteiligtender Sechzigerjahre zu erweitern und einBuch herauszugeben.

Wenn auch noch nicht alles gesagtwerden kann, so sind die unterfertigtenFreiheitskämpfer doch der Meinung, dasses notwendig und richtig ist, der näch-sten Generation, vor allem aber der Ju-gend, ihre persönlichen Erlebnisse unddie Ereignisse dieser schicksalsschwerenZeit des Freiheitskampfes in Südtirol unddie Gründe, die dazu geführt haben,weiterzugeben. Dieser Lebensabschnittwar nicht nur für die Betroffenen selbst,die ja Folter und Gefängnis erduldenmussten, eine schwere Zeit, sondern

auch für deren Familien. Besonders dieFrauen und Mütter litten schwer darun-ter, weil viele den Vater und Familiener-nährer von einem Tag auf den anderenverloren und so die ganze Last der Erzie-hung zu tragen hatten und den Lebens-unterhalt alleine bestreiten mussten.

Wenn sie auch viel Solidarität undHilfe von Verwandten und Bekannten er-fuhren, so waren sie letztendlich dochauf sich allein gestellt und die Sorge umden geliebten Mann oder Sohn blieb Tagund Nacht eine große Last. Außerdemschlug den betroffenen Familien nichtvon allen Leuten Solidarität entgegen; esgab genug Personen, welche einenBogen um sie machten und offen ihreAbneigung zeigten.

Die Tatsache, dass auf unseren Höfenund Besitzungen (1961) eine Hypothekvon einer Milliarde und dreihundert Mil-lionen Lire lastete, war für uns und un-sere Angehörigen noch eine zusätzlichemoralische Bürde. Sie wurde erst Mitteder neunziger Jahre nach mühevollerKleinarbeit von Pepi Fontana – auch einpolitischer Häftling – gelöscht.

Ebenso hat Pepi Fontana bei der Re-habilitierung vieler politischer Häftlingemitgearbeitet und, wie auch Dr. KarlZeller, die mühevolle Arbeit kostenlos

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durchgeführt. Dafür gebührt beiden einaufrichtiger Dank der politischen Häftlin-ge.

Auch jene Südtiroler dürfen nicht ver-gessen werden, welche wegen ihres Ein-satzes für unsere bedrohte Heimat flüch-ten mussten und selbst in Österreich da-mals polizeilich verfolgt wurden und da-her ständig auf der Flucht waren. Heutesind sie in Nordtirol ansässig, dürfen abernicht mehr in die eigene Heimat zurück-kehren.

Auch für ganz Südtirol war dieserKampf um Freiheit und Gerechtigkeiteine harte Zeit, denn der italienischeStaat reagierte mit brutalen Methodenauf die Anschläge. Neben den schwerenMisshandlungen an den politischen Häft-lingen – mit Todesfolge bei Franz Höflerund Toni Gostner – hatten die Bewacheröffentlicher Einrichtungen den Befehl,ohne Vorwarnung zu schießen.

So wurden am 19. Juni 1961, eineWoche nach der Feuernacht, zwei jungeMänner, Hubert Sprenger (Mals) undSepp Locher (Sarnthein), unschuldig er-schossen. Auch Peter Thaler, der beimitalienischen Heer im Dienst war, wurdeeine Woche später in Welsberg von ei-nem italienischen Offizier «versehentlich»erschossen.

Zahllose Hausdurchsuchungen – wo-bei es immer wieder zu menschenrechts-widrigen Übergriffen kam – wurden imganzen Land durchgeführt. Mehrere

Gasthöfe wurden für polizeiliche Zweckebeschlagnahmt, es herrschte regelrech-ter Ausnahmezustand.

Immer wieder ließ sich der italieni-sche Staat, vertreten durch Carabinieri,Polizei und Geheimdienst, zu brutalenÜbergriffen hinreissen. Der Meuchelmordan Luis Amplatz, ausgeführt von Christi-an Kerbler, war vom italienischen Ge-heimdienst gesteuert. Oder die un-menschlichen Repressalien in Tesselbergbei Bruneck, wo es nur einem mutigenOffizier, Oberstleutnant Giudici, zu ver-danken war, dass nicht fünfzehn Tessel-berger unschuldig erschossen wordensind. Das sind nur zwei Beispiele vonvielen.

Auch die Südtiroler Volkspartei gerietunter Druck und lief Gefahr, aufgelöst zuwerden, denn die Italiener glaubten, dasssie die Hände bei den Anschlägen mit imSpiel hatte. Wenn wir bei den Verhörenden Mund aufgemacht hätten, dann wä-ren wohl mehrere Spitzenfunktionäre derSVP mit uns hinter Gitter gewandert.Aber wir haben trotz Folterungen in die-ser Hinsicht dicht gehalten und das warauch besser so. Allerdings hat es uns dieSVP nachher nicht gedankt, denn sie hatuns Selbstbestimmungsbefürworter be-kämpft, wo sie nur konnte, und das stelltden Vertretern dieser Partei kein gutesZeugnis aus.

1976 bei der Landesversammlung derSVP in Meran hat uns dann der Obmann,

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Dr. Silvius Magnago, moralisch rehabili-tiert. Ein Jahr zuvor hatte der damaligeOrtsobmann der SVP und Bürgermeistervon Ritten, Dr. Bruno Hosp, bei der Lan-desversammlung der SVP in einer patrio-tischen Rede die Rehabilitierung der po-litischen Häftlinge gefordert.

Die Gründe, welche zu diesem Auf-bzw. Widerstand in Südtirol gegen dieitalienische Staatsmacht geführt haben,werden im Buch selbst ausführlich dar-gelegt. Es war nicht möglich, alle Betei-ligten zu Wort kommen zu lassen, denndas würde einerseits den Rahmen spren-gen und andererseits sind viele nichtbereit, über diesen schweren Zeitab-schnitt ihres Lebens zu reden, weil ihreErlebnisse so einschneidend waren, dasssie sich ganz zurückgezogen haben.

Dieses Buch soll nur einen bescheide-nen Einblick in die schicksalhafte Zeit derSechzigerjahre geben und ist ein Versuch,den nachfolgenden Generationen zu zei-gen, dass wir nicht aus Abenteuerlust,sondern aus Idealismus gehandelt haben.

Es war ein verzweifeltes Ringen, umunserem Volk, das sich sozial und volks-tumspolitisch in einem Notstand befand,ein besseres Leben zu ermöglichen.Wenn wir unser Ziel – die Wiedervereini-gung Tirols – auch nicht erreicht haben,so glauben wir doch, durch unseren da-maligen Einsatz einen wichtigen Beitraggeleistet zu haben, dass es uns Südtiro-lern heute wesentlich besser geht.

Ob wir durch die verbesserte Auto-nomie eine größere Chance haben, süd-lich des Brenners als Tiroler zu überle-ben, ist absolut offen. Der Geldsegen ausRom wird gezielt eingesetzt und derWohlstand macht die Südtiroler satt undmüde.

Der Wille zum Volkstumskampf wirdgeschwächt, die Werte verschieben sichimmer mehr, der Idealismus geht vielfachverloren und der Materialismus mit allseinen Nachteilen rückt in den Vorder-grund. Die Grenzen zwischen deutscherund italienischer Kultur und Mentalitätwerden immer mehr verschoben und ver-mischt. Unser Ziel muss nach wie vor einvereintes Tirol sein, denn es soll wiederzusammenwachsen, was zusammenge-hört.

Noch ein Wort an jene Personen,welche heute, 40 Jahre nach den geschil-derten Ereignissen, glauben, alles besserzu wissen und versuchen, die Freiheits-kämpfer von damals in «Brave» und«Böse» einzuteilen, ohne genaue Kennt-nis der damaligen Lage und Ereignissezu besitzen.: Es ist zu einfach und anma-ßend nebenbei, heute über diese Män-ner ein Urteil zu fällen, welche um derFreiheit unseres Landes willen Leib undLeben aufs Spiel gesetzt haben.

Wo waren denn diese Kritiker da-mals, als es den Südtirolern politisch undsozial so dreckig ging, dass viele Tausen-de junge Männer ins Ausland gehen

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mussten, weil in der Heimat die öffent-lichen Stellen zu 90% von Italienern be-setzt waren? Wo waren sie, die heute soleichtfertig über die Freiheitskämpfer ur-teilen, als wir von menschlichen Bestiengefoltert wurden? Haben sie unsereSchreie aus den Kasernen nicht gehörtoder wollten sie sie nicht hören? Habensie sich damals für uns, unsere starkbedrohte Volksgruppe und für die Südti-roler, die flüchten mussten, auch so en-ergisch eingesetzt, wie sie jetzt darüberurteilen?

Jene, die damals zu jung waren, kön-nen zwar nichts dafür, sie können sichaber heute bei ihren Eltern oder bei dennoch lebenden Zeitzeugen informieren,in welch bedrohlicher Lage sich unsereHeimat befand. Nur so können sie sich

ein gerechtes Urteil über diese Männerbilden.

Eine Aussage von Dr. Silvius Magna-go klingt für die damalige Zeit sehr tref-fend: «Eine außerordentliche Situationerfordert außerordentliche Maßnah-men!»

Abschließend möchten wir Univ. Pro-fessor Dr. Erhard Hartung einen aufrich-tigen Dank aussprechen für die Mitge-staltung dieses Buches und für die guteZusammenarbeit der Südtiroler undNordtiroler Freiheitskämpfer.

Einen herzlichen Dank aussprechenmöchten wir auch all jenen Frauen undMännern in Südtirol, Österreich undDeutschland, welche uns und unserenFamilien in den 60er Jahren beigestan-den sind und unterstützt haben!

Die Freiheitskämpfer

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VORWORT DER HERAUSGEBER

Als wir uns die Aufgabe gestellthaben, dieses Buch zu schreiben, er-schien es uns zuerst ein Leichtes. Dochbald mussten wir feststellen, dass eseine harte Arbeit werden würde. An-gespornt von der Hilfe all unserer Freun-de und angetrieben vom Bewusstsein,etwas Wichtiges und Gutes für unsereHeimat zu tun, haben wir das Aben-teuer der Herausgabe gemeinsam ge-wagt.

Ausgangspunkt dieses Buches wardas im November 1999 vom SüdtirolerHeimatbund in Bozen abgehaltene Sym-posium zum Thema «Der Südtiroler Frei-heitskampf in den 60er Jahren». Anläss-lich dieser Veranstaltung erhielten zumersten Mal die direkt Betroffenen dasWort.

So entstand eine Sammlung von per-sönlichen Erinnerungen, Wissen undSchicksalen von Menschen, die, als esum Südtirol nicht gut stand, direkt oderindirekt in den Widerstand gegen denfremden Staat verwickelt waren.

Ergänzt wurden diese Berichte durchInformationen und Dokumente, die jah-relang gesammelt wurden und durchNotizen aus zahllosen Gesprächen undTreffen, gemeinsam aufgewärmte guteund böse Erinnerungen.

Dem geschätzten Leser möchten wirschon jetzt mitteilen, dass wir durch die-ses Buch zwei Ziele erreichen wollen.Einmal sollten die beschriebenen Ereig-nisse der heutigen Jugend vermittelt undfür künftige Generationen aufbewahrtwerden.

Weiters sollte den vielen Lügen undUnwahrheiten, welche in den letztenJahren über den Freiheitskampf der 60erJahre gesagt und geschrieben wurden,endlich die Wahrheit gegenübergestelltwerden. Endlich die Betroffenen selbstzu Wort kommen zu lassen, eine Re-cherche vor Ort, das galt uns als ober-ster Grundsatz.

Für das Buch können wir nicht denAnspruch der Vollständigkeit erheben.Einer der ersten vorgeschlagenen Titellautete «Die Wahrheit», aber bald mus-sten wir feststellen, dass zur «Wahrheit»der gute Wille unsererseits niemals ge-nügen könnte. Erst wenn der italieni-sche Staat als der Mächtigere in diesemungleichen Kampf von seinen finsterenMethoden der Geheimpolitik, der fehl-geleiteten Geheimdienste Abstand neh-men und alle Geheimarchive öffnenwird, wird es möglich sein, die gesamteWahrheit zu erfahren. Dies wäre aucheine grundlegende Voraussetzung, ein

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gutes und festes Fundament zu bauen,auf dem man einen wahren Frieden inunserer Heimat verwirklichen kann.

«Es blieb kein anderer Weg …» wardann der Titel, auf den wir uns einig-ten. Ein Zitat aus einem Brief von JörgPircher, der 1966 aus dem Gefängnisgeschmuggelt wurde und zeigt, wieungebrochen der Wille der inhaftierten,verfolgten und noch aktiven Freiheits-kämpfer bis zuletzt blieb.

Es war nicht immer leicht, verschie-dene Erinnerungen, Erfahrungen undMeinungen in Einklang zu bringen; aberdabei hat sich die Mischung zwischen

Alt und Jung, zwischen Erfahrung undWissensdurst aufs Beste bewährt.

Es war unsere Absicht, das Buch –soweit es möglich war – leicht und füralle verständlich zu schreiben – ohneumständliche Floskeln oder mit vielenschönen, aber leeren Worten, wie esheute oft üblich ist – , denn es soll einLesebuch für alle werden, die demSchicksal ihrer Heimat nicht gleichgül-tig gegenüberstehen und aus derVergangenheit für die Zukunft lernenwollen.

Sepp Mitterhofer & Günther Obwegs

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EINLEITUNG

Sofort nach Kriegsende am 8. Mai1945 versuchten verschiedene Südtiro-ler Kontakt zu den alliierten Streitkräf-ten aufzunehmen, um eine Wiederan-gliederung Südtirols an Österreich zu er-reichen. Man hoffte auf die Durchset-zung des Selbstbestimmungsrechtes,das den Südtirolern bereits 1918 ver-wehrt worden war. Die gesamte Bevöl-kerung richtete ihre Aufmerksamkeit aufdie Alliierten in der Erwartung, dass die-se nicht die Augen vor der offenen Ti-rol- bzw. Südtirolfrage verschließenwürden, sondern für sie und nicht fürdie italienischen Nationalisten Partei er-greifen würden.

Zu diesem Zwecke wurden kurznach Kriegsende im ganzen Land Un-terschriften für die Selbstbestimmungund für die Wiedervereinigung mitÖsterreich gesammelt. Fast jeder wahl-berechtigte Südtiroler unterstützte die-se Forderung mit seiner Unterschrift. DerVolkswille blieb jedoch von der hohenPolitik unbeachtet.

Die nach dem Diktatfrieden von St.Germain an Tirol verübte Teilung wurdenicht behoben, die Südtiroler musstensich mit einer Kompromisslösung zufrie-den geben. Durch ein internationalesAbkommen, dem sogenannten Pariser

Vertrag, sollte der deutschen Volksgrup-pe (die ladinische wurde vollkommenignoriert) Sicherheit und Überleben ge-währleistet werden. Den Südtirolernwurden dadurch zwar einige Grundrech-te zugestanden, aber Italien hatte nurunter dem Druck der Alliierten der Auf-nahme dieses Minderheitenschutzvertra-ges – dem Friedensvertrag – zugestimmtund, obwohl es sich um einen interna-tionalen Vertrag handelte, war es vonBeginn an nicht gewillt, sich daran zuhalten.

Italien ging es hauptsächlich darum,sich durch den Friedensvertrag den ter-ritorialen Besitz Südtirols zu sichern. AlsRom sich wieder gestärkt fühlte, wur-den die Italienisierungspläne des faschis-tischen Regimes vielerorts wieder auf-gegriffen und fortgeführt. Dazu gehör-te besonders die Bestrebung, die deut-sche Bevölkerung durch die staatlich ge-förderte Massenzuwanderung von Ita-lienern zu minorisieren. Im Sinne dieserAktionen wurde der Pariser Vertrag bzw.die Autonomie nicht nur auf Südtirolund die angrenzenden deutschen Ge-meinden (einige Gemeinden des Unter-landes gehörten damals noch zur Pro-vinz Trient) beschränkt, sondern auf diegesamte Region Trentino-Tiroler Etsch-

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land ausgeweitet. Dadurch stellten dieSüdtiroler deutscher und ladinischerMuttersprache eine Minderheit in derRegion dar.

Die Bevölkerung Südtirols verfolgtediese Entwicklung mit größter Aufmerk-samkeit. Groß war damals das Interesseauch der kleinen Leute am politischenGeschehen. Bereits am 8. Mai 1945gründeten einige Südtiroler mit der Ge-nehmigung der alliierten Streitkräfte dieSüdtiroler Volkspartei, unter der Führungvon Erich Ammon. Ihr oberstes Ziel wardie Erlangung des Selbstbestimmungs-rechtes für Südtirol.

Neben den alliierten Truppen wurdeSüdtirol nach Kriegsende auch von klei-neren italienischen Partisaneneinheitenaus anderen Provinzen und den soge-nannten «Badoglio-Truppen» besetzt.Der CLN (Comitato di liberazione nazio-nale) erhob sofort wieder Anspruch aufdie Brennergrenze. Immer wieder kames zu einzelnen, schweren und wenigerschweren Übergriffen dieser italieni-schen Militäreinheiten. Vor allem Solda-ten der «Folgore» (eine Fallschirmjäger-einheit der Badoglio-Truppen), die erstkurz vor Kriegsende dem Faschismusden Rücken gekehrt hatte, beteiligtesich an diesen Ausschreitungen.

Die SVP organisierte zahlreicheKundgebungen für die Selbstbestim-mung. Man wollte versuchen, eine fried-liche Lösung des Problems herbeizufüh-

ren. In der Zwischenzeit begann sichjedoch auch ein anderer, vom Volk aus-gehender Widerstand zu bilden. Im Lau-fe ihres Rückzuges hatten die deutschenTruppenverbände viele Waffen, Muniti-on und anderes Kriegsgerät in Südtirolzurückgelassen. Ein Teil des SüdtirolerPolizeiregiments Alpenvorland wäre be-reit gewesen, die nachrückenden Italie-ner mit Waffengewalt aufzuhalten, umden Alliierten ein Südtirol mit deutscherVerwaltung zu übergeben. Aber es fandsich keine Persönlichkeit in der Politikdie dafür die Verantwortung überneh-men wollte. Einzelne Südtiroler, ehema-lige Frontkämpfer vor allem, begannenbereits in jenen Jahren, solche Waffenfür einen eventuellen Notfall zu horten.

Wären in dieser ersten Zeit nach derKapitulation und dem Kriegsende nichtdie alliierten Truppen anwesend gewe-sen, die für Ruhe und Ordnung sorgten,so wäre es wahrscheinlich schon damalszu einem gewalttätigen bzw. bewaffne-ten Konflikt zwischen den italienischenBesatzungstruppen und Südtirolern ge-kommen.

Die Südtiroler Bevölkerung setzte ihrVertrauen in die Wirkung politischer Ver-handlungen und hoffte weiterhin, ge-waltlos die gerechte Durchführung desPariser Vertrages und der damit zugesi-cherten Rechte zu erlangen.

Aber immer augenscheinlicher wur-de auch für den einzelnen Südtiroler die

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Auszug aus der „Alto Adige« vom 24. Jänner1957

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Missachtung der zugesicherten Rechte.Es war damals für einen Südtiroler sehrschwer, eine Arbeit zu finden und gera-dezu unmöglich, eine Stelle imöffentlichen Dienst anzutreten. DieseArbeitsplätze waren fast ausnahmslosden zugewanderten Italienern vorbe-halten. Oft zögerten die Südtiroler auch,sich um einen derartigen Posten zu be-werben, da die Polizei-, Carabinieri-,Steuerbeamte und andere, verhasstePersonen waren.

Genauso aussichtslos war es füreinen Südtiroler, eine Volkswohnung zuerhalten. Josef Fontana schreibt dazu:«…Ein Neumarkter wollte von einemihm bekannten Beamten erfahren, ober die Voraussetzung für die Zuteilungeiner solchen Wohnung erfülle. Der Be-amte meinte, vom sozialen Standpunktaus gesehen sicher, vom politischen abernur vielleicht. Sein Fall sei nicht ganzaussichtslos, weil er einen italienischenFamilienname trage, doch müsse er ihmraten, ja nicht als Deutscher aufzufal-len, denn sonst sei jede Chance ver-tan…»

Aus diesen Gründen gingen vielenach Deutschland, Österreich oder in dieSchweiz, um Arbeit zu finden. Eine gro-ße Anzahl Italiener kam in derselben Zeitins Land, da ihnen eine sichere Arbeitund auch eine Wohnung versprochenworden waren. Die Italienisierung desLandes ging stetig voran. Von 1946 bis

1956 wurden in Bozen 4.100 Volkswoh-nungen gebaut, von denen 3.854 anItaliener und 246 an Südtiroler gingen –das sind ganze 6%.

Diskriminiert wurden die Südtirolerauch von der italienischen Justiz undPolizei: Es gab zum Beispiel zahlreicheGeld- und Gefängnisstrafen für unbe-deutendste Dinge, wie etwa das Anma-len der Fensterläden in den Tiroler Lan-desfarben, die Beleidigung der italieni-schen Streitkräfte durch die Magenwin-de eines ahnungslosen Tiroler Bauern,das Hissen der Landesfahne usw.

In dieser Zeit warnte Kanonikus Mi-chael Gamper, damaliger Chefredakteurder Tageszeitung «Dolomiten» und geis-tiger Führer der Südtiroler, immer wie-der vor einem neuen Todesmarsch derSüdtiroler Volksgruppe. Im Jahre 1953schrieb er in einem Artikel der «Dolomi-ten»: «…Zu vielen Zehntausenden sindnach 1945 und nach Abschluss des Pa-riser Vertrages Italiener aus den südli-chen Provinzen in unser Land eingewan-dert, während zur gleichen Zeit dieRückkehr von einigen Tausenden unse-rer umgesiedelten Landsleute unterbun-den wurde. Fast mit mathematischer Si-cherheit können wir den Zeitpunkt er-rechnen, zu dem wir nicht bloß inner-halb der zu unserer Majorisierung ge-schaffenen Region, sondern auch inner-halb der engeren Landesgrenzen einewehrlose Minderheit bilden werden… Es

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ist ein Todesmarsch, auf dem wir Süd-tiroler uns befinden, wenn nicht nochin letzter Stunde Rettung kommt…»

1945 kam es landesweit zu einergut organisierten «Schmieraktion». In-nerhalb einer Nacht wurden im gesam-ten Land auf Mauern, Häusern usw. Pa-rolen wie «Laßt uns frei!», «Freiheit fürSüdtirol!» oder «Nieder mit De Gaspe-ri!» geschrieben. Diese Aktionen wur-den anschließend immer wieder im klei-neren Rahmen wiederholt. In den ers-ten Nachkriegsjahren kam es auch zueinzelnen demonstrativen Sprengstoff-anschlägen: So zum Beispiel 1946 in

Auer, Kaltern und Atzwang, 1947 inGargazon, Mals, Waidbruck und Mon-tan. Doch handelte es sich hierbei umTaten von einzelnen Südtiroler Patrioten.

Die sogenannte Stieler-Gruppe stell-te die erste, größere und organisierteWiderstandsgruppe in Südtirol dar.Nachdem die Gruppe 1956 durch Ver-haftung und Verurteilung der meistenMitglieder, welche fast ausschließlich ausdem Bozner Raum stammten, zerschla-gen wurde, begannen andere, landes-weit eine Widerstandsorganisation auf-zubauen, welche dann zum BAS–Befrei-ungsausschuss Südtirol wurde.

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DIE WURZELN DES WIDERSTANDESvon Hans Stieler

Hans Stieler wurde im Jahre 1926 inGries bei Bozen geboren. Schon kurznach seiner Geburt begann für ihn derZwang der Fremdherrschaft: Anstatt ei-nes Johannes oder Hans wurde aus ihmamtlich ein Giovanni. Seine Kindheit undfrüheste Jugend wurden vom Existenz-kampf der Südtiroler Volksgruppe gegendas faschistische Regime geprägt, das mitallen Mitteln aus den neu erobertenGebieten südlich des Brenners ein reinitalienisches Gebiet – das Alto Adige –machen wollte. Es war damals ein all-täglicher Kampf, den jeder einzelne, sowie auch die gesamte deutsche und la-dinische Bevölkerung, bestehen musste.Das Leben war ein ständiges sich Be-haupten gegen faschistische Übergriffeund Schikanen.

In Bozen war damals der Druck ge-gen alles Deutsche und Tirolerische be-sonders widerlich und unerträglich. In-nerhalb weniger Jahre wurde diese Stadtauf Betreiben des faschistischen Staatesumgewandelt und verlor immer schnel-ler seinen ursprünglichen Charakter.

Rein italienische Schulen sowie dieKatakombenschule nebenher zur Not-wehr, um sich als Tiroler behaupten zukönnen, das sind die ersten Erlebnisse,die Hans Stieler, wie viele andere Süd-

tiroler Kinder da-mals prägten.

1939 kam eszum unseligen Ab-kommen zwischenden zwei Diktato-ren Hitler und Mussolini, die dem leidi-gen Südtirolproblem, welches ihrerZweckfreundschaft und Waffenbrüder-schaft im Wege stand, ein Ende setzenwollten. Im Rahmen der Option wurdendie Südtiroler gezwungen, sich entwederfür ihr Volkstum zu entscheiden, aber aufihre angestammte Heimat zu verzichtenoder vielleicht in der Heimat bleiben, aberdann die eigene Volkszugehörigkeit undHerkunft zu verleugnen.

Was damals geschah, was damals inden Herzen der Menschen vorging, wiegroß der innere Zwist und die Zweifelwaren, ist heute schwer nachvollziehbar.Genauso schwer ist es, darüber zu urtei-len, auch wenn gerade heute sich man-che im schnellen Urteilen leicht tun undso manches scheinbar sachliche und ge-schichtliche Urteil oft nichts anderes alsein reines Vorurteil ist.

Stielers Eltern entschieden sich fürsDeutschbleiben. 1944 wurde Hans zumWehrdienst eingezogen. 1945 geriet erin Gefangenschaft und Ende 1945 kehr-

Hans Stieler

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te er heim. Fünf Stunden vor seinerHeimkehr war sein Vater infolge einesArbeitsunfalles gestorben. Es folgte fürihn die erste große Herausforderung, derWiederaufbau des von neun Bombenzerstörten Pachthofes seiner Eltern. 1948begann er nebenher als Kraftfahrzeug-fahrer bei Athesia, da die Besitzer desPachthofes Verkaufsabsichten äußerten.

1949 bot ihm, bei einer Heimfahrtnach Redaktionsschluss, Kanonikus Mi-chael Gamper die Schulung zum Buch-drucker an. Hans nahm an und übtedann bis zu seiner Verhaftung diesenBeruf aus. Er war damals auch acht Jah-re lang Mitglied der Musikkapelle Zwölf-malgrein.

Selbst vom Schicksal seiner Heimatgezeichnet, war es für ihn immer eineSelbstverständlichkeit, sich für die Belan-ge und Nöte der Heimat einzusetzen.Diesen Einsatz verfolgte er bis zur letztenKonsequenz und mit der festen Überzeu-gung, einzig und allein dem Wohle derHeimat zu dienen. Die Folgen dieserÜberzeugung waren drei Verhaftungen(1957 – 1962 – 1987), fünf Prozesse,drei Jahre Gefängnis, unzählige Haus-durchsuchungen und Verhöre durch Po-lizei, Carabinieri und Geheimdienstleute.

Hans Stieler war immer ein Mann derTat. Als 34-Jähriger setzte er sich ab 1964für drei Jahre wieder auf die Schulbank,um seinen dritten Beruf zu erlernen. Mit37 Jahren baute er dann gemeinsam mit

seinen Brüdern Toni und Karl eine Baufir-ma auf.

1974 wurde die Schicksalsgemein-schaft der politischen Häftlinge als Süd-tiroler Heimatbund gegründet. Bis 1990war Hans Stieler dessen Obmann, seit1990 ist er Obmannstellvertreter. SeitGründung der Union für Südtirol 1989ist er im Hauptausschuss und immer anvorderster politischer Front tätig.

Viele interessante politische Begeg-nungen mit österreichischen, italieni-schen und anderen Politikern sowie Per-sönlichkeiten haben in seinem Leben eineprägende Rolle gespielt und ihm so man-che ernüchternde Erkenntnis erbracht.Genau wie sein Leben vom Einsatz fürdie Heimat geprägt wurde, so sind auchseine Gedanken und seine Sprache vondiesem Eifer gezeichnet:

«Michail Gorbatschow sagte am 6.März 1992 in München: «BestehendeProbleme sollten bis an ihre Wurzelngelöst werden.» Die Wurzel des Südtirol-Problems ist und bleibt der nach demErsten Weltkrieg erfolgte Zugriff Italiensauf das südliche Tirol und der imperialis-tische Expansionstrieb dieser Nation. Beiden Friedensverhandlungen 1919 trafendie «Siegermächte», in ihrem Rausch vonSelbstherrlichkeit und Machtgier, unge-rechte und verantwortungslose Entschei-dungen. Gebietszuteilungen und neueGrenzen wurden willkürlich festgelegt,

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ohne Rücksicht auf den Willen oder dasMitentscheidungsrecht der jeweils betrof-fenen Bevölkerung und deren volklicheswie territoriales Zusammengehörigkeits-empfinden.

So wurde 1919, mittels Annexion,Südtirol an Italien verschachert und da-mit der Grundstein eines politischenUnrechtes im Herzen Europas gelegt,welches für Land und Volk unvorstellba-re Folgen mitsichbrachte und die bisheute anhalten.

Fortan musste man schon damalsfeststellen und zusehen, wie die frem-den und unerwünschten Machthaberversuchten, den annektierten Teil Tirolszu italienisieren und dessen angestamm-te Bevölkerung zu zwingen, etwas ande-res zu sein, als sie waren; man wollte sieganz einfach in Italiener verwandeln.Man begann mit der Abschaffung dergeschichtlich gewachsenen Ortsbezeich-nungen, der Name «Tirol» wurde verbo-ten.

Es folgte die Abschaffung der deut-schen Schulen, die Tiroler Lehrer wurdenin die welschen Provinzen versetzt undbei Weigerung drohte ihnen das Berufs-verbot. Gar einige wurden «confiniert»oder sie wanderten schon damals nachÖsterreich aus. Deutsche Taufnamen undvieles andere mehr wurden nicht mehrzugelassen. Aus diesem Zwang herausentstanden dann die Katakombenschu-len.

Die wehrpflichtigen Südtiroler wur-den von Anfang an zum italienischenWehrdienst gezwungen und in den 30erJahren sogar nach Abessinien geschickt,um ein weiteres Volk unterjochen zuhelfen. Ziemlich bald nach der Annexionwurden sämtliche Vereinigungen undVerbände aufgelöst und ihr Vermögeneinfach beschlagnahmt. Alle deutschenBürgermeister wurden durch italienische

Kanonikus Michael Gamper galt bis zu seinem Tod alsLeitfigur des Südtiroler Widerstandes gegen die Italieni-sierungsversuche Südtirols. Unermüdlich arbeitete er mitWorten und Schriften für die Rechte seiner Heimat. Er starb1956 und die Südtiroler verloren mit ihm eine wichtigeLeitfigur in jener harten Zeit.

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«podestà» ersetzt, die Amtssprache warnur mehr italienisch, und wer noch einöffentliches Amt bekleidete, den zwangman, seinen Familiennamen zu italieni-sieren; sonst drohte ihm die Entlassung.

Die Umerziehung zum Faschisten be-gann in der Schule. Vom «figlio dellalupa» sollte man «ballila» und dann zum

«avanguardista» werden, die Uniformwurde gratis zur Verfügung gestellt.

Dieser ständige Druck und die Unter-drückung alles Tirolerischen wurde im-mer unerträglicher. Das Ziel der damali-gen Machthaber war die ethnische Säu-berung Südtirols, ein lang ersehnterWunsch der Tolomei-Politik. 1939, vor

Unser Appell an die Friedenskonferenz

Wir richten daher den eindringlichsten und beharrlichsten Appell an alle Nationen, die an derFriedenskonferenz teilnehmen:Lasst nicht zu, dass unser Glaube an die Gerechtigkeit und Ehrlichkeit der Prinzipien derAtlantik-Charta erschüttert werden!Laßt nicht zu, dass ein freies Bergvolk seiner Zerstörung preisgegeben wird!Gebt uns unser Recht auf Selbstbestimmung!Gebt uns e i n e f r e i e V o l k s a b s t i m m u n gfür das ganze Gebiet, vom Brenner bis zur Salurner Klause, für alle Männer und Frauen, diein diesem Land geboren sind, um über das Schicksal Süd-Tirols zu entscheiden!

Bozen, am 18. Juli 1946

Die Südtiroler Volkspartei Der Präsident gez. Erich AmonnDer Generalsekretär gez. Dr. Josef Raffeiner

Die Sozialdemokratische Partei Südtirols Der Präsident gez. Lorenz Unterkircher

Die zuletzt frei gewählten Süd-Tiroler Mitglieder im italienischen Parlament:gezeichnet:Friedrich Graf Toggenburg Paul Freiherr von SternbachDr. Willy von Walther Dr. Karl Tinzl

Die zuletzt frei gewählten Mitglieder des Tiroler Landtages:gezeichnet:Johann Frick Dr. Paul von Grabmayr Anton WinklerJohann Pichler Franz von Guggenberg Josef MenzFranz Habicher Sebastian Feichter

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der geplanten Option, war laut Aufzeich-nungen ein besonders gehässiger Druckverspürbar, so, als wollte man gezielt dieSüdtiroler zu einer massiven Abwande-rungsbereitschaft treiben.

Die «Option», diese teuflische Ver-brecheridee, entstand im Einverständniszwischen Mussolini und Hitler und er-langte am 23. Juni 1939 ihre Rechtskraft.Die vorausgegangene, jahrelange, faschi-stische Tyrannisierung hatte auch am 31.Dezember 1939 ihre volle Wirkung ge-zeigt: Über 90 % der Südtiroler entschie-den sich nämlich – wenn auch vielfachwiderwillig – für die Abwanderung, be-stätigten somit ihre Identität als Deut-sche, um einer geplanten Verwelschungzu entgehen.

Zudem stand damals Deutschland amBrenner und niemand fragte, welchesDeutschland. Selbst diese erzwungeneAbwanderung wurde für denjenigen, derdas faschistische Joch erlebt hatte, nochals eine Art Befreiung empfunden. Nichtweniger tiroltreu waren jene Landsleute,denen die Liebe zur Heimat mehr bedeu-tete als das Bekenntnis zum Deutschblei-ben und die sich für das Dableiben ent-schieden.

Für beide Seiten und Gruppen wardas Kriegsende 1945 auch die Hoffnungauf Nichtigkeit dieses verbrecherischenOptionsabkommens. Mit neuen Hoffnun-gen auf eine gerechte politische Rege-lung der Südtirol-Frage blickte man sehn-

suchtsvoll einer besseren politischen Zu-kunft entgegen.

Im Mai 1945 wurde die «SüdtirolerVolkspartei» gegründet, mit welcher manglaubte, die Wiedergutmachung des vor-ausgegangenen Politverbrechens errei-chen zu können, um endlich wieder inFrieden und Freiheit zu einem wiederver-einten Tirol zurückzufinden. Damit wur-den 1945-46 landesweit mit Begeiste-rung an die 160.000 Unterschriften ge-sammelt und im April 1946 in Innsbruckdem Landeshauptmann als lebendigesBekenntnis zur Wiedervereinigung Tirolsübergeben.

Im Juni 1946 folgte die große Herz-Jesu-Prozession von Bozen nach Gries,ein weiteres Bekenntnis zu Tirol, demanschließend eine Kundgebung aufSchloss Sigmundskron folgte, wo wiederdie Vereinigung Tirols durch Selbstbe-stimmung gefordert wurde. Im Sommer1946 schickte dann die SVP eine Delega-tion ihrer Leute mit dem unmissverständ-lichen Verlangen nach Selbstbestimmungzu den Friedensverhandlungen nach Pa-ris.

Die erneute Forderung nach Selbst-bestimmung wurde wiederum abgelehnt,dafür kehrte die Delegation mit demsogenannten «Pariser Vertrag» heim,welcher eine sehr unvollständige Auto-nomie vorsah. Aber diese war unmissver-ständlich nur vom Brenner bis Salurngedacht.

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Das Vertrauen und Hoffen der Südti-roler auf eine gerechte Lösung wurdedamals stark gedämpft, denn die Wie-dervereinigungsaussicht rückte wieder indie Ferne. Es begann wieder alles vonvorne; zusehends bestätigte sich die Fort-setzung der faschistischen Ziele, diesesMal unter dem Deckmantel der Demo-kratie.

Das Kriegsende bedeutete zwar dasEnde des faschistischen Systems, aber dieFaschisten und ihre Absichten sind ge-blieben und leben immer noch weiter.Italien, damals unter Führung des inzwi-schen «fast» heiligen Alcide Degasperi,brachte es 1948 fertig, die Zustimmung

der damaligen SVP-Führung zur Auswei-tung der Südtirol-Autonomie (PariserVertrag) auf das Trentino zu erhalten, wasdie Südtiroler von da an wieder in einevolkliche Unterlegenheit führte.

In Sigmundskron 1957 verlangte die-selbe Partei scheinheiligerweise ein «Losvon Trient», das Gegenteil von dem,wozu sie neun Jahre vorher, ohne Zu-stimmung des Volkes, ihr Einverständnisgegeben hatte. Damit begann die SVP-Führung meines Erachtens eine politischeDummheit und einen unverzeihlichenVerrat an unserer Heimat und an all je-nen 160.000 Wiedervereinigungsunter-zeichnern, die damit in verantwortungs-

Die Stieler-Gruppe beim Prozess

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loser Weise und Gleichgültigkeit hinter-gangen, missachtet und ignoriertwurden.

Mit diesem für Südtirol verhängnis-vollen Handstreich fühlten sich die Italie-ner im Fortsetzen ihres Zieles gestärkt:Massive Zuwanderung setzte wieder ein,Grundenteignungen für Industrie undVolkswohnbau wurden vorgenommen,um die Italienisierungspolitik weiter vor-anzutreiben. Für die angestammte Bevöl-kerung aber bestand kaum Zugang zuArbeit und Wohnungen, was wiederumeine erneute ethnische Säuberung zurFolge hatte.

Viele unserer jungen Leute waren ge-zwungen, im Ausland Arbeit und ein Zu-hause zu suchen (an die 10.000). Heutemissbraucht man diese Landsleute nochals Stimmenlieferanten bei Wahlen. ImÜbrigen bleiben sie Heimatferne, undniemand schert sich um ihre Rückkehr.Auch die Kriegsinvaliden waren damalsimmer noch ohne Unterstützung und esfehlte an vielem, was sich verstärkt ge-gen die Südtiroler stellte.

Die einzige deutsche Tageszeitung«Dolomiten» unter der Federführung desunvergesslichen Kanonikus Michael Gam-per, Kämpfer für Tirol, brachte im Ver-gleich zu heute immer die politisch bren-nenden Probleme unseres Landes aufder ersten Seite, heute findet man sie,wenn überhaupt, im Lokalteil und meis-tens parteipolitisch zurechtgebogen.

Wem die politische Südtirol-Entwick-lung echt ein Herzensanliegen war, dermusste ab 1948 zusehends feststellen,wie sich die wachsende Benachteiligungzu Ungunsten Südtirols immer mehr zu-spitzte. Diese Nachkriegsjahre waren ge-prägt von politischem Unverständnis, Ent-täuschungen, Aussichtslosigkeit undZorn, bis hin zum aktiven Widerstand,überprüfbar im Buch «Es stand nicht gutum Südtirol» von Franz Widmann.

Die erste Widerstandsgruppe, ge-nannt die «Stieler-Gruppe», entstand imHerbst 1955, geprägt von Verbitterungund düsteren Zukunftsaussichten, ausSorge um die Heimat. Wir besprachendie damalige politische Lage, die einhelligdie Meinung erbrachte, man müsse dieÖffentlichkeit aufrütteln und zwar durchwohldurchdachte, demonstrative An-schläge, um mehr Aufmerksamkeit aufdas ungelöste Problem «Südtirol» zu len-ken.

Ebenso sollten diese Anschläge aucheine deutliche Warnung an unsere ge-wählten Politiker sein, sich zu besinnen,wofür sie vom Volk gewählt wordenwaren. Wir hatten uns aus eigener Ta-sche Sprengmaterial besorgt, fabriziertenSprengsätze und suchten bei unserer Pla-nung geeignete Ziele aus.

Die Zusammenkünfte bestanden im-mer aus wenigen Leuten, deren Namenaus Vorsicht kaum bekannt waren, ob-wohl mancher dies als verletzend emp-

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fand. Am Ende blieben auf diese Weisejedoch gar einige von der Verhaftungverschont. Wir suchten außerdem auchKontakte zu bekannten politischen Per-sönlichkeiten im freien Tirol. Prof. FranzGschnitzer und Dr. Luis Oberhammerwaren uns die glaubwürdigsten An-sprechpartner, weil auch sie sich ernst-haft für eine Wiedervereinigung Tirolseinsetzten.

Gleichzeitig liefen 1956 auch Ver-handlungen mit Dr. Toni Ebner sen. undDr. Friedl Volgger über eine politischeErfassung der Jugend. Dieses Vorhabenmisslang 1957 ebenso, wie es bereits1946 missglückt war, obwohl die dama-lige Jugend eine politische Mitwirkungangestrebt hatte.

Erst in den 60er Jahren erfuhr ich voneiner ehemaligen SVP-Sekretärin, dass esBischof Gargitter war, der von der Parteiden Verzicht von Aufbau und Orga-nisation einer Parteijugend geforderthatte. Im Sommer 1956 geschah danndie Tragödie von Pfunders, in deren Zu-sammenhang ein Dutzend PfundererBurschen verhaftet und – wie bekannt –von Polizei und Justiz übel behandeltwurden.

Dieses Vorgehen heizte zusätzlich diean und für sich schon stark angespanntepolitische Stimmung an, was unsererseitsein vorzeitiges, nicht so früh geplantesAktivwerden mittels Anschlägen auslöste.Anfang September 1956 erfolgte dann

der erste Anschlag, dem weitere im Ei-sacktal und Bozen folgten.

Die Anschläge waren technisch soausgeführt worden, dass niemand zuSchaden kam; aber trotzdem waren siedeutlich genug, um zu begreifen, dasses sich um einen Aufschrei und ProtestSüdtirols handelte, der auch weit überdie Grenzen Aufmerksamkeit auf unserpolitisches Schicksal lenkte. Zwischendem 19. und 20. Jänner 1957 wurdeunsere Gruppe verhaftet, auch Dr. FriedlVolgger wurde schuldlos mit uns in Zu-sammenhang gebracht und mit einge-sperrt.

Anfang Dezember 1957 fand dererste Prozess statt, der vor Weihnachtenzu Ende ging. Die Urteile waren uns ver-ständlicherweise zu hoch, und als zu denWeihnachtsfeiertagen ein Gefängnisbe-such des Oberstaatsanwaltes Dr.Dell’Antonio angekündigt wurde, ent-schlossen wir uns, ihm aus Protest dieBegegnung zu verweigern. Das war zuviel! Zur Strafe verlegte man uns inner-halb weniger Tage in verschiedeneGefängnisse Oberitaliens in Einzelhaft.Ich kam nach Venedig.

Nach drei Monaten holte uns der Ge-fängnisdirektor von Trient, Dr. ValentinoVeutro, nacheinander wieder nach Trientzurück. Vor der Verlegung aus dem Bo-zener Gefängnis nach Venedig spieltesich eine interessante Begebenheit mitdem damaligen Gefängniskaplan Don

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Die Verhaftung und Verurteilung der Burschen aus Pfunders wurde in ganz Südtirol mit großer Aufregungverfolgt. Unfassbar stand Südtirols Bevölkerung vor den ungerechten und hasserfüllten Urteilen.Für die Südtiroler galten die Pfunderer Angeklagten von Anfang an als unschuldig.

Nicoli ab: Wir politischen Häftlinge be-schwerten uns bei seinem allabendlichenBesuch über die Urteile. Nach längererDiskussion sagte er auf einmal: «Hiermusst du lügen, hier darfst du nicht dieWahrheit sagen», und als er bei der Türhinausging, sagte er noch: «Merk dir:Sagst du ja, bleibst du da – sagst dunein, gehst du heim. Gute Nacht!»

Weitere vier Prozesse hatten wir nochvor uns. Im Sommer 1962 kam das End-urteil, das mir meine zweite Verhaftung

brachte. Anbei wurde mir dadurch dieMöglichkeit geboten, den Gesinnungs-freunden der 61er, sei es im Gefängnisvon Bozen als auch in jenem von Trient,zu begegnen und sie kennenzulernen.

Nach meiner ersten Entlassung 1959begegnete mir in der Museumsstraße,vor dem «Kofler Buschen», Dr. FriedlVolgger. Wir begrüßten uns und plau-derten miteinander. Dabei bestätigte ermir, dass unsere Anschläge und die Pfun-derer Sache für die damalige SVP-Füh-

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rung Anlass zu einer großen politischenKundgebung in Bozen gewesen seien,damit wieder das Südtiroler Volk offenseine Verbitterung kundtun konnte.

Die Kundgebung, welche die SVP inBozen abhalten wollte, war für die da-malige Polizeiobrigkeit nicht denkbar. So

entschied die SVP, diese notgedrungennach Sigmundskron zu verlegen.

Der 17. November 1957 wurde fürSüdtirol ein unerwarteter Massenauf-marsch. 35.000 Landsleute folgten demAufruf und belagerten Schloss Sigmunds-kron. Sie bekundeten damit neuerlich

Die angeklagten Pfunderer wurden vor deritalienischen Justiz wie Schwerverbrecher behandelt.

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ihren ungebrochenen Volkswillen für dieWiedervereinigung Tirols. Unmiss-verständlich brachten sie dort den er-sehnten Wunsch nach dem «Los vonRom» zum Ausdruck. Für uns im Gefäng-nis war es eine stille Bestätigung, dassdas vorausgegangene Wachrütteln nichtüberhört worden war.

Der Wunsch und das innigste Anlie-gen Südtirols wurde dadurch offenbar;es zeigte sich, wie sehr ein Volk unterpolitischer Fremdbestimmung leidet. InWorten, auf Plakaten und Transparentenwurde sichtbar, was das Volk vom südli-chen Tirol wirklich wollte, nämlich «Frie-den in Freiheit!» Die Kundgebung von

Vor allem die Jugend protestiertebei der Großkundgebung von Sigmundskron

gegen das Unrecht.

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Sigmundskron war meiner Meinung nachdie wahre Geburtsstunde der Feuernachtmit Sepp Kerschbaumer und seinen Mit-streitern.

Zum Abschluss: Wo das Anliegen desSchwächeren verleugnet, missbrauchtund mit Füßen getreten wird, entstehtWiderstand – und Widerstand ist leiderdie Fortsetzung von Verhandlungen mitanderen Mitteln zwischen den Herrschen-den und den Beherrschten, zwischen denMachthabern und den Unterdrück-ten.»

Wie ein roter Faden zieht sich diePfunderer-Geschichte als auslösenderMoment für einen aktiven und gewalt-bereiten Widerstand durch jene tragi-schen Jahre. Die Tragödie der jungenPfunderer beherrschte damals die Tages-themen, sie wurde vom gesamten Südti-roler Volk miterlebt und auch im Aus-land genau verfolgt und beachtet.

Im August 1956 entwickelte sich inPfunders am späten Abend eine Gast-hausschlägerei zwischen einigen Dorfbur-schen und den dazugekommenen Finan-zern in Zivil. Es gab ein Handgemengeund am nächsten Tag fand man einendieser Amtsträger tot im Pfunderer-Bachliegen.

8 Bauernburschen wurden verhaftetund es kam zu einer Aburteilung imRahmen eines Indizienprozesses, ohneeinen einzigen Beweis und zu Strafen im

Ausmaß von insgesamt 111 Jahren Ge-fängnis.

Der Prozess hatte die Züge eines po-litischen Schauprozesses mit unverhüll-ten, ethnischen Ressentiments. Das Ur-teil wurde international mit Empörungaufgenommen.

Sepp Kerschbaumer hielt 1957 ausdiesem Grund im Pfunderer Widum ei-nen 14-tägigen Hungerstreik ab und inzahlreichen Rundbriefen wies er auf dasungerechte Urteil hin: «…Wir haben die-sen Pfunderer-Prozess mit Schaudern er-lebt…, dass sogar das Gericht, dem dieGerechtigkeit in besonderer Weise anhaf-ten sollte, in drei Instanzen einen fasteinmalig dastehenden Betrug und einGewaltverbrechen an einfachen Berg-söhnen und ihren bedauernswerten Fa-milien begangen hat. Und was mich ammeisten entsetzt hat, ist die Tatsache, dassdies unter Anrufung des Höchsten alsZeugen, von den Richtern und Geschwo-renen begangen wurde, im Zeichen vonGerechtigkeit, Wahrheit und Liebe.

Wir waren solche Justizverbrechenbei allen Gewaltsystemen, beim Kommu-nismus, beim Faschismus, beim National-sozialismus und bei den Kolonialmäch-ten gewohnt. Aber, dass wir diese Schan-de auch unter einer sogenannten christ-lichen Regierung erleben mussten, ver-schlägt einem fast die Stimme. Nicht nuruns haben diese Urteile empört, die gan-ze Weltöffentlichkeit ist entsetzt …»

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WARUM WIR NICHT ZUSEHEN KONNTENvon Sepp Mitterhofer

Sepp Mitterhofer, in Meran am22.2.1932 geboren, ist Landwirt, verhei-ratet und Vater von vier Kindern. Er be-suchte zwei Jahre die italienische Schuleund erinnert sich genau, wie er damalsdas schwarze Ballilakleid der Faschistenhätte tragen sollen. Er zog es aber nur inder Schule an und fiel deshalb bei denLehrpersonen in Ungnade.

Nach dem zweiten Weltkrieg trat erin die Bürgerkapelle Obermais ein, wo erFlügelhorn spielte. Bis 1988, also 40 Jah-re, war er aktives Mitglied der Kapelle.Nur die Jahre, welche er eingesperrt war,unterbrachen seine Tätigkeit in diesemVerein.

In den fünfziger Jahren, als ich et-was älter und reifer wurde, hat mich derpolitische und soziale Notstand in unse-rer Heimat tief beeindruckt. Ich habemich öfters mit Gleichgesinnten getrof-fen, um über die politische Lage zu dis-kutieren, bis ich schließlich dem BAS (Be-freiungsausschuß Südtirol) beigetretenbin und mich aktiv an den Anschlägenbeteiligt habe.

Am 15. Juli 1961 wurde ich verhaftetund gefoltert. Beim ersten MailänderSprengstoffprozess wurde ich zu 12 Jah-ren verurteilt. Bei der Berufung wurde

die Strafe auf 10Jahre vermindert,zwei Jahre sindunter Strafnachlassgefallen und dierestlichen sieben Jahre und 11 Monatehabe ich abgesessen. Am 15. Juni 1969– es war genau Herz-Jesu-Sonntag – binich mit stark angeschlagener Gesundheitheimgekehrt. In den ersten Jahren habeich mich ganz von den Menschen abge-sondert und mich nur der Familie, demHof und meinem Gesundheitszustandgewidmet. Mit der Zeit erkannte ich aber,dass ich mich selbst abkapselte undwurde deshalb wieder aktiver Musikantund ich habe auch wieder bei anderenBerufsorganisationen mitgearbeitet.

18 Jahre war ich im Aufsichtsrat derObstgenossenschaft Meran tätig, zweiPerioden im Bezirksausschuss des Bera-tungsringes des Burggrafenamtes. Seitder Gründung der Union für Südtirol binich Hauptausschussmitglied und gleich-zeitig war ich beim Aufbau des BezirkesBurggrafenamt vier Jahre Bezirksobmannund danach Bezirkskassier.

1974 haben wir politische Häftlingeden Südtiroler Heimatbund gegründet.Seitdem bin ich im Bundesausschuss tä-tig, zwei Jahre Bezirksobmann des Burg-

Sepp Mitterhofer

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Staatlich geförderte Zuwanderung: Sie kamen mit einem Kofferoder einem Pappkarton unter dem Arm, schliefen unter Brücken,dann bezogen sie Notquartiere und holten ihre Familien nach.

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grafenamtes, sechs Jahre Bundesob-mann-Stellvertreter und seit 1990 Bun-desobmann.

Ein ganz wesentlicher Punkt, um unsSüdtiroler in unserer Existenz zu bedro-hen, war die vom italienischen Staatgeförderte Zuwanderung. Scharenweiseund fast täglich kamen arme Männer mitihren Habseligkeiten im Pappkarton vomSüden des Staatsgebietes am BozenerBahnhof an und wurden in armseligenBaracken untergebracht. Nach einigenWochen erhielten sie aber schon eineneue Wohnung in den staatlich gebau-ten Volkswohnbauten, weil sie durch dasschlechte Barackenlager immer mehrPunkte bekamen als die Südtiroler. Nacheinigen Monaten holten sie dann ihreFamilien samt Großeltern nach.

Bei der Stellenbesetzung in den öf-fentlichen Ämtern wurden diese Zuwan-derer überall bevorzugt, weil in allenSchlüsselstellungen italienische Nationa-listen saßen, im Mantel der damaligenDC eingehüllt. So kam es, dass in denSozialwohnungen und in den öffentli-chen Stellen 90% Italiener saßen und nur10% Südtiroler. Das hatte wiederum zurFolge, dass Tausende junge Südtiroler Ar-beiter, Akademiker und Staatsangestelltearbeitslos waren und ins Ausland gehenmussten, um Arbeit zu suchen.

Dass diese krasse Benachteiligung un-serer Landsleute böses Blut erzeugte, istleicht verständlich. In diesem Zusammen-

hang stand die Zweisprachigkeit bei denöffentlichen Ämtern. Diese Zugewander-ten hatten keine Kenntnis der deutschenSprache, sie zu erlernen hatten sie keinInteresse. Bestanden wir auf unseremRecht, dann hörte man alsbald die Wor-te «Siamo in Italia!». Mit dem Schriftver-kehr war es um kein Haar besser, dasmeiste musste italienisch abgewickeltwerden.

Durch die Zusammenlegung der Pro-vinz Bozen mit Trient hatten die Italienerin der Region die 2/3-Mehrheit undkonnten somit mit uns machen, was siewollten, denn die wichtigen Kompeten-zen lagen alle bei der Region. Die Gelderkonnten sie nach ihrem Gutdünken ver-teilen und volkstumspolitisch unterdrück-ten sie uns, wo sie nur konnten. Justiz,Polizei und Carabinieri waren zu 100%Italiener und ein Großteil davon Faschis-ten. Sie behandelten uns wie Bürgerzweiter Klasse, wie eine richtige Kolonie.Durch einseitiges Vorgehen von Seitender Ordnungshüter und bei politischenProzessen durch die Justiz verstanden siees, die Südtiroler einzuschüchtern. InVahrn z.B. wurde eine achtzigjährigeHausbesitzerin angezeigt und verurteilt,weil sie die Jalousien ihres Hauses mitrot-weiß-roter Farbe bemalen ließ. Die Ja-lousien wurden beschlagnahmt und ver-nichtet.

Die SVP hatte natürlich des öfterenversucht, in Trient und Rom gegen die

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Nie wieder erlebte Südtirol eine Protestkundgebungwie im November 1957 in Sigmundskron. 35.000Südtiroler protestierten gegen die Politik desitalienischen Staates und forderten Freiheit für ihreHeimat. Die Parteiführung unter dem jungenObmann Silvius Magnago verstand es aber, dieProtestkundgebung für ihre Politik der Autonomiezu vereinnahmen.

Nichterfüllung des Pariser Vertrages zuprotestieren. Die Proteste verhallten aberin Trient wie in Rom ungehört und zeig-ten keinen Erfolg, der italienische Staatwar nicht bereit einzulenken. Österreichwar als Schutzmacht, bevor es denStaatsvertrag (1955) erhielt, viel zuschwach, um in Italien für Südtirol er-folgreich intervenieren zu können. ImOktober 1957 gab der Minister für öf-fentliche Arbeiten bekannt, dass Bozenein neues Stadtviertel bekommen werde.

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Es wurden dafür 2,5 Milliarden Lire für5.000 Wohnungen vom Staat ausge-schüttet.

Das brachte das Fass zum Überlau-fen: Die SVP organisierte auf Schloss Sig-mundskron eine Kundgebung – die Lan-deshauptstadt Bozen wurde dafür verbo-ten – bei der 35.000 Südtiroler erschie-nen. Auf dieser Kundgebung riefDr. Magnago das «Los von Trient» aus,obwohl die meisten Teilnehmer wegender Forderung nach Selbstbestimmunggekommen waren. Diesbezügliche Trans-parente wurden von Männern mitgetra-gen, welche sich um Sepp Kerschbau-mer geschart hatten und den Grundstockdes BAS (Befreiungsausschuss Südtirol)bildeten.

Ich erinnere mich noch gut, welchgroße Spannung im Schlosshof von Sig-mundskron herrschte. Die Teilnehmererwarteten sich etwas Außergewöhnli-ches, einen Vorstoß in Richtung «Los vonRom», deshalb waren auch viele ent-täuscht über das bescheidenere «Los vonTrient». Bei dieser Kundgebung wurdendie Weichen für die zukünftige Südtirol-Politik gestellt. Die Forderung nachSelbstbestimmung war zwar ein großesAnliegen der Südtiroler, aber die SVPhatte nicht die Kraft und den Willen dazuund entschied sich für den Weg desgeringeren Widerstandes, für die Auto-nomie.

In den folgenden Jahren setzte sichdie SVP unter Führung Magnagos zwar

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zielstrebig für das «Los von Trient» ein,aber es zeigte sich alsbald, dass wederTrient noch Rom gewillt waren, in dieserFrage nachzugeben. Somit beschränktesich die SVP bald mit einer teilweisenAushöhlung der Region. Damit hat sichdie SVP eigentlich selbst verraten, dennihr Gründungsziel war die Forderungnach Selbstbestimmung. Für Kerschbau-mer und uns alle war dies nicht der rich-tige Weg, wir wollten die Wiedergutma-chung des Unrechtes, die Wiedervereini-gung Tirols.

Hauptziele der Sprengaktionen in der Feuernachtwaren die Strommasten. Sie galten als Zeichen derwirtschaftlichen Ausbeutung Südtirols durch denitalienischen Staat.

Für uns alle, die wir uns damals fürden Freiheitskampf entschieden und un-sere Familien, unsere Freiheit und unserLeben aufs Spiel setzten, war dies dasZiel, um das es sich lohnte zu kämpfen.

Die Männer der ersten Stunde warenSepp Kerschbaumer, Luis Amplatz, JörgKlotz, Karl Tietscher, Jörg Pircher, PepiFontana und Franz Muther, um nur diewichtigsten zu nennen. Ich selbst kamüber Kerschbaumers Freund Jörg Pircher1958 zum BAS. Zu diesem Schritt bewo-gen hat mich und wohl die meisten Ka-meraden die Tatsache, dass der italieni-sche Staat nicht einmal bereit war, unsdie verbrieften Rechte, das bisschen Au-tonomie (Pariser Vertrag) zu geben.

Ich war begeistert von dem Gedan-ken, etwas Außergewöhnliches für unserstark bedrohtes Volk in unserer Heimatzu tun. Volkstumspolitisch versuchte unsder italienische Staat durch die Unter-

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wanderung mit der Zeit in die Minder-heit zu drängen. Durch die krasse Be-nachteiligung bei den öffentlichen Ar-beitsstellen und bei den Neubauwohnun-gen mussten notgedrungen Tausendevon Südtirolern auswandern und damitverschob sich das Verhältnis Südtiroler/Italiener umso schneller.

Die brutalen Methoden des Faschis-mus kamen zwar nicht mehr direkt zurAnwendung, sie waren etwas demokra-tischer geworden, aber dafür auch ge-fährlicher. Was nutzte uns ein internatio-nal abgesicherter Pariser Vertrag, wenner nicht zur Anwendung kam, er bliebbuchstäblich ein leeres Blatt Papier! Nichtumsonst hat der große geistige Kämpferfür unsere Heimat, Kanonikus MichaelGamper, den schwerwiegenden Spruchvom «Todesmarsch der Südtiroler» ge-prägt.

In den Jahren 1958, 1959 und 1960wurden von Sepp Kerschbaumer undseinen Freunden konsequent im ganzenLand Gruppen bzw. Zellen aufgebaut,welche untereinander durch einenVerbindungsmann Kontakt hatten. Siesuchten in vielen Dörfern SüdtirolsGesinnungsgenossen, welche ihrerseitswieder in ihrem Bekanntenkreis Leutesuchten, welche die Ziele des BAS unter-stützten.

Insgesamt wurden ca. 30 Gruppenaufgebaut mit weit über hundert Mit-gliedern. Die Zahl lässt sich hinterher lei-

der nicht mehr genau feststellen. DieseGruppen wurden in verschiedene Stufenunterteilt.

Die erste Abteilung war für die Wer-bung zuständig, also Flugzettel verteilenund plakatieren, die zweite Gruppe fürdas Hissen der verbotenen Tiroler Fahneauf Kirchtürmen, hohen Bäumen undFelsvorsprüngen und weiters für dasÜbermalen von italienischen Aufschriftenauf Häusern und Straßenschildern. Diedritte Gruppe schließlich war für dasSprengen von Masten, Rohbauten vonVolkswohnhäusern, Denkmälern undE-Werken zuständig.

Diese Gruppen von Aktivisten wur-den nach Nordtirol geschickt, um dasHantieren mit dem Sprengstoff zu lernenund wie man sich im Falle einer Verhaf-tung verhalten solle. Leider wurde unsnicht gelehrt, wie man sich im Falle vonMisshandlungen verhalten sollte. KeinMensch hatte daran gedacht, dass daschristliche Italien solch brutale Folterun-gen anwenden würde.

Die von Jörg Pircher und Walter Gruber gesprengteHochdruckleitung oberhalb von Lana.

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Sprengstoff und Waffen bekamen wirhauptsächlich aus Österreich, aber auchim Inland konnten wir einen Teil beschaf-fen. Ich selbst habe rund 500 kg hoch-wertiges Dynamit auf dem Schwarzmarktgekauft, u. a. wurde mit diesem Spreng-stoff das Mussolini-Standbild in Waid-bruck gesprengt. Transportiert hatte denSprengstoff von Österreich nach Südtirolhauptsächlich Kurt Welser und zwei be-freundete Mädchen, welche – als Blick-fang für die Polizei und Finanzer – sehrleicht bekleidet waren. Anfänglich hat-ten wir nur primitive, selbstgebastelteZeitzünder, später wurden sie aber durchSäurezünder und Uhren ersetzt.

Die Ziele der Sprengstoffanschlägedes BAS waren folgende: typisch faschi-stischen Denkmäler, wie Siegesdenkmal,Mussolini-Reiter in Waidbruck, das Hausvon Tolomei in Glen, den Kapuziner-Wastlin Bruneck u. ä.; weiters Rohbauten derVolkswohnhäuser, wo fast nur zugewan-derte Italiener zum Zug kamen und dieElektromasten, die das weiße Gold in dieBozener Industriezone und nach Ober-italien transportierten.

Oberstes Ziel von Sepp Kerschbaumerwar immer, Menschenleben zu schonen,nur Sachschaden anzurichten. Allerdingswar sich auch der Sepp im Klaren, dassdieser Grundsatz in einem Freiheitskampf

Nach der militärischen Besetzung Südtirols gab es bald die ersten Todesopfer unter der Südtiroler Bevölkerung.Silvius Magnago am Sarg von Josef Locher aus Sarntal.

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Nach der Feuernacht wurde Südtirol vonPolizei, Carabinieri und Sondereinheiten des

italienischen Militärs besetzt. Überall wurdenStraßensperren und Hausdurchsuchungen

durchgeführt.

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Die Innsbrucker BAS-Gruppe um KurtWelser und Heinrich Klier hingegen warfür einen großen Schlag, weil die Welt-öffentlichkeit dadurch besser aufgerütteltwürde. Der Nachteil war aber, dass deritalienische Staat darauf hart reagierenwürde, wie er es dann auch getan hat.Einige Monate vor der Feuernacht fanddann eine Einigung über die Vorgangs-weise in dieser Angelegenheit statt.

Kurt Welser war von den NordtirolerBAS-Leuten sicher die aktivste undherausragendste Figur. Er war ein ruhi-ger, besonnener Mensch, der als Spreng-

für längere Zeit schwer aufrecht zu er-halten sein würde.

Noch eine andere Gruppe um GeorgKlotz und Wolfgang Pfaundler hatte sichgebildet, welche den Widerstand gegendie Überfremdung unseres Landes inForm von Partisanentätigkeit aufbauenwollte. Mit dieser Gruppe hatten wirkeinen Kontakt, sie organisierte sich völ-lig unabhängig. Die BAS-Gruppe umKerschbaumer war der Meinung, dasseinzelne Anschläge in Form von Nadel-stichen günstiger wären, weil wir es dannlänger durchhalten würden.

Sepp Mitterhofer auf dem Weg zum Gerichtssaal in Trient.

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stofflieferant oft die Freiheit und seinLeben aufs Spiel setzte. Durch seineKontakte kannte er die meisten Gruppenin Südtirol und wusste auch von mehre-ren Sprengstofflagern, welche wir imganzen Land angelegt hatten. Leiderstürzte dieser großartige Tiroler im schön-sten Mannesalter bei einer Bergtour amZynalrothorn in der Schweiz am 15.August 1965 tödlich ab.

Überhaupt hätten wir unsere Aktio-nen ohne die tatkräftige Unterstützungunserer Nordtiroler Mitstreiter nichtdurchführen können. Man darf nichtvergessen, dass viele von ihnen freiwilligihr Leben und ihre Freiheit aufs Spielsetzten, um uns Südtirolern in unseremKampf gegen die Fremdbestimmung zuhelfen. In der Herz-Jesu-Nacht z. B. fuhrein Kleinbus mit Nordtiroler Kameradennach Südtirol, um die ihnen zugewiese-nen Masten zu sprengen. Als dann vielevon uns die Verhaftungswelle dahinge-rafft hatte, wurden die hinterbliebenen,notleidenden Familien durch Spendenaus Südtirol und hauptsächlich aus Nord-tirol unterstützt. Deshalb gebührt allenSpendern, die uns damals geholfen ha-ben, ein aufrichtiges Vergelt’s Gott!

Alle, die sich am Freiheitskampfbeteiligten, ganz gleich ob Südtiroleroder Nordtiroler, waren derselben Auf-fassung, nämlich, dass Südtirol sich ineiner völkischen Notlage befand undetwas getan werden musste, damit wir

uns von dieser Fremdherrschaft befreienkonnten.

Es war eigentlich eine ganz einfacheRechnung: Zwischen den beiden Welt-kriegen versuchte uns der Faschismus,mit Gewalt zu italienisieren. Durch dieOption wollte man uns aussiedeln, eineArt ethnische Säuberung wie im Kosovo.Nach dem zweiten Weltkrieg verweiger-te man uns das Selbstbestimmungsrechtund als Ersatz gab man uns den PariserVertrag, der nicht angewandt wurde.

In den 50er Jahren versuchte man,durch die geförderte Unterwanderungauf etwas demokratischere Weise, uns indie Knie zu zwingen. Also blieb uns nurmehr ein Ausweg übrig, auf andereWeise zu versuchen, unsere Rechte zuerkämpfen. So reifte allmählich der Ge-danke heran, Gewalt anzuwenden. Wirwaren alle rechtschaffene Leute ohneVorstrafen, viele waren verheiratet undhatten Kinder, aber wir wollten nichttatenlos zusehen, wie eine Volksgruppesystematisch ausgerottet wurde. Es wareinfach Notwehr!

Die meisten von uns waren einfacheLeute: Bauern, Handwerker, Lehrer undArbeiter. Aber ein Ziel hat uns alle zu-sammengeführt: Wir mussten uns in RomGehör verschaffen! Sie sollten zur Ein-sicht kommen, dass sie mit uns Süd-tirolern nicht mehr länger tun konnten,was sie wollten, unsere Geduld war zuEnde.

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Wir wollten der Öffentlichkeit zeigen,dass in Südtirol laufend Menschenrechts-verletzungen stattfanden, dass der italie-nische Staat versuchte, einem Volk seineIdentität zu nehmen, um es auszulö-schen. Aber nicht nur ihm wollten wirzeigen, dass es in Südtirol Männer gibt,welche für ihre Überzeugung eintretenund kämpfen, sondern auch der Südtiro-ler Volkspartei, welche uns zu kompro-missbereit war und nicht erkennen ließ,dass sie von diesem Staat, mit dem wirnichts gemeinsam haben, fort wollte.

Deshalb verfolgten wir auch den Fort-gang der Südtirolpolitik und die Verhand-lungen zwischen Österreich und Italiengenau. Von der Führungsspitze des BASwurden auch Kontakte zu den Südtirolerund österreichischen Politikern unterhal-ten, um die zu erwartenden Anschlägeauf die Politik abzustimmen. In Südtirolwaren Senator Peter Brugger und HansDietl besser über die Anschläge infor-miert, Dr. Magnago nur ganz allgemein.

In Nordtirol waren Oberhammer undZechtl bestens eingeweiht, und Kreiskyließ bei einem Treffen mit der Führungdes BAS auch sein Wohlwollen erken-nen. Der Österreicher Dr. Norbert Burgerwar auch an den Vorbereitungen und Ak-tionen des Freiheitskampfes maßgeblichbeteiligt. Wir fragten damals niemanden:«Stehst du rechts oder links?» Außer denKommunisten waren uns alle willkom-men.

Ein Ziel verband alle, nämlich der frei-willige Einsatz für unsere schwer bedroh-te Heimat. Der russische Geheimdienstbot uns 1961 seine Unterstützung fürden Freiheitskampf an. Der tschechischeGeheimdienst trat auch 1965 in Inns-bruck an Jörg Klotz heran und bot ihmHilfe in Form von Waffenlieferungen an.Wir lehnten aber dankend ab, denn wirwollten von den Kommunisten aus welt-anschaulichen Gründen keine Hilfe an-nehmen.

Der italienische Geheimdienst spieltein Südtirol 1961 keine große Rolle, sonstwäre die Polizei nach der Feuernachtnicht so lange im Dunkeln getappt. Inden folgenden Jahren wurde er aberdann in Form von brutalen Anschlägenaktiv, um den Freiheitskampf der Südti-roler ins schlechte Licht zu rücken, damitdie Bevölkerung nicht mehr dahinter ste-hen würde.

Im Mai 1960 fiel bei der Landesver-sammlung im Rom-Kino in Bozen die Ent-scheidung, ob Österreich das Südtirol-Problem im Zeichen der Selbstbestim-mung oder der Autonomie vor die UNObringen sollte. Kerschbaumer und vieleandere setzten sich für das Selbstbestim-mungsrecht ein, aber der schon damalsredegewaltige SVP-Obmann Magnagobrachte eine knappe Mehrheit für dieAutonomie zustande. Wir waren alleschwer enttäuscht, konnten es aber nichtändern.

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In dieser Zeit führte das AllensbacherInstitut im Auftrag des Verlegers undBAS-Mitgliedes Fritz Molden in Südtiroleine Umfrage durch, dessen Ergebnis unsMut machte: 82% der Südtiroler wolltenzurück nach Österreich und 26% hättenden Freiheitskampf unterstützt. Somithofften wir, dass der Wille des Volkesirgendwann die SVP zwingen würde, denWeg der Selbstbestimmung einzuschla-gen. 1959 begannen wir dann, einzelneAnschläge durchzuführen, zuerst in Bo-zen, dann in Meran.

Die Volkswohnbauten waren damalseines unserer Hauptziele, weil dort fastausschließlich zugewanderte Italiener ein-quartiert wurden. Jörg Pircher und ichbeschlossen im Februar 1960, in Meranzwei im Rohbau befindliche INACASA-Häuser zu sprengen. Die Sprengladungexplodierte leider nicht, weil wir zu die-ser Zeit noch selbstgebastelte Zeitzünderverwendeten. Der politische Effekt bliebaber nicht aus, denn daraufhin wurdendie Andreas-Hofer-Feiern in Meran undBozen verboten.

V.l.n.r. Walter Gruber, Sepp Mitterhofer, Paul Pichler, Sepp Kerschbaumer, Luis Hauser

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Beim «Knüppelsonntag» ging die Spezialeinheit «Celere» mit Gummiknüppelgegen die Teilnehmer der Gedenkfeier vor. Acht Personen wurden verhaftet.

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Als dann in Bozen die Teilnehmernach der Gedenkmesse im Dom, die an-statt der verbotenen Andreas-Hofer-Feierstattgefunden hatte, heraustraten undzum Peter-Mayr-Denkmal strömten,kreuzten plötzlich mehrere Fahrzeuge derSpezialeinheit «Celere» auf und schlugenmit Gummiknüppeln auf die Teilnehmerein. Acht Personen wurden auch verhaf-tet. Dieser Tag ist als «Knüppelsonntag»in die Geschichte Südtirols eingegangen.

Vereinzelt folgten dann Anschlägeauch auf politische Objekte. So wurde z.B. Ende Jänner 1961 das Mussolini-Standbild samt Ross von den Nordtiro-lern Kurt Welser und Heinrich Klier ge-sprengt. Zwei Tage später wurde vonJosef Fontana in Glen bei Montan aufdas Haus von Ettore Tolomei, dem Toten-gräber Südtirols, ebenfalls ein Spreng-stoffanschlag verübt.

Im November 1960 brachte Kreiskydas Südtirol-Problem vor die UNO, diedann in einer Resolution Österreich undItalien aufforderte, durch Verhandlungeneine Lösung zu finden. Das Fass kam zumÜberlaufen, als dann 1961 die Verhand-lungen zwischen Österreich und Italienlaufend scheiterten, weil die italienischeDelegation immer wieder behauptete,der Pariser Vertrag sei erfüllt, sie würdennicht verhandeln, sondern nur Gesprä-che führen.

Dazu kam noch, dass zur selben Zeitim italienischen Parlament über ein Ge-

setz diskutiert wurde, das vorsah, dassjeder italienische Staatsbürger ausge-wiesen werden konnte, der durch anti-italienische Tätigkeit auffiel. Das war di-rekt auf uns Südtiroler zugeschnitten. Un-serer Meinung nach war nun der Zeit-punkt zum Losschlagen gekommen. Am1. Juni 1961 beschlossen wir in Zernez inder Schweiz mit den Nordtiroler BAS-Leu-ten die Feuernacht. Den Flugzettel, denwir dort verfassten und an alle Politikerund Medien im deutschsprachigen Raumverschickten, war ein Hilferuf an die Welt.Kernpunkt des Aufrufes war die Anklagedes italienischen Staates und die Forde-rung des Selbstbestimmungsrechtes derSüdtiroler.

Den Abschluss bildete der zur Legen-de gewordene Spruch von KanonikusMichael Gamper: «Ein Volk, das umnichts anderes kämpft als um sein natür-liches und verbrieftes Recht, wird denHerrgott zum Bundesgenossen haben!».

In der Feuernacht vom 11. auf den12. Juni sprengten wir zusammen mitden Kameraden aus Nordtirol 47 Mastenin die Luft und führten mehrere An-schläge auf Elektrizitätswerke aus. UnserPlan war, die Industriezone in Bozen –der Inbegriff der Italienisierung Südtirols– lahmzulegen. Wäre es gelungen, dannwäre dem italienischen Staat ein enor-mer Schaden entstanden; weil aber einStänder nicht umgefallen war, konntendie Aluminiumöfen gerettet werden.

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Der politische Effekt war aber trotz-dem eingetreten. Die Überraschung undBestürzung waren enorm. Die in- undausländische Presse schrieb vom Auf-stand bis zum Bürgerkrieg. Die Dolomi-ten schrieb auf der ersten Seite in großerAufmachung: «Schändung des Herz-Jesu-Festes!». Sie konnte damals ja nichtahnen, dass sie später auch einmal vondiesen Anschlägen durch den Milliarden-segen profitieren würde!

Niemand wollte so recht glauben,dass wir Tiroler zu so etwas imstandewären und man tappte vollkommen imDunkeln. Der italienische Staat schickte15.000 Carabinieri, Polizei und Soldatennach Südtirol, um öffentliche Einrichtun-gen zu bewachen. Es herrschte regelrech-ter Ausnahmezustand. Die Bewacherhatten den Befehl, ohne Vorwarnung zuschießen. So wurde am 19. Juni in Malsein junger Bursche, Hubert Sprenger,ohne Vorwarnung erschossen, weil derWeg zu seiner Freundin zufällig bei demOffiziersheim vorbeiführte. In Sarntheinwurde Josef Locher in der Materialseil-bahn, welche ihn zu seinem elterlichenHof bringen sollte, während der Fahrtkurzerhand erschossen. Zahllose Haus-durchsuchungen mit menschenrechts-widrigen Übergriffen fanden statt, aberkeine bei uns Aktivisten.

Als Mitte Juli 1961 dann die großeVerhaftungswelle einsetzte, hat es auchmich erwischt. Kurz vorher erfuhr ich von

den brutalen Misshandlungen, deshalbhatte ich mich entschlossen abzuhauen.Ich hatte schon den Rucksack gepacktund wollte gerade noch eine Kleinigkeitessen. Plötzlich waren sie da, vier Mannvon der Spezialtruppe der Schläger. Ichwollte bei der Hintertür entwischen, hat-te aber keine Chance mehr, sie ließenmich nicht mehr aus den Augen und ausder Hand. In der Carabinierikaserne vonMeran angekommen, erhielt ich von ei-nem Riesen einen Fußtritt in den Hintern,dass ich kopfüber in den Hausgang flog.

Im ersten Stock erwarteten michdann mehrere Kameraden und fremdeMänner in Habt-Acht-Stellung mit erho-benen Händen. Auch ich musste diesel-be Haltung einnehmen, und wenn je-mand die Arme sinken ließ, wurden wirvon den Bewachern mit dem Gewehr-kolben geschlagen. Zwischendurch wur-den wir zur Spezialbehandlung in einenRaum mit geschlossenen Fenstern undheruntergelassenen Rolläden geführt, wosich oft bis zu 10 Carabinieri befanden.Ich musste bei der damaligen Sommer-hitze mit angezogenem Rock stunden-lang vor einer Quarzlampe stehen, so-dass ich fast erblindete und der Schweißaus allen Poren brach. Der Durst warfürchterlich, den Hunger habe ich nachdem ersten Tag nicht mehr gespürt.

Sie rissen mir die Haare büschelweisevom Kopf, stießen mich von einer Wandzur anderen, boxten und schlugen mich,

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bis mir schlecht wurde. Mit dem Rückenzur Wand und erhobenen Armen auf denZehenspitzen stehend, musste ich aus-halten, bis ich zusammenbrach. Auf Na-men von Kameraden waren die Peinigerbesonders scharf. Sie sagten mir, siewüssten von Kerschbaumer, dass ich inMeran eine Gruppe von fünf Männernhätte, ich sollte sie nennen. Sie ließendeshalb einen elektrischen Kocher glü-hend heiß werden und ich sollte daraufbarfuß stehen. Als sie sahen, dass ichdazu bereit war, rissen sie mich im letz-ten Augenblick zurück.

Mein oberstes Gebot war immer,meine Kameraden nicht zu verpfeifenund ich hatte wohl Glück, dass ich diesdurchgehalten habe. Denn, wenn manso nackt im Raum steht, von vielen Be-stien umgeben, die einen anschreien:«Ihr Bastarde und Hurensöhne, wir wer-den euch alle kastrieren und über denBrenner jagen!», dann wird man ganzklein, von allen verlassen, man fühlt sichwie ein Wurm, auf dem die halbe Weltherumtrampelt.

Diese Spezialbehandlung erstrecktesich mit Unterbrechungen über zwei Tageund zwei Nächte, bis ich schließlich zweiAnschläge und die Beteiligung bei derEntscheidung zur Feuernacht in Zernezzugab. Irgendwann verlässt jeden dieKraft und man fängt dann zu phantasie-ren an. Als man mich zu mir nach Hausefuhr, ein halbes Kilo Sprengstoff und eine

Pistole abzuholen, begegnete uns meinalter Vater.

Als er mich sah, brach er in Tränenaus und mir drückte es fast das Herz ab.Dass ich damals nicht hatte fliehen kön-nen, ärgerte mich im Gefängnis jahre-lang. Aber irgendwann setzte sich in mirdoch die Erkenntnis durch, dass es ebenmein Schicksal war. Wenn ich auch mitstark angeschlagener Gesundheit nachacht Jahren vom Gefängnis heimgekehrtbin, so durfte ich eben doch in die Hei-mat, zu meiner schwer geprüften Familieund zu meinem Hof zurückkehren.

Unter dem Eindruck der massiven An-schläge und der dadurch stärkeren Inter-nationalisierung wurde im September1961 die sogenannte Neunzehner-Kom-mission eingesetzt. Sie sollte die Proble-matik in Südtirol untersuchen und derRegierung Vorschläge unterbreiten. Siebrauchte acht Jahre, bis ein Ergebnis zuStande kam. Von italienischer Seite wur-de immer wieder versucht, sie versandenzu lassen, aber der belgische Senatsprä-sident Paul Struye fuhr im Auftrag desEuroparates öfters nach Rom, um siewieder anzukurbeln.

Ende September 1961 fand ein SVP-interner Putsch statt. Eine Gruppe vonAltpolitikern, Bürgermeistern und Wirt-schaftsleuten – mit dem späteren Sena-tor und Parteiobmann der SVP, Dr. Ro-land Riz, an der Spitze und durch Athe-sia-Direktor Toni Ebner sen. in den Dolo-

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miten gefördert – wollte die damaligeParteiführung der SVP und Österreichvon den Verhandlungen mit der italieni-schen Regierung ausschalten, wohl umeinen billigen Preis. Zum Glück ist dasVorhaben gescheitert, sonst wäre allesnoch viel schlimmer geworden.

Im November 1961 hat Kreisky vorder UNO Italien der Folterungen an Süd-tiroler politischen Häftlingen beschuldigt.Der italienische Außenminister Segni hatdiese Anschuldigungen zurückgewiesenund Kreisky als Lügner hingestellt. Wirkonnten nicht begreifen, warum Kreiskynicht unsere Folterbriefe als Beweismittelvorlegte. Erst Jahrzehnte später erfuhren

wir, dass die SVP ihn gebeten hatte, sienicht zu verwenden, um, wie sie glaub-te, die Stimmung nicht noch mehr zuverschlechtern. Überhaupt verurteilte dieSüdtiroler Volkspartei bei jeder nur mög-lichen Gelegenheit die Anschläge undverwies nur selten darauf, warum sieverübt wurden. Gerade dies wäre aberwichtig gewesen, um daraus politischesKapital schlagen zu können. Sicher wardie SVP damals in einer sehr heiklenLage, trotzdem hätte sie die moralischePflicht dazu gehabt.

Ein weiterer Grund dieses schwerenVersäumnisses war wohl der, wie es derverstorbene Senator Peter Brugger for-

Vereinte Nationen, 1960: Die österreichische Delegation unter Führung von Außenminister Dr. Kreisky (links) erzielteeinen guten Erfolg und erhielt den Verhandlungsauftrag der UN in Sachen Südtirol. Rechts der Diplomat undspätere Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim. In der Mitte Franz Gschitzer.

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mulierte: «Ihr Häftlinge wart bereit, fürdie Heimat in den Knast zu gehen, vonden SVP-Vertretern ist kein einziger auchnur einen Tag dazu bereit!» Allerdingsmuss auch erwähnt werden, dass meh-rere SVP-Vertreter unsere schwer geprüf-ten Familien auf humanitärem Gebietsehr wohl unterstützten und betreuten.Auch viele Südtiroler halfen uns undwaren solidarisch. Frau Midl von Sölderaus Eppan vollbrachte diesbezüglich diegrößte Leistung, sie war mit Herz undaus Überzeugung bei der Sache. FrauGretl Koch, eine Häftlingsfrau aus Bo-zen, stand ihr dabei kräftig zur Seite. AusÖsterreich und Deutschland erhieltenunsere Familien auch viel materielle Un-terstützung. Allen gebührt unser aufrich-tiger Dank!

Am 22. November 1969 bei derLandesversammlung der SVP in Meranwurde dann über das Ergebnis der19er-Kommission – das sogenannte Pa-ket – abgestimmt. Dr. Magnago konnteeine knappe Mehrheit von 52% für dasPaket erreichen. Dieses Paket oder erwei-terte Autonomie ist zwar als Übergangs-lösung brauchbar, aber es ist eben nureine Teillösung, denn die Assimilierunggeht nach wie vor weiter. Dafür warendie Opfer auf unserer Seite einfach zuhoch, wir haben doch direkt 13 Tote zubeklagen:

Franz Höfler und Toni Gostner sindan den Folgen der Folterungen gestor-

ben. Sepp Kerschbaumer starb an Herz-stillstand, weil er beim Prozess die ganzeVerantwortung übernommen hatte unddie Belastung zu groß geworden war.Hubert Sprenger, Sepp Locher und PeterThaler wurden willkürlich und ohneVorwarnung von den Besatzern erschos-sen. Helmut Immervoll kam angeblichbeim Hantieren mit Sprengstoff umsLeben. Luis Amplatz wurde auf der Brun-ner Mahder meuchlings ermordet. JörgKlotz starb zwar im Exil, aber an denFolgen seines Einsatzes im Freiheitskampffür unsere Heimat. Walter Gruber undPeter Paris kamen beim Hantieren mitSprengstoff auf mysteriöse Weise umsLeben. Friedl Rainer ist ebenfalls auf niegeklärte Weise beim Versuch, das Bein-haus auf der Malser Haide zu sprengen,umgekommen.

1966 wurde Peter Wieland aus Nie-derolang auf dem Heimweg von einerAlpini-Streife niedergeschossen.

Wir mussten Folterungen ertragen,trugen gesundheitliche Schäden davon,saßen über 500 Jahre Gefängnis ab. Undnicht zuletzt das viele Leid und die Tränenunserer Familien und Landsleute.

Mein Ziel war und bleibt auch wei-terhin die Wiedergutmachung des gro-ßen Unrechts, nämlich die Wieder-vereinigung Tirols als europäische Regi-on auf friedlichem Weg.»

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LANDSLEUTE!Die Stunde der Bewährung ist da!

40 Jahre lang hat Südtirol alle Leiden erduldet und immer wieder auf dieEinsicht Italiens, auf die Hilfe der Mächtigen und auf Gerechtigkeit gehofft.Obwohl wir keine Italiener sind, waren wir 40 Jahre lang anständige Bürgerdes italienischen Staates. Vergeblich!1919 und 1946 hat man uns das natürliche Recht auf Selbstbestimmungvorenthalten und dafür Versprechungen gemacht. 15 Jahre lang warten wirnun vergeblich auf die Einlösung dieser Versprechungen. Jeder vernünftigeMensch aber muss nach all den ergebnislosen Verhandlungen erkennen,dass die italienischen Regierungen uns nicht einmal eine bescheidene Auto-nomie gewähren wollen. Das «demokratische» Italien setzt in Südtirol dieMethoden der faschistischen Gewaltherrscher fort und überbietet sie noch:willkürliche Verhaftungen, das Verbot der Schützen, Beschlagnahme vonPrivateigentum, wahllose Hausdurchsuchungen, Störung religiöserBräuche.Täglich wächst die soziale Not: Zu Tausenden müssen junge Südti-roler auswandern, weil italienische Zuzügler die Volkswohnungen und dieArbeitsplätze zugeteilt bekommen. Obwohl sie oft nicht lesen und schreibenkönnen, erklären die italienischen Arbeitsämter diese Zuwanderer zu Fach-kräften. Unsere Söhne aber müssen mit Hungerlöhnen vorlieb nehmen.1918 lebten 7000 Italiener in Südtirol, heute sind es 130.000! Wohin dasZögern und Verhandeln geführt hat, zeigen auch die letzten Bozener Ge-meindewahlen. 1920: kein einziger Italiener im Gemeinderat! 1961: 31 Ita-liener und nur noch 9 Südtiroler! Und welche Parteien haben seit 1957Stimmen gewonnen? Einzig und allein die Neufaschisten und die Kommu-nisten! Das ist das Ergebnis unserer Geduld! Rom beschließt eben jetzt einGesetz, das jedem Südtiroler nach Belieben die Staatsbürgerschaft entziehen

FLUGBLATT VON ZERNEZ (1961)

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kann. Dieses Gesetz öffnet der Willkür Tür und Tor: Man kann uns wieVerbrecher aus der Heimat vertreiben. Aus dem Unrecht, das Hitler unseremLand zugefügt hat, versucht Rom sein Recht abzuleiten. Italien erniedrigt dasalte Kulturland an Etsch und Eisack zu einer Kolonie. Hat man in Rom nochnicht gemerkt, dass wir im Zeitalter der Selbstbestimmung der Völker leben?Wir sind sicher, dass alle Gegner des Kolonialismus unsere Bundesgenossensind.

WIR FORDERN FÜR SÜDTIROL DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT !

Landsleute! Unser Vertrauen zum italienischen Staat ist zerstört. Er hat keinVersprechen und keinen Vertrag gehalten. Er missbraucht seine Kräfte dazu,das vom Faschismus begonnene Vernichtungswerk fortzusetzen und unsereVolksgruppe auszulöschen. In dieser Stunde erheben sich die treuesten Söh-ne unserer Heimat gegen die Gewalt und schreiten schweren Herzens – sowie anno 1809 – zur Tat. Nicht der Hass gegenüber Menschen einer ande-ren Sprache leitet uns: unsere Erhebung ist Notwehr gegen einen Staat, deruns unseres Volkstums wegen verfolgt und uns geistig und physisch vernich-ten will. Europa und die Welt werden unseren Notschrei hören und erken-nen, dass der Freiheitskampf der Südtiroler ein Kampf für Europa ist undgegen die Tyrannei.Landsleute! Unterstützt den Freiheitskampf! Es geht um unsere Heimat! Wirziehen in den Kampf mit einem Wort unseres Kanonikus Gamper: «Ein Volk,das um nichts anderes kämpft, als um sein natürliches und verbrieftes Recht,wird den Herrgott zum Bundesgenossen haben!»

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Mit diesem Flugblatt, welches imRahmen der Feuernacht in ganz Südtirolverteilt und auch auf dem Postweg anviele Politiker und andere Persönlichkei-ten in Österreich und Europa verschicktwurde, wollte der BAS die Öffentlichkeitüber die Ziele seines Kampfes informie-ren. Das Flugblatt wurde am 1. Juni 1961beim Treffen in Zernez, wo die Feuer-nacht beschlossen wurde, verfasst.

Trotz einer langen Recherche war esnicht mehr möglich, eine vollständigeListe der Teilnehmer an diesem ent-scheidenden Treffen zu erstellen, die Na-men von drei bis vier Nordtiroler Teilneh-mern konnten nicht mehr ermittelt wer-den.

Aus Südtirol nahmen teil: SeppKerschbaumer aus Frangart, SiegfriedCarli aus Meran, Martin Koch aus Bozen,Sepp Mitterhofer aus Meran, Franz Mut-her aus Laas und Alfons Obermair ausBozen. Aus Nordtirol bzw. Österreichnahmen teil: Dr. Norbert Burger aus

Kirchberg in Niederösterreich, HeinrichKlier und Kurt Welser aus Innsbruck.

Um dem italienischen Geheimdienstund Spitzelnetz zu entgehen, hatte manfür das wichtige Treffen absichtlich neu-tralen Boden in der Schweiz gewählt.

Der Befreiungsausschuss Südtirol hat-te schon vor der Feuernacht nicht nurdurch Anschläge, sondern auch durchFlugblätter und Schriften auf sich undseine Ziele aufmerksam gemacht. Einigedieser Flugzettel wurden auch von PaulPichler, Lehrer aus Schenna, verfasst. Erhatte innerhalb des BAS hinsichtlich derWerbung eine wichtige Funktion. PaulPichler wurde nach der Feuernacht auchverhaftet und war bis zum MailänderProzess eingesperrt. Schon Ende Jänner1961, als das Mussolini-Standbild inWaidbruck in die Luft flog, wurde erverhaftet und für eine Woche ins Klaus-ner Gefängnis gebracht. Nach dem Pro-zess konnte er viele Jahre seinen Berufals Lehrer nicht ausüben.

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FÜR UNS GALT ES, DIE HEIMAT ZU RETTEN…Luis Steinegger

Viele Mitglieder des BAS waren imzweiten Weltkrieg Soldaten gewesen.Nach dem Krieg kehrten sie in die Hei-mat zurück und hofften auf eine bessereZukunft, im Vertrauen auf die neuen, de-mokratischen Verhältnisse. Zu ihnen ge-hörte auch Luis Steinegger. Wie vieleandere verwendete er im Untergrund diean der Front gemachten Kampferfahrun-gen. Luis Steinegger wurde 1921 in Tra-min geboren. Seine Eltern waren Klein-bauern und seit frühester Kindheit konn-te er selbst die Auswirkungen der faschis-tischen Diktatur miterleben.

Bereits im Alter von 16 Jahren warich an Widerstandsaktionen gegen diefaschistische Italienisierungspolitik betei-ligt und wurde damals das erste Mal ein-gesperrt.

Mit anderen Jugendlichen hatten wirdie Aufgabe übernommen, die Katakom-benschulen zu überwachen. Wir wareneine größere Gruppe und trafen unsimmer wieder, um im Geheimen unseregeliebte, aber verbotene deutsche Kulturzu pflegen.

Im Jahre 1938 wurde ich dann miteiner Gruppe von 20 anderen jungenBurschen und Mädchen verraten! Da ichaber noch minderjährig war, wurde ich

nach wenigen Ta-gen entlassen. Dieanderen wurdenaber fast alle zuGefängnisstrafenvon 3 bis 4 Mo-naten verurteilt.

1939 optierte ich, während ich einenvormilitärischen Kurs bei der italienischenMiliz besuchen musste, für Deutschland.

1942 wurde ich zur deutschen Wehr-macht eingezogen und absolvierte zuerstverschiedene Ausbildungen, z.B. Infante-rie-, Artillerie-, Nachrichtendienst- undbesonders eine gute Pionierausbildung.Damals erlernte ich den guten und si-cheren Umgang mit Sprengmitteln allerArt.

Meine Einheit wurde dann im dama-ligen Jugoslawien eingesetzt. Im August1944 wurde ich von den Engländerngefangen genommen und kurze Zeitspäter den jugoslawischen Partisanenübergeben. Da ich in der Gefangenschaftzum Entschärfen von Minen herangezo-gen wurde, überlebte ich die Hölle derGefangenschaft. Die meisten meinerKameraden starben in jugoslawischerGefangenschaft – das Ausmaß der erleb-ten und erlittenen Grausamkeiten warenjenen gleich, die wir tagtäglich in den

Luis Steinegger

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Nachrichten über den Balkankrieg sehenkonnten.

Am 30. November 1946 kehrte ichdann endlich von der Gefangenschaftheim. Ich brauchte fast ein halbes Jahr,um mich von den Leiden der Gefangen-schaft zu erholen. Damals schwor ich mir,nie mehr in irgendeiner Weise politischtätig zu werden.

Aber langsam musste ich wiedermeine Meinung wechseln, denn zu au-genscheinlich war das von Tag zu Tagimmer größer werdende Unrecht. ImGrunde hatte sich am Ziel des italieni-schen Staates, im Vergleich zum faschi-stischen Regime, nichts geändert. Nur dieMittel waren anders, feiner geworden.Immer mehr italienische Arbeiter aus dem

Süden wurden ins Land gepumpt, beka-men sofort eine Arbeit, eine Wohnung… und wir mussten zusehen, wie immermehr Südtiroler auf der Suche nach Ar-beit wieder auswandern mussten.

Für uns galt es, die Heimat, die schonwieder in Gefahr war, zu retten. Zuerstsammelten sich die Gleichgesinnten inden Reihen der SVP. Im November 1957lernte ich bei der Großkundgebung vonSigmundskron den Anführer des BAS –Sepp Kerschbaumer – kennen. Aber erst1958 wurde ich ein Mitglied des BAS.Mein Freund Oswald Kofler stellte denersten Kontakt her.

1960 lernte ich durch Oswald Koflerden Nordtiroler BAS-Aktivisten Kurt Wel-ser kennen. Dieser hatte zu jener Zeitden Auftrag, die in Südtirol bereits imganzen Land bestehenden BAS-Zellen

Luis Steinegger bei der Heimkehr

Luis Steinegger als Soldat im II. Weltkrieg

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oder Gruppen mit Sprengstoff, Waffenund anderem Material zu beliefern. KurtWelser war ein ganz besonderer Mensch,mit dem mich eine innige Freundschaftverband.

Er war es auch, der mir sagte, dassich meiner Frau entweder alles sagensollte oder gar nichts. Ich sagte meinerFrau dann alles über meine Tätigkeit, undsie stand felsenfest auf meiner Seite,denn sie teilte auch meine Sorgen umdie bedrohte Heimat.

Im Winter 1960-61 baute ich miteinigen Kameraden der Traminer BAS-Zelle im Wald unter einem großen Felseneinen großen Materialbunker. Dort lager-ten wir dann das gesamte Sprengmate-

V.l.n.r. Viktor Thaler, Luis Steinegger und Oswald Kofler während des Mailänder Prozesses.Die Angeklagten wurden während der Prozesstage schwer bewacht und immer in Ketten vorgeführt.

Kurt Welser gehörte zu jenen Nordtiroler Aktivisten,die durch ihren Einsatz die Durchführung derFeuernacht ermöglichten. Er führte viele hunderteKilo Dynamit illegal über die Grenze nach Südtirol.

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rial und die Waffen. Von diesem Lagerwussten nur drei BAS-Leute Bescheid.Kurt Welser, der aus verschiedenen Grün-den den Standort des Lagers wissenwollte, gab sich dann mit unserer Infor-mation zufrieden, dass wir innerhalb ei-ner halben Stunde das Lager erreichenund Material entnehmen konnten.

Sprengstoff und Waffen erhielten wiraber nicht nur aus Nordtirol, es gab nochüberall Rückstände vom letzten Krieg. Ichkann mich noch daran erinnern, wie einjunger Bauer uns eine deutsche Maschi-nenpistole übergab, die in ausgezeichne-tem Zustand war.

Zahlreicher Sprengstoff wurde zuBeginn auf halb legalem Weg in Nordita-lien angekauft. Oft hatten wir alten,unsicheren Sprengstoff und oft klapptees mit den Zündschnüren oder Zeitzün-dern nicht. Gleichzeitig hatten wir dann

auch wieder ausgezeichnetes Materialzur Verfügung.

Bei verschiedenen Kursen, die inNord- und Osttirol, aber auch in Südtirolstattfanden, wurden zahlreiche Aktivistenausgebildet, vor allem im Umgang mitSprengstoff, aber auch zum Beispiel, wieman sich bei einer Verhaftung verhaltensollte.

Bereits im April 1959 hatte der BASerste Sprengstoffanschläge in Bozen ver-übt. Die Ziele waren Volkswohnungen,die ausschließlich für die Italiener gebautwurden. Sie waren die Symbole für dieitalienische Unterdrückungs- und Über-fremdungspolitik!

Genauso hatten die Hochspannungs-masten nicht nur einen materiellen Scha-denswert, sondern genauso symboli-schen Wert. Gleich verhielt es sich mitden Anschlägen auf das Haus von Tolo-

Am 30. Januar sprengten die Südtiroler Freiheitskämpfer einen der Gesslerhüte Südtirols, das Reiterstandbild Mussolinisin Waidbruck. In einem Flugblatt hieß es: «Tiroler! Italien zeigt uns wieder die kalte Schulter. Italien sagt wieder NEINzu unserer primitivsten Forderung nach Landesautonomie. JETZT gibt es nur mehr eine Forderung:SELBSTBESTIMMUNG FÜR SÜDTIROL!»Links: Am 18.11.1938 wurde das Reiterstandbild mit den Gesichtszügen Mussolinis dem «Genius des Faschismus»geweiht. Mitte: Der gesprengte Aluminium-Diktator. Rechts: Die Scherben im Depot. Italienische Arbeiter brachtendie Aufschrift «Wir kommen wieder» an.

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mei in Glen und dem Duce-Standbild inWaidbruck.

Zu den Aktionen des BAS gehörtennicht nur Anschläge: Immer wieder wur-de die Bevölkerung durch Flugblätter,Briefe und Wandaufschriften auf die Lageim Land aufmerksam gemacht, TirolerFahnen wurden gehisst.

Der BAS war in Gruppen bzw. inZellen aufgeteilt. Diese bestanden vonFall zu Fall aus wenigen oder mehrerenLeuten und umfassten meistens eineGruppe aus demselben Dorf, Tal odereinfach eine Gruppe von Gleichgesinn-ten und Freunden.

Untereinander hielten die Gruppendurch Verbindungsleute Kontakt bzw.wurden Aufträge, Befehle oder einfachNachrichten und Informationen von derFührung zu den einzelnen Gruppen undZellen durch Verbindungsleute weiterge-geben.

Zuerst waren es nur wenige kleineGruppen, die im Lande verstreut aktivwaren. Mit der Zeit wurde ihre Zahl im-mer größer und umfasste bald das gan-ze Land. Natürlich waren die Aktionen

der verschiedenen Gruppen sehr unter-schiedlich. Es gab Leute bzw. Gruppen,die immer wieder Aktionen ausführten,die vom Verteilen von Flugblättern, His-sen von Fahnen bis hin zu kleinen An-schlägen gingen, aber es gab auch Grup-pen, die nie in Aktion traten.

So waren am großen Schlag – dieFeuernacht – sicher nicht alle BAS-Zellenbeteiligt. Warum, ist nicht leicht nach-vollziehbar. Vielleicht fehlte vielen im letz-ten Augenblick der entscheidende Rück-halt oder das letzte und entscheidendeStückchen Mut.

Genauso waren nicht alle BAS-Grup-pen gleich gut organisiert, ausgebildet,bewaffnet und sicherlich waren nicht alleGruppen gleich motiviert. Im Unterlandund im Raum Bozen standen den BAS-Gruppen sogar zwei Ärzte zur Verfü-gung.

Nach der Feuernacht und der darauf-folgenden Verhaftungswelle lösten sichviele Gruppen auch von selbst auf, zugroß war der Schock und die Angst vordem Vorgehen der italienischen Polizei-kräfte.

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DIE «CURA SPECIALE»Luis Gutmann

Bereits 1959 erschien in England einBuch mit dem Titel «Die zehn Todesqua-len». Darin beschrieb der Autor die Tat-sache, dass die Folter noch in vielen Staa-ten der Welt eine angewandte Methodeder Unterdrückung war. So auch in Itali-en. In einem Bericht über Sizilien be-schrieb Gavin Maxwell, wie die Carabi-nieri bei der Bekämpfung der Mafia dieFolter in den Verhören gezielt anwandte.Erschreckend klingt der Bericht eines jun-gen Carabiniere über diese verbrecheri-schen Behandlungsweisen.

Ein Bericht aus Sizilien:«Ich diente in der größten Kaserne

von Palermo, dem Hauptquartier für alleProvinzkasernen. Dort ist die berühmte«Pepiritu-Kaserne», wohin die verhafte-ten Verbrecher zuerst geschafft werden.Sie ist, kurz gesagt, ein Untersuchungs-gefängnis, in dem die Häftlinge durchSchläge oder – wenn notwendig – durchFolterungen zum Reden gebracht wer-den.

Ja, die Folter. Als Zivilist würde ichohne Besinnen sagen, dass man keinemmenschlichen Wesen solche Dinge antundarf, dass sie dem moralischen Fortschrittder Menschheit widersprechen, aber alsCarabiniere versichere ich Ihnen, dass sie

wertvoll und not-wendig sind, be-sonders in einemLand wie Sizilien,denn hier gibt esdie «Omertà» (dasGesetz des Schweigens). Sie ist für denSizilianer das Zeichen der Würde undauch der himmlische Vater könnte ge-gen die omertà nichts ausrichten. Omer-tà ist eine eiserne Schranke, hinter dersich jeder, ob schuldig oder unschuldig,verschanzt und sie zu durchbrechen istnahezu unmöglich.

Richtig – wie stellt man es dann an,eine Verbrecherbande auszuheben? Wiebringt man die Schuldigen im Gefängnisdazu, den Mund aufzutun? Vielleicht mitsanften Worten und überzeugenden Pre-digten? Da würden sie nie ein Wort sa-gen. Auf diese Weise ist die Kriminalitätin Sizilien nicht auszurotten und unserDasein wäre eine Farce. Aber die heiligeRute und die heiligen Foltern – die brin-gen selbst die Fische zum Reden. DieAusrottung des Verbrechens ist unserePflicht, und die müssen wir tun, ohneuns Kopfschmerzen über die Mittel zumachen.

Nun könnten Sie sagen, dass unterden Gefolterten ja viele Unschuldige sind,

Alois Gutmann

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die genauso behandelt werden wie dieSchuldigen. Daran sind im Grunde nichtwir schuld, schuld ist nur die omertà,unter der die Schurken und die Gerech-ten gleichermaßen leiden müssen. Ichdarf Ihnen das eigentlich nicht erzählen,aber wir hatten im Hauptquartier einmaleinen Mann schon halb umgebracht, weiles hieß, er wäre ein Komplize eines ge-wissen Banditen und dann stellte sichheraus, dass der arme Teufel absolut un-schuldig war. Er musste wegen seiner beider Folter erlittenen Verletzungen einenMonat im Krankenhaus liegen – wegengebrochener Rippen und anderem. Eshätte einen Skandal geben können, aberselbst wenn: Wir hatten uns immer nochin den Grenzen unserer Pflicht gehalten.Wir üben Gerechtigkeit, wir handeln imNamen der Gerechtigkeit, und die Ge-rechtigkeit kann sich nicht selbst verdam-men.

Im übrigen: Wie hätte er einen Skan-dal machen können? Er war nur einBauer und hatte keine mächtigen Freun-de. Es gibt Leute, die so einen Versuchmit dem Leben bezahlt haben, das weißich.

Wir wenden vielerlei Folter an – ichkann Ihnen ruhig davon erzählen, dennich habe Ihnen ja dargelegt, dass sienotwendig sind. Die am häufigsten an-gewandte Folter ist die sogenannte «Cas-setta»: Der Mann wird mit zurückgebo-genem Kopf auf ein Holzgerüst gebun-

den. Man stülpt eine Gasmaske über seinGesicht und gießt Salzwasser durch dasRohr des Mundstückes. Ich bin gegenden Anblick abgehärtet, das wird man inmeinem Beruf, aber angenehm ist ernicht, kann ich Ihnen sagen. Sein Leibschwillt zu einem Ballon an und er leidetHöllenqualen. Dann drückt man auf sei-nen Leib, damit das Wasser wieder her-auskommt und dann fängt man wiederan. Oft wird das mit anderen Folternverbunden – der Mann ist nackt und mankann mit ihm machen, was man will.

Wir nehmen uns die empfindlichstenKörperteile vor – Füße und Geschlechts-teile. Die Füße werden gebrannt odergeschlagen oder auch beides, dass manjemandem die Zehennägel herausgeris-sen hat, habe ich nie gesehen und ichglaube nicht, dass es gemacht wird.Warum, weiß ich nicht.

Das Zwicken der Hoden ist allgemeingebräuchlich, manchmal geben wir ih-nen dabei auch Elektroschocks. Ich habegesehen, wie ein Carabiniere einemMann Nadeln in den Penis steckte, unddann noch schlimmere Dinge habe icherlebt, aber davon wollen wir nicht re-den. Es ist notwendig, wie ich Ihnenerklärt habe. Anfangs musste ich michdabei übergeben, aber jetzt regt es michnur auf, wenn es sich um jemandenhandelt, der sehr alt oder fast noch einKind ist. Dann würde ich am liebstenGott ins Gesicht spucken.»

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Das Buch ist 1959 im Longmans,Green & Co. Verlag, London erschienen;im September 1961 aus dem Englischenübertragen von S. Rademacher und imRowohlt-Verlag Hamburg herausgege-ben.

Niemand konnte sich damals vorstel-len, dass der italienische Staat bzw. dieitalienischen Polizeikräfte auch in Südti-rol in einem Ernstfall zu solch grausamenMethoden greifen würden. Die Jahre desFaschismus, in denen Schläge, Prügel undRizinusöl als Mittel der Unterdrückung inden Carabinierikasernen an der Tagesord-nung waren, schienen endgültig über-

wunden zu sein. Aber schon vor der Feu-ernacht hörte man des öfteren, dassübereifrige Staatsdiener beim Verfolgenvon Südtirolern, die sich gegen die Miss-stände aufgelehnt hatten, zu ungesetzli-chen Mitteln griffen.

Doch niemand konnte sich die Bruta-lität vorstellen, mit der nach der Feuer-nacht eigens aus anderen italienischenRegionen herangeschaffte Spezialeinhei-ten der Carabinieri bei den Verhören vonverdächtigen Südtirolern vorgingen.

Folterungen, welche bei Verhören an-gewandt werden, haben immer zwei Zie-le: Man will erstens vom Gefolterten In-formationen herauspressen und zweitens

Erst durch Anwendung der Folter bei den Verhören konnte die italienische Polizei die ersten Aktivistenverhaften. Im Bild Jörg Pircher nach seiner Verhaftung.

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will man ihn demütigen, warnen undbestrafen zugleich. Die Folterung hinter-läßt nicht nur körperliche Spuren, auchdie Seele der Betroffenen braucht oftJahre, wenn nicht ein ganzes Leben, dieSchmerzen und Demütigungen zu über-winden.

Ende Juli 1961 waren fast 80 Südti-roler verhaftet worden. Bis Ende Septem-ber d.J. umfasste die Zahl der Verhafte-ten fast 140 Personen. Die meisten vonihnen wurden 4 bis 7 Tage in den Poli-zei- und Carabinierikasernen verhört undgrausamsten Folterungen unterzogen.Durch die Anwohner der Carabinierika-sernen, zum Beispiel in Eppan und Neu-markt, welche die Schreie der Gefolter-ten hörten und durch die Berichte vonVerhörten, die bald wieder freigelassenwurden, sprach sich die Tatsache, dass inden Kasernen die Südtiroler misshandeltwurden, bald im ganzen Land herum. DieHäftlinge ihrerseits versuchten, Berichteüber die erlittenen Misshandlungen andie Öffentlichkeit zu bringen.

Im Ausland erregten diese Berichtegroßes Entsetzen, in Italien wurden siezum Großteil als Lügen und Phantasienabgetan. Einige der betroffenen Südtiro-ler überwanden sich, Strafanzeige gegenihre Folterknechte zu erstatten. Insgesamthaben 44 Häftlinge diesen Schritt ge-wagt.

Silvius Magnago nahm zu den Miss-handlungen am 3. Dezember 1961 in der

Landesversammlung der SVP in Bozenfolgendermaßen Stellung und betonte,dass nicht nur die Gewalt der politischenHäftlinge von Südtirol von der Parteiverurteilt werden, sondern auch jene deritalienischen Polizeiorgane. Nachdemman zur Überzeugung gekommen sei,dass es sich bei den Berichten um keineGerüchte handle, habe die Partei eineparlamentarische Untersuchungskom-mission verlangt, welche die fragwürdi-gen Geschehnisse untersuchen solle.Nachdem die diesbezüglichen Ansuchenerfolglos geblieben waren, habe maneinen Gesetzesentwurf eingereicht, derselbiges forderte. Dieser sei jedoch einOpfer der Römischen Versandungspolitikgeworden. Die Maßnahmen, welche dieSVP ergriffen habe, seien nicht nur imInteresse der Südtiroler, sondern der Be-wohner des gesamten Staatsgebietes, esmüssen jene Elemente der Polizei ausfin-dig gemacht und bestraft werden, wel-che sich ihres Amtes nicht würdig erwie-sen haben. Es sei die Frage zu stellen, obes dem Ansehen Italiens förderlich sei,wenn der Staat aus einem falschen Pre-stigeempfinden zu solchen Übergriffenschweige und sie dadurch indirekt gut-heiße.

Bereits am 15. September wurde, si-cher aufgrund der Anschläge, vom italie-nischen Innenminister Scelba die soge-nannte 19er-Kommission eingesetzt, mitder Aufgabe, endlich Verhandlungen mit

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den Südtirolern zu führen. Daraus ent-wickelte sich dann, viele Jahre später, dassogenannte Südtirol-Paket.

Am 15. November 1961 sprach derösterreichische Außenminister BrunoKreisky vor der UNO über das Südtirol-Problem und über die Folterungen derSüdtiroler Häftlinge. Am nächsten Tagbeantwortete der italienische Außenmi-nister Antonio Segni dies dadurch, dasser Kreisky einen Lügner nannte, da erkeine Beweise für die angeblichen Miss-handlungen vorgelegt habe. Trotzdemwar es Kreisky gelungen, die Weltöffent-

lichkeit auf die Dramatik der Südtirol-Fra-ge hinzuweisen.

Unverständlich bleibt aber bis heutedie allgemein zaghafte Reaktion der Süd-tiroler Politiker und der Südtiroler Bevöl-kerung im allgemeinen, als sie von dengrausamen Übergriffen in den Carabinie-rikasernen hörte. Warum ging damals dieSüdtiroler Bevölkerung – allen voran dieSpitzenfunktionäre der SVP – nicht aufdie Straße, um friedlich gegen dieseÜbergriffe zu protestieren und den Ver-folgten ein kleines Zeichen der Solidari-tät zu geben?

Durch die brutalen Methoden der Polizei wurde innerhalb kurzer Zeit fast die gesamte Widerstandsbewegungverhaftet und im ganzen Land wurden zahlreiche Waffen- und Sprengstoffverstecke gefunden.

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Alois Gutmann ist einer von vielen,die nach der Feuernacht verhaftet, ver-hört und dabei auf die grausamste Wei-se misshandelt wurde. Am 1. Juni 1930in Girlan geboren, wohnt er seit 1951 inTramin. Seine Familie optierte fürDeutschland, weshalb er nach der vier-jährigen italienischen Volksschule nochvier Jahre die deutsche Schule besuchte.Anschließend besuchte er die landwirt-schaftliche Schule im Kloster Muri/Gries.Seit 1971 ist er mit Elisabeth Rella ver-heiratet, Vater von drei Söhnen, Land-wirt und landwirtschaftlicher Unterneh-mer. 47 Jahre war er aktives Mitglied derMusikkapelle Tramin. Seit 10 Jahren ister amtierender Obmann des VereinesSüdtiroler Rebschuler. So beschreibt erdas damals erlittene Unrecht:

Wie kam es zur großen Verhaftungs-welle nach der Feuernacht?

Man muss einmal in aller Deutlich-keit sagen, dass sich das Südtiroler Volk

Alois Gutmann vor seiner Verhaftung.

uns gegenüber sehr korrekt und aufge-schlossen bzw. mitfühlend gezeigt hat.Dies haben vor allem wir Traminer desöfteren bei den verschiedensten Aktio-nen festgestellt.

Ich möchte damit sagen, wie somancher geglaubt haben möchte, dassdiese unglaublich große Verhaftungswel-

Im November 1961 verstarb Franz Höfler aus Lanaan den Folgen der Folterungen im Gefängnis.

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Höfler war Mitglied der Feuerwehr von Lana undOberjäger der Schützenkompanie Lana. Unter großerAnteilnahme der Bevölkerung wurde er in Lanabeigesetzt.

le auf «Verrat» zurückzuführen seinkönnte: Dem ist mit Sicherheit nicht so,denn wäre es nur am Rande so gewe-sen, dann wären wir Traminer sicherschon viel früher im Gefängnis gelandet.Ich möchte nur kurz erinnern, wie oftdie Traminer Tiroler Fahnen auf den St.Jakob-Turm gemalt haben. Bei der Herz-Jesu-Prozession und der Andreas-Hofer-Feier wurden die Straßen mit Tiroler Fah-nen beflaggt. Damals war das Hissen derTiroler Fahne strengstens verboten. Ichmöchte nochmals unterstreichen, dass es

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von Seiten der Südtiroler uns gegenüberkeinen Verräter in Bezug auf die großeVerhaftungswelle gegeben hat.

Was war der Auslöser dieser damali-gen Lawine von Verhaftungen? Hier mussman, um die damalige Situation zu ver-stehen, tiefer ausholen. Der Name «Stei-ner» wird sich bei dieser Abwicklung derDinge des öfteren wiederholen.

Ich muss gleich zu Beginn dieserheiklen Phase hinzufügen, dass es auchfrüher Zusammenkünfte von Südtirolerngegeben hat, die sich mit der politischenSituation in Südtirol befasst haben. Einedieser Zusammenkünfte fand Mitte derFünfziger Jahre statt. Ich muss hinzufü-gen, dass es Land auf Land ab immerwieder Versammlungen gab, wo scharfeTöne gegen das Verhalten Italiens unsgegenüber gefallen sind, ja sogar oft vonAnschlägen auf verschiedene Einrichtun-gen die Rede war, bis dann Mitte Juli diegroße Verhaftungswelle einsetzte.

Bei Benno Steiner in Obermais, wel-cher als Alto-Adige-Redakteur im Rufstand, ein Spitzel zu sein, wurde einSprengstoffanschlag verübt. Daraufhinbekam er es mit der Angst zu tun undführte die Polizei auf die Spur eines BAS-Mannes. Benno Steiner war mehrere Jah-re zuvor mit Georg Klotz zwecks Grün-dung einer deutschen Oppositionsparteibei Franz Muther in Laas. Dabei hattensie u. a. auch über Sprengstoffanschlägegesprochen; daran hat sich Steiner wohl

erinnert. Man verhaftete Muther dannsogleich und, wie könnte es anders sein,wollte man Auskunft erhalten über alles,was damals in Bewegung war. Ich kennedas Verhalten von Muther den Carabi-nieri gegenüber nicht, weiß aber genau,dass er noch auf Lebzeit ein Krüppel war.Sein Gehör, sein Gesundheitszustand warallgemein sehr angeschlagen, Ursacheder Folterungen. Man muss der Sachezuliebe offen eingestehen, dass Steinerdiese Aussagen, die er, nachdem manihn aus dem Leben befördern wollte,auch viel früher der Polizei hätte mittei-len können.

Nachdem man Muther verhaftet hat-te, ungefähr Mitte Juli 1961, ging dieLawine der Verhaftungen los. Ja, es warwirklich wie eine Lawine, die losbrachund erst im letzten Winkel des Landes,wo ein Aktivist daheim war, halt machte.Ja sogar südlich bis über die SüdtirolerGrenze hinaus: siehe Pergol aus Lavis.

Wie es zu dieser unglaublich großenVerhaftungswelle kam, ist leicht erklärt:erstens kannte fast jeder jeden und zwei-tens wurden Methoden bei den Verhö-ren angewandt, denen selten einer wi-derstehen konnte. Von den meisten argGefolterten wurden fast immer die Na-men von zwei oder drei seiner Kollegengenannt. Auch darf man dabei nichtvergessen, dass man nicht mehr voll zu-rechnungsfähig war. Ich mache immerden Vergleich mit einer ausgeriebenen,

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Anton Gostner aus St. Andräwar der zweite Häftling, der imJänner 1962 an den Folgen derFolterungen im Gefängnis starb.Sein Begräbnis wurde eineProtestkundgebung gegendas brutale Vorgehender italienischen Polizei.

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schlappen Spülhuder. Man war bis zurVerzweiflung geistig, aber auch körper-lich zerschmettert und zerlegt.

Mir ging es jedenfalls so. Ich warfertig! Hatte ich doch eine kleine Ah-nung, was Verhör heißt, denn ich waram 15. Juli 1961 um 3 Uhr morgens ausdem Bett geholt und dann in die Cara-binierikaserne nach Kurtatsch geführtworden. Von dort kam ich in die Carabi-nierikaserne von Salurn, wo dann auchein 18-stündiges Kreuzverhör losging.Das Verhör war zwar sehr ermüdend,aber korrekt, also nichts von Folter unddergleichen. Ich wusste, wie ich mich insolchen Situationen zu verhalten hatte;auch so brachte man mich nach Truden,wo ich gegen 11 Uhr nachts freigelassenwurde.

Zu der Zeit war die Verhaftungswellezwar im vollen Gange, aber mein Namewar noch von niemandem genannt wor-den. Leutnant Rotellini sagte mir zwar,bevor er mich freilassen musste: «Gut-mann, merke dir, was ich dir jetzt sage:Stell dir ein Seil vor, an dem ziehen wirund ihr. Das Seil hängt nur mehr aneinem dünnen Faden, der kann schongerissen sein oder auch nicht. Er wirdaber reissen, dann sehen wir uns sicherwieder». Ich lachte darüber, denn ichhatte nicht im Geringsten eine Ahnung,was sich Land auf Land ab abspielte.

In Truden entlassen, traf ich dort imGasthof ganz zufällig einen Traminer,

einen gewissen Maler Kurt, der michdann heim nach Tramin brachte. Am17. Juli 1961 pflückte ich den ganzen TagÄpfel und zwar Grafensteiner. NachFeierabend ging ich heim. Wir wohntendamals etwas außerhalb vom Dorf. Ichhabe mich umgezogen und auf nachTramin ging es. Gegen halb neun Uhrabends kam ein Kollege zu mir und teiltemir mit, dass ein Jeep mit Carabinieri-besatzung zu unserem Hof nach Söll fuhr.Ich hätte Zeit genug gehabt abzuhauen,aber «was soll’s», dachte ich mir, wennich 18 Stunden Kreuzverhör durchgehal-ten habe, dann werde ich auch jetzt,sollte man mich holen, meinen Mannstellen.

Der zweite Grund, warum ich dannheimgefahren bin, war der Umstand,dass meine zwei Brüder auch in die gan-ze Sache eingeweiht, also Mitwisserwaren. Dazu hatte der jüngste Bruder amdarauffolgenden Tag seinen Abiturab-schluss. Also ging ich heim. Dort ange-kommen, empfing man mich schon nichtallzu klug. Ich musste, ohne eine Jackeanzuziehen, sogleich in den Jeep einstei-gen, und ab ging es nach Eppan in diedortige Kaserne. Ausgestiegen, oder bes-ser herausgeworfen aus dem Fahrzeug,begleitet von dauernden Fußtritten,brachte man mich in ein Zimmer, wo einRadio mit voller Lautstärke Lieder oderÄhnliches von sich gab. Dann ging eslos: Man sagte anfangs gar nicht, was

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man von mir wollte, sondern schlug mitLedergegenständen, Fäusten und Füßenauf mich ein, bis man mir dann endlichsagte, warum ich dort sei. Man sagtemir dauernd, dass sie mit uns tun undlassen könnten, was sie wollten, dennsie hätten «carta bianca» vom damaligenInnenminister Scelba, der sich, und dassoll auch einmal gesagt werden, vom Re-gierungskommissär, vom Bischof Gargit-ter und auch von Dr. Magnago – so sag-te man mir – Rückendeckung geben ließ.

Sie könnten also mit mir und allen,die in diese Sache verwickelt waren,machen was sie wollten. Ich zweifeltekeinen Augenblick an deren Aussagen,denn die Methoden der Folter, die sieanwandten, bewiesen es.

Man nannte Namen wie Kerschbau-mer, Koch Martin und andere, die ichnatürlich kannte. Mir war in dem Augen-blick bewusst, in welcher Situation ichmich befand und, dass das Seil gerissenwar. Man stellte mir also unzählige Fra-gen, gefährliche und weniger gefährli-che, aber ich wusste, was für mich undmeine Kollegen, die ich kannte, auf demSpiel stand. Ich verweigerte jede Aussa-ge, solange man mich mit solch barbari-schen Methoden klein kriegen wollte.Man gab mir zu verstehen, dass ichmeinen passiven Widerstand aufgebensollte, denn sie hätten noch ganz andereMethoden, um mich zum Sprechen zubringen.

Ich weiß nicht, wie oft ich bewusst-los war, wie oft man mich auf den Holz-boden, natürlich immer nackt, hin- undhergezogen hat. Ich weiß nur, dass ichheute noch Narben am Oberschenkelhabe. Ich ahnte nur von meiner Bewusst-losigkeit, weil ich mich beim Wiederer-wachen in einer Wasserlache befand. DieQuarzlampe hat auch das ihre dazu bei-getragen, mich klein zu machen. Ichhatte eine aufgeschwollene Zunge, ge-sprungene Lippen. Es war zum Verzwei-feln!

Ich war noch immer stumm, dennwie schon früher gesagt, weigerte ichmich, bei solchen Methoden zu sprechen.Nun, nach Stunden solcher Qualen wur-den mir Kerschbaumer und Koch gegen-übergestellt. Ich hatte bis dahin keineAhnung, was in der Kaserne noch vorsich ging, wer dort war usw. Man kannsich mein Erstaunen vorstellen, als ichKerschbaumer gegenüberstand und ermich fragte: „Luis, wie schaust denn duaus? Du musst denen sagen, was duweißt, sonst bringen sie dich noch um.Wir waren vorher Tiroler und als solchewollen wir denen sagen, warum undweshalb wir zu solchen Mitteln, also zurGewalt, gegriffen haben!» Ich erwiderteKerschbaumer: «Sag du denen, was duweißt, ich weiß nichts!»

Dann war ich wieder mit meinen Fol-terknechten allein in diesem Raum. Ichsah, wie man einen Tisch ins Zimmer

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brachte, eine Eisenkiste darauf stellte undmich aufforderte, mich auf die Kiste zusetzen. Wie schon erwähnt, war ich da-bei immer nackt und man gab mir zuverstehen, dass sie jetzt eine Methodeanwenden würden, bei der bis dahinnoch jeder ein Geständnis abgelegt hat.Mir war klar, soweit konnte ich nochmeine Gedanken sammeln, dass es jetztums Biegen und Brechen ging. Das Zwei-te war leider der Fall.

Lasst euch nun erzählen, wie es dann,am Kreuz liegend, auf dieser Kiste zuge-gangen ist: Vier Mann, je einer Händeoder Füße streckend, bogen mich überdie Kiste. Ich hab noch mit letzter Kraft

versucht, mich zu befreien und es ge-lang mir zwei bis drei Mal, sie abzusto-ßen. Ich versuchte mich mit letzter Kraftaufzurichten und schon waren ein Dut-zend oder mehr Männer da, um michbei den Händen und Füßen zu packenund vorne und hinten hinunterzuziehen,so dass ich das Gefühl hatte, man reisstmich auseinander. Nicht genug damit:Den Kopf nach unten, goss man mir eineArt Säure erst in die Nase, dann auch inden Mund. Ich weiß nicht, wie lange dasgedauert hat.

Jedenfalls kam es mir wie eine Ewig-keit vor und ich hatte das Gefühl, als seijede Sekunde die letzte, als sei alles vor-

V.l.n.r. Josef Spiss, Jörg Pircher, Engelbert Angerer und Franz Muther

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bei. Tatsache ist aber, dass der MenschUnglaubliches erträgt. Am Ende dieserTortur angelangt, weiß ich, dass ich nichtmehr stehen konnte. Ich war nicht mehrich, lebte aber noch. Ich muss hier schonsagen, dass es unmöglich ist, in Wortendas wiederzugeben, was man in einersolchen Situation empfindet. Man hatauch ein Schamgefühl und kann deswe-gen nicht alles so wiedergeben, wie esgenau war oder wie man es selbst emp-funden hat. Es gab nochmals Gegenüber-stellungen mit Kerschbaumer, Koch, Tiet-scher und anderen. Was dann gesche-hen ist und wie, ist heute noch für michschleierhaft.

Ich gebe zu, im Freiheitskampf dasMeine dazu beigetragen zu haben, je-denfalls sah ich mich einem Protokollgegenübergestellt, das zwar in grobenZügen stimmte, aber ich wusste nicht,wie das zustande gekommen war. In dennächsten Tagen wurde ich des öfterengerufen und musste Männern wie Inner-hofer, Gostner, Clementi, Kofler Hermannund anderen sagen: «Schaut mich an,mir ist das und das passiert. Wenn ihretwas in Bezug auf die Anschläge unddergleichen wisst, dann sollt ihr es sa-gen.» Ich weiß nur, dass es auch denenungefähr so erging wie mir. Kofler undClementi durften später heimgehen. Die

V.l.n.r. Bernhard Prantner, Fritz Mandl, Toni Felderer, Martin Koch und Hans Stampfl.

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anderen zwei kamen ins Gefängnis nachBozen, wo dann Gostner Anton nachwenigen Monaten verstarb.

Der Korrektheit halber muss ich sa-gen, dass es auch bei den CarabinieriMenschen gab, allerdings nur zwei. EinAppuntato in Eppan, ein etwas ältererMann, der uns immer wieder sein Bröt-chen zu essen gab und zuflüsterte: «Bu-ben, seid vorsichtig, was ihr sagt, ihrwollt doch eines Tages wieder nach Hau-se.» Der zweite war ein junger Burscheund der entschuldigte sich fast, bei die-ser Einheit zu sein. Er sei Koch, sagte eruns und wenn er nicht eine Wohnung inRom gekauft und dabei Schulden ge-macht hätte, ginge er noch heute vondieser Einheit weg, denn wie sich seineKollegen verhalten hätten, sei für ihnnicht zu ertragen gewesen.

Das waren in Kürze die ersten Erleb-nisse nach unserer Verhaftung. Ich möch-te noch im Telegrammstil einige Tief-punkte, die wir in den Gefängniszellenerleiden mussten, schildern. Nach alldem, was wir schon hinter uns hatten,war die erste Enttäuschung der Hirten-brief von Bischof Gargitter im August1961.

Man nannte uns darin Kommunistenoder deren Handlanger und fast wört-lich, man möge sich von uns distanzie-ren und man sollte bedenken, dass manes mit raffinierten Verbrechern zu tunhabe. Ihr könnt euch vorstellen, wie uns,

als zwischen vier Mauern Eingesperrte,zumute war. So mancher glaubte, jetztsei alles aus, jetzt stehen wir einsam undverlassen, alleine da auf dieser buckligenWelt. Aber siehe da, Gargitter hat dieRechnung ohne den Wirt gemacht, undzu unserer Freude hat ein Großteil derSüdtiroler Bevölkerung anders reagiert alser es wollte.

Das zweite Tief, das wir erlebenmussten, war der plötzliche Tod vonFranz Höfler. Ich kann euch sagen, dawird es zwischen den Wänden des Ge-fängnisses eng. Man glaubt, Platzangstzu haben und findet keine Worte mehr.Eine Spalte des Schreckens hat sich auf-getan, welche sich bei uns allen nur lang-sam und zögernd schloss.

Drittes Tief: Der nächste Kameradwurde von unserer Seite gerissen: Es warToni Gostner. Auch er im Blütenalter,Familienvater von mehreren Kindern, dieer mit Frau hinterließ. Ihr könnt euchunsere Moral und unseren seelischenZustand vorstellen.

Die nächste große Ungerechtigkeitund Enttäuschung, die wir erlebten, warder famose Carabinieri-Prozess in Trient.Nicht nur, dass man die Folterknechtenicht verurteilt hat, nach all dem, was sieuns angetan haben. Nein, man hat siefreigesprochen, als Helden behandelt undbefördert. Von mir aus gibt es eine sol-che Ungerechtigkeit nicht ein zweitesMal. Ich kann nur sagen: eine Schande!

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Die verwegene These der Staats-anwaltschaft, eines Organs, das imRechtsstaat Italien die Rechte des Staatesvertreten soll, war folgende: «Die Häft-linge seien nie misshandelt worden. DieCarabinieri hätten dies bestätigt. Dashartnäckige Beharren der Südtiroler aufihre Darstellung der Ereignisse sei nureine politische Intrige gegen dieCarabinieri. Da aber gerichtliche Gutach-ten Spuren der Misshandlungen festge-stellt hatten, müsse man davon ausge-hen, dass sich die Südtiroler diese Ver-letzungen selbst zugefügt hätten, um die

Carabinieri zu verleumden. Somit seiendie Häftlinge nichts anderes als Verleum-der und Lügner.» Sogar das Gutachtenvon Dr. Holzner für Franz Höfler, welchesals Beweismittel hätte dienen sollen, warnicht auffindbar und er selbst weilteangeblich in Spanien auf Urlaub.

Am 9. Dezember 1963 begann inMailand der sogenannte «Erste Mailän-der Sprengstoffprozess» gegen 94 An-geklagte, davon 69 in Haft. Jeden Tagfuhren wir, in Handschellen und zu fünftmit Ketten aneinandergebunden, mit Si-renengeheul durch die Straßen Mailands.

Der Prozess gegen die Folterer wurde von der Öffentlichkeit genauestens verfolgt. Die beschuldigten Carabinieriwurden nach ihrem Freispruch vom italienischen Carabinieri-General De Lorenzo belobigt und ausgezeichnet.Augenscheinlich wurde die Arroganz des italienischen Staates durch die Tatsache, dass nicht die angeklagtenCarabinieri als Angeklagte vorgeführt wurden, sondern die gefolterten Südtiroler Häftlinge welche in Ketten demProzess beiwohnten.

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In den folgenden sieben Monaten wurdeim In- und Ausland viel über das Südti-rol-Problem geschrieben, bedingt durchdie Zeugenaussagen und die Verteidi-gungsreden unserer Anwälte. Lediglichder bereits genannte Dr. Riz hat keinWort darüber verloren. Hätten sich allean die Methode von Riz gehalten, wärenwir als Kriminelle verurteilt worden, undnichts wäre über Südtirol geschriebenworden!

Sepp Kerschbaumer hatte sich beiseinen Aussagen klar und offen zur Sa-che bekannt und hatte die ganze Ver-antwortung dafür übernommen. Das hatalle tief beeindruckt, und sogar die Zivil-kläger konnten ihm ihre Achtung nichtversagen.

Am 16. Juli 1964 gegen Mitternachtwurde vom Gerichtspräsidenten Simonet-

Zehn Carabinieri wurden wegen der brutalen Folterungen an den Südtiroler Häftlingen angeklagt. Von links nachrechts: Carabiniere Amanzio Pozzer (er misshandelte Sepp Innerhofer und Martin Koch), Leutnant Vilardo(verantwortlich für die Folterung Josef Gostners, der später starb) und Mará (er quälte Erich Walter und Veronesi).Anstelle einer Verurteilung erhielten die Carabinieri eine Auszeichnung.

ti das Urteil verkündet. Im Saal war esganz still, alle blickten gespannt auf denRichter. Das Urteil lautete: Höchststrafefür den flüchtigen Luis Amplatz mit 25Jahren und 6 Monaten. Von den Inhaf-tierten erhielt Kerschbaumer mit 15 Jah-ren und 11 Monaten am meisten. Ge-samtstrafe 413 Jahre Haft! Einige wur-den aus Mangel an Beweisen freigespro-chen, ein Teil hatte die Strafe bereitsverbüßt, die anderen blieben weiterhinin Haft. Der Zuschauerraum war zumBersten gefüllt mit unseren engsten Ver-wandten. Auf den einen Gesichtern sahman Freude, auf den anderen tiefe Ent-täuschung, zum Teil Verzweiflung.

Auch der Abschied von vielen Kame-raden nach Prozessabschluss in Mailandwar qualvoll. Ich möchte einen solchenTag nicht mehr erleben. Wir kamen von

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traurigen Begebenheiten nicht mehr her-aus. Luis Amplatz wurde meuchlingserschossen, aber auch der Tod SeppKerschbaumers im Gefängnis von Veronawar für mich ein besonders harter Schlag.Es wurde wieder eng in der Zelle, manhatte ein Erdrückungsgefühl. Wir im Tri-entner Gefängnis, wo wir mehrere Jahreverbrachten, wollten es einfach nichtglauben, dass es einen Mann wie SeppKerschbaumer nicht mehr gab.

So erlebte ich Tiefen, die mein Lebenzeichneten. Ich habe das immer gesagtund will es wiederholen: Es ist unglaub-lich, was ein Mensch alles imstande istdurchzuhalten. Wie ihr aber seht, ichhabe alles gesund überlebt und wiekönnte es anders sein, durfte und darfich nach meiner Freilassung auch Hö-hen, Freude und Genugtuung erleben.Mit mir freuen sich meine Frau und dreigesunde Burschen, wobei ich dies allesnoch lange genießen möchte.»

In Mailand standen 69 Aktivisten vorGericht. Verhaftungen gab es nach derFeuernacht weit über hundert. Schät-zungsweise wurden ca. 40 Personen,welche am BAS beteiligt waren, nichtverhaftet, das heißt, trotz der Folterun-gen und trotz der Repressalien entgingfast ein Drittel der Beteiligten einer Ver-haftung.

Nur wer selbst Opfer von grausa-men Misshandlungen wurde, kanndas Ausmaß der erlittenen Schmerzen

und Demütigung wirklich erfassen.Die aus den Gefängnissen geschmug-gelten Briefe und Berichte über dieFolterungen in den verschiedenenCarabinierikasernen sind ergreifendeDokumente menschlicher Verachtungund Brutalität, die eine machtgierigeund skrupellose Politik nicht besserbeschreiben können.

Die Folterer wurden aus politischerOpportunität angeklagt und vor Ge-richt gestellt, doch wurden durch dieAmnestie oder Freisprechung der Be-troffenen ihre Opfer ein zweites Malgedemütigt.

Der Prozess gegen die Carabinieribegann erst am 20. August 1963,nach mehreren Interventionen zur Ein-setzung einer Untersuchungskommis-sion, die vom Innenminister Scelbaabgelehnt wurde. Das Verfahren kamjedoch wegen eines Vorfalles am 18.Juni 1961 zustande:

Die Carabinieri von Lavis im Tren-tino verhafteten damals den 38-Jähri-gen Livio Pergoll und den 42-JährigenAgostino Castelli wegen des Verdach-tes auf Beteiligung an den Anschlä-gen. Die beiden wurden in dieCarabinierikaserne von Neumarkt ge-bracht und dort misshandelt. Ebensowurden Männer aus Neumarkt, Mon-tan, Tramin und Kurtatsch in dieselbeKaserne gebracht und schwer miss-handelt. Der Bezirksrichter von Neu-

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markt, Luciano Cucciarielli, stellte beider Einvernahme deutliche Folterspu-ren fest und ließ alle Verletzungenvom Gerichtsmediziner genau regis-trieren. Außerdem informierte er dieStaatsanwaltschaft von Trient. LivioPergoll erstattete ebenfalls Anzeige.

Der Trientner UntersuchungsrichterFabio De Luca plädierte für die Eröff-nung eines Verfahrens. Owohl fast 50Anzeigen vorlagen, wurden nur 10

Carabinieri vor Gericht gestellt. Unddas Ende des Gerichtsverfahrens istbekannt. Ein Trienter Jurist und engerFreund des wenig später verstorbenenTrientner Gerichtspräsidenten Giaco-melli erzählte, dass das Gericht sichbereits für die Verurteilung entschie-den hatte, als von höchster römischerStelle massiv Druck ausgeübt wurde.Der folgende Freispruch wurde inter-national heftigst kritisiert.

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Mit großer Genugtuung haben wir vernommen, dass eine unglaublich große

Volksmenge aus allen Teilen unseres Landes zusammengeströmt ist, um un-

serem guten Kameraden Franz Höfler das letzte Geleit zu geben. Wir konnten

daraus mit Befriedigung schließen, dass das Südtiroler Volk zur gerechten

Sache steht. Franz Höfler war ein netter, ruhiger Junge. Wir sind oft mit ihm

im Hof spazieren gegangen; er hat uns erzählt von seinen grausamen Tortu-

Dieser Brief, den die Häftlinge gemein-sam im Gefängnis verfasst haben, musstewie viele andere Briefe auch, aus demGefängnis geschmuggelt werden.

Anlässlich eines Besuches seiner Frauund einer seiner Söhne gelang es Sepp Mit-

terhofer in einem unbewachten Augenblick,während er seinen Sohn kurz umarmte dengefaltenen Brief in die Kapuze seines Män-telchens zu schieben. So konnte der Briefdas Gefängnis verlassen und an die Öffent-lichkeit weitergeleitet werden.

Brief aus dem Gefängnis Bozen, vom 29.11.1961

SO WURDEN WIR SÜDTIROLERVON DEN CARABINIERI GEFOLTERT!

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ren, die er bei den Carabinieri durchmachen musste. Er klagte über ganz

unbestimmte, uncharakteristische Beschwerden, seitdem er bei den Carabinie-

ri mit den grausamsten Martern gepeinigt worden war. Franz Höfler sagte,

dass er in seinem Leben nie eine Stunde krank war. Er sagte uns, seitdem er

bei den Carabinieri diese Torturen durchgemacht hatte, fühle er sich nicht

mehr gesund, bis er schließlich einmal im Hof während des Spazierganges

über so furchtbare Schmerzen in der Brust- und Rückengegend klagte, dass

er fast zusammenbrach. Dr. Sullmann leistete ihm die erste Hilfe und beglei-

tete ihn in die Zelle. Er stellte fest: Beginnende Lähmungserscheinungen des

ganzen linken Ober- und Unterarmes. Er erkannte sofort die Dringlichkeit und

Schwere des Falles und beantragte die sofortige Einlieferung ins Krankenhaus;

jedoch als ebenfalls Inhaftierter konnte seine Anordnung nicht befolgt wer-

den und somit konnte er erst nach dreistündigem Abwarten des Gefängnis-

arztes ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Liebe Landsleute, ihr werdet Euch wundern, dass einer unserer besten Kame-

raden gegangen ist. Wir alle wundern uns nicht, wir wundern uns nur, dass

nicht einer oder mehrere schon während der Folterungen in der Torturenkam-

mer tot liegen geblieben sind. Dass der liebe Verstorbene an den Folgen der

Misshandlung gestorben ist, daran glauben wir, werdet Ihr alle nicht zweifeln.

Anlässlich des Todes eines unserer Kameraden, der an den Folgen dieser

schrecklichen Martern gestorben ist, möchten wir versuchen, Ihnen in groben

Umrissen ein kleines Bild zu machen über die fast nicht zu glaubenden grau-

samen Misshandlungen sowie teuflischen Verhöre und Verspottungen, die

uns zugefügt worden sind. Wir betonen, nur ein kleines Bild, denn man kann

das unmöglich in Worten schildern, das muss man persönlich erlebt haben.

Offen gestanden, es war schrecklich, sodass wir alle noch heute zutiefst be-

eindruckt sind und davon gar nicht mehr sprechen wollen, da wir sonst von

dem Gedanken gar nicht mehr loskommen und darunter die Nerven leiden.

Aber einmal muss es gesagt werden, denn das ganze Südtiroler Volk soll und

muss es wissen und es darf nicht verschwiegen werden, dass die Carabinieri

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uns fast bis zum Tode in grausamster Weise gemartert, verhöhnt und verspot-

tet haben, besonders an den Geschlechtsteilen. Diese Martern kommen den

ruchlosen Misshandlungen in den KZs gleich, wenn sie sie nicht gar an Bestia-

lität, besonders an den Geschlechtsteilen, übertroffen haben.

Liebe Landsleute, nicht nur einen Toten haben wir zu beklagen, nein, wir

haben auch viele Invaliden; zum Teil werden sie sicher lebenslänglich einen

Defekt mit sich tragen und nur mehr halbe Menschen bleiben. Viele klagen

über unbestimmte und uncharakteristische Beschwerden, andere klagen über

dauernde Kopfschmerzen und Schwindelgefühl mit eigenartigem Rauschen

im Kopf infolge von wiederholter Bewusstlosigkeit und Gehirnerschütterun-

gen; da ja ein großer Teil bis zu stundenlanger Bewusstlosigkeit geschlagen

wurde. Andere klagen über starke Nacken- und Wirbelsäulenbeschwerden,

wieder andere über ziehende Schmerzen in der Nierengegend infolge von

Nierenquetschung und dadurch blutigem Urin.

Einigen rinnt noch immer blutiger Eiter aus beiden Ohren heraus infolge des

Zustandes nach beiderseitigem Trommelfelldurchbruch und dadurch Infektion

und Einschränkung des Hörvermögens. Manche leiden unter hochgradiger

Einschränkung des Sehvermögens, mit chronischer Bindehautentzündung,

infolge von stundenlangem Stehen vor Quarzlampen. Andere klagen über

vollständige Schlaflosigkeit, Aufspringen und Aufschreien während des Schla-

fens, wieder andere über Nervenzerrüttung und dauerndem leichten Zittern

am ganzen Körper. Wieder andere beschweren sich über chronische Magen-

entzündung infolge Verbrennung der Magenschleimhaut nach Einschüttung

von Säuren. Nicht zu sprechen von den Fällen, die an Rippenbruch und Kie-

ferbruch leiden, oder von jenen, denen man die Zähne mit der Faust heraus-

schlug und die übriggebliebenen noch wackeln. Weiters chronische, eitrige

Entzündungen an den Zehen- und Fingernägeln mit Abgang des Nagels infol-

ge von Quetschungen mit der Beißzange und Schlagen mit dem Gewehrkol-

ben. Infolge von Streckung auf der Streckbank entstanden Narbenbrüche und

weitere Narbenbildungen durch Verbrennungen von Zigaretten sowie Schla-

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gen mit kantigen Gegenständen. Viele schauten schrecklich aus, infolge von

Blutergüssen und wurstartigen Striemen am ganzen Körper. Sie sahen aus wie

Christus nach der Geiselung. Vielen hatte man die Haut mit der Beißzange

zusammengezwickt, wobei die Zange so gedreht wurde, dass man heute

noch die Narben sieht. In den meisten Fällen wurden die Leute splitternackt

aufs Grausamste gemartert, verhöhnt und verspottet. Bei vielen Kameraden

wurden die Torturen und satanischen Verspottungen Tag und Nacht durchge-

führt, man ließ sie nie zur Ruhe kommen. Zuerst mussten sie mit hochgeho-

benen Armen stundenlang in Habachtstellung stehen bleiben, beim Ermüden

hauten sie ihnen mit dem Gewehrkolben oder mit der Faust ins Gesicht und

unter die Achselhöhlen, bis sie schließlich nach stundenlanger Übermüdung

zusammenbrachen, worauf man sie mit furchtbarem Gebrüll mit den Füßen

stieß. Inzwischen wurden sie immer wieder in die Folterkammer geführt oder

von zwei Carabinieri hineingeschleppt. Dann riss man ihnen unter furchtba-

rem Gebrüll und Wutausbrüchen die Kleider vom Leib bis zur vollständigen

Nacktheit; zuerst die gewohnten schweinischen Verhöhnungen und Verspot-

tungen, dann schlugen sie mit den unglaublich schmerzhaften Stahlruten

sowie Gewehrkolben und Fausthieben, bis sie bewusstlos zum Teil am Boden

liegen blieben. Manche Kameraden haben sie in diesem Zustand am Boden

liegen gesehen, mit halbgeschlossenen Augen und kein Lebenszeichen mehr

von sich gebend, woraufhin sie sofort in eine Decke gehüllt und aus der

Folterkammer hinausgetragen wurden. Andere spannte man splitternackt auf

die Streckbank, wobei man ihnen die Wirbelsäule krümmte durch Unterlegen

eines Holzkoffers. Und beim Heulen aufgrund der unbeschreiblichen Schmer-

zen schüttete man ihnen eine Säure in den Mund, sodass sie an unsagbarem

Erstickungsgefühl litten und nicht hochkommen konnten. Einigen wurden

sogar Käfer (2-3 cm große) auf den Nabel gelegt, wo diese dann das Bestre-

ben hatten, in die Tiefe des Nabels zu krabbeln und dort die Haut zusammen-

zuzwicken. Die Kameraden erzählen, dass diese Streckbankfolterungen eine

der grausamsten Martern war. Anderen wieder wurde je ein Korkpol ins Ohr

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gesteckt und beim Einschalten des Stromes ein unbeschreibliches Geräusch

erzeugt, wobei sie einen intensiven Schmerz in den Ohren spürten, ihnen

nachher Blut aus den Ohren rann und sie bis heute schwerhörig sind. In der

Zwischenzeit mussten diejenigen, die noch fähig waren, wieder im Gang mit

dem Gesicht zur Mauer stehen, aber viele trug man teils ohnmächtig und

zusammengeschlagen fort, da sie infolge Ermüdung beim Stehen zusammen-

brachen und am Boden lagen wie tote Hunde. Eine andere sehr grausame

Folterung war, dass man sie in der mittleren Hochstellung mit beiden Armen

nach rückwärts verschränkt stundenlang an das Stiegengeländer kettete. Eine

Begleiterscheinung der grausamen Folterung war das unbeschreibliche Durst-

gefühl. Die meisten Kameraden sind ja mitten in der Sommerhitze verhaftet

worden (Mitte Juli), und man gab ihnen keinen Tropfen Wasser, nicht einmal,

um den Mund zu benetzen, und somit waren sie am ganzen Körper ausge-

trocknet, besonders durch das starke Schwitzen beim Stehen vor der heißen

Quarzlampe. Manche Kameraden erzählen, dass sie 4 – 5 Tage kein Wasser

bekommen hätten. Eine weitere Begleiterscheinung der schrecklichen Tortu-

ren war, dass man sie nie zur Ruhe kommen ließ, bei manchen sieben Tage

lang. Tag und Nacht ohne Unterbrechung wurden sie gequält, gemartert,

verhöhnt und verspottet. Um ihren unglaublichen Hohn und Spott zu zeigen,

spuckten sie manchem in den Mund oder steckten ihnen den schmutzigen

Abortbesen in den Mund. Alles Hohn und Spott, den wir über uns ergehen

lassen mussten.

Nun möchten wir noch kurz etwas berichten von den empfindlichsten Ver-

höhnungen satanischer und brutaler Art, um den ganzen Folterungen den

Höhepunkt zu geben.

Wir schämen uns zwar, es zu erzählen, aber es muss gesagt werden. Es

braucht wirklich eine teuflische Phantasie, dass Menschen zu so etwas fähig

sind. Wie wir in unserem Schreiben schon dauernd betont haben, hatten es

diese schweinischen Teufel hauptsächlich auf die Geschlechtsteile abgesehen.

Splitternackt vor ihnen stehend, wurde uns das Geschlecht mit nicht auszu-

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denkenden Phrasen verspottet und verhöhnt; dann machten sie sich lustig

darüber. Sie zündeten mit einem höhnischen Lächeln eine Zigarette an und

verbrannten uns mit einem arroganten Lächeln das männliche Glied und den

Hodensack. Dann nahmen sie spitze Nadeln und stachen uns in die Ge-

schlechtsteile. Ein anderer spannte eine Schnur der elektrischen Leitung und

elektrisierte einige Kameraden am männlichen Glied, ein anderer zerdrückte

ihnen die Hoden. Unter schrecklichem Wutgeheul drohte man ihnen, mit

einem Messer das ganze Geschlechtsteil wegzuschneiden, damit endlich diese

verfluchte Südtiroler Sippe aussterbe. Um das Schmerzgeheul der Kameraden

zu übertönen, schalteten sie das Radio in voller Lautstärke ein.

Abschließend möchten wir nochmals betonen, dass wir nur versuchen, ein

kleines Bild zu geben von dem, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat. Man

kann es nicht in Worten schildern, so grausam war es.

Und trotzdem bezeichnet man uns als die bestbehandelte Minderheit der

Welt.

Die politischen Südtiroler Häftlinge!

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Möchte Ihnen Folgendes mitteilen, damit Sie sichein Bild machen können, wie man in einem freiendemokratischen Staat die Polizeiverhöre führt. Ichwurde am 10. Juli dieses Jahres vom Carabinieribri-gadier von Laas in die Kaserne gerufen, es wargegen 17.30 Uhr. In der Kaserne sagte der Briga-dier, es würde jemand kommen, um einige Fragenan mich zu richten, dann könnte ich gleich wiedernach Hause gehen. Ich musste warten. Gegen 21Uhr wurde ich aus der Kaserne geführt und musstein eine Campagnola, welche vor der Kaserne stand, einsteigen. Gleich daraufbrachte man Matthias Parth aus Eyrs, welcher ebenfalls im Wagen Platz neh-men musste … Wir wurden nach Meran in die Carabinierikaserne gebracht …Gegen Mitternacht wurde ich in ein anderes Zimmer geführt, dort stellte einMann in Zivil einige Fragen an mich. Wie ich nachher erfahren konnte, wares Capitano Marzollo oder Marzolla. Nachdem ich diese Fragen nicht zu seiner

Stellvertretend für die vielen Be-richte über die erlittenen Folterungen,die aus dem Gefängnissen geschmug-gelt wurden, wird der Brief von FranzMuther aus Schlanders abgedruckt.Die meisten «Folterbriefe» wurden inder Broschüre «Schändung der Men-schenwürde in Südtirol» veröffentlichtund im ganzen deutschen Sprach-

Franz Muther

raum verteilt. Leider erkannten diedamaligen politisch Verantwortlichenauf der Südtiroler Seite nicht das po-litische Gewicht dieser Briefe. Siewären bei den internationalen Ver-handlungen ein deutliches Druckmit-tel gewesen. Die Originale der Berich-te müssten sich noch heute im Besitzder Südtiroler Volkspartei befinden.

AN DIE LANDESLEITUNG DER SÜDTIROLER VOLKSPARTEI,Bozen, am 3. November 1961

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Zufriedenheit beantworten konnte, wurde ich beschimpft und verhöhnt, erdrohte mir mit Misshandlungen, unter anderem würde man mir die ganzenHaare ausreissen. Ich musste die Hände hochhalten, dann schlug er mir miteinem Eisenstäbchen auf die Finger. Marzolla rief nach einem gewissen Lungo– dieser war ein großer, kräftiger Mann – und gab ihm den Befehl, michabzuführen zur «cura speciale» … Ich wurde mit dem Rücken gegen dieWand gestellt und von zwei kleinen Scheinwerfern, welche auf Augenhöhe80 cm vor mir aufgestellt wurden, angestrahlt … Als meine Augen genügendgeblendet waren, wurde ich in die Mitte des Zimmers gezogen, um michherum standen ungefähr sechs bis acht Mann in Zivilkleidung und einer inUniform. Jener in Uniform ging auf mich zu, verhöhnte, beschimpfte mich,drohte mir auf das Schärfste, dann auf einmal fasste er mich an der Brust, rissmir das Hemd herunter und zugleich Haare aus der Brust. Dann schlug er mitder Faust auf die Schädeldecke los, zugleich schlug der Lungo an der Seitemeines Kopfes, besonders aufs linke Ohr, wo ich heute noch immer Schmer-zen habe und auch schlecht höre.Von den anderen erhielt ich Fußtritte in den Unterleib, ich konnte nicht mehrsehen, mir wurde schwarz vor den Augen. Nach einiger Zeit wurde ich wie-derum mit dem Rücken gegen die Wand gestellt, diesmal brachten sie einengroßen Scheinwerfer, welcher wieder auf Augenhöhe 60 bis 80 cm vor miraufgebaut wurde … Jedesmal, wenn mir vor Schmerzen die Augen zufielen,erhielt ich Stöße in alle Körperteile, besonders Fußtritte an den Schienbeinen… Diese Tortur vor dem großen Scheinwerfer dauerte fünf bis sechs Stundenununterbrochen … meine Bitte um Wasser wurde höhnisch verneint.Als endlich die Scheinwerfer abgeschaltet wurden, glaubte ich, das Augen-licht verloren zu haben … am ganzen Körper nass vor Schweiß … wurde ichin die Mitte des Zimmers auf einen Stuhl gebracht, es war eine fürchterlicheZugluft, da Fenster und Türen offen waren. Marzollo drohte mir auch, 20 KiloGewichte an die Geschlechtsteile hängen zu lassen. Ein anderer sagte mir,jetzt würde man meine Frau holen, die wird man schon zum Sprechen brin-gen. Es war nicht auszuhalten, der Gedanke, dass man jetzt auch noch eine

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unschuldige Frau auf solche Weise, wofür es für einen zivilisierten Menschenkeinen Ausdruck mehr gibt, verhört, war für mich furchtbar … Ich hatte auchroten Urin, auch zwei bis drei Tage im Bozner Gefängnis, wo ich am Sonntag,den 17. Juli, eingeliefert wurde …… möchte ich davon absehen, die Ausdrücke, welche man mir gegenüber,gegen unsere Volksvertreter und das ganze deutsche Volk gebrauchte, zuwiederholen. Jedoch sei eines erwähnt, dass jener in Uniform mich anschrie:«Voi tutti porchi tedeschi si dovrebbe inpiccare!»… habe ich auch Anfang Oktober eine Anzeige wegen der Misshandlungenan die Staatsanwaltschaft von Bozen gemacht. Nachdem ich aber bis heutenichts davon gehört habe, befürchte ich, dass man alles vertuschen will.Nachdem ich seelisch, moralisch und körperlich vollkommen zerschlagen war,kann ich mich nicht mehr erinnern, was ich bei den Carabinieri sowie auchbeim Staatsanwalt Dr. Castellano aussagte und unterschrieb. Die hier ange-führten Misshandlungen entsprechen voll und ganz der Wahrheit. Ich möchteSie aufrichtig bitten, dass Sie alles daransetzen, um weitere solche Schandta-ten am Südtiroler Volk zu verhindern …

Es zeichnet hochachtungsvollFranz Muther, Laas

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Bozen, 1. Dezember 1961

Lieber Herr Pfarrer!

Inzwischen hat sich allerhand zugetragen. Insbesondere hat uns alle der tra-gische Tod unseres Kameraden Franz Höfler schwer aus der Ruhe gebracht.Es ist vielleicht nicht nur sein plötzliches Gehen von uns, das uns alle soaufschreckte oder vielmehr dieser traurige Umstand überhaupt, dass er seinjunges Leben für die Heimat lassen musste, das eindeutig auf die schrecklich-sten Martern und teuflischen Misshandlungen von Seiten der Carabinieri zu-rückzuführen ist. Man hat anfangs zuviel über unsere Verbrechen (Sprengun-gen) geschrieben und uns samt und sonders zu Verbrechern gestempelt, weilwir, und ich muss dies besonders betonen, nichts anderes getan haben, als inder Ausweglosigkeit und der verzweifelten Lage, in die uns Italien durch seinunverständliches Verhalten und Gebaren uns Südtirolern gegenüber gebrachthat, eine Verzweiflungstat gesetzt haben. Auch ein jedes Tier, welches zuTode gequält wird, wird schon durch seinen Instinkt zur Verzweiflungstatgetrieben, um sich vom Tode zu retten. Und war es nicht die ganze Zeitherauf, seit wir unter Italien sind, ein ständiges Quälen und Peinigen unseresVolkskörpers als ganzes und im Einzelfalle?Mit ruhigem Gewissen kann ich all das vor Gott und den Menschen verant-worten, was durch meine Initiative geschehen ist, denn all unseren Handlun-

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gen lag ein Grundsatz zugrunde, keinem Menschen etwas zuleide zu tun! Eswäre endlich an der Zeit, die ganze Angelegenheit nüchtern und im Zeichendes Rechtes zu sehen, denn es steht einwandfrei fest, dass die Schuld undUrsache bei Italien liegt, das uns bis zum heutigen Tage unsere heiligen Rech-te vorenthalten hat!Durch das Vorgehen der Polizeibehörde bei den Vernehmungen, wo an denmeisten von uns sadistische und verbrecherische Foltermethoden angewandtwurden und die der christlichen Sittenlehre und der einfachsten Moral einfachHohn sprechen, hat sich Italien eine Schuld aufgeladen, von der es sich kaummehr entledigen wird können. Blind und taub geht man scheinbar an diesemVolksmord vorbei und man wagt es nicht, endlich diejenigen zur Rechenschaftzu ziehen, die soviel Schuld und Schand auf sich geladen haben.Es ist nicht Hass, der meine Feder führt, als vielmehr die Empörung gegenbegangenes Unrecht und dieses zu verschweigen! Möge der liebe Herrgott,zu dem ich ein felsenfestes Vertrauen habe und täglich bete, seine Gerech-tigkeit walten lassen!

Viele Grüße an alle.

Es grüßt herzlichstSepp Kerschbaumer

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DIE FREIHEIT NICHT HABEN UND … SORGENHelmut Kritzinger

Helmut Kritzinger wurde am15.8.1928 in Sarnthein geboren. Er ar-beitete als Lehrer und Journalist. Er istverheiratet und Vater von sechs Kindern.

Nach der Verhaftung im Sommer1961 und anschließender Freilassungkonnte er kurz vor seiner Wiederverhaf-tung über die «grüne Grenze» nach Inns-bruck flüchten. Nach der Beendigung desMailänder Prozesses konnte er wieder freinach Südtirol einreisen.

Zuerst arbeitete er bei den «TirolerNachrichten» und dann als Beauftragterdes Tiroler Landeshauptmannes EduardWallnöfer im Sozialbereich. Seit 1983 ister Mitglied des Innsbrucker Stadtrates.

Gefangen sein, das Ungewisse, wielange es dauert, nicht die Möglichkeit ha-ben, einen Raum zu verlassen oder inweiter Ferne vorbeiziehende Menschenzu sehen und selbst diese Freiheit nichtzu haben – schlimmer ist nur noch kranksein und nicht wissen, ob man gesundwird. Das sagte mir einmal Josef Fontanain der Zelle 12 im Gefängnis von Bozen.

Fontana hatte Sprengstoff in das To-lomei-Haus in Montan gelegt. Nach demAnschlag, der zu unserem großen Bedau-ern lediglich ein Loch in der Hausmauerverursachte, radelte Fontana über Leifers

und Bozen nachEppan. Am Radhing ein alter Ma-lerkübel, in demnoch einige Dyna-mit-Rollen lagen.An den Wachen der vollbesetzten alar-mierten Kasernen in Eppan zog er, miss-trauisch beobachtet, aber unbehelligt, inseinem verschmierten Maleraufzug vor-bei.

Man hatte Zeit, in den langen Mona-ten im Gefängnis einige Erlebnisse aus-zutauschen. Franz Höfler aus Lana – einriesiger, kräftiger, junger Mann – traf ichim Gefängnishof von Bozen. Er trug San-dalen und hatte zerquetschte, blau ge-färbte Zehen. Auf meine Frage antwor-tete er, es seien dies die Hiebe der Ge-wehrkolben beim Verhör gewesen. Vieleandere Beispiele ließen sich anführen,Höfler starb an den Folgen der Folterun-gen.

Ich schrieb Monate später einen lan-gen Brief an seine Mutter nach Lana, dieKopie des Briefes ging verloren. Als ichnämlich nach der Haft und anschließen-der provisorischer Freiheit wieder einge-sperrt werden sollte, versteckte ich vieleUnterlagen im Stadel des Widums inSarnthein. Der Pächter, Hans Messner, ein

Helmut Kritzinger

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verlässlicher Mann, hatte Sorge, entdecktzu werden. Es genügte damals der leises-te Verdacht und schon wurde jedermanneingesperrt. Messner verbrannte die Un-terlagen.

Im Gefängnis konnte man einmal inder Woche nach Hause schreiben. Wenndas Essen in die Zelle gebracht wurdeoder wenn die Wache zwei Mal am Tagmit einem schweren Eisenstab die Fen-stergitter prüfte, konnte man seineSchreibabsichten melden. Dann ging es

in die Schreibzelle. In dem kleinen, engenRaum saßen dann mehrere Häftlinge.

Als einmal mein Nachbar sich bück-te, sah ich auf seinem Kopf einige taler-große, blutige Flecken. Die Haare warenbüschelweise mit der Kopfhaut ausgeris-sen worden. «Was ist denn Dir passiert?»«Sie haben mich beim Verhör an denHaaren herumgeschleift!» Es war SeppMitterhofer.

Zuerst lag ich 21 Tage im Keller desBozner Gefängnisses in Einzelhaft undkam dann nach etlichen Zwischen-stationen in die Zelle 12. Sieben Perso-nen waren aus politischen Gründen inder Zelle und dazu ein Krimineller ausRom.

Statt seiner brachte man eines Tageseinen jungen Pusterer, Schwingshackl ausMühlbach. Er war beim Wildern erwischtworden und litt arg unter dem Gefan-gensein, aber noch mehr an etwas ande-rem: Uns fiel auf, dass er entweder aufdem Bauch im Bett lag oder in der Zellestand. Auf unser Drängen erzählte er,dass eine Ladung Schrotkugeln in seinemHinterteil steckte. Sein Zorn brachte unszum Schmunzeln.

Arg mitgespielt hatten die Carabinie-ri einem jungen Klausner. Beim Vorbei-gehen an einer Carabinieristreife imitier-te er ein lautes Tönchen aus dem Mund.Die Streife nahm ihn fest, er war vierMonate eingesperrt wegen «Beleidigungder Nation».

Das teilweise zerstörte «faschistische Heiligtum»:das Tolomei-Haus in Glen (1. Februar 1961)

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Wie kam es zu meiner Verhaftung?Ich war SVP-Obmann, Mitglied des Par-teiausschusses, Gemeinderat, hatte dieUNO-Briefaktion in Südtirol organisiert.Viele halfen mit, so der spätere Landes-rat Sepp Mayr, aber auch Pater LudwigGufler, Kooperator in Sarnthein. InSarnthein baute die ENEL, nachdem siemit dem Wasser der Talfer zwei Elektro-werke errichtet hatte, drei große Famili-enhäuser für ihre Schleusenwärter, diesich aus Italien hier ansiedelten. Ich pro-testierte heftig, auch bei der ENEL-Zen-trale in Bozen, weil ich glaubte, im Sarn-tal hätte man genügend Arbeitskräfte fürdie Tätigkeit als Schleusenwärter findenkönnen.

Etliche Tage danach explodierte in derNähe dieser Häuser ein Knallkörper. Dasbot den Carabinieri Anlass, Hausdurch-

suchungen zu machen und mich ins Boz-ner Gefängnis zu bringen. Es war der 7.April 1961. Das Untersuchungsverfahrenwurde eingeleitet und dauerte Monate.Am 25. November wurde ich provisorischentlassen mit den Auflagen, mich zweiMal wöchentlich bei den Carabinieri zumelden und das Gemeindegebiet, außerin Begleitung eines Carabiniere, nicht zuverlassen. Neun Monate dauerte dieserZustand, dann wollte man mich wiedereinsperren.

Als die Verhaftungswelle im Juni1961 über 120 Südtiroler ins Gefängnisbrachte, sagte der dortige «comandan-te»: «Li portono come le galline» (Wiedie Hühner werden sie eingefangen). DieItaliener übten eine absolute Macht aus.Sie wussten, kein Staat würde sie daranhindern. Politisch waren weder Deutsch-

An langen Ketten aneinander gefesselt wurden die Angeklagtenwie Schwerverbrecher zu den Verhandlungen der Mailänder Prozesse geführt.

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land noch Österreich ein ernstzunehmen-des Gegengewicht.

Die Geheimdienste arbeiteten. DieRolle des italienischen Geheimdienstes inSüdtirol bei vielen sogenannten Anschlä-gen muss erst noch beleuchtet werden.Unabhängig vom Geheimdienst, war dieRolle der Carabinieri damals von einerganz anderen Vorstellung geprägt – mitmenschlichen Ausnahmen natürlich, wieüberall.

An einem Sonntag im Frühjahr 1958standen Gerold Regensberger und ich amPostplatz in Sarnthein. Da kam Carabi-nierimaresciallo Palaia hinzu. Ihm unter-stand das ganze Gemeindegebiet. Wirwechselten einige Worte, da sah Palaiaeinen jungen Öttenbacher, L. Eschgfäller,die Dorfstraße herunterkommen. Er hät-te sich in der Kaserne wegen des Militär-dienstes melden sollen. Palaia winkte;Eschgfäller kam zögernd zu uns her undder Maresciallo sagte: «Wenn du mit mirsprichst, stell deinen Fuß unter meinenAbsatz!»

In der Faschistenzeit wurden unteranderem der «Laurinbrunnen» und das«Mädchen von Spinges» als Kriegsbeutein den Schlosshof von Rovereto gebracht.1959 beabsichtigten wir, die Bronzesta-tue der Katharina Lanz, Mädchen vonSpinges, eines Nachts aus dem Schloss-hof zu entführen. Dabei waren JörgPircher aus Lana, – er hatte einen kleinenPritschenwagen, der einem Verwandten

gehörte – Luis Amplatz aus Bozen, ToniFelderer, Josef Lobis und Franz Kienzl ausSarnthein.

Unser abenteuerliches Unternehmenscheiterte an den bellenden Hunden, diein der Nacht einen Mordskrach schlugenund vor allem an dem tonnenschwerenDenkmal. Enttäuscht fuhren wir heim-wärts, es wäre ein guter Streich gewesenund eine Genugtuung für unsere bren-nende Ungeduld.

Die Chancen, etwas auf parlamenta-rischer Ebene für Südtirol zu erreichen,waren gleich Null. Mit Österreich als Part-ner des Pariservertrages zu verhandeln,kam nicht in Frage, es sei eine innerita-lienische Angelegenheit, lautete die offi-zielle Stellungnahme aus Rom. Die Su-che nach Auswegen war bei vielen Süd-tirolern vorhanden.

Kurz nach dem Krieg fuhr der abge-wählte englische Premier Winston Chur-chill auch nach Südtirol. Er hielt sich aufdem Karerpass auf. Der Sarner SebastianMair, Asterbauer in Pens, hatte eine Sil-berfuchsfarm. Ein besonders schönesStück schenkte er Churchill und suchteihn im Hotel Karerpass auf. Es war amspäten Vormittag, erzählte mir der AsterWastl. Er meldete sich mit dem Wunsch,den Ex-Premier sprechen zu können. DerButler machte keine Anstalten. Dann riefChurchill vom hinteren Zimmer: «LassenSie den Mann herein!» Der Butler führteden Wastl zu Churchill. Er saß mit Zei-

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tungen und einer Zigarre im Bett undsagte zum Butler gewandt: «Das ist meinFreund!»

Der Aster Wastl, nicht ungeschickt imVerhandeln, kam bald zu seinem Anlie-gen: Churchill möge helfen, dass Südti-rol wieder zu Österreich käme. Der Pre-mier daraufhin: «Ich sehe keinen«Rauch» in Südtirol».

Die Verhandlungen mit Italien warenentmutigend. Ein Konzept, die Regierungan den Verhandlungstisch zu bringen,bestand nicht; bis dann die UNO-Aktionkam. Franz Gschnitzer, damals Staatsse-kretär in Wien, klug, weitsichtig undangesehen, fädelte die Aktion ein. Eswaren aber mehrere daran beteiligt,Viktoria Stadlmayer, der damalige Nord-tiroler Landeshauptmann Tschiggfrey, dieLandesräte Eduard Wallnöfer, AloisOberhammer und Bruno Kreisky als Au-ßenminister.

Mit neuer Kraft wollten alle helfen.Italien hatte immerhin 15 Jahre seinSüppchen in Südtirol gekocht und fleis-sig Sand in die Augen der Öffentlichkeitgestreut. Der Vorstoß bei der UNO brach-te kurze Zeit Bewegung. Churchill hattemit seiner Bemerkung recht.

Ein weiteres Konzept würde wohlChancen, aber auch Gefahren mitsich-bringen. Seit der Besetzung Südtirols gabes nie einen offen bekundeten Wider-stand; erstmals 1956 und dann in vielgrößerem Ausmaß in den 60er Jahren.

Viele Monate vorher sammelte ich inganz Südtirol Adressen von Personen, diezu einem Widerstand gegen die italieni-sche Politik bereit waren. Als SVP-Partei-ausschussmitglied kannte ich viele Ob-männer und Bürgermeister; diese Adres-sen bildeten die Basis dafür.

Jeder, der eingesperrt war, fragt sich,– und ich bilde keine Ausnahme – ob essich lohnte. Jahrelange Haft, Folterungen,Verlassen der Heimat, entrechtet, einvölliges Umkrempeln im Familienbereich,ja die Haftzeit belastet auch das Gemütund den Charakter. Wiedergutmachunggibt es keine. War es eine Leistung fürdie Heimat?

Im ganzen öffentlichen Bereich gäbees als Beamte und Angestellte nur Italie-ner. Freilich werden jetzt die Früchte ge-erntet, die damals einige mutige Visionä-re gesät haben. Es war der Zusammen-schluss Tirols geplant, herausgekommenist eine Autonomie mit verschiedenenKrankheitssymptomen. Meine Einstellungzum Ziel und darauf kommt es an, hatsich nicht geändert. Es geht auch um diegeistige Vertreibung aus unserer schönenHeimat Südtirol.

Es ist nicht im Sinne dieses Buches,alle jene Männer und Frauen aufzuzäh-len, die damals gewollt oder ungewolltden Weg des Widerstandes einschlugen.

Zahlreiche Leute, die diesen Weg gin-gen, blieben bis heute unerkannt. Einige

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wollen über diese Zeit nicht mehr spre-chen und man muss es respektieren.

Jene, die in diesem Buch zu Wortkommen, sind deshalb nicht die «Be-sten», weder Vorlaute noch Wichtigtuer– solche Leute muss man anderswosuchen. Es gab keine Richtlinien, die dieerzählenden Personen erfüllen mussten,um ihre Erlebnisse in diesem Buch zu ver-öffentlichen. Und wenn nicht noch mehrBetroffene über ihr eigenes Schicksal indiesem Buch schreiben durften, dann nurdeshalb, weil eine vorgegebene Seiten-zahl und einzuhaltende Termine uns eineunerbittliche Grenze setzten.

Wer einmal das Glück hat, auch nureinige der damaligen Beteiligten näherkennen zu lernen, wird vielleicht mit Ver-wunderung feststellen müssen, wer undwas diese Menschen eigentlich sind, dievon der blind urteilenden Öffentlichkeit,von der oft politisch gefärbten Zeitge-schichte, deren hochstudierten Professo-ren und so vielen bestbezahlten Politi-kern einfach als Terroristen abgestempeltund verteufelt werden.

Es sind grundwegs einfache und be-scheidene Leute, die anderswo niemalsaufgefallen wären mit ihrer Anständig-keit. Und dennoch sind es wieder auchalle besondere Menschen, die in ihremLeben vieles bewegt haben, wenn auchnur im kleinen. Sie hatten und haben ihnnoch immer: den Mut zur Tat, der sieauszeichnet.

Es gibt dafür viele Beispiele: Pepi Fon-tana, damals «nur» ein einfacher Maler,begann im Gefängnis sein Studium undgehört heute zu den wichtigsten Histori-kern in Tirol.

Hans Stieler aus Bozen war langjäh-riger Obmann des Südtiroler Heimatbun-des, politisch immer aktiv und privat wid-mete er sich intensiv und erfolgreich sei-ner Rosenzucht.

Franz Muther und Jörg Pircher führ-ten nach ihrer Entlassung aus dem Ge-fängnis ihr begonnenes Werk und arbei-teten strebsam beim Wiederaufbau desSüdtiroler Schützenwesens weiter.

Oder Martin Koch und Alfons Ober-mair aus Bozen, die maßgeblich am Auf-und Ausbau des Südtiroler Alpenvereinsbeteiligt waren.

Oder Luis Hauser, der Schmied ausKurtatsch der sich nach dem Gefängnisganz dem kulturellen Leben und Überle-ben seiner Heimat hingab. Er war eifri-ges Mitglied der Kurtatscher Heimatbüh-ne und der Musikkapelle. Als Volkskund-ler war er Mitglied der Schlernrunde undals Heimatkundler und Hobbyarchäologeentdeckte er 3000 Jahre alte Kupfer-schmelzöfen, ein Fund, der ihn weit überdie Grenzen Tirols bekannt machte.

Es sind dies nur einige, wenige Bei-spiele und man könnte hier so manchesvon den übrigen Männer erzählen, diedamals zur Tat schritten, um der bedroh-ten Heimat beizustehen.

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DAS GEFÄNGNISLEBEN ALS POLITISCHER HÄFTLINGvon Sepp Mitterhofer

Wenig oder fast gar nichts ist überdas Leben der politischen Häftlinge inden verschiedenen Gefängnissen be-kannt. Nur die Häftlinge selbst und ihreengsten Angehörigen, welche außerhalbder Gefängnismauern das Schicksal ihrereingesperrten Angehörigen miterlebthaben, können davon erzählen.

Es war ein Leben auf engstem Raum,ein Leben mit Höhen und Tiefen, einLeben zwischen Hoffen und Bangen.Dieses Leben war für alle eine große Be-lastung. Vor allem das ungewisse Schick-sal belastete die Nerven der Häftlinge.

In solchen Situationen kamen somanche Schwächen der Betroffenen stär-ker zum Vorschein und belasteten dieKameradschaft und das Zusammenlebenin den Zellen zusätzlich. Aber geradedieser Umstand zeichnete die Inhaftier-ten als Menschen und nicht als «Super-männer» aus. So erinnert sich Sepp Mit-terhofer an die Zeit im Gefängnis.

Als wir Verhafteten und Gefoltertenim Juli 1961 ins Bozner Gefängnis einge-liefert wurden, waren wir glücklich. Esmag heute für den Leser makaber klin-gen, aber es war so.

Man darf aber nicht vergessen, dasswir eine menschenverachtende Behand-

lung in den Carabinierikasernen hinteruns hatten und eben hofften, dass wirim Gefängnis halbwegs normal behan-delt werden würden und endlich essen,trinken und schlafen könnten. Dies hatuns ja vorher alles gefehlt und deshalbkonnten wir uns kaum auf den Beinenhalten. Dort angekommen, wurden unssofort der Gürtel und die Schuhlitzenabgenommen, damit wir uns nicht er-hängen (!) konnten. Ebenso Geld undSchmuck, wie Uhren und Eheringe, we-gen Bestechung des Wachpersonals.Dann wurden wir in Zellen gesteckt, mitanderen politischen Häftlingen zusam-men, allerdings waren mancherorts auchKriminelle darunter. Wahrscheinlich wa-ren es Spitzel mit der Aufgabe, uns aus-zuhorchen. Nach einiger Zeit konnten wirbei der Direktion ansuchen, ausgetauschtzu werden und so schafften wir es tat-sächlich, nach einigen Monaten, uns die-ser zwielichtigen Elemente zu entledigen.Ich erinnere mich noch gut, wie wir unsin den ersten Tagen vorsichtig beschnup-perten, denn jeder kannte zwar mehrereKameraden, aber lang nicht alle. ZweiStunden am Tag durften wir an die fri-sche Luft, also im streng bewachten, mithohen Mauern umgebenen Hof spazie-ren gehen. Da haben wir so manche

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Kameraden getroffen, von denen wirvorher noch gehofft hatten, dass sie«draußen» geblieben wären. Wir hattenuns viel zu erzählen, von den letztenTagen und Wochen leider wenig Gutes.Es waren einfach zuviele schreckliche Din-ge passiert, die unser Leben und unserePersönlichkeit durcheinandergebrachthatten. Die Sorge, wie es mit unserenFamilien daheim weitergehen sollte,drückte schwer auf unser Herz. Vielehatten ja den Ernährer von einem Tagauf den anderen verloren, dem Hof wur-de der Bauer weggerissen, der Mutterder Sohn usw. Auch die Sorge, wie derFreiheitskampf weitergehen sollte, wargroß. Ungefähr ein Viertel unserer Ka-meraden hatte zwar das Glück, nicht ver-haftet zu werden, aber diese hatten zu-mindest vorübergehend den Mut verlo-ren weiterzumachen, was wir auch ver-stehen konnten. In dieser Phase spran-gen vor allem die Nordtiroler Kameradenund die Studenten der Innsbrucker Uniin die Bresche. Wir hatten jedesmal einehelle Freude, wenn es krachte, einerseits,weil es trotz der vielen Verhaftungen wei-terging und andererseits, weil es uns zu-mindest teilweise entlastete.

Was uns freiheitsliebenden Männernauch arg zu schaffen machte, war derenge Raum, auf dem wir so zusammen-gepfercht waren. Das Bozner Gefängniswar durch die plötzliche Inhaftierung sovieler Menschen hoffnungslos überfüllt.

In den Zellen waren bis zu dreimal sovie-le Menschen drinnen wie vorgesehen.Dazu kam noch eine mehrere Wochenandauernde Affenhitze, die uns zusätz-lich zu schaffen machte. Das viele Schwit-zen, die Ausdünstung der Körper und diedamit verbundene schlechte Luft setzteuns arg zu, durften wir doch nur einmalin der Woche duschen.

Was uns in dieser ersten schwerenZeit aufrecht- und zusammenhielt, wa-ren die gemeinsamen Sorgen um unserSchicksal, um die Heimat, um unsereFamilien und unsere Gesundheit, nachden furchtbaren Erlebnissen bei den Ca-rabinieri. Wussten wir doch nicht, dasswir neben den äußeren Verletzungenauch innere davongetragen haben, dieja gefährlicher sein konnten und auchwaren. Der Gefängnisarzt Dr. Piazzi, demwir unsere Beschwerden aufgrund derMisshandlung wohl geklagt hatten,brachte kein Verständnis für unsere Kla-gen auf. Dem UntersuchungsrichterDr. Martin, dem wir unsere Erlebnisse beiden Carabinieri ebenfalls vortrugen, igno-rierte einfach unsere Aussagen. Dafürbelastete er uns mit Strafartikeln, welchezusammengerechnet bis zu 93 Jahre aus-machten. Wenn diese auch maßlos über-trieben war, so war es trotzdem einegroße seelische Belastung, denn die Arti-kel die man einmal hängen hatte, mus-sten eben zu Fall gebracht oder reduziertwerden. Dr. Martin behauptete bei einem

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Verhör mir gegenüber, auch er sei einTiroler, weil er in Meran lebe. Dass erMeraner ist, kann man ihm wohl nichtabsprechen, aber sich als Tiroler (!) zubezeichnen das war reine Frotzelei.Dr. Martin hat sich schon als jungerStaatsanwalt bei den Pfunderer Buaben(1956) einen Namen gemacht, allerdingskeinen guten. Er hat acht junge Pfunde-rer des Mordes am Finanzer Falqui ange-klagt und extrem hohe Strafen gefordert,das Gericht in Bozen hat sie dann zu-sammen zu 111 Jahren Gefängnis verur-teilt, den größten Teil der Strafe habensie abgesessen, obwohl an ihrer Schuldbis heute größte Zweifel bestehen unddamals viele unabhängige Stellen undPersonen ihre Unschuld als eindeutigbezeichneten. Sein abgrundtiefer Hassgegen die Südtiroler hat ihm kein Glückgebracht: ein Sohn ist tödlich verun-glückt, einer ist auf die schiefe Bahngeraten und die Frau ist ihm angeblichauf und davon. Als er vor Jahren in Pen-sion gegangen ist, habe ich in den Dolo-miten in einem Leserbrief unter anderemgeschrieben: «Wenn er die ganzen Trä-nen, die er in Südtirol durch seine un-menschlich harte Haltung verursacht hat,abbüßen muss, dann hat er im Jenseitsnichts Gutes zu erwarten!»

Staatsanwalt war damals ein gewis-ser Castellano, wir nannten ihn den sizi-lianischen Giftzwerg. Er war von kleinerStatur, hatte Minderheitskomplexe und

ging in die Höhe wie eine Rakete, wennwir etwas sagten, was ihm nicht passte.Von den Misshandlungen wollte er schongar nichts hören, da fing er gleich an zutoben. Das Gefängnispersonal verhieltsich uns gegenüber unterschiedlich, siewaren nicht alle gehässig, es waren auchMenschen darunter. Einmal in der Wo-che durften wir eine halbe Stunde Be-such erhalten, das war der schönste Tagder Woche. Da schöpften wir wiederKraft und Mut, damit wir die Eintönig-keit des Gefängnislebens leichter ertra-gen konnten. In den ersten Wochen hatso mancher die große Umstellung undseelische Belastung schwer verkraftet.Ausgewirkt hat es sich verschieden: dereine ist zum vergitterten Fenster hinaufgesprungen und hat seine Verzweiflunghinaus geschrien: «Ich will hinaus, ichhalte es nicht mehr aus hier.», dem an-deren sind die Tränen gekommen, wenner an seine Familie gedacht hat und an-dere wiederum waren an diesem Tag, wosie den Koller hatten, nicht auszustehen,so dass man besser einen Bogen um siemachte. Wir waren eben alle nur Men-schen und der plötzliche Entzug der Frei-heit war so etwas Gewaltiges, dass sichdie Auswirkungen ein freier Bürger garnicht vorstellen kann. Aber wir musstendamit fertig werden, jeder auf seine Art,und wir sind damit fertig geworden.

Wir wussten, dass wir gegen das ita-lienische Gesetz verstoßen hatten und

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dafür werden wir unsere Strafe abbüßenmüssen. Aber moralisch wussten wir unsin keiner Weise schuldig, der italienischeStaat hat uns Südtiroler jahrzehntelangum unsere verbrieften Rechte betrogenund hat bis zum Schluss kein Einlenkengezeigt. Das Recht war also auf unsererSeite, aber gerade diese Auffassung soll-te uns noch tiefe Enttäuschung bringen.Wir mussten Jahre später erkennen, dassauch im christlich-demokratischen Italiendas Recht nicht beim Betrogenen, beimUnterdrückten liegt, sondern bei dem,der die Macht hat und zwar in unseremFall unweigerlich der Staat.

Das Leben im Gefängnis wurde füruns mit der Zeit etwas erträglicher, weilwir uns eben abfinden und wohl oderübel versuchen mussten, uns anzupassen.

Beim täglichen, zweistündigen Spa-ziergang im Hof hatten wir uns näherkennen gelernt, hatten uns viel zu erzäh-len und auch immer wieder versuchtgegenseitig Mut zu machen. Nachdemaber zuviel Politische waren, wurden wirin zwei Gruppen aufgeteilt. Die eineHälfte hatte am Vormittag den Ausgangim Hof und die andere am Nachmittag.So konnten nicht jeder mit jedem reden,was manchmal wichtig gewesen wäre,um die Aussagen beim Staatsanwalt undUntersuchungsrichter zu koordinieren.

Im Herbst geschah ein Ereignis, dasalle Häftlinge sehr beunruhigte. Ein jun-ger Bauer aus Untermais, der wegen uns

für einige Monate verhaftet wurde, mituns aber nichts zu tun hatte, wurde vonden Wachen in den Keller gezerrt unddort geschlagen. Als es uns zu Ohrenkam, traten wir sofort in den Hunger-streik. Auch die Kriminellen machten mit.Am nächsten Tag kreuzte der Staatsan-walt auf, hörte sich unsere Beschwerdenan und versprach, den betreffendenOffizier, der die Schlägerei angeordnethatte, zu bestrafen. Geschehen ist garnichts, aber wir hatten von nun an unse-re Ruhe.

Das Essen war zwar frisch, aber daswar auch schon alles. Gekocht habenKriminelle, die vom Tuten und Blasenkeine Ahnung hatten. Als später danneiner von den Unsrigen, der Schmied ausVahrn, Franz Gamper, in die Küche kamwurde es zwar etwas besser, aber Wun-der wirken konnte er auch nicht. UnsereVerwandten durften uns beim Besuchkalte Speisen mitbringen, die sie vorherabgeben mussten und welche gründlichnach Feilen, Sägen und Messern unter-sucht wurden. Mit dem Speck hatten wiraber unsere liebe Not, wir hatten ja keinMesser zum Aufschneiden. Toni Gostner,der in unserer Zelle der «alte Hase» war,weil er zwei Monate früher eingesperrtwurde, organisierte eine Blechdose, diewir solange bearbeiteten bis wir denSpeck irgendwie zerkleinern konnten.Aber die Entwicklung blieb auch bei unsim Gefängnis nicht stehen. Wir sind

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Sepp Mitterhofer während seiner Haftzeit im Gefängnis von Trient. Neben ihm Jörg Pircher aus Lana, Oswald Koflerund Pepi Fontana. Ein wohlwollender Gefängnisdirektor, De Mutis, erlaubte es den Südtiroler Häftlingen im TrientnerGefängnis, sich in einem Gartenhäuschen eine «Tiroler-Stube» einzurichten.

draufgekommen, dass man den Stiel vomAluminiumlöffel bei der eisernen Kanteder Pritsche solange bearbeiten kann, bisso etwas ähnliches wie eine Schneideentstand. Als wir dann mit der Zeit et-was frecher wurden, haben wir beimBesuch kleine Taschenmesser hereinge-schmuggelt. Das war natürlich nicht un-gefährlich, denn darauf stand mindestensdrei Tage Einzel- und Dunkelhaft im Kel-ler. Beim Eintritt in den Besuchsraum undnachher wurden wir nämlich immer vonden Wachen von oben bis unten abgeta-stet. Nach solchen verbotenen Sachen,auch Geld und Schmuck oder Transistor-

radio haben sie dann in gewissen Ab-ständen auch in den Zellen gesucht.Meistens in der Früh waren plötzlich fünfsechs Mann da, wir mussten nach demüblichen Abtasten hinausgehen unddann wurde alles durchsucht. Je nachdem wie «gern» uns diese Besucher hat-ten, schaute auch die Zelle nachher aus.Manchmal glich sie regelrecht einemSchlachtfeld, aber wir hatten ja Zeit ge-nug zum Aufräumen. Zweimal am Tagkamen auch drei Mann, die Insassen zuzählen und vor allem aber mit einemEisenstab das Fenstergitter abzuklopfen,ob es nicht angesägt ist. Dieser Routine-

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vorgang ist mir jedenfalls so in Fleischund Blut übergegangen, dass er mir nachacht Jahren, als ich heimkehrte, direktabgegangen ist. Am liebsten hätte ichihn zu Hause weitergeführt, aber meineFrau sträubte sich verständlicherweise da-gegen (!!!).

Im Herbst 1961 erlebten wir aberauch Freuden. Der Gefängniskaplan DonNicoli brachte einmal in der Woche ent-weder Hauswürste mit Kraut oder Knö-del mit Gulasch, organisiert von KarlMarsoner, der später dann auch einenMonat dafür sitzen «durfte». Damit derKaplan dies durchführen durfte, musstendie Kriminellen auch einen Teil davonerhalten.

Am 22. November ereilte uns einSchlag, der uns allen schwer zu schaffenmachte. Franz Höfler, der kräftige, hu-morvolle und früher kerngesunde Mann,ist im Bozner Krankenhaus an den Fol-gen der schweren Misshandlungen ge-storben. Er hatte schon öfters vonSchmerzen im Rücken und am großenZeh geklagt, aber dass er deswegen seinjunges Leben lassen musste, hat uns tieferschüttert. Wir zwei sind in der Mera-ner Carabinierikaserne nebeneinandermit erhobenen Armen stundenlang ge-standen. Immer wenn wir die Arme sin-ken ließen, in den Schultern hat es jafurchtbar geschmerzt, sind wir mit demGewehrkolben vom wachhabenden Ca-rabinier geschlagen worden. Bei ihm

hatte sich ein Blutgerinsel gebildet, daszu seinem Tod führte.

Zu Weihnachten haben wir viel Soli-darität erfahren, die uns große Freudebereitete. Wir wurden mit Paketen undWeihnachtspost regelrecht über-schwemmt. Der Weihnachtsabend mitein paar brennenden Kerzlein auf einemFichtenzweig war allerdings sehr wehmü-tig. Schweigsam dachten wir an unsereLieben zu Hause und was uns die Zu-kunft wohl noch alles bringen würde.

Der zweite Schlag ließ nicht lange aufsich warten. Am 7. Jänner, nach demSpaziergang im Hof, starb Toni Gostnerauch an den Folgen der schweren Miss-handlungen. Er hatte schon öfters ge-klagt, dass ihm der linke Arm schmerzt.So auch diesmal beim Spaziergang imHof. Er ging auf die Krankenstation undließ sich eine Spritze geben und ruhtesich dann in der Zelle aus. Als wir dannnachkamen setzte ich mich auf seinePritsche, wir waren in derselben Zelle undfragte ob es ihm besser gehe. Wir wech-selten noch ein paar Worte, plötzlich risses ihn nach hinten, er bekam keine Luftmehr, wurde ganz blau im Gesicht undvorbei war es. Wir trommelten gegen dieTür, es kamen sofort Wachen, aber dawar nichts mehr zu machen. Für sein sen-sibles Herz waren die schweren Folterun-gen zuviel gewesen. Das ganze Gefäng-nis war in Aufregung, von den Gefange-nen über die Wachen bis zum Komman-

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danten und Direktor. Schon der zweitepolitische Häftling musste sein Leben las-sen, das gab Schwierigkeiten noch undnoch. Wir hatten wohl alle eine schlech-te Nacht. Am nächsten Morgen beimSpaziergang sind wir alle zusammenge-standen und haben für ihn ein VaterUnser gebetet, da sagte Sepp Kerschbau-mer: «Das war das zweite Opfer derFolterungen, wer wird wohl der Drittesein?» Hat er vielleicht schon geahnt,dass er es selbst sein würde?

In Südtirol hat das eine Welle der So-lidarität für uns ausgelöst, es wurden derReihe nach Veranstaltungen und Bälleabgesagt. Die Südtiroler Volkspartei hateine parlamentarische Untersuchungs-kommission wegen der Folterungen ver-langt. Die Frauen der Häftlinge wolltenvor dem Gefängnis dafür protestierenund wir drinnen durch einen dreitägigenHungerstreik. Warum in einer so wichti-gen Angelegenheit bei uns der Zusam-menhalt gefehlt hat, ist mir bis heuteschleierhaft. Die verschiedensten Parolenkursierten im Gefängnis. Eine davon war,dass wir dann alle nach Italien hinunterversetzt würden und das wäre dann fürunsere Familien noch schlimmer. Ich wardamals und bin heute noch der Meinung,dass dies nicht geschehen wäre, wennwir zusammengehalten hätten. Es hättein den Medien einen Wirbel gegeben,der ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht inden Kram gepasst hätte. Es ist aber alles

anders gekommen. Martl Koch, PaulPichler und ich, die wir den Toni sterbengesehen haben sind zur Abmachunggestanden und haben den Hungerstreikdurchgeführt. Ebenso Luis Gutmann hataus Solidarität mitgestreikt. So sind wiraber vom Staatsanwalt als Rädelsführerund Aufwiegler hingestellt worden.Prompt sind wir ein paar Tage nachherversetzt worden. Unerklärlicherweisemussten aber noch einige mit uns bü-ßen. Sepp Kerschbaumer, Oswald Koflermit Martin Koch und Luis Gutmannwurden nach Verona versetzt. EngelbertPiock und Jakob Scherer kamen mit PaulPichler und mir nach Vicenza. Dort ka-men wir in eine feuchte, verdreckte Zel-le, mit Schimmelflecken an den Wändenund die Feuchtigkeit durchdrang unserGewand und den Körper. Die Wachenbegegneten uns mit finsterer Miene undwir wurden auf Schritt und Tritt bewachtwie Schwerverbrecher. Nach einigen Wo-chen hat sich das auch aufgeklärt. DerGefängniskommandant persönlich kamzu uns in die Zelle, wir waren nicht wenigüberrascht, und erzählte uns, dass wirvon Bozen ein Begleitschreiben mitbe-kommen hätten, das uns als sehr gefähr-liche Verbrecher ausgewiesen hätte. Ererzählte uns auch, dass er schon wäh-rend der deutschen Besetzung 1943-45Gefängniskommandant war und mit denDeutschen gut zusammengearbeitethabe, weil sie Ordnung und Disziplin

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hätten. Von da ab wurden wir etwasmenschlicher behandelt.

Jakob Scherer hatte von Kerschbau-mer nur einige Kilo Sprengstoff zur Auf-bewahrung bekommen und glaubte zuUnrecht, solange in Untersuchungshaftsitzen zu müssen. Er schrieb das demzuständigen Staatsanwalt und beganngleichzeitig einen unbefristeten Hunger-streik. Eine Woche hat er keinen Bissengegessen nur zwei Becher Wasser ge-trunken, ist aber immer mit uns zweiStunden am Tag im kleinen Gefängnis-hof spazieren gegangen und man hatihm fast keine Schwäche angemerkt. DerKommandant ließ uns wissen, wir solltenihm zureden, den Streik abzubrechen,sonst müsste er ihn nach Reggio Emiliain die psychiatrische Anstalt für Gefan-gene versetzen lassen. Jakob ist aber hartgeblieben und so ist er eben dorthin ver-setzt worden. Wie er uns später erzähl-te, hat man dort kein Pardon gekannt.Er wurde gleich in den Keller gebracht,dort musste er sich nackt auf eine eigensvorgefertigte Pritsche legen und wurdean Händen und Füßen festgebunden. Inder Mitte hatte sie ein Loch, damit Urinund Kot nach unten entweichen konnte.Das Essen wurde ihm, oder genauergesagt wollte man ihm, mit einemTrichter in den Mund einführen. AberJakob war so von seiner Unschuld über-zeugt, dass er immer die Zähne zusam-menbiss und nichts durchließ. Ganze fünf

Tage hat er diese Prozedur durch-gehalten, bis ihn dann ein Wärter über-zeugte, dass er hier nicht mehr lebendherauskomme, wenn er nicht aufgebenwürde. Dazu beigetragen hatte auch derUmstand, wie er später erzählte, dassdurch die Feuchtigkeit vom Oberbodenkleine Kalkstückchen herunterfielen undin seinen Augen furchtbar schmerzten,weil seine Hände ja festgebunden wa-ren.

Mir ist es in Vicenza auch nicht be-sonders gut gegangen. Ich hatte schonin Bozen im linken Arm ein starkes Zie-hen verspürt, ähnlich wie Toni Gostner.Nachdem ich auch viel zu dick war, hatteich Angst, dasselbe Schicksal zu erleidenwie Toni. Deshalb habe ich eine Abma-gerungskur gemacht und nur wenig ge-gessen. An Gewicht habe ich schon ver-loren, aber an Kräften wohl auch, denneines Nachts bekam ich einen Herzanfall,es schlug wie rasend, dass ich glaubte,jetzt ist es aus mit mir. Meine Kameradenverständigten die Wache und man brach-te mir Herztropfen. Später wiederholtesich der Anfall noch einmal, allerdingsetwas schwächer. Die Angst begleitetemich aber noch monatelang, da ich inder Brust immer einen Druck verspürte,der Herzanfall wiederholte sich aber nichtmehr, wohl auch, weil ich wieder etwasmehr gegessen hatte und mehr zu Kräf-ten kam. Im Frühjahr habe ich angesucht,nach Trient versetzt zu werden, was mir

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auch genehmigt wurde. Einige Wochenspäter kamen dann auch Paul Pichler undEngelbert Piock nach. Für unsere Frauenwar das auch viel angenehmer, dennnach Trient war es nur halb soweit wienach Vicenza.

Außerdem waren in Trient viele poli-tische Häftlinge aus den UnterlandlerGemeinden, welche damals noch zurProvinz Trient gehörten. Das Klima wardort auch besser, weil ein Direktor dasGefängnis leitete, der eine Schweizerinzur Frau hatte und viel Verständnis fürunsere Situation aufbrachte.

Das Jahr 1962 ging vorüber, ohnedass viel geschehen wäre. Wir hofften,dass irgendwann einmal unser Prozessausgeschrieben werden würde, aber esrührte sich nichts. Politisch ist zwar dieNeunzehner-Kommission eingesetzt wor-den, welche das Südtirolproblem unter-suchen sollte, aber der italienische Staatversuchte sie immer wieder zu sabotie-ren.

Zu Ostern und auch schon in derWoche vorher wurden all jene verhört,welche Anzeige wegen Misshandlung er-stattet hatten, es waren deren 44. ImLaufe des Jahres sickerte aber durch, dassnur jene Anzeigen angenommen wur-den, welche in Neumarkt gefoltert wor-den waren und ein Gutachten eines Ge-richtsmediziners aus Padua hatten. Alleübrigen wurden unter den Tisch ge-wischt.

Während der Spaziergänge im Hofund auch in den Zellen wurde natürlichauch über allerhand gesprochen. ThemaNummer eins waren freilich unsere Fami-lien mit ihren Problemen. Dann kam diePolitik, mit deren Verlauf wir nicht zu-frieden waren. In Trient bekamen wir dieDolomiten, allerdings waren die politi-schen Artikel herausgeschnitten, dafürhaben wir sie dann oft beim Besuchhereingeschmuggelt bekommen. Dasdritte Thema war das Ausbrechen, wiekönnte es anders sein. Für das, was mannicht hat, aber am meisten ersehnt, istman auch bereit, große Risiken einzuge-hen. Wir haben Pläne geschmiedet nochund noch, auch teilweise Vorbereitungengetroffen, aber zur Durchführung istkeiner gekommen.

Im März 1963 wurde ich in dieMatricola (Büro) gerufen und es wurdemir die traurige Nachricht mitgeteilt, dassmein Vater gestorben ist. Er hatte sicherkältet und ist dann einige Tage späteran der dazugekommenen Lungenentzün-dung gestorben. Er hatte schwer untermeinem Schicksal gelitten und das hatwohl auch seine Widerstandskraft ge-schwächt. Wie haben sie mir oft leid ge-tan, meine alten Eltern, wieviel haben siegelitten und für mich gebetet und jetztwar meine Mutter noch dazu allein. Al-les durch mein Verschulden, weil ich nachmeiner politischen Überzeugung gehan-delt hatte. Aber jeder muss eben seinen

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Im folgenden, den aus dem Ge-fängnis geschmuggelten Kassiber, wel-ches Sepp Mitterhofer auf Gefängnis-klopapier verfaßt hat, beschreibt er diedramatischen Vörgänge bei den Verhö-

ren wegen der Misshandlungen. Formund Inhalt wurden vom Original über-nommen und sind Zeugnis der enor-men psychischen und physischen Bela-stung.

Am 20. Jänner 1962 wurde ich vom Staatsanwalt Castellano wegen der Miß-handlungsanzeige in Bozen verhört und von einem Arzt oberflächlich unter-sucht. Ich mußte meine Anschuldigungen nocheinmal zu Protokoll geben. Aufseine Frage warum ich die Anzeige erst so spät gemacht habe antwortete ichihm, weil ich nicht wußte daß es einen Termin gibt u. weil ich in der erstenZeit nach meiner Einlieferung in das Gefängnis noch von den Mißhandlungenkeines klaren Gedankens fähig u. ganz deprimiert war. Merkmale hatte ichaußer den kahlen Stellen am Kopf wo sie mir die Haare ausgerissen hatten,keine mehr. Der Arzt erklärte, er könne es nach 6 Monaten nicht mehr genaufeststellen, aber es ist möglich, daß mir durch starkes ziehen Haare ausgeris-sen worden sind.Ungefähr am 22. Februar 1962 wurde ich in Vicenza wieder von einem Prä-sidenten Debacis wegen der Mißhandlungen verhört. Ich mußte wieder dieEinzelheiten der MIßhandlungen angeben, weiters daß mich 5 Carabinieri in

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Zivil geschlagen haben, von denen ich 2 namentlich (Potzer u. Schgör) ange-ben konnte. Weiters gab ich an, daß ich Gruber Walter u. Innerhofer Josefgesehen habe wie sie mit geschwollenem Gesicht von einem Zimmer heraus-kamen wo ich sie vorher schreien hörte u. wo auch ich geschlagen wurde.Pichler Paul sah ich wie er vor Ermattung zusammenbrach. Als ich ins Gefäng-nis eingeliefert worden bin, wurde ich von keinem Arzt untersucht. Selbsthabe ich mich nicht gemeldet, weil ich von anderen Häftlingen hörte, daß siehinausgeschmissen wurden als sie vor dem Arzt erklärten, daß sie mißhandeltworden sind. Nach dem Tode Höflers meldete ich mich zum Arzt weil ich nochimmer im linken Auge ein leichtes Blitzen merkte das von einem Schlag derCarabinieri herrührte. Der Arzt sagte er sehe schon eine kleine Wunde, kannaber nicht sagen von was es gekommen ist u. ich glaube er schrieb nichts auf.Dann mußte ich die zwei beschuldigten Carabinieri beschreiben. Das wurdealles protokolliert. Dann wurde ich von einem Hautspezialist u. Augenspezia-list aus Vicenza untersucht. Das Ergebnis ist mir nicht bekannt. Der Hautspe-zialist sagte ich habe eine Haarkrankheit. Ich gab auch an daß ich vor meinerVerhaftung, kleine haarlose Stellen hatte, die durch das starke Ziehen derCarabinieri an meinen Haaren, ziemlich größer wurden da sie mir viele aus-rissen. Vor die Ärzte kamen gab ich zu Protokoll, daß ich keinen Augenspe-zialist verlange da ich nur mehr wenig spüre. Er kam aber trotzdem u. fandanscheinend nichts.Am 13. April 62 kam ich nach Bozen u. wurde 2 Carabinieri die mich geschla-gen hatten (Schgör u. Potzer) gegenübergestellt. Als erster war Schgör, ichmußte angeben was er mir getan hatte. Er hat mir in der ersten Nacht insGesicht (linkes Auge) geschlagen, mit den Schuhen an den Schienbeinen u.am Hintern gestoßen, ich wurde in dem Raum hin u. hergestoßen wie einBall. Es waren 4-5 Personen in Zivil dabei. Er leugnete alles ab.Dann wurde ich Potzer gegenübergestellt. Beschuldigung: er hat mich vonallen am meisten geschlagen hauptsächlich ins Gesicht, er hat mir gemeinsammit einem anderem Carabinieri Haare am Kopf ausgerissen, er hat mir mitderselben Person u. einer dritten die Arme am Rücken hochgerissen, er hatmir gedroht mich zu einem Krüppel zusammenzuschlagen wenn ich nichtgestehe was er will. Auch er leugnete alles ab. Beide machten zwar einen

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ängstlichen Eindruck u. gaben zu mich zu kennen da sie mich daheim geholthatten u. bei den Verhören dabei waren, aber von mißhandeln wußten sienichts.Die Protokolle wurden so verfaßt: zuerst meine Anschuldigung, dann dieAussagen des Angeklagten, dann wieder meine (daß sie falsch ist u. meinerichtig). Ich habe das deutsche Protokoll unterschrieben u. er das italienische.Bei dieser u. der nächsten Gegenüberstellung war außer dem Präsidenten u.2 Schreiber auch ein Oberstaatsanwalt anwesend. Auf meine Frage ob ichden anderen Carabinieri auch gegenübergestellt werde, antwortete der Prä-sident: das sei seine Sache, das ist nicht so einfach da ich sie nicht namentlichangeben konnte. Damals seien 300 Carabinieri in Südtirol gewesen die jetztauf ganz Italien verteilt sind, er kann sie nicht herzaubern, das ist eine riesigeArbeit, ich muß nur Geduld haben u.s.w. Es sollte überzeugend klingen u.wollte mich damit vertrösten. Das alles war 6 Monate nach Erstattung derAnzeige gegen die Carabinieri.Ungefähr eine Woche später hörte ich daß wir sofort wieder nach Trientzurückkommen. Mit mir waren noch 4 Kameraden von Trient u. 3 von Veronanach Bozen gekommen zu den Gegenüberstellungen. Daraufhin meldete ichmich zum Präsidenten u. bat ihn mich den restlichen 3 Carabinieri gegenüber-zustellen. Nun folgte das alte Versl, nur sagte er statt 300 jetzt 1000 Cara-binieri. Ich sagte daß in Meran nur ca. 10 Mann bei dem Schlägertrupp warenunter der Leitung von Hauptmann Marzollo. Dieser muß sie ja alle kennen,außerdem haben die meisten bei den Protokollen unterschrieben. Nun be-gann der Präsident zu schreien u. zu wettern, ich verstand nur sehr wenig, dadie Dolmetscher es nicht übersetzten. Nun mußte ich die Beschreibung der 3Carabinieri (wo ich den Namen nicht wußte) zu Protokoll geben.

1. Alter 40 Jahre, kahlköpfig, restliche Haare dunkel, dick,1,70 m groß.2. Alter 40 Jahre, kleines rosiges Gesicht, Haare eherrötlich, schlank, 1.70 m groß.3. Alter 35 Jahre, lange schwarze Haare, kräftig gebaut,eher über 1,70 m groß.

Bei dieser Gelegenheit gab ich auch an daß Hauptmann Marzollo mir in

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Meran Dienstag früh gedroht hatte falls ich nicht gestehe was er will, bringter mich nach Eppan u. läßt mich auf einem umgelegten Masten aufhängen.Was ich zwar nicht ganz glaubte, fürchtete aber noch mehr u. stärker miß-handelt zu werden. Ein anderesmal drohte er mir den Lunge (Potzer) zu holenwenn ich nicht gestehe. Geschlagen hat er mich nicht, aber gedroht öfters.Er ist mit 2 anderen Carabinieri u. mir zu mir heimgefahren Material zu holen.Da haben mich mein Vater u. meine Schwester gesehen wie ich ausschaute.Meine Frau hat mich 2 Tage später in der Kaserne gesehen.Ungefähr eine Woche später wurde ich Hauptmann Derosa von Meran ge-genübergestellt. Ich wußte zwar nicht warum, da er mir nichts getan hatte.Zwar war er bei etlichen Verhören kurze Zeit anwesend, doch ich wußte nichtmehr ob er gesehen hatte wie ich geschlagen wurde. Ich sagte er müsse die3 Carabinieri doch kennen (gab die Beschreibung). Er sagte er sei nur seltenu. kurze Zeit bei den Verhören gewesen, deswegen kenne er sie nicht, auchhabe er damals viel zuviel zu Denken gehabt. Etwas später auf die Frage desPräsidenten ob in Meran jemand mißhandelt wurde sagte er: er ist bei denVerhören immer dabei gewesen u. hat von all dem nichts gesehen nochgehört. Darauf sagte der Präsident, wenn dem so ist dann braucht es keineGegenüberstellung mehr. Nun wurde ich zornig u. schrie: 2 junge Menschensind schon gestorben, manche haben nach 9 Monaten noch Merkmale, auchgibt es Zeugen die uns nachher sahen u. trotzdem wird behauptet es ist alleserlogen. Es entstand ein hitziger Wortwechsel. Derosa lächelte immer rechthöhnisch.Einige Tage später wurde ich Marzollo gegenübergestellt. Mit höhnischemGrinsen leugnete er alles ab, gab zu mich heimgeführt zu haben, aber sonsthätte ich eine ausnahmsweis gute Behandlung erfahren. Auf die Namen sei-ner damals Untergebenen konnte er sich nicht mehr erinnern. Marzollo u. derPräsident haben einiges über mich u. dem damals Vorgefallenem besprochen,das ich leider das meiste nicht verstand u. übersetzt wurde es mir nicht.Am 29. April wurde mir Oberleutnant Manucci von Meran gegenübergestellt.Verwundert fragte ich wieso mit ihm er hat mir nichts getan. Man sagte mirweil er beim Material holen dabei war u. weiß wie das vor sich gegangen ist.Da ich diesbezüglich Meinungsverschiedenheiten mit Marzollo hatte. Er schil-

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derte wie die Fahrt vor sich gegangen ist u. mußte mir auch meistens rechtgeben. Doch behauptete er sie seien recht großzügig gewesen weil ich mitmeinen Angehörigen reden durfte, etliche Schluck Kaffee trinken, Gesichtwaschen u. auf den Abort gehen durfte. Das habe ich auch getan, allerdingshaben sie mir vorher gedroht falls ich den Angehörigen von den Mißhandlun-gen etwas sage werde ich es nachher schon erleben! Auf die Frage desPräsidenten ob er vom Mißhandeln etwas gesehen habe, leugnete er mitunschuldiger Mine alles ab, auch kann er sich auf die Carabinieri nicht mehrerinnern die damals in Meran waren. Keiner der 3 Offiziere wollte sich erin-nern können, einfach lächerlich! Ich merkte wohl sehr deutlich, daß man dieGegenüberstellung der richtigen unbedingt verhindern wollte. Man hatte wohlAngst, daß sich die Carabinieri verreden könnten. Der Präsident sagte mireinmal: was ich mir von alldem erwarte, ob ich glaube daß die Carabinieri soblöd sind u. die Mißhandlungen eingestehen. Ich war überrascht, doch be-stand ich weiterhin auf die Gegenüberstellungen. Der Präsident zeigte mireine Liste wo die Namen der Carabinieri darauf waren die damals in Meranwaren (plötzlich waren es nur mehr ca. 10). Ich verlangte daß sie mir vorge-führt werden, dann werden ich schon die richtigen finden.Nun kam einer (Junguolo?) auf den die Beschreibung N. 2 paßte. Er hat michgemeinsam mit Vignolo (N. 1) in der dritten Nacht geschlagen, stundenlangvor der Quarzlampe gestellt u. zweimal machten sie mich mit dem Rücken ander auf den Zehenspitzen 1 1/2 Stunden stramm stehen sodaß mir die Füßelahm wurden. Vor mir wurde ein Posten aufgestellt der mich bei der gering-sten Bewegung mit dem Gewehr schlug. Er leugnete alles ab, gab aber zu beiden Verhören dabeigewesen zu sein.Als nächster kam Vignolo (N. 1) Beschuldigung wie oben, drohte mir mich zuTode prügeln zu lassen, außerdem war er dabei als sie mir die Arme amRücken hochrissen u. hat oft die Verhöre geführt u. deshalb auch bei anderenMißhandlungen anwesend. Auch er leugnete wie alle alles ab. Gab zu daß erbei den Verhören war u. sagte daß wohl eine gewöhnliche Lampe zur Be-leuchtung im Zimmer hing, von einer Quarzlampe weiß er nichts.Der letzte (N. 3) der beim Arme hochreißen, Haare ausreißen dabei war u. dermich solange mit Faustschlägen bearbeitete bis ich bewußtlos wurde, wurde

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mir nicht mehr vorgeführt. Warum? Am nächsten Tag wurde ich abtranspor-tiert. Es wurde mir etlichemale gesagt, daß ich der Kläger u. die Carabinieridie Angeklagten sind, aber leider kann ich das nicht bestätigen. Die Untersu-chungen (Gegenüberstellungen) wurden nämlich so geführt, daß meine An-gaben bezweifelt u. darauf herumgeritten wurde u. den Carabinieri gleichalles geglaubt wurde. Man versuchte mich in Widersprüche zu bringen. Eswurde mir auch gedroht, daß auf Verleumdung 2 Jahre Loch stehen. Es warenwohl 2 Dolmetscher da, aber wenn der Präsident tobte (was öfters passierte)dann wurde mir nicht alles übersetzt. Ein Dolmetscher sagte mir, daß meineHaare auch so ausgefallen wären (großer Trost!). Der andere: wenn ich daswas ich hier getan habe, in Österreich oder Deutschland getan hätte, wäre ichsofort erschossen worden!Ich u. auch die anderen haben gleich gemerkt, daß sie die Gegenüberstellun-gen unbedingt vermeiden wollten. Es wurden auch nicht alle durchgeführt.Die Carabinieri wurden nicht viel ausgefragt, von einem Kreuzverhör gar keineSpur. Man hat mir auch zu verstehen gegeben was für ein Unterschied zwi-schen meiner Aussage u. der eines Carabinieri ist, da ich nur ein Häftling bin.Am Todestag des Gostner Anton (7. Jänner 62) gab ich zu Protokoll, daß ermir seine Mißhandlungensmerkmale gezeigt hat. Alte Wunde am Bauch wie-der aufgebrochen, Verbrennungsmerkmale auf der Stirn u. das Tränen derAugen (durch Quarzlampe).

Mitterhofer Josef

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Weg gehen, so wie es das Schicksal will.Mein Rechtsanwalt, Dr. Monauni, hat aufmeinem Wunsch hin angesucht, dass ichbei der Beerdigung dabei sein darf. Eswurde mir nicht genehmigt. Ich wärebereit gewesen, in Handschellen und inBegleitung von Carabinieri beim letztenGang meines lieben Vaters dabei zu sein.

So ist der Sommer 1963 ins Land ge-zogen und in Trient ist im August derProzess gegen die Folterknechte über dieBühne gegangen. Der Ausgang ist be-kannt, er wird an anderer Stelle näherbeschrieben. Für uns ist eine Welt zu-sammengebrochen, wir haben den Glau-ben an die Gerechtigkeit verloren. Ein de-mokratischer Staat, der uns jahrzehnte-lang um unsere Rechte betrogen hat,lässt Bürger, welche sich dafür wehren,von seinen Sicherheitsorganen brutal zu-sammenschlagen, dass zwei davon ster-ben und dann werden diese Folterknech-te freigesprochen, befördert und ausge-zeichnet. Wir dagegen sitzen tief imDreck und können nur erahnen, was unsblühen wird. Die seelische Belastung füruns und unsere Familien war wegen die-ser Tatsache sehr hoch.

Zu diesem Zeitpunkt ging dasGerücht um, dass unser Prozess nochEnde dieses Jahres beginnen sollte. VonBozen war auch schon ein Teil unsererKameraden nach Mailand versetzt wor-den und ein Teil nach Mantua. Auch ichwurde anfangs September plötzlich und

ganz allein nach Mailand gebracht. Eshat mich damals natürlich beunruhigt,weil das nicht üblich war, aber ich weißbis heute nicht, warum dies geschehenist.

Das Gefängnis San Vittore in Mailandist ein großes, veraltetes Gefängnis mitca. 2000 Insassen. Die Zellen waren totalverdreckt, voller Wanzen und kein Abortnur ein Kübel in einem Mauerloch, Esgab nicht normale Fenster, sondern einbreiter Schlitz nach oben, den sogenann-ten «bocca di lupo». Außerdem warendie Zellen überfüllt, in einer Einzelzelle,4 m lang und 2 1/2 m breit waren dreiPersonen untergebracht. Wenn eine Per-son 4 Schritte nach längs gehen wollte,mussten die anderen zwei auf der Prit-sche liegen bleiben, so eng war es. Ichhatte damals noch das Pech dazu, einenDarmkatarrh mit Durchfall zu haben, undmusste damit meine neuen Zellenkame-raden, den 1975 bei einem Waldbrandverstorbenen Feuerwehrhauptmann vonFrangart, Otto Petermeier, und HansStampfl aus Gries beglücken (!). Aber siehaben sich tapfer gehalten und warensehr kameradschaftlich. Die Einlieferungin San Vittore war von einer Maßnahmebegleitet, die ich bis dahin noch nichterlebt hatte. Außer den üblichen Unter-und Durchsuchungen, musste ich michnackt mit gespreizten Beinen auf einerhöhtes Podest stellen und man kon-trollierte mir den «Hinterausgang» ob ich

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nicht Schmuck darin versteckt hätte. Ei-gentlich tat mir der diensthabende Be-amte eher leid, denn er musste «dieseArbeit» ja bei allen Einlieferungen ma-chen, nicht nur bei mir.

Sicher aufgrund der kleinen undüberfüllten Zellen hatten wir zweimal amTag Ausgang im Hof, also vier Stundeninsgesamt. Mehrere Kameraden gingenauch arbeiten, sie mussten elektrischeSchalter und Kugelschreiber zusammen-stellen. Dafür konnten sie sich in mehre-ren Zellen, während der Arbeit frei be-wegen und auch etwas kochen. Im Ok-tober ist Sepp Kerschbaumer aus Protestin einen unbefristeten Hungerstreik ge-

treten, weil mehrere Kameraden unschul-dig oder nur schwach belastet, solange(über zwei Jahre) in Untersuchungshaftsitzen mussten. Ganze 23 Tage hat erdurchgehalten, nur etwas Wasser hat erzu sich genommen. Wir waren schon inSorge, dass er beim bevorstehenden Pro-zess nicht mehr genug Kraft besitzenwürde, um seinen Mann zu stellen. DieAngst war aber unbegründet, er hat sichsehr gut gehalten.

Mein Gesundheitszustand wurde zu-sehends schlechter. Der Durchfall hörtenicht auf, der Gefängnisarzt wollte oderverstand mich nicht. Immer mehr Blutvermischte sich mit dem Stuhl, ich wur-

Beerdigung des politischen Häftlings, ersten Obmannstellvertreter des Südtiroler Heimatbundes, Obmannesder Kellereigenossenschaft Schreckbichl und Feuerwehrkommandant von Frangart, Otto Petermaier. Er ist1975 bei einem Waldbrand am Eppaner Berg auf tragische Weise ums Leben gekommen. Er hat seinenKameraden zugerufen: «Rettet Euch!», ist aber als Letzter nicht mehr davongekommen und jämmerlichverbrannt. Er hat seinen Kameraden den Vortritt gelassen und musste dies mit dem Leben bezahlen. FünfJahre Krieg und fast fünf Jahre Gefängnis hat er gut überstanden, aber seine edle Gesinnung undKameradschaft wurden ihm bei diesem Brand zum Verhängnis.

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de ganz schwach und blass. Meine Frauerschrak beim Besuch und ich beschlossdaraufhin, noch einmal zum Arzt zu ge-hen. Diesmal war ein anderer, der mirstarke Spritzen verschrieb. Der Durchfallhörte zwar auf, aber von dieser Zeit anwar ich chronisch verstopft. Wenn manim Gefängnis einigermaßen gesund ist,hat man nur eine Sorge, die Freiheit zubekommen. Wenn einem aber die Ge-sundheit fehlt, dann ist man ein armerTeufel, denn man kann sich kaum hel-fen. Und moralisch wird man dann dop-pelt belastet. Wenn es im Verdauungs-trakt fehlt, dann wird es bei dieser z.T.miserablen Kost schlimm. Darum habeich mir in diesen acht Jahren auch einchronisches Leiden im Verdauungstrakteingehandelt, unter dem ich heute nochzu leiden habe.

Der Beginn des Prozesses war am 9.Dezember 1963 festgelegt worden. DieWochen vorher haben wir benützt, umuns auf den Prozess vorzubereiten, wel-che politischen Aussagen wir treffen undwie wir uns gegenseitig entlasten könn-ten. Die unterschriebenen Geständnispro-tokolle bei den Carabinieri hatten wirbeim Staatsanwalt und Untersuchungs-richter teilweise zurückgenommen, mitder berechtigten Begründung, dass sieerpresst worden waren. Wir hofften, dassdas Gericht uns glauben würde.

Sepp Kerschbaumer war ein einfacherMensch, er war es nicht gewohnt sich

monatelang in Festkleidung zu werfen.Wir mussten ihn stark bearbeiten, einweißes Hemd und eine Krawatte anzu-ziehen. Nach einigen Prozesstagen merk-ten wir, dass er grobe Schuhe anhatteund keine Socken. Nach längerem Zure-den konnten wir ihn überzeugen, dasser als unser Anführer auch dies unterlas-sen musste. Er legte eben nicht viel Wertauf das Äußere, sondern auf seine Aus-sagen beim Verhör und das hat er groß-artig gemeistert. Richter und Staatsan-walt haben ihn als Ehrenmann betrach-tet. Einige Häftlinge von uns haben beimVerhör weiche Knie bekommen. Sie sindnicht zudem gestanden, was vorher aus-gemacht war, das Hemd stand ihneneben näher als der Rock. Die übrigenhaben ihre Aussagen mehr oder wenigergut gemacht.

Die tägliche Fahrt vom Gefängniszum Justizpalast war immer interessant.Mit zwei Bussen und viel Autos als Be-gleitschutz, fuhren wir mit Blaulicht undSirene, jedesmal eine andere Straßedurch Mailand. Wo wir auftauchtenstand der ganze Verkehr still, wir fühltenuns wie Fürsten. Nur die Handschellenund die Ketten, mit denen wir zusam-mengehängt waren, erinnerten uns andie nackte Wirklichkeit. Diese Tatsachewar schon deprimierend für uns freiheits-liebende Tiroler, aber mit der Zeit habenwir uns auch daran gewöhnt. Trotz allemgab es wieder Situationen wo wir Witze

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rissen und richtig lachen konnten. Gottsei Dank, denn nur mit Grübeln und denKopf hängen lassen, konnten wir solcheBelastungen nicht durchstehen. Schließ-lich hatten wir ja auch eine Verantwor-tung unseren Familien gegenüber, denenkonnten wir beim Besuch nicht zeigen,wie schwer uns manchmal das Herz war,sie hatten ja selber Probleme genug, mitdenen sie alleine fertig werden mussten.Nach Mailand kamen unsere Frauen we-gen der weiten Entfernung nur alle 2Wochen und dies war für uns immer einFreudentag.

Der Prozess dauerte sieben Monate.Er war für die damalige Zeit mit seinen

69 inhaftierten Angeklagten der größteSchauprozess Italiens. Über den Ablaufwird an anderer Stelle berichtet. Ein Fak-tum muss ich trotzdem erwähnen. Alsder Staatsanwalt (Gresti) mit der Ankla-gerede begann, trauten wir unserenOhren nicht. Es schien, als wollte er unsverteidigen und schob dem italienischenStaat die Schuld der ganzen Tragödie zu.Das waren wir nicht gewohnt, nachdemuns die Anwälte der Zivilkläger als richti-ge Verbrecher hingestellt hatten. Wirschöpften Hoffnung und glaubten aufdiese Weise mit niederen Strafen davon-zukommen. Am nächsten Tag war derSpuk schon vorbei, die Freude war von

Ehefrauen und Angehörige der Häftlinge vor den Mauern von San Vittore in Mailand

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kurzer Dauer gewesen. Der Staatsanwaltdonnerte drauf los und ließ kein gutesHaar mehr an uns, Was war geschehen,dass er sich von einem Tag auf den an-deren um 180 Grad drehen konnte? Un-sere Rechtsanwälte verrieten uns, dass siedie Liste mit den Strafanträgen gesehenhatten. Es standen zwei Reihen neben-einander, die erste war nieder und durch-gestrichen und die zweite viel höher. Romhatte wieder einmal ein Machtwort ge-sprochen, wie beim Folterprozess in Tri-ent, und der Staatsanwalt musste sichfügen. Das war die «unabhängige» Jus-tiz in Italien! Während der Dauer des Pro-zesses sind öfters Busse mit Verwandtenund Bekannten aus unserer Heimat er-schienen, um uns ihre Solidarität mit ih-rer Anwesenheit zu demonstrieren undsie konnten während der Pause auch mituns reden.

Am 16. Juli 1964 nach Mitternachtwar es soweit. Nach 36-stündiger Bera-tung wurde das Urteil im Namen des ita-lienischen Volkes verkündet. Der Zu-schauerraum war bis zum Bersten gefülltund die Luft knisterte förmlich vor Span-nung. In den nächsten Minuten entschiedsich unser Schicksal, wer durfte heimge-hen, wer musste büßen und wie lange?Das war die große Frage. Ich erinneremich noch gut an diese Minuten, ichhatte eine trockene Kehle und mir zitter-ten die Knie, ansonsten war ich abergefaßt. Ich wusste, ich hatte nichts Gu-

tes zu erwarten, denn ich hatte michbeim Verhör zur Sache bekannt. Auchmeine Frau hatte ich gewarnt, sie sollsich keine großen Hoffnungen machen.Trotzdem erlitt sie einen Schock als meinName mit 12 Jahren Gefängnis fiel undbrach im Zuschauerraum zusammen. Ker-schbaumer erhielt von den Inhaftiertenam meisten mit 16 Jahren. Jörg Pirchermit 14 Jahren war der nächste. Die Ver-lesung des Urteils dauerte lange, mit derZeit wich auch die Spannung. Auf deneinen Gesichtern sah man große Freude,auf den anderen Verzweiflung und Mut-losigkeit. Zwei Drittel wurden in die Frei-heit entlassen, z.T. Freispruch wegenMangel an Beweisen, z.T., weil sie dieStrafe bereits verbüßt hatten. 22 warendie Sündenböcke und erhielten z.T. hoheStrafen. Insgesamt waren 413 Jahre Ge-fängnis verhängt worden.

Für uns «Sündenböcke» war dernächste Tag ein schwerer. Wir freuten unszwar, dass so viele Kameraden heimge-hen durften, aber das eigene Schicksalund das unserer Familien drückte schonschwer aufs Herz. Unsere Frauen durftenuns zwar besuchen, aber es war schwer,die richtigen Worte zu finden. MeineFrau hatte sich schon wieder erholt undwir trösteten uns gegenseitig, aber ver-ständlicherweise war die Stimmung sehrgedämpft. Die ersten Wochen waren füruns Hinterbliebenen nicht einfach, jedermusste zuerst mit sich selber fertig wer-

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den, dann konnte er erst den anderentrösten.

Nach drei Wochen wurden wir nachTrient zurückversetzt und darüber warenwir sehr froh. Der Besuchsweg für unse-re Frauen war erträglich, das Klima imGefängnis ebenso und wir hatten meh-rere Möglichkeiten zum Arbeiten. DieZellen waren groß und mit fließendemWasser und WC und auch mit Heizung.Im Verhältnis zu San Vittore fast ein Lu-xushotel. Sämtliche Arbeitsmöglichkeitenhaben wir ausgeschöpft. Bibliothek, Büro,Schmiede, Buchbinderei, Küche, Tischle-rei und den großen Garten, wir verdien-

ten im Monat zwischen 5000 und 6000Lire und waren versichert. Bis Sizilien hin-unter wussten die Kriminellen, dass dasTrientner Gefängnis von den «Terrori-sten» besetzt war. Dem damaligen Direk-tor De Mutis hatten wir mit seinem Ver-ständnis viel zu verdanken, denn wennirgend ein Streit zwischen Wachpersonalund uns aufkam, hörte er sich beideParteien an und hat dann immer zu un-seren Gunsten entschieden. Er glaubteuns nämlich mehr als seinem Wachper-sonal. Dadurch haben wir uns bei denWachen natürlich den Neid eingehandeltund manche hassten uns sogar dafür.

V.l.n.r.: Jörg Pircher, Pepi Fontana, Pater Geremia, Oswald Kofler und Sepp Mitterhofer

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Ich arbeitete in der Tischlerei und wirmussten Reparaturen im Gefängnisdurchführen oder auch für das Wachper-sonal kleinere Möbelstücke anfertigen.Aber in der übrigen Zeit durften wir füruns selber arbeiten. Da ein Kamerad, LuisThaler aus Bozen, Tischlermeister war,habe ich viel gelernt und konnte somanches nette Stück nach Hause schik-ken. Auch die Kameraden in der Schlos-serei haben nette Sachen gemacht, z.B.Kupferteller geklopft und verziert,Aschenbecher, schmiedeeiserne Kerzen-leuchter usw. Sepp Kerschbaumer hattekein handwerkliches Geschick und hatsich deshalb schwergetan. Am liebstenhat er in der Freizeit im Gang vor denZellen, die Türen waren eine zeitlangabends offen, Boccia gespielt. Nicht mitKugeln wie sonst üblich, sondern mitrunden Gummiblättern. Das hat ihn ent-spannt und von seinen Sorgen abgelenkt.

Mit dem Fortgang der Politik warenwir nicht zufrieden, aber wir konntennichts ändern. Die Neunzehner-Kommis-sion ging auch nur sehr schleppend vor-an. Hofften wir doch insgeheim, wennirgendwann eine tragbare politische Lö-sung zustande käme, dass wir danndurch eine Amnestie auch die Freiheitwiedererlangen könnten. Anfangs Sep-tember erreichte uns die erschütterndeNachricht, dass unser Kamerad LuisAmplatz auf der Brunner Mahdern Almmeuchlings ermordet worden war und

Jörg Klotz schwer verwundet. Damitwurden zwei aktive Freiheitskämpfer aus-geschaltet und das war für uns sehr bit-ter. Überhaupt wussten wir nicht mehrrecht, was draußen gespielt wurde. Dassder italienische Geheimdienst mit bruta-len Anschlägen mitmischte, haben wirlängst erkannt, aber wir konnten natür-lich nicht recht unterscheiden, welche dierichtigen und welche die falschen An-schläge waren.

Anfangs November ließ sich Kersch-baumer nach Verona versetzen, wo ervor dem Prozess schon war und eineArbeit hatte, die ihm lag. Wir sahen eszwar nicht gerne, aber wir mussten sei-ne Entscheidung respektieren. Wir habenihn nicht mehr lebend wiedergesehen.Er ist in Verona am 7. Dezember 1964einem Herzstillstand erlegen. Er hatte mirim Hof beim Spaziergang öfters geklagt,dass mit seinem Herzen irgendetwasnicht mehr in Ordnung sei. Die enormeBelastung beim Prozess, er hatte dieganze Verantwortung übernommen, warfür sein Herz zuviel geworden. Für unswar ein Mann und Kamerad gestorben,zu dem wir in Respekt und Freundschaftaufgeschaut hatten. Die Südtiroler hat-ten das wohl auch so gesehen, dennüber zwanzigtausend Menschen aus demganzen Land haben ihm das letzte Geleitgegeben.

Seit längerer Zeit schon besuchte unseinmal im Monat der Franziskanerpater

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Leopold aus Bozen. Er hat uns so man-ches Päckchen, Brieflein oder sonstiges,was eben in seiner schönen weiten Kut-te vor den Wachen verborgen blieb, her-eingeschmuggelt. Wir haben uns immerauf seinen Besuch gefreut, er hat somanche Neuigkeiten erzählt, die wirsonst nicht erfahren hätten. Auch derGefängniskaplan von Trient, Pater Gere-mia, hat uns regelmäßig besucht. Ersprach auch etwas deutsch und war rechtzuvorkommend. Ingenieur Karl Vaja hatuns auch manchmal besucht. Er war dereinzige SVP-Vertreter, der sich die Mühegenommen hatte, uns mit seinem Besuchzu beehren.

Ansonsten ging das Leben im Ge-fängnis seinen gewohnten Gang. Nach-dem alle Schaltstellen in unserer Hand

waren, herrschte eine Tätigkeit wie nochnie. Die Wachen hatten mit uns allerdingskeine Freude, denn durch uns hattenauch sie viel mehr Arbeit und das wardas Schlimmste, was ihnen passierenkonnte. Durch die Arbeit verging uns dieZeit schneller und wir dachten wenigeran unser Schicksal. Aber abends kamendann oft die schwerer Gedanken unddann mussten wir eben damit fertig wer-den, jeder auf seine Art. Ausnahmsweisedurften wir Spielkarten haben und einSchachbrett. Mit Lesen und Rätsel auflö-sen versuchten wir, uns auch die Zeit zuvertreiben. Zu Weihnachten hatten wirimmer große Mühe, mit den vielen Pake-ten und der vielen Post fertig zu werden.Es stärkte uns selbstverständlichmoralisch und das brauchten wir not-wendigst.

Im August 1965 erhielten wir eineweitere schlimme Nachricht. Kurt Wel-ser, unser Verbindungsmann zu denNordtirolern und sicher der aktivste Frei-heitskämpfer nördlich des Brenners, warbei einer Bergtour in der Schweiz tödlichabgestürzt. Wieder hatte es einen derBesten getroffen und das erschütterteuns sehr. Wir haderten mit Gott und demSchicksal und fragten uns, warum nurauf unserer Seite die Besten dahingefegtwurden? Wir fanden keine brauchbareAntwort darauf.

1966, im Frühjahr, kamen wir wie-der nach Mailand zur Berufung. Diesmal

Pater Leopold

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waren nur mehr 21 Häftlinge, Kerschbau-mer war inzwischen gestorben. Das Straf-ausmaß wurde bei allen um zwei Jahrewegen Strafnachlass (Condono) reduziertund beim einen und anderen noch zu-sätzlich etwas vermindert. Bei mir umzwei Jahre, so verblieben mir noch 7Jahre und 11 Monate.

Zur gleichen Zeit fand der Prozessgegen die Andergassen-Gruppe statt,welche schon 1964 aufgeflogen war.Angeklagte waren sehr viele, aber nurzehn in Haft. Andergassen als Hauptan-geklagter erhielt 30 Jahre, von denen eraber «nur» sieben Jahre absitzen mus-ste.

Nach der Feuernacht sind mehrerePersonen inhaftiert und verurteil worden.Aber sie waren meistens nur für einigeWochen in Trient weil dort die Kranken-station war. Sonst waren sie in anderenGefängnissen verteilt.

Als wir von Mailand nach Trient zu-rückversetzt wurden, machten wir inVerona Zwischenstation. Dort erfuhrenwir, dass der Direktor in Trient vor kur-zem an einem Herzinfarkt gestorben war.Wir hatten nun berechtigte Angst, inoberitalienische Gefängnisse verteilt zuwerden, wie es nach der Berufung sonstüblich war. Wir hatten aber Glück, derverstorbene Direktor hatte uns noch vor-her angefordert und deshalb holte manuns nach Trient zurück. Allerdings fan-den wir nicht mehr das Klima vor wie

früher, denn der neue Direktor warängstlich und traute uns noch nicht.Trotzdem durften wir aber unsere vorhe-rigen Arbeitsstellen wieder antreten.

Im November 1966 gingen schondie ersten von uns «Schwerverbrechern»nach Hause. Im Jahr 1967 wieder einigeund so wurden unsere Reihen mit derZeit lichter. Nachdem das Gefängnis ei-nen großen Garten und eine Hühner-zucht besaß, durften Oswald Kofler, PepiFontana (halbtägig) und ich in den Gar-ten, um dort zu arbeiten. Luis Steineggerund Hans Clementi, welche vorher drau-ßen arbeiteten, durften heimkehren undso konnten wir ihre Arbeit übernehmen.Jörg Pircher hatte im Garten das Kom-mando, er war schone einige Jahre dorttätig. Pepi Fontana hatte die Jahre vor-her in einer Einzelzelle studiert und ei-nen Fernkurs absolviert. Er hat die harteZeit im Gefängnis auf diese Weise ge-nutzt und nach seiner Heimkehr im Fe-bruar 1969 das Studium in Innsbruckweitergeführt und mit dem Doktor ab-geschlossen. Für mich und für OswaldKofler, die wir ja Landwirte waren, ist dieArbeit im Garten eine große Erleichte-rung und Freude gewesen. Endlich konn-ten wir wieder Pflanzen betreuen, einigeBäume spritzen, allerdings nur mit der

Im Gefängnis verfolgten die politischen Häftlingeaufmerksam die politische Entwicklung und wenn

es ihnen möglich war, wurde darauf reagiert.

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Trient, den 31. Juli 1968

Sehr geehrter Herr Senator!

Sie haben uns wissen lassen, dass Sie uns in nächster Zeit besuchen wollen. Darüber sindwir keineswegs erfreut. Es ist vielmehr unser bestimmter Wunsch und Wille, dass Siefernbleiben. Die knieweiche Politik, die Sie seit einigen Jahren mit Eifer und Geschäftigkeitbetreiben, ist mit unserer Gesinnung nicht vereinbar. Und so ist jede Begegnung zwischenuns sinnlos.

Mit diesen Worten wollen wir uns nicht von der Partei abwenden, sondern nur von Ihnenund allen jenen, die sich Ihrer Verzichts- und Kapitalismuspolitik verschrieben haben.

Es grüßen Josef FontanaKofler OswaldJosef MitterhoferJörg Pircher

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Wergl und Hühner und Hasen füttern.Die Hühner mussten wir als Küken (150Stück) großziehen, Sie machten danneine Legeperiode durch und wurden ca.1 1/2 jährig abgeschlachtet und demWachpersonal billig verkauft. Als Oswaldund ich das erstemal die Schlachtungvornahmen, rund fünfzig Stück an einemTag, habe ich die Hennen gefangen undOswald hat ihnen mit einem Dreh dasGenick gebrochen. Er fasste sie mit einerHand beim Kopf, drehte das Huhn raschim Kreis und das Genick war ab. Er warfsie alle auf einen Haufen. Aber plötzlichmerkten wir, dass dieser statt größer im-mer kleiner wurde. Die totgeglaubtenHühner waren wieder zum Leben er-wacht und geflüchtet, Oswald hatte ih-nen nicht das Genick gebrochen, son-dern nur das Bewusstsein genommen.Die Situation war so grotesk und lustig,das wir uns bogen vor Lachen. Das zwei-te Mal hat er seine Arbeit schon gründ-licher gemacht. Unseren inzwischenheimgekehrten Vorgängern ist dasselbeMissgeschick passiert. Das tröstete unsein wenig über unsere nicht ganz profes-sionelle Arbeit hinweg. In einem Garten-schuppen habe ich einen kleinen Raumeingerichtet mit einem Tisch und einemalten Herd, den wir im Winter beheizten.Einmal in der Woche, am Samstag Vor-mittag, habe ich dann immer Knödelgekocht und eine, manchmal auch zweiZellen damit beliefert. Im Garten durften

wir nämlich ein größeres Messer zumBrot und Speck aufschneiden haben.

Übrigens durften wir im Trientner Ge-fängnis schon die ganzen Jahre her mitTrockenspiritus unsere Speisen aufwär-men, welche uns die Frauen beim Be-such mitbrachten. In den Zellen warenwir meistens zu sechst und da haben wirden Besuch so eingeteilt, die eine Hälfteam Montag und die andere am Donners-tag. So hatten wir die ganze Woche dasEssen von zu Hause. Im Winter ging dasreibungslos, weil wir die Behälter vorsFenster stellten. Im Sommer war dasschon problematischer, da mussten wires im Abort beim Waschbecken unterfließendem Wasser kühlen. Die Reinigungder Zelle und des Abortes, jeden Tagwurde der Terazza-Boden gewischt, mus-sten zwei Mann besorgen. Sauberkeitwar eben wichtig, gehört auch zur Lei-beserziehung. Leider konnten wir nureinmal in der Woche duschen und daswar im Sommer schon wenig.

Es war eigentlich interessant, in denersten Jahren unserer Gefangenschaftsehnte man sich mit jeder Faser seinesHerzens nach der Freiheit. Es war sostark, dass es uns fast verzehrte. Mit derZeit aber mussten wir uns mit der Reali-tät einfach abfinden, es blieb uns nichtsanderes übrig. So langsam gewöhnteman sich einfach an das Gefängnisleben.Natürlich hatte jeder von uns oft Tage,wo er einen moralischen Tiefpunkt

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Sepp Mitterhoferwährend

der letzten Tageim Gefängnis von

Schlanders.

Endlich frei!Sepp Mitterhofer umarmtseine beiden SöhnePeter und Sepp am Tagseiner Entlassung.Wie alle Häftlinge wurdeauch Sepp Mitterhofer andiesem Tag begeistertempfangen und gefeiert.

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durchmachen musste. Aber entwederderjenige erholte sich selbst wieder, odersonst haben wir uns eben gegenseitiggeholfen. Kameradschaft war in solchmisslichen Situationen etwas vom Wich-tigsten. Nun da wir uns dem Zeitpunktder Entlassung näherten, war komischer-weise die Sehnsucht lange nicht mehr sostark wie früher. Bei mir war es jedenfallsso, ich freute mich logischerweise auf dieFreiheit, aber zugleich hatte ich auchAngst vor ihr. Ich war menschenscheugeworden und mein Gesundheitszustandwar auch nicht gut. Die schweren Miss-handlungen und das Leben im Gefäng-nis verfolgten mich auch nachts. Mehre-re Jahre nach meiner Heimkehr hatte ichnoch Alpträume, wo ich dann plötzlichaufschrie. Ich hatte regelrecht Angst, dasLeben in der Freiheit nicht mehr richtigbewältigen zu können. So blieben zumSchluss nur mehr wir vier Gartenarbeiterübrig. Fontana kehrte dann im Februarheim. Ich ließ mich im März für die letz-ten drei Monate als Übergang nachSchlanders versetzen. Als ich dann amHerz-Jesu-Sonntag in Schlanders entlas-sen wurde, habe ich starke Beruhigungs-medikamente zu mir genommen, umdiesen schönen Tag und Empfang inSchlanders und besonders daheim heil zuüberstehen. Ohne diese Medikamentehätten meine stark strapazierten Nervenbestimmt nicht gehalten und ich wärewohl zusammengeklappt.

Kofler verließ im August das Gefäng-nis und Jörg Pircher wurde ein Jahr ge-schenkt und durfte im November 1969als letzter von den 61ern, wie man unsnannte, heimkehren.

Wenn ich heute zurückblicke, warendie acht Jahre Gefängnis eine sehr be-wegte und auch harte Zeit. Angefangenbei den Folterungen über die vielen Jah-re des Hoffens und Bangens, nicht nurwegen der gesundheitlichen Schäden,auch wegen des Lebens selbst. Dann dieSorge um die Familie, werden unsereFrauen diese lange Zeit ohne Mann, ohneErnährer es schaffen, werden sie durch-halten? Heute wissen wir es, dass sieGroßartiges geleistet haben, aber damalsgab es so viele Sorgen, dass es manch-mal wirklich schwer war. Wären wir nichtjung und kräftig gewesen, voller Idealis-mus und Überzeugung, dass die Anschlä-ge einfach notwendig gewesen sind, ichweiß nicht, ob wir das alles so durchge-standen hätten.

Wenn ich die heutige politische Ent-wicklung betrachte, dann kommen mirimmer wieder die Zweifel, ob die vielenOpfer, angefangen bei den toten Kame-raden bis hin zu den Tränen unserer Frau-en und Mütter nicht doch zu groß wa-ren!

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MIT 32 JAHREN IST MAN HALTNOCH BELASTBARJohanna Clementi

Es wird oft vergessen, dass jedesOpfer, jeder Verfolgte eine Mutter, einenVater, Geschwister, Ehefrau oder Ehe-mann, Kinder hat, die genauso mitlittenund Opfer sind.

Damals ertrugen vor allem die Ehe-frauen die Leiden und Lasten der gefol-terten und eingesperrten Männer mitund einige führten dann sogar den be-gonnenen Einsatz, den Kampf weiter.Erstaunlich war besonders der unerschüt-terliche Wille, den so manche Ehefrauaufbrachte. Je dunkler die Welt um siewurde, je aussichtsloser die Lage, destoheller und stärker entfaltete sich in man-chen von ihnen immer wieder von neu-em Hoffnung, Lebenskraft und der Wil-le, auf ihre eigene Weise für die geliebteHeimat weiter zu kämpfen.

Ihr gemeinsames Schicksal hat esnicht immer gut gemeint mit ihnen. Aberdieses gemeinsame Schicksal hat sie auchzu besonderen Menschen, zu besonde-ren Frauen gemacht.

Jede Betroffene hat ihre eigene Ge-schichte. Sie würden zusammen ein Buchüber Leiden und Not füllen. Unzähligwären die Berichte über kleine und gro-ße Schwierigkeiten, welchen diese Frau-en tagtäglich auf ihrem Lebensweg aus-gesetzt waren.

So könnte mandie Geschichte vonFrau Cilli Schwings-hackl aus Taisten er-zählen. Mit ihremMann hatte sie mitihren gemeinsamen Ersparnissen ein ab-bruchreifes Haus gekauft. Sie wollten esumbauen und sich ein Zuhause schaffen.Gemeinsam wäre es leichter gewesen.Doch Andreas Schwingshackl, ihr Mann,wurde 1961 verhaftet und blieb jahre-lang eingesperrt. Mit großen Opfern undMühen, auf sich allein gestellt, verfolgtesie ihr gemeinsames Ziel und bewahrteihr Heim vor dem weiteren Verfall. Alsihr Mann aus dem Gefängnis entlassenwurde, ging es dann wieder leichter, aberdas Schicksal war ihnen nicht gnädig. An-dreas Schwingshackl, von der langen Ge-fängnishaft gezeichnet, erkrankte baldund verstarb und hinterließ seine Frauund zwei unmündige Kinder.

Oder das Schicksal von Hedwig Ober-hollenzer, die aus dem Radio hören mus-ste, dass ihr Verlobter David Oberhollen-zer verhaftet worden war. Bis dahin ahn-te sie nichts von der Untergrundtätigkeitihres Verlobten. Jahrelang hatte sie gro-ße Probleme, ihren Verlobten im Gefäng-nis zu besuchen, da sie ja nicht verheira-

Johanna Clementi

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tet waren. Manch «guter» Freund legteihr immer wieder nahe, diese Bindungzu lösen. Doch die Liebe war stärker undHedwig Oberhollenzer wartete geduldigauf die Entlassung ihres zukünftigen Ehe-mannes.

Johanna Zuveith Clementi ist aucheine von ihnen. Sie wurde 1929 in Mon-tan geboren. In der Katakombenschulelernte sie Deutsch, Schreiben und Lesen.Daheim arbeitete sie in der Landwirt-schaft mit und lernte kochen und nähen.Trotz der schweren Zeiten, die Land undLeute damals durchlebten, erinnert siesich gerne an jene bescheidene, aberunbeschwerte Jugendzeit zurück. 1953

heiratete sie den Bauern Hans Clementiaus Pinzon. 1954 wurde die Familiedurch ein Mädchen und 1957 durch ei-nen Buben vergrößert. So lebte die Fa-milie bis zum 19. Juli 1961, als ihr Mannein politischer Häftling wurde und fast 7Jahre im Gefängnis verbrachte. Nach derEntlassung ihres Mannes war Frau Cle-menti auch in der Gemeinschaft tätig; sowar sie z.B. 3 Jahre lang Bezirksbäuerinvon Unterland.

«Das Gefängnis in der Via Pilati inTrient war der Ort, wo wir einmal in derWoche Einlass erhielten. Ein bisschen um-ständlich war es schon, wir, ich sprechevon der Schwester von Konrad Matuella,

Johanna Clementi musste wie viele andere Häftlingsfrauen während der Haftzeit ihres Mannes alleine fürden Unterhalt und die Erziehung ihrer Kinder sorgen.

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fuhren fast immer zusammen, musstenbei Gericht in Bozen die Erlaubnis holen,um in Trient eine halbe Stunde Besuchs-erlaubnis zu erhalten. Montag war unserBesuchstag. Um 9 Uhr fuhren wir mitdem Autobus von Neumarkt nach Trientund um 13.15 Uhr mit dem Zug vonTrient nach Neumarkt zurück.

Manchmal hatten wir Gelegenheit,mit jemandem mitzufahren, der mit demAuto hinunterfuhr, dann mussten wirwenigstens in Trient keine Taschenschleppen. Nachdem wir unsere Taschenmit Wäsche und was zum Essen abgege-ben hatten, wurde dies peinlichst unter-sucht, bevor es unsere Männer bekom-

men haben. An einem langen Tisch imBesuchsraum war Platz für je 5 – 6 Häft-linge auf der einen Seite und für genau-so viele Frauen, Mütter oder Geschwisterauf der anderen Seite.

So konnten sich alle sehen und be-grüßen. Die Besuchserlaubnis musste ichin den ersten zwei Monaten in Bozenpersönlich abholen, dann konnte diesmeine Schwester, die in Bozen arbeitete,erledigen. Dann wieder, nach einer Wei-le, bekamen wir die Erlaubnis in Trient.Der Montag war der Trient-Tag und dieKinder konnte ich schon am Sonntag beimeinen Eltern lassen und am Montagkamen sie nach der Schule nach Hause.

Immer wieder bewährte sich die Hilfsbereitschaft von Nachbarn, Verwandten, Freunden und Mitkämpfern. So wares oft selbstverständlich, dass man bei der Weinlese und Äpfelernte tatkräftig den betroffenen Familien zur Seitestand. Leider war diese Solidarität bei den politisch Verantwortlichen im Lande nicht so ausgeprägt, wie bei deneinfachen Menschen des Landes.

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Hans Clementi wurde am Tag seiner Entlassung aus dem Gefängnis von Brixen nach siebenjährigerGefangenschaft von Verwandten und Freunden am 19. Mai 1968 auf seinem Hof herzlich empfangen.

Es war ja ein halbstündiger Fußweg indie Schule, ebenso ins Dorf. Die Stützebei mir zuhause war einfach großartig,die Kinder meiner Zwillingsschwester sindfast gleich alt und lebten ja alle im glei-chen Haus mit meinen Eltern.

Einmal im Monat durfte einmal daseine Kind, dann das andere Kind mitfah-ren auf Besuch. Das Mädchen hat beimersten Besuch fast einen Weinkrampfgekriegt. Die Kinder waren ja währendder Verhaftung meines Mannes in derSommerfrische und hatten den Vater biszum ersten Besuch zwei Monate nichtmehr gesehen.

So hat jede Woche gleich angefan-gen, bis zum Herbst 1963. Inzwischenhatte man wieder einmal auf eine Am-nestie gehofft, aber… Man hoffte vomFrühjahr bis zum Herbst und vom Herbstbis zum Frühjahr; so ging es 7 Jahre lang.

1961, im Spätsommer, haben uns dieLandtagsabgeordneten Volgger undPlaickner auf dem Rückweg von einer Re-gionalratssitzung in Trient besucht. Siehaben sich erkundigt, wie es uns geht,mir und den Kindern, auch wie es demHans geht und den anderen Mithäftlin-gen, wollten sie wissen. Meine Antwortwar: »Gott sei Dank sind wir gesund.»

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Die moralische Belastung hat mich auchnicht erdrückt, weil ich überzeugt war,dass das alles einen Sinn haben mussteund mit 32 Jahren ist man halt nochbelastbar. Die Herren hörten sich dieAntworten auf ihre Fragen an und fürmich war es schon eine Genugtuung,zwei Politikern meine Ansicht zu sagen.

Es konnte einem ja niemand etwaswirklich Konkretes sagen, auch der An-walt Dr. Sand konnte sich nur einentiefen Seufzer abringen, wenn man beiihm vorbeischaute. Ich fühlte mich schonoft so ein bisschen wie in der Luft, ohneBoden unter den Füßen, wie man sosagt.

Im Frühjahr 1962 kam einmal eineDelegation aus Belgien, es waren Min-derheitenvertreter. Denen sollte ich aufsTonband sprechen, wie damals seit 1961alles in verschiedenen Richtungen lief. Dr.Volgger hat mich schon verständigt,sonst hätte ich ihnen nicht vertraut. Eswar noch zwei Mal, bald aufeinanderfol-gend, dass Einzelpersonen zu uns kamenund mich aushorchen wollten, aber de-nen habe ich nicht vertraut.

Wie gesagt, meine Familie und auchviele Montanerinnen und Montaner ha-ben mir bei der Arbeit geholfen, beimWimmen, beim Rebenschneiden undSpritzen. Heute möchte ich noch einmalein Vergelt’s Gott sagen, auch diemoralische Solidarität war nicht schlecht.Man konnte natürlich auseinanderhalten,

wer einem heilig oder scheinheilig be-gegnete.

Wenn ich von Anfang an gewussthätte, dass das Warten fast 7 Jahre dau-ern würde, beide Kinder zur Erstkommu-nion gingen und gefirmt wurden ohneVater zuhause, wäre das eine Ewigkeitgewesen. Aber Gott sei Dank sind wirimmer gesund geblieben und das istschon ganz viel.

Im Sommer 1962 besuchte uns Dr.Volgger mit Josef Pikvance. DerHochschulprofessor in Birmingham undführendes Mitglied der Quäker in Eng-land, ein sehr netter Herr, erkundigtesich, wie es uns ging, auch, wie es mei-nem Mann im Gefängnis gehe und denFamilien von Josef Fontana und KonradMatuella. Auch in Tramin hat der Herraus England Eindrücke gesammelt, wasfür Menschen es sind, die sogenanntenTerroristen. Als er sich von mir verabschie-dete, sagte er – soviel Deutsch konnteer: «Ich werde für diese Leute, die fürihre Heimat zu solchen Mitteln gegriffenhaben, nie mehr das Wort Terroristenaussprechen.» Bei uns kann man es heu-te von deutschen Südtiroler Politikernund Nachrichtensprechern noch hören.

Am 20. August 1963 begann derCarabinieriprozess in Trient, den ich vomAnfang bis zum Ende mit meiner Schwe-ster vor Ort verfolgt habe. Der Anblickder Häftlinge, die in Ketten vorgeführtwurden, war schrecklich und der Urteils-

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spruch des Richters war mir unverständ-lich. Beim Prozess habe ich den Rechts-anwalt Sandro Canestrini kennen gelernt.Ich fragte ihn, ob er bereit wäre, dieVerteidigung meines Mannes im Beru-fungsprozess zu übernehmen und er hatJa gesagt. Wir sehen uns heute noch desöfteren.

Im Herbst 1963 war dann der großeProzess in Mailand angekündigt und alleHäftlinge kamen nach Mailand. Da gabes dann vierzehntägig Besuch. Wir fuh-ren gemeinsam nach Mailand. Um 4.30Uhr musste ich von zuhause weggehen,

um 5 Uhr war der Bus in Neumarkt. DerBesuch war noch umständlicher als inTrient. Als der Prozess begann, gingenwir, wenn es möglich war, auch zumProzess ins Justizgebäude, es war aberfast unmöglich, dem Prozessbeizuwohnen und die Häftlinge zu besu-chen.

Im April 1964 fuhr unser Pfarrer,Hochw. Johann Fischer, zum Prozess nachMailand und hat uns, die Schwester vomKonrad und mich, eingeladen, mitzufah-ren. Auf der Rückfahrt hat es dann einAuto von der anderen Fahrbahn der

Der italienische Anwalt Sandro Canestrini aus Rovereto verteidigte mit viel Geschick und Ausdauer viele derangeklagten Südtiroler. Vielen Häftlingsfrauen ist er als einfacher und freundlicher Mensch in guter Erinnerunggeblieben.

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Autobahn auf unsere Seite geschleudert.Das Auto vom Herrn Pfarrer war Schrott,der Herr Pfarrer und ich hatten eine gro-ße Platzwunde auf der Stirn.

Ich wachte erst im Krankenhaus Cas-sano d’Adda auf, schon fast kahlgescho-ren. Die Hedwig Matuella hatte einenkomplizierten Oberarmbruch. Sie musstefast den ganzen Sommer über einenGipspanzer tragen. Gott sei Dank, mussich jetzt, hinterher, sagen, ist nicht vielpassiert, es hat niemand einen bleiben-den Schaden davongetragen. Der HerrPfarrer fuhr schon am nächsten Tag heim,ich durfte wegen meiner Gehirnerschüt-terung erst einen Tag später fahren. DerHerr Hans Tschöll hat uns in Cassanoabgeholt. Ich blieb ein paar Tage beimeinen Eltern, die Wunde ist schnellverheilt und auch die Haare sind schnellnachgewachsen.

Auf die nächste Besuchsfahrt mussteich verzichten, die Kinder nahm ich nureinmal nach Mailand mit. Der Besucher-raum in Mailand war ein großer Saal,alles aus Stein, der große Steintisch warin der Mitte durch ein Gitter geteilt, so-dass man nur mit Streckübungen dieHand des Mannes berühren konnte. DieKinder durften aber immer in Begleitungder Wachleute über dem Tisch zum Va-ter.

Im Juli kam dann das Urteil, für man-che eine Freude und für viele eine großeEnttäuschung. Man hat sich aber mit

denen gefreut, die Ursache zur Freudehatten. Danach kamen alle wieder zuihren früheren Haftanstalten zurück,mein Mann nach Trient. In Trient hattensie beim Direktor einen Stein im Brettund konnten wieder im Garten arbeiten,das war ja für die Gesundheit viel wert.Wir Frauen jener Männer, die im Gartengearbeitet haben, konnten sogar einmaleinen Schritt in den Garten tun. So konn-ten wir sehen, wie unsere Männer dieTage verbrachten. Das war ein Entgegen-kommen von Direktor De Mutis.

1966 kamen die Häftlinge wiedernach Mailand zum Berufungsverfahren,da hatte ich schon fast gehofft auf dasEnde, aber wieder eine Enttäuschung. Soging es wieder weiter nach Trient; jedenMontag eine halbe Stunde Besuchszeit.Die letzten vier Monate konnte meinMann einen Antrag stellen, um in einBezirksgefängnis zu kommen. MeinMann entschied sich für Brixen, aber daswar keine gute Lösung, die Fahrt nachBrixen war gleich weit wie nach Trient.

Nur die Entlassung am 19. Mai 1968war in Brixen bestimmt angenehmer alssie in Trient gewesen wäre. Die BrüderFranz und Paul Gamper haben ihn auchbesucht und waren bei der Entlassungdabei. Auch andere Bekannte kamennach Brixen, um bei seiner Entlassungdabei zu sein. Der Schwager Fritz hat uns– mich und die Kinder – nach Brixengebracht, um den Heimkehrer abzuho-

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len. Bei Gampers waren wir dann zu ei-nem kurzen Aufenthalt eingeladen. Lui-se und Familie hatten wunderbare Spe-zialitäten vorbereitet.

Wir fuhren dann nach Terlan, wo sichmein Mann mit einem seiner sieben Ge-schwister traf und dann ging es nachHause. Da wartete die Musikkapelle, derer ja schon vorher angehört hatte undempfing ihn mit Marschmusik und zwei

Buben, die Brüder Walter aus Neumarkt,trugen Gedichte vor und überreichtenBlumen. Auch verschiedene andere Leutewaren gekommen zur Begrüßung, wirwohnen ja außerhalb des Dorfes. Seitdem 19. Mai 1968 sind wir wiederbeisammen. Unter uns Häftlingsfrauenhat sich eine Beziehung ergeben, die unsheute noch manchmal zusammen-führt.

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MAN SAH IHM DEUTLICHDIE MISSHANDLUNG ANMaria Mitterhofer

Maria Mitterhofer, geborene Lex,wurde am 9.6.1935 in Meran geborenund hat dort die Volksschule besucht. Mit19 Jahren besuchte sie in Rotholz (Nord-Tirol) die Haushaltungsschule. MehrereJahre war sie bei der Obermaiser Bürger-kapelle Marketenderin, wo sie ihrenMann kennenlernte. 1958 hat sie dannSepp Mitterhofer geheiratet, dem sie vierKinder schenkte. Zwei Buben vor seinerVerhaftung und zwei Mädchen nach achtJahren Gefängnis. Neben der Arbeit alsBäuerin versorgte sie auch die Gäste aufdem Hof. Seit der Gründung des Orts-bäuerinnenrates 1980 war sie dort tätig.Von 1990–1994 war sie Ortsbäuerin bzw.Stellvertreterin.

«Nachfolgend möchte ich meine Er-lebnisse als Häftlingsfrau schildern, wel-che meinen weiteren Lebensweg undmeine ganze Familie geprägt haben.

Als ich im Februar 1958 meinenMann, Sepp Mitterhofer, heiratete, hatteer sich bereits für den Widerstand gegendie Überfremdung und Unterdrückungunseres Volkes durch den italienischenStaat entschlossen. Nachdem sich die Tä-tigkeit meines Mannes im Untergrundvielfach nachts abspielte, hat er mich ingroben Zügen darüber eingeweiht, da-

mit die junge Ehenicht gefährdetwurde: Einerseits,weil er in einer soheiklen Angele-genheit das nöti-ge Vertrauen zu mir hatte und anderer-seits, weil er dadurch nachts ungeniertdieser Tätigkeit nachgehen konnte.

Außerdem war er auch bei der Mu-sikkapelle aktiver Musikant, war im Orts-ausschuss der SVP tätig und bei der Bau-ernjugend. Dadurch war er viel von zuHause fort und deshalb war die Offen-heit zwischen uns sehr wichtig, sonstwäre die Ehe wohl in Krise geraten. 1959bekamen wir einen Stammhalter, mitdem wir unsere helle Freude hatten.1961 wurde ich wieder schwanger. Alsder zweite Bub aber zur Welt kam, warmein Mann bereits zwei Monate imGefängnis. Es ist sicher gut so, dass mannicht ahnt, was man im Leben alles mit-machen muss, sonst würde wohl somancher am eigenen Schicksal zerbre-chen. Ich habe die Einstellung meinesMannes, dass es so in unserer Heimatnicht weitergehen könne, dass irgendetwas gegen die Unterdrückung gesche-hen müsse, mitgetragen, obwohl ich oftAngst hatte und deshalb habe ich wohl

Maria Mitterhofer

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mein Schicksal auch etwas besser ertra-gen können.

Anfangs Juli 1961 war ich mit mei-ner Familie in einem Nebenhäusl beimGasthof Taser am Schennerberg in derSommerfrische. Da erinnere ich mich,dass mehrere Männer, darunter auchSepp Kerschbaumer, zu einer Sitzungzusammengekommen waren. Es solltedie letzte mit ihm sein; dort haben sieausgemacht, dass wieder mehrere Ma-sten gesprengt werden sollten. Mein

Mann kam ab und zu herauf, uns zubesuchen, sonst musste er ja unseren Hofbearbeiten.

Am 15. Juli kam dann die Hiobsbot-schaft, dass die Carabinieri meinen Mannverhaftet und in die Carabinierikasernenach Meran gebracht hatten. Damit be-gann der Leidensweg unserer Familie. Alswir daraufhin sofort nach Hause fuhren,musste ich vom Schwiegervater erfahren,dass man ihn als alten, vom Schmerzgetroffenen Mann – auf der Suche nachseinem Sohn – von einer Carabinierista-tion zur anderen geschickt hatte. Obwohlhochschwanger, beschloss ich, zur Haupt-kaserne zu gehen und energisch nachmeinem Mann zu verlangen. Nach erstenVerleugnungen wurde ich schließlichdoch zu meinem Mann vorgelassen. SeinAnblick war ein Schock für mich: mansah ihm deutlich seine Misshandlungenan; sein Kopf war auf das Doppelte an-geschwollen. Wir durften uns nur unterAufsicht wenige Minuten unterhalten.

Daraufhin wurde mir bewusst, wel-chen Folterungen unsere Männer ausge-setzt waren und wie hilflos wir zusehenmussten. Auch meine Schwiegereltern,die bis dato von der Untergrundarbeitihres Sohnes keine Ahnung hatten, konn-ten den Schicksalsschlag nur schwer ver-kraften.

Dann begannen die wöchentlichenBesuche im Gefängnis. Nach der Geburtunseres zweiten Sohnes besuchte ich

Frau Mitterhofer mit ihren zwei Söhnen. Ein Fotofür den Ehemann im Gefängnis.

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Sepp, meinen Mann, im Gefängnis vonBozen, um ihm unser Neugeborenes zuzeigen. Dieser herzzerreissende Besuch,zusammen mit der Geburt, hatte michderart geschwächt, dass ich anschließendeinen Nervenzusammenbruch erlitt. Dieganze Tragödie brach über mich herein:Die Arbeiten am Hof mussten fortgeführtwerden, die Ernte stand vor der Tür unddie kleinen Kinder brauchten meine Zu-wendung.

Die schier unüberwindlichen Hürdenkonnte ich nur bewältigen, da ich denRückhalt von Sepps Familie, besondersmeines Schwagers Jakob und meiner ei-genen Geschwister hatte. Auch die Mai-ser Bauern waren in den ersten Jahrenbeim Bäumeschneiden behilflich. Einfleissiger, ständig angestellter Bauernsohn

aus Schenna namens Sepp Pföstl (Hilbur-ger), nahm mir dann die meisten Arbei-ten am Hof ab.

Doch nicht nur positives Echo war ausder Bevölkerung zu verspüren, es gabauch Anfeindungen, z. B. bekam ich denAusspruch zu Ohren: «Die Bombenlegersollten aufgehängt werden.»

Später nahm ich manchmal den dreiJahre alten Seppl mit auf Besuch. Erdurfte dann für kurze Zeit auf die andereSeite des Tisches zu seinem Vater hin-übergehen. Diese Gelegenheit hat meinMann dann in einem unbewachten Au-genblick ausgenützt und dem Buben ei-nen Brief über die schweren Misshand-lungen in die Kapuze gesteckt. Ein ande-res Mal habe ich für meinen Mann einkleines Transistorradio und ein Taschen-

Regelmäßig besuchten die Ehefrauen und Angehörigen ihre Lieben in den Gefängnissen. Maria von Sölderwar den Angehörigen eine stete und sichere Hilfe.

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messer hineingeschmuggelt. Das warnicht ungefährlich für ihn, denn sie wur-den vor und nach dem Besuch immervon den Wachen abgetastet. Hätten siees gefunden, dann wäre er strafversetztoder zumindest einige Tage in den Kellergesperrt worden.

Die ersten Weihnachten waren be-sonders schlimm. Die Kerze am Fensterdes Hofes bzw. am Gefängnisfenstersollten unsere Verbundenheit symbolischausdrücken.

Der Tod von Höfler und Gostner imWinter 1961/62 weckte die Angst in unsHäftlingsfrauen, dass unsere Männerdasselbe Schicksal ereilen würde.

Nach einem Hungerstreik wurden dieAnführer, darunter mein Mann, nachVicenza strafversetzt. Damit verlängertesich der Anreiseweg unserer wöchentli-chen Besuche. Die Unterbringung imdortigen Gefängnis unter menschenun-würdigen Bedingungen (feucht, kalt) unddie Radikalhungerkur von Sepp – er warnämlich zu dick und hatte Angst, dass esihm so ergehen würde wie seinem Ka-meraden Toni Gostner – brachte ihmHerzbeschwerden ein. Wir durften einenVertrauensarzt konsultieren, der uns be-schwichtigen konnte.

Im Frühjahr 1963 verstarb derSchwiegervater. Die große Frage war, obSepp zur Beerdigung kommen durfteoder nicht. Viele Schaulustige stellten sichdieselbe Frage. Falls ja, wäre er in Ketten

vorgeführt worden. Diese demütigendeVorstellung wurde ihm erspart, weil dieTeilnahme doch verboten wurde.

Im Sommer desselben Jahres fand derCarabinieri-Prozess in Trient statt, bei wel-chem wir Häftlingsfrauen mitansehenmussten, wie die angeklagten Folter-Ca-rabinieri frei in den Gerichtssaal geführtwurden, unsere Männer hingegen, die indiesem Falle Ankläger waren, in Kettenvorgeführt wurden. Das Urteil war einHohn: Sie wurden freigesprochen undsogar noch befördert. Im Laufe diesesJahres sah ich mich gezwungen, die Füh-rerscheinprüfung abzulegen um selbst-ständiger zu werden und damit die Ver-wandten zu entlasten. Die eine und an-dere Häftlingsfrau hatte so die Gelegen-heit, mit mir zum Besuch zu fahren.

All die Jahre hindurch hatte ich im-mer großes Glück. Nie stieß mir etwaszu. Sogar jene Situation ging glimpflichab, als sich auf einer meiner Fahrten einRad lockerte und sich schließlich sogarvom Auto löste.

Im Herbst 1963 trat eine Nachbarinmit perfekten Italienischkenntnissen anmich heran und machte mir den Vor-schlag, zusammen bei Staatsanwalt Gre-sti in Mailand vorzusprechen, um viel-leicht auf diesem Wege eine Haftentlas-sung von Sepp zu erreichen. Der Staats-anwalt konnte uns keine Hoffnung ma-chen; der Prozess stehe demnächst vorder Tür.

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Tatsächlich begann er in Mailand imDezember desselben Jahres und zog sichüber sieben Monate hin. In dieser Zeitfuhren wir Häftlingsfrauen sowohl zu denVerhandlungen als auch in zweiwöchi-gem Abstand mit dem Bus zu den Besu-chen unserer Männer. Dies stellte einegroße psychische Belastung für uns alledar. Die Urteilsverkündung spät in derNacht im Juli 1964 ließ für viele eine Weltzusammenbrechen. Mein Mann wurdezu insgesamt 12 Jahren Gefängnis verur-

teilt. Dies war auch für den Rest derFamilie zu Hause eine Tragödie: Wirmussten die nächsten Jahre ohne denMann bzw. Sohn auskommen. MeineSchwiegermutter, eine sehr religiöse Frau,hat sich damit zu trösten versucht, dasssie sich sagte, der Herrgott mische sichnicht in die Politik ein. Für mich stelltendie beiden Buben einen großen Trost dar.Sie gaben mir die Kraft zum Weiterma-chen. Einmal, als ich sehr traurig war,kam der sechsjährige Seppl zu mir und

Im Jahre 1997 erhielt Maria Mitterhofer auf Schloß Tirol als Anerkennung für ihre Leistung als Häftlingsfraudas Goldene Verdienstkreuz des Landes Tirol. Frau Maria Mitterhofer im Kreis ihrer Familie.

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versuchte, soweit es ihm in seiner kind-lichen Art möglich war, mich zu trösten.

Unser Leben war ein ständiges Aufund Ab an Hoffnungen. Mal hofften wirauf eine politische Lösung, mal wiederauf eine Amnestie. Doch immer wurdenwir eines Besseren belehrt. Wir wurdenmit den unglaublichsten Situationen kon-frontiert: So versprach mir eine mir un-bekannte Frau, sie werde mit einem ehe-maligen Schulfreund, der jetzt Staatsan-walt sei, Kontakt aufnehmen und soversuchen, meinen Mann aus dem Ge-fängnis zu holen. Als Gegenleistungmusste ich auf ihren Hund aufpassen,während die Herrschaften in Urlaub fuh-ren. Die Kratzspuren an der Stubentürlegen heute noch Zeugnis davon ab. Ein-mal kam sogar ihr Mann zu mir und ver-langte Geld, um für das Auto von sei-nem Sohn Schneeketten kaufen zu kön-nen. Die Gespräche mit dem Staatsan-walt – ob tatsächlich durchgeführt odernur gelogen – haben jedenfalls nichtsgefruchtet und schließlich gaben wirauch diesen Versuch auf.

Sepp arbeitete inzwischen als Tisch-ler im Trienter Gefängnis und die letztenzwei Jahre beaufsichtigte er die Hühner-zucht. Dies gestattete ihm ein wenigKurzweil und Abwechslung im tristenGefängnisdasein. Die wöchentlichenFamilienbesuche taten ein übriges dazu.Jede der Frauen durfte außerdemHausmannskost mitbringen. Ich versorg-

te so z. B. fast acht Jahre lang meinenMann und seine Zellenkameraden u.a.mit Griesschmarrn.

1966 wurde beim Berufungsprozessin Mailand dem Sepp ein Teil seiner Stra-fe erlassen: zwei Jahre Strafverminderungund zwei Jahre Amnestie. So bliebennoch insgesamt acht Jahre, von denen erfünf bereits hinter sich hatte.

Die restlichen drei Jahre verbrachteer in Trient. Lediglich die letzten drei Mo-nate konnte er im Bezirksgefängnis vonSchlanders zubringen. Diese Nähe zurHeimat schuf einen höchst willkomme-nen Übergang von den acht harten Jah-ren Gefängnis zurück in die Freiheit.Durch die lockere Atmosphäre und dievielen Besuche von Bekannten undFreunden konnte mein Mann sich lang-sam in die Gesellschaft wieder einglie-dern.

Am Herz-Jesu-Sonntag, Mitte Juni,kam der große Augenblick: Mein Mannwurde in die Freiheit entlassen. Nacheiner Messe und einer kleinen Feier ineinem Gasthof in Schlanders mit HansDietl und anderen Freunden, gab es ei-nen großen Empfang zu Hause, bei demdie Musikkapelle aufspielte, viele Ver-wandte und Nachbarn zugegen warenund sich mit uns über die Heimkehr freu-ten.

Natürlich bedurfte es noch einigerZeit, bis sich alles normalisierte. Mit SeppsGesundheit stand es nicht zum besten;

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nur durch ständige Kontrolle, Diätkostund eisernen Willen gelang es ihm, sei-nen Zustand zu verbessern.

Wenn ich heute zurückschaue aufdiese Zeit des Wartens und Bangens,dann muss ich sagen, dass es wohl eineschwere Zeit war, aber ich erlebte auchviel Freude und Solidarität von Mitmen-schen, welche mir wieder die Kraft ga-ben zum Durchhalten. Ich habe zwarmanchmal mit Gott und dem Schicksalgehadert, ich gebe es offen zu, aber ichwar, wie mein Mann, davon überzeugt,

dass damals die Anschläge einfach not-wendig waren und das hat mir in denacht Jahren des Wartens auf meinenMann auch wieder viel Kraft zum Durch-halten gegeben. Als Anerkennung undDank für diese Leistung als Häftlingsfrau,zum Wohl unserer volkstumspolitisch undsozial schwer bedrohten Heimat in densechziger Jahren, habe ich 1997 aufSchloss Tirol das goldene Verdienstkreuzvom Land Tirol erhalten, mit dem ichselbstverständlich eine große Freudehabe.»

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WIE VIELE TRÄNEN FLOSSEN, BLIEB VERBORGENMidl von Sölder

Ein Großteil der Bevölkerung Südti-rols sympathisierte am Beginn der Bom-benjahre mit den Aktivisten. Doch diesgeschah meist im Verborgenen und Ge-heimen. Nur wenige hatten den Mut,offen für das Recht der Verfolgten einzu-treten. Ein wahrer Engel für die durchdie große Verhaftungswelle in Not gera-tenen Familien wurde die zwar zierliche,aber in ihren Handlungen großartige Midlvon Sölder.

Maria von Sölder, geboren 1910 inBruneck, wurde mit 16 Jahren von Ka-nonikus Gamper für den Katakomben-unterricht angeworben und ausgebildet.Daraus erwuchsen ihr mancherlei Unbil-den. Das und die politische Einstellungzuhause haben sie und ihr Leben ge-formt. Und das wurde bunt: Nach dreiJahren Katakombendienst war sie Erzie-herin in Venedig und Turin.

Nach Südtirol zurückgekehrt, war sieKatakombenlehrerin in Eppan, um dannin den Dienst bei der amtlichen Groß-deutschen Ein- und Rückwanderstelle inBozen zu treten. Vor dem Abschub durchdie italienische Behörde wanderte sienach München aus. Bei Kriegsbeginnwurde sie zur Funkerin der deutschenLuftwaffe ausgebildet – leistete Funk-dienst bis Kriegsende in München, Rom,

Neapel, Mailandund zuletzt Jenesi-en. Im September1945 erfolgte ihreEntlassung ausamerikanischer Kriegsgefangenschaft.

Im Mai 1946 kam sie im Schwarz-gang über Eppan nach Bruneck, wo sieals einzige Arbeit die nächtliche Wacheam Rainturm übernehmen konnte.

Über die verschiedensten Aushilfsar-beiten landete sie für 15 Jahre beimSüdtiroler Kulturinstitut als Abschluss ih-rer Laufbahn.

«Die Feuernacht, der Notschrei einesunterdrückten Volkes, der nicht nur inder römischen Regierung gehört undverstanden werden, sondern auch weitüber die Landesgrenzen hinaus die Weltfür das Problem Südtirol hellhörig undaufmerksam machen sollte. Die Nachrich-ten von Festnahmen, von unmenschli-chen Folterungen bei den Verhören undvon Inhaftierungen kreisten im Volke undlösten eine Welle der Empörung aus.

In den berechtigten Stolz über denMut der Männer mischte sich nun dieSorge um ihre Gesundheit und um ihrLeben. Trotz aller Sorge blieb aber immerauch die heimliche Freude über jeden

Midl von Sölder

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neuen gefallenen Masten. Kannte ichauch zu dieser Zeit noch keinen von ih-nen, so fühlte ich mich doch ihnen allenverbunden. Über die Sorge um die Män-ner wären deren Familien beinahe ver-gessen worden.

Gretl Koch, selbst eine der Betroffe-nen, sorgte dafür, dass dies nicht ge-schah. Es entstand sehr schnell eine Zu-laufstelle in ihrem Geschäft. Sie war dortimmer erreichbar und immer bereit, fandimmer die Zeit, den «Häftlingsfrauen»zuzuhören, mit ihnen über ihre Problemeund Sorgen zu sprechen. Gretl Koch wareine von ihnen und schon auch dahervertrauter mit ihnen als ich. Für mich warsie die erste und zuverlässlichste Infor-mationsquelle – ohne sie hätte ich somanches wahrscheinlich nicht erfahren.

Es tat sich ein Meer vielfältigster Sor-gen, neuer Verantwortungen, neuer Ver-pflichtungen und manchmal auch tieferVerzweiflung auf. Alles, was die Frauenbisher mit ihren Männern gemeinsamgetragen hatten, lastete plötzlich alleinauf ihnen. Dazu die Ungewissheit überdas Schicksal der Männer, über die Dau-er dieses Zustandes – und was würdenoch alles kommen?

Die Selbstverständlichkeit, mit derdiese Frauen alles auf sich nahmen, zuihren Männern standen und sie zu schüt-zen wussten, ist mehr als bewunderns-wert. Wie viele Tränen flossen, blieb al-lerdings verborgen. Nur ganz selten wur-

de ich ihrer gewahr, wenn ich gerade zueiner der dunkelsten Stunden daherkam.Da traten körperliche und seelische Pro-bleme und Nöte zutage, zu denen sonstnur schwerlich Zugang zu finden gewe-sen wäre und über diese Herr zu wer-den, schien schier unmöglich. Zu viel Leidund Elend stürzte auf die Frauen ein undnicht alle hatten die nötigen Kräfte, dementgegenzusetzen. Doch jede tat ihrMöglichstes. Im einzelnen die aus denbeinahe unmenschlichen Anforderungenerwachsenen Folgen zu schildern, bin ichnicht befugt, da die Betroffenen selbstdarüber am liebsten schwiegen.

Die Männer und Väter fehlten über-all. Nicht nur die Frauen, sondern auchdie Kinder fühlten sich einsam und sichselbst überlassen, trotz aller mütterlichenBemühungen. Und Kinder gab es in eini-gen Familien 2, 3, in anderen bis zu 6,vom Kleinkind bis zum Jugendlichen. Siealle hätten der Väter bedurft und konn-ten sich nur schwer mit den neuenUmständen zurechtfinden.

Mitunter war ich auf bloße Vermu-tungen und Wahrnehmungen angewie-sen, sodass die tatsächliche Notlage mirspät und dann nur bruchstückweise zurKenntnis kam – zum Teil erschreckendbis katastrophal. Wie konnte da gehol-fen werden? Wo anfangen?

Nachdem sich um die Frauen und dieFamilien bislang offensichtlich niemandso recht kümmerte, sah ich darin eine

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Verpflichtung, der ich wenigstens ver-suchen wollte, gerecht zu werden.Aus eigenem Antrieb und in eigenerRegie begann ich mich der Sache an-zunehmen, sie zu meiner eigenen zumachen. Ungerufen und nicht ent-golten.

Als Berufstätiger verblieben mirfür diese Aufgabe nur die Stundenzwischen und nach der Dienstzeit,Samstag, Sonntag und vorgezogeneUrlaubstage. Wenn man aber auchmit der Nachtzeit nicht geizt, ist dasZeit genug, um etwas in Gang zubringen. Was ich an Geld sammelnkonnte, kam unkontrolliert in meineHände und durch mich ebenso dort-hin, wo es gerade am notwendigstenwar. Dass dies ohne Quittungen ge-schah, erschien mir aus verschiede-nen Erwägungen heraus opportunund deshalb selbstverständlich. EinZeichen gegenseitigen Vertrauens.Nur wer selbst ohne Eigennutz zu ar-beiten außerstande ist, könnte sichan dieser meiner Arbeitsmethode sto-ßen. So dachte ich damals und sodenke ich noch heute.

Als dauernde Hilfe kamen balddie monatlichen Beträge von der Ti-

Midl von Sölder war Tag und Nachtauf dem Weg, um Hilfe für die Häftlinge

und deren Angehörige zu besorgen.

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roler Landesregierung, die auf die Bedürf-nisse der einzelnen Familien abgestimmtwaren. Diese galt es zuzustellen, soweites den Frauen nicht möglich war, sie inBozen abzuholen. Manchen fehlte dafürZeit und Geld. An einigen Orten funktio-nierte auch die Nachbarschaftshilfe. Die-ser Beweis des Zusammenstehens war ingewissem Sinne noch wertvoller als Geld.Dies wohl auch für die Männer «drin-nen». Auch Verwandte und Bekannteaus Südtirol und anderswo und Freundeder abwesenden Familienväter suchtenund pflegten die Verbindung zu den Fa-milien.

Dass die seelischen Kräfte der Men-schen in Notzeiten wachsen, zeigte sichwieder einmal daran, wie die Frauenihren Anteil an Leid und Sorgen trugen.Es traf sie viel und hart. Aber sie warenjung und stark und zeigten sich derSituation gewachsen. Ich musste sie nurimmer wieder bewundern. Am schwer-sten trugen die Mütter das Missgeschickihrer Söhne. Sie zu besuchen und mitihnen zu sprechen war das Traurigste,was ich in dieser Zeit erlebte.

Zur Weihnachtszeit öffnen sich dieHerzen. Lebkuchen, Kinderkleider undSpielsachen schneite es förmlich herein.Eine Schar von Jugendlichen half dieSachen zu sortieren, in Pakete zu verpak-ken und diese zu den Familien zu brin-gen. Sie taten es mit Umsicht und Freu-de und ich danke ihnen noch heute

dafür. Allein hätte ich es nicht geschafft.Natürlich flossen zu dieser Zeit auch

die Spenden reichlicher. Einen Teil davondachte ich den Männern zu übergeben,in der Annahme, dass sie sich freuen unddafür Verwendung finden würden. Ichhabe es auf das Konto eines jeden imBozener Gefängnis überwiesen. Daswurde eine Prozedur!

Der Beamte am Schalter war mehrals erstaunt, als ich ihm die vollständigeNamensliste der Empfänger vorlegte underklärte, dass ich für jeden 20.000 Lireüberweisen wolle. Da es ihn sichtlichüberforderte, die vielen deutschen Na-men zu entziffern, übernahm ich derenEintragung in sein Journal und er schriebden jeweils gleichbleibenden italienischenText dazu. So kam im Laufe von ein paarStunden unter viel Stöhnen seinerseits dieArbeit zu Ende und ich setzte ordnungs-halber meinen Namen darunter.

Wahrscheinlich zu flott, denn ihn zuentziffern, bereitete ihm ebensoviel Mühewie die Errechnung der Überweisungs-summe. Es gelang ihm auf seine Weise,denn als ich endlich ging, sagte er instrammer Haltung: «La riverisco, signoraScelba!»

Er schien sich von der vermeintlichenBegegnung mit dieser Dame weit mehrgeehrt zu fühlen, als ich mit der Verun-glimpfung meines guten Tiroler Namens.

Nach der Verlegung der Inhaftiertennach Mailand, wo die Vorbereitung zum

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Im Vordergrund v.l.n.r.: Schweigkofler Midl, Mitterhofer Maria, Jakob Mitterhofer, Luis Santer

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Prozess und auch der Prozess selbst statt-finden sollten, mussten für die Fahrtender Frauen an den Besuchstagen undspäter zum Prozess Autobusse bereitge-stellt werden. Diese Fahrten stellten fürdie Frauen eine neue und große Bela-stung dar. Vom Vinschgau aus, mit Be-ginn in Burgeis, Tartsch, Prad, Eyrs, Laas,Göflan, Schlanders nach Meran zu kom-men, bedeutete, sich bald nach Mitter-nacht auf den Weg zu machen.

Der Autobus fuhr um 5.00 Uhr vonMeran ab, um 6.00 Uhr von Bozen. DieFahrtteilnehmer aus dem Pustertal vonGsies, Welsberg, Mühlen und Bruneckund von Thuins, Sterzing und Vahrnmussten ebenso früh von Brixen abfah-ren. So fuhren sie zu nachtschlafenderZeit fort und kamen todmüde am spätenAbend wieder heim. Es waren keine Ur-laubsfahrten, sie boten aber Gelegenheitzu Gedanken- und Erfahrungsaustauschim Familienkreis.

Die Frauen waren wieder einmal ganzunter sich. Frohsinn konnte allerdingsnicht aufkommen, denn Angst und Sor-ge fuhren immer mit. Man wusste nie,was bei dem bevorstehenden Besuchwieder Schlimmes zu erfahren war. DerAusgang des Prozesses zerstörte mancheHoffnungen, die im Laufe der Zeit auf-gekeimt waren. Die schwere Zeit begannfür viele aufs Neue.

In den Familien hatte sich inzwischendas eine oder andere eingelaufen – tra-

gische Fälle kamen und blieben aberimmer noch. Was weiter blieb, warenprivate Helfer, die immer wieder bereitwaren, in Härtefällen einzuspringen.

Die Südtiroler Heimatfernen, dasHilfswerk für Südtirol in München, Grup-pen und Vereine und Private hier und inÖsterreich und Deutschland, die halfen,aber nicht genannt werden wollten, gabes auch immer. Trotzdem blieben aberLücken, die weder sie noch ich zu stop-fen imstande waren. Alles Bemühenreichte eben doch nur zu einem Flick-werk aus gutem Willen und Hilfsbereit-schaft.

Die Auslandsfahrten brachten mitun-ter auch Spaß an der Grenze – ich trugfast immer etwas bei mir, was keiner, amwenigsten aber der Zollbeamte findensollte. Einmal konnte ich in InnsbruckLederhosen für die Kinder der Häftlingebesorgen, die ich im Taxi hereinbrachte.Mein Taxifahrer war einigermaßen be-sorgt darüber, dass ich den umfangrei-chen Karton einfach am Rücksitz habenwollte. Am Brenner ließ ich es mir imLaufe des Gesprächs mit dem Zöllnerschlecht werden. Ich mimte eine Gallen-kolik scheinbar so echt, dass er auf mei-ne Bitte um ein Glas Wasser dies imLaufschritt holte.

Nachdem ich einen Schluck getrun-ken hatte, fragte er, ob es mir nun bes-ser ginge, was ich mit einem Kopfnickenbeantwortete. Ob aus Mitgefühl oder aus

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Angst, dass mir Schlimmeres passierenkönnte, was für ihn sicher Umständegebracht hätte, wünschte er uns – ohneauch nur einen Blick auf den Kartongeworfen zu haben – eine gute Fahrtund frohe Weihnacht. Nach einiger Zeitfragte nun auch mein Fahrer, ob ich micherholt hätte. Ich hatte Mühe, ihn davonzu überzeugen, dass ich mich nie andersals gut gefühlt habe. So einfach war es,anstandslos über Grenzen zu kommen.Übrigens, Herr Hanspeter blieb von nunan, wann immer ich ihn brauchte, MEINFahrer. Leider lebt auch er nicht mehr.

Manches hat sich verändert: Die Fa-milien sind gewachsen, die Kinder vondamals erwachsen und selbständig ge-worden. Das Leben hat sich normalisiert.Ein Treffen zu guter Stunde weckt alteVertrautheit und viele Erinnerungen.Gute und andere, Hoffnung und Enttäu-schungen. So ist es wohl nur ein schwa-cher Trost, dass, wenngleich so viel Leidund Opfer nicht alles Erstrebte erreicht,doch wenigstens vieles bewirkt werdenkonnte.»

Nach der Feuernacht war der BAS inSüdtirol fast gänzlich zerschlagen wor-den. In Nordtirol übernahm GüntherAndergassen die Führung des BAS. Gün-ther Andergassen war ein durch unddurch musischer Mensch. Aus Liebe zuseiner Heimat, zu seinem Tiroler Landund aus Verantwortung zu dem von den

Südtirolern angefangenen Kampf, trat erin die Rolle des Anführers.

Im Rahmen eines Lehrausfluges wur-de Andergassen im Jahr 1964 in Venedigverhaftet und beim zweiten MailänderSprengstoffprozess mit 24 anderen vorGericht gestellt und zu einer Höchststra-fe verurteilt. Im Gefängnis wurde ihmsehr übel mitgespielt. Er wurde ständigin ein anderes Gefängnis verlegt, zumTeil anonym, sodass man nicht mehr wus-ste, wo er sich aufhielt.

In seiner unnachahmlichen Art halfer dann in Florenz, wo er damals einsaß,bei der großen Überschwemmung uner-müdlich und mit anderen nicht politi-schen Häftlingen, die Apsis einer Kapellefreizuschaufeln, die 2 1/2 Meter unterSchlamm stand. Deshalb wurden einigeinhaftierte Helfer begnadigt. Er selberwurde dann in Einzelhaft nach Volterraverlegt, ein berüchtigtes Schwerverbre-chergefängnis, wohl weil man glaubte,noch einiges aus ihm herauspressen zukönnen. Nach sieben Jahren wurde eram 19. Dezember 1970 entlassen.

In Südtirol konnten sich wenige Ak-tivisten durch Flucht der drohenden Ver-haftung entziehen. Luis Amplatz ausBozen-Gries musste schon einige Tagevor der Feuernacht das Land wegen ei-ner bevorstehenden Verhaftung verlas-sen. Steger Siegfried und Forer Josef ausMühlen in Taufers flohen einen Tag nachder Feuernacht über die Berge nach

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Nordtirol. Auch Georg Klotz flüchtetenach Nordtirol und für ihn und alle Ge-flüchteten begann eine Zeit des Leidensund des Heimwehs. Sie alle waren vonder Richtigkeit ihres Handelns überzeugtund bereit, den Kampf weiterzuführen.

Niemand kann die damaligenEreignisse besser beschreiben, als dieEhefrau von Georg «Jörg» Klotz. VonAnfang an stand sie voll und geradezumit Begeisterung hinter dem Einsatz fürdie Heimat ihres Mannes.

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2. Mailänder Südtirolprozess, 20. April 1966: die Angeklagten, 1. Reihe von links nach rechts: Franz Fischer,Andreas Ladurner, Josef Alber, Rudolf Kofler, Hugo Knoll – 2. Reihe: Joachim Dunkel, Franz Ebner, GüntherAndergassen, Josef Laner, Richard Gutmann. – Das Bild zeigt nicht alle Angeklagten

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13. Juni 1968: Urteilsverkündung im Berufungsverfahren zum 2. Mailänder Südtirolprozess: Das Urteil der 1.Instanz, die 333 Jahre Kerker verhängt hatte, wurde um weitere dreißig Jahre verschärft. Franz Ebner undRichard Kofler (links) mussten im Gefängnis bleiben, Andreas Ladurner (Mitte) konnte heimkehren, GüntherAndergassen erhielt 30 Jahre.

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«IHR MANN, WO IST ER?»Rosa Klotz

Rosa Pöll wurde am 30. November1920 als drittes der elf Kinder einerBergbauernfamilie in Ulfas, einer klei-nen Fraktion der Gemeinde Moos imPasseiertal, geboren. Besuch der unterder damaligen faschistischen Gewalt-herrschaft rein italienischen Volksschu-le. Anschließend Dienstmädchen beiverschiedenen Familien in Meran.

Als im Optionsjahr 1939/40 diedeutschen Sprachkurse zur Ausbildungvon Hilfslehrern für die Kinder der Op-tantenfamilien eingeführt wurden, mel-dete sich Rosa Pöll sofort und besuchtediese Kurse mit großem Eifer. Bereitsab dem Jahr 1940 unterrichtete sieunter großen Opfern (weite Schulwegebei jedem Wetter, einklassige Volksschu-len, in denen die Kinder aller Schulstu-fen in einer einzigen Klasse zu unter-richten waren, kaum vorhandene Un-terrichtsbehelfe) an verschiedenen Berg-schulen des Passeiertales. Nach kurzerUnterbrechung der Lehrtätigkeit zumEnde des Krieges unterrichtete sie von1947 bis zu ihrer Heirat mit demSchmied Georg Klotz im April des Jah-res 1950 als Volksschullehrerin in Ka-stelruth und St. Oswald und danachwieder an verschiedenen Passeirer Berg-schulen.

Der Ehe ent-sprossen 6 Kinder,um die sich RosaKlotz nach derFlucht ihres Man-nes vor politischerVerfolgung durch die italienische Staats-macht allein kümmern musste.

Vom 12. Oktober 1966 bis zum 21.Dezember 1967 war Rosa Klotz in Un-tersuchungshaft in italienischen Ge-fängnissen und musste schmerzlich er-fahren, was Sippenhaftung ist. Nach derEntlassung aus dem Gefängnis durftesie bis zu ihrem Freispruch im 3. Mai-länder Prozess im Frühjahr 1969 dasGemeindegebiet der Stadt Bozen nichtverlassen und unterstand polizeilicherMeldepflicht.

Bis 1976, dem Todesjahr ihres Man-nes, verdiente sie den Lebensunterhaltfür sich und die Kinder mit einer ArtStudentenpensionat. Erst im Jahre 1976Wiederaufnahme in den Schuldienst. Biszu ihrer Pensionierung im Jahre 1986unterrichtete sie als Stammrollenlehre-rin an einer deutschen Volksschule derStadt Bozen.

Rosa Klotz ist in Bozen wohnhaftund hilft vor allem ihren Kindern, die inKurtatsch, Dorf Tirol, Meran, Walten

Rosa Klotz

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und Salzburg verheiratet sind und eige-ne Familien gegründet haben. Beson-dere Freude hat sie an ihren 14 Enkel-kindern, denen sie eine verständnisvol-le und begeisterte Schuloma ist.

«Als mein Mann, Georg Klotz, einesTages aus Meran nach Walten zurück-kam und mir die folgende Begebenheiterzählte, wusste ich, dass dies unser gan-zes weiteres Leben bestimmen würde.Seitdem er aus dem Krieg und der Ge-fangenschaft zurückgekehrt war, widme-te er sich vor allem dem Wiederaufbaudes Schützenwesens in Südtirol. Zwangs-läufig hatte er dabei mit maßgeblichen

italienischen Behördenvertretern zu tun,die seine Aktivitäten im ganzen Land mitkritischen Augen verfolgten.

Nach den ersten Anschlägen in denfünfziger Jahren wurde er mit folgendemAngebot konfrontiert: Man wisse, dasser ein politisch denkender und handeln-der Mensch sei, aber wenn er sich jederantiitalienischen Aktion enthielte, wolleman ihm für den Rest seines gesamtenLebens eine Monatsrente in der Höheeines Offiziersgehaltes ausbezahlen. Jörghatte daraufhin nur gesagt: «Meine Her-ren, Sie wissen, ich bin Tiroler!»

Ich war froh, dass mich Jörg vonAnfang an nicht in alle Details eingeweiht

Glückliche Tage in Walten. Jörg Klotz mit seinen ältesten Kindern Eva und Wolfram.

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hat und ich habe ihn vor allem dannspäter, als er bereits im Exil in Österreichwar, immer wieder beschworen, mir nichtzu viel zu sagen, damit ich tatsächlichnicht zu viel wusste, sollte mich die Po-lizei ausfragen. Und damit musste ich jaimmer rechnen. Ich hatte mich darinauch nicht geirrt.

Ich wusste in den späten fünfzigerJahren natürlich schon, was im Gang war.Ich kannte jedoch nur sehr wenige Na-men und Gesichter und war auch beiden verschiedenen geheimen Treffen inunserer Stube nicht dabei. Ich hatte abergenau mitbekommen, dass es bald ernstwürde: Es hatten sich Ende 1959 oderAnfang 1960 wieder einmal mehrereMänner in unserer Stube versammelt, alsJörg nach dem Kissen mit dem gestick-ten Tiroler Adler drauf verlangte. Siebrauchten es für einen feierlichenSchwur. Einen der Männer kannte ich, eswar Sepp Kerschbaumer.

In den Monaten danach wurde essehr hektisch: Jörg war noch mehr zuVersammlungen und Treffen im ganzenLand unterwegs als sonst und in seinerSchmiedewerkstätte wurden viele Vorbe-reitungen getroffen, er arbeitete dortnicht nur am Amboss. Ich half meinemMann vor allem beim Einrichten einesnotdürftigen Unterschlupfs, Bunker ha-ben wir immer gesagt, in dem man sichnotfalls einige Tage verstecken konnte,sollte es zu einer Flucht kommen. Später

zeigte sich, wie wichtig diese Vorkehrungwar. Immer häufiger kamen jetzt auchLeute mit dem Wagen aus Nordtirol, umSachen abzuladen. Wenn mein Mannnicht daheim war, habe ich in der Nachtdie Sprengstoffpakete und anderes ent-gegengenommen und unter den Ehebet-ten verstaut. Auch wusste ich genau, wasimmer griffbereit zu sein hatte: eine dik-ke Joppe, das Fernglas, der Rucksack undder Pfeffer. Die Waffen, einige Gewehreund Jörgs Pistole waren bereits im Bun-ker. Ein Kilo Pfeffer war sozusagen dieVersicherung gegen die Entdeckungdurch Spürhunde: der Pfeffer in ihrerNase setzte sie außer Gefecht.

Der Tag X war im Juli 1961 gekom-men: Ein Carabiniere kam ins Haus, frag-te nach Jörg, und weil dieser noch nichtda war, wartete er draußen auf dem Wegauf ihn und begleitete ihn dann ins Hausund ließ ihn nicht mehr aus den Augen.Der Carabiniere postierte sich im Gang,versperrte Jörg den Ausgang. Später er-fuhren wir, dass ein Jeep mit mehrerenCarabinieri draußen im Dorf auf ihn undJörg wartete. Wir hatten gerade dieKüche ausgeweißt, die Kredenz standnoch draußen auf dem Balkon. Ich sagtedem Carabiniere, der sichtlich nervös warund vorgab, Jörg nur zu einem Gesprächnach St. Leonhard mitnehmen zu wol-len, mein Mann müsse zuerst einmal zuAbend essen und dann helfen, die Kre-denz in die Küche zu tragen, weil es bald

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zu regnen anfangen würde, und man dasZeug nicht auf dem Balkon stehen lassenkönne.

Nachdem Jörg unter dem unablässi-gen Blick des mit Revolver bewaffnetenCarabiniere fertig gegessen hatte, trugenwir zuerst das untere Kredenzgestell indie Küche und ließen uns dabei absicht-lich Zeit, um mit Zeichen und FlüsternJörgs Flucht zu vereinbaren. Dann holtenwir das Obergestell vom Balkon in dieKüche. Während ich nach dem Aufset-zen dieses Möbelstücks mit meinem Rük-ken die Tür zum Hausgang, auf dem derCarabiniere wartete, zuhielt, konnte Jörgüber die gegenüberliegende Tür, die vonder Küche direkt in den an das Haus an-gebauten Stadel führte, entkommen, vondort ins Freie gelangen und sich in denWald retten. Als der Carabiniere merkte,dass Jörg nicht mehr in der Küche war,tobte und schrie er und stürmte dannfluchend davon, um schnellstens seineKameraden zu erreichen.

Ich hatte gerade noch Zeit, Rucksack,Joppe, Fernglas und den Pfeffer zuschnappen, damit in den nahen Wald zulaufen und alles zusammen dort Jörg zuübergeben.

Er konnte mir noch schnell sagen,was ich unbedingt aus dem Haus ver-schwinden lassen sollte, bevor ein grö-ßeres Polizeiaufgebot käme, um allesdrunter und drüber zu kehren. Ich eiltealso ins Haus zurück und warf die von

Jörg angesagten Gegenstände in denkleinen Bach, der zum Betreiben unseresSägewerks direkt unter dem Haus vor-beiführte. Kaum war ich wieder in derStube, um gerade noch mein jüngstesKind, die 6 Monate alte Rösi auf denSchoß zu nehmen, da pochte es auchschon an der Haustür: «Klotz, öffnen!»Als ich öffnete, standen mindestens einDutzend Uniformierte vor mir. BrigadierBergamo mit seiner Maschinenpistole imAnschlag in vorderster Reihe. «Ihr Mann,wo ist er?», herrschte er mich an. «Ichweiß es nicht», gab ich zurück, «wissendenn Eure Frauen immer, wo Ihr seid?»Bergamo war kreidebleich vor Wut undstand immer noch da mit dem Gewehrim Anschlag. Manfred, mein siebenjähri-ger Sohn, hielt seinen Zeigefinger in denLauf – dieses eigenartige Loch in seinerAugenhöhe interessierte ihn wohl!

Es begannen Hausdurchsuchungenohne Ende, an allen Ecken gleichzeitig.Wände wurden abgeklopft, in der Stubedie Vertäfelung losgerissen, um zu se-hen, ob dahinter wohl kein Versteck war,sogar im Hühnerstall wurden die Balkengelockert, um das vermeintliche Versteckzu finden. Als Jörg nicht zu finden war,verzogen sich die Wühler in den Wald,aber sie kamen damals jeden Tag wieder.Manchmal hatte man abends den Ein-druck, die Bäume bewegten sich, dennfast hinter jedem Baum hatte sich einUniformierter postiert und wartete, bis

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im Haus ein Licht angehen werde. Siewaren wohl überzeugt, Jörg würde baldwieder zurückkehren. Das Licht gingzwar des öfteren an, aber es war meineTaschenlampe, mit welcher ich über denhinteren Balkon ging, weil dort unser«Häusl» war. Es dauerte dann keine zweiMinuten, und sie kamen alle angestürmt:«Öffnen Sie, Klotz, wir wissen, Sie sindim Haus!» Die Enttäuschung war groß,als sie sich davon überzeugen mussten,dass es nicht Jörg war, der mit der Ta-schenlampe ins Haus gekommen warund, dass es von ihm weiter keine Spurgab. Wir haben damals viele Hausdurch-suchungen gehabt, man musste bei je-der Tages- und Nachtzeit darauf gefasstsein. Manchmal ging es arg zu, und ichhatte dann überhaupt keinen Überblickmehr, wo überall gleichzeitig gewühltwurde. Einmal wurde es mir derart zuviel, dass ich einen gerade in der KücheSuchenden in Zivil, der wie wir TirolerDialekt sprach, einfach am Arm packte,ihn zum Herd zog und sagte: «Sie rüh-ren jetzt da das Kindermus für meinJüngstes und lassen ja nichts anbrennen,denn ich kann nicht zulassen, dass dieanderen derweil in allen Schränken her-umstöbern, ohne dass ich weiß, was daabläuft.» Er hat tatsächlich fleissig ge-rührt, bis ich mit Rösi im Arm in dieKüche zurückkam.

Ein anderes Mal, als ein Überfallkom-mando aus Bozen auch gerade wieder

eine Hausdurchsuchung bei uns vor-nahm, sah ich beim Wasserholen von dernahen «Wiere», wie ein Uniformierter inunserem Acker gerade ein Maschinenge-wehr aufstellte und es direkt auf unserHaus richtete. Da packte mich die Wut,ich nahm einen nassen Putzlumpen,rannte damit auf ihn zu und fauchte ihnan, er solle sofort mit seinem Krempelverschwinden. Von meinem Mann wus-ste ich nämlich, dass sie im Umkreis von50 Metern nichts zu suchen hatten. Die-ser Kerl hatte mich wohl einschüchternoder bedrohen wollen, aber als er sah,dass ich keine Angst hatte, packte ertatsächlich alles zusammen und zog da-mit ab. Eines Tages rückten sie sogar mitMetalldetektoren an und gruben rundums ganze Haus schier den Boden um.Sie konnten nicht verstehen, dass da kei-ne Waffen vergraben waren und dass esauch im Haus keine Waffen zu findengab. Wohl aber hatten sie einige andereDinge gefunden und mitgenommen, sozum Beispiel eine schöne lange TirolerFahne, die wir immer am Herz-Jesu-Sonn-tag und am Andreas-Hofer-Tag aufge-hängt hatten. Weiters ein altes, aber sehrgutes Militärfernglas, das Jörg einmalgeschenkt bekommen hatte und das ervor allem zur Jagd benützt hatte, sowieeinige Taschen mit verschiedenen Utensi-lien wie Leuchtraketen usw.

Ein paar Patronenhülsen haben siewohl auch gefunden hinter dem Gebälk,

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aber das war alles nicht das, was sie sicherwartet hatten! Obwohl ich beimCarabinierikommando später Anzeigewegen der entwendeten Gegenständeerstattet hatte, habe ich von den Sachenbis heute nichts mehr zurückbekommenund auch nichts mehr über deren Ver-bleib gehört.

Vom Juli 1961 an, kann man sagen,hatten wir bis zum Spätherbst kaum ei-nen Tag Ruhe. Von irgendwoher wurdeunser Haus immer beobachtet, und dieLeute in Zivil, die zu uns kamen, um sobeiläufig ein Gespräch anzufangen, wa-ren allzu leicht als Spitzel zu erkennen.Ich brauchte meinen Kindern nicht langezu erklären, dass sie sich auf keine Ge-spräche mit Fremden einlassen sollen, diehatten ein gutes Gespür für solche Din-ge, begriffen die Zusammenhänge undbeobachteten alles selbst genau. Aberwir mussten natürlich auf Schritt und Trittaufpassen und uns möglichst wenig vomHaus entfernen, denn sie konnten uns jaauch leicht etwas unterschieben.

Irgendwann, im August 61, holten siemich an einem Morgen mit einem Jeepvon daheim ab und nahmen mich zu-nächst nach St. Leonhard zum Verhör indie Carabinierikaserne mit. Sie hatten mirihr sogenanntes Ehrenwort gegeben,dass ich dann sofort wieder nach Hausezurückgebracht würde. Stattdessen teil-ten sie mir nach der ganzen Ausfragereimit, ich würde am Nachmittag nach

Meran zu einem weiteren Verhör ge-bracht. Als ich sie an das gegebeneEhrenwort erinnerte, meinte einer, dasEhrenwort gelte nichts mehr, es seinunmehr tot. Also brachte man mich zurPolizei nach Meran und verhörte michdort weiter. Man wollte von mir wissen,ob ich Jörg in der Zwischenzeit getroffenhätte, ob er sich gemeldet habe und obich wüsste, wo er sich aufhalte. Ichverneinte immer wieder, ich hatte ihn jaseit seiner Flucht nicht mehr gesehen undsagte, es könne gut sein, dass er bereitsüber den Brenner nach Österreich ge-gangen sei. Erst spät am Abend kam ichdamals heim, wo meine sechs Kinder mitBangen auf meine Rückkehr gewartethatten, nachdem ihnen ein Carabinieri-hauptmann versichert hatte, ich würdeam Abend wieder zurück sein. Mit demJeep haben sie mich wieder zurück-gebracht, aber sie hatten wohl Angst,nachts bis vor unser Haus zu fahren,denn sie fragten mich, ob sie mich nochauf der Hauptstraße vor einem Gasthausaussteigen lassen könnten und so gingich von dort zu Fuß heim. Sehr balddarauf musste ich dann wieder zum Ver-hör nach Meran, wo der Oberleutnantimmer wieder dieselben Fragen stellteund einmal brachte man mich sogar nachBozen, dort verhörten mich dann wiederandere.

Zum Glück war ich nie verzagt oderängstlich, ich war von der Richtigkeit der

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Seit seiner Flucht im Jahr 1961 waren solche Tage selten.Rosa Klotz und die sechs Kinder besuchten ihren Vater im Exil.

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ganzen Sache überzeugt und die Italie-ner sollten ruhig wissen, dass sich dieTiroler Frauen auch nicht so schnell voretwas fürchteten, schon gar nicht vorden italienischen Uniformierten.

Ernüchternder und schmerzlicher alsdie Erfahrungen mit der Besatzungs-macht in jenen Monaten waren die Er-kenntnisse über die Duckmäuserei undFeigheit der eigenen Landsleute. So man-cher wechselte die Straßenseite, wenn ermich im Dorf daherkommen sah, somancher wagte nicht zu grüßen, ausAngst, man könne davon ableiten, dasser etwas mit uns und der ganzen Sachezu tun habe. Bei der Einkehr im Gast-haus anschließend an die Lehrerkonfe-renzen war bald einmal der ganze Tischleer, wenn ich mich irgendwo dazuset-zen wollte.

Umso mehr lernte ich jene wenigenAusnahmen schätzen, vor allem meineNachbarin, selbst Mutter von 6 Kindern,die sich auch dann nicht scheute, insHaus zu kommen und zu helfen, wennsie wusste, dass genau beobachtet wur-de, wer bei uns ein und aus ging. Aberes waren damals sehr wenige Leute mitZivilcourage und Furchtlosigkeit.

Als der Oktober kam, musste ich frohsein, überhaupt noch eine Stelle alsVolksschullehrerin zu bekommen, auchwenn ich jedes Jahr an einen anderenOrt versetzt wurde. Das waren immergroße Sorgen und viel Arbeit. So musste

ich zuerst mit Kind und Kegel nach Ulfasübersiedeln, das Jahr darauf nach Riffi-an. Es war nicht möglich, von dort jedenAbend nach Walten und morgens wie-der in die Schule zu kommen, da keineöffentlichen Verkehrsmittel fuhren, undich weder Auto noch Führerschein besaß.Da war die Wohnungsfrage, die Packerei,die Neuanschaffungen an notwendigs-tem Mobiliar und anderem. Die Kindermussten jedes Jahr die Schule wechselnund sich an die neue Umgebung gewöh-nen. Die größeren hatten immer Heim-weh nach Walten und es fehlte ihnender Vater. Höchstens zweimal im Jahr,nämlich in der Weihnachtszeit und viel-leicht noch zu Sommerbeginn war es mirfinanziell möglich, mit allen Kindern nachNordtirol zu fahren, damit sie ihren Vatersehen konnten. Es war damals eine langeReise und wegen des ständigen Ge-dankens an den neuerlichen Abschiedwar es immer eher eine traurige Begeg-nung.

Die heimlichen Treffen in den darauf-folgenden Sommern, wenn Jörg über dieGrenze ins Passeiertal und in der Dunkel-heit manchmal ins Haus kam, warennoch dramatischer: Würde ihn wohl nie-mand sehen, würden die Kinder vorWiedersehensfreude nicht zu laut sein,würde es wohl nicht auffallen, wenn diebeiden Ältesten jeden Tag um dieselbeZeit mit ihren Körben auf dem Rücken inden Wald gingen? Die dauernde Angst,

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Jörg könnte erwischt werden, war allge-genwärtig.

Mehrmals war Jörg bei seinen Som-meraufenthalten im Passeiertal in größ-ter Gefahr und einmal ist er nur um einknappes Stündchen dem sicheren Todentgangen.

Im Sommer 63 war ich mit den Kin-dern meistenteils in Ulfas geblieben undnur für einige Wochen ins Haus nachWalten zurückgekehrt, um alles wiederin Stand zu setzen. Jörg hatte sich einpaar Tage in unserer Nähe in Ulfas auf-gehalten, verbrachte sogar mehrereStunden am Tag bei uns im Haus undwar dann nach Walten gegangen, wo eruns erwarten wollte. Mit Hilfe einesVertrauten, der sich aufs Tischlernverstand, hatte er einen nagelneuenBunker angelegt, ziemlich hoch in un-wegsamem Gelände und mit einem gu-ten Ausblick. Einsehen konnte man die-ses Gelände eigentlich nur von einer klei-nen Lichtung auf der anderen Talseite.

Wie es das Schicksal haben wollte,kamen gerade an einem dieser Tage zweiFrauen aus dem Dorf in diese Lichtung,um Beeren zu pflücken. Eine der beidenwar die Tochter eines Straßenarbeiters,von dem man wusste, dass er für dieCarabinieri Spitzeldienste leistete. Jörgbeobachtete die Frauen und musste an-nehmen, dass auch sie ihn gesehen hat-ten. Jedenfalls konnte er sich nicht mehrganz sicher fühlen. Er räumte alles zu-

sammen, versteckte die nagelneuenWaffen und verließ seinen Bunker, umwieder nach Ulfas zu gehen.

Er war wohl erst seit einer Stundeweg, da war bereits der Teufel los. Im-mer mehr Uniformierte strömten vomWeg, auf dem sie mit ihren Jeeps ange-fahren gekommen waren, zum Jungwaldunter dem kleinen Überhang, auf demder Bunker angelegt war. Nach großemAuflauf und längerem Absuchen derganzen Gegend zündeten sie schließlicheine Sprengladung, in der sicheren An-nahme, Jörg mit in die Luft gejagt zuhaben.

Von Ulfas aus konnte ich beobach-ten, dass in Walten etwas in Gang seinmusste, weil plötzlich so viele Jeeps aufder Straße von St. Leonhard dorthin un-terwegs waren. Ich konnte die ganzeNacht kein Auge zutun und wusste nicht,was wieder los war. Tags darauf wollteich nach Walten fahren, um nach demRechten zu sehen. Bereits am frühenMorgen des darauffolgenden Tages hat-te mir Jörg die Nachricht zukommen las-sen, er sei unterwegs über die Grenzeund er werde nicht mehr bei uns in Ulfaseinkehren, die Situation sei zu brenzliggeworden. Aber was in Walten genaugeschehen war, wusste ich nicht, undJörg offenbar auch nicht.

Ich fuhr also am Tag darauf per An-halter nach Walten. Ein Mann, der michmit seinem Auto mitgenommen und

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nicht erkannt hatte, fing an zu erzählen,dass es in Walten wohl ziemlich zuge-gangen sein musste, der Bunker vonGeorg Klotz sei in die Luft gesprengtworden und man gehe davon aus, dasses ihn dabei selbst erwischt habe. Ich gabmich nicht zu erkennen und sagte zualledem nichts. Ich wusste ja nicht, wenich vor mir hatte. Als ich dann zu unse-rem Haus gehen wollte, kam mir einegute Bekannte weinend entgegen undsagte mir, den Jörg habe es wohl er-wischt, denn die Sprengung habe einesolche Verwüstung angerichtet, dasswohl keine Maus überlebt habe. Erst alsich ihr versicherte, dass Jörg heil davon-gekommen war und ihr von seiner Nach-richt in Ulfas erzählte, glaubte sie mirund beruhigte sie sich.

Der Verrat war der ständigste undgrässlichste Begleiter jener Jahre. Selbstein enger Verwandter meines Manneshatte sich dafür hergegeben. Dieser waralleinstehend und immer schon ein Son-derling gewesen, der die meiste Zeit mitseinen Geißen auf den Bergen verbrach-te. Im Herbst 1963 habe ich ihm Quar-tier in unserem Haus gegeben, zum ei-nen, damit er nicht in irgendeiner schä-bigen Hütte überwintern musste, zumanderen aber auch, weil es besser war,wenn jemand im Haus war. Wir musstenja wieder an einen anderen Ort undwenn niemand da war, wurde immerwieder eingebrochen und alles mögliche

gestohlen. Ich hatte Jörg davon benach-richtigt, dass er jetzt im Haus wohne.Kurz bevor der erste Schnee in den Ber-gen fiel, war Jörg noch einmal in Waltenund stattete dem Verwandten abends inunserem Haus einen Besuch ab. Nach-dem sie miteinander geredet hatten, gingJörg fort, mit dem Versprechen, er wür-de am nächsten Tag wiederkommen.Kaum war Jörg fort, da rannte dieser insDorf, ins nächste Gasthaus, in dem esdas einzige öffentliche Telefon gab. Errief ganz aufgeregt bei den Carabinieriin St. Leonhard an, sie sollten sofortmehrere Leute schicken. Die Wirtin, diesich über den späten und seltenen Tele-fonkunden wunderte, hatte die paarknappen Sätze aufgefangen. Aber auchdie Nachbarn, welche wussten, dass Jörggerade wieder in Walten war – er warauch bei ihnen kurz eingekehrt – hattenden nächtlichen Lauf an ihrem Haus vor-bei mitbekommen. Da sie außerdem inder Nacht sonderbare Geräusche undVorgänge rund um unser Haus wahrnah-men und eins und eins zusammenzähl-ten, erfassten sie den Ernst der Lage.Diese Nachbarn passten bereits in denfrühen Morgenstunden auf Jörgs Rück-kehr, um ihn, sobald er auftauchte, so-fort zu warnen. Sie beschwörten ihn,nicht ins Haus zu gehen und Jörg hörteauf sie. Wie recht sie hatten und wel-chen Schutzengel zum wiederholten MalJörg hatte, zeigte sich am Abend darauf.

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Ich wurde nämlich in Ulfas verständigt,ich solle sofort nach Walten kommen,aber nicht allein ins Haus gehen, son-dern jemanden mitnehmen, weil es dortnicht mit rechten Dingen zugehe. Alsofuhr ich sobald es ging, mit meinem Bru-der Luis nach Walten und kehrte als ers-tes bei unserem Nachbarn ein, der unsseine Beobachtungen schilderte und sag-te, um kein Geld ginge er jetzt in unserHaus hinein. Das wollte ich jedoch schonwissen, was da in unserem Haus vor sichging. Ich wartete, bis es dunkel war undging dann mit meinem Bruder und ei-nem erwachsenen Nachbarsbuben zu un-serem Haus. Wir hatten vereinbart, dasssich jeder von uns vor eine der drei Ein-gangstüren stellt und dass wir dann

gleichzeitig anfangen, fest an den Türenzu rütteln und nach dem Verwandten zurufen. Nach längerem, vergeblichem Po-chen sah ich plötzlich zaghaft einen Ge-wehrlauf durchs nahe Fenster schiebenund rufen: «Chi è?», also «wer ist da?»Ich war wütend und aufgebracht undschrie zurück: «Das frage ich, wer da ist!Wo ist mein Verwandter, er soll sofortkommen und aufmachen!» Die spürbarverängstigte italienische Männerstimmeaus dem Inneren des Hauses fragte auf-geregt, wer außer mir noch da sei. Dasginge sie einen Dreck an, gab ich wü-tend zurück, und sie sollten mir sofortden Haushüter herbeischaffen, der kön-ne etwas erleben für diese Art von Haus-hüten!

Mit ihrer Tochter Eva und den Söhnen Wolfram und Manfred beim Begräbnis von Luis Amplatz in Bozen.

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«Si calmi, si calmi, Signora», also«beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich»,gab er zurück, wir werden Ihn schonbringen! Erst als ich meinen Bruder Luisherbeirief und wir ihnen versicherten,dass außer uns und dem Nachbarsbu-ben, der längst wieder zu Hause war,niemand in der Nähe sei, öffneten siedie Tür und ließen mich mit meinemBruder zögernd in mein eigenes Haus.

Aus allen Zimmern kamen Unifor-mierte mit ihren Waffen im Anschlag. Siehatten sich im ganzen Haus verschanzt,sie hatten es einfach besetzt, ohne michdavon in Kenntnis zu setzen. Staatsinter-esse sozusagen und wäre Jörg ahnungs-los ins Haus gekommen, er wäre in eineschreckliche Falle geraten. Aber so hat-ten jetzt die drinnen minutenlang anneh-men müssen, selbst in der Falle zu sitzenund umstellt zu sein. Den Verwandtenhatte man mit dem Versprechen gekö-dert, er werde Besitzer des Hauses undder dazugehörenden Liegenschaften,wenn er ihnen den Jörg ausliefere. DieBesatzer sammelten sich also im unterenStockwerk und zogen mit dem Verwand-ten ab, nachdem ich ihm klargemachthatte, dass ich einen Verräter nicht ge-brauchen könne. Beim anschließendenGang durchs Haus stellte ich fest, dasssie alle Betten und Decken aus denSchränken herausgezogen und es sichdamit bequem gemacht hatten. Außer-dem gab es jede Menge Zigarettenstum-

mel und leere Plastikbriefchen, wie siedas italienische Heer damals für kleineCognac- und Zuckerportionen verwende-te. Die durfte ich auch wegräumen!

So gab es eine Aufregung nach deranderen, auch wenn Jörg nicht heimlichim Passeiertal war. Ich wusste, wie ge-fährlich sein Aufenthalt in Nordtirol, vorallem in Innsbruck war, wegen der vielenSpitzel, die der italienische Staat auf ihnund seine Mitstreiter angesetzt hatte.Immer musste man mit der Angst leben,dass er eines Tages verschleppt und denItalienern übergeben werden könnte.

Die Sorgen wurden nicht weniger, alser im Frühjahr 1964 mit Luis Amplatznach Wien verbannt wurde und sich dortzwei oder drei Mal in der Woche bei derPolizei melden musste. Ich wusste, wieschmerzlich für ihn der erzwungene Ab-schied von Tirol und der Zwangsaufent-halt in der Großstadt war, auch wenn erdort bald Freunde und auch Gönner ingehobenen Positionen gewann. Die Be-suche wurden unmöglich, nur ein einzi-ges Mal konnte ich mit meiner TochterEva nach Wien fahren und da waren wirkaum mit ihm allein, weil mehr oderweniger die ganze Zeit die Brüder Chri-stian und Franz Kerbler dabei waren. Alsich Jörg fragte, ob denen zu trauen sei,sagte er, es sei leider wenig Auswahl under brauche halt Verbindungsleute nachTirol. In Ermangelung von vertrautenSüdtiroler Helfern hat er genommen, wer

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ihm wenigstens einigermaßen tirolerischerschien. Dass Christian und Franz Kerb-ler die Söhne eines angesehenen ehema-ligen Tiroler Kaiserjägers waren, bewer-tete er wohl zu hoch, wie er überhaupteher vom Guten im Menschen ausgingals vom Schlechten. Idealist, der er selbstwar, ist er von Idealismus und gutenAbsichten auch bei anderen ausgegan-gen. Das war zwar menschlich ein guterZug, der ihm oft Freundschaft einge-bracht hat, aber ihm selbst und anderenauch oft genug gefährlich werden konn-te.

Aber wem würde man gleich einenMeuchelmord zutrauen? Zu leicht ma-chen es sich jedenfalls all jene, welcheimmer nur fragen, wie Jörg und LuisAmplatz nur diese Brüder Kerbler mit insPasseiertal nehmen konnten. So einfachwar es nicht, Helfer zu bekommen, diebereit waren, verschiedene Vorbereitun-gen in Nordtirol zu treffen und notwen-dige Kontakte in Südtirol herzustellen.Man muss nämlich bedenken, dass sichLuis und Jörg in Nordtirol selbst nichtzeigen konnten, sie waren ja Mitte Au-gust 1964 aus Wien abgehauen, heim-lich nach Nordtirol und dann ins hinter-ste Ötztal gefahren, um über den Rot-moosferner nach Pfelders zu gelangen.

Sie hatten natürlich mehrere Aktio-nen im Passeiertal geplant. Sie wollten inerster Linie die politisch Inhaftierten ent-lasten, ein Zeichen gegen die ergange-

nen Gerichtsurteile und vor allem gegenden damals in Südtirol herrschendenPolizeiterror setzen.

Möglichst viele Masten sollten gleich-zeitig fliegen. Der Passeirer Anton Plat-ter, der sich auf verschiedenen Bauern-höfen im Tal aufhielt, dort freie Unter-kunft und Verpflegung genoss, weil ervorgab, politisch verfolgt und sozusagenauf der Flucht zu sein, sollte in die ganzeAktion eingebunden werden. Die BrüderKerbler hatten den Auftrag, ihn aufzusu-chen, sich mit ihm abzusprechen und denTreffpunkt mit Luis und Jörg zu vereinba-ren. Dass auch Platter im italienischenSpitzeldienst stand, wurde selbst jenenPasseirern, welche am meisten mit ihmzu tun gehabt hatten, erst an seinemSterbebett klar, als er Dr. Frötscher einengültigen Reisepass vorzeigte, mit dem erungehindert aus- und einreisen konnte.Er hatte also alle zum Narren gehalten,die ihm schwarz über die Grenze halfen,weil sie glaubten, er würde verhaftet,wenn man ihn erwische.

Vieles am Verhalten Platters, demauch ich mehrmals Nachrichten zu über-bringen hatte und der mich einige Malean meinem Schulort aufsuchte, hattemich misstrauisch gemacht. So hatte erbeispielsweise einmal sein Fernglas beimir vergessen und ein anderes Mal einGewehr vor dem Schulhaus stehen las-sen, wo wir miteinander gesprochenhatten. Am nächsten Tag war die Polizei

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Jörg Klotz war maßgeblich an der Wiedergründungdes Südtiroler Schützenbundes beteiligt.

Nach seiner Flucht im Jahr 1961 kehrte er immer wiederüber die Grenze nach Südtirol zurück.

Dort führte er mit Luis Amplatz und anderen Mitkämpfernden begonnenen Widerstand weiter.

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da, aber ich hatte das Gewehr zum Glücknoch früh genug gesehen und war ihmdamit in den Wald nachgelaufen, wo eres mir abnehmen musste. Aber konnteman daraus ein so mieses und vorsätzli-ches Verräterspiel ableiten?

Damit will ich nicht bestreiten, dassJörg manchmal zu vertrauensselig war,ich will jedoch den Behauptungen ent-gegentreten, er sei unbedacht und leicht-fertig gewesen. Die politischen Gegnerhaben einen Keil zwischen alle zu trei-ben versucht, um vor allem Luis Amplatzund meinen Mann zu isolieren; da mus-ste man grundsätzlich an allem zweifeln,was über andere geschwätzt wurde. Undvon wie vielen hat es denn nicht irgend-wann einmal geheißen, sie seien Spitzel!

Und wie war das, als man nach denschrecklichen Ereignissen auf den Brun-ner Mahdern versucht hatte, zunächstmeinem Mann den Mord an Luis Am-platz in die Schuhe zu schieben?

Es war ein regelrechtes Glück, dassJörg nicht sofort davon wusste, dassChristian Kerbler auf ihn und auf Am-platz geschossen hat, denn sonst hätteer Kerbler möglicherweise selbst gerich-tet und dann wäre es für die Italiener einLeichtes gewesen, die Sache so darzu-stellen, dass Jörg zum Schluss als Dop-pelmörder dagestanden hätte.

Die ganze Geschichte auf den Brun-ner Mahdern war für mich und unsereFamilie eines der schrecklichsten Kapitel

im gesamten Freiheitskampf. Das warenzwei Tage und zwei Nächte größter Ver-zweiflung. In den Radionachrichten hör-ten wir nur dauernd, dass Luis Amplatztot sei und, dass sich die Blutspuren vonGeorg Klotz in einem tiefen Abgrundverlieren. Wir mussten annehmen, dassJörg schwer verletzt sei und irgendwoelendiglich zugrunde gehe. Diese Unsi-cherheit und Ohnmacht war kaum zuertragen. Nicht zu wissen, wo er ist,überhaupt nichts unternehmen zu kön-nen, um ihm zu helfen, ihn möglicher-weise nie mehr zu finden, nicht wissen,wie und wo er zugrunde geht, das wa-ren schreckliche Gedanken!

Die erlösende Nachricht kam dannerst am Nachmittag des dritten Tages,als ein Kaufmann aus St. Leonhard je-manden mit der Botschaft zu uns nachWalten schickte, der österreichischeRundfunk habe soeben gemeldet, dassJörg lebend in Nordtirol angekommenund von der Polizei in Gewahrsam ge-nommen worden sei.

Jörg wurde ins Krankenhaus vonWörgl eingeliefert, wo man ihm die Ku-gel, die in seiner Achselhöhle steckte,herausoperierte. Erst als er diese Kugelin die Hand bekam und genau betrach-tete, kam er zu einer klareren Erkenntnisdarüber, was auf den Brunner Mahdernwirklich passiert war, dass nämlich Chri-stian Kerbler auf ihn geschossen habenmusste!

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Ich konnte ihn mit meinen beiden äl-testen Kindern Eva und Wolfram imWörgler Krankenhaus besuchen und be-richtete ihm, was inzwischen in Südtirolpassiert war, dass man nämlich einengewissen Peter Hofmann, der sich dannals Christian Kerbler herausstellte, hattelaufen lassen und dass es in Saltausmerkwürdige Beobachtungen gegebenhatte.

Jörg wirkte vor allem seelisch verstört,der Tod seines Freundes Luis hatte ihnsehr mitgenommen. Natürlich auch diebittere Erkenntnis, dass sogar von dreieneiner bereits ein Verräter war! Er kamnicht zur Ruhe, er dachte das Ganzewieder und wieder durch, was war dagenau passiert, er hatte doch Stimmengehört, als auf ihn geschossen wurde,doch danach war es totenstill! Christianhatte ihn angeleuchtet und als Jörg ihnanfuhr, er solle das Licht ausmachen, ober denn nicht höre, dass geschossen wird,da war Christian zusammengezuckt, erhatte sich in den Hintergrund verkrochen,es war noch ein Rascheln im Heu zuvernehmen, doch dann war Kerbler ver-schwunden. Luis Amplatz reagierte aufdie Namensrufe nicht, er rührte sich nichtmehr, er war tot! Und er, Jörg, war ge-troffen und blutete. Er konnte sich zurLuke hinausrollen, in den angrenzendenJungwald verkriechen und, so glaubte er,dort auf den Tod warten. Nach mehrma-ligem Durchatmen jedoch wusste er, dass

die Lunge unverletzt geblieben war. Bar-fuß wie er war, machte er sich in derDämmerung auf den Weg durch dieSchlucht und dann durch dorniges Ge-strüpp und steiniges Gelände taleinwärtsbis zu den ersten Häusern. Dort begeg-nete er einer Bäuerin, die auf dem Wegzur Frühmesse ins Tal war. Sie erschrak,als sie den blutverschmierten Menschsah. Sie führte ihn ins Haus, gab ihm einpaar Gummistiefel und legte ihm einennotdürftigen Verband an. Als Jörg dannlangsam weiter taleinwärts ging, konnteer mit bloßem Auge sehen, was untenim Tal los war: Jeep um Jeep, Militärla-ster um Militärlaster fuhren auf, RichtungSaltaus. Nur gut, dass sich in den erstenStunden alles auf den Berghang ober-halb von Saltaus konzentrierte, nachdemdie Italiener sich doch sicher waren, Jörgsei aus der Schlucht nicht lebend heraus-gekommen, sondern dort verblutet! Gutauch, dass Jörg jetzt im WörglerKrankenhaus Tag und Nacht von denösterreichischen Gendarmen bewachtwurde, denn der italienische Geheim-dienst hatte bereits einen holländischenAgenten beauftragt, die Entführung ausdem Krankenhaus und die ÜberstellungJörgs an den Brenner zu bewerkstelligen.Dieser Plan schlug letzten Endes auchdeshalb fehl, weil Jörgs engste Kamera-den in Nordtirol Herrn Van Joosten ge-genüber misstrauisch geworden und aufder Hut waren. Joosten aber hätte zu-

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mindest einen aus Jörgs engstem Kame-radenkreis als Helfer gebraucht, natürlichdie wahre Absicht nicht ahnend, hattedoch Joosten vorgegeben, Jörg befreienzu wollen, damit er nicht wieder nachWien abgeschoben würde. Für mich warbeim Abschied in Wörgl der Gedanke,Jörg würde sofort wieder in Schubhaftgenommen und nach Wien, von wo ergeflohen war, zurückgebracht, äußerstquälend.

Nach all den erschütternden Ereignis-sen der letzten Wochen und vor allemangesichts der Tatsache, dass er jetzt dortnoch einsamer sein würde, weil LuisAmplatz tot war und sein Schicksal nichtmehr teilte, war der Gedanke, was mitJörg jetzt weiter geschehen würde, be-unruhigend. Und tatsächlich kam er dannbald darauf wieder nach Wien, es be-gann die Zeit der Prozesse wegen illega-len Sprengstoff- und Waffenbesitzes inÖsterreich. Jörg wurde mehrmals inhaf-tiert, in Isolationshaft genommen, vor dieRichter gestellt.

Hatte er infolge von Granatsplitternaus dem Krieg in Russland und der be-schwerlichen Fluchtwege über die Glet-scher und Berge im Freiheitskampf bisdahin vor allem gesundheitliche Schwie-rigkeiten mit den Beinen, verstärkte sichjetzt sein Magenleiden, die Magenge-schwüre wurden immer schmerzhafter.1965 erlitt er im Gefängnis in Wien einenMagendurchbruch, er war in Lebensge-

fahr und wurde in ein Militärspital einge-wiesen und dann für kurze Zeit von wei-terer Haft verschont. Doch sehr bald dar-auf wurde er wieder inhaftiert, worauf-hin er einen vierzehntägigen Hungerstreikbegann und diesen durchzog, bis dieGefängnisärzte Alarm schlugen und sichselbst jeder Verantwortung entzogen.

Erst als die höchsten österreichischenStellen das Versprechen abgaben, erwerde aus der Haft entlassen und dürfenach Tirol zurückkehren, beendete Jörgseinen Hungerstreik und wurde in einemWiener Krankenhaus wieder soweit her-gestellt, dass er reisefähig war und nacheiniger Zeit tatsächlich nach Nordtirolzurückkehren konnte.

Mit all diesen Ereignissen und Schrek-kensmeldungen musste ich allein fertigwerden! Mit wem hätte ich darüber re-den sollen? Die Kinder wollte ich nichtmehr belasten, als es ohnehin schon derFall war, und die wenigen, denen ichmich hätte anvertrauen können, warennicht immer da. Jedenfalls habe ich Gottsei Dank den Mut und die Kraft nie ver-loren, ich war überzeugt, dass all daseinen Sinn hatte und weder Jörg nochmich, noch die Kinder brechen würde.Jörg war aber körperlich und seelischschwer angegriffen, er musste mit stän-digen Magenschmerzen und unter stän-diger polizeilicher Bewachung auch inTirol leben. Aber das sollte noch nichtalles gewesen sein.

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Ich wurde im Oktober 1967 aufmeinem Weg zum Unterricht in die Berg-fraktion Mörre gleich aus dem Bus vorden Augen meiner beiden Buben, die inSt. Leonhard die Mittelschule besuchten,verhaftet und nach Meran zum Verhörgebracht, welches mit einigen kurzenUnterbrechungen, wo ich auf einer Holz-pritsche ein wenig rasten konnte, einenganzen Tag und eine Nacht dauerte. Ichhatte meine Haarnadeln und Schuhbän-der entfernen und abgeben müssen.Man hatte mir zwar Obst und Getränkeangeboten, aber außer ein wenig Obstnahm ich nichts an, weil ich befürchtete,es könnte etwas beigemischt sein. So littich ziemlichen Durst.

Am Tag darauf wurde ich zur Polizeinach Bozen gebracht und dort weiterverhört, auch noch die folgende Nacht.Dabei war ich dem grellen Licht einerstarken Quarzlampe ausgesetzt, wasmich zusätzlich zur Müdigkeit extrembelastete. Ich war fast am Ende meinerKräfte, als ich endlich ins Bozener Ge-fängnis überstellt wurde. Aber auch dorthatte ich keine Ruhe. Vor allem nachtswurde ich immer wieder zu Verhörengeholt, die der als widerlich und zynischbekannte Untersuchungsrichter MarioMartin führte. Er verhörte mich so oft,dass ich mich nicht einmal mehr an alleseine Fragen erinnern kann. Jedenfallswurde ich immer wieder mit Aussagenund Anschuldigungen Anton Platters

konfrontiert und da erkannte ich, dassdieser ein schmutziges Spiel betriebenhatte.

Ich wusste nie, wann ich endlich ein-mal zu einem richtigen Schlaf kommenwürde. Als ich außer über die schmer-zenden Augen auch über zunehmendeHerzbeschwerden klagte, wurde ich zurUntersuchung ins Frauengefängnis, demein Spital angeschlossen war, nach Trientgebracht. Ich war dann über einen Mo-nat lang dort und wurde mit Medika-menten behandelt. Der Grund meinerHerzbeschwerden war die große nervli-che Belastung und die ständige Aufre-gung. Ich musste auch Angst haben,mein Augenlicht zu verlieren! Die Ankla-ge gegen mich war Bandenbildungzwecks staatsfeindlicher Tätigkeit undaußerdem warf man mir vor, an denSprengstoffanschlägen der letzten Jahreim Passeiertal beteiligt gewesen zu sein.Mitangeklagt waren alle, die Toni Platterals Helfer angegeben hatte:

Der Gemeindearzt von St. Martin, Dr.Karl Frötscher, der Unternehmer RudlMarth, ebenfalls aus St. Martin sowie dieBauern Albin Auer und Johann Lanthaleraus Walten. Sie alle waren vor mir ver-haftet worden, was ich nicht wusste, ichwar die letzte gewesen. Erst im Gefäng-nis hatte ich die Gelegenheit, mit einem

V.l.n.r.: Dr. Karl Frötscher, Rosa Klotz und Rudolf Marthwährend der Prozesstage in Mailand, nach 14-monatigerUntersuchungshaft auf freiem Fuß angeklagt.

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von ihnen darüber zu sprechen und eingroßes Missverständnis auszuräumen,denn sie hatten geglaubt, ich hätte sieangegeben und ins Gefängnis gebracht,dabei war es das verräterische Werk Plat-ters gewesen!

Von Trient wurde ich dann ins Ge-fängnis von Bozen zurückgebracht, woich dann den Rest meiner über 14 Mo-nate dauernden Untersuchungshaft ver-brachte. Die Gedanken an meine Kinderund der Wille, vor allem ihretwegen dasGanze heil zu überstehen sowie ein ge-wisser Trotz gegen die italienischen Ge-waltherrscher gaben mir die nötigen Le-bens- und Genesungskräfte. In Bozenkonnten mich wenigstens meine Kindereinmal im Monat besuchen kommen, inTrient war das nicht möglich gewesen.

Allgegenwärtig war aber auch dieSorge um meine sechs Kinder. Das Jüng-ste war gerade eingeschult und alle an-deren besuchten noch entweder dieVolks- oder Mittelschule. Eva, die Ältes-te, war im Internat in Meran und be-suchte die Lehrerbildungsanstalt.

Die Familie meiner Schwester, dieeine kleine Frühstückspension hatte,nahm die anderen fünf zunächst zu sichund kümmerte sich gemeinsam mit mei-ner Mutter bis zum Beginn der Fremden-verkehrssaison um sie. Dann kamen diebeiden Buben Wolfram und Manfrednach St. Martin zur Familie meines Bru-ders, Judith zu einer Familie, in deren

Obstgeschäft sie tüchtig mithalf und diebeiden Jüngsten, Barbara und Rösi ka-men zu einer Frau in St. Leonhard, diesich ihrer annahm.

Doch es lag immer noch die Gefahrin der Luft, dass man zumindest die bei-den Ältesten, Eva und Wolfram, in eineErziehungsanstalt nach Italien bringenwürde, von Venedig war die Rede.

Den Aufenthalt im Gefängnis ver-suchte ich so gut als möglich mit Brief-schreiben, Handarbeiten und Lesen aus-zufüllen, damit die Zeit leichter vergingund ich nicht nur meinen Sorgen undGedanken nachhängen konnte. Nachund nach kamen dann auch Maja Mayr,Lina Steger und deren Mutter dazu, so-dass ich nach anfänglicher Einzelhaftwieder mit jemandem sprechen konnte.Da es mir gelungen war, zu einem klei-nen Taschenradio zu gelangen und unsdie Gefängniswärterinnen doch die eineund andere Nachricht von draußen her-einbrachten, konnte ich einigermaßen anden politischen Ereignissen teilnehmenund mir ein Bild über die Vorgänge drau-ßen machen. Diesen Wärterinnen dankeich heute noch für ihre Menschlichkeitund ihre Bereitschaft, mir dabei zu hel-fen, dass ich mich immer mit irgendet-was beschäftigen konnte, mit Waschen,Handarbeiten und anderem nützlichenTagwerk. Mit ihrer Hilfe konnte ich auchbewirken, dass wir in der Frauenabtei-lung einige Schränke bekamen, ordentli-

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Jaufenpass, September. Rosa Klotz und ihre Kinder Evaund Wolfram schauen mit dem Fernglas zum Heustadelder Brunner Mahdern. (Passeierstraße RichtungJaufenpass und Brenner)

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ches Besteck, eine Schere zum Schnei-dern und dass wir, so wie die Männer,zweimal in der Woche fernsehen durf-ten.

Sie, diese italienischen Wärterinnen,waren es auch, die den WeihbischofForer durch ihren Protest dazu zwangen,etwas gutzumachen, womit er mich ge-kränkt hatte. Anlässlich einer Weih-nachtsfeier im Bozner Gefängnis, zuwelcher sich alle Gefangenen versammelthatten, kam der Weihbischof, drücktejedem und jeder die Hand und übergabein kleines Geschenk, nur mich hatte erausgelassen. Da ich als letzte in der Linieder politischen Häftlinge stand, konnteer mich nicht übersehen haben. Ich emp-fand es als Demütigung vor allem vorden Kriminellen, von denen wir uns Po-litischen in jeder Hinsicht und bei jederGelegenheit zu unterscheiden wusstenund, was vor allem das Aufsichtsperso-nal immer wieder positiv zur Kenntnisnahm. Diese Geringschätzung durch ei-nen deutschen kirchlichen Würdenträgerwar mir unangenehm, jedenfalls brachteich kein Wort mehr heraus und ging inmeine Zelle.

Die Wärterinnen waren sehr empört,sie besprachen sich sofort und veranlas-sten ihn, zu mir in die Zelle zu kommen,um sich zu entschuldigen. Das Geschen-klein hat mir dann der allseits geschätzteund unvergessliche GefängnisgeistlicheDon Nicoli überreicht, der für dieses Be-

nehmen des geistlichen Herrn auch keinVerständnis hatte und dies offen zumAusdruck brachte.

Überhaupt habe ich im Gefängnis dieZivilcourage und den Gerechtigkeitssinnmancher Italienerin schätzen gelernt undoft an das klägliche und unwürdige Ver-halten, vor allem an die Feigheit unsererLandsleute, denken müssen. Wie habeich mich manchmal vor den Italienern fürsie geschämt!

Zu Weihnachten 1968 wurde ichendlich, nach 14 Monaten und 10 Ta-gen, aus der Untersuchungshaft entlas-sen, jedoch mit der Auflage, das Gemein-degebiet von Bozen ein Jahr lang nichtzu verlassen und mich jeden Tag beimCarabinierikommando in der Dantestra-ße zu melden. Das waren harte Bedin-gungen, denn wie sollte ich meine Kin-der nach Bozen bringen und dort für siesorgen. Doch auch in dieser Situation halfdie Devise, nur nicht verzagen.

Eine verwitwete Schwester meinesMannes lebte mit einigen ihrer bereitserwachsenen Kinder in einer großenBozner Mietwohnung. Ich konnte dieersten Monate dort bleiben und mich umeine Arbeit umsehen. Die unerschrockeneund nimmermüde Lehrerin, Frau Profes-sor Gabi von Pidoll, half mir dabei, we-nigstens eine provisorische Halbtagsbe-schäftigung zu finden. Wir machten da-bei allerlei Erfahrungen. So hatte Frau Dr.Pidoll die Idee, zum Landeshauptmann

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Dr. Magnago zu gehen, um ihn um Hilfebei der Arbeitssuche zu bitten. Wir gin-gen in die Runkelsteinerstraße, wo erwohnte, doch er ließ uns ausrichten, ersei nicht bereit, uns zu empfangen.

Wohl empfing uns aber seine Frau,der wir meine Situation schilderten undmeine Bitte betreffend der Arbeitsplatz-beschaffung vortrugen. Da zog sie einSäckchen mit Zuckerlen heraus und frag-te mich, wie viele Kinder ich hätte. Alsich ihr sagte, es seien sechs an der Zahl,da zählte sie sechs Zuckerlen heraus undgab sie mir in die Hand, für meine Kin-der. Gabi von Pidoll war so entsetzt, dasssie mich nur bei der Hand fasste undsagte: «Kommen Sie, Frau Rosa, wirgehen!»

Wir waren beide sprachlos und mus-sten erst einmal tief durchatmen, als wirwieder auf der Straße waren! Dafür griffdas Schicksal wieder einmal helfend ein.Im Haus, in dem meine Schwägerinwohnte, wurde eine große Wohnungfrei. Ich setzte mich sofort dahinter undich bekam sie tatsächlich zu mieten. Dagerade Sommerferien waren, ließ ichmeine Kinder nach Bozen kommen, wirschrubbten, putzten und brachten allesin Ordnung, um zu Beginn des Schuljah-res Studenten aufzunehmen, für sie zukochen und zu sorgen, denn unterrich-ten durfte ich ja nicht mehr. Wir beka-men jedes Bett voll und gemeinsamschafften wir die viele Arbeit. Das Wich-

tigste war, dass wir alle wieder zusam-men waren und die Kinder in Bozenweiter die Schulen besuchen konnten.Gerne verrichtete ich die tägliche Arbeitfür fünfzehn, sechzehn Leute, ich wus-ste, wofür ich es tat! Wir konnten vonmeiner Arbeit leben, die älteren Kinderbrachten auch den einen und anderenKreuzer ins Haus, wenn sie irgendwoeine Aushilfsarbeit übernehmen konnten.Noch immer durfte ich das Gemeindege-biet von Bozen nicht verlassen, das än-derte sich erst nach meinem Freispruchbeim 3. Mailänder Prozess im Frühjahr1969. Natürlich wusste ich, dass manmich freisprechen müsste, wenn es ge-recht zuginge, denn als Mutter von sechsKindern, die auch für den Lebensunter-halt sorgen musste, hatte ich anderes zutun, als Masten zu sprengen oder michmit Bandenbildung zu befassen. Aberalles hing vom Gericht ab, schließlichwaren ja auch die mehr als 14 MonateUntersuchungshaft möglich, ohne dassich etwas von dem getan hatte, wofürich im Gefängnis saß.

Es war damals reine Sippenhaft.Nachdem man meines Mannes wederlebendig noch tot habhaft werden konn-te, wollte man ihn ganz offensichtlichpsychisch fertigmachen, indem man dieFamilie auseinanderriss und den Kindernauch noch die Mutter wegnahm! DochJörg wusste, was ich zu verkraften fähigwar. Aber leicht war es freilich auch für

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ihn nicht, zumal er gerade während ei-nes Besuches der drei ältesten Kinder inAbsam vor ihren Augen verhaftet undwieder nach Wien gebracht wurde.

Bei diesem Mailänder Prozess, wiezuvor bei den vielen Verhören, hatte essich bewährt, dass ich nicht zu viel wus-ste. Es waren damals noch mehrere an-dere mit mir auf der Anklagebank.

Als mich der beim Prozess hinter mirsitzende Richard Kofler fragte, was ichalles gesagt hatte, kam mir erst richtigzum Bewusstsein, dass ich überhauptkaum etwas und schon gar nichts überihn wusste. So konnte ich ihm reinenGewissens antworten, dass ich gar nichtsgesagt habe.

Natürlich hatte ich nach dem Prozessden Wunsch, endlich wieder in meinemLehrerberuf tätig zu sein. Einige Gönnermit gewissen Einflussmöglichkeiten ver-wendeten sich für mich bei allen mögli-chen Stellen, auch beim Schulamt. DasGericht von Mailand hatte nämlich aufentsprechende Anfrage geschrieben, esliege allein im Ermessen des Schulamtesvon Bozen, ob man mich wieder als Leh-rerin anstellen wolle.

Auch dort fehlte es jedoch an dernötigen Zivilcourage, man hatte wohlAngst, es sich mit irgendwelchen italieni-schen Stellen zu vertun, obwohl geradesie diese Art von Unterwürfigkeit nichtbesonders schätzten. Also verdiente ichunser Brot weiterhin mit der Verpflegung

von Studenten, die viel Leben in das Hausbrachten und für Teilhabe an ihrem schu-lischen Alltag sorgten, sodass außer demKochen und Putzen auch anderes zu er-ledigen war, wie Sprechstunden, Schul-veranstaltungen und dergleichen mehr.Meine Kinder integrierten sich sehr gutin dieses neue Leben und fanden sich inihrer Umgebung sehr schnell zurecht,sodass jedes eine Ausbildung bekam. Daswar für meinen Mann und mich immerdas Wichtigste. Jörg sagte immer, Häu-ser und Besitz können wir euch nichtgeben, aber für eure Ausbildung werdenwir sorgen. Und er tat, was er konnte,um dies zu bewerkstelligen.

Große Sorgen und Aufregungen gabes dann in Zusammenhang mit demProzess von Perugia, wo der Mord anLuis Amplatz und der versuchte Mord anmeinem Mann verhandelt wurden. Jörgsollte dort als Hauptzeuge aussagen, undzu diesem Zweck wurde ihm freies Geleitangeboten. Er war zunächst gar nichteinmal so abgeneigt, dieses Risikoeinzugehen, doch seine InnsbruckerFreunde, vor allem Anwälte und andere,mit der Justiz vertraute Leute, be-schworen ihn, nicht nach Perugia zu fah-ren. Auch ich fuhr sofort nach Innsbruck,wo er sich gerade aufhielt und berietmich mit ihm, gab alles zu bedenken,vor allem, dass man den Italienern nie-mals trauen könne, sie würden sicher ir-gendeinen schlauen Schachzug finden,

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Freiheitskämpfer überschreiten die Grenze.

um ihn doch in ihre Gewalt zu bringen.Zum Glück konnte er davon überzeugtwerden, dass das Risiko zu groß war,obwohl er gerne das seine zur Urteilsfin-dung beigetragen und den Verlauf die-ses Prozesses miterlebt hätte. Dafür binich dann nach Perugia gefahren, um miralles anzuhören und Jörg dann darüberberichten zu können.

Überhaupt ließ ihn der Gedanke nichtmehr los, irgendwie heim nach Südtirolzu kommen, er litt mehr unter ständigemHeimweh, als man ahnte und wollte ein-fach wieder ein normales Leben in seinervertrauten Umgebung führen. Er nahmKontakte mit italienischen Journalisten inÖsterreich auf, um zu sondieren, inwie-fern eine Rückkehr nach Südtirol mög-lich und wie hoch das Risiko dabei wäre.

Welche Ängste hatten wir doch immerwieder, man könnte ihn einfach entfüh-ren und an den Brenner stellen, doch erhatte da überhaupt keine Angst, denn erbewegte sich sicher und frei, so wie erüberhaupt jedem ohne Scheu und Vor-behalt entgegentrat.

Natürlich haben auch wir als Familiehier in Südtirol versucht, alles inBewegung zu setzen, um Hilfe zu finden,den Weg für seine Rückkehr in dieHeimat wenigstens einzuleiten, sodass ergrößere Hoffnung schöpfen konnte.Doch die versuchte Vorsprache beimBischof und die erfolgte bei Landes-hauptmann Magnago waren mehr alsernüchternd, wir spürten genau, dassvon diesen Leuten keine Hilfe zu erwar-ten war und, dass sie sich in keiner Weise

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dafür verwenden würden. Der NameKlotz sollte am besten überhaupt nichtmehr fallen, er schien nur zu stören.

In diese Zeit fiel auch eine andere viel-sagende Begebenheit: Freunde meinerheranwachsenden Kinder wollten mir zumeinem Geburtstag Glückwünsche durchdas Wunschkonzert des Senders Bozenzukommen lassen. Als für mich keineGlückwünsche durchgesagt wurden,setzten sich die jungen Leute mit dendirekt Zuständigen in Verbindung undbekamen zur Antwort, man habeSchwierigkeiten, für die Frau des GeorgKlotz Geburtstagswünsche zu vermitteln!Das war weiter nicht schlimm, wusstenwir doch inzwischen, dass wir von ge-wisser Seite nicht viel zu erwarten hat-ten, aber weh getan hat es trotzdem!Dafür gab es einige wenige, um so groß-artigere Menschen, die immer zu unsgehalten haben, uns auch mit Rat undTat zur Seite standen und mich informier-ten, wenn etwas Wichtiges anstand,denn mit der vielen Arbeit mit den eige-nen Kindern und den Studenten hatteich wenig Zeit für Nachrichten und Zei-tungslesen. Aber die Kinder wurden im-mer selbständiger und ich hatte baldauch größere Hilfe durch sie.

Als sich die Buben das erste ge-brauchte Auto anschafften, konnten wirendlich öfter zu Jörg nach Nordtirol fah-ren, wo er sich inzwischen in einer Forst-hütte im Rueztal eine neue Bleibe ge-

schaffen hatte, weil er es in der Stadtnicht mehr aushielt. Er lebte von derHolzarbeit und von der Kohlenbrennerei.Die Glockengießerei Grassmayr nahmseine Holzkohle gerne ab, weil sie vonguter Qualität war. Im Sommer konnteich mit zwei und auch mehreren unsererKinder einige Wochen dort bleiben, umzu kochen und die Wirtschaft zu führen,bei der strengen Holzarbeit und dann vorallem bei der gefährlichen Holzdrift imeiskalten Ruezbach war das besonderswichtig. Da standen die Buben und Jörgoft bis zu den Hüften im reissenden Was-ser, um die verkeilten Baumstämme aus-einander zu treiben. Da musste im Herddauernd Feuer sein, um die nassen Klei-dungsstücke und die Bergschuhe zutrocknen. Wie oft bangte ich da, als ichsah, welch gefährliche Arbeit das ist. Injenem Sommer, bevor Jörg diese Holz-partie übernommen hatte, warennämlich zwei Männer von den Baum-stämmen erdrückt worden und umsLeben gekommen. Es war also gefährlichund entbehrungsreich, aber so hatten wirwenigstens noch ein bisschen Familien-leben. Jörg hatte sich in dem Sommerbei der Arbeit zwei Rippen gebrochenund sich in der Folge eine Rippenfell-entzündung zugezogen, die seinen Auf-enthalt im Krankenhaus notwendigmachte. Die Medikamente bewirktenzwar eine baldige Gewichtszunahme,denn er war schrecklich abgemagert,

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aber richtig erholt hat er sich davon nichtmehr. Schließlich erlitt er nach einem am-bulanten operativen Eingriff eine Lun-genembolie und starb im Jänner 1976mit 56 Jahren ganz plötzlich. Das warfür mich und uns alle eine schrecklicheNachricht, wie oft aber hatten wir unsauf das Schlimmste gefasst machen müs-sen und ihn in höchster Gefahr gesehen!

Erst als mein Mann tot war, da durf-te ich dann wieder unterrichten und mirdoch noch einen Pensionsanspruch er-werben, vorher war das nicht gegangen!Ich möchte mich dazu jeden weiterenKommentars enthalten! Heute wissenwir, dass Jörg wohl nie mehr als freierMensch hätte zurückkehren dürfen, sowar er als Toter heimgekehrt.

Wenn ich heute auf diese bewegteund schicksalshafte Vergangenheit zu-rückblicke, kann ich sagen, dass sie zumGlück keine Bitterkeit hinterlassen hat,wohl aber sehr viele, nicht immer erfreu-liche Erkenntnisse. Das Ganze doch ge-meistert und vor allem die Kinder zuanständigen Menschen erzogen zu ha-ben, die zu ihrem Vater und seiner Le-bensaufgabe stehen, erfüllt mich dochmit Genugtuung und Freude.

Und es hat in jeder noch so schwie-rigen Situation Menschen gegeben, dieuns beigestanden sind und weitergehol-fen haben. Allen diesen Menschen, auchin Deutschland und Österreich, möchteich heute von ganzem Herzen dafür dan-ken.»

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GRÜSS MIR DIE HEIMAT,DIE ICH MEHR GELIEBT ALS MEIN LEBEN

Schon früh, mit 5 Jahren, erkrankteLuis schwer an einer doppelseitigen Lun-genentzündung und wurde in das allge-meine Krankenhaus von Trient eingelie-fert. Luis war drei Jahre in Trient undverlernte dabei die deutsche Sprachevöllig. Ich erinnere mich noch sehr gut,ich war ein Jahr jünger als Luis, wie ichihm italienisch nachgespottet habe, wor-auf ich dann vom Vater eine Watschengeknallt bekam.

Unsere Muttersprache wieder zu er-lernen ging dann schnell, da er nichtsanderes hörte. Übrigens wurde auch eineSchwester von uns im gleichen Alter wie

Luis in Trient mit einer Krankheit einge-liefert. Sie starb nach einigen Monaten.

Wie wir alle besuchte auch Luis dieVolksschule in Gries. Die Lehrpersonender Jahre 1924-25 bis 1938-39 warenausschließlich überzeugte Faschisten. Siehätten gar nicht unterrichten können,wenn sie nicht in diese Partei eingeschrie-ben gewesen wären.

Die Schulzeugnisse von damals wa-ren nicht besonders gut ausgefallen,weder bei Luis noch bei mir. Unser Vater,ein strenger (wohl einer der strengstender Umgebung, aber ein sehr korrekterund ausgeglichener Mann, den wir sehr

Im Verlauf des Widerstandskampfesnach der Feuernacht wurde neben JörgKlotz sein Freund Luis Amplatz zu einemder bekanntesten, am meist gesuchtenund gejagten Freiheitskämpfer. Sein of-fenes Auftreten und sein überzeugterWille, für das Wohl der Heimat zu kämp-fen, ließen ihn bald zu einer Symbolfi-gur des Südtiroler Widerstandes werden.

Warum Luis Amplatz bis zu seinemTode kompromisslos den harten Weg desWiderstandes, der Flucht, der Verfolgungund des Untergrundes wählte, kann man

vielleicht besser verstehen, wenn man ei-nige Ereignisse aus seiner Kindheit undJugend kennt.

Keiner kann besser darüber berich-ten als sein Bruder Franz Amplatz.

Luis wurde in Gries bei Bozen am28.08.1926, als zweites Kind von 8 Ge-schwistern geboren. Drei Kinder starbenschon im Kindesalter. Unser Vater LuisAmplatz hatte sich zusammen mit sei-ner Mutter und seiner Frau ein kleinesHaus gekauft, das wir heute noch besit-zen.

Franz Amplatz über seinen Bruder Luis

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respektierten) sagte uns eines Tages, alswir wieder mit unseren Noten nach Hau-se kamen: «Italienisch ist für euch nichtso wichtig, besser ist, ihr lernt richtigDeutsch.» Und so war es auch, Gott seiDank. Wir besuchten zur damaligen Zeitdie Katakombenschule, wie sie bei unsgenannt wurde und zwar zwei Mal dieWoche jeweils 1 Stunde.

Man konnte nicht die zwei Stundenin der Woche im selben Haus am Unter-richt teilnehmen, das musste getrennt inzwei Häusern geschehen. Diese Schulewar streng geheim; so mussten jeweils 4bis 5 Schüler, die unterrichtet wurden,einzeln in die Häuser schleichen. Aberfür uns war es lustig und reizvoll, etwasGeheimes zu tun und den anderen eine

Nasenlänge voraus zu sein, die die deut-sche Sprache nicht lernen konnten oderwollten. Dadurch konnten wir alle, diediese Schule besuchten, nach der Optionim Jahre 1939 gleich in die Oberstufeaufsteigen (denn nach 1939 wurdeallgemein die deutsche Schule einge-führt).

Die Jahrgänge von 1919 bis 1928,also 9 Jahrgänge, waren am schlechtes-ten dran; die kamen gerade zur Faschis-tenzeit in die Schule. Viele davon habendann das Schreiben und Lesen aufDeutsch erst beim Deutschen Heer er-lernt.

Ich erinnere mich noch genau, wieLuis das erste Mal das Ballila-Gewand (sohieß die kleinste Uniform der Faschisten,

Luis Amplatz war Leutnant und Gründungsmitglied der Schützenkompanie Bozen/Gries.

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die in vier Stufen bis zur vormilitärischenihre verschiedenen Namen hatte) anzie-hen sollte und sich weigerte; zwar wohlwie wir alle, bis auf ein paar Einzelne,die es anzogen, weil ihre Eltern eineStaats- oder eine Beamtenstelle innehat-ten. Aber Luis scheute sich vor nieman-dem, sagte es dem Lehrer ins Gesicht:«Das welsche Gewand ziehe ich niemalsan!» Und so bekam er auch vom Lehrerheftige Prügel, sodass er aus Nase undMund blutete, aber das bewegte ihnnicht zur Umkehr! Im Gegenteil, er wur-de trotziger. Dementsprechend fielenauch dann die Noten aus.

Eines Tages, ich ging in die 3. KlasseVolksschule und der Luis in die 4. Klasse,musste ich zur Strafe für ein Vergehen inder Ecke der 4. Klasse vom Luis stehen.Ich unterhielt mich während des Unter-richts mit den Klassenkollegen von Luis,bis der Lehrer wutentbrannt zu mir her-unter in die Ecke kam und mir zweiklatschte. Meine Antwort war: «WalscherFock!» Er nahm mich beim Kragen undzerrte mich zur Tafel hinauf, ich ließ michfallen, packte den Lehrer (der übrigensals einer der wenigen Deutsch verstand)bei den Füßen und biss ihm in die Beine.Luis lief, bewaffnet mit der hölzernenGriffelschachtel, heraus und haute siedem Lehrer auf den Kopf.

Natürlich sind das unschöne Sachen,aber sie spiegeln die Situation und denTagesablauf an den Schulen Südtirols

wider. Der genannte Lehrer bekleideteden Rang eines Oberst des italienischenHeeres. Wir haben ihm mit dieser Aktiondie «Schneid abgekauft».

Luis‘ Klassenkameraden brachten ihmdes öfteren was zum Naschen mit: Kek-se, Würste, Nüsse usw., damit er etwasanstellte. Natürlich waren das nur Laus-bubenstreiche: das Ausleeren des Tinten-fasses des Lehrers nach Schulschluss, sichin den Pausen vom äußersten Ast kopf-über hängenlassen oder das Herunter-holen der italienischen Fahne. Das brach-te die Lehrpersonen auf die Beine.

Allgemein war Luis bei seinenMitschülern sehr beliebt. Sie hatten mitihm sozusagen eine Mordsgaudi undkeiner wagte, das auszuführen, was ihmSpaß machte. Umsonst sagte der Schul-diener nicht: «Wenn was ist, immer dieAmplatz!» Das traf, ohne dass ich denScheinheiligen spiele, zu 80% den Luis.

Unser Grundstück lag von unseremWohnort Gries ungefähr 3 km entfernt.Wir Schulkinder mussten immer zu Fußhinlaufen, um dem Vater im Feld zuhelfen. Das waren die Jahre 1935-36, woeigentlich die große Verbauungspolitikeinsetzte: Es wurden dort die schönstenGründe enteignet, um Fabriken zu bau-en und gleich darauf diese Volkswohn-häuser (wir nannten es Shanghai-Viertel),die von unserem Grundstück nur wenigeMeter entfernt waren. Wie das alles ge-baut wurde, da fühlte man, wie sich die-

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se faschistische Horde stark fühlte. Allesgehörte schon ihnen und sie wusstenimmer, was dein ist und mein.

So wurden die Zäune rings um unse-ren Grund aufgerissen oder mit Zangenaufgeschnitten. Aber nicht nur bei uns,sondern überall, wo Gründe um dieseNeubauten herum waren. Die Erntewurde uns zu 50% gestohlen. UnreifesObst, hauptsächlich Trauben, wurde bos-haft abgerissen und auf den Boden ge-worfen. Den Vater hätte man beinaheeingekerkert, nur weil er Diebe ertappte,diese auf seinem Grund und Boden zu-rechtwies und zu ihnen sagte: «Geht hin,wo ihr hergekommen seid, wir habeneuch nicht gerufen.»

Nicht weniger oft kam es vor, dasswir die Diebe vertrieben oder selbst vonmehreren vertrieben wurden. Wenn esnicht gerade eine Übermacht war, ver-prügelten wir sie auch, denn diese fei-gen Kerle fühlten sich nur stark, wennsie in dreifacher Übermacht waren.

Nach verrichteter Arbeit führte derkürzeste Weg vom Feld nach Hause anden teilweise schon errichteten Häusernvorbei. Da hat man uns, den Luis undmich, mit Steinen beworfen. Nicht nureinmal mussten wir dieses Shanghai-Vier-tel umgehen, besonders, wenn es eineSchlägerei auf unserem Grund gegebenhat.

So wuchs Luis auf, das große Unrechtimmer mehr erkennend, das auf uns

Südtiroler hereinbrach: Die Enteignungender Gründe, die Übersetzung deutscherNamen ins Italienische, auf dem eigenenGrund nicht mehr sicher vor den Diebes-horden. Eines hat den Luis sehr bewegt:Die Inschriften der Grabmäler, die vomDeutschen ins Italienische übersetzt wur-den, dazu noch sehr fehlerhaft.

In den Jugendjahren trug Luis gernedie Lederhose mit weißen Stutzen, wasden Italienern sehr ins Auge stach. Beieinem Herbstfest, in unmittelbarer Nähevon uns, gesellten sich zwei Italiener zudiesem Fest. Einige dumme Bemerkun-gen über uns Südtiroler von diesen bei-den genügten Luis schon, um in die Luftzu gehen. Mit zu den Lederhosen in derSeitentasche gehörte der Dolch oder dasStilett. Luis zog das Stilett, das übrigensverboten war. Nach einem Wortwechselfragte er einen der beiden, ob er ihmden Bauch aufschlitzen solle; eine Dro-hung, die Luis niemals wahr gemachthätte. Die beiden verschwanden und esdauerte keine halbe Stunde und sie kehr-ten in Begleitung einiger Polizisten zu-rück. Luis und ich bestiegen unsere Fahr-räder und verschwanden. Die Italienerhatten aber Lunte gerochen und verfolg-ten uns. Die Nacht kam uns zur Hilfe,wir nahmen Deckung in der Straßenbö-schung hinter einem Strauch, währenddie anderen uns vergeblich suchten.

Ungefähr zwei Monate nach diesemVorfall kam die Polizei auf das Feld, wo

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Luis Amplatz war Vater von drei Kindern.Er war ein Kleinbauer und sein Leben

galt dem Wohl seiner Familie und seiner Heimat.

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Luis und ich als Tagelöhner arbeitetenund ohne Umschweife verhafteten sieihn. Luis war verraten worden. DieserSpaß, so kann man den Vorfall ruhignennen, kostete Luis zwei Monate Ar-rest. Durch gute Führung kam er nach 6Wochen wieder in Freiheit. Umgekehrtkonnten die Besatzer sogar Pistolen zie-hen, ohne dass ihnen ein Haar gekrümmtwurde.

Wir mussten schon früh auf eigenenFüßen stehen: Luis übernahm schon als16-Jähriger den Grund, den wir bis da-hin gemeinsam bearbeitet hatten. Nachder Option kam unser Vater im Jahr 1940

ins Krankenhaus nach Innsburck. Er hat-te ein unheilbares Leiden, das er sich invier Jahren sibirischer Gefangenschaft zu-gezogen hatte. Im Jänner 1940 kam ernach Innsbruck, im Jänner 1941 verstarber in Wien, wie alle anderen, die vondieser Krankheit befallen waren.

Mutter stand mit fünf schulpflichti-gen Kindern alleine da, ohne Hinter-bliebenenrente, nur mit ihren arbeitsa-men Händen, die heute noch schaffen,mit über 80 Lenzen. Luis wuchs auf, le-bensfreudig, seine Berge liebend. DerWitz fehlte ihm nicht und viele mochtenihn gern, weil er so spontan und aufge-

Ostern 1957– Luis Amplatz feiert mit Mitgliedern der Stieler-Gruppe die Entlassung aus der Haft. V.l.n.r. LuisAmplatz, Sepp Stieler, Toni Kasslater, Othmar Plunger und Hartl Pernter.

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weckt war. Sogar einige Italiener hattenSpaß mit ihm.

Keinen Spaß verstand er aber, als erals Feldsaltner fungierte. Auf dem Fahr-rad sitzend schwang er die Ochsenpeit-sche und neben ihm lief ein scharferSchäferhund, der gut auf die Obstdiebeabgerichtet war.

Das Hissen der Tiroler Fahne an denwaghalsigsten Orten, auf Felsen, wo mansich abseilen musste oder auf Hochspan-nungsmasten, war seine Spezialität. Umdie Fahnen herunter zu holen, musstedie Hochspannung ausgeschaltet wer-den. Luis führte uns einmal während derObsternte vor, wie man einen hohenMasten erklettert und am obersten Endeeinen Kopfstand machen kann.

Luis wurde im Mai 1944 einberufenund kam zum Polizeiregiment Alpen-vorland nach Schlanders. Nach der Aus-bildung zwischen Schlanders und Malskam das Regiment zum Partisaneneinsatznach Oberitalien. Was sich Luis währenddieser Ausbildung leistete, war einmalig,sogar seinen strengen KompaniechefSchwertfäger (gefallen 1945) brachte erzum Lachen. Luis war das Kasperl desRegiments; hätte sich ein anderer Soldatdiese Sachen geleistet, wäre dieser vordem Kriegsgericht gelandet.

Eines Abends hatte Luis Stubendienstund musste die Stube vor dem U.v.D.abmelden. Er stand in den Unterhosenund mit Leibchen da, die Koppel ange-

schnallt, mit Gasmaske, Seitengewehr,Brotbeutel, Rucksack, Gewehr und mitdem Stahlhelm auf dem Kopf. Seine Stu-benkameraden unter den Decken bogensich vor Lachen, als der U.v.D. kam. Derschleifte den Luis dann Stuben ein, Stu-ben aus, Stiegen auf, Stiegen ab. Vomlauten Gelächter wachte die ganze Ka-serne auf.

Wie der Krieg zu Ende war, kam er inamerikanische Gefangenschaft. Am 14.Mai 1945 wurden er und seine Mit-gefangenen nach Bozen transportiertund dort in einer Kaserne interniert. Alleglaubten, jetzt zu Hause zu sein und baldentlassen zu werden. Aber es kamanders. Nach zwei Tagen wurden siewieder auf LKWs geladen und inStrafgefangenenlager nach Süditalientransportiert. Luis glaubte nicht mehr aneine Entlassung. Er und ein Kameradbrachen aus und waren bald zuhause,wohl die zwei einzigen, die es so schaff-ten.

Im Jahr 1946 wurden wir Mitgliederdes Jugendbundes von Bozen. Das «AlteHaus» war durch Bomben schwerbeschädigt worden, sodass man sichgezwungen sah, es gänzlich abzureissenund ein neues aufzubauen. Nach derschweren Feldarbeit am Abend kamenso 10 bis 15 Burschen zusammen, umden Schutt mit Schubkarren wegzuräu-men und die Ruine abzutragen. Auchhier war Luis wieder vorne dabei.

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Niemand wagte sich so weit hinauf wieer. Bewaffnet mit einer Brechstange undmit seinem guten Humor brach er Meterum Meter das Gebäude ab. Unserdamaliger katholischer Präses erzähltheute noch gerne von dieser Leistung,die wir unentgeltlich vollbracht hatten,besonders von Luis.

Wir gründeten dann wieder die Hei-matbühne, bei der Luis auch als Schau-spieler mitwirkte und mit dem Erlöswurde zum Teil der Wiederaufbau finan-ziert. Dieses Haus heißt heute «Lehrlings-heim Bozen», die Bühne heißt heute«Volksbühne Bozen»; sie spielt heute imWalther-Haus weiter.

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Nach dem Tode von Luis Amplatzentstanden im Volk Geschichten übersein Leben, seine Taten und sein unglück-liches Ende. Dies beweist, wie groß imGrunde die Sympathie großer Bevöl-kerungsschichten den Freiheitskämpfern

gegenüber war. Zu Terroristen und Ver-brechern wurden sie von der offiziellenPresse und Politik gemacht.

Über den Mord an Luis Amplatzherrscht heute noch Unklarheit. Mörderund Mordaufträger blieben unbestraft.

Die Tragödie auf den Brunner Mahdernvon Günther Obwegs

Man schreibt das Jahr 1964. Seit derFeuernacht – jenem Protestschrei derSüdtiroler gegen die vom faschistischenRegime begonnene und vom «demokra-tischen» Staat Italien fortgesetzteItalienisierungspolitik und gegen das ver-weigerte Recht auf Selbstbestimmung –sind bereits drei Jahre vergangen. VonFrieden im Lande kann noch niemandsprechen, dazu sind die Detonationen derSprengungen, die Schreie der gefolter-ten Südtiroler Häftlinge noch zu allge-genwärtig und spürbar und die politi-schen Verhandlungen zwischen Öster-reich und Italien auf bilateraler und inter-nationaler Ebene voll im Gange.

Der Wunsch der Südtiroler nach Ge-rechtigkeit, der Wunsch nach einer Lö-sung der Südtirol-Frage durch die An-wendung des Selbstbestimmungsrechtesist noch nicht gebrochen.

In der Nacht vom 6. zum 7. Septem-ber 1964 wird auf der Brunner Mahder

Luis Amplatz ermordet. Noch heute sinddie genauen Umstände dieses Mordesnicht aufgeklärt und Mörder und Auf-traggeber ungestraft. Noch heute wer-den Luis Amplatz und seine Mitstreiteroft verkannt und verurteilt, um dieSchuld des italienischen Staates am Süd-tirol-Problem und den Opfern des Frei-heitskampfes der späten 50er und der60er Jahre zu verbergen und jene zuschützen, die Täter und Auftraggeberwaren.

Für manche scheint eine Ewigkeit ver-gangen, für andere scheint es erst ge-stern gewesen zu sein. Jahre danach soll-ten wir nicht Gefahr laufen, jene Zeit undjene Männer, die für Werte eingetretensind, die heute immer mehr verblassen,leichtfertig und vielfach aus reiner Be-quemlichkeit zu vergessen.

Die Eltern von Luis Amplatz, die ei-nen kleinen Bauernhof in der Kaiseraubewirtschaften, erteilen ihren acht Kin-

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Für das gemeinsame Ziel. Luis Amplatzund Jörg Klotz im österreichischen Exil.

am eigenen Leib. Aber genauso wächstin ihm auch der Wille, dagegen Wider-stand zu leisten und seine Heimat zuverteidigen. So weigert er sich als Kind,in die faschistische JugendorganisationBalilla einzutreten und wird bereits mit16 Jahren zum ersten Mal von Carabi-

dern eine strenge und ebenso heimatbe-wusste Erziehung. Die faschistischeItalienisierungspolitik, die Katakomben-schule und besonders die massive Zu-wanderung prägen die Jugend von LuisAmplatz. Schon von seiner Kindheit auferlebt er Faschismus und Italienisierung

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nieri verhaftet und für zwei Monate ein-gekerkert. Nach seiner Enthaftung musser die Sorge für die Familie übernehmenund seiner Mutter und den sieben Ge-schwistern helfen, da sein Vater, der imErsten Weltkrieg schwere gesundheitlicheSchäden erlitten hatte, erkrankt ist undbald darauf sterben wird.

1944 wird Luis Amplatz zum deut-schen Militärdienst eingezogen undkommt als Mitglied des Südtiroler Poli-zeiregimentes Alpenvorland zur Partisa-nen-Bekämpfung nach Oberitalien. Am14. Mai 1945 wird er aus amerikanischerGefangenschaft entlassen und kehrt inseine Heimat zurück.

Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende unddamit auch die Zeit der faschistischenHerrschaft. Und wieder hoffen die Südti-roler – wie nach dem Ersten Weltkrieg –auf eine gerechte Lösung des Südtirol-Problems.

Wieder hofft die Bevölkerung, dassdie Alliierten vor der offenen Tirol-Fragenicht die Augen verschließen und erneutden italienischen Nationalisten Rechtgeben werden.

So werden im ganzen Land Unter-schriften für die Selbstbestimmung unddie Wiedervereinigung mit Österreichgesammelt. Fast jeder wahlberechtigteSüdtiroler unterstützt diese Forderung mitseinem Namen. Aber erneut sollte allesanders kommen! Das nach dem ErstenWeltkrieg im Diktat-Frieden von Saint

Germain an Tirol verübte Unrecht derTeilung wird nicht beseitigt, sondernbekräftigt und nur notdürftig durch ei-nen internationalen Vertrag, das Gruber-De-Gasperi-Abkommen, in Paris beschö-nigt. Tirol bleibt zerrissen und Südtirolals Herzstück des Landes weiterhinKriegsbeute Roms.

Durch das Pariser Abkommen wur-den den Südtirolern einige Grundrechtezugesichert, doch das demokratische Ita-lien zeigte nicht das geringste Interesse,den Minderheitenschutz zu verwirklichen.Es wurde immer deutlicher, dass Italiennur unter dem alliierten Druck der Auf-nahme der Minderheitenschutzrechte inden Friedensvertrag zugestimmt hatte,um den territorialen Besitz Südtirols zusichern. Sobald dieses Ziel erreicht war,fühlte sich Rom wieder gestärkt und setz-te in vielen Bereichen die Italienisierungs-pläne des faschistischen Regimes fort.Dazu gehörte vor allem das Ziel, die deut-sche Bevölkerung durch die staatlicheFörderung einer massiven Zuwanderungvon Italienern zu majorisieren.

Luis Amplatz gehörte sicher zu denersten, die dieses falsche Spiel erkanntenund die Machenschaften Roms durch-schauten. Zu augenscheinlich war, dasszahlreiche italienische Beamte, Richter,Politiker, Offiziere und Carabinieri zwardas faschistische Schwarzhemd abgelegt,aber nicht ihre Gesinnung geändert hat-ten.

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Was das faschistische Italien mit bru-talen Zwangsmethoden begonnen hatte,führte nun das «demokratische» Italienmit feineren und eleganteren Mittelnfort. Der Todesmarsch der Südtiroler, wieihn der streitbare Kanonikus MichaelGamper Anfang der 50er Jahre in einemdramatischen Appell nennt, geht schein-bar unaufhaltsam weiter. Luis Amplatzscheut keine Mühen, davor zu warnen,wachzurütteln, anzuklagen und für dieRettung seiner Heimat zu arbeiten. 1957ist er maßgeblich an der Wiedergrün-dung der Schützenkompanie Gries betei-ligt und wird von seinen Kameraden zumersten Fahnenleutnant gewählt.

Auf seinem kleinen Obstgut in Bozenmuss er täglich erleben, wie sich dieStadt durch die von Rom betriebene ita-lienische Zuwanderung immer weiterausdehnt und zahlreichen Bauern imBozener Talkessel die Lebensgrundlageraubt. Deshalb ist er seit den Anfängender Freiheitsbewegung, dem späterenBAS (Befreiungsausschuss Südtirol), inführender Stellung aktiv. Bei der Groß-kundgebung von Sigmundskron, am 17.November 1957, wo sich 35.000 Südti-roler zu einer eindrucksvollen Protestver-sammlung einfinden, um die Weltöffent-lichkeit auf ihre Not und Verzweiflungaufmerksam zu machen und um ihrenWillen kundzutun, etwas für die bedroh-te Heimat zu tun, hisst Luis Amplatzunter stürmischem Beifall und Jubel der

Anwesenden auf dem Schlossturm diedamals noch verbotene weiß-rote TirolerLandesfahne.

Die Tirolerfahne hatte er schon in denJahren zuvor immer wieder an schwerzugänglichen, aber weithin sichtbarenStellen gehisst und damit ein stummesZeichen des Widerstandes gesetzt. Dabeischeute er sich auch nicht davor, weiß-rote Fahnen selbst auf Hochspannungs-masten (Symbole der Fremdherrschaft) zuhissen, wo sie tagelang wehten, bevores den Carabinieri gelang, sie zu entfer-nen.

Bereits vor der «Feuernacht» im Juni1961, führte Luis Amplatz Sprengstoff-anschläge auf in Bau befindliche Volks-wohnhäuser durch, die für die italieni-schen Zuwanderer bestimmt waren. Dergroßen Verhaftungswelle nach der Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1961 kann sichLuis Amplatz nur durch eine dramatischeFlucht entziehen.

Über die Berge flüchtet er nach Nord-tirol, in den für ihn freien Teil des Lan-des, wo er von Mitkämpfern und Freun-den des BAS aufgenommen wird. Dorterreicht ihn bald auch der Schützenma-jor Jörg Klotz aus Walten in Passeier, dersich ebenfalls durch die Flucht über dieBerge der Verhaftung durch die Carabi-nieri entziehen kann.

Luis Amplatz und Jörg Klotz stellenihren Kampf aber nicht ein und versu-chen auch von Nordtirol aus, weiter ihr

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Seit seiner Flucht im Sommer1961 kehrte Luis Amplatzalleine oder mit Kameradenüber die Grenze in seineHeimat zurück, um denbegonnenen Kampffortzuführen.Mehrmals entging erdabei knapp einer Verhaftung.In der Bevölkerung entstandso fast eine Legende.

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Ziel zu verfolgen. Immer wieder ziehensie über die Berge nach Südtirol undbekunden durch erneute Anschläge vorallem auf Hochspannungsleitungen, dassder Widerstandswille trotz der Verhaf-tungswellen und trotz der grausamenFolterungen der Verhafteten nicht amEnde ist. Es ist aus heutiger Sicht schwernachvollziehbar, was in den Herzen undKöpfen dieser Männer, die bereit waren,für die Heimat, aus der sie fliehen mus-sten, alles – ja selbst das Leben – aufsSpiel zu setzen, vor sich ging.

In diesen Jahren werden Jörg Klotzund besonders Luis Amplatz für den ita-lienischen Staat zu gefürchteten Terrori-sten, für die Südtiroler zu einer Legende,zu einem lebenden Symbol des Wider-standes gegen den fremden Staat. LuisAmplatz musste wie Jörg Klotz eine Fa-milie in Südtirol zurücklassen, seine Frauund vier Kinder. Immer wieder ziehen sie– oft mit wenigen guten Freunden undMitstreitern – über die Grenze, um denFreiheitskampf fortzusetzen. Oft mag siedabei mehr das Heimweh und die Sehn-sucht nach den Lieben zu Hause ange-trieben haben.

1964 werden Luis Amplatz und JörgKlotz – sie sind bereits seit drei Jahren imösterreichischen Exil – von der österrei-chischen Regierung zuerst in Schubhaftgenommen und dann von Nordtirol nachWien verbannt, da die österreichischeRegierung befürchtete, dass die von Klotz

und Amplatz angekündigten Aktionendie Verhandlungen zwischen Wien undRom belasten könnten. Im Wiener Exilwachsen Verbitterung und Heimweh.Aus dieser Zeit stammt auch die Aussagevon Luis Amplatz, die die Tragik jenesAugenblicks widerspiegelt: «Rom undWien mocht ins hin!» Luis Amplatz un-terzieht sich einer längst fälligen Menis-kusoperation. Im August 1964 wird danndas Heimweh der beiden Schützen sogroß, dass sie beschließen, sich aus Wienabzusetzen und sich erneut nach Südti-rol zu begeben. Dieser Aufbruch ge-schieht vor allem vor dem Hintergrunddes großen «Mailänder Prozesses» ge-gen zahlreiche Südtiroler Mitstreiter, un-ter ihnen auch Sepp Kerschbaumer, derbereits seit drei Jahren in Italien in Haftist. Durch neue Aktionen wollen sie ih-ren Kameraden im Gefängnis ihre Soli-darität bekunden.

Seit der Feuernacht ist der Kampf inden Bergen und Tälern Südtirols immerverbissener geworden. In der Nähe derZwickauer Hütte überschreiten sie denRotmoosferner und gelangen in das Pas-seiertal, der Heimat von Andreas Hoferund Jörg Klotz. Aber sie werden dortschon von der italienischen Besatzungs-macht erwartet.

Durch Anschläge der «Pusterer-Buam» befinden sich in Südtirol über25.000 Carabinieri, Polizisten, Finanzpo-lizei und Soldaten in höchster Alarmbe-

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Im September 1964 wurde Luis Amplatz auf den Brunner Mahdern von Christian Kerbler,einem vom italienischen Staat gedungenen Mörder, erschossen.

So fanden die «ersten» Carabinieri, welche am Tag nach dem Mord dieBrunner Mahdern aufsuchten, Luis Amplatz tot in seinem Schlafsack.

Noch immer bleibt vieles bei diesem Verbrechen ungeklärt.

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reitschaft. Gleich-zeitig war es denitalienischen Ge-heimdiensten ge-lungen, in denKreis der Südtirol-Aktivisten inNordtirol Agentenund Spitzel einzu-schleusen. Zweidavon haben zujenem Zeitpunkt

bereits einen klaren Auftrag erhalten, densie bis zur letzten Konsequenz auch aus-führen werden.

Es sind die Gebrüder Franz und Chri-stian Kerbler, die einer angesehenen,patriotisch gesinnten Nordtiroler Familieentstammen. Es war ihnen bereits seiteiniger Zeit gelungen, in das engereUmfeld von Jörg Klotz vorzustoßen undsich diesem als Helfer und Mitstreiteranzubieten. Jörg Klotz und Luis Amplatzentschließen sich im Sommer 1964, diebeiden Brüder als Helfer bei ihrer Aktionim Passeiertal mitzunehmen. Luis Am-platz äußert zwar mehrfach gegenüberJörg Klotz und anderen Mitstreitern Vor-behalte gegenüber den beiden Kerbler-Brüdern.

Schließlich stellt aber auch er seineBedenken zurück und willigt in ihre Be-teiligung an der geplanten Aktion ein.Christian und Franz Kerbler haben schonvorher mehrfach Sprengstoff über die

Grenze geschmuggelt und bei der Aus-führung von Anschlägen mitgeholfen.

Da die beiden Kerbler-Brüder inItalien polizeilich unbelastet sind, sollensie regulär die Grenze am BrennerRichtung Südtirol überschreiten, währendLuis Amplatz und Jörg Klotz über dieBerge gehen. Wie verabredet, will mansich dann auf einer Alm in Passeiertreffen. Die ausgelegte Falle des italieni-schen Geheimdienstes beginnt zuzu-schnappen.

Als Jörg Klotz und Luis Amplatz dieGrenze über den Rotmoosferner über-schreiten, stoßen sie bereits nach weni-gen Stunden Marsch auf eine starke Ein-heit der italienischen Finanzwache undwerden in ein Feuergefecht verwickelt.Mit einem Verletzten zieht sich die Fi-nanzpolizei zurück. Doch bald müssenJörg Klotz und Luis Amplatz, die in ihrengeliebten Bergen ortskundig sind, erken-nen, dass sie von anderen starken Mili-täreinheiten eingeschlossen werden. Anden Uniformen können sie erkennen,dass es sich dabei um gefürchtete Son-dereinheiten handelt. Um der Einschlie-ßung zu entkommen, müssen sie ihreAusrüstung zurücklassen, um sich durcheine schnelle Ausweichbewegung derdrohenden Gefangennahme zu entzie-hen. Den Zusammenstoß erklären sichdie beiden mit der verstärkten Grenz-überwachung, erst später wird deutlich,dass sie bereits erwartet wurden.

Christian Kerbler

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Das Begräbnis von Luis Amplatz, welchem viele tausende Südtiroler beiwohnten, war ein stilles Bekenntnisder Südtiroler Bevölkerung zum aktiven Widerstand gegen den italienischen Staat.

Wahrscheinlich bewahrt sie nur dieTatsache, dass sie von den ursprünglichvereinbarten Terminen abweichen, davor,schon an der Grenze im Kugelhagel deritalienischen Sondereinheiten zu sterben.Da die ursprünglich geplante Aktion nichtgelungen ist, bekommen die beidenGeheimdienstagenten Christian undFranz Kerbler, die Klotz und Amplatz amvereinbarten Ort erwarten, von höchstenitalienischen Sicherheitskreisen über denOberst des Geheimdienstes Monico denBefehl, selbst zur Tat zu schreiten. Nach-dem Luis Amplatz und Jörg Klotz mit denKerbler-Brüdern schließlich auf der Brun-ner Mahder zusammentreffen, steigen

Jörg Klotz und Franz Kerbler in das DorfSaltaus hinunter, um Proviant zu holen.Es ist der 4. September 1964. Jörg Klotzwartet am Dorfrand auf Franz Kerbler,der die nötigen Einkäufe tätigt. Bei Nachtauf dem Rückweg werden die beiden voneiner Carabinieripatrouille überrascht undbeschossen. Leuchtraketen erhellen denHimmel. Franz Kerbler verschwindet inder Dunkelheit und taucht nicht mehrauf. Jörg Klotz entkommt und kann nachmehreren Stunden das gemeinsame Ver-steck auf der Brunner Mahder erreichen.Am nächsten Tag, einem Sonntag, ver-lässt auch Christian Kerbler das Versteck,um, wie er sagt, nach dem verschwun-

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denen Bruder zu suchen. Erst am Nach-mittag des 6. September erreicht Christi-an Kerbler wieder die Alm. Seinen Bru-der will er nicht gefunden haben. Esgelingt ihm dennoch geschickt, das Miss-trauen von Luis Amplatz zu zerstreuen.Wo ist Franz Kerbler geblieben? Wo warChristian Kerbler die ganze Zeit? Fragen,die bis heute nicht restlos geklärt sind.Es gibt Zeugen, die Christian Kerbler anjenem Tag längere Zeit am Dorfeingangvon Saltaus mit Unbekannten in einemdunklen Personenwagen sitzen sahen.Aus den Tagebüchern des Carabinieri-Of-fiziers Manes geht hervor, dass am Abendvor dem 6. September 1964 in Bozeneine Zusammenkunft zwischen rangho-hen Offizieren der in Südtirol operieren-den Carabinieri-, Polizei- und Geheim-diensteinheiten sowie einem hohen Ver-treter aus den römischen Regierungskrei-sen stattgefunden hat. Dort sei der end-gültige Beschluss gefasst worden, LuisAmplatz und Jörg Klotz noch im Passei-ertal zu ermorden. Auch was in jenerNacht auf der Brunner Mahder geschieht,ist noch nicht restlos geklärt. Fest stehtnur, dass sich Luis Amplatz, Jörg Klotzund Christian Kerbler in die Hütte aufder Brunner Mahder zurückziehen, nach-dem sie zuvor in der Almhütte beim altenBrunnerbauern etwas gegessen hatten.

Kerbler bietet beiden vor dem Ein-schlafen noch einen Tee an, in dem sehrwahrscheinlich ein starkes Schlafmittel

enthalten ist. Luis Amplatz bietet er so-gar seinen Schlafsack an, den dieser zu-erst abweist, dann aber dennoch be-nützt. Luis Amplatz und Jörg Klotz ha-ben bereits seit zwei Nächten nicht mehrgeschlafen.

In der Nacht schreckt Jörg Klotz ausseinem Schlaf auf. Er hört Schüsse undsieht im Schein einer Taschenlampe Chri-stian Kerbler vor sich stehen. Der ersteGedanke, der ihn durchfährt – die Hüttewird von den Italienern beschossen. Erschreit Kerbler zu, er solle die Taschen-lampe ausschalten. Das Licht wird aus-geschaltet und Kerbler verlässt die Hüt-te. Erst jetzt bemerkt Jörg Klotz, dass ervon zwei Schüssen getroffen ist. Er blu-tet stark an der Oberlippe und verspürteinen stechenden Schmerz im Brustkorb.Er kriecht in das andere Eck der Hütte,wo Luis Amplatz liegt. Er will ihn wek-ken, ruft seinen Namen, rüttelt ihn undmuss mit Entsetzen feststellen, dass seinKampfgefährte und guter Freund tot ist.

Jörg Klotz verlässt daraufhin schie-ßend die Hütte, da er noch immer über-zeugt ist, dass sie von außen beschossenwerden. Schwer verwundet schleppt ersich, mit Hilfe von Passeirer Freunden, ge-jagt von tausenden Carabinieri und Sol-daten, über die Grenze nach Nordtirol.

Christian Kerbler wird angeblich vonder Polizei verhaftet, kann aber wie durchein Wunder auf der Fahrt von Merannach Bozen aus dem Polizeiwagen flüch-

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Ein Auszug aus dem Testament von Luis Amplatz

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ten. Er gilt seither als verschollen. Wohlmit falschen Papieren und dem Lohn sei-ner Arbeit ausgestattet, dürfte er sichunter neuer Identität in ein Drittland ab-gesetzt haben. Als das Interesse an sei-ner Person in der deutschen Presse nichtabreisst, wird das Gerücht ausgestreut,er sei im Bodensee ertrunken. SeineLeiche konnte trotz ausgedehnter Such-aktionen aber nie gefunden werden Mitdieser falschen Fährte sollten wahr-scheinlich nur endgültig alle Spuren hin-ter ihm verwischt werden.

So endet das Leben von Luis Am-platz, dem Schützenleutnant aus Gries,der bis zuletzt daran geglaubt hat, dassseine Heimat Tirol wieder eins wird, derfür diese Überzeugung alles aufs Spielgesetzt hat, seine Gesundheit, seine Fa-milie und selbst sein Leben, das durch

die Mörderhand eines Tirolers, der zu-gleich italienischer Agent war, in derNacht vom 6. zum 7. September 1964,erlischt.

Das Begräbnis von Luis Amplatz wird,wie die Beisetzung seines Freundes undMitstreiters Sepp Kerschbaumer wenigeMonate später zu einer eindrucksvollenwie tragischen Kundgebung des TirolerVolkes für Freiheit und Gerechtigkeit.Mehr als 20.000 Menschen geben ihmam Friedhof von Bozen das letzte Geleit.

Auf seinem Grab wird der tiefgrün-dige Satz angebracht, der am besten dieLebenseinstellung und die Ideale von LuisAmplatz zum Ausdruck bringt, und deruns heute noch ernste Mahnung ist:

«Freund, der Du die Sonne nochschaust, grüß mir die Heimat, die ichmehr als mein Leben geliebt.»

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WIR TIROLER WOLLEN SELBER FREI ENTSCHEIDEN…

«An alle, die es angeht:Schon des öfteren, wenn mir vorkam, nicht mehr schweigen zu können, habeich meine Gedanken in Bezug auf unser Heimatproblem «Südtirol» in Briefenund Rundschreiben kundgetan und sie so anderen vermittelt. Wenn auch dasalte Sprichwort wahr ist, das sagt: «Reden ist Silber – Schweigen ist Gold»,so gibt es doch Umstände, die das Reden zur Pflicht machen, ja wo dasSchweigen ein Verbrechen wäre.Ich weiß, wie hart und hoffnungslos es oft ist, sich bei hochgestellten Persön-lichkeiten Gehör zu verschaffen, denn leider Gottes sind diese Menschen fürgewöhnlich durch ihr zu großes Wissen so wirklichkeitsfremd, dass man oftversucht ist, wirklich mutlos zu werden. Und trotz allem wage ich wiederumden Versuch, meine Meinung kundzutun. Wer von Ihnen, die es hauptsäch-lich angeht, noch einen Funken sittlichen Anstand bewahrt hat und nochimstande ist, «gerecht» zu denken und wer nicht schon ganz vom neuzeit-lichen Geist, dem persönlichen Egoismus befallen ist, wird sich meinen Aus-führungen nicht ganz verschließen können. Und insbesondere all jene, diewirklich noch imstande sind, an einen Idealismus zu glauben und nach die-sem zu handeln, bitte ich dies zu tun, dem Mitmenschen zuliebe, denn essteht nicht nur «Südtirol» auf dem Spiele, als vielmehr Grundsätze, ohne diedie Menschheit nicht in Frieden und Ruhe leben kann.Unser Heimatproblem «Südtirol» steht auf dem Kalender der Weltpolitik und

Sepp Kerschbaumer warnte in zahl-reichen Briefen, Leserbriefen, Rundschrei-ben u.ä Land und Leute vor den Gefah-ren, die seiner geliebten Heimat drohten.Für ihn war nicht nur die vom italieni-schen Staat mit allen Mitteln geförderte

Überfremdung des Landes eine Bedro-hung, sondern auch der Werteverlust,den er überall beobachten konnte. SeinHandeln war immer politisch und mora-lisch motiviert.

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wird von dort erst gestrichen werden können, wenn dieses dornenvolle Pro-blem «gerecht» gelöst sein wird.Ich wende mich mit diesem Schreiben in erster Linie an Sie alle, die Sie mitunserer Lebens- und Existenzfrage hauptamtlich oder ehrenamtlich vom Staatoder vom Volk aus betraut wurden. Es obliegt Ihnen die harte Aufgabe, unserHeimatproblem gerecht lösen zu helfen durch Verhandlungen etc. Wenn Siees ehrlich meinen und mit ganzem Herzen bei der Sache sind, dann haben Sieeine schwere, verantwortungsvolle Aufgabe vor sich, und ich wünsche Ihnenvon ganzem Herzen den Segen des Allerhöchsten bei Ihren Bemühungen umeine wahre Gerechtigkeit!Es wäre mehr als wünschenswert, wenn ein jeder von Ihnen das miterlebenkönnte, was wir Südtiroler nun schon seit über 40 Jahren täglich erlebenmüssen, um richtig begreifen zu können, um was es hier grundsätzlich geht.Eines muss ich vorwegnehmen: Es geht hier nicht bloß darum, ob unserProblem gut oder schlecht «gelöst» wird, sondern vielmehr geht es hier umfundamentale Grundsätze im allgemeinen. Deswegen muss der ganze Fragen-komplex in diesem Licht gesehen und danach gehandelt werden, soll nichtneuer schlechter Samen gesät werden.Nun werden Sie mich vielleicht fragen, ob ich an Ihrer aufrichtigen Einstellungzweifle, weil ich so hart auf Ihren Idealismus poche. Nun dazu Folgendes:Zuerst ein grausames italienisches Sprichwort (grausam deshalb, weil es zu oftwahr ist) «La Politica è la più grande P…»(«Die Politik ist die größte H…»).Verzeihen Sie mir, wenn ich solch grausame Wörter einfüge, aber ich mussgerecht bleiben und so grausam wie das letzte Wort des zitierten Sprichwor-tes, so grausam hart ist auch die Politik. Wir haben schon so viele Enttäu-schungen erleben müssen, dass man etwas Gutes kaum mehr zu glaubenwagt. Nehmen wir nur als Beispiel den Degasperi-Gruber-Betrug her – dieWeltpolitik im allgemeinen – das geringfügige Südtirol-Problem Figls.Ja meine Herren, es scheint ein kleines Problem zu sein, dieses «SÜDTIROL-PROBLEM», gemessen an den großen Weltproblemen; und die internationalePresse möchte es gerne mit einem Achselzucken abtun.

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Ja, man glaubt noch im guten Glauben zu handeln, wenn man nach diesemeinfachen Maßstab misst, verhandelt und ein Volk verhandelt. Nur vergisstman dabei, dass es auch hier, bei diesem anscheinend so kleinen Problem, umGrundsätze geht, ohne welche die menschliche Gesellschaft überhaupt nichtin Frieden existieren kann. Wenn die göttliche bzw. natürliche Ordnung imKleinen wie im Großen von den Menschen nicht respektiert wird, dann trittan die Stelle des Friedens der Unfriede. In die Natur selbst ist die rechteOrdnung schon vom Schöpfer hineingelegt worden und diese Ordnung fußtauf Grundsätzen, um die die Menschheit eben nicht herum kommt, wenn sienicht der Unordnung Platz machen will. Seit es Menschen gibt, ist diesesNaturgesetz in Kraft und wir wissen (die Geschichte lehrt es uns eindringlichund jeden Tag wird dies unter Beweis gestellt), was es heißt, die natürlicheOrdnung außer acht zu lassen. Ob die Grundsätze nun im Kleinen oder Gro-ßen missachtet werden, ist einerlei. Es ist immer dasselbe, es geht um denKern selbst.Ich bin nun der Auffassung, es wird sich erübrigen, dass ich unsere ganzetragische Lage näher beleuchte, denn ich setze voraus, dass die zuständigenSüdtirolexperten darüber hinreichend unterrrichtet sind. Wie ich schon betonthabe, stellt anscheinend unsere Angelegenheit ein kleines Problem dar, undman hört so oft den gutgemeinten Rat Außenstehender, es brauche nur derbeiderseitige gute Wille vorhanden sein, dann werde sich eine Lösung schonfinden lassen.Nun stelle ich aber die Behauptung auf, dass unsere Angelegenheit nicht einkleines, sondern ein großes Problem darstellt und betone, dass es in seinenGrundzügen kein kleineres Problem darstellt, als das kommunistische. Siewerden zunächst den Kopf schütteln und glauben, ich übertreibe. Ich werdeIhnen aber beweisen, dass mein Standpunkt doch richtig ist. Gewiss, auf denersten Blick hin mag mein Vergleich, das Südtirolproblem und das Problemdes Weltkommunismus auf eine Stufe zu stellen, vermessen sein. Nun, meineHerren, frage ich Sie alle, ich frage Ihr Gewissen: Welche Methoden hat derKommunismus seit dem Beginn seines Bestehens zur Erreichung seiner Ziele

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angewandt? Die Zwecklüge und die brutale Staats- bzw. Polizeigewalt. Nun,ich kenne die Geschichte des Kommunismus nicht von Büchern her und auchnicht aus eigenem Erleben, wohl aber aus den Zeitungsnachrichten undMeldungen. Dies genügt mir vollkommen, um mir ein annäherndes Bild da-von zu machen. Nun stellen wir einen kurzen Vergleich an, auf welche ArtItalien unsere Heimat Südtirol seinem Staatsverband einverleiben und so lange(nun schon über 40 Jahre) in seinem Besitz behalten konnte. Mit dem Mittelder Zwecklüge und der Staats- bzw. Polizeigewalt. Nun werden Sie mir aberprompt mit Abschwächungen entgegnen und zwar mit folgenden Argumen-ten: Wir Südtiroler sind keiner Religionsverfolgung ausgesetzt (stimmt), unsereWirtschaft kann sich frei entwickeln, also wir kennen kein Kolchosensystem(stimmt), wir können zum größten Teil (Einschränkungen gibt es leider) insAusland reisen (stimmt), wir müssen keiner Pflicht-Partei oder Organisationbeitreten und so weiter. Also, werden Sie sagen, stimmt mein Vergleich dochnicht. Und doch behaupte ich, dass meine These richtig ist. Nun brauche ichIhnen bestimmt nicht die völkische und staatliche Entwicklung unserer HeimatSüdtirol in Erinnerung zu rufen, denn ich nehme an, dass Sie die Geschichtebesser kennen als ich. Jedenfalls ist es eine klare Tatsache, dass Italien nieauch nur den geringsten Anspruch auf unser Gebiet bis Salurn hatte. Italienhat nun mittels der gemeinen Lüge und des schwersten Betruges die Einver-leibung unserer Heimat von Salurn bis zum Brenner durchführen können.Leider waren ihm dabei jene Staaten, welche heute die ganze freie Weltgegen die Gefahr des Kommunismus mobilisieren, behilflich. Im Verlaufe derganzen Zeit, die wir nun unter dem italienischen Joch verbringen mussten,lernten wir nur eines kennen und ein jeder Landsmann bekommt es mehroder weniger zu spüren: die Macht des Staates und der Polizei.Erst vor einigen Wochen hat ein italienischer Politiker im Parlament erklärt:«Die Südtirolfrage löst man nicht mit Verhandlungen, sondern mit der Poli-zei.» Diese These ist nichts Neues, denn abertausende Beispiele haben dies imKleinen wie im Großen immer wieder bewiesen. Besonders in der letzten Zeithat es sich erwiesen, dass man italienischerseits auch imstande ist, -siehe

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Pfunderer Prozess, Knüppelsonntag- nach genau kommunistischen Methodengegen uns vorzugehen. Aber das auffallendste Merkmal des italienischenVerbrechens an Südtirol, wie das des Kommunismus in der Welt ist Folgendes:WO DER KOMMUNISMUS HERRSCHT, MUSS ALLES KOMMUNISTISCH WER-DEN UND WO ITALIEN HERRSCHT, MUSS ALLES ITALIENISCH WERDEN. Hierhaben wir eine Parallele, die ganz genau stimmt. Hier werden Sie, meineHerren, mir kaum etwas dagegen antworten können, denn dies ist eine un-umstößliche Tatsache. Brutal und rücksichtslos steuert Italien seit über 40Jahren diesem Ziel zu und genau wie der Kommunismus kümmert Italien sichnicht um Völkerrecht, Naturrecht, Verträge und dergleichen. Man lässt dasProblem eben mit der Polizei und den verhetzten Massen auf der Straßelösen. Hier wie drüben im Osten wird der Grundsatz befolgt: «Gewalt gehtvor dem Recht.» Nun frage ich Sie, ist das Recht teilbar, gibt es vielleichtverschiedene Arten von Recht? Die Antwort gebe ich Ihnen, wenn ich auchnur die paar Jahre Volksschule besucht habe. Der freie Wille, den uns Men-schen der liebe Herrgott mit in die Wiege gegeben hat, ist wohl eines derhöchsten Güter, mit dem der Mensch ausgestattet ist. Solange sich nun derMensch oder eine Gemeinschaft von Menschen seinem bzw. ihrem freienWillen gehorchend, eine Lebensart, religiöse Ausrichtung, Sprache, Kultur,Gemeinschaft mit Gleichgestellten und –gesinnten sucht, die aber in keinemWiderspruch zu den allgemeinen Natur- und Sittengesetzen stehen und keineranderen Menschengemeinschaft Schaden zufügen, hat niemand das Recht,dieser Gemeinschaft von freien Menschen dies zu nehmen, was ihr vomSchöpfer und der Natur gegeben ist. Derjenige, der eben dieses Recht auf dieFreiheit schmälert oder gar ersticken will, der begeht nicht nur ein Unrechtschlechthin, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ein großes Verbrechen.Nun wissen wir zu gut, wie die Sache in Wirklichkeit steht: Der Weltkommu-nismus gilt als Hauptsündenbock und die meisten, die nicht notgedrungenmit ihm sind, sind gegen ihn, schon um der Freiheit willen und aus Angst vorder Unterdrückung. Wir wissen alle, dass zum Zweck der Abwehr so mancheOrganisation ins Leben gerufen wurde, um die gemeinsame Abwehr zu stär-

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ken. In dieser Gemeinschaft des Abwehrkampfes befindet sich auch Italien,ausgerechnet dieses Land, welches an uns Südtirolern das gleiche Verbrechenbegeht, welches man auf der anderen Seite zu verhindern sucht. Und nocheines – man spricht so gerne vom christlichen Abendland, das bedroht sei.Ja, nun frage ich Sie, meine Herren, was nützt es, den Feind der Freiheit nachaußen hin abzuwehren, wenn der gleiche, nur mit einer christlichen Maskeversehen, im eigenen Lager ruhig und ungestört sein verbrecherisches Treibenausführen kann? Man geht ja so weit, dass man es nicht einmal wagt, ihn voraller Welt offen zur Rede zu stellen. Und seit wann ist es Brauch, dass manmit Verbrechern verhandelt und sich jahrzehntelang an der Nase herumführenlässt? Ja glauben Sie denn wirklich im Ernst, dass Sie diese Menschen mitgutem Zureden bekehren können? Wenn Sie dies glauben sollten, dann mussich folgenden Schluss daraus ziehen: Sie wollen dies um jeden Preis erreichen– in diesem Fall um den Preis Südtirols und zugleich um die Preisgabe desRechtes auf die Freiheit. Wenn Sie dazu imstande sein sollten, dann werdenSie eines bewirken, nämlich, dass Sie die These des Weltkommunismus,wonach der Westen im Zerfall begriffen ist, tatkräftig unterstützen. Dies nichtnur wegen uns Südtirolern, sondern weil Sie selber mithelfen und zwar ausfreien Stücken, die Freiheit zu begraben. Und wenn Sie dann des feigenVerrates bezichtigt werden, dann ist es eben so.Es gibt Menschen, bei denen das moralische und das völkische Gewissenschon lange erloschen zu sein scheint; und warum denn? Weil ihr persönli-ches Wohlergehen ihr erster und letzter Wunschtraum ist und weil dieseMenschen auf Grund ihrer Selbstzufriedenheit das Unrecht und die schreien-de völkische Not entweder nicht sehen oder nicht sehen wollen und anderer-seits die brutale Gewalt des Unterdrückers gewollt oder ungewollt übersehenund wenn sie zu feige sind, dagegen etwas zu unternehmen. Das SüdtirolerVolk hofft – und hofft schon seit über 40 Jahren – von der Zwangsherrschaftdes italienischen Nationalismus befreit zu werden. Wird ihm, diesem arbeit-samen, christlichen Volk noch einmal die Freiheit zurückgegeben werden, dieihm von Italien geraubt wurde und wird es wieder mit seinen Stammesbrü-

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dern jenseits des Brenners (und dies ist die einzige gerechte Lösung) eingemeinsames Leben führen können? Wenn die verantwortlichen Männerunserer Zeit sich über unser gutes, heiliges, von Gott gegebenes Recht, kalthinwegsetzen, dann wird das gleiche Schicksal auch sie eines Tages erreichen.Und wer nicht den Mut aufbringt, sich gegen die Gewalt im kleinen Rahmenzu wehren, der wird es im großen überhaupt nicht imstande sein. Südtirolwird für alle, die glauben, für das Recht der Freiheit zu kämpfen, ein Prüfsteinsein.Aus dieser einfachen und klaren Erkenntnis heraus gibt es für Sie nur eineKonsequenz: Ihre Bemühungen, uns Südtiroler zu unserem heiligen Recht zuverhelfen – d. h., das schwere Unrecht wieder gutzumachen. Es geht indiesem Fall nicht um Einzelfragen, sondern um das Ganze. Italien hat dieheilige Pflicht, das in seinen Händen befindliche, gestohlene Gut – Südtirol –wieder zurückzuerstatten. Wir Tiroler wollen selber frei entscheiden, mit wemwir zusammenleben wollen. Es gibt für uns, und dies muss Ihnen klar sein,nur eine Sicherheit, in Frieden und Freiheit als Tiroler weiter leben zu können,vereint mit allen übrigen Tirolern im Staate Österreich. Nicht das SchicksalSüdtirols steht hier auf dem Spiel, sondern es geht letzten Endes um Sein oderNichtsein der freien Welt. Haben Sie daher Mut, bestehen Sie diese Bewäh-rungsprobe vor der Geschichte. Gott möge Ihnen dabei helfen!Unser Gebet und unsere Mitarbeit wird Sie in Ihren schweren Aufgabenunterstützen.

Mit den besten Grüßen und WünschenSepp Kerschbaumer

Frangart bei Bozen, Südtirol, im Februar 1961

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DAS LEBEN DES SEPP KERSCHBAUMERvon Sepp Mitterhofer

Es sei vorausgeschickt, dass es wohlimmer ein schwieriges Unterfangen seinwird, ein vollständiges Bild von einemMenschen zu zeichnen; da es sich beiSepp Kerschbaumer um eine außerge-wöhnliche Persönlichkeit handelt, giltdies wohl besonders.

Er war in seinem Leben immer ir-gendwie Mittelpunkt, unbewusst undbewusst, auch, wenn er es nicht wollte.Auf seine Mitstreiter wirkte er immer vor-bildhaft und ausstrahlend, aber auch auf-nehmend. Er war in jener harten Zeit fürseine Landsleute ein Zeichen der Hoff-nung, an die sich manche klammerten.

Wer war dieser Sepp Kerschbaumer,der in den sechziger Jahren soviel vonsich reden machte? War er ein MichaelGaismair, ein Andreas Hofer oder einTerrorist? Die Antwort scheint einfachund doch wieder nicht.

Sepp Kerschbaumer war ein einfa-cher, tief religiöser Mann, der nach christ-lichen Grundsätzen lebte und handelte,einen ausgesprochenen Sinn für Gerech-tigkeit hatte, seine Heimat über alles lieb-te und auch bereit war, alles für sie hin-zugeben! Er war ein offener, geradlini-ger Charakter mit dem Herzen auf demrechten Fleck, der Ungerechtigkeitenanprangerte und sich nicht scheute, den

weltlichen und kirchlichen Würdenträ-gern offen seine Meinung zu sagen.

Das große politische Unrecht, dieTeilung Tirols und die nachfolgende, har-te Unterdrückung der Südtiroler durchden Faschismus, hatte auch ihm schwerzu schaffen gemacht. Er hatte schonfrüh, im Jahre 1934, mit der faschisti-schen Gewaltherrschaft Bekanntschaftgemacht. Damals wurde er von einemSondergericht zu eineinhalb Jahren Ver-bannung nach Süditalien verurteilt.

Nach dem zweiten Weltkrieg hoffteauch er, wie die meisten Südtiroler, dassunser Land aufgrund des Selbstbestim-mungsrechtes wieder mit Österreich ver-einigt werden könnte. Stattdessen bekamSüdtirol nur den Pariser Vertrag und dienachträgliche, verhängnisvolle Zwangs-ehe mit der italienischen Provinz Trient.Dieses geschickte Manöver des damali-gen italienischen Außenministers AlcideDegasperi, hatte zum einen zum Ziel, denTrentinern den Genuss der Autonomie zuverschaffen und zum anderen, die Südti-roler innerhalb dieser regionalen Verwal-tungseinheit Trentino-Südtirol in die Min-derheit zu drücken.

Sepp Kerschbaumer verfolgte diesepolitische Entwicklung in den fünfzigerJahren sehr genau und legte dabei die

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Hände nicht in den Schoß, sondern wur-de selbst aktiv. Als sich nach dem 2.Weltkrieg die Hoffnung auf eine Rück-kehr Südtirols zu Österreich durch diealliierten Beschlüsse zerschlagen hatte,sah auch Kerschbaumer, dass es das vor-dringlichste Bestreben sein musste, ausder sehr bescheidenen Autonomie dasBeste zu machen. Diese Bestrebungenerwiesen sich jedoch bald als Trugbild,als Weg, der in der Sackgasse endenmusste, denn mit ihrer Zweidrittelmehr-heit zeigten die Italiener nicht die ge-ringste Bereitschaft, in der Region dieInteressen der Deutschen und der Ladi-ner zu respektieren. Sie ließen dieseMajorität immer wieder spüren und nütz-ten die Autonomie, die ja eigentlich fürdie deutsche Volksgruppe in Südtirol ge-schaffen wurde, für ihre Zwecke aus.

Ein teuflisches Spiel, welches die da-maligen Vertreter der SVP wohl durch-schaut hatten, sich aber von der dama-ligen italienischen Regierung überfahrenließen. Die Geschichte über die tatsäch-liche Ausrichtung der damaligen SVPmuss erst noch geschrieben werden, umdie tatsächlichen Machenschaften füh-render Funktionäre, wie ParteiobmannErich Amonn, dessen Bruder WaltherAmonn oder des Parteisekretärs Josef

Raffeiner ans Tageslicht zu bringen. Indieser Zeit wurde Sepp KerschbaumerOrtsobmann der SVP in seinem Heimat-ort Frangart und war als solcher uner-müdlich für die Partei tätig. Als tiefgläu-biger Katholik wollte er einfach nichtglauben, dass das «christliche» Italienden Südtirolern ihre Rechte nicht gewäh-ren wollte.

Für ihn war es Selbstverständlichkeit,dass jeder Bürger seinen Platz und seinRecht auf Anerkennung in der Gesell-schaft hatte. Es gibt keine andere Erklä-rung dafür, dass Kerschbaumer einerseitsverarmte italienische Industriearbeiterunterstützte und andererseits der führen-de Kopf der Untergrundbewegung BASwar. Er hat dies bestimmt nicht aus küh-ler Berechnung getan, um seine illegaleTätigkeit nach außen abzudecken, son-dern ganz einfach aus christlicher Über-zeugung heraus. Er war eben ein her-zensguter Mensch, der notleidendenMitbürgern geholfen hat, wo er konnte.Er war sozialen Problemen gegenübersehr aufgeschlossen, hatte für die Verei-ne im Dorf immer eine offene Hand undpflegte zur Dorfkirche bzw. zum Pfarrerstets ein gutes Verhältnis. Deshalb warer im Dorf auch angesehen.

Es ist eine Tatsache, dass die Familiedurch die illegale Tätigkeit des Vaters undderen Folgen schwer zu leiden hatte.Trotzdem hat Kerschbaumer seine Fami-lie sehr geliebt. Seine Frau Maria war

1958. Eine Protestaktion von Sepp Kerschbaumer.Carabinieri entfernen und beschlagnahmen eineTiroler Fahne, die Sepp Kerschbaumer am Kirchturmgehisst hat. Für die «Tat» wurde Sepp Kerschbaumerzu 10 Tagen Haft verurteilt.

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tüchtig, er wusste das Geschäft in gutenHänden und konnte sich deshalb auchverstärkt der Politik zuwenden. SeinenGrund bearbeitete er zwar gerne, aberein richtiger Bauer war er wohl nie.

Der moralische und sittliche Verfall inder damaligen Zeit bedrückte ihn schwer,was er auch mir gegenüber immer wie-der erwähnt hat. Alles, was Kerschbau-mer unternahm, geschah aus christlicherÜberzeugung. Auch die Untergrundtätig-keit brachte er ohne weiteres mit seinenchristlichen Grundsätzen in Einklang. Al-lerdings war es stets sein oberstes Ziel,niemals Menschenleben zu gefährden. Erwollte nicht gegen Menschen, sonderngegen die Politik des Staates kämpfen.

Die italienische Politik in Südtirol hat-te sich in der zweiten Hälfte der fünfzi-ger Jahre zusehends verschärft. Die fa-schistische Südtirol-Politik hatte sich inRom und in Bozen unter dem Deckman-tel der DC verkrochen und agierte vondort aus immer offener. Als 1957 Minis-ter Togni (Öffentliche Arbeiten) 2,5 Mil-liarden Lire für den Bau von 5000 Woh-nungen in Bozen bereitstellte, die einerweiteren italienischen Einwanderungs-welle dienen sollten, kam es zur großenProtestkundgebung auf Schloss Sig-mundskron, an der 35.000 Südtiroler teil-nahmen. Damals wurde von der SVPoffiziell das «Los von Trient» ausgerufen,obwohl die meisten Teilnehmer für ein«Los von Rom» gekommen waren. Diese

Kundgebung wurde aus «Sicherheits-gründen» in Bozen verboten. Dass unsSüdtirolern die Hauptstadt versperrt wur-de, verbitterte Sepp Kerschbaumer undviele andere natürlich sehr. Im kleinenKreis wurde auch darüber diskutiert, obman nicht trotzdem in einem Protest-marsch von Sigmundskron nach Bozenmarschieren sollte, das an jenem Tag vonitalienischen Carabinieri, Polizei und Mi-litäreinheiten zu einem Heerlager verwan-delt worden war. Es kam nicht dazu, weilder damals frischgebackene Obmann derSVP, Silvius Magnago, dem italienischenQuästor das «deutsche Wort» gegebenhatte, dies zu verhindern. Quästor Maz-zoni hatte einige Monate vorher dem In-nenminister Tambroni einen denkwürdi-gen Brief geschrieben, in dem er diesemvorwarf, in Südtirol eine falsche Politikzu betreiben. Ebenso griff er die Trenti-ner Politiker scharf an und prophezeiteeine unheilvolle Entwicklung, wenn Itali-en seine Politik der Unterdrückung undKonfrontation in Südtirol nicht ändere.Der Quästor wurde bald darauf nachTreviso versetzt und beging dort ein Jahrspäter Selbstmord.

Erwähnenswert ist auch der Prozessgegen die Pfunderer Burschen und des-sen politisches Schandurteil. Einige jungeMänner hatten mit zwei Angehörigen deritalienischen Finanzwache zunächst ineinem Gasthaus zusammen getrunken.Daraus entwickelte sich eine Schlägerei.

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223Sepp Kerschbaumer war lange Jahre

Mitglied der Südtiroler Volkspartei.Bei vielen Versammlungen dieser Parteiergriff er das Wort, um auf Missstände

in der Heimat hinzuweisen.Als er sah, dass die Partei ihren

Grundsätzen der Selbstbestimmung nichtmehr folgte, trat er aus Protest aus.

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Am nächsten Tag fand man einen derFinanzer tot im Bachbett. Er war imDunkel der Nacht ins Bachbett gestürzt.Die Polizei behauptete hingegen, dass ererschlagen worden sei und stellte allezuvor im Gasthaus gewesenen jungenBurschen unter Anklage.

Kerschbaumer konnte diesen Justiz-skandal nur schwer verkraften und be-gann aus Protest in Pfunders einen 14-tägigen Hungerstreik. Sein Gerechtig-keitssinn war so stark, dass er einfachnicht begreifen konnte, wie im christli-chen Italien eine angeblich unabhängigeJustiz ein solches Hassurteil fällen konn-te. Der Hauptangeklagte, Luis Ebner, wur-de zu 24 Jahren Haft verurteilt und seineMitangeklagten zu Strafen zwischen 10und 20 Jahren. Es war ganz sicher mitein Grund, dass er immer mehr zur Über-zeugung gelangte, dass es ohne Gewalt-anwendung nicht mehr weitergehenkonnte.

In dieser Zeit begann sich der BAS(Befreiungsausschuss Südtirol) zu formie-ren. Kerschbaumer redete mit mehrerenGleichgesinnten im Unterland, in Bozen,Meran und im Pustertal. Mit Jörg Pircheraus Lana, Luis Amplatz aus Bozen undKarl Titscher aus Bruneck war er öfterbeisammen und fuhr später mit ihnenauch nach Innsbruck und Wien. Mehroder weniger entstanden im Laufe derZeit im ganzen Land Widerstandsgrup-pen mit der Überzeugung, dass bei Fort-

setzung der radikalen Politik der italieni-schen Regierung nur mehr mit Gewaltreagiert werden könnte. Sepp Kerschbau-mer wurde von Anfang an zum unum-strittenen Kopf der Bewegung. In seinerEinfachheit und Bescheidenheit war ereine Persönlichkeit, die auf uns einen gro-ßen Eindruck machte und wie eine Va-terfigur wirkte, die über alles wachte undauch für alle sorgte. Er hatte allerdingsauch eine Schwäche in dieser Position:Er war kein Logistiker, militärische Aktio-nen lagen ihm einfach nicht und mit demSprengstoff konnte er wenig anfangen.Aber er hatte einen gesunden Hausver-stand, politischen Spürsinn und eine na-türliche Überzeugungskraft, die uns im-mer wieder beeindruckte. Bei den vielenBesprechungen versuchte er zwar, seineMeinung durchzusetzen, wurde dabeiaber nie undemokratisch. In unzähligenBriefen hatte er Politikern, Persönlichkei-ten des öffentlichen Lebens, der Wirt-schaft und auch der Kirche seine Mei-nung zum Südtirolproblem dargelegt, sieaufgefordert, sich stärker für unsereRechte einzusetzen und sie auf die Ge-fahr einer möglichen Radikalisierung hin-gewiesen.

In einem der letzten Rundschreibenvon 1961 schrieb er:

«Aus dieser einfachen und klaren Er-kenntnis heraus gibt es für Sie (die Poli-tiker) nur eine Konsequenz bei Ihren Be-mühungen, uns Südtirolern zu unserem

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heiligen Recht zu verhelfen, nämlich dasschwere Unrecht wieder gutzumachen.Es geht in diesem Falle nicht um Einzel-fragen, sondern um das Ganze. Italienhat die heilige Pflicht, das in seinen Hän-den befindliche gestohlene Gut Südtirolwieder zurückzuerstatten. Wir Tirolerwollen selber frei entscheiden, mit wemwir zusammenleben wollen. Es gibt füruns, und dies muss Ihnen klar sein, nureine Sicherheit, in Frieden und Freiheitals Tiroler weiterleben zu können, ver-eint mit allen übrigen Tirolern im Staate

Österreich. Unser Gebet und unsere Mit-arbeit wird Sie in Ihrer schweren Aufga-be unterstützen.»

Gegen das Verbot, die Tiroler Fahnezu hissen, verstieß er mit Überzeugung.1958 hisste er öffentlich die weiß-roteFahne vor der Frangarter Kirche undwartete auf das Eintreffen der Carabinie-ri. Kerschbaumer wurde dafür zu 10 Ta-gen Haft verurteilt, welche er aus Protestim Hungerstreik absaß.

Bei dieser Gelegenheit kam er daserste Mal mit dem ehemaligen Wider-

Bereits vor der Feuernacht war Sepp Kerschbaumern durch sein Auftreten für die Rechte der Südtiroler inganz Südtirol bekannt.

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standskämpfer und Journalisten Wolf-gang Pfaundler in Kontakt. Durch diesenlernte er später die Südtirolaktivisten KurtWelser, Heinrich Klier, den NordtirolerLandesrat Luis Oberhammer, Bergisel-Bund-Obmann Eduard Widmoser undden sozialistischen Abgeordneten RupertZechtl kennen. Dieser stellte auch denKontakt zum damaligen AußenministerBruno Kreisky in Wien her. Nach demdritten Anlauf gelang es Kerschbaumer,Ende 1960 endlich in Begleitung von JörgPircher und Karl Titscher zum Außenmi-nister vorzudringen.

Dieser hörte sich interessiert das An-liegen der drei Südtiroler an und sagtedann: «Ich sage euch nicht, tut’s etwas,ich sage auch nicht, tut’s nix, das wisstihr schon selbst.» Sie wussten, was zutun war. Die Verbindung zur BAS-Grup-pe in Innsbruck, welche sich um Pfaund-ler und Welser gebildet hatte, gestaltetesich hingegen mit der Zeit immer schwie-riger und war zeitweise sogar unterbro-chen. Die Innsbrucker wollten die Füh-rung der Untergrundbewegung überneh-men, weil sie einerseits glaubten, dassKerschbaumer nicht alle Voraussetzungen

Sepp Kerschbaumer wird zum Prozess geführt

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dafür besaß und andererseits verhindernwollten, dass im Falle seiner Verhaftungder BAS ohne Führung dastand. Wir hin-gegen waren der Meinung, dass die Ent-scheidungen bei uns fallen mussten, dawir die Betroffenen waren und wir dieitalienische Politik und Mentalität besserkannten. Außerdem haben die Innsbruk-ker von Anfang an auf einen großenSchlag hingearbeitet, weil sie glaubten,dass dies Italien und die Weltöffentlich-keit nachhaltiger wachrütteln würde.Kerschbaumer vertrat hingegen die Tak-tik der Nadelstiche, um gleichzeitig grö-ßere Repressalien zu vermeiden. Ker-schbaumer wusste aber genau, dass dieInnsbrucker Gruppe für uns außerordent-lich wichtig war, weil ja der meisteSprengstoff mit Zubehör von dort kam.Kurt Welser war der Verbindungsmannund Sprengstofflieferant und wohl dieherausragendste Gestalt dieser Gruppe.

Im späten Frühjahr 1960 fand imRom-Kino in Bozen eine entscheidendeLandesversammlung der SVP statt. Eswurde darüber debattiert, ob Österreichmit der Forderung nach Selbstbestim-mung oder nach einer besseren Autono-mie vor die UNO gehen sollte. SeppKerschbaumer, Luis Amplatz und vieleandere sprachen sich vehement für dasSelbstbestimmungsrecht aus. Auf demParteitag regnete es Flugblätter mit derForderung nach Selbstbestimmung vonden Tribünen. Aber der wortgewaltige

Magnago verstand es schon damals, dieVersammlung in seinem Sinne zu beein-flussen. Der ausschlaggebende Mannwäre Hans Dietl gewesen. Dieser wurdeaber vom Parteiobmann so unter Druckgesetzt, dass er sich schweren Herzensder Parteidisziplin unterwarf und auch fürdie Autonomie das Wort ergriff. So kamschließlich eine knappe Mehrheit für die-se zustande und das Schicksal nahm sei-nen Lauf. Diese Entscheidung hat mitdazu beigetragen, dass es zu den An-schlägen kam, denn Kerschbaumer undseine Mitstreiter im BAS waren nicht aufhalbe Lösungen eingestellt, sondern aufWiedergutmachung des großen Unrech-tes. Magnago hatte zwar, zum Unter-schied zur alten Parteiführung, gegen-über Rom eine härtere Gangart einge-schlagen, das eigentliche Gründungszielder SVP, die Wiedervereinigung mit Öster-reich, griff er jedoch genausowenig aufwie seine zweifelhaften Vorgänger. Sohofften wir, dass unsere Aktionen nachzwei Seiten hin wirken würden, einer-seits gegenüber Rom und andererseits inRichtung SVP.

In Südtirol hatte sich in der Zwischen-zeit die politische Lage so zugespitzt, dassetwas geschehen musste. Wir glaubtenmit genügend «Material» ausgerüstet zusein, das in strategischen Punkten auf dasganze Land verteilt worden war. Vielevon uns waren im Laufe der Zeit nachNordtirol gefahren, um an Ausbildungs-

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kursen teilzunehmen. Bei den erstenbilateralen Verhandlungen zwischenÖsterreich und Italien über das Südtirol-problem in Mailand, Zürich und Klagen-furt legte die italienische Verhandlungs-delegation ein skandalöses Verhalten anden Tag. Darum entschloss sich die BAS-Führung nach reiflicher Überlegung, zumgroßen Schlag auszuholen. Auf Schwei-zer Gebiet wurde die «Feuernacht» be-schlossen. Wir legten zunächst nur dieWoche fest, während uns der genaue Tagerst 48 Stunden vorher mitgeteilt wurde.Bei dieser Gelegenheit besprachen wirauch einen Flugzettel, der an alle wich-tigen Politiker im In- und Ausland ver-schickt und in dem das Selbstbestim-mungsrecht für Südtirol gefordert wer-den sollte.

Im letzten Absatz stand der Spruchvon Kanonikus Michael Gamper: «EinVolk, das um nichts anderes kämpft, alsum seine natürlichen und verbrieftenRechte, hat den Herrgott zum Bundes-genossen!» Das war und blieb der Leit-spruch von Sepp Kerschbaumer.

Auf die Herz-Jesu-Nacht folgte einegroße Verhaftungswelle, die auch SeppKerschbaumer erfasste. Als er in derEppaner Carabinierikaserne viele seinerKameraden nach Folterungen in einemelenden Zustand zu sehen bekam, brachfür ihn eine Welt zusammen. Einerseitssah er, wie schnell eine in jahrelanger,mit vielen Opfern und Mühen aufgebau-

te Organisation zusammenbrach undandererseits konnte er – wie wohl wir alle– nicht begreifen, wie ein von christlichenPolitikern regierter und zur westlichenWelt gehörender demokratischer Staat zusolch brutalen Mitteln greifen konnte.

Die Zeit im Gefängnis war für SeppKerschbaumer, wie für uns alle und be-sonders für unsere Familien, sehr schwie-rig. Besonders die ersten Monate warensehr hart. Kerschbaumer, aber auch vieleandere, suchten Trost und Halt im Glau-ben. Gerade das hat uns allerdings derdamalige Bischof Josef Gargitter schwergemacht, indem er uns im Hirtenbriefvom August 1961 als kommunistischeHandlanger hinstellte. Kerschbaumer undandere gingen deswegen aus Protestmehrere Male nicht zur Messfeier. All-abendlich betete er aber in seiner Ge-fängniszelle den Rosenkranz. Einer sei-ner väterlich-markanten Aussprüche warauch: «Buabm, das sage ich euch: Mitdem Glauben steht und fällt unsere Hei-mat!» In dieser schicksalsschweren Zeitim Gefängnis wurde von Sepp Kersch-baumer mehrfach der Wunsch geäußert,dass wir nach unserer Enthaftung ge-meinsam nach Maria Trens pilgern soll-ten. Zur Gottesmutter von Trens hatte ereine besonders innige Beziehung, bei derer sich Kraft holte und Trost suchte. 1991haben wir dieses Versprechen, genau 30Jahre nach der «Feuernacht», wahrge-macht. Sepp Kerschbaumer konnte sein

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Versprechen nicht mehr einlösen, er soll-te die Gefängnismauern nämlich nichtmehr lebend verlassen.

Als im November 1961 Franz Höflerund im Jänner 1962 Toni Gostner an denMisshandlungen im Gefängnis gestorbenwaren, gedachten wir gemeinsam imGefängnishof mit einem Vaterunser un-serer verstorbenen Kameraden. Danachsagte Kerschbaumer zu uns den denk-würdigen Satz: «Das war das zweiteOpfer, wer wird wohl der dritte sein?»

Hatte er bereits eine Vorahnung, dass erder nächste sein sollte?

Am Herz-Jesu-Sonntag 1962 setzte ereinmal mehr ein Zeichen seiner Zivilcou-rage. Er hängte ein zusammengenähtesTaschentuch in den Tiroler Landesfarbenweiß-rot bei seinem Zellenfenster hinaus.Genau gegenüber lag die Redaktion dernationalistischen italienischen Tageszei-tung «Alto Adige», die gegen diese Ak-tion Sturm lief. Kerschbaumer wurdedaraufhin in das Gefängnis von Venedig

Dezember 1964. Sepp Kerschbaumer wird zu Grabe getragen.An seinem Grab stand Südtirol.

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strafverlegt. Einige Monate später wurdeer erneut verlegt, diesmal in die Haft-anstalt von Verona. Durch ein Missge-schick und wohl auch aus Schwächenach einem mehrtägigen Hungerstreik,geriet er bei der Gefängnisarbeit mit derHand in eine Presse und verlor dabei vierFinger.

Im Oktober 1963 trat er aus Protestgegen die Verzögerung der Prozesse unddie dadurch verlängerte Untersuchungs-haft für Unschuldige erneut in den Hun-gerstreik, den er erst nach 23 Tagenabbrach, als der Prozesstermin bekannt-gegeben wurde.

Am 9. Dezember 1963 begann inMailand der sogenannte «Erste Mailän-der Sprengstoffprozess». Sepp Kersch-baumer wurde zwei Tage lang verhört.Offen und klar hat er sich zur Sachebekannt und die ganze Schuld auf sichgenommen. Das hat alle tief beeindruckt,sogar der Staatsanwalt und die Zivilklägerkonnten ihm ihre Achtung nicht ver-sagen. Geschickt nutzte er seine Positionund wurde vom Angeklagten zum Klä-ger.

Wörtlich sagte er: «Wenn Italien uns1947 die Autonomie zugestanden hätte,wäre das alles nicht passiert, dann wä-ren wir jetzt zu Hause bei unseren Fami-lien. Das macht unsere Tragödie aus. DieSchuld an allem, was geschehen ist, liegtbei Italien, das unsere Bestrebungen nichtakzeptiert hat. Die Autonomie, die man

uns gewährt hat, ist nur eine Scheinau-tonomie, ein Betrug zum Schaden derSüdtiroler, auch steht sie im Gegensatzzum Gruber-Degasperi-Abkommen.»

Auch die heikle Selbstbestimmungs-frage hat er geschickt formuliert, indemer sagte: «Im Jahre 1953 hat Minister-präsident Giuseppe Pella die Selbstbe-stimmung für Triest gefordert. Zur glei-chen Zeit haben zwei Studenten in Brun-eck folgenden Satz auf die Mauer ihrerStadt geschrieben: Selbstbestimmungauch für Südtirol. Sie wurden angezeigt,einer floh nach Österreich, der anderewurde verhaftet und zu 8 Monaten Ker-ker verurteilt. «Ich möchte jetzt fragen»,so Kerschbaumer, «weshalb das Rechtauf Selbstbestimmung in Italien unterStrafe gestellt werden kann?» Diese Fra-ge hat selbst dem GerichtspräsidentenSimonetti die Stimme verschlagen. DieAntwort blieb aus.

Am 16. Juli gegen Mitternacht wur-de nach 36-stündiger Beratung das Ur-teil verkündet. Von den Inhaftierten er-hielt Kerschbaumer mit 15 Jahren und11 Monaten die höchste Strafe.

Nur wenige Monate später, am 7. De-zember 1964, starb Sepp Kerschbaumerim Gefängnis von Verona. Die großeBelastung beim Prozess und die Verant-wortung, die er dabei auf sich genom-men hatte, waren wohl zuviel geworden.Die vielen Tränen und das Leid der Fami-lien, ebenso seiner Kameraden, hatten

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ihn immer schwer belastet. Wir warenschockiert, als wir die Nachricht erhiel-ten. Unser Vorbild und politischer Führerunseres Aufstandes war tot.

Seine Bescheidenheit war beeindruk-kend, seine Geradlinigkeit, sein Mut undsein opferbereiter Einsatz für die Rechteunserer Heimat waren und sind beson-ders heute für unsere Wohlstandsgesell-schaft beispielgebend!

Über 20.000 Menschen aus allenTeilen Tirols waren zusammengeströmt,um diesem großen Sohn unserer Heimatdie letzte Ehre zu erweisen. Viele Politi-ker, darunter auch der damalige Landes-hauptmann Magnago, waren gekom-

men. Niemand hatte gerufen, trotzdemwar das ganze Volk gekommen, um demeinfachen Kaufmann aus Frangart, demMann, über den in- und ausländische Zei-tungen voller Achtung geschrieben hat-ten, das letzte Geleit zu geben. Auf ei-ner großen Doppelschleife standen dieWorte: «Mit ihm sein Land Tirol.»

Aus Hochachtung vor seiner Persön-lichkeit sowie seines selbstlosen Einsat-zes für Recht und Gerechtigkeit für Süd-tirol haben sowohl sein HeimatortFrangart als auch die Tiroler Landes-hauptstadt Innsbruck eine Straße nachSepp Kerschbaumer zum ehrenden Ge-denken benannt.

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«… Trient, im Gefängnis, den 6. November 1964

Meine lieben Kameraden!Bevor ich mich von Euch, meine lieben Leidensgenossen und Kamera-

den, für unbestimmte Zeit trenne, ist es mir ein Herzensbedürfnis mit Euchnoch eine Abschieds-Zwiesprache zu halten.

Vor allem hoffe und wünsche ich, dass meine zeitweise Trennung vonEuch, die auf meinen Wunsch hin erfolgt nur in dem Zusammenhang gesehenwird, wie sie tatsächlich ist, nämlich eine richtige dauernde Arbeitsmöglich-keit, wie sie eben in Verona geboten wird. Außerdem gibt es, wie wir alleschon erlebt haben, von einem Gefängnis zum anderen gute und böse Un-terschiede, und diese gleichen sich zwischen Trient und Verona völlig aus.Gewiss, es wurde mir gegenüber des öfteren der Vorwurf erhoben, dass beimeinem zeitbegrenzten Verlassen unserer Gemeinschaft im allgemeinen undbesonders nach außen hin der Eindruck entstehen könnte, dass die Ursachemeiner Trennung eine Meinungsverschiedenheit von mir zu Euch sein könnte.Nun, die Hauptsache ist und bleibt, dass das nicht der Fall ist und ich gebeauch meiner Hoffnung Ausdruck, dass Ihr, meine Kameraden, mir diesenSchritt nicht übel nehmt und für mein Verhalten das nötige Verständnis auf-bringt

Zu einem meiner engsten früheren Mitarbeiter in der Kampfzeit habeich, als er mir Vorhaltungen machte wegen meines Vorhabens, nur das einegesagt: «Ich hoffe, dass unter uns als Tiroler noch soviel Handlungsfreiheiterlaubt ist.» Das gleiche sage ich heute beim Abschied zu Euch, in der Hoff-nung auch recht verstanden zu werden. Hätte ich von hier aus für unseregeliebte Heimat Südtirol im Besonderen etwas tun können, dann hätte ich andiesen Schritt nie gedacht. Nachdem aber dieser Umstand leider nicht gege-ben ist und auch für die nächste Zukunft nichts derartiges sehe, so glaube ich,

Einen Monat vor seinem Tod ließ sichSepp Kerschbaumer von Trient in das Ge-fängnis von Verona versetzen, da dortfür ihn bessere Arbeitsbedingungen

herrschten. Als ob er seinen frühzeitigenTod erahnt hätte, schrieb er seinen Ka-meraden im Gefängnis von Trient einenAbschiedsbrief.

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dass ich keinen Fehler gemachte habe. Mit schweren Sorgen und Gedankenund da die Zukunft alles andere als rosig aussieht, nehme ich Abschied vonEuch allen, die Ihr für ein großes Ideal gestritten und nun seit Jahren gelittenhabt und noch weiter auf unbestimmte Zeit erdulden müsst. Vielleicht drängtsich dem einen oder anderen die große Frage auf, ob dieses Opfer letztenEndes überhaupt eine sichtbare dauerhafte Frucht für unser Volk bringenwird.

Gewisse Umstände und Begebenheiten sind oft dazu angetan, dasseinem das gute Hoffen schwer fällt. Und doch, trotz aller Widerstände, diesich unserem Rechte und unserem Freiheitswillen entgegenstellen, ist die guteHoffnung berechtigt. Und so, wie auch im täglichen Leben, das Hoffen aufdies und jenes, den weitesten Traum im Leben des Menschen im Einzelnen inder Familie und im Volksganzen einnimmt, so darf und kann es in unserembesonderen Falle nicht anders sein.

Nachdem uns allen das Leben, insbesondere das eigene und das un-serer Vorfahren, immer wieder gezeigt hat, dass das Hoffen allein nicht ge-nügt, sondern dass man selber mit der ganzen inneren und äußeren Kraftunserer ganzen Persönlichkeit, die uns der liebe Gott in geistiger und leibli-cher Form gegeben hat, mitwirken muss, damit das Hoffen auf unser Verlan-gen wirksam werden kann; und daraus ergibt sich die einzig logischeSchlussfolgerung, selber immer wo es möglich, mit Leib und Seele mitzuwir-ken und dabei zu sein.

Nun werdet Ihr mir die große Frage stellen, wie wir bei unseren so engbegrenzten Möglichkeiten überhaupt noch wirksam sein können, um die vonmir gepriesene Hoffnung erfüllt zu sehen.

Wir alle wissen aus Erfahrung und erleben es täglich im Verfolgen desWeltgeschehens, wie das Gute und das Böse dauernd im Streite liegen. Undwir sagen nicht umsonst, dass das Leben schlechthin ein dauernder Kampfmit allen möglichen Widerwärtigkeiten des Lebens ist.

So sehen wir, wenn wir die Geschichte unserer tirolischen Vorfahrenbetrachten, zwei besondere Merkmale heraus, die unserem Tiroler Volke vonjeher eigen waren: der große Freiheitswille und der tiefe und aufrichtigeGlaube an unseren lieben Herrgott. Diese entscheidenden Charakterzüge

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unserer Vorfahren müssen wir uns ständig vor Augen halten und versuchen,sie in unserem bescheidenen Leben stets zu verkörpern. Nur aufgrund diesesFundamentes kann etwas Gutes und Dauerhaftes aufgebaut und erhaltenwerden, denn es sind ewige Werte. Lassen wir uns nicht durch den heutigenZeitgeist, bei dem nur mehr rein greifbare materielle Güter und nicht mehr dieIdeale etwas gelten, irre machen. Und wenn wir diese menschlichen und imbesonderen diese tirolischen guten Eigenschaften beibehalten wollen, dannbrauchen wir so notwendig eine Kraft, die uns immer Halt und Ausdauer gibt.Diese bekommen wir vom Schöpfergott, der letztlich von Anfang bis Endeunser Schicksal in den Händen hat. Der Glaube an unseren Schöpfer darfnicht nur Kindersache sein, sondern muss uns alle erfassen und zwar in seinerganzen Tiefe. Und nach diesem Glauben müssen wir unser Leben einrichten.Wir kommen darum nicht herum, wenn wir es mit unserer geliebten Heimatehrlich meinen und würdige Nachfolger unserer Väter sein wollen. Unser Landund Volk wurde von unseren Vätern in höchster Not und im feierlichen Schwurund gläubigen Herzen dem heiligen Herz Jesu geweiht und wir, als ihre Nach-kommen, haben die heilige Pflicht, diesen Schwur weiter an die kommendenGeschlechter zu verpflanzen. Und wenn wir wollen, dass dies so ist, dannmüssen wir alle Anstrengungen unternehmen und nach diesem Schwur nachbesten Wissen und Gewissen leben.

Ich hoffe, dass diese meine Worte, die mir vom Herzen kommen, auchin Eure tirolerischen Herzen hineingehen und richtig verstanden werden.

Nur in diesem Sinne, und nur in diesem, sehe ich mit Hoffnung derZukunft unserer geliebten Heimat entgegen. Für eine ganze Sache braucht esauch eine ganze Arbeit.

Nun will ich mit der Bitte schließen, sollte ich jemanden von Euch jebeleidigt oder etwas Ungutes angetan haben, mir zu verzeihen, und so ver-bleibe ich in treuer tirolerischer Verbundenheit

Euer Sepp Kerschbaumer»

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«Lieber Freund!Es kommt nicht oft vor, dass ich Ge-legenheit habe, Dir einen Kassiber zusenden und hoffe auch, dass er Dicherreicht. Vor allem sei recht herzlichgegrüßt mit Frau und Kindern. Einbesonderer Gruß an die treuen undaufrechten Freunde. Mit einem auf-rechten Tiroler «Vergelt’s Gott» möchte ich mein Schreiben beginnen und füralles, was Du und Deine Freunde für die heißgeliebte Heimat, für unsereFamilien und nicht zuletzt für uns politische Häftlinge getan habt. Mit ban-gem Herzen verfolgen wir die Geschehnisse in und um unsere Heimat, diesich in letzter Zeit von Tag zu Tag verschlechtern und den Anschein haben,endgültig unseren Todfeinden ausgeliefert zu werden. Den langen Opferweg,den wir bis heute beschritten haben, angefangen von den schrecklichen Fol-tern und Qualen in den Polizeikasernen, durch zwei aufreibende Prozesse bishinauf zu den ständigen Verleumdungen von unseren politischen Vertretern– wo auch der «walsche Seppl» seine dreckigen Hände mit im Spiel hat –greift uns nicht so sehr an wie der schändliche Verrat, den die Wiener Regie-rung dabei ist zu begehen.Dass wir Südtiroler ausgerechnet so lange warten mussten, bis uns eine reinschwarze Regierung auf dem Altar der EWG opfert und somit eine Volksgrup-pe seinem Schicksal überlässt, das den sicheren Tod bedeutet, hätten wir niezu denken gewagt. Es ist bekannt, dass Wien nicht das erste Mal die Tiroler

1966 schrieb Jörg Pircher folgendenBrief aus dem Gefängnis. Augenschein-lich wird dabei der ungebrochene Wille,für die Heimat weiter zu kämpfen.

Jörg PircherBRIEF AUS DEM GEFÄNGNIS,Herbst 1966

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verraten hat. Ich weigere mich aber zu glauben, dass das österreichische Volkdiesen Verrat an seinen Brüdern im Süden gutheißt und damit einverstandenist.Wenn der Herr Kanzler Klaus den Italienern immer noch sein volles Vertrauenschenkt (was er mir einmal persönlich bestätigte), sein unreifer Außenminister,der obendrein auch zu schwach ist, diesem haushoch unterlegen ist, so müsstewenigstens der Landeshauptmann von Tirol sich entgegenstemmen und sei-nen Landsleuten ein treuer Befürworter bleiben und nicht, wie in letzter Zeit,immer mehr von der aufrechten Linie in das andere Lager abrutschen. Imeigenen Land steht es auch nicht zum Besten. Die Aufrechten will man umjeden Preis und mit jedem Mittel mundtot machen, das Volk weiterhin irre-führen und so ihr teuflisches Spiel zu Ende treiben. Es bleibt kein andererWeg, als den Freiheitskampf fortzusetzen, wenn er auch lange und dauervollist, es ist das einzige Mittel, von dem Joch der Unterdrückung loszukommen,

Als letzter Südtiroler Häftling von den 1961 verhafteten, durfte Jörg Pircher aus Lana das Gefängnis verlassen.Nach seiner Entlassung widmete er viel Zeit und Energie dem Aufbau des Südtiroler Schützenbundesund war lange Jahre stellvertretender Landeskommandant.

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der Kolonialherrschaft ein Ende zu setzen, der Assimilation im letzten Mo-ment noch vorzubeugen und das Deutschtum im Süden zu retten. Dass diesder richtige Weg ist, zeigt auch die Reaktion von der anderen Seite, diediesem Kampf machtlos gegenüberstünde, hätte sich unser «Schutzpatron»nicht ins Bockshorn jagen lassen.Wie bei uns die politischen Verhältnisse liegen, ist das der einzige Auswegoder besser die einzige Rettung von dem sicheren Untergang, denn diesmalgeht es nicht mehr bloß um einzelne Kompetenzen für eine ungenügendeAutonomie – was nichts anderes bedeutet als neuen Zeitgewinn an ihremVorhaben – sondern um Sein oder Nichtsein einer ganzen Volksgruppe. Dies-mal darf nicht wieder der gleiche Fehler gemacht werden wie 1946-48, dies-mal kann nur mehr eine Forderung gelten und die heisst SELBSTBESTIM-MUNG FÜR DAS SÜDTIROLER VOLK.Es ist im wahren Sinne des Wortes fünf Minuten vor zwölf, es ist unweigerlichdie letzte Chance im langen Ringen. Wenn es diesmal nicht gelingt, ist Süd-tirol endgültig verloren und was uns dann bevorsteht, kann nur der ahnen,der einmal unter diesen Henkersknechten gefoltert wurde.Darum richte ich die eindringliche Bitte an alle Freunde unserer geliebtenHeimat in- und außerhalb Tirols, helft! Helft in letzter Stunde, bevor es zuspät ist, lasst nicht zu, dass wir dem sicheren Untergang entgegengehen, dassein Volk von seiner tausendjährigen Scholle vertrieben wird und das LandAndreas Hofers endgültig verwalscht wird und so für immer der deutscheMutterlaut zwischen Eisack und Etsch verstummt!Diese Bitte möchte ich auch im Namen unserer erschlagenen, ermordeten undverstorbenen Kameraden wiederholen, die ihr Blut und Leben für ein freiesund einiges Tirol hingegeben haben. Mit einem aufrechten Tiroler «Vergelt’sGott» möchte ich schließen und grüße Dich und alle Freunde in tiefer Verbun-denheit und rufe Euch zu: «Lang lebe unsere heissgeliebte Heimat Tirol!»

Dein Freund Jörg»

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Siegfried Steger gehört zu jenen Süd-tirolern, die ihre Heimat verlassen mus-sten und diese noch immer nicht betre-ten dürfen. Für diese Männer hat das sooft gelobte Europa ohne Grenzen nochGrenzen. Grenzen, die durch Krieg undUnrecht entstanden und weiterhin einUnrecht bleiben.

Siegfried Steger, Sepp Forer, ErichOberlechner und Heinrich Oberleitnerleisteten dem italienischen Staat einenerbitterten Widerstand. Seit der Feuer-nacht im Jahr 1961 flammte der Wider-stand im ganzen Land immer wieder vonneuem auf. Besonders im Pustertal kames zu verschiedenen, teilweise dramati-schen Aktionen und den daraus folgen-den Gegenaktionen der italienischenSicherheitskräfte.

Der Staat versuchte mit allen Mitteln,den Widerstand zu unterbinden. DieGrenze in den Bergen des Pustertalswurde noch besser bewacht als anders-wo. Große Carabinieri-, Polizei- undMilitäraufgebote durchstreiften unddurchsuchten die Täler. Aber da sichgroße Teile der Bevölkerung immerwieder mit den Freiheitskämpfern imStillen solidarisierten und ihnen oft Hilfezukommen ließen, konnten sich die Frei-

heitskämpfer meistunentdeckt bewegen.Die Nacht und die Ber-ge gehörten ihnen.

Im Laufe der Zeit hatten sich dieFreiheitskämpfer im Pustertal einige Ver-stecke in den Bergen errichtet, welche,mit verschiedenem Material versorgt, esihnen erlaubten von dort aus immerwieder neue Aktionen zu starten und beiGefahr für einige Tage unterzutauchen.

Nicht zu allen Anschlägen, die manihnen anlastete und für die sie verurteiltwurden, haben sich die Freiheitskämpferbekannt. So kam es auch zu ungeklärtenMordanschlägen. Die Italienische Justizund die italienische Öffentlichkeit erklär-te für alles und überall die Südtiroler Frei-heitskämpfer zu den selbstverständlichenSchuldigen und machte sie zu willkom-menen Prügelknaben… Doch weisenzahlreiche Ungereimtheiten darauf hin,dass die wahren Schuldigen bei zahl-reichen Taten ganz woanders zu suchensind. Es ist ein offenes Geheimnis, dassman immer schon vermutete, deritalienische Geheimdienst stecke hintervielen Anschlägen, um damit dieUnterstützung der Bevölkerung zuunterbinden und das oft übertriebene

DIE NACHT UND DIE BERGE GEHÖRTEN IHNEN…Eine Stimme aus dem ExilSiegfried Steger

Siegfried Steger

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Vorgehen der Polizei- und Miltäreinheitensowie die unbeugsame italienische Politikzu rechtfertigen.

Am 4. September 1964, nach demMordanschlag auf den CarabiniereTiralongo in Mühlwald, reagierten dieitalienischen Besatzungskräfte hart wienie zuvor. In den frühen Morgenstundenwurden die Ortschaften Mühlen, Sandund Kematen von Polizeikräften unterdem Kommando von CarabinierioberstMarasco umstellt. Rund vier- bis fünfhun-dert Personen im Alter zwischen 16 und70 Jahren, darunter auch zahlreicheFrauen, wurden festgenommen. In derCarabinierikaserne von Mühlen wurdendie Festgenommenen stundenlangverhört. Die Festgenommenen erhieltenkein Essen und konnten weder ihreAngehörigen noch ihre Rechtsanwälteinformieren.

Da der mutige und standfeste Staats-anwalt Corrias Oberst Marasco die ge-forderten Blankohaftbefehle verweigerte,mussten bald alle Festgenommenen,nach ergebnislosen Verhören, wieder frei-gelassen werden.

Für den Mord in Mühlwald wurdensofort die Freiheitskämpfer verantwortlichgemacht, aber bald wurde bekannt, dassder aus Sizilien stammende Tiralongoeinem Racheakt aus gekränkter Familien-ehre zum Opfer gefallen war. Die gericht-lichen Untersuchungen darüber wurdennie veröffentlicht.

In jenen Septembertagen spitzte sichdie Lage im Pustertal immer mehr zu.Trotz des Masseneinsatzes der Polizei undArmee gelang es einer Gruppe von Frei-heitskämpfern am 6. September bei Vintleinen wichtigen Fernsprechmasten zusprengen. Am 9. September wurde imAntholzertal auf eine Carabinieristreifeein Minenanschlag verübt. Ein Insasse desJeeps wurde schwer verletzt, die ande-ren vier Insassen nur leicht.

Am 10. September 1964 kam es inTesselberg oberhalb von Gais zu einemkurzen Feuergefecht zwischen drei Frei-heitskämpfern und Einheiten der Carabi-nieri. Ein für die italienische Polizei täti-ger Spitzel hatte den Carabinieri mitge-teilt, dass sich drei Freiheitskämpfer ineinem Heuschuppen in der Nähe des klei-nen Bergdorfes Tesselberg aufhielten.

Die Freiheitskämpfer konnten unterZurücklassen ihrer Ausrüstung entkom-men und mit Hilfe aus der Bevölkerunggelang ihnen die Flucht vor den schnellherangeführten Militär- und Polizeikräf-ten.

Das Gebiet wurde von TausendenSoldaten und Carabinieri abgeriegelt.Dabei überschlug sich ein Militärjeep undein Alpini-Soldat wurde tödlich verletzt.Weiters erschoss ein verängstigter Alpi-ni-Soldat einen Kameraden, da er ihn füreinen der Gejagten hielt.

Gegen Mittag desselben Tages wur-de dann überfallartig das Bergdorf Tes-

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selberg von 1200 Carabinieri gestürmt,verwüstet und geplündert. Schützenpan-zer beschossen die Heuschuppen wo esvorher zu einem Feuergefecht mit denFreiheitskämpfern gekommen war. DieHeuschuppen brannten ab. In den Häu-sern des kleinen Dorfes wurden Hand-granaten geworfen und die Carabinierischossen wie wild um sich.

Die gehbehinderte, 22-jährige HildeMayr wurde durch einen Brustdurch-schuss schwer verletzt. Die Carabinieriverweigerten ihr jegliche ärztliche Hilfe.Erst am nächsten Tag konnte ihr ein vomFeuerwehrhauptmann von Gais nach Tes-selberg geführter Arzt die notwendigeHilfe leisten.

Das gesamte Dorf wurde evakuiert.Die Bewohner, Männer, Frauen und Kin-der wurden auf einer Wiese zusammen-getrieben. Die Männer wurden gefesseltund mussten stundenlang, mit dem Ge-sicht zu Boden, in der nassen Wiese lie-gen.

Schließlich wurden 25 Personen ab-geführt. Zwischen zwei Jeeps eingekeiltmussten sie zu Fuß bis ins Tal nach Auf-hofen bei Bruneck laufen, wo sie aufFahrzeuge verladen wurden und in dieCarabinieristationen von Bruneck undMühlbach gebracht wurden.

Nachdem der Spuk im Dorf vorüberwar, stellten die Bewohner fest, dassüberall Geld und Wertgegenstände fehl-ten. Jahrzehnte später wird bekannt

werden, dass die Einwohner von Tessel-berg trotz allem noch Glück im Unglückhatten.

Am 29. Juli 1991 berichtet derCarabinierigeneral im Ruhestand,Giancarlo Giudici, in einem Zeitungs-bericht, was er während der Razzia inTesselberg erlebt hatte: Oberst Marascowar aus Bozen mit einem Hubschraubereingeflogen worden und gab demdamaligen Oberstleutnant folgendenBefehl: »HAST DU 15 PERSONEN FEST-GENOMMEN? GUT! STELL SIE AN DIEWAND UND LASS SIE ERSCHIESSEN!DANN BRENN DAS DORF NIEDER!» Gui-dici weigerte sich und Marasco wider-holte seinen Befehl: «DU MUSST SIE ER-SCHIESSEN, HAST DU VERSTANDEN?STELL SIE AN DIE WAND UND BRENNDAS GANZE DORF NIEDER! BRENN ESNIEDER BIS ZUM BODEN!» Gudici wei-gerte sich und meldete nach Abschlussder Razzia diesen Vorfall seinem Vorge-setzten General De Lorenzo. Dieser nahmden Bericht kommentarlos zur Kenntnis.Einen Tag später wurde Guidici nachUdine versetzt.

General Giorgio Manes, der von 1966bis 1968 die Staatsstreichpläne von Ge-neral De Lorenzo untersuchte, berichtetedazu in seinem Tagebuch, dass Marascofür jeden getöteten Italiener fünf Südti-roler erschießen lassen wollte. «DER BE-FEHL DAZU IST DIREKT VON GENERALDE LORENZO GEKOMMEN.»

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Josef Forer, Siegfried Steger, Heinrich Oberleiter undErich Oberlechner bildeten den harten Kern derWiderstandstruppe, die seit der Feuernacht 1961im östlichen Teil Südtirols immer wieder Anschlägeund Überfälle durchführte.Große Teile der Bevölkerung sympathisierten bis zuletztmit den Freiheitskämpfern.

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Siegfried Steger wurde am 24. Okto-ber 1939 als ältester Sohn einer acht-köpfigen Familie in Mühlen in Taufersgeboren. Er lebte dort bis zu seiner Fluchtim Juni 1961.

Da ich in einem Gasthof aufgewach-sen bin, erlebte ich als Jugendlicher vieleAuseinandersetzungen und Gesprächeüber die Tragödie in unserem Land.Durch diese Erlebnisse und das entspre-chende Umfeld ist in mir so langsam –ohne dass ich dies bewusst plante – derWiderstand gewachsen, d. h. der Wille,etwas dagegen zu unternehmen.

Als in Pfunders der Finanzer tödlichverunglückte und danach diese jungenBurschen beschuldigt wurden, ihn um-gebracht zu haben, hatte ich persönlichdas Gefühl, hier wird den Pfunderer Bur-schen Unrecht getan.

Im Jahr 1957 war ich bei der Kund-gebung in Sigmundskron anwesend undes wurde mir klar, wie es um Südtirolstand! Für mich, als 18-jährigen Bur-schen, war es unbegreiflich, was sich andiesem Tag abspielte. Zum ersten Mal sahich diese gewaltige, bewaffnete Polizei-und Militärpräsenz der Italiener, und aufder Südtiroler Seite 35.000 Menschen,die nach Sigmundskron gekommen wa-ren, um den Freiheitswillen zu demon-strieren. Selbstverständlich habe ich auchdie ersten Anschläge der Stieler-Gruppesowie deren Verhaftung mitbekommen.

Ich musste auch leidvoll miterleben, dassviele junge Burschen Südtirol den Rückenkehrten, um im Ausland Arbeit zu finden,da sie in der Heimat keine Möglichkeitfanden. Ende der 50er und Anfang der60er Jahre wanderten jährlich bis zu2.000 junge Südtiroler ins Ausland ab.

In mir erwachte immer bewusster dieBereitschaft, selbst irgendwie Widerstandzu leisten.

Als erstes Zeichen des Widerstandesmalten wir den Tiroler Adler, unser Lan-deswappen, bei Nacht an eine Felswand,in einer Größe von 11 m Höhe und 9 mBreite.

Daraufhin habe ich das erste Mal mitden Carabinieri zu tun bekommen, diemir sofort zu verstehen gegeben haben,wer hier das Sagen hat und zwar durchÄußerungen wie: «Diese deutschen Köp-fe gehören an die Wand geschlagen, bissie platt sind wie Laub…!» Sie gabenmir von Samstag bis zu meiner Freilas-sung am Montag weder zu essen nochzu trinken! Ich musste überwiegend miterhobenen Händen in der Ecke stehenund die ganzen Drohgebärden sowie Be-schimpfungen übelster Art über mich er-gehen lassen. Von da an wusste ich, dassdie zu allem fähig waren, sobald wir unsauflehnen würden. Trotzdem ist in mirdie Bereitschaft gewachsen, Widerstandzu leisten; ebenso die Entschlossenheit,mich nicht von denen verhaften zu las-sen.

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Ein Fahndungsplakat aus den 60er Jahren, das immer noch seine «Gültigkeit» hat.

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Viele tausende italienische Soldaten machten Jagd auf die Freiheitskämpfer, aber ohne Erfolg.

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Zu dieser Zeit wurde ich auf SeppKerschbaumer aufmerksam, durch seinewiderrechtliche Aushängung der TirolerLandesfahne sowie durch seine anschlie-ßende Verhaftung und die Hungerstreiks.

Da kamen wir zur Überzeugung, dasswir uns vorbereiten mussten, um zu ge-gebener Zeit gezielt Anschläge auf fa-schistisch-provokante Symbole durchzu-führen. Wir stahlen den Erbauern desKraftwerkes in Mühlen Sprengstoff,Zündschnur und Kapseln, legten ein Ver-steck an, um das Material sicher undtrocken zu deponieren. In dieser Zeithaben wir auch Kontakt mit dem BASaufgenommen. Dies wurde in Innsbruckgemeldet und so bekamen wir Besuchvon Kurt Welser. Das war auch der Tag,an dem wir ihm unsere Bereitschaft be-kundeten mitzumachen.

Er unterrichtete uns, worum es ging:selbstverständlich über das Selbstbe-stimmungsrecht, um die Wiedervereini-gung Tirols zu erreichen. Ich muss hinzu-fügen, dass keiner dieser Freiheitskämp-fer, die ich kennen und schätzen gelernthabe, sich für eine Autonomie in Südti-rol eingesetzt hat.

Als Kurt Welser das nächste Mal kam,brachte er bereits Material und Waffenmit und begann mit uns eine theoreti-sche Schulung, die Waffen- und Spreng-kunde beinhaltete sowie das richtigeVerhalten gegenüber der Polizei bzw. wieman sich selber zu verhalten hatte. Einer

von uns ist nach Innsbruck gefahren, umdort eine praktische Ausbildung zu absol-vieren. Wir haben nach unseren Möglich-keiten alles vorbereitet für den Tag «X».

In der Zwischenzeit hatten wir nochzwei bis drei Mal von Kurt und seinenLeuten Besuch.

Uns hatte man als erste Aktivität denAnschlag auf das Alpini-Denkmal, demsogenannten «Kapuziner-Wastl», inBruneck zugewiesen. Anschlag 2 war, dieStromversorgung nach Italien zu unter-binden und Schlag 3, die Eisenbahn-verbindung nach Italien zu stoppen so-wie, als letzte Konsequenz, die bewaff-nete Auseinandersetzung mit der Staats-macht. Dass es so nicht gekommen war,ist wohl darauf zurückzuführen, dass eszwischen den führenden BAS-Leuten zu verschiedene Meinungen gab.

Es kam das Jahr 1961! Wir wartetenauf das Signal, das Alpini-Denkmal inBruneck zu sprengen. Wir hatten allesgenau ausgekundschaftet sowie das nö-tige Material vorbereitet. Als dann imJänner 1961 der Aluminium-Duce ge-sprengt wurde, waren wir sehr ent-täuscht und haben uns bei Kurt Welserbeklagt, das es nun schwierig sein wür-de, das Alpini-Denkmal zu sprengen.Aber Kurt Welser hat uns gebeten, nurauf seine Anweisungen hin etwas zu un-ternehmen, was wir auch befolgten. Eswurde uns versprochen, dass wir zweiWochen vor dem großen Schlag Infor-

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Das italienische Militär errichtete an der Grenze in den Bergen zahlreiche Stützpunkte. Heute noch verunstaltenStacheldraht und rostige Baracken die Bergwelt Südtirols.

mationen erhalten würden, um genü-gend Zeit zu haben, Vorbereitungen zutreffen, die Stromversorgung nach Italienauszuschalten. Leider kam es anders alsvereinbart. Am 11. Juni 1961 (es warHerz-Jesu-Sonntag) kam ein uns unbe-kannter Mann, der aber das Losungswortwusste und sagte: «Heute Nacht geht’slos …!»

Am Montag, den 12. Juni in der Früh,wollten die Carabinieri mich abholen. Siefragten mich auch, wo Josef Forer wohn-te. Mich brachte man in den Jeep, dervor dem Haus stand. Drei Mann bewach-ten mich. Ich konnte zwar flüchten,wusste aber nicht, was mit Sepp Forer

geschehen war. Wir hatten ja in der Nähedes Hofes eines Bergbauern, der selberaktives Mitglied war, ein Versteck, wo wiruns aufhalten konnten. An diesem Ortsind wir auch in der Nacht zum 13. Juniwieder zusammengekommen. Wirschickten den Bergbauern ins Dorf hin-unter, um nachzusehen, was geschehenwar. Er kam mit der Meldung zurück,dass unsere Väter verhaftet worden sei-en. Wir blieben noch drei Tage in unse-rem Versteck und gingen dann über dieZillertaler Alpen nach Ginzling, wo unsKurt Welser abholte. Somit begann füruns ein Leben als Gehetzte und Gesuch-te fern der Heimat!

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Zur Freude aller wurde uns Luis Am-platz vorgestellt, worauf sofort Sympa-thie und Freundschaft mit vollem gegen-seitigen Vertrauen entstand, bis zu sei-ner heimtückischen Ermordung. LuisAmplatz war für uns eine Leitfigur undein Kamerad! In allen Belangen stand eruns mit Rat und Tat zur Seite. Ein Spruchvon ihm: «Mander, merkt enck oansbeim Verhör: sagst du JA, bleibst du da,sagst du NEIN, gehst du heim!»

Im Sommer 1961 sind weitere Südti-roler geflüchtet; so machten wir auch mitJörg Klotz Bekanntschaft. Auch mit ihm

entstand ein aufrichtiges, freundschaftli-ches Verhältnis. Er hat uns theoretischwie auch praktisch unterrichtet. Da erjedoch im Mittelpunkt der Öffentlichkeitstand, war es für uns nicht ratsam, mitihm intensiveren Kontakt zu pflegen.Auch mit den anderen Südtiroler Flücht-lingen hatten wir ein sehr kameradschaft-liches, geselliges Zusammensein in der«Tempelstraße» in Innsbruck gepflegt. Dawurden Meinungen ausgetauscht überdas weitere Vorgehen mit dem gemein-samen Ziel der Befreiung unserer Heimatvon der Fremdherrschaft. Man war in

Es gab zahlreiche Tote auf beiden Seiten. Zu vielen Anschlägen haben sich die Freiheitskämpfer bis heutenoch nie bekannt. Vieles deutet darauf hin, dass der italienische Geheimdienst die eigenen Leute opferte,um den Südtiroler Widerstandskämpfern diese Verbrechen anzulasten. Die Bevölkerung sollte damit ihreSympathie für die Freiheitskämpfer verlieren. Es liegt am italienischen Staat selbst, durch die Öffnung allerGeheimarchive, diese Verdachtsmomente zu beseitigen und so eine endgültige Klärung und Befriedigungeinzuleiten.

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großer Sorge über die Angehörigen, wiesie wohl das alles überstehen würden.Man versuchte immer, den Kontakt zuSüdtirol aufrecht zu erhalten, um überdie Ereignisse in der Heimat am Laufen-den zu sein. Allmählich wurden die Tref-fen in der «Tempelstraße» weniger, dawir nicht wollten, dass der italienischeGeheimdienst auf uns aufmerksam wür-de. Somit haben wir uns verteilt und dieZusammenkünfte wurden mehr undmehr geheimgehalten.

Nach der Flucht im Juni 1961 sindwir im selben Jahr über die Berge nachSüdtirol gegangen. Mit dabei war auchLuis Amplatz sowie ein Freund von ihm.Dieser hieß Johann und war Lehrer. Alsder Schulunterricht wieder begann, gingdieser nach Südtirol zurück und ich hör-te nie mehr was von ihm.

Luis Amplatz war sehr begeistert, alser sah, mit welcher Herzlichkeit wir beiunseren Leuten, Mitkämpfern und Hel-fern empfangen wurden. Diese Men-schen waren froh, dass es Leute vonunserem Schlag gegeben hat, die sichgegen das Unrecht des italienischen Staa-tes gewehrt haben.

Wo wir einkehrten, wurden wir gutaufgenommen. Immer wieder boten sichLeute an, uns zu begleiten oder uns dieschweren Rucksäcke für einen Teil desWeges abzunehmen.

Vor allem bei den Bergbauern hochoben wurden wir immer wieder herzlich

empfangen. In langen Gesprächen wur-den verschiedene wichtige Informationenausgetauscht und oft wurden wir vor somancher Gefahr gewarnt.

Es gab aber auch Gespräche über diedamalige Situation im Lande, über dieschrecklichen Folterungen.

Oft wurde uns von den Frauen einfestliches Essen, oft Wildbraten, vorge-legt, damit wir neue Kräfte sammelnkonnten für den harten und gefährlichenWeg zurück über die Berge ins Exil. Soverbrachten wir trotz allem auch in jenerZeit, in der wir gejagt und gehetzt wur-den, einige frohe und glückliche Stun-den. Manchmal sangen wir frohe Liederund vergaßen so die missliche Lage, inder wir uns befanden.

Mir ist bis heute unverständlich, war-um Amplatz mit Christian Kerbler mitge-gangen ist. Als er mich im April 1964mit nach Innsbruck nahm und sich mitChristian Kerbler traf sagte er mir, diesersei ein Agent und arbeite für die Italie-ner. Bei diesen Treffen zwischen LuisAmplatz und Kerbler sah ich auch mei-nen Freund Amplatz das letzte Mal, daer kurz nach diesem Treffen nach Wienabgeschoben wurde.

Sehr bedrückend war für mich dieVerhaftung meines Vaters und späterauch die Verhaftung meiner Mutter undmeiner Schwester Lina. Meine Mutterund meine Schwester wurden nach derHaft sogar längere Zeit verbannt.

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Pfalzen 1963.Nachdem ein Carabiniere von einemUnbekannten angeschossen wurde,besetzten und durchsuchten starke

Carabinierieinheiten das Dorf.Bei solchen Aktionen gingen die

Polizeinheiten meist sehr brutal vor.

Ein gesprengter Strommasten zwischen Gais und Uttenheim.

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Mir wurde weder von Seiten meinerEltern noch von Seiten meiner Schwesterjemals ein Vorwurf gemacht für die Lei-den, die sie für mich und unsere Heimatertragen mussten.

Im Laufe der Zeit und der Ereignissein Südtirol wurde das Leben für unsimmer problematischer. Da Italien Öster-reich mit Wirtschaftssanktionen und an-deren Repressalien drohte, kam die Wie-ner Regierung ins Schwanken und hatsich, nach meiner Ansicht, von Italienunnötig erpressen lassen.

Zum Glück hatten wir in Nord-Tirolgute Freunde, die uns Unterschlupf undHilfe zukommen ließen, die wir auchbenötigten. Für uns war es eine großeFreude, als Senator Dr. Peter Brugger unszum ersten Mal in München besuchte.Wir waren einen ganzen Nachmittagbeisammen und Dr. Brugger hat uns überdie schwierige politische Lage in Südtirolunterrichtet. Es wurde auf seinen Wunschhin auch ein Tonband eingeschaltet, dassich in meinem Besitz befindet. AuchHans Dietl hat uns in München besucht;

Überfall auf einen Carabinieri-Jeep im Antholzertal – September 1964

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Die Weihnachtsgrüße von Senator Peter Brugger 1975 an Siegfried Steger. Vor seinem Tod stellte SenatorPeter Brugger seinem Sohn Siegfried Brugger die vier im Exil lebenden Freiheitskämpfer aus dem Tauferer-Ahrntal vor.

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es entstand eine herzliche Ausspracheund natürlich wurde mit großer Sorgeüber Südtirols Zukunft gesprochen.

Beim nächsten Treffen mit SenatorBrugger in Nord-Tirol gab es kein SIEmehr unter uns, da eine Vertrauensbasisentstanden war. Die Gespräche gingenbis tief in die Nacht hinein. Bei diesenGesprächen hat uns Dr. Brugger einemilitärische Ausbildung angeboten. Es seialles vorbereitet, wir bräuchten nur zu-zustimmen. Aus verschiedenen Gründenlehnten wir die Ausbildung ab.

Auch mit Hans Dietl hatten wir noch-mals ein Treffen in Innsbruck, bei dem eruns über die Lage in Südtirol berichteteund uns über sein Vorhaben, eine eigenePartei zu gründen, unterrichtete.

Im Jahr 1968 sind Sepp Forer undHeinrich Oberlechner in Österreich ver-haftet worden. Mir gelang die Fluchtnach Bayern. Somit begann für mich einneuer Lebensabschnitt.

Ich möchte mich bei vielen in Tirolund Österreich bedanken, die unsgeholfen haben. Auch den Leuten inBayern gilt ein Dankeschön. Zwei vonunseren Helfern, die ich namentlich nen-nen möchte, gilt ein besonderer Dank.Und zwar dem ehemaligen Landes-hauptmann von Tirol Eduard Wallnöferund dem langjährigen Landesrat ausStarnberg und Freund Südtirols, Dr. Ru-dolf Widmann, die leider beide schon ver-storben sind.

Sicher erwähnenswert sind auchWeihnachts-Glückwünsche von 1975, diemir Dr. Peter Brugger geschrieben hat:«Dankbarst erwidere ich die Weihnachts-grüße. Wir wünschen Dir im Jahre 1976reichlichst Glück und Erfolg, Freude undGesundheit. In Verbundenheit PeterBrugger und Familie.»

Für mich ist es sicher eine große Be-lastung, fast 40 Jahre im Exil leben zumüssen, ohne die Hoffnung, die geliebteHeimat wieder einmal sehen zu können.Es vergeht kaum ein Tag, an dem mannicht an die Heimat denkt. Besonders zuWeihnachten und an bestimmtenFeiertagen schmerzt die Seele. Oder,wenn die Eltern zu Grabe getragen wer-den, oder Verwandte und Freunde. Oder,wenn Hochzeiten, Taufen und derglei-chen stattfinden.

Die Zeit heilt zwar Wunden, aber dieNarben in der Seele bleiben. Kein Chir-urg kann sie wegschleifen. Sie bleibenbis zum Tod.

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SÜDTIROLER FREIHEITSKAMPFALS ÖSTERREICHER IM DIENST DER SACHEvon Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung – Innsbruck

Universitätsprofessor Dr. med. univ.Erhard Hartung wurde am 14.01.1943als drittes von fünf Kindern in Innsbruckgeboren, der Vater war Berufssoldat(Oberstleutnant der «Reitenden TirolerKaiserschüzen», Oberst der Wehrmacht,Diplom-Reit-Sportlehrer), die Mutter Ärz-tin. Schulbesuch in Innsbruck, Zams undWien.

Während des Studiums in Wien undInnsbruck über 44 Monate als Arbeitervollbeschäftigt, trotzdem 1966 in kürzestmöglicher Zeit Abschluss in 6. Generati-on zum Arzt. Währenddessen zum «Be-freiungsausschuß Südtirol» gestoßen,dort ausschließlich humanitär tätig. Des-halb 1967 Verhaftung, 14 Monate Un-tersuchungshaft (1 Jahr in Einzelhaft) undSchwurgerichtsverfahren in Wien wegenangeblicher Beteiligung an einem Atten-tat auf der «Porzerscharte» (vier tote ita-lienische Soldaten); erstinstanzlich wegenvierfachen Mordes lediglich zu einemJahr Kerker verurteilt; in zweiter Instanznicht rechtskräftig gewordener Frei-spruch. Letztlich Einstellung des Verfah-rens durch den Bundespräsidenten Dr.Kirchschläger im Mai 1975.

Ob gleicher Vorwürfe 1971 men-schenrechtswidrig (minimalste Rechte derVerteidigung verletzt, weder Anklage-

schrift noch Urteilerhalten) in Florenzin Abwesenheit zulebenslangem Ker-ker verurteilt; da-her bis heute Einreise nach Südtirol nichtmöglich. Um weiterer Haft zu entgehen,Flucht nach Deutschland, dort als Asy-lant 6 Jahre im politischen Exil.

Auf persönliche Anregung von Bun-deskanzler Dr. Kreisky und UN-Men-schenrechtsbeauftragten Univ.-Prof.DDr. Ermacora Gründung der «Kamerad-schaft der ehemaligen Sütiroler Freiheits-kämpfer», seit damals deren 1. Sprecher.

In Berlin und Düsseldorf zum Anäs-thesisten ausgebildet, als solcher inDeutschland, den USA, China, Israel undLändern der Dritten Welt in Lehre, in derForschung und Patientenversorgung tä-tig und berufspolitisch aktiv. Träger des«Samuel-Hahnemann-Ringes», diverseAuszeichnungen und Ehrungen. Lebt inTirol, verheiratet, drei Kinder.

Durch eigene Erkenntnis und Erfah-rung, Erziehung im Elternhaus und in derSchule ist mir das Schicksal meiner Tiro-ler Heimat bekannt. Gerade deshalb ge-stehe ich: es hat mich gefreut, als abEnde der 50er Jahre meine Südtiroler

Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung

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Landsleute sich gegen den Terror der ita-lienischen Besatzungsmacht zur Wehrsetzten.

Die FeuernachtDie Lage in Südtirol hatte sich bis zum

Äußersten zugespitzt. Bereits im Jänner,Februar und April 1961 hatten einzelneSprengstoffanschläge – darunter der aufden «Aluminiumduce» in Waidbruck undauf den Ansitz im Unterland, den ehe-mals Tolomei bewohnte – stattgefunden.Die italienische Regierung begegnete ih-nen mit scharfen Polizeimaßnahmen. ImRahmen dieser Maßnahmen kam es auchzum Gebrauch der Schusswaffe seitensPolizei und Militär. Die Erbitterung derBevölkerung wuchs, die Entschließungder SVP vom 25. März blieb ohne Echo.

Es folgte jenes Ereignis, das als die«Feuernacht» in die Geschichte Südtirolseingegangen ist. In der Nacht vomHerz-Jesu-Sonntag 1961 wurde imganzen Land eine Reihe von Sprengstoff-anschlägen auf Masten der Elektro-Über-landleitungen durchgeführt. Diese mas-siven Anschläge ließen nicht nur Italien,sondern darüber hinaus weite Kreise imAusland aufhorchen. Mit einem Malstand Südtirol im Mittelpunkt der Bericht-erstattung der Presse. Anfang Juli fan-den weitere Anschläge statt.

Schuld – VerständnislosigkeitIn einer Debatte, die der Südtiroler

Landtag zu diesen Ereignissen am 7. Juli

1961 durchführte, erklärte Dr. Magnagounter anderem: «Der Ursprung dieserLage liegt in der Tatsache, dass der Pari-ser Vertrag in verschiedenen wesentli-chen Punkten nicht durchgeführt unddaher das Problem nicht gelöst wurde;er liegt in der Verständnislosigkeit, dievon den Organen des Staates gegenüberden Forderungen an den Tag gelegtwurde, welche ich als gerecht und durch-führbar sowie dem Pariser Vertrag ent-sprechend ansehe und gegen welche dieverschiedenen Regierungen in den letz-ten fünfzehn Jahren eine, meines Erach-tens, ungerechtfertigte Politik der Ver-schleppung und der Verständnislosigkeitangewendet haben.»

Häftlinge gefoltertAb 10. Juli wurden 67 in die Anschlä-

ge verwickelte Südtiroler verhaftet. Balddarauf stieg die Zahl der Inhaftierten aufüber 100. Viele von ihnen wurden Folte-rungen unterzogen, die auch beim Cara-binieri-Prozess in Trient und in den spä-teren Mailänder-Prozessen gegen dieangeklagten Südtiroler bestätigt wurden.Der erste Mailänder-Prozess gegen dieAngeklagten fand nach einer überlangenUntersuchungshaft derselben im Jahr1964 statt.

Stellvertretend für eine Reihe meinerösterreichischen Kameraden möchte ichfolgende, mir gestellte Fragen, beantwor-ten:

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1. Was hat uns Jugendliche, damalsnoch überwiegend Studenten, bewo-gen, sich dem Südtiroler Freiheits-kampf anzuschließen?

2. Für welche Ziele haben wir damalsgestritten?

3. Welche Erfahrungen mussten wir obunseres Südtirolengagements ma-chen?

1. Der Aufruf des GewissensDiverse Publikationen verurteilen

nicht nur pauschal große Teile der TirolerBevölkerung, sondern offenbaren eineUnwissenheit über die historische Ent-wicklung und die Situation in Südtirol.Keine deutsche Volksgruppe hat länger,stärker unter dem faschistischen undnationalsozialistischen Terror gelitten undOpfer für die Freiheit gebracht, als wirTiroler. Für die Landeseinheit gaben von1918 bis heute 47 Personen ihr Leben.Deshalb wird die Gleichsetzung des Süd-tiroler Widerstandes mit Extremismus undTerror von vielen als Verunglimpfung desAndenkens Verstorbener verstanden.

Vielfach wird ohne weitere Prüfungunterstellt, dass die Gewaltanwendungwährend der 60er Jahre durch SüdtirolerFreiheitskämpfer verwerflich und rechts-radikal sei. Nicht nur das Völkerrecht,sondern auch die Verfassung der Bun-desrepublik Deutschland sowie zahlrei-cher Länder erlauben, ja verpflichtensogar ausdrücklich zum Widerstand.

Nach den leidvollen Erfahrungen der Ver-gangenheit, insbesondere des National-sozialismus haben die Schöpfer der Ver-fassung gerade dieses Widerstandsrechtverankert. Selbstverständlich kann diesesWiderstandsrecht nicht leichtfertig inAnspruch genommen werden (z.B. RAFin Deutschland), sondern es bedarf einergewissenhaften Prüfung.

Vor einer Wertung oder ober-flächlichen Ausführung ist es Pflicht zuprüfen, ob das Widerstandsrecht durchdie damals verantwortlichen Männer undFrauen begründet wahrgenommenwurde. Gewalthafter Widerstand gegeneinen Unrechtsstaat ist ja nicht vonvornherein ein Unrechtstatbestand. DerWiderstand gegen die NS-Diktatur, dasAttentat auf Hitler, die Aufstände inBerlin und Ungarn gegen kommunis-tische Diktaturen, der Freiheitskampf derKolonialvölker und der Kampf der Judenfür Israel sind Beispiele einer allgemeingerechtfertigten Anwendung von Ge-walt.

Was die Bundesrepublik Deutschlandanbelangt, so blieben Gewalthandlungengegen das Obristenregime in Griechen-land, die von hier aus vorbereitet unddurchgeführt wurden, in Deutschlandohne Strafverfolgung. Noch viel mehr:Prof. Dr. Mangakis, der an einem Spreng-stoffanschlag auf eine Athener Tankstel-le beteiligt war, wurde mit einem Bun-deswehrflugzeug nach Deutschland ins

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Der Fremdenpass von Dr. Erhard Hartung.Wie Erhard Hartung mussten auch zahlreiche andere Österreicherihre Heimat verlassen, um sich einer Verhaftung zu entziehen.

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Exil gebracht und mit einer Professur ander Bonner Universität betraut.

Bevor ich auf den Befreiungsaus-schuss Südtirol (BAS) und meine persön-liche Verantwortung im Südtiroler Frei-heitskampf der 60er Jahre eingehe, er-laube ich mir die Wertung von Dr. Her-bert Salcher vom 12.01.1995 (SPÖ-Lan-deshauptmannstellvertreter von Tirol undjahrelanger Finanzminister Österreichs)zum Südtiroler Widerstand zu zitieren:

«Wer das Notwehrrecht der Südtiro-ler zur Erreichung des Selbstbestim-mungsrechtes in Frage stellt, wird sichschwer tun, das Notwehrrecht gegenfaschistische oder kommunistische Dik-taturen glaubwürdig zu rechtfertigen».BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) – ak-tiv: 1959-1969

Nach dem Ausschöpfen sämtlicherdemokratischer Mittel, zahlreichen ge-waltlosen Protestkundgebungen (u.a.Großkundgebung auf Schloss Sigmunds-kron 1957 unter der Führung der SVPund Parteiobmann Dr. Silvius Magnago)und dem Scheitern jeglicher Verhandlun-gen wurde wegen der Verschleppungvertraglich zugesagter Rechte und derVerständnislosigkeit des italienischenStaates sowie den Todesmarsch der Süd-tiroler Volksgruppe vor Augen, der Be-freiungsausschuss Südtirol von TirolerPatrioten gegründet.

Es ist bekanntes Faktum, dass im BASkeineswegs rechtsradikale Personen do-

minierten; vielmehr wird deutlich, dassehemalige Widerstandskämpfer gegendas NS-Unrechtsregime und den Faschis-mus sowie Konservative die Führung imFreiheitskampf innehatten und die Ver-antwortung trugen. Trotz zum Teil unter-schiedlicher Herkunft, Religion, Weltan-schauung und Beruf waren sich alle ei-nig in der Sorge um die Zukunft ihrerKinder und Südtirols, in der Liebe zurHeimat sowie im Glauben an die Werteder Demokratie.

Der BAS-Führungskreis hat den Frei-heitskampf in Südtirol sorgsam und ver-antwortungsbewusst geplant, um so mitminimalem Aufwand die größtmöglicheAufmerksamkeit und dadurch politischenDruck auf Rom zu erreichen. Um deut-lich zu demonstrieren, wo die SüdtirolerFreiheitskämpfer politisch stehen, wurdevon ihnen als erste Handlung 1961 beiWaidbruck das überlebensgroße Musso-lini-Denkmal, welches gemäß Inschriftdem «Genio del Fascismo» gewidmetwar, gesprengt. Wie dem Buch «Feuer-nacht – Südtiroler Bombenjahre; ein zeit-geschichtliches Lesebuch» von ElisabethBaumgartner u.a. (Edition Raetia, Bozen1992) entnommen werden kann, hatteder BAS ausführliche Beratungen undGespräche mit fast allen verantwortlichenösterreichischen Politikern. Insbesondersdarüber informiert und den Freiheits-kampf gefördert bzw. begrüßt haben:Bundeskanzler Dr. Alfons Gorbach (ÖVP),

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Außenminister Dr. Bruno Kreisky (SPÖ),Landeshauptmann Tschiggfrey, Wallnöfer,Gleißner, Krainer (alle ÖVP), Tiroler Lan-desräte Zechtl (SPÖ) und Mader (FPÖ).

Der Tragweite ihrer Antwort wohlbewusst, rieten um Rat gefragte Priesterden gläubigen Freiheitskämpfern, ihremGewissen zu folgen.

Von Zeitzeugen, Historikern und umdie Wahrheit bemühten Journalisten wirdbestätigt, dass «… die Südtiroler Spreng-stoffattentate der 60er Jahre, bei denenes keine Toten gab, zunächst inoffiziellenRückhalt in Österreich hatten …». (DiePresse vom 18.03.1991: Auch Kreisky ließes ein «bißl tuschen», Südtirols «Bum-ser» mit Freunden in Wien).

Mittels Meinungsumfragen wurde dieAkzeptanz des Widerstandes in der Be-völkerung überprüft. Völkerrechtsexper-ten und Theologen haben in notwendiganstehenden Fragen beraten. Beispielge-bend dafür sei nachFolgendes Gutach-ten genannt: «Moraltheologische undrechtliche Beurteilung aktiven Widerstan-des im Kampf um Südtirol», von Univer-sitätsprofessor Dr. Dr. Fritz Klüber, Moral-theologe an der Universität Regensburg.Dieses Gutachten wurde vom MondseerArbeitskreis (befasste sich insbesonderemit dem Südtirol-Problem), zu dessenMitgliedern auch der deutsche Bundes-minister Josef Ertl zählte, in Auftrag ge-geben und 1966 veröffentlicht. Darausfolgende Zitate:

Seite 58, letzter Absatz: «Es wird nurwenige Fälle im staatlich-politischen Ge-schehen der neueren Zeit geben, in de-nen das aktive Widerstandsrecht so ein-deutig anerkannt werden muss wie imFalle Südtirols. Dass beispielsweise dieErhebung vom 20. Juli 1944 und derUngarn-Aufstand im Jahre 1956 recht-lich legitimiert waren, wird nur seltenbezweifelt.»

Seite 65: «Die Entscheidung für denaktiven Widerstand ist nicht nur rechtlicherlaubt, sondern moralisch von höchstemWert, weil hier der einzelne sich mit demRisiko seiner Existenz in den Dienst derGemeinschaft stellt. Die Südtiroler Volks-gruppe hat das Recht, entweder der ita-lienischen Staatsgewalt so lange aktivenWiderstand entgegenzusetzen, bis derSchutz des Volkstums durch rechtlich-in-stitutionelle Sicherungen gewahrt ist,oder den Kampf solange weiterzuführen,bis zur vollen Herauslösung Südtirols ausdem italienischen Staatsverband.»

Seite 76: «Auch das Strafrecht aner-kennt den Grundsatz der Epikie als allge-meinen Rechtsgedanken und sucht denBesonderheiten von Grenzfällen und Aus-nahmesituationen gerecht zu werden mitHilfe der verschiedenen Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe. Im Zusam-menhang mit unserer Fragestellungkommt dem von der Rechtspraxis ent-wickelten Institut des übergesetzlichenNotstandes entscheidende Bedeutung zu.

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Strafrechtslehre und Strafrechtspraxis be-gründen den übergesetzlichen Notstandals Rechtfertigungsgrund mit dem Prin-zip der Güter- und Pflichtabwägung, daswill sagen, dass im Falle einer Kollisionberechtigter Interessen das weniger wert-volle Rechtsgut dem höherwertigen ge-opfert werden muss.»

Und Seite 89 in der Zusammenfas-sung: «Das Verhalten österreichischerStaatsbürger, die in dieser Weise Südtiro-ler Widerstandskämpfer unter Außer-achtlassung des Wortlautes positiverRechtsnormen Hilfe zu leisten versuch-

ten, ist also moralisch und rechtlich er-laubt und ethisch von hohem Wert.»

Diese Wertung wird lediglich vonLinksradikalen, deren Sympathisantenund italienischen Faschisten nicht geteilt.Ursächlich dafür sind: der Verzicht des«Befreiungsausschusses Südtirol» – trotzwiederholter Angebote – auf Unterstüt-zung von kommunistischen Staaten undWeigerung als Gegenleistung dafür,NATO-Basen in Südtirol und Italien anzu-greifen. Ferner die Rücksichtnahme aufnationale Kräfte in der kommunistischenPartei Italiens und nicht zuletzt Scham

Ottokar Destalter (links), der Gründer des«Freundeskreises Südtirol» in Graz, mit Luis Amplatz.

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über den Verrat der eigenen Ideologiedurch Nichtteilnahme am Südtiroler Frei-heitskampf. Es verwundert daher nicht,dass in dieser Frage die Linksextremistenmit den Faschisten einig sind und öffent-lich gemeinsam gegen uns Freiheits-kämpfer agieren.

Meine persönliche Verantwortung imSüdtiroler Freiheitskampf der 60er Jahre

Als ich mich für humanitäre – medi-zinische Hilfe zur Verfügung gestellthabe, war ich 20 Jahre alt und hattegerade das 1. Medizinische Rigorosumbestanden. Durch meine medizinischenErfahrungen in der elterlichen Praxis,beim Roten Kreuz (Burghard-Breitner-Gruppe) und in der Klinik als Famulant,fühlte ich mich dazu fachlich ausreichendkompetent. Über meine Familie und dieUniversität Innsbruck waren mir Füh-rungspersönlichkeiten des BAS bekannt.

Ich hatte keinen Grund gesehen, er-fahrenen, verantwortungsbewussten undim Widerstand gegen den Nationalsozia-lismus und Kommunismus bewährtenPersönlichkeiten zu misstrauen oder anihrer ernsthaften, ethischen Verantwor-tung zu zweifeln. Für meine Entschei-dung, humanitär zu helfen, waren vonBedeutung: die bestialischen Folterungenan wehrlosen, politischen Gefangenen,der Tod von gefolterten Häftlingen in ita-lienischen Gefängnissen, das An- und Er-schießen von unbeteiligten Zivilpersonenund der später erfolgte Freispruch der

Folterknechte mit Auszeichnung durchden neofaschistischen CarabinierigeneralDe Lorenzo. Unabhängig davon mahntemich mein Gewissen.

Mein Glaube an die Menschenrech-te, Demokratie und das Wissen um dieVerbrechen der gerade überstandenenDiktaturen machten mich sensibel fürUnrecht. In meinem unmittelbaren Le-bensraum erstand der Faschismus wie-der! Sollte ich schweigen oder handeln?In Erinnerung an die Münchner Wider-standsgruppe «Weiße Rose», welche z.T.an der Innsbrucker Universität (ChristophProbst, am 22.02.1943 vom Volksge-richtshof zum Tode verurteilt und hinge-richtet) wurzelte und mir Vorbild war,entschloss ich mich zur Verteidigung vonRecht und parlamentarischer Demokra-tie, aktiv zu werden. Meine christlicheErziehung und das angestrebte ärztlicheBerufsethos setzten mir von Anfang anenge Grenzen.

Bestärkt in meiner aus dem Innerenkommenden Entscheidung, den Südtiro-ler Freiheitskämpfern – gleich anderenÄrzten – als Mediziner beizustehen,wurde ich einerseits durch internationaleVereinbarungen, welche einen humani-tären Einsatz ausdrücklich gestatten, alsauch durch die bis heute währende An-erkennung meines lateinamerikanischenKollegen Ernesto Che Guevara, verehrtesIdol und Symbolfigur des Antiimperialis-mus.

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Brief Oberhollenzer David

Bozen, 26.03.1967

Ich schreibe jetzt einige Zeilen über die ersten Tage meiner Verhaftung. Ich wurde

am 14.02.1967 in Mühlen verhaftet, anschließend in die Carabinieri-Kaserne von

Sand gebracht, dort gründlich durchsucht, gebunden und nach Bruneck gefah-

ren. In Bruneck angekommen, hatten sie mich verhört. Sie kamen gleich wie die

wilden Tiere. Sie leuchteten mir mit einer scharfen Lampe ins Gesicht, ich wurde

geschlagen, bei den Haaren herumgezogen, verspottet und verhöhnt. Sie verban-

den mir dann die Augen, brachten mich zu einem Wagen, der in Richtung Bozen

fuhr. Bevor wir nach Bozen kamen, bedeckten sie mich noch mit einem Tuch. Ich

musste aussteigen, und sie trugen mich in ein Gebäude, wo sie mich bald hinauf,

dann hinunter, hin und dann wieder her trugen, endlich stellten sie mich auf den

Boden, nahmen mir die Binde ab und entfesselten mich. Zuerst war ich wie blind,

dann sah ich vor mir einen Herrn sitzen, bald kamen noch drei dazu, dann ging

es wieder los. Einige blieben vor mir stehen und einige hinter mir. Zuerst bekam

ich es ins Gesicht, die anderen gaben mir in den Rücken und in die Rippen, sie

rissen mich bei den Haaren herum und gaben mir in den Magen, dass ich nur

mehr schrie und so herumtaumelte und sie konnten freilich lachen. Ich weiß nicht

mehr, wie lange alles gedauert hat. Sie verbanden mir dann wieder die Augen,

füllten die Augenhöhle mit Watte, fesselten mich und trugen mich hinaus. Sie

trugen mich ins Freie, dann wieder ins Innere eines Hauses, es ging eine Stiege

hinunter, dann stellten sie mich nieder. Ich riss mir die Binde vom Kopf, da sah

ich, dass ich in einem Keller war. Die Gesichter dieser Männer durfte ich anschei-

nend nicht sehen, da sie gleich alle hinter mir waren. Ich bekam eins hinter die

Ohren, dann verbanden sie mir die Augen umso strenger, sodass es schmerzte.

Sie entfesselten mich, zogen mich nackt aus und setzten mich auf eine meterho-

he Bank, banden mir die Füße zusammen und die Hände auf den Rücken und

legten mich hin und her auf die Bank. Die Füße banden sie mir am Boden in

zurechter Höhe fest und die gebundenen Hände trieben sie hinter der Bank

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immer tiefer hinunter, bis ich nur mehr schrie, ich habe jeden Moment geglaubt,

der Rücken muss entzweibrechen, so ließen sie mich hängen. Dann wurde mir ein

scharfes, salzartiges Wasser, ich weiß nicht, was es war, in Mund und Nase

eingepumpt, so dass ich keine Luft mehr bekam. Als sie mich losließen, war ich

ganz schwach und schwindelig. Sie hielten mich fest, putzten mir mit einem

nassen Lappen den ganzen Körper ab, zogen mich an und trugen mich in das

andere Gebäude. Dann ging das Verhör wieder weiter. Einmal brachten sie mir

was zum Essen, aber ich hatte keinen Hunger mehr. Am nächsten Morgen brach-

ten sie mich dann in eine Zelle und holten mich einige Stunden später wieder. Sie

sagten, sie holen jetzt einen Pfarrer, dann kann ich beichten, weil jetzt wird

Schluss gemacht mit mir. Sie schrien mich an, ich werde nur mehr in Stücken hier

hinauskommen. Manchmal wurde mir ganz schwindlig vor Schwäche. Am Freitag

wurde ich dann in das Gerichtsgefängnis von Bozen, gebracht, dort hatte ich

endlich meine Ruh, bekam zum Essen und konnte schlafen.

– Was ich hier niederschrieb, ist meine Wahrheit und ich werde diese Wahrheit

nicht mehr vergessen und werde desto fester und umso treuer zu meiner Heimat

Südtirol stehen.

Oberhollenzer David

Bis heute meist unbekannt und verschwiegen: Nicht nur bei den Verhören nach der großenVerhaftungswelle im Juli 1961, nach der Feuernacht, kam es zu grausamen Folterungen. Dieitalienischen Sicherheitskräfte benutzten auch später bei den Verhören immer wieder systematischdie Folter als Mittel zum Erfolg. Es gibt zahlreiche noch unveröffentlichte Dokumente und Berichte,die diese Übergriffe bestätigen. Der Brief von David Oberhollenzer ist nur einer von vielen. DavidOberhollenzer wurde am 24. März 1967 verhaftet und zu 27 Jahren und 10 Monaten Gefängnisverurteilt. Im November 1971 wurde er begnadigt.

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Unabhängig davon hatten meineEltern, welche schon immer politischVerfolgten und Schwachen halfen, diedamals polizeilich gesuchten Freiheits-kämpfer Sepp Forer und Siegfried Ste-ger, welche zeitweise gleich Geschwi-stern mit mir unter einem Dach wohn-ten, Gastrecht und Zuflucht gewährt.Auch blieb mir nicht verborgen, dass derBAS-Führer Dr. Heinrich Klier auf unse-rem Besitz ein Waffen- und Sprengstoff-depot unterhielt; Dr. Norbert Burgerwurde bei der Beibringung einer Kauti-on, welche Voraussetzung für eine Ent-lassung aus der Untersuchungshaft war,geholfen.

Zu alledem kam noch das Gedenkenan den Landesfestumzug 1959, das Vor-bild von Andreas Hofer (das Marmorreli-ef am Sockel seines Grabes in der Inns-brucker Hofkirche ist von Kleiber, einemVerwandten von mir, gefertigt) sowiepolitische Versprechen. Ich rufe in Erin-nerung: Als ihre Abgeordneten nach er-folgter Ratifizierung des Unfriedensvertra-ges von St. Germain am 4. September1919 aus dem Wiener Parlament schei-den mussten, gab der Präsident desHohen Hauses den Südtirolern auf denkünftigen Leidensweg das «Heilige Eh-renwort» mit, dass es niemals ein öster-reichisches Parlament und niemals eineösterreichische Regierung geben werde,«der ein Opfer von Blut und Gut zu hochsein wird, um die Südtiroler in ihrem

Kampf um die Erhaltung ihrer Heimat zuunterstützen».

Und immer wieder erreichten uns Be-richte von Folterungen an Südtiroler Frei-heitskämpfern, auch solchen, die mirpersönlich bekannt waren, da sie ausÖsterreich stammten. Das Ausmaß derdadurch entfachten Emotionen, welchemich als an Recht und GerechtigkeitGlaubender ergriff, kann jeder nachvoll-ziehen, der die Folterberichte dieser Jah-re liest. Da weitaus unbekannt, gebe ichdie Aussagen von noch 1967 Gefolter-ten wieder: «… Man hat mich die ganzeNacht gefoltert, von dem Genitale bishinten mit Fußtritten von Offizieren undhinauf mit Faustschlägen. Ich musste aufeinem Fuß stehen und die Hände in dieHöhe halten. Sobald ich müde wurde,hat mir ein Offizier die Bauchhaare miteiner Zigarette verbrannt und wenn dieHände müde geworden sind, sodass sieheruntergerutscht sind, wurde ich aufdem Kopf geschlagen. Dann ist derHauptmann auch mit einer Zigarettegegen die Hände gefahren, damit ich siewieder hochriss.

Dann hat man mir die Augen ver-bunden und mich weggebracht. Ichwurde weggetragen und in ein anderesGebäude gebracht; ich konnte hören,dass es sich um eine Kaserne handelnmusste. Ich kam in einen Keller, ichwurde entkleidet, nackt auf den Tischgelegt und gestreckt, dabei wurde mir

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eine Flüssigkeit in den Mund geschüttet;da ich die Zähne zusammenbiss, habensie mir einen Schlauch in die Nase ge-schoben und die Flüssigkeit dort hinein-geschüttet. Zwei haben auf meinenBauch getrommelt und die Hoden zu-sammengedrückt. Dann haben sie michaufgehoben, die Hände durchgeschüttelt,dann wieder niedergebunden und ge-streckt … sie haben mich in einem Kom-biwagen gelegt und zurückgeführt; dortging es weiter mit Fußtritten gegen dieRippen, Genitalien und Gesicht, Stock-schläge auf den Kopf; es ging in die Früh…» (Quelle: gerichtliche Aussage desOsttirolers Andreas Egger vom 9. Mai1971, beim Landesgericht für StrafsachenWien: Onr. 364, Blatt 499 ff, 20 Vr 6502/67 Hv 41/63).

Kaum weniger ergreifend sind die anKarl Schafferer (Innsbruck) verübtenFolterungen, wie er diese Jahre später anEides Statt bei Gericht schildert: «Folte-rung – Zur Vorlage bei Gericht oder Be-hörden, erkläre ich nachstehend an Eidesstatt: Ich wurde am 12.09.1967, gemein-sam mit Hansjörg Humer, in Sarns beiBrixen von italienischer Geheimpolizeiverhaftet und nach Bozen in die Carabi-nierikaserne, Dantestraße gebracht. Dortwurden wir, jeder in einem anderenRaum, verhört. In den folgenden dreiTagen und Nächten, in welchen ich we-der zu trinken noch zu essen bekam,auch nie schlafen durfte, wurde ich

mehreren Torturen unterzogen, um einentsprechendes Geständnis von mir zuerhalten. Ich wurde geschlagen, ge-bunden und mehrmals gestreckt, getre-ten und angebrüllt. Das alles dauerte dreiTage und drei Nächte … Ich kann heuteauch nicht mehr sagen, was für Proto-kolle ich damals unterschrieb, sie wur-den zwischendurch alle vorgefertigt. Si-cher war ich damals auch gar nicht inder Lage, sie richtig zu lesen. Ich kanntejedenfalls die mir vorgetragenen, angeb-lichen Täter von der Porzescharte garnicht und hatte damit auch niemals zutun. Die Sprenganschläge, an welchenich beteiligt war, habe ich schließlichgestanden. Fiecht, den 1. Dezember1979.»

Eine Veröffentlichung dieser Zeitdo-kumente durch Amnesty International(Frau Dr. Irmgard Hutter, ÖsterreichischeSektion in Wien und Herr Zbynek Zeman,Head of Research International Secretari-at in London) erfolgte meines Erachtensnicht, obschon eine schriftliche Doku-mentation durch mich vorgelegt wurde.Auch wenn die Garanten der Menschen-rechte, die Verfechter der EuropäischenWerte und die Wächter der political cor-rectness dazu geschwiegen haben, ichkonnte das nicht.

Gemeinsam mit Freunden und demRechtsanwalt Dr. Hugo Gamper, Vize-bürgermeister von Bozen und SVP-Abge-ordneter im römischen Parlament, haben

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wir im «Buchdienst Südtirol» (Nürnberg)in mehrfach 10.000-facher Auflage dieseinerzeit vom Mondseer Arbeitskreisherausgegebene Broschüre «Die Schän-dung der Menschenwürde in Südtirol.Eine Dokumentation über die Folterun-gen der Südtiroler politischen Gefange-nen durch die italienische Polizei» gegengroßen Widerstand heimischer Persön-lichkeiten auf eigene Kosten neu heraus-gegeben. Zeitgleich wurde ein demokra-tischer Protest gegen das faschistischeSiegesdenkmal in Bozen durch uns ge-startet.

Zusammenfassend stelle ich fest: Esist erwiesen, dass ich zu keinem Zeit-punkt an aktiven Widerstandshandlun-gen beteiligt war. Meine Hilfe hatte sichstets auf medizinischen Beistand be-schränkt. Dazu bekenne ich mich auchheute noch und sehe keinen Anlass, michdavon zu distanzieren. Sämtliche Frei-heitskämpfer bedauern, dass zur Erlan-gung legitimer Ziele überhaupt Gewaltangewandt werden musste. DER AKTIVEWIDERSTAND WURDE IN NOTWEHRGEGEN EINEN DAMALS GEWALT AUS-ÜBENDEN, IN SÜDTIROL UNDEMOKRA-TISCH UND FASCHISTISCH HANDELNDENSTAAT AUSGEÜBT. Auch wenn ich selbstjegliche Gewalt ablehne, so habe ichVerständnis dafür, dass damals Landsleu-te in den Widerstand gegangen sind.Keiner der damaligen Führungspersön-lichkeiten sieht sich veranlasst, sich von

den damaligen Aktivitäten zu distanzie-ren. Alle sind in meiner Heimat hochge-schätzte Persönlichkeiten. Ich habe auchzu keiner Zeit Gewalt befürwortet. DENDAMALIGEN FREIHEITSKÄMPFERN WARDEUTLICH KLAR, DASS SICH IHR RECHTZUM AKTIVEN WIDERSTAND AUS-SCHLIESSLICH AUF EINE IN JEDER HIN-SICHT STRENG BEGRENZTE UND ÜBER-PRÜFBARE SITUATION BEZOG.

2. Zielsetzung und ErgebnisseUnser aller Wunsch und primäres Ziel

war, für Südtirol die Selbstbestimmungund dadurch die Rückgliederung an dasVaterland Österreich zu erreichen. Dasswir hierbei nicht erfolgreich waren, lagwahrlich nicht an fehlendem Einsatz undmangelnder Opferbereitschaft von unsFreiheitskämpfern, sondern ausschließlichan den dafür verantwortlichen Südtirolerund österreichischen Politikern sowie dendamaligen internationalen Umständen.

In Südtirol war die Situation andersals z.B. in Zypern: dort gab ErzbischofMakarios, der politische Führer der grie-chischen Zyprioten, der Unabhängigkeitseines Landes Vorrang vor seiner persön-lichen Freiheit und teilte mit seinenEOKA-Kämpfern die Sorgen und Qualeneiner politischen Haft. Solch positive Bei-spiele von Politikern gibt es nicht nur inEuropa, sondern in fast allen Ländern,welche erst durch einen Freiheitskampfihr koloniales Joch abschütteln konnten.

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1. Als Südtirol vom italienischen Militärbesetzt wurde, gab es im Lande ca. 3%Italiener. Durch die konsequente Förderungder Zuwanderung lag bei den Landtagswah-len von 1960 die Zahl der von Italienernabgegebenen Stimmen bei 36,1%. Die Zu-nahme des italienischen Bevölkerungsantei-les erfolgt kontinuierlich all die 42 Jahrehindurch. In der Legislaturperiode des Süd-tiroler Landtages von 1956–1960 stieg dieZahl der italienischen Stimmen in Südtirolnoch um 1,2% von 34,9% auf 36,14%. AlleBemühungen von 1918 bis 1960, die Zu-wanderung mit friedlichen Mitteln zumStillstand zu bringen, schlugen fehl.2. Bei Anhalten der Zuwanderung in der inden letzten Jahrzehnten gezeigten Intensitätwäre abzusehen gewesen, dass die Italienerüber kurz oder lang eine Mehrheit von 51%in Südtirol hätten erlangen können. Südtirolwäre damit von einem fast rein deutschspra-chigem Land im Jahre 1918 zu einem mehr-heitlich italienischsprachigem Land gewor-den.3. Ab 1961 erfolgte dann tätiger Wider-stand in Südtirol. Wie die Auswertung derLandtagswahlergebnisse und die Gegen-überstellung derselben ex 1956, 1960 und1964 zeigt, brachte der Beginn des tätigenWiderstandes den faktischen Stillstandder italienischen Zuwanderung mit sich,der schließlich sogar in eine italienischeAbwanderung aus Teilen Südtirol münde-te.Dem tätigen Widerstand war also gelun-gen, was mit friedlichen Mitteln in den 42Jahren von 1918 bis 1960 nicht hatteerreicht werden können, nämlich denSüdtirolern eine Atempause in ihrem Rin-gen um die Mehrheit im eigenen Landegegen die italienische Zuwanderung zuverschaffen.4. Im Einzelnen ergibt die Auswertung derSüdtiroler Landtagswahlen aus den Jah-ren 1956, 1960 und 1964… folgendes:Während, wie schon erwähnt, bis 1960der Anteil der italienischen Stimmen kon-tinuierlich auf 36,14% gestiegen war,

konnte er von 1960 auf 1964 (36,3%) erst-mals praktisch gleich hoch gehalten wer-den. Während von 1956 auf 1960 die Zahlder Südtiroler Stimmen nur um 6.766gestiegen war, die der italienischen Stim-men jedoch um 7.666 – so stieg nun von1960 auf 1964 die Zahl der Tiroler Stim-men stärker, nämlich um 7.091, die derItaliener stieg aber wesentlich geringer,nämlich nur mehr um 4.630, was ungefährder Quote des natürlichen Zuwachsesentspricht.Öfners Studie, die von dem Linzer Schwur-gericht als Beweismittel zugelassen wordenwar, trug wesentlich zu den Freisprüchender Freiheitskämpfer bei, da die Geschwo-renen nun von dem Sinn des Freiheitskampfsüberzeugt worden waren.

Die Volkszählungen bestätigenOfners FeststellungDie Volkszählungen von 1961, 1971 und1981 bestätigen voll die Feststellungen, dieDr. Ofner anhand der Landtagswahlergeb-nisse hatte treffen können:

Zwischen 1961 und 1971 hatte eine Trend-umkehr stattgefunden. Die Italiener hattenum einen Prozentpunkt abgenommen, dieDeutschen hatten um 0,7% zugenommenund die Ladiner hatten um 0,3% dazuge-wonnen.

In der von Dr. Harald Ofner erstellten und dem Gericht in Linz 1996 vorgelegten Studiezur italienischen Unterwanderung Südtirols hieß es wörtlich:

Jahr Gesamte Deutsche (%) Italiener (%)ansässige Ladiner (%)

Bevölkerung Deutsche u. Ladiner (%)

232.717 (62.25%)

1961 373.863 12.594 (3.37%) 128.271 (34.21%)

(65.62%)

260.351 (62.99%)

1971 414.041 15.456 (3.73%) 137.759 (33.27%)

(65.62%)

279.544 (64.9%)

1981 430.688 17.736 (4.1%) 123.696 (28.70%)

(69.00%)

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Dazu im Gegensatz stehen jene, wie derFranzose Marschall Petain, der NorwegerQuisling und sämtliche Regierungspräsi-denten des ehemals kommunistischenOsteuropas, welche sich, aus welchenGründen auch immer, mit der Besat-zungsmacht arrangierten. Über Letztge-nannte hat die Geschichte bereits geur-teilt: über unsere damals verantwortli-chen Politiker steht, meiner Ansicht nach,ein endgültiges Urteil noch aus.

Der BAS hat 1969 seinen Widerstandeingestellt, nachdem das sogenannte«Südtirolpaket» zwischen Österreich undItalien verabschiedet wurde, um nun denPolitikern die Chance zu geben. Auchwenn dieses «Paket» inhaltlich in ent-scheidenden Punkten schlechter z.B. alsdie vorbildliche Regelung auf den Aa-landinseln ist, hat es den Südtirolern eine«Verschnaufpause» und Wohlstand ge-bracht.

Es hat weitere 25 Jahre gedauert, bisdie im «Südtirolpaket» gemachten Zusa-gen von Rom verwirklicht wurden. Offenist heute lediglich der vorgeseheneFreundschaftsvertrag zwischen Österreichund Italien. Die bis heute nicht eingelösteZusage auf eine Generalamnestie seitensItaliens und das durch Parlamentsbe-schluss dazu verpflichtete Österreich ste-hen dem entgegen. Im August 1994 isteine zuvor abgesprochene Lösung wegendes Vetos des ultrarechten Koalitionspart-ners Alleanza Nazionale gescheitert.

Heute hat Südtirol für europäischeMinderheiten laut Aussagen von Politi-kern Modellcharakter. Die gezielte Un-terwanderungspolitik wurde erfolgreichunterbunden. Beides ist nach allgemei-ner Auffassung überwiegend jenen Per-sonen zu danken, die für die HeimatSüdtirol ihr Leben opferten, eingekerkert,gefoltert oder in das Exil verwiesen wur-den. Wird post festum die Verhältnismä-ßigkeit der seitens der Südtiroler Frei-heitskämpfer angewandten Gewalt ge-prüft und im Vergleich zum Erreichtengesetzt, so ist diese Frage beim Blick nachNordirland, dem Baskenland, Israel-Palä-stina, Tschetschenien oder dem ehemali-gen Jugoslawien sicher einfach zu be-antworten.

Unabhängig von dieser politischenForderung war es unser Hauptanliegen,die italienische Unterwanderung zu stop-pen und den deutsch-tiroler Charakterunserer Heimat auch für die eigenenNachfahren zu erhalten. Zu Recht sprachKanonikus Michael Gamper vom «Todes-marsch» unserer Tiroler Volksgruppe:Durch die gezielte italienische Unterwan-derung und das Abdrängen der dadurcharbeitslos gewordenen Jugend in dasAusland war der Tatbestand des Geno-zids erfüllt. Wie beiliegendes Dokumentnachweist, wären wir Tiroler während der60er Jahre in der eigenen, angestamm-ten Heimat zur Minderheit geworden.Wie bereits in «Der Tiroler» (Heft 2/1984

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Die Elite der österreichischen Rechtsanwälteverteidigt bei den Südtirol-Prozessen in Graz.

und Heft 43/1995) berichtet, brachte derFreiheitskampf die Wende.

Dr. Gerulf Stix, 3. Nationalratspräsi-dent und Träger des großen, goldenenEhrenzeichens von Tirol, beurteilt in ei-nem Schreiben an mich, vom 06.01.1995,die damalige Situation wie folgt:

«Aber alle diese Vorwürfe gegen IhrePerson machen mich trotz ihrer Unbe-greiflichkeit nicht so betroffen, wie dieSie belastende Gleichsetzung des Südti-roler Freiheitskampfes mit Rechtsextre-mismus. Ich kann in dieser Frage völlig

unbefangen Stellung nehmen, weil ichstets für gewaltfreie Politik eingetretenbin und mich selbst auch niemals an ir-gendwelchen mit Gewalt verbundenenAktivitäten beteiligt habe. Die Diskussiondarüber, in welchen Situationen Gewaltin der Politik als ultima ratio moralischvertretbar erscheint, ist eine Sache. Eineganz andere Sache ist die unkritischeGleichsetzung von Freiheitskampf mitRechtsextremismus.

Den Südtirol-Aktivisten ging und gehtes um den praktisch wirksamen Schutz

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der Südtiroler, also einer deutschen Min-derheit im Staate Italien. Der kulturelleBestand dieser Tiroler Volksgruppe warbis in die 60er Jahre ernstlich gefährdet,weil in Südtirol entgegen den demokra-tischen Traditionen des italienischen Na-tionalstaates im fortlebenden Geiste derfaschistischen Traditionen des ItaliensMussolinis die politischen Weichen aufkulturpolitische «ethnische Säuberung»gestellt blieben. Erst eine UNO-Resoluti-on musste den italienischen Staat auf sei-ne Verpflichtung zur Schaffung einerechten Autonomie für die Südtiroler hin-weisen. Und auch dann zögerte Rom dieshinaus. Tatsächlich begannen die ziel-führenden Verhandlungen über einenAutonomie-Status für Südtirol erst, nach-dem die Sprengung von Strommastendurch Südtirol-Aktivisten die Öffent-lichkeit wachgerüttelt hatte. Man magdiese Aktionen bedauern, es bleibt histo-risch gesehen ein Faktum, dass erst durchsie die heute relativ gute Autonomie fürdie Südtiroler auf dem Weg der (langsa-men!) Realisierung gebracht werdenkonnte.

Es bleibt ein weiteres Faktum, dassman die Motive der seinerzeitigen Südti-rol-Aktivisten moralisch als ein Eintretenfür Minderheitenschutz, für kulturelleFreiheitsrechte und als ein Kampf gegenfaschistisches Unrecht anerkennen mussund auch dann, wenn man die Mittelnicht billigt.

Spätere und mit beklagenswerten To-desfällen belastete Anschläge in Südtirolwurden zwar dem Freiheitskampf der60er Jahre zugeschrieben, dürften abernach heutigem Wissensstand, den wirder objektiven Aufdeckungsarbeit italie-nischer Juristen verdanken – sie verdie-nen unsere Hochachtung – auf das Kon-to bestimmter Kreise innerhalb des italie-nischen Geheimdienstes gehen. Wer vonallen diesen Zusammenhängen nichtsweiß, sollte nicht vorschnell den Stabüber die frühen Südtirol-Aktivisten bre-chen.»

3. Erlebtes UnrechtUm die Hilfe aus Österreich zu unter-

binden, handelte Italien wider die euro-päischen Werte: gegen Österreich wer-den, teilweise bis heute aufrechte Einrei-severbote («Schwarze Listen») erlassenund wir benötigten, gleich wie bei Rei-sen in totalitäre Staaten, ein Visum (sie-he Faksimile) für Fahrten in die SüdtirolerHeimat.

Die österreichische Regierung unter-stützte nach den ersten größeren Spreng-stoffanschlägen der Herz-Jesu-Nacht1961 nicht die Südtiroler «in ihremKampf um die Erhaltung ihrer Heimat»,sondern half auf vielfältige Weise denitalienischen Behörden bei der brutalenUnterdrückung des Tiroler Freiheitswil-lens. So folgte Wien der italienischen,aber auch kommunistischen Doktrin,

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wonach der Südtirol-Widerstand angeb-lich eine neonazistische Bewegung sei.Darauf angesprochen, wie es komme,dass der bewaffnete Kampf in Algerien,auf Zypern und in Südvietnam in kom-munistischen Augen gut, der aktiveWiderstand in Südtirol aber schlecht sei,machte das KPÖ-Periodikum «Weg undZiel» im Oktober 1966 den feinen ideo-logischen Unterschied, dass die «…na-tionalen Befreiungskämpfe der unter-drückten kolonialen und halbkolonialenVölker…» die «…demokratischen undsozialistischen Perspektiven in der gan-zen Welt…» fördern, wogegen die«…verbrecherischen Pläne neofaschisti-scher Gruppierungen…» in Südtirol dar-auf abzielen, «…mit der Aufrollung derGrenzfragen in Europa…» die Ergebnissedes Zweiten Weltkrieges zu revidieren.

In diesem politischen Zweckdenkenbefangen, erhob daher die österreichi-sche Moskau-Partei von Anfang an ihreunpopuläre «Volksstimme» gegen denSüdtiroler Freiheitskampf. Aber nicht nursozialistische, sondern auch katholischeBlätter folgten den Kommunisten aufihrem geistigen Abweg und begannen,die Südtirol-Aktivisten als «Verbrecher»und «Neonazis» in den Dreck zu ziehen.Dabei ist nichts absurder als dieser Vor-wurf: Unter «Neonazi» muss man logi-scherweise einen Menschen verstehen,der die Politik des Nationalsozialismusfortsetzen will. Die Südtiroler Freiheits-

kämpfer aber wollten im Gegenteil dasvon Mussolini gesetzte und von Hitlersanktionierte Unrecht an Südtirol wieder-gutmachen. Selbst der italienische Straf-rechtler Nuvolone bescheinigt dem Be-freiungsausschuss Südtirol (BAS), dass inseinen Flugblättern ein brennenderWunsch nach Freiheit und Demokratie inErscheinung tritt, «eine Geisteshaltung,die zur nationalsozialistischen Ideologieim krassen Gegensatz steht».

Gemäß dem stenographischen Proto-koll (Wien, Parlament) sollen in «SachenSüdtirol» in Österreich 147 Personen in-haftiert, davon aber lediglich 39 verur-teilt (zumeist nicht rechtskräftig) wordensein. Das heißt mit anderen Worten, dassetwa 130 Personen aus politischen Grün-den – im Fall von Peter Kienesberger übermehrere Jahre – unschuldig eingesperrtwaren. Wir Österreicher haben ob unse-res Engagements für die Freiheit Südti-rols und die Verwirklichung der Men-schenrechte im italienisch besetzten Teilunserer Heimat insgesamt knapp 50 Jah-re in eigenen und italienischen Kerkernoder/und Jahre im politischen Exil verbrin-gen müssen.

Meine eigenen Benachteiligungen,welche mir aus meinem Einsatz für dieRechte meiner Südtiroler Landsleute ent-standen, sind:- 15 Monate politische Untersuchungs-

haft;- 6 Jahre im Exil;

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- seit 1967 die Südtiroler Heimat nichtgesehen;

- wiederholte Gerichtsverhandlungen;- finanzielle Verluste durch: verspätete

Approbation und Facharztanerkennung,Verhinderung von Habilitation undChefarztposition;

- wiederholte Verleumdung durch denitalienischen Geheimdienst und dieMedien;

- anonyme Gewaltandrohungen gegenFamilie, eigene Person und Eigentum.

Trotz alledem widerfuhr den soVerfolgten von offizieller Seite auch viel-fach Hilfe und Sympathie: Ein Großteilder Verteidigerkosten in diversen Süd-tirol-Prozessen wurde übernommen undunabhängig von der Weltanschauungsetzte sich Österreich stets für eine vor-zeitige Freilassung von politischen Süd-tirol-Häftlingen ein. Insbesonders wäh-rend der Zeit, als Italien mit internatio-nalen Haftbefehlen nach Freiheitskämp-fern fahndete, bemühte sich Österreichin vorbildlicher Weise um seine in Dritt-ländern lebenden, davon betroffenenStaatsbürger. Mehrfache Auslieferungs-begehren seitens Italiens und andereVerfolgungen konnten verhindert wer-den.

Im Widerspruch dazu seien eine Rei-he bedenklicher Aktionen der eigenenJustiz- und Polizeibehörden, wie ich die-se von den Betroffenen erfahren oderselbst erlebt habe, genannt.

Angesichts der frischen Gräber dervon den Carabinieri in Haft zu Tode ge-marterten Südtiroler Anton Gostner undFranz Höfler aber, hatte die Polizei inÖsterreich Jagd auf alle Patrioten ge-macht, die auf Grund erfolterter Ge-ständnisse von Italien verdächtigt wur-den. Am 25. August 1961 erfolgte imZusammenhang mit dem Südtiroler Frei-heitskampf die erste Verhaftung in Öster-reich, der im Laufe der Zeit mehrereDutzend weitere folgten.

Die Wiener akademische Burschen-schaft Olympia, der Dr. Norbert Burgerund einige seiner Mitkämpfer angehör-ten, verfiel aus diesem Grund der Auflö-sung durch den sozialistischen Innenmi-nister Beppo Afritsch. Nach einigen Mo-naten Untersuchungshaft wieder freige-lassen, opferte Burger seine wissenschaft-liche Karriere an der Universität Innsbruckdem Südtiroler Freiheitskampf. Durchneue Verdächtigungen seitens der Behör-den, die sich zwar im weiteren Verlaufals falsch erwiesen, jedoch einen Haft-befehl zur Folge hatten, wurde Burgerveranlasst, im Februar 1963 nach Mün-chen zu flüchten, um einer Untersu-chungshaft von unbestimmter Dauer zuentgehen. Als ihn der bundesdeutscheKameramann und italienische Agent Pe-ter Knips schließlich im Sommer 1964 inKlagenfurt an die österreichische Polizeiverriet, lösten ausführliche Knips-Aussa-gen eine neue Verhaftungswelle aus.

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Dem italienischen Spitzel aber, der denAuftrag hatte, Burger zu ermorden, ge-währten die österreichischen Behördentrotz seiner Mitwirkung an der Vorberei-tung von Sprengstoffanschlägen Straffrei-heit. Knips durfte unbehelligt nach West-deutschland ausreisen, nachdem man esnicht einmal der Mühe Wert gefundenhatte, den Verräter über das italienischeAgentennetz in Österreich zu befragen.Seit 1967 arbeiten österreichische Behör-den mit italienischen eng zusammen. Umden gemeinsamen Kampf gegen denSüdtiroler Freiheitskampf zu koordinieren,traf sich Nordtirols stellvertretender Si-cherheitsdirektor Dr. Obrist sogar wieder-

holt mit Carabinieri-General Palombi inder Schweiz und in Südtirol.

Auf dieser gemeinsamen Linie lagauch das Auftreten des Wiener Polizei-obersten Massak beim Prozess in Florenz.Nach telegraphischer Intervention des ita-lienischen Justizministers wurde Massakdieser Schritt möglicherweise von seinemVorgesetzten, dem österreichischen In-nenminister, nahegelegt. Als «Privat-mann» belastete der Sprengstoffexpertedie Angeklagten im Südtirol-Prozess mitseinem Wissen, welches er ausschließlichin dienstlicher Eigenschaft erworben hat-te. Nach übereinstimmender Meinungder Prozessbeobachter trug diese, nach

Angeklagte und ihre Verteidiger in Graz, Südtirol-Prozesse.

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österreichischem Gesetz strafbare «Ge-fälligkeit» maßgeblich zur Verurteilungvon Freiheitskämpfern zu insgesamt vier-mal lebenslänglich und 214 Jahren Ker-ker bei. Auch nach Südtirol entsandteman Massak mit dem Auftrag, den Ita-lienern beim Entschärfen von Minen inder «Landshuter Hütte» behilflich zu sein,welche angeblich von Südtiroler Freiheits-kämpfern gelegt worden waren. DieseArt von Hilfsbereitschaft hätte Massakbald das Leben gekostet, denn in Wirk-lichkeit handelte es sich um eine Falledes italienischen Geheimdienstes, die nie-mand anderem als ihm selbst zugedachtwar. Nur durch Zufall entging Massakdem Tod, den ihm seine italienischen

Polizeipartner zugedacht hatten. Mit demzum Glück misslungenen Massak-Massa-ker beabsichtigten die italienischen Initia-toren, Emotionen gegen die SüdtirolerFreiheitskämpfer in Österreich zu schü-ren.

Auf italienischer Seite standen Teileder bis vor kurzem noch von Kommuni-sten unterwanderten österreichischenStaatspolizei ebenfalls nach den Anschlä-gen, die am 23. September 1963 dasSalzkammergut erschütterten. Dabeiwurde nicht nur das Löwendenkmal ander Straße gesprengt, sondern auchdurch Haftladungen an der EbenseerSaline ein Gendarmeriebeamter getötet.Ein Blutbad an Schülern, welche die Seil-

Auch österreichische Studenten beteiligten sich an den Widerstandsaktionen. Zahlreiche wurden während ihrerAktion verhaftet und eingesperrt. V.l.n.r. Helmut Golowitsch und Johannes Klein am 16.9.1961.

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bahn benutzen wollten, wurde durcheinen glücklichen Zufall verhindert. Zweiweitere Gendarmeriebeamte wurdenschwer, ein Gendarm und ein Journalistleicht verletzt.

Obwohl am Tatort italienische Aus-weise und Abzeichen gefunden wurdenund Zeugen vier junge Italiener beobach-tet und beschrieben hatten, ignorierte dieösterreichische Staatspolizei bewusst die-se eindeutigen Spuren. Stattdessen wur-de der unschuldige Südtirol-Kämpfer KurtWelser verhaftet, der aber für die Tatzeitein hieb- und stichfestes Alibi erbringenkonnte und daher nach einmonatigerUntersuchungshaft wieder freigelassenwerden musste. Verhaftet wurden aberauch die beiden Südtiroler Jörg Klotz undLuis Amplatz, deren Ansehen man in derÖffentlichkeit dadurch herabzusetzentrachtete, dass man die beiden ehren-haften Patrioten mit dem Mordanschlagvon Ebensee in Verbindung zu bringensuchte.

Die italienische Polizei ermittelteschließlich als Täter die NeofaschistenGiorgio Massara, Sergio Poltronieri undLuciano Rolando. Da in Italien eine An-klage wegen im Ausland begangenerStraftaten, die in diesem Fall immerhineinen Toten und zwei Schwerverletztegefordert hatten, nur auf besondereWeisung des Justizministeriums erhobenwerden kann, kamen die Verbrecher miteiner Verurteilung wegen unerlaubten

Waffenbesitzes davon. Um sich einerspäteren, erneuten Strafverfolgung zuentziehen, sollen sie letztlich nach Süd-amerika ausgewandert sein.

Im Gegensatz zur provokanten MildeItaliens aber stand der blinde Eifer, denösterreichische Organe bei der Verfol-gung von Südtirol-Aktivisten an den Taglegten. Nach der Explosion auf der Por-zescharte, am 27. Juni 1967, wurde an-geblich dort ein Handschuh gefunden.Der dazu passende zweite aber fand sich,als fast ein Dutzend österreichischer Po-lizisten in der Wohnung von Peter Kie-nesberger eine Hausdurchsuchung veran-stalteten. Dieser seltsame Zufall gingselbst den Geschworenen im Strafprozesszu weit, welche die Angeklagten freispra-chen und im Beratungsprotokoll dieHandschuhgeschichte ausdrücklich alsunglaubwürdig bezeichneten. In der Nie-derschrift der Geschworenen heißt esdazu wörtlich: «Das Beweisverfahren hatgewisse Zweifel an der Schuld offengelassen, insbesondere die Zeit-Weg-Rechnung lässt es nicht genau sichererscheinen, ob die Angeklagten genü-gend Zeit gehabt haben, das ihnen zurLast gelegte Delikt ausführen zu können.Ferner waren einige Punkte nicht alsstichhaltig anzusehen, so z.B. der Hand-schuh, der gefunden wurde und die dazugeführten Untersuchungen.»

Die starke politische EinflussnahmeItaliens, das Österreich ständig mit sei-

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nem Veto zu den für Österreich wirt-schaftlich notwendigen EWG-Vertrag er-presste, ist bei diesem Prozess heuteausreichend nachgewiesen. Leider reich-te der seinerzeitige Bundeskanzler Dr.Klaus diesen Druck weiter. So gab er am13.12.1968, wenige Tage nach der Ur-teilsverkündung, seine «…volle Zustim-mung zu dem Veranlassten…». Gemeintwaren unter anderem Weisungen, in dasVerfahren eines unabhängigen Gerichteseinzugreifen und den vorsitzenden Rich-ter Dr. Kubernat zu veranlassen «…denProzess in einer würdigen Form zu füh-ren…». Dies wurde von ihm so verstan-den, dass er in der Belehrung der Ge-schworenen von diesen forderte, dieaußenpolitischen Folgen für Österreichdes ob der Sachlage zu erwartenden Frei-spruches zu bedenken. Für die Freiheits-kämpfer bedeutete dies vorerst einen nierechtskräftig gewordenen Schuldspruch,weitere Jahre der Untersuchungshaftund/oder politisches Exil. Lange hat esgedauert, bis diese Fehlentscheidungzumindest juristisch korrigiert wurde.

Um gegen die zwiespältige HaltungÖsterreichs in der Südtirol-Frage aufmerk-sam zu machen, hatte Peter Kienesber-ger gleich Jahre später Erhard Hartungdemonstrativ den Wehrdienst im öster-reichischen Bundesheer verweigert, als sieden Stellungsbefehl erhielten: «Ich kannnicht einsehen, warum der Einsatz fürRecht und Freiheit in Südtirol ein Verbre-

chen sein soll, gleichzeitig aber ein mög-licher Einsatz zur Verteidigung des Wald-viertels eine Heldentat», erklärte Kienes-berger 1964 seine Bereitschaft, alle sichaus seiner Gewissensentscheidung erge-benden Konsequenzen zu tragen.

Dabei konnte er, als er nach zweiTagen als Panzergrenadier der Reservenach Hause geschickt wurde, noch nichteinmal ahnen, dass die österreichischeRegierung unter «Kriegsminister» Praderim Sommer 1967 auf die Idee kommenwürde, die Brennergrenze – nach denWorten des Nordtiroler Landeshauptman-nes Wallnöfer ein Unrecht – durch Ein-heiten des österreichischen Bundeshee-res vor den Freiheitskämpfern schützenzu lassen.

Über Anforderung des Innenministersstellte General Fussenegger (MFLVZ1.378.732 vom 10.07.1967) in der Zeitvom 12. Juli bis zum 15. November 1967insgesamt neun Bataillons, wovon jeweilsdrei gleichzeitig im Einsatz waren, gemäߧ 2 Abs. 1 Wehrgesetz dafür zur Ver-fügung. Mit Ausnahme von schwerenWaffen war die Ausrüstung an Personalund Material «frontgerecht». Ferner wardie Truppe im Raum Nordtirol auf Zu-sammenarbeit mit einer Staffel Hub-schrauber (Standort Schwaz), im RaumOsttirol mit einer Kette Hubschraubern(Standort Lienz) angewiesen. Zur Durch-führung des zweifelhaften, vom Volknicht gebilligten Auftrages (wie Landes-

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hauptmann Wallnöfer eingestand, gab erseine Zustimmung lediglich deshalb, daer Fehlinformationen aufsaß), wurde ex-tra ein eigenes Regimentskommando Südaufgestellt, welches der Sicherheitsdirek-tion und dem Militärkommando Tirolunterstellt wurde. Daher trugen auch alleverwendeten Soldaten weiße Armbindenmit dem Dienstsiegel der Sicherheitsdi-rektion für das Bundesland Tirol, um dieWeisungsgebundenheit des Heeres andie Anordnungen des Innenministeriumsauch äußerlich sichtbar zu machen.

Den durch Wachposten gesichertenZugs- und Kompaniestützpunkten, die3-5 km von der Staatsgrenze entferntund bereits in Almböden über 1000 mlagen, waren bei Tag Spähtrupps undStreifen bis zur Staatsgrenze, bei Nachtstehende Spähtruppen bis in 2000 mHöhe vorgelagert. Jeder Soldat besaßdabei all jene Rechte, insbesondere dasdes SCHUSSWAFFENGEBRAUCHES, diesonst nur der Exekutive zukommen.

Jenseits der Grenze hatten bereits seitJahren Finanzer, Carabinieri, Alpini undSpezialeinheiten den gleichen Auftrag:den vermeintlich auf diesem Weg kom-menden Nachschub zu unterbinden. SeitFebruar 1934 war dies der erste Einsatzvon österreichischen Soldaten gegenÖsterreicher. Der aus Tirol gebürtige ÖVP-Innenminster Franz Hetzenauer, der da-für verantwortlich zeichnete, musste vor-zeitig den Hut nehmen.

All dies war ein Schlag ins Wasser,weil dadurch kein einziger Anschlag ver-hindert oder auch nur ein Freiheitskämp-fer erwischt wurde. Diese hatten imGegenteil guten Kontakt zu den Solda-ten und ihrem besonnenen Vorgehen istes zu verdanken, dass jeglicher Konfliktunterblieb. Auf Zusammenstöße hatte esHetzenauer möglicherweise angelegt, umeinen Vorwand für weitere Polizeiaktio-nen zu erhalten. Immerhin war in Krei-sen der ÖVP-Alleinregierung Klaus die In-ternierung ohne Gerichtsbeschluss vonSüdtirol-Aktivisten in «Anhaltelagern»diskutiert worden, wie es sie nur in derZeit des Ständestaates vor 1938 gege-ben hatte.

Dass diesem Wunsche Italiens, vor-getragen durch Toscano und Gaja (Lon-don 1967), welcher «…alle Hoffnungenauf Änderung der bestehenden österrei-chischen Gesetzeslage setzte…» nichtstattgegeben wurde, ist vorwiegend demösterreichischen Justizminister Prof. Dr.Klecatsky und seinem Berater Franz Mat-scher zu danken. In einem Warnschrei-ben teilte er mit: «…Ein volles Eingehenauf die italienischen Forderungen (diesehr stark an diejenigen des österreichi-schen Ultimatums an Serbien von 1914oder an die von Hitler Schuschnigg ge-genüber im Berchtesgadener Gesprächerhobene Forderungen erinnern) würdeeine Preisgabe der primitivsten Selbstach-tung im internationalen Bereich gleich-

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kommen und müsste auch immer poli-tisch zu unabsehbaren Folgerungen füh-ren.»

Justizminister Broda (SPÖ) hatte er-klärt: «…Die Pflicht zum Widerstandbeginnt schon dort, wo der kleinste Ver-such zur Kränkung von Menschenrechtund Menschenwürde unternommenwird. Hier muss Widerstand geleistetwerden. Hier beginnt die Pflicht zumWiderstand – weil Widerstand noch aus-geübt werden kann, ohne dass es schondes letzten heroischen Einsatzes der ei-genen Person bedarf. Jeder Bürger desdemokratischen Gemeinwesens mögetäglich und stündlich überlegen und prü-fen, ob nicht schon seine Pflicht zumWiderstand beginnt…»

Georg Klotz, der in seinem Wider-stand gegen die italienischen Unterdrük-

ker seiner Heimat genau in diesem Sinnegehandelt hatte, war im Juni 1961 nachNordtirol geflüchtet. Unter dem Verdacht,am Sprengstoffanschlag gegen einenHochspannungsmasten beteiligt gewesenzu sein, musste er im März 1962 erst-mals Bekanntschaft mit einem österrei-chischen Gefängnis machen.

Obwohl er für die Tatzeit ein lücken-loses Alibi erbrachte, wurde er erst nachmehr als vier Monaten gegen Kautionaus der Untersuchungshaft entlassen. ImApril 1964 wurde über den Schützenma-jor sogar die Auslieferungshaft verhängt.Schließlich wurde er ebenso wie seinFreund und Mitkämpfer Luis Amplatznach Wien verbannt und die beidenmussten sich zweimal täglich bei derPolizei melden. Als sie es vor Heimwehin der österreichischen Hauptstadt nicht

Angeklagte und ihre Verteidiger in Graz, Südtirol-Prozesse.

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mehr aushielten, entwichen Klotz undAmplatz Ende August 1964 über dieBerge nach Südtirol. Dort wurde Amplatzvom Verräter Christian Kerbler, einem ge-dungenen Mörder des italienischen Ge-heimdienstes, am 7. September im Schlafermordet, der schwer verwundete Klotzaber entging diesem Schicksal und konn-te sich auf österreichischem Staatsgebietin Sicherheit bringen. Von Gendarmenfestgenommen, wurde er ins Kranken-haus Wörgl gebracht, wo durch eineOperation die Pistolenkugel aus seinemKörper entfernt wurde. Den Versuchender österreichischen Regierung, ihn ausTirol zu entfernen, setzte Nordtirols Lan-deshauptmann Wallnöfer ein mannhaf-tes «Klotz bleibt im Land!» entgegen.Erst als der dem Tod entronnene Schüt-zenmajor genesen war, musste er aufsNeue den schweren Gang in die Verban-nung antreten.

Aus Protest gegen die fortlaufendenDemütigungen und Verfolgungen er-zwingt Klotz schließlich in einem fast 30Tage dauernden Hungerstreik, dass erseinen Wohnsitz nach Nordtirol verlegendarf. Hungerstreik war des öfteren dieeinzige Möglichkeit, um die österreichi-sche Justiz zu einem rechtsstaatlichenVorgehen in der Verfolgung von Freiheits-kämpfern zu zwingen. Diese selbstzerstö-rerische Maßnahme musste zum Teil überWochen als letzte Waffe im Kampf umdie Durchführung garantierter Rechte

während der Haft eingesetzt werden.Nur so konnten z.B. Burger, Hartung,Kienesberger und Kufner die annäherndfristgerechte Aushändigung der Anklage-schrift erzwingen. Dem Schützenmajor,der als Zeuge in Südtirol-Prozessen dieAngeklagten stets entlastete, blieb esnicht erspart, von einem Wiener Schöf-fengericht am 11. Oktober 1968 zu 15Monaten schweren Kerkers verurteilt zuwerden, von denen er 12 Monate abge-sessen hat. Ähnliche Enttäuschungenmussten die sogenannten «Pusterer Bu-ben», Forer und Oberlechner, in Kaufnehmen, die kurz nach erfolgtem Frei-spruch durch ein Wiener Schwurgericht(12. März 1968) ebenfalls monatelang inAuslieferungshaft genommen wurden.

Wie heute bekannt, war es u.a. eineder Forderungen des österreichischenBotschafters Dr. Haymerle, dass allesunternommen werden müsse, damit bei-de «…noch lange in Haft bleiben…».Wie macht man das in einem demokra-tischen Rechtsstaat? Hier fühlte sich zu-erst die Bundespolizeidirektion Wien be-rufen, «…dafür zu sorgen…», dass Fo-rer und Oberlechner «…unverzüglich inSchubhaft genommen werden kön-nen…» (Niederschrift über die intermini-sterielle Sitzung vom 01.03.1968). Daaber die Auslieferung der beiden nachItalien in Österreich politisch und juri-stisch nicht durchsetzbar war, halfen dieitalienischen Kollegen weiter. Unverzüg-

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lich behauptete Italien, dass die Pustererzwei italienische Soldaten in Südtirol er-mordet hätten. Obwohl Forer undOberlechner dies energisch bestritten undkein Beweismaterial gegen sie vorlag,rechtfertigte das eine weitere, obligatori-sche Untersuchungshaft. Da das von Ita-lien angekündigte Belastungsmaterial,das alleine den Haftgrund abgab, sodürftig war bzw. nie in Österreich ein-traf, mussten Forer und Oberlechnerletztendlich enthaftet werden. Dennochverhängte das dafür zuständige Bezirks-gericht Feldkirch dermaßen einschneiden-de, unwürdige Auflagen, welche gegen-über Tirolern österreichischer Staatsange-hörigkeit wohl schwer durchzusetzengewesen wären.

Dass die dafür Verantwortlichen ge-genüber den 147 politischen Untersu-chungshäftlingen in Österreich vielfachweder Menschlichkeit noch Pietät wal-ten ließen, sei aus einer Fülle von Fällenan nachfolgenden Einzelbeispielen de-monstriert: Als Mitglied des BAS warendie beiden Südtiroler Luis Larch und KarlAusserer im Oktober 1965 unter demVerdacht der Beteiligung an einem Feu-erüberfall auf Carabinieri in österreichi-sche Untersuchungshaft geraten. Bei derEinlieferung ins Innsbrucker Landesge-richtsgefängnis war Larch von einem Ju-stizbeamten mit Faustschlägen misshan-delt worden und tatsächlich stellte Prof.Dr. Holzer als Ordinarius für Gerichtsme-

dizin auf dem Körper des Häftlings zahl-reiche, blutunterlaufene Stellen fest. AlsLarch, ebenso wie zwei Kameraden, ausProtest gegen diese Behandlung in denHungerstreik traten, wurden die Gefan-genen zur Beruhigung vom Direktor infenster- und wasserlose Tobsuchts- undKorrektionszellen gesperrt. Diese Behand-lung gehörte ebenso wie fortlaufendeVerbote (Lesen, Schreiben, Besuch, Post,Spaziergang usw.), Schikanen und Ver-höhnung zum breiten Repertoir profil-süchtiger Justizbeamter.

Oberst Walchshofer, damals Direktordes landesgerichtlichen Gefangenenhau-ses zu Innsbruck, wird ob dieser Miss-stände in seinem Bereich von den politi-schen Gefangenen besonders verachtet.Durch gesetzeswidrige, überlange Polizei-haft von mehr als drei Wochen, wie imFalle Hartung, aber auch durch häufige,überlange Untersuchungshaft, wie imFalle Kienesberger menschenwidrig bis zufünf Jahren, davon – wie so mancher –ein Jahr in Isolation, versuchten Polizeiund Justiz mit vereinten Kräften, dem Wi-derstand das Rückgrat zu brechen. Alsim September 1968 mein Vater, der von1915 bis 1918 als Oberstleutnant derReitenden Tiroler Kaiserschützen Südtirolverteidigte, lebensbedrohlich erkrankte,durfte ich, auf Veranlassung des Unter-suchungsrichters Dr. Soterius, mich wedervom Sterbenden verabschieden noch andessen Begräbnis teilnehmen. All diese

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Maßnahmen machten deutlich, dass dieösterreichische Justiz die Südtiroler Frei-heitskämpfer als gewöhnliche Kriminellebehandelte.

In einem Klima, vergiftet durch eineFlut von Prozessen und Verfahren, wäh-rend der insgesamt 147 Personen – da-von, wie sich später herausstellte, 108vollkommen unbegründet bzw. unschul-dig – eingesperrt, zahlreiche unbeschol-tene Bürger fortlaufend bedrängt undunzählige Hausdurchsuchungen durchge-führt wurden, versuchten ÖsterreichsJustizbehörden, den Widerstand in Süd-tirol zu kriminalisieren. Kritiklose Oppor-tunisten bei Presse, Rundfunk und Fern-sehen assistierten vorzüglich.

Bei all diesen Prozessen wurden dieAngeklagten ihren gesetzlichen Richternentzogen, weil die Verfahren aus Miss-trauen gegen Tiroler Geschworene anauswärtige Gerichte delegiert wurden.Da aber die Grazer, Wiener und LinzerLaienrichter keine schlechteren Österrei-cher als die Tiroler sein wollten, kam es– zur Enttäuschung der Berufsjustiz – inden meisten Fällen zu spektakulären Frei-sprüchen. Wo es die Strafprozessordnungzuließ, wurde der Wahrspruch der Ge-schworenen regelmäßig ausgesetzt, dasich die Laien angeblich im Rechtsirrtumbefunden hätten. Die Schöffen und Ge-schworenen waren meistens den Argu-menten der Verteidigung gefolgt, die für

Angeklagte und ihre Verteidigerin Graz, Südtirol-Prozesse.

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die Angeklagten den Rechtfertigungs-grund des übergesetzlichen Notstandeserfolgreich in Anspruch genommen hat-te. Wo es nur möglich schien, war daherdie Staatsanwaltschaft bemüht, die An-klage nicht vor Laienrichtern, sondern vor«unabhängigen» Berufsrichtern zu ver-treten.

Beim sogenannten Presseprozessmussten sich Dr. Burger und Kienesberger1967 in Wien verantworten, da beide ineinem Interview angeblich zum bewaff-neten Widerstand gegen den Unrechts-staat Italien in Südtirol aufgerufen hatten.Dass gerade zur gleichen Zeit die griechi-sche Filmdiva und spätere MinisterinMelina Mercouri in Wien öffentlich zumgewaltsamen Kampf gegen das heimat-liche Obristenregime aufrief, dafür warbund Geld sammelte, wurde geflissentlichübersehen. Es störte offensichtlich dasRechtsempfinden des anklagendenStaatsanwaltes Dr. Daum und des unab-hängigen Richters Dr. Kubernat in keinerWeise, dass Frau Mercouri für die gleicheTat ein gefeierter Star war, während sieBurger und Kienesberger zu unbedingterHaftstrafe verurteilten.

Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Steidl, Süd-tirol-Experte, Verteidiger in Südtirol-Pro-zessen und langjähriger Stadtrat der Lan-deshauptstadt Innsbruck, stellt dazu fest:«Aus eigener Erfahrung darf ich nochanfügen, dass es eine bewährte und ziel-führende Taktik der italienischen Politik

und insbesondere des italienischen Ge-heimdienstes durch all die Jahre war, jenein Richtung des Pangermanismus und desNeonazismus zu rücken, die sich für dieSelbstbestimmung Südtirols einsetzen.Dies war die wirksamste Strategie gegenalle Bestrebungen im Zusammenhang mitSüdtirol».

Für die Sache Südtirol waren die Pro-zesse zum Leidwesen ihrer Urheber inso-fern von Vorteil, weil sie Gelegenheitboten, durch Presse und Rundfunk dieÖffentlichkeit auf das Problem aufmerk-sam zu machen. Außerdem handelte essich um die größten, nicht nur politischenProzesse, die jemals in Österreich statt-gefunden haben. Da in Österreich bis indas Jahr 1975 Haftbefehle gegen Südti-roler Freiheitskämpfer bestanden, mus-sten manche Österreicher bis zu maximal7 Jahren im Exil leben, um einer unge-rechten Verfolgung zu entgehen.

Dr. Franz Pahl, späterer Vizepräsidentder Region Trentino-Südtirol schrieb in«Schicksal Südtirol 1945-1979» (Heraus-geber: Junge Generation in der SVP) überdie politischen Südtirol-Prozesse: «…Pro-zesse gibt es aber nicht nur in Italien,sondern auch Österreich glaubte zu-nächst, das Südtirol-Problem auf demProzessweg lösen zu können. In allenProzessen bekennen sich die Angeklag-ten zum Südtiroler Freiheitskampf undzur Gewaltanwendung gegen Unrechtdurch Italien. Die Geschworenen spre-

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chen die Angeklagten frei, weil in Süd-tirol ein echter Notstand vorliege undWiderstand dagegen rechtmäßig sei.Weitere Südtirol-Prozesse werden inWien gegen Südtiroler und Österreichergeführt, die meistens nach Ausschöpfungmehrerer Instanzen mit Freispruch endenoder durch den Bundespräsidenten ein-gestellt werden…» und «…Die Straf-verfahren gegen die Südtiroler «Dinami-tardi» leiten einen der umfangreichstenProzesse der italienischen Justiz ein. DieAngeklagten werden als staatsfeindlicheElemente und kriminelle Terroristeneingestuft, deren Tätigkeit man mitdrakonischen Urteilen Herr werden will.Die Prozesse gegen die Attentäterwerden in einem gespannten Klima ge-führt. Das Eintreten der Südtiroler Atten-täter für das Selbstbestimmungsrechtund für eine Volksabstimmung sind lautAnklage Hochverrat, Anschlag auf dieIntegrität des Staatsgebietes und dahermit lebenslänglichem Kerker zu bestra-fen…».

In Mailand, Florenz und Bolognawerden härteste Urteile, bis hin zu le-benslänglichem Kerker, gefällt. Der öster-reichische Verwaltungsgerichtshof hat mitUrteil vom 29.09.1982 und vom11.12.1985, das im Fall Dr. Hartung undDr. Burger in Florenz 1971 gesprocheneitalienische Abwesenheitsurteil als«…eine Verletzung des Rechtes nach Art.6 der Europäischen Konvention zum

Schutze der Menschenrechte und Grund-freiheiten…» gewertet.

Tirol, ein Operationsgebietder Geheimdienste

Unter der Überschrift «…Geheim-dienst-Forschung steckt noch immer inden Kinderschuhen» veröffentlichte derGrazer Historiker Prof. Dr. Siegfried Beer,der sich auf Geheimdienstfragen spezia-lisiert hat, in «Die Presse» (Wien,27.12.1999): «…Auffallend ist auch, dasswir uns in Österreich lange Zeit viel zuwenig mit der ostdeutschen Stasi undihren Verbindungen zu und in Österreichauseinandergesetzt haben. Ich hoffe,dass die jüngst gelungene Entschlüsse-lung von Datenbanken der DDR-Aus-landsspionage durch die Gauck-Behördedoch etwas Licht in das Dunkel bringenwird…»

Auch wenn der tschechische Über-läufer Frolik gegenüber den österreichi-schen Behörden eingesteht, dass östlicheAgenten in Südtirol und Oberitalien wie-derholt Bomben gelegt hätten (Scrinzi,Chronik Südtirol, Seite 307), so berück-sichtigt dies der aus Westfalen stammen-de und in Innsbruck lebende Historiker

Durch diese Tabelle kann etwas Licht in dasdunkle Kapitel der geheimdienstlichen

Verwicklungen gebracht werden.Diese Tabelle basiert auf von meinem

zur Verteidigung im sogenannten«Porzescharte-Prozess» (Wien 1967)

dem Gericht vorgetragenen Beweismaterial.

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seit 1960 Agents provocateur, unterschieben Flugblätter, Waffen undSprengstoff, was zu Verhaftungen und Folterungen führte

Henkelmann Robert aus Westfalen, war bei SS und wurde wegenErschießung von 9 Fremdarbeitern 1944 in derEiffel gesucht; in Südtirol untergetaucht

Kranzer RobertSelm Josef Südt. Student im Dienst v. Lt. ManucciStainer RobertStötter Anton Betrüger aus Augsburg

Datum Ereignis Täter Bemerkung

20.10.1962 Bozen: Bombe vor Schuleingang («rechtzeitig gefunden undentschärft»)Verona: Brandbombe in der Gepäcksaufbewahrung am Bahnhof(1 Toter, erhebl. Sachschaden)

östlicher Geheimdienst

1962-1964 wiederholte Versuche, den BAS mit französischen (OAS), belgi-schen, westdeutschen und österreichischen Extremisten (LegionEuropa) zu unterwandern

Erich B.; Fred B.;Franz K.; Gerhard N.;Paul Wagner, Peter Z.

1963-1965 wiederholte Versuche, die Freiheitskäpfer als Rechtsextremistenabzuqualifizieren: sie würden von revanchistischen und panger-manistischen Kreisen aus der BRD mit dem Ziele finanziert undausgebildet, den gegenwärtigen status quo in Europa gewaltsamzu verändern.

Ing. G.: Gerhard N.;Gianni R.; Susanne T.Renate Z.;Hermann Munk Makler, Defraudant und BND-Informant

März 1964 Versuch, die Bomben von Ebensee (23.9.1963: 1 Toter, 2 Schwer-verletzte; Täter: italien. Faschist Giorgio Massara) dem BASanzulasten

Hermann Munk legt Geständnis abPaul Wagner

22.06.1964 Versuch der Entführung von Dr. Norbert Burger in Kärnten, nachScheitern Auslieferung des Gesuchten an die österr. Staatspolizei

Peter Knips Journalist, im Auftrag und Sold des ital. Geheim-dienstes

19.08.1964 vorgetäuschter Selbstmord von Paul Wagner in innsbruck: W.wollte als Agent abspringen, wußte aber zuviel

Geheimdienst österr. Polizei glaubt noch heute an Selbstmord

06./07.09.1964 Mord an Luis Amplatz, Mordversuch an Jörg Klotz im Passeier imAuftrag und gegen Honorar des italienischen Geheimdienstes/Bozen

Kerbler Christian Täter – dafür in Abwesenheit in Italien verurteiltKerbler Franz Beihilfe bei der VorbereitungPlatter AntonRavanelli Kerblers FluchthelferLechner Traudl überbringt Honorar und Pass

CHRONOLOGIE VON VORFÄLLEN MIT GEHEIMDIENSTLICHEM HINTERGRUND

07.10.1964 Mord an Friedrich Rainer in Mals/Vinschgau Geheimdienst verbreiten These: R. beim Vorbereiten einesAnschlages von Bombe zerrissen

16.11.1964 Bombe im «Brennerexpress» (rechtzeitig entdeckt und entschärft;Versuch, die Wahlen vom 16.11.1964 zu beeinflussen)

Joosten Karl Franz Krimineller im Sold des ital. Geheimdienstes, inGraz rechtskräftig verurteilt

1965-1967 Versuch der Einschleusung eines Spitzels in den inneren Kreisdes BAS dazu: Anschläge und gestellter Schuss auf Carabinieri-Offizier im Vinschgau

C. «Vinzenz» heute Besitzer eines bekannten Hotels in SüdtirolSüdtiroler

01.05.1965 erneute Bombe (19 Kerzen Donarit) im «Brennerexpress» (recht-zeitig gefunden)

Geheimdienst Spur soll nach Österreich weisen

19.05.1965 versuchter Bombenanschlag auf Wohnhaus in Bozen (diese beidenletzten Attentate sollten die Geschworenen im Grazer Südtirol-prozess gegen die angeklagten Freiheitskämpfer einnehmen)

Kranzer Robert Südtiroler Doppelagent der österr. und italien.Staatspolizei, Sekretär der italophilen «TirolerHeimatpartei» Raffeiners

17.07.1965 Mord an Helmuth Immervoll in Bozen (hatte Beweise der Ermor-dung F. Rainers durch den italien. Geheimdienst in Händen)

Geheimdienst täuschten Explosion einer Bombe beim Hantierenvor; I. war Sprengstoffexperte

15.02.1967 Bombe im Linienbus Bozen-Meran («rechtzeitig entdeckt») de Leeuw Leopold belg. Betrüger, im Solde des italienischen Ge-heimdienstes

April 1967 erneuter Entführungsversuch von Dr. Norbert Burger in Innsbruck Lechner Traudl italienischer GeheimdienstWeinberger Walter österreichischer Krimineller

25.06.1967 Peter Kienesberger soll über einen Nachschubweg auf der Por-zescharte in eine Falle gelockt werden

Geheimdienst Kienesberger und seine Mitangeklagten werdenin einem 2. Schwurgerichtsverfahren freigespro-chen. Gründe: Eindeutig unterschobene Beweis-mittel und Weg-Zeit-Diagramm

20.08.1967 Andreas Egger aus Osttirol in das Pustertal gelockt und dortverhaftet, später gefoltert

Kröss Helmut Heiratsschwindler und Bankräuber aus Südtirol

30.09.1967 Bombe im «Alpenexpress» (2 ital. Bahnpolizisten in Trient getötet) Geheimdienst Siehe Bericht oben

In dieser noch unvollständigen Tabelle sind Vorfälle mit geheimdienstlichem Hintergrund enthalten.Teilweise sind Namen bekannt, doch nicht immer sind die Beweise gerichtsverwendbar. In solchen Fällen sind die Namen abgekürzt und verändert.

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Steininger nicht und schreibt zu denAttentaten in Oberitalien (Band 3, Seite58-60): «…In der 21 Schreibmaschinen-seiten umfassenden vertraulichen Urteils-begründung finden sich interessante Ein-zelheiten über die Anschläge in Italien…»

Ausführlich wird über ein Verfahrenvom Februar 1964 gegen den westdeut-schen Staatsbürger Herbert Kühn vordem obersten Gericht der DDR berichtet.Richtig ist, dass dieses Verfahren unterAusschluss der Öffentlichkeit stattfand,aber Teile davon im Ostfernsehen zuPropagandazwecken ausgestrahlt wur-den.

Schnitzler, der Göbbels der DDR, hatalleine dazu eine internationale Presse-konferenz abgehalten und dort wahr-heitswidrig behauptet, der Friede in Eu-ropa sei in Gefahr, da in Westdeutsch-land Pangermanismus und Revanchismusderart erstarkt seien, dass nicht nur«…die DDR nach Vorstellung BonnerMilitaristen gewaltsam befreit…» son-dern auch «… das Sudetenland undSüdtirol heim ins Reich geholt …» wer-den müssten. Als Beweis dafür diente dasfalsche, erpresste Geständnis von Kühnsowie seine Mitgliedschaft in der «Ge-samtdeutschen Jugend» und seine Nähezur Bundeswehr. Das nahezu idente Vor-gehen der Italiener in Südtirol und Öster-reich ist verblüffend und zeigt, dass dieHandschrift geheimdienstlicher Tätigkei-ten unverwechselbar ist.

Das Urteil selbst war keineswegs ver-traulich, wie von Steininger fälschlichbehauptet, sondern wurde bereits imMärz 1964 in der DDR-Fachzeitschrift«Neue Justiz» im vollen Wortlaut veröf-fentlicht.

Unerwähnt bleibt auch, dass Kühnnach Entlassung aus der DDR-Haft in derBundesrepublik Deutschland sich erneut,diesmal gemeinsam mit anderen, wegenangeblicher Anschläge in Oberitalien vorGericht verantworten musste. Auchwenn hier erstinstanzlich ein Schuld-spruch fiel, so wurde dieser vom Bun-desgerichtshof mit vernichtender Kritikaufgehoben. Letztendlich wurde diesesVerfahren nach erneuter Überprüfungvon der zuständigen Staatsanwaltschaftin Bonn während der 80er Jahre rechts-kräftig eingestellt.

Trotzdem bezweifelt Steininger, in-wieweit hier östliche Geheimdienste ihreHand im Spiel hatten, wie dies 1996 inder «Chronik Südtirol» von Kienesbergerund mir dargestellt wird. Offensichtlichsind Steininger die Erkenntnisse seinesKollegen Dr. Hubertus Knabe unbekannt.Letzterer ist seit 1992 wissenschaftlicherMitarbeiter des Bundesbeauftragten fürStasi-Unterlagen (sogenannte Gauck-Be-hörde in Berlin) und ist über die DDR-Staatssicherheitsaktivitäten spezialisiert.Knabe schreibt dazu in «Die unterwan-derte Republik – Stasi im Westen»:«… Ich stellte fest, dass die Arbeit im

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und nach dem «Operationsgebiet», wiedie Stasi den Westen nannte, im MfS alssogenannte Hauptaufgabe betrachtetwurde. Entgegen der weitverbreitetenVorstellungen war es auch nicht alleinedie jahrelang von Markus Wolf geleiteteHauptverwaltung A (HVA), die in derBundesrepublik operierte, sondern dasgesamte Ministerium war auf die eineoder andere Weise daran beteiligt …»

Die von den Amerikanern gerettetenund von den Deutschen entschlüsselten,sogenannten SIRA-Dateien, welche auchden Österreichern übergeben wurden,geben erstmals ein genaues Bild von denvielfältigen Aktionen der DDR-Spionageund deren Austro-Agenten.

Trotz alledem negiert Steininger dieErkenntnisse seiner Kollegen und der indieser Sache rechtsstaatlichen, juristi-schen Ermittlung; er verabsäumt es auch,die damit in Zusammenhang gebrachtenPersonen zu befragen, obschon ihm da-von Herr Kienesberger persönlich be-kannt ist. Steiningers Beurteilung lauteteinfach: «… Mir scheint das bei diesenAttentätern mit dieser Begründung eherunwahrscheinlich …» (Bd. 2, S. 58) und«… so mancher wird sagen: Na und?DDR. So einfach sollte man es sich abernicht machen …» (Bd. 3, S. 60). Es bleibtdem Leser überlassen, wer es sich hierwirklich einfach gemacht hat!

Auch wenn Steininger den italieni-schen Geheimdienst nicht schont (z.B.:

«…Und – wie wir heute wissen – immerwieder Aktionen des italienischen Ge-heimdienstes, die mit zur Verschärfungder Situation beitrugen…» (Bd. 3, S. 199)so kommt es meiner Ansicht nach nichtdeutlich genug herüber, dass von dieserSeite im staatlichen Auftrag Morde,Attentate und andere schwere Verbre-chen begangen wurden. Während der60er Jahre hatte es eine Reihe von An-schlägen gegeben, zu denen sich dieSüdtiroler Freiheitskämpfer nie bekannthaben, ja, von denen sie sich distanzierthatten und noch heute distanzieren.

Es hatte sich hier vor allem um sol-che Anschläge gehandelt, die wirklichoder vorgetäuscht auf das Leben un-schuldiger Zivilpersonen gezielt hatten.Diese – zum Teil sicherlich nur fingiertenund rechtzeitig «entdeckten» – Bombenwaren dazu angetan, auch im Kreise vonSüdtirol-Freunden auf der ganzen WeltSchrecken und Empörung hervorzurufenund der Sache der Tiroler zu schaden.Auf der anderen Seite konnte Rom fürseine harten Maßnahmen angesichts sol-cher «Anschläge» Verständnis erwarten,ja sogar den internationalen Aufschreider Empörung angesichts der offenkun-dig gewordenen Folterungen entschei-dend dämpfen. Die Sache hatte also Sinngehabt.

Ein Teil dieser Anschläge, die nichtvon der Seite der Südtiroler Freiheits-kämpfer kamen, war jedoch nicht fin-

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giert. Hier handelte es sich um tatsäch-lich versuchte Massaker. Es war dieselbeHandschrift wie bei den faschistischenBlutbädern in Bologna und anderen Städ-ten Italiens. Wahrscheinlich wird man nieLicht in alle düsteren Vorgänge bringen,bei denen Verwicklungen von Neofaschis-ten und verirrten Elementen der italieni-schen Geheimdienste anzunehmen sind.Für mich ist in diesem Zusammenhangunverständlich, warum Steininger überden leitenden italienischen Geheim-dienstbeamten Dr. Silvano Russomannonur über seine Treffen mit den österrei-chischen Sicherheitsbehörden berichtet(Bd.3, Seite 513 f), aber verschweigt,dass dieser Geheimdienstspezialist spätervon den Italienern selbst ob seiner rechts-extremen Aktivitäten im Zusammenhangmit der sogenannten P2-Loge verurteiltund eingesperrt wurde.

Auch wenn Steininger als Täter derbisher vielfach den Freiheitskämpfern un-terstellten Attentate von der Porzeschar-te (25.06.1967, vier Militärangehörigegetötet) und Trient (30.09.1967, zweiBahnpolizisten getötet) «Unbekannt»(Bd. 3, S. 545) bzw. «Unklar» (Bd. 3, S.630, Fußnote 47) angibt, relativiert erdiese Feststellung an anderer Stelle da-durch, dass er die während der 60erJahre in Südtirol getöteten italienischenSoldaten auflistet.

Völlig unberücksichtigt bleiben in die-sem Zusammenhang die Erkenntnisse des

Präsidenten der Belluneser Anwaltskam-mer, Peppino Zangrado (Alto Adige,02.10.1994 und Dolomiten, 04.10.1994),der glaubt, genügend Unterlagen zuhaben, die beweisen, dass der italieni-sche Geheimdienst für das Attentat aufder Porzescharte verantwortlich sei. Sei-ne Aktivitäten um eine Wiederaufnahmedieses Verfahrens von 1970 scheiterte ander Staatsanwaltschaft ebenso, wie diewiederholten Versuche von 1976, 1990und 1996, die italienischen Urheber desAttentates von Trient (30.09.1967) aus-zuforschen.

Meiner Ansicht nach haben Steinin-ger und andere Publizisten die Tätigkeitdiverser italienischer und kommunisti-scher Geheimdienste in Südtirol währendder 60er Jahre nicht ausreichend abge-handelt bzw. heruntergespielt; dies ins-besonders unter Berücksichtigung, wie-viel Raum anderen, minder gewichtigenVorfällen gegeben wird. Ich frage mich,warum und wem nützt das? Sicherlichnicht den Südtiroler Freiheitskämpfern!Ob dafür die traditionelle Zurückhaltungdeutscher Historiker, wenn es um die Er-forschung der Geheimdienste geht oderandere Gründe ursächlich sind, bleibtoffen. Das zwangsläufige Resultat ist dieAusblendung einer wichtigen Dimensionpolitischen Geschehens!

Wie gewaltig hier der Nachholbedarfbei der zeitgeschichtlichen Forschung ist,beweist die dazu jüngste Veröffentli-

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chung in den «Dolomiten» (13.10.1999).Es wird aufgezeigt, dass mit der soge-nannten Operation «Zveno», welche vonder Wiener Zentrale des sowjetischenGeheimdienstes KGB im September ge-plant wurde, die Sprengung einer Ölpipe-line am Bodensee versucht werden soll-te. In dem diesbezüglichen Dossier heißtes: «… Man dachte, der Anschlag wür-de von der Öffentlichkeit als Aktion derextremen italienischen Rechten empfun-den, die damit auf die Südtirol-Attentatereagierten.» Ausführende hätten KGB-bzw. DDR-Geheimdienstleute sein sollen.«… Die Wegstrecken unserer Agentenper Auto, Rad und zu Fuß zum Tatortwurden festgelegt, die Zementträger derPipeline, ihre Abzäunung und Zugängeerhoben.» Der KGB Wien erstand Ther-mosflaschen und Kugelschreiber zumVerstecken von Sprengstoff und Zünder.Beide waren italienischer und österreichi-scher Herstellung, damit der Verdachtspäter in die gewünschte Richtung fiel.

Rehabilitation undöffentliche Würdigung

Auch wenn kaum ein Freiheitskämp-fer in Österreich rechtskräftig verurteiltwurde, so wurden wir, teils aus Unkennt-nis der Wirklichkeit, teils aus politischerÜberlegung, vielfach geschnitten. Ursäch-lich dafür waren Verleumdungen undHetze, welche auf Intrigen des italieni-schen Geheimdienstes, linksorientierten

Medien und den menschenrechtswidri-gen italienischen Abwesenheitsurteilenbasieren. Dies bestätigen österreichischePersönlichkeiten von höchster Reputati-on, die ihr diesbezügliches Wissen auseigenen Kontakten zu den Freiheits-kämpfern und amtlichen Erkenntnissenhatten.

Das war von allem Anfang an so.Deshalb sah sich der damalige österrei-chische Außenminister Dr. Kreisky genö-tigt, in seiner programmatischen Erklä-rung im politischen Spezialausschuss derUNO in New York am 18.10.1960 zuerklären: «…Wenn uns von italienischerSeite immer wieder vorgeworfen wird,dass wir, weil wir hier die InteressenSüdtirols vertreten, uns eines Wiederauf-lebens des Pangermanismus schuldigmachen, so möchte ich schon an dieserStelle betonen, dass der Hitlerische Pan-germanismus niemals Ansprüche aufSüdtirol erhoben hat, sondern dass es,ganz im Gegenteil, zahlreiche Aussprü-che Hitlers gibt, in denen er sich überSüdtirol und die Südtiroler verächtlich ge-äußert hat…» (Karl Heinz Ritschel: Di-plomatie um Südtirol. Politische Hinter-gründe eines europäischen Versagens.Erstmals dargestellt auf Grund von Ge-heimakten. Seewald Verlag Stuttgart,1966, S. 341).

Als weiteres Zeugnis dafür sei auseinem Schreiben vom 12.01.1995 des so-zialistischen Finanzministers Österreichs,

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Dr. Herbert Salcher, an mich angeführt:«…das gegen Südtiroler im Friedensver-trag von St. Germain begangene Unrechtzu beseitigen oder zumindest zu mildern.Über die Parteigrenzen hinaus fühlten wiruns alle diesem politischen Ziel verpflich-tet. Wenngleich ich mit Norbert Burgerund seinen Mannen im allgemeinen po-litisch nichts anzufangen wusste undweiß, so muss ich doch sehr deutlich zumAusdruck bringen, dass auf das Selbst-bestimmungsrecht gerichtete Südtirol-Aktivitäten überhaupt nichts mit Neona-zismus oder Rechtsextremismus zu tunhaben. Verständlicherweise äußert sichdie italienische Propaganda, die ein völ-kerrechtliches Unrecht rechtfertigenmuss, in dieser Frage anders…»

Mit zunehmendem Zeitabstand be-gannen aber auch Politiker einzusehen,dass der Südtiroler Freiheitskampf seinenSinn hatte und daher keineswegs um-sonst war: «…Die Anschläge von damalsund die darauffolgenden Prozesse gehö-ren, genau wie vieles andere, zur Nach-kriegsgeschichte Südtirols und stellen ei-nen bedeutenden Beitrag zu dieser Ge-schichte und zur Erreichung einer besse-ren Autonomie für Südtirol dar…», mus-ste Südtirols Landeshauptmann Magna-go schließlich eingestehen. Die Tatsache,dass auch der österreichische Bundesprä-sident Kirchschläger durch die Nieder-schlagung des letzten Südtirol-Prozesses,am 20. Mai 1975, den längst fälligen

Schlussstrich unter die jahrelange Verfol-gung gezogen hat, deutet darauf hin,dass sich nun auch das offizielle Öster-reich dem Urteil der Geschichte endgül-tig angeschlossen hat.

Dass dem so ist, zeigen die Wieder-herstellung des öffentlichen Ansehensund die öffentliche Anerkennung desehemaligen Südtiroler Freiheitskampfesdurch das offizielle Österreich. Den er-freulichen Anfang machte am11.04.1984 der Bundesminister für Ju-stiz, Dr. Harald Ofner, am «Gedenkkom-mers 175 Jahre Tiroler Freiheitskampf».Dort sagte er vor einem begeistertenPublikum: «Wir gedenken des TirolerFreiheitskampfes vor nunmehr 175 Jah-ren. Wir gedenken damit eines Ereignis-ses, das keineswegs von Anfang an undimmer als das Fanal angesehen wordenist, als das wir es heute alle verstehen.1809 erhoben sich die Tiroler gegenfremde Truppen, gegen fremde Herr-schaft. Die Frage nach der Legalität ihresHandelns wurde von Anfang an gestellt.Erfolge und Misserfolge wechselten ein-ander ab. Es kam die Zeit, da sich dieTiroler verraten und verkauft fühlten.Schließlich endete alles in einer Kriegska-tastrophe. Unter schweren Verlustenbrach der Aufstand zusammen. AndreasHofer und etliche seiner Mitstreiter wur-den füsiliert. Ganz Deutschland, ach, inSchmach und Schmerz, mit ihm sein LandTirol.

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Und doch hob sich der Ruhm von1809 bereits wenige Jahre nach diesemZusammenbruch weit über die Grenzendes Landes im Gebirge hinaus und prägtheute das Geschichtsbild der Tiroler mitwuchtiger Dominanz. Der Widerspruchist nur scheinbar. Wenn es um Recht undFreiheit, um Volk und Heimat geht, dannzählen in Wahrheit und in geschichtlicherDimension Fragen der Berechtigung zumWiderstand nur wenig. Auch der Erfolgdes Augenblicks – so sehr ihn die Zeit-genossen herbeisehnen, so sehr sie umihn ringen, so sehr sie ihn brauchenmögen wie einen Bissen Brot, tritt aushistorischer Sicht in den Hintergrund. DieFrüchte schwerer Saat reifen oft erst spät,erst jenseits der Gräber. Was bleibt, istallein der ehrliche Wille der Kämpfer, dasDurchstehen derer, die schon verzweifelnwollten, der Mut der meist materiellhoffnungslos Unterlegenen.

Was bleibt, sind die Ziele, um die esgegangen ist und ihre Bedeutung für dasgemeinsame Ganze. Was bleibt, ist derMensch in seinem heißen Bemühen umden Sieg – bis in die Niederlage hinein.Daran hat sich bis heute nichts geändert.Die Geschichte wägt immer mit gleichenGewichten. Sie nimmt auch für unsereGeneration nicht zum Maßstab, wozu wirgerade berechtigt gewesen sind und waswir erreicht, sondern was wir gewollt undwie sehr wir darum gekämpft haben. NurKrämerseelen fragen noch nach Konzes-

sionen und Preis. Heißen Herzen ist derWeg Ziel genug, sie pflegen sich nicht zuerkundigen, was danach kommt.

Dieser Maßstab darf sich auch dannnicht ändern, wenn es um Ereignissegeht, die noch kein Vierteljahrhundertzurückliegen. Wer in seiner Verzweiflungfür die Freiheit seines Volkes kämpft, istunseres Verständnisses sicher. Wer seinebürgerliche Existenz, den ruhigen Abendim Kreis seiner Familie, seine Gesundheit,sein Leben dafür aufs Spiel setzt, verdientunseren Respekt. Und wir richten unsdarauf ein, zu warten, bis Hass und Hohnder Gegner der Gerechtigkeit derBeurteilung aus der Warte zeitlichenAbstandes zur Gänze gewichen seinwerden. Und wir freuen uns und fühlenuns bestätigt, wenn wir Jahre nach denTaten aus berufenem Munde hörenkönnen, dass sie mitgeholfen haben, eineWende – eine erste Wende – herbei-zuführen, dass dem Wollen und demHandeln der Verfolgten und Geschmäh-ten auch noch Erfolg beschieden gewe-sen ist.

Darin erkennen wir einmal mehr dieKraft der Geschichte, die Dinge aus derParteien Zank und Hader ins rechte Lichtzu rücken. Und nehmen dieses Erkennenzum Anlass, nicht nachzulassen in unse-rem Bemühen, unserem Volke und unse-rer Heimat mit allen Kräften zu dienenund uns von kleinen Geistern – und mö-gen sie noch so mächtig sein – nicht irre

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machen zu lassen. Das geloben wir andiesem heutigen Ehrentage.

Und wir richten an die Verantwortli-chen jenseits des Brenners die Bitte undden Appell, es genug sein zu lassen mitrechtlichen Konsequenzen – welcher Artimmer – aus der Zeit der heißen 60erJahre. Gestraft, gesühnt, ausgesperrt istgenug worden. Die Geschichte gebietethier, einen deutlichen, einen eindeutigenSchlussstrich zu ziehen…»

Jahre später besuchten der TirolerLandeshauptmann Dr. Weingartner undder Innsbrucker Bürgermeister Dr. vanStaa ein Treffen der ehemaligen Freiheits-kämpfer. Die im Beisein des Landes-hauptmannes und anderer Politpromi-nenz 1998 erfolgte Aufstellung der «Dor-nenkrone», welche 1984 beim Landes-festumzug feierlich von Südtiroler Schüt-zen durch Innsbruck getragen wurde, inTelfs als Mahnmal für das ertragene Leiddurch Artur Thöni, Präsident der TirolerIndustriellenvereinigung, war ein Meilen-stein der moralischen Wiedergutma-chung. Der Empfang von 1999 im Wie-ner Parlament und Österreichs Dank,ausgesprochen durch den 3. National-ratspräsidenten Prof. Dr. Brauneder unddem Bundesratspräsidenten Jaud warenweitere Höhepunkte der Anerkennung.

Nationalratspräsident Prof. Dr. Braun-eder würdigte die Freiheitskämpfer undstellte zu den Menschenrechtsverletzun-gen Italiens in Südtirol fest: «…Dass es

in Europa notwendig war und auch indem Fall notwendig war, zu Mitteln zugreifen, um die Welt auf Menschen-rechtsverletzungen aufmerksam zu ma-chen, ist eigentlich eine Schande für je-nen Teil des Erdballs, den wir als zivili-siert und demokratisch bezeichnen. Dassdies alles geschehen ist, dafür müssennicht nur Österreicher und Südtirolerdankbar sein, sondern alle jene, denenan den Menschenrechten etwas liegt.Denn was in Südtirol geschehen ist undoffenkundig auch noch in verminderterWeise andauert, war und ist eine Verlet-zung eines ganz großen Gutes, nämlichdas der Menschenrechte…» Und an dieExil-Südtiroler und in Abwesenheit Ver-urteilten gewandt: «…wenn man überden Brenner fährt, gibt es dort keineGrenzkontrolle mehr. Das heißt, nachaußen hin gibt es diese Brennergrenzenicht. Wenn mir aber in Erinnerung ge-rufen wurde… dass die Handhabung derMenschenrechte in Südtirol eine andereist als in Nordtirol und den übrigen TeilenEuropas, so muss man mit Bedauern fest-stellen, dass es doch eine Grenze gibt.Mir ist es nicht so bewusst, wie es Euchbewusst ist, dass man hier (in Österreich)sagen kann, ich lebe in einem Teil Euro-pas, verurteilt zu einer Haftstrafe, ichhabe meine Anklageschrift nicht gese-hen, ich habe nie mein Urteil gesehenund natürlich habe ich an der Verhand-lung nie teilgenommen. Ich halte das für

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einen Schandfleck ersten Ranges, dass esso etwas überhaupt gibt, dass es dies inEuropa gibt. Und der zweite Schandfleckist der, dass jemand sagen muss, ich kannheute von einem Teil Europas nicht inden anderen Teil…»

Der Präsident des Bundesrates, derTiroler Gottfried Jaud, schloss sich diesenmahnenden Worten an und erklärte:«…Zum anderen ist aber immer wiederdarauf zu achten, dass in der Erinnerungaufrecht bleibt, dass die Brennergrenzeeine Unrechtsgrenze ist. Und da gilt esvor allem, glaube ich, dass wir es denJüngeren weitersagen. Denn es bestehtdie Gefahr, dass diejenigen, die aus eige-ner Erfahrung das Leid kennen, das dieBevölkerung erleben musste, die Älterenalso, nicht mehr da sind und es deshalbnicht mehr aus eigener Erfahrung wei-tersagen können. Und dazu, liebe Freun-de aus Südtirol, wünsche ich Ihnen vielKraft…»

Trotz alledem erdreistet sich heutenoch immer verschiedentlich so manchermit der unwahren Feststellung, dass dieSüdtiroler Freiheitskämpfer Terroristengewesen seien. Dabei wird gerne ver-gessen, dass gerade österreichischeGerichte dies wiederholt verneinten undden Freiheitskämpfern zubilligten, gegenden fortlaufenden italienischen Staats-terror zur Verhinderung noch größererVerbrechen in Notwehr gehandelt zu ha-ben.

Da der BAS mit dem Ziel der Aus-übung des Selbstbestimmungsrechteseinen bewaffneten Konflikt gegen dieitalienische Fremdbesetzung führte, be-freite am 22.04.1977 die internationaleRechtsprechung (Konferenz über huma-nitäres Völkerrecht in Genf) die Südtiro-ler Freiheitskämpfer vom häufig vorge-tragenen Odium der Kriminalität und desTerrorismus. Dadurch, dass viele von ih-nen uniformiert waren (bewusst wurdedie Uniform der österreichischen Kaiser-schützen stets mit dem Tiroler Adlergewählt) und ihre Waffen stets offen tru-gen, sind sie als Kämpfende einzustufenund genießen auch damit in Ergänzungder Genfer Konvention vom 12.08.1949den Schutz regulärer Kriegsgefangener.Die Regierenden in Italien und Österreichwären gut beraten, die Südtirol-Prozessegemäß dem veränderten internationalenRecht zu überdenken, um so bestehendeBenachteiligungen sozialer und juristi-scher Natur, die den Freiheitskämpfernob ihrer seinerzeitigen Aktivität erwuch-sen, rasch zu beseitigen.

Der Mitbegründer des «Befreiungs-ausschusses Südtirol» (BAS), Universitäts-professor Dr. Helmut Heuberger, der dieLandeshauptstadt Innsbruck von derNS-Diktatur befreite und der nach 1945Südtirol weiterhin dem Staatsterror aus-gesetzt sah, hat 1999 zu maßgeblichenösterreichischen Politikern für uns alle,die wir uns aus Idealismus für Demokratie

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und Recht in unserer bis heute italienischbesetzten Südtiroler Heimat eingesetzthaben, folgende Worte gesprochen, mitdenen ich bewusst meine Ausführungenschließe:

«…Dadurch werden hier in Wienauch diejenigen offiziell gewürdigt, dieseinerzeit ohne Rücksicht auf ihre Exis-tenz und ihr Leben sich zum gemeinsa-men Handeln entschlossen haben. Dasmoralische Recht dazu konnte nur vonden Südtirolern selbst kommen, denn siealleine waren in ihren Lebensbedingun-gen, bis ins persönliche tägliche Lebenhinein, durch das Unrecht in Südtirolbetroffen.

Wir, in Nordtirol, in Österreich, inDeutschland, die mitgeholfen haben,

standen alleine und ausschließlich imDienste dieser Sache. Es war zu erwartenund verständlich, dass italienische Po-litiker und Medien uns politisch zuruinieren versuchten. Schmerzlich war esaber, dass sie Helfer in unseren Länderngefunden haben. Und heute noch wirdim Rückblick politischer Tatsachen vondamals herumkalkuliert und es werdenkünstliche Trennmauern aufgerichtet, diein Wahrheit nicht existiert haben.

Ich bekenne mich nach wie vor zurNotwendigkeit und Tatsache unseresgemeinsamen Handelns mit dem aus-schließlichen Ziel, Südtirol zu helfen.Südtirol zu bewahren, nicht alsStolperstein, sondern als Baustein Euro-pas.»

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DIE URTEILE…

Mahnung

Hinter Mauern eingeschlossenEine Südtiroler Schar,Jedoch stolz und unverdrossenHinter Eisengitter schwer.

Weil wir für die Heimat fechten,Unsrer Ahnen altes Recht,Will man mit Gewalt uns knechtenVor der Welt uns machen schlecht.

Unsre Heimat, unsre Äcker,Unsere Wiesen, Feld und FlurSind seit mehr als tausend JahrenFrucht des deutschen Geistes nur.

Doch wie unsre Väter kämpftenUm der Heimat Wohlgedeihn,Wollen auch wir trotz Not und KerkerUnser Leben der Heimat weihn.

Sepp DonáGeschrieben zu Bozen, im Gefängnis, Herbst 1961

Sepp Doná

Zu vieles und zu schnell wird verges-sen. Um dieser Entwicklung entgegenzu-treten wurde die nachfolgende Liste er-stellt. Leider kann weder für die Vollstän-digkeit noch für die Fehlerlosigkeit ga-rantiert werden, nach 40 Jahren ist somanches schon klanglos vergessen wor-den.

Die Liste beinhaltet alle Personen, dieim Rahmen der Widerstandaktionen ver-

haftet, für längere Zeit eingesperrt undverurteilt wurden.

Manchem aufmerksamen Beobachtermag auffallen, dass sich unter den vielenPersonen zahlreiche Akademiker, vor al-lem aus Deutschland und Österreich,befinden. Sie waren in jenen Jahren nochjunge Studenten, die aus Idealismus undGlaube an der Richtigkeit der Sache han-delten.

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Seit den 60er Jahren sind gegen folgende Personen ausgesprochenen Urteile undHaftbefehle aufrecht, sie müssen deshalb im Exil leben.

Es sind einmal die SüdtirolerKARL AUSSERER, jetzt wohnhaft in InnsbruckJOSEF FORER, wohnhaft in Ladis/TirolLUIS LARCH, jetzt wohnhaft in Graz/ÖsterreichERICH OBERLECHNER, jetzt wohnhaft in Starnberg/DeutschlandHEINRICH OBERLEITNER, jetzt wohnhaft in Hohenroith/DeutschlandADOLF OBEXER, jetzt wohnhaft in Innsbruck/TirolSIEGFRIED STEGER, wohnhaft in Telfs/Tirol

Weiters können folgende deutsche bzw. österreichische Staatsbürger nicht nachSüdtirol einreisen, weil sie dort noch immer steckbrieflich gesucht werden:

DR. FRITZ BÜNGER – Düsseldorf/DeutschlandDR. HEINRICH BÜNGER – Siegburg/DeutschlandDR. ERHARD HARTUNG – Innsbruck/ÖsterreichUNIV. PROF. DR. HELMUT HEUBERGER – Salzburg/ÖsterreichHELMUT HÜLSNER – Grünwald/DeutschlandPETER KIENSBERGER – Nürnberg/DeutschlandEGON KUFNER – Linz/ÖsterreichHELMUT MORITZ – Wien/ÖsterreichDIPL. ING. GOTTFRIED TSCHAIKNER – Innsbruck/Österreich

Interessant sind an dieser Stelle auch folgende Informationen:Insgesamt waren beim 1. Mailänder Sprengstoffprozess dreizehn Rechtsanwälte mitder Verteidigung der Angeklagten beauftragt. Sie erhielten über das Südtirolreferatder Tiroler Landesregierung 1.350.000 Lire für jeden verteidigten Mandanten und20.000.- Lire pro Aufenthaltstag in Mailand.

Zum Vergleich und besseren Verständnis sollte man sich die Tatsache vor Augenhalten, dass 1964 die Dolomiten 50 Lire kostete, heute im Jahre 2000 kostet sie 1500Lire, also 30 mal soviel.

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Insgesamt erhielten die Rechtsanwälte 62.645.000 Lire, davon:Dr. Luis Sand aus Bozen 8.105.000 LireDr. Karl Gartner aus Schlanders 6.650.000 LireDr. Roland Riz aus Bozen 5.580.000 LireDr. Sandro Canestrini aus Rovereto 5.250.000 LireDr. Hermann Nicolussi aus Kaltern 5.010.000 LireDr. Franz Monauni aus Meran 4.000.000 LireDr. Günther Vinschger aus Bozen 3.150.000 LireDr. Josef Tiefenbrunner aus dem Unterland 3.030.000 LireDr. Hugo Gamper aus Bozen 1.860.000 LireDr. Otto Vinatzer aus Meran 1.010.000 Lire

Die italienischen Staranwälte erhielten folgende Honorare:Dr. Ettore Gallo aus Reggio Emilia 10.000.000 Lire,Prof. Pietro Nuvolone aus Mailand 5.000.000. Lire undDr. Ricci aus Mailand 4.000.000 Lire.

Mit wieviel Idealismus mancher Rechtsanwalt die Verteidigung übernommen hat,mag der Leser selbst urteilen. Hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass RechtsanwaltDr. Roland Riz als Verteidiger während seiner Verteidigungsrede niemals ein Wortzum Südtirolproblem – Grund allen Unheils – verloren hat. Hätten alle Verteidigerdiese Strategie verfolgt, wäre die politische Bedeutung des Widerstandes verschwie-gen und alle Angeklagten als einfache Kriminelle verurteilt worden.

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DIE TOTEN

Es ist eine grausame Tatsache der Ge-schichte, dass menschliche Opfer, Totenur in Zahlen ausgedrückt – niemals daswirkliche Ausmaß des Leides erkennenlassen. Und dennoch muss man die Opferaufzählen, um ihr Leid und das ihrerAngehörigen wenigstens teilweise zuerahnen, zu verstehen und daraus zulernen. Es ist aber nicht eine Auf-rechnung der Opfer auf beiden Seiten,denn es ist auch eindeutig, dass allesLeid, die Opfer, die vielen Toten nichtsanderes als die Folge einer falschen Po-litik waren.

Nach der Feuernacht wurde Südtirolvon italienischen Carabinieri-, Polizei- undMilitäreinheiten regelrecht besetzt. Eshandelte sich dabei zumeist nicht um gutausgebildete oder auf die besondere Si-tuation vorbereitete Einheiten. Eine Tat-sache, die bald ihre tragischen Folgenzeigte. Bereits am 19. Juni 1961 gab esdie ersten Opfer, die ersten Toten. In Malswurde nach einem abendlichen Gast-hausbesuch vor einem Offiziersheim der25-jährige HUBERT SPRENGER von einemMilitärposten ohne Vorwarnung erschos-sen. Am selben Abend wurde im Sarntalder landwirtschaftliche Arbeiter SEPPLOCHER auf dem Heimweg in der Holz-kiste einer Materialseilbahn mit sechs

gezielten Schüssen von einem italieni-schen Soldaten niedergestreckt.

Am 25. Juni 1961 wurde der 22-jäh-rige Wehrpflichtige PETER THALER wäh-rend des Dienstes von einem italienischenSoldaten erschossen. Die Umstände die-ser Tat wurden nie geklärt und veröffent-licht.

Am 22. November 1961 starb imKrankenhaus von Bozen FRANZ HÖFLERaus Lana an den Folgen der währendder Verhöre erlittenen Folterungen. FranzHöfler war seit der Verhaftung am 15.Juliund den Verhören in der Carabinieri-Kaserne von Meran, wo er wie die mei-sten anderen Verhafteten brutal misshan-delt wurde, im Gefängnis von Bozen.Immer wieder hatte er über nachhaltigeSchmerzen gesprochen, bis er am 17.November 1961 in seiner Zelle plötzlichzusammenbrach und in das Bozner Kran-kenhauses gebracht wurde. Die Behör-den fanden es nicht wert, seine Angehö-rigen über den Vorfall zu informieren.Jörg Pircher, Mitkämpfer und Zellenge-nosse von Franz Höfler, verständigte mit-tels Telegramm seine Familie. Der ältesteBruder von Franz Höfler begab sich so-fort nach Bozen, aber weder er nochein anderer Angehöriger wurde zu ihmvorgelassen.

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Am 7. Jänner 1962 stirbt auch anden Folgen der erlittenen Misshandlun-gen der 42-jährige ANTON GOSTNER ausSt.Andrä bei Brixen im Gerichtsgefängnisvon Bozen. Anton Gostner wäre vielleichtzu retten gewesen, wenn man der For-derung des mitinhaftierten Arztes Dr.Sullmann gefolgt wäre und ihn schnell-stens ins Spital gebracht hätte. AntonGostner war verheiratet und Vater vonfünf Kindern.

Am 7. September 1964 wurde aufden Brunner Mahdern im Passeiertal LUISAMPLATZ von Christian Kerbler ermor-det. Kerbler handelte im Auftrag des ita-lienischen Staates und wird bis heutevom italienischen Geheimdienst gedeckt.Jörg Klotz hätte auch Opfer dieses Meu-chelmörders im Staatsdienst werden kön-nen. Er überlebte den feigen Mordan-schlag schwer verwundet.

Auf mysteriöse Weise starb am 9.Oktober 1964 der 25-jährige FRIEDRICHRAINER aus Riffian. Laut offiziellenMitteilungen der italienischen Behördensoll Rainer beim Versuch, das italienischeBeinhaus auf der Malser Heide zusprengen, sich während des Scharf-machens der Sprengladung versehentlichin die Luft gesprengt haben. Die Identi-tät des bis zur Unkenntlichkeit zerrisse-nen Leichnams konnte nur durch einenin der Nähe gefundenen, völlig unver-sehrten Personalausweis festgestellt wer-den.

Bald tauchten die ersten Wider-sprüche auf: Warum war der Personal-ausweis völlig unversehrt, während derKörper des Opfers völlig zerrissen wur-de? Laut der ermittelnden Behörden ge-schah das Unglück am 8. Oktober. EinBauer aus der Umgebung hörte aberbereits am Tag vorher, am 7. Oktober,eine laute Detonation. Am selben Tag,kurz nach der vernommenen Detonati-on, wurde von zwei Personen beobach-tet, wie Carabinieri und Soldaten, dieoffensichtlich im Hinterhalt gelegen wa-ren, einen jungen Mann stellten undwegbrachten.

Friedrich Rainer hatte sich kurze Zeitvorher bei Mitgliedern des BAS in Nord-tirol Sprengstoff besorgt und plante mitHilfe eines anderen Südtirolers wirklich,das faschistische Beinhaus zu sprengen.Da Rainer aber den Verdacht bekam, dasssein Südtiroler Bekannter ein Mitarbeiterder italienischen Polizei sein könnte,wollte er den Anschlag alleine, aberimmer noch zum selben Zeitpunkt durch-führen. Wurde Rainer das Opfer diesesSpitzels, der ihn an die italienischenBehörden verraten hatte? Wurde Fried-rich Rainer verhaftet, verhört und zu Todegefoltert? Wollten die Verantwortlichendurch den vorgetäuschten Unfall dieBeweise ihres Verbrechens zerstören?

Bis heute herrscht über den Vorfalltotale Unklarheit und die betroffenen ita-lienischen Behörden haben bis heute

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327

nicht dazu beigetragen, die Unklarheitenund Widersprüche aufzuklären.

Im Alter von 51 Jahren stirbt am7. Dezember 1964 SEPP KERSCHBAUMERim Gefängnis von Verona. Seit den Ver-hören und Misshandlungen im Juli 1961war sein Gesundheitszustand schlecht.Sepp Kerschbaumer war der dritte poli-tische Häftling, der seit der Feuernachtim Jahre 1961 im Gefängnis starb. AlleMithäftlinge von Sepp Kerschbaumer be-stätigten, dass Sepp Kerschbaumer seitseiner Verhaftung von der großen psy-chischen Last geradezu erdrückt wurde.

Genauso ungeklärt und mysteriös wieder Tod von Friedrich Rainer ist der Tod

von HELMUT IMMERVOLL. Helmut Im-mervoll war Sprengstoffexperte und starbam 16. Juli 1965 bei einer Sprengstoff-explosion in einer Bozner Wohnung, diedem verhafteten BAS-Mitglied MartinKoch gehörte. Sofort nach dem Vorfallwurde die Frau des Wohnungsbesitzers,Gretl Koch, verhaftet. Gretl Koch hattemit Hilfe von Midl von Sölder und ande-ren sofort nach der großen Verhaftungs-welle, welche der Feuernacht folgte, ei-nen Hilfsdienst für die Häftlinge undderen Angehörige organisiert.

Auch in diesem Fall lautete die offizi-elle Version, Immervoll hätte sich beimScharfmachen einer Ladung versehentlich

Das Begräbnis von Richard Kofler

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328

in die Luft gesprengt. Aber in BAS-Krei-sen wurde sofort der Verdacht laut, dassHelmut Immervoll Opfer einer Geheim-dienstfalle geworden war.

ANTON REINSTADLER aus Suldenwurde 1964 mit der Andergassen-Grup-pe verhaftet. Nach einem Jahr Untersu-chungshaft ist er freigelassen wordenund das Verfahren gegen ihn wurde ein-gestellt. Beim 2. Mailänder Sprengstoff-prozess im Frühjahr 1966 besuchte erseine Freunde an einem Verhandlungs-tag. Bei der Heimfahrt hatte er zwischenMailand und Brescia auf der Autobahneinen Autounfall und wurde dort insKrankenhaus eingeliefert. Zwei Tage spä-ter starb er an den Folgen des Unfalles.

Am späten Abend des 24. Septem-ber 1966 wurde der 18-jährige PETERWIELAND aus Niederolang auf demHeimweg von der Gesangsprobe auf ei-ner Wiese von einer Alpini-Streife kurzer-hand niedergeschossen. Wieland lagzwei Stunden schwer verletzt auf derWiese und musste langsam ausbluten.Als man ihn dann ins Krankenhaus vonBruneck brachte, war es bereits zu spät:Peter Wieland verstarb 30 Minuten nachseiner Einlieferung.

Die erste polizeiliche Mitteilung zumVorfall war völlig verdreht und daraufausgelegt, die Schuld von der Alpini-Streife wegzuschieben. Sie lautete: Ein18-jähriger Südtiroler hat bei dem Ver-such, sich einer Polizeikontrolle im Ge-

biet des Olanger Kraftwerkes zu entzie-hen, durch einen Sturz (!) schwere Kopf-verletzungen erlitten, denen er kurze Zeitdarauf im Krankenhaus Bruneck erlag.Diese Lügengeschichte wurde aber baldaufgedeckt. Es gab einen Zeugen für denVorfall, der, wie der diensthabende Arztim Krankenhaus Bruneck, durch seineAussagen die Behörden dazu zwang,nach und nach mit der Wahrheit überden Vorfall herauszurücken.

Am 4. Jänner 1976 starb im Nordti-roler Exil, von den jahrelangen Entbeh-rungen des Freiheitskampfes schwer ge-zeichnet, JÖRG KLOTZ. Nur mehr alsToter konnte er seine über alles geliebteHeimat betreten.

Auch im Exil musste RICHARD KOF-LER aus Sigmundskron sterben. Laut Be-richten seiner Freunde ist Richard Koflerregelrecht am übermäßigen Heimwehgestorben.

Wenn man bei dieser Aufzählung derTodesopfer von Seiten sprechen kann, sowaren dies die Toten auf der SüdtirolerSeite. Auch auf der italienischen Seitegab es Todesopfer, gab es Mütter, Väter,Ehefrauen und Kinder, die um ihre Lieb-sten weinten. Dies darf man nicht ver-gessen und verschweigen. Es warenmeist junge Soldaten, Carabinieri u.a.,die fern ihrer Heimat ihren Dienst leistenmussten. Wie so oft in der Geschichtewaren sie nur unbedeutende Figuren aufdem Schachbrett der großen Politik.

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Seit 1966 findet alljährlich in St. Pauls am 8. Dezember dieSepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier statt, bei der auch aller totenFreiheitskämpfer gedacht wird, welche ihr Leben für die Freiheitder Heimat hingegeben haben. Diese Veranstaltung ist längst zueiner Landesfeier angewachsen. 1999 hielt der NordtirolerLandeshauptmann Wendelin Weingarntner die Gedenkrede.

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Genau wie man sie nicht vergessen darf,darf man nicht vergessen, dass sie imGrunde Opfer der schlechten und verlo-genen Politik ihres eigenen Staates ge-worden sind. Denn in diesem ungleichenKampf hatte bis zuletzt der italienischeStaat die «Wahl der Mittel». Um soschrecklicher erscheint dieser Umstand,wenn immer wieder der Verdacht erhär-tet wird, dass einige der gefallenen ita-lienischen Sicherheitskräfte sogar Opferdes eigenen italienischen Geheimdiensteswaren (siehe dazu Parlamentsberichtüber Geheimdienstuntriebe von SenatorMarco Beato).

Hier darf man nicht drei Namen, dreiTote unerwähnt lassen. Sie stehen indi-rekt mit den Geschehnissen in den 60erJahren in Verbindung. Die Anschläge injenen Jahren sind nicht die einzigen undnicht die letzten in Südtirol, genauso sinddie Toten in diesen Jahren nicht die letz-ten.

Im Februar 1983 starb HERMANNKARNUTSCH. Er wurde unter dem Ver-dacht, das Beinhaus in Burgeis gesprengtzu haben, verhaftet. Die Carabinierifanden bei einer Hausdurchsuchung einhalbes Kilo Schwarzpulver. HermannKarnutsch behauptete immer, ihm sei dasSchwarzpulver von Unbekannten im Hausversteckt worden. Bei den Verhören inder Carabinieri-Kaserne von Meran sollKarnutsch schwerste Misshandlungenerlitten haben. Nach 2 Monaten Unter-

suchungshaft im Gefängnis von Meranmusste er plötzlich ins Krankenhaus vonMeran eingeliefert werden; dort verstarber nach einem Noteingriff. Waren das dieFolgen der erlittenen Misshandlungen?

Am 24. Mai 1984 starben bei einergewaltigen Detonation in Lana der 52-jährige WALTER GRUBER und der 27-jäh-rige PETER PARIS aus Ulten. Walter Gru-ber war Hauptmann der Schützenkom-panie Lana und Peter Paris Bataillonskom-mandant in Ulten. Beide waren auchMitglieder des Südtiroler Heimatbundes.Walter Gruber war Mitglied des BAS,wurde nach der Feuernacht verhaftet,von den Carabinieri misshandelt undmehrere Jahre eingesperrt.

Wird es für immer ein Geheimnis blei-ben, warum die beiden Männer sterbenmussten? Sprengten sie sich beim Zusam-menbau einer Bombe selbst in die Luftoder wurden sie selbst Opfer eines fei-gen Attentates.

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UND NOCH KEIN ENDE?

Als 1969 die SVP bei ihrer Landesver-sammlung das Paket als Lösung des Süd-tirol-Problems angenommen hat, ver-stummt der Widerstand. Ganz Südtirolhofft auf eine gute und friedliche Lösungund Entwicklung.

Es beginnt eine Zeit des Auf- undAusbaus. Südtirol erlebt in vielerlei Hin-sicht einen rasanten Aufschwung undtrotzdem ist der Frieden im Lande nie soperfekt wie er eigentlich sein sollte. Seit1969 ereignen sich in Südtirol fast 50Sprengstoffanschläge und Feuerüberfälle.

Es beginnt damit, dass Mitte der 70erJahre, nachdem die Paketverhandlungenins Stocken geraten sind und eher einRückschritt als ein Fortschritt in SachenAutonomie zu verzeichnen ist, einigeSüdtiroler wieder dazu übergehen, de-monstrative Anschläge gegen faschisti-sche Denkmäler durchzuführen.

Bei einem missglückten Anschlag aufdas Siegesdenkmal in Bozen, am 6. April1979, wird der aus Göflan stammendeErwin Astfäller verhaftet und im Laufeder Ermittlungen auch sein Bruder An-dreas und sein Vater Oswald. Im selbenJahr kommt es dann zu weiteren An-schlägen, bei denen fast abwechselnd«deutsche» und «italienische» Objektegesprengt werden.

Höhepunkt dieser Anschläge sind dieAnschläge am 4.12.1979 auf verschiede-ne Seilbahnen in ganz Südtirol. In einerNacht werden mit fast militärischer Per-fektion fünf Seilbahnen beschädigt. DerWintertourismus soll in einem seiner Le-bensnerven getroffen werden. Die Ge-nauigkeit und der Umfang dieser An-schläge lassen bereits erahnen, dass gutorganisierte Kräfte die Hände mit im Spielhaben.

Parallel dazu entwickelt sich im Lan-de eine Selbstbestimmungsbewegung,die mit friedlichen und legalen Mittelnihr Ziel erreichen will. Der Südtiroler Hei-matbund – zuerst nur die Vereinigungder ehemaligen politischen Häftlinge –tritt offen in die Tagespolitik ein und

wirbt für sein Ziel: die Selbstbestimmung.Auch andere Organisationen und Ver-

bände widmen sich der entstandenenSelbstbestimmungsdiskussion. Aufmerk-same Beobachter warnen bereits zu Be-ginn dieser Entwicklung vor undurchsich-tigen Personen, die plötzlich in volks-tumspolitschen Kreisen auftreten undihre Dienste und Hilfe anbieten.

In den 80er Jahren spitzt sich die Lageweiter zu und es kommt immer zu neu-en Anschlägen. Die Bevölkerung verur-teilt diese Anschläge und auch die volks-

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tumspolitischen Organisationen und Ver-bände schließen sich ihr an.

Im Mai 1984 explodiert in Lana eineWerkstadt. Bei der Explosion findenWalter Gruber – Schützenhauptmann ausLana – und Peter Paris – Bataillonskoman-dant aus Ulten – den Tod. Was ist ge-schehen? Bis heute gibt es darüber nurGerüchte. Dabei taucht aber immer wie-der ein und dasselbe Gerücht auf: deritalienische Geheimdienst hat die volks-tumspolitische Szene infiltriert und so ver-sucht die größer werdende Selbstbestim-mungsbewegung zu stören und zu zer-stören.

Verschiedene Journalisten deckenimmer wieder brisante Tatsachen auf undstellen deutliche Verbindungen zwischenden Anschlägen und dunklen, Südtirolkeinesfalls freundlich gesinnten Kräftenher. Das Land erlebt, vor allem vorWahlen, sich wiederholende Anschlag-serien, Hausdurchsuchungen, Verhaftun-gen und Fehlgriffe der italienischen Ju-stiz.

Im Februar 1987 werden Dieter San-drini und Franz Frick verhaftet und ver-schiedener Anschläge beschuldigt. In ei-nem fragwürdigen Indizienprozess wer-den sie verurteilt. Vor allem für die natio-nalistisch eingefärbte Presse sind die Be-schuldigten willkommene Prügelknaben,denn die Verbindungen zu volkstumspo-litischen Kreisen und sogar zu ehemali-gen Freiheitskämpfern in Österreich und

Deutschland scheint schnell hergestellt.Unterlassen wird dabei immer, auf

gewisse sich wiederholende Merkwürdig-keiten hinzuweisen oder diesen gar zufolgen. Die Täter werden immer dort ge-sucht, wo man sie haben will. Die Hin-weise aus Verwicklung der italienischenGeheimdienste in dieser Strategie derSpannung werden ignoriert oder als Hirn-gespinste hingestellt.

Als schließlich bekannt wird, dass hin-ter den Anschlägen der Terrorgruppe«Ein Tirol» vorwiegend vorbestrafte Ge-legenheitsverbrecher stecken, wird dieSache noch deutlicher. Jemand bedientsich dieser skrupellosen Elemente undeines der Wirklichkeit leider entfremde-ten, ehemaligen Südtiroler Freiheitskämp-fers, Karl Ausserer, um einer sich immerwieder und – trotz allem – neu formie-renden friedlichen Selbstbestimmungsbe-wegung den Boden unter den Füßenwegzureissen.

Ein Höhepunkt in dieser Entwicklungstellt die von vielen als Verschleppungangesehene Verhaftung von Karola Un-terkircher im August 1994 am Timmels-joch dar. Karola Unterkircher wird vorGericht gestellt und wegen verschiedenerDelikte verurteilt. Trotz ihres angeschla-genen Gesundheitszustandes und Gna-dengesuch der Heimatgemeinde Terfensin Tirol mit ungefähr 1000 Unterschrif-ten und der persönlichen Unterstützungvon Landeshauptmann Wendelin Wein-

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gartner und Luis Durnwaldner sitzt sieimmer noch im Frauengefängnis vonOpera bei Mailand ein.

Fast grotesk erscheint die Tatsache,dass in Italien selbst in den letzten Jah-ren verschiedene Umtriebe der verschie-denen staatlichen Geheimdienste festge-stellt und aufgedeckt werden. ZahlreicheVerantwortliche werden zur Rechenschaftgezogen oder wenigsten bekannt ge-geben.

Nur in Südtirol wird diese Tatsachenicht anerkannt. Warum? Es gibt dazu

nur eine logische Antwort: die italieni-schen Geheimdienste haben im direktenoder indirekten Auftrag immer wiederverhindert, dass sich in Südtirol eine fried-liche Selbstbestimmungsbewegung freientwickeln konnte. Diese Entwicklungkonnte nur durch illegale, dunkle Me-thoden verhindert werden. Und dies istsicher kein Ruhmesblatt für die italieni-sche Demokratie.

Erwähnenswert erscheint an dieserStelle auch ein Beispiel, wie sich die ita-lienische Justiz selbst in den Jahren der

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«Entspannung» oft zu unverständlichenund dreisten Vorgehen hinreissen ließ.

Am 4. November 1986 demonstrier-ten in Wien 16 Südtiroler aus verschie-denen politischen Gruppierungen imRahmen der dort stattfindenden KSZE–Konferenz friedlich für die Anwendungdes Selbstbestimmungsrechtes in Südti-rol. Ein Jahr später, am 3. August 1987,wurden alle Teilnehmer an der Demonst-ration in Wien, Eva Klotz, Pius Leitner,Eduard Stoll, Hans Mair, Hans Stieler,Stefan Gutweniger, Christian Waldner,Reinhard Geiser, Alois Oberhammer, Wer-

ner Micheli, Sepp Michaeler, Alfred Ober-hofer, Sepp Huber, Andreas Oberleiter,Rudi Lang, Paul Pichler und Luis Reiterer,da er das Memorandum verfaßt hatte,zuerst verhaftet, dann unter Hausarrestgestellt und unter Berufung eines aus derZeit des Faschismus stammenden Geset-zes wegen «... staatsfeindlicher Tätigkeitim Ausland…» unter Anklage gestellt.Das Vorgehen der italienischen Justizwurde überall mit Bestürzung und Pro-test aufgenommen, man sah sich in diedunkelste Zeit der jüngeren SüdtirolerGeschichte versetzt.

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DAS BUCH UND DIE WAHRHEIT DES PROF. ROLF STEININGER

Es sind Zeichen der Zeit, wenn manimmer wieder feststellen kann, dass esMenschen gibt, die glauben, nur ihreMeinung sei die richtige. Sie verfallendem Irrtum, niemand könne ihren Wis-sensstand erreichen. Oft verkennen sieden Wert der Erfahrung und des selbstErlebten. Genau so überschätzen sie dieWichtigkeit von Archiven und Dokumen-ten, können diese doch auch oft falschinterpretiert werden, gefälscht sein usw.Aus Archiven kann man Informationenherausholen, aber man kann darin ge-nauso Informationen verschwinden las-sen.

In seinem umfangreichen Werk hatProf. Steininger aus Westfalen – Dozentan der Universität Innsbruck – Behaup-tungen aufgestellt, die nicht unwider-sprochen bleiben dürfen.

Sepp Mitterhofer sieht sich im Na-men seiner Mitstreiter und der selbsterlebten Geschichte verpflichtet, einigedieser Aussagen zu widerlegen.

«Das Buch «Südtirol zwischen Diplo-matie und Terror» von Prof. Rolf Steinin-ger hat in Südtirol für beachtlichen Wir-bel gesorgt. Genau genommen eigent-lich zwei Aussagen von Steininger, wel-che er bei der Podiumsdiskussion in Kur-

tatsch im Oktober 1999 gemacht hat,denn gelesen haben dieses umfangrei-che und teure Werk nur wenige. Steinin-ger behauptet nämlich erstens, dass dieAnschläge der sechziger Jahre kontrapro-duktiv waren und zweitens, dass alles,was nach der Feuernacht geschehen ist,kriminell war und von Terroristen durch-geführt wurde.

Er versucht, die Gruppe um Kersch-baumer als Idealisten und die Braven hin-zustellen und die späteren Freiheitskämp-fer als die bösen Buben, eben als Terro-risten.

Bevor ich auf seine Aussagen antwor-te, komme ich nicht umhin, zuerst aufdie Person Steiningers einzugehen. Er istWestfale, lebt erst seit 16 Jahren in Inns-bruck, versteht unsere Tiroler Mentalitätnicht und hat die Ereignisse und Repres-salien der Italiener uns Südtirolern ge-genüber nicht miterlebt. Er beurteilt dieEreignisse von damals rein von den Do-kumenten und Protokollen her und daentsteht unweigerlich oft ein einseitigesBild und führt oft zu falschen Schlüssen.Außerdem habe ich aufgrund meiner Re-cherchen den Eindruck gewonnen, dassSteininger so von sich eingenommen ist,dass er keine andere Meinung geltenlässt.

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Ein gravierender Fehler eines Histori-kers ist sicher auch, dass er kaum Zeit-zeugen befragt hat. Meines Wissens hater außer Pepi Fontana, den er nicht be-fragt hat, sondern nur seine Meinungaufdrängen wollte, nur Siegfried Steger,einen der Pusterer Buabn, kontaktiert.Dieser hat mir erzählt, dass sie am Tele-fon eine viertel Stunde lang gestritten ha-ben. Er ist ihn auf so arrogante Weiseangefahren, dass er ihn zutiefst beleidigthat und damit war eine weitere Ausspra-che unmöglich.

In Kurtatsch bei der Podiumsdiskussi-on habe ich, immer auf seine Aussagehin, dass die Anschläge kontraproduktivwaren, gesagt, dass AltlandeshauptmannMagnago schon 1976 bei der Landesver-sammlung der Südtiroler Volkspartei

(SVP) in Meran erklärt hat, dass die An-schläge wesentlich dazu beigetragenhaben, dass das zweite Autonomiestatutzustande gekommen ist. Landeshaupt-mann Durnwalder hat im November1996 bei einer Einladung der politischenHäftlinge auf Schloß Tirol erklärt, dassdurch unseren Einsatz in den 60er Jah-ren die heutige Autonomie zustande ge-kommen ist.

Landeshauptmann Wendelin Wein-gartner hat im Juni 1997 beim zweitenKameradschaftstreffen in Innsbruck ge-sagt, dass Südtirol den hier anwesendenFreiheitskämpfern die heutige Autonomieund den Wohlstand zu verdanken hat.Darauf hatte Prof. Steininger die Frech-heit, zu antworten: «Magnago, Durnwal-der und Weingartner verstehen nichts

Die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion in Kurtatsch. Diskussionsleiterin, Vetreter der JG, Dr. Karl Zeller,Dr. Josef Fontana, Botschafter a.D. Ludwig Steiner, Prof. Rolf Steininger, Dr. Joachim Dalsass, Franz Widmann,Günther Pallaver ein weiterer Vertreter der JG, sprachen sich einstimmig dagegen aus, dass die Anschlägeder 60er Jahre kontraproduktiv waren.

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von der Tiroler Geschichte.» Einschrän-kend sagte er dann, bei Magnago ist ersich nicht ganz sicher.

Ich bin der Meinung, dass dieserMann nicht die richtigen Eigenschaftenbesitzt, um über ein so heikles Kapitel inSüdtirol ein Buch zu schreiben oder nichtin der Lage ist, bestimmte Ereignisseobjektiv zu beurteilen. Das Buch ist übri-gens voller Fehler hier nur einige Beispie-le, es ist ein Zeichen, dass Steiningeroberflächlich recherchiert hat; z. B. stehtim Band 2 auf Seite 502, dass JörgPircher Schützenmajor von Burgstall (einDorf in der Nähe Merans) war. In Wirk-lichkeit war er damals Bezirksmajor vomBurggrafenamt. Weiters steht auf dersel-ben Seite, dass er 1960 Stellvertreter desSchützenkommandanten von Südtirolwar. Diese Funktion hat er erst viel spä-ter, nach der Heimkehr aus dem Gefäng-nis, anfangs der 70er Jahre, bekleidet.

Dem geflüchteten Siegfried Stegerhat Steininger (Band 3, Seite 592) inNordtirol einen Autounfall mit nachfol-gendem Führerscheinentzug angelastet,der nie stattgefunden hat. Im Band 3 aufSeite 177 schreibt Steininger, dass 1969kurz nach Genehmigung des Pakets aufder Landesversammlung der SVP demMeraner Josef Innerhofer sämtlicherGrundbesitz zur Tilgung von Prozessko-sten versteigert wurde. Innerhofer istnicht Meraner, sondern aus Schenna,hatte damals keinen Grundbesitz und

somit konnte dieser auch nicht verstei-gert werden. Als Innerhofer bei der Po-diumsdiskussion in Schlanders anfangsDezember 1999 Prof. Steininger auf die-sen Fehler aufmerksam machte, antwor-tete dieser lapidar: «So was kann schonmal vorkommen, dafür wird schon dasübrige alles stimmen.»

Einem fähigen Historiker darf so et-was nicht passieren, das ist ein Zeichenvon Oberflächlichkeit. Ich habe mit meh-reren Persönlichkeiten über dieses Buchgesprochen, darunter auch Landeshaupt-mann Weingartner. Sie haben überein-stimmend erklärt, dass sie das Werk alsoberflächlich empfinden. Es ist zwar einumfangreiches Werk, das sicher viel Ar-beit und Mühe gekostet hat, aber des-halb darf es nicht an Genauigkeit fehlen.

Über Bischof Gargitter hat Steiningerwenig Lobenswertes geschrieben, u. a.dass ihn die Südtiroler als «walschenSeppl» bezeichnet haben. Der ehemaligeGeneralvikar Josef Michaeler hat dannam 21. Oktober 1999 in den Dolomiteneinen Artikel veröffentlicht und den Bi-schof verteidigt. Er schreibt, dass Gargit-ter den Weg der Diplomatie gegangensei, er habe den italienischen Staat we-gen der verweigerten Rechte und der Fol-terungen an Südtiroler Häftlingen oft kri-tisiert und habe versucht, Bischof für alledrei Volksgruppen zu sein.

Michaeler kritisiert dann Steininger,weil er wenig Positives über Gargitter ge-

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schrieben hat, obwohl es für ihn nichtschwer gewesen wäre, sich darüber zuerkundigen, wenn ihm an einem objek-tiven Urteil gelegen gewesen wäre.

Wir politischen Häftlinge und dasmöchte ich mit aller Klarheit betonen,genossen bei Bischof Gargitter nicht vielSympathien. Im Hirtenbrief von August1961 bezeichnete er uns als Handlangerdes Kommunismus, obwohl wir alle reli-giöse Menschen waren. Das hat uns tiefgetroffen und sehr verärgert, besondersKerschbaumer. Als ein Häftling (der nichtgenannt werden will) nach seiner Heim-kehr aus dem Gefängnis Gargitter dies-bezüglich zur Rede stellte, antwortete er

barsch: «Wenn ein Bischof in der Öffent-lichkeit einmal etwas gesagt hat, kann eres nicht mehr zurücknehmen(!!)»

Mit Anton Gostner, der an den Fol-gen der Folterungen im Gefängnis ge-storben ist, hat Gargitter dieselbe Schulebesucht, ja sogar dieselbe Schulbankgedrückt. Er hat mir das selbst erzählt,wir waren nämlich in derselben Zelle, erist praktisch in meinen Armen gestorben.Bei der Beerdigung von Gostner 1962 inSt. Andrä bei Brixen, hat sich aber seinehemaliger Schulkamerad Bischof Gargit-ter nicht blicken lassen.

Einem, durch ein Attentat getötetenFinanzer aber, hat er seine letzte Ehre

Der damalige Bischof Gargitterbesucht einen italienischen

Finanzsoldaten, der währendseines Dienstes in Südtirol

verwundet wurde. Zweifelsohnewar das Verhalten

des Bischofs parteiischund eindeutig staatstreu.

Während er immer wiederitalienische Politiker empfing,

empfand er kein Verständnis fürdie Anliegen der Aktivisten und

ihrer Angehörigen.Von dieser Zeit rührt der in der

Bevölkerung weit verbreiteteÜbername des Bischofs

«Walscher Sepp».

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durch einen Besuch erwiesen, ebensoeinem verwundeten Soldaten im Brunek-ker Krankenhaus.

Ein Beispiel von mehreren, das ausder Sicht der Häftlinge nicht daraufschließen lässt, dass Bischof Gargitter alledrei Volksgruppen in Südtirol gleich be-handelte!

Nun aber zur Aussage Steiningers,dass die Anschläge kontraproduktiv wa-ren. Er behauptet, dass Italien nicht vorden Bomben Angst hatte, sondern vorder Internationalisierung des Südtirol-Pro-blems.

Dass die Feuernacht und die nachfol-genden Anschläge, trotz der vielen Ver-haftungen in Südtirol, die italienischenPolitiker gleichgültig gelassen haben,scheint mir nicht der Fall gewesen zusein. Im Band 2 Seite 555 schreibtSteininger, «dass beim Treffen der SVP-Parlamentarier Tinzl und Mitterdorfer mitScelba, dieser seine Verbitterung zumAusdruck gebracht hat, dass die Anschlä-ge weiter gingen und die Polizei wegenihres Vorgehens in Südtirol angegriffenwurde.» Außerdem kostete der Freiheits-kampf der Südtiroler den italienischenStaat eine Unmenge Geld. Bald nach derFeuernacht schickte der Staat 15.000 Sol-daten, Carabinieri und Polizisten nachSüdtirol, um öffentliche Einrichtungenwie Kasernen, Denkmäler, Elektrizitäts-werke, Brücken u. a. zu bewachen. Spä-ter kamen noch einige tausend dazu, um

einige Dutzend Idealisten, welche ihnenschwer zu schaffen machten, zu jagen.Die Feuernacht und die folgenden An-schläge haben außerdem dem chronischschwer verschuldeten italienischen Staatauch einen enormen Schaden zugefügt.

Steininger ist diesbezüglich andererAnsicht. Im Band 2 Seite 560 steht unteranderem, dass der italienische Außenmi-nister Segni bei der Konferenz in Zürich1961 seinem österreichischen Amtskolle-gen Kreisky deutlich gesagt hat: «MitGewalt werde gar nichts erreicht!» Wei-ters schreibt er dort, dass Scelba trotzdes Widerstands einiger Regierungsmit-glieder die 19er Kommission durchge-setzt hatte. Also nicht wegen der Feu-ernacht, sondern trotz der Feuernacht.Ja glaubt denn Steininger wirklich, einitalienischer Politiker hätte damals öffent-lich zugegeben, dass sie unter dem Druckder Anschläge die 19er Kommission ein-gesetzt hätten? Da kennt er sie wirklichschlecht, ist ja auch kein Wunder, er hatmit ihnen wohl nie etwas zu tun gehabt.Deswegen stimmt eine allein aufgrundvon Dokumenten basierende Beurteilungauch nicht immer und dann ist es oftnoch eine Auslegungssache; z. B. imBand 2 Seite 559 steht Folgendes:

In der Eröffnungsrede der 19er Kom-mission, am 1. September 1961, in Bo-zen, hat Innenminister Scelba Formulie-rungen gebraucht, in der der JournalistKlaus Gatterer das Recht der Südtiroler

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auf Unterstützung durch Österreich her-ausgehört hat und deshalb eher positivbewertet hat. Steininger hingegen hateher das Gegenteil aus dieser Rede her-ausgelesen und dementsprechend bewer-tet. So kann man Dokumente eben ver-schieden auslegen, je nach dem, aus wel-chem Blickwinkel man sie betrachtet.

Dazu kommt noch die Tatsache, dassPolitiker inhaltlich verschiedene Aussagenmachen, je nach dem, in welcher Situa-tion und vor welchem Publikum sie sichbefinden, z. B. steht im Band 2 Seite 553,dass am 27. Juli 1961 Magnago in Zü-rich bei einem privaten Gespräch zu Krei-sky gesagt hat, dass die Anschläge Süd-tirol wirtschaftlich und politisch schwergeschadet hätten. Die Verurteilungen derAttentate durch die SVP hätte die Atten-täter moralisch isoliert, dies hätte auchdie italienische Regierung anerkannt. ImBand 2 Seite 595 hingegen steht Folgen-des:

Im Oktober 1961 hat Magnago inSarnthein bei einer Versammlung gesagt:«Ich erinnere euch noch einmal daran,dass wir die Attentate nicht gutheißen,aber ich bitte euch, jene nicht zu verges-sen, die sie durchgeführt haben und dieheute im Gefängnis sitzen. Nichtsdesto-weniger möchte ich erklären, dass ihrOpfer nicht umsonst gewesen ist, dassdie ganze Welt durch die Presse erfahrenhat, dass es in Südtirol wirklich ein Pro-blem gibt, das entsprechend unserer Vor-

stellungen gelöst werden muss. Es wardiese Propaganda, die uns größer ge-macht hat und die uns mehr Mut gege-ben hat, auf dem Weg der vollen Auto-nomie für die Provinz Bozen weiterzuge-hen.»

Aus diesem Beispiel ersieht man, wiePolitiker je nach Bedarf inhaltlich oft ver-schiedene Aussagen machen. Der India-ner würde sagen: der weiße Mannspricht mit gespaltener Zunge. Kreisky z.B. hat die Attentate öffentlich auch im-mer verurteilt und von Terrorismus ge-sprochen. Aus dem Amplatz-Testamentwissen wir aber, dass Kreisky den An-schlägen wohlwollend gegenüberstand.Zu Kerschbaumer hat er bezüglich derAnschläge einen weisen Satz gesagt,nämlich: «Ich sage nicht tut’s etwas, ichsage auch nicht tut’s nix, ihr wißt schonselber was ihr zu tun habt.» Dies ausmündlicher Überlieferung von Kerschbau-mer.

Magnago hat ja auch von den An-schlägen profitiert, trotzdem hat er sieöffentlich immer verurteilt. Es leben heu-te noch Zeugen, die dies bestätigen kön-nen, leider haben sie nicht den Mut dazu,weil sie vor der mächtigen SVP Angsthaben.

Zur Aussage Steiningers, dass Italienvor der Internationalisierung des Südti-rol-Problems Angst hatte, ist Folgendeszu sagen: Nach der Feuernacht wurde inganz Europa über Südtirol berichtet, al-

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lerdings nicht immer positiv. Aber jedervernünftige Bürger versteht, dass Gewalt-akte nicht aus Zeitvertreib oder Aben-teuerlust durchgeführt werden, sondern,dass im Verhältnis vom Staat zur ange-stammten Bevölkerung etwas nichtstimmt. Gewaltakte in diesem Ausmaßsind immer ein Aufschrei, ein Hilferuf derunterdrückten Bevölkerung.

Als dann nach der Massenverhaftungdie Folterungen bekannt wurden, hatwieder die ganze Presse in Europa dar-über berichtet und die Sympathie hat sichzugunsten der Südtiroler gewendet undItalien wurde angeklagt. Als dann imAugust 1963 der Prozess gegen die Fol-terknechte in Trient über die Bühne ging,die meisten Angeklagten freigesprochenwurden und einige Tage später dann vomCarabinierigeneral De Lorenzo ausge-zeichnet und befördert wurden, hat dieinternationale Presse wieder empört dar-über berichtet.

Der erste große Mailänder Spreng-stoffprozess mit 69 inhaftierten Ange-klagten, hat vom 09. Dezember 1963 biszum 15. Juli 1964 gedauert. In dieserZeit war viel nationale und internationalePresse im Gerichtssaal anwesend. Bedingtdurch die Aussagen vieler Zeugen, dar-unter auch namhafte Politiker wie Ma-gnago, Brugger, Dietl, Volgger, ErichAmonn u. a. und durch die Plädoyersder Rechtsanwälte, ist das Südtirol-Pro-blem in allen Einzelheiten aufgezeigt und

natürlich in ganz Europa darüber ge-schrieben worden. Sogar in Italien selbsthat das viel zu einem Umdenken in die-ser Angelegenheit beigetragen.

Damit haben die Anschläge einenwesentlichen Beitrag zur Internationali-sierung des Südtirol-Problems geleistetund damit Druck auf die italienischeRegierung ausgeübt, um in dieser Sacheeinzulenken.

Prof. Steininger schreibt selbst, umein endgültiges Urteil über die Wirkungder Attentate abgeben zu können, müs-sten noch die letzten Archive in Rom frei-gegeben werden. Also ist er sich überseine Beurteilung in dieser Angelegen-heit doch nicht so sicher, wie er vorgibt.

Bei der Podiumsdiskussion in Kur-tatsch im Oktober 1999 und auch späterin den Dolomiten hat Steininger folgen-de Aussage gemacht: Das Lob für dieHäftlinge von Magnago, Durnwalder undWeingartner, dass die Anschläge denWeg für die heutige Autonomie geebnethaben, hat auch viel mit schlechtem Ge-wissen zu tun. Vielleicht hat Steiningermit dieser Aussage gar nicht so unrecht,wenn man bedenkt, dass uns HäftlingeMagnago schon 1963 die politischenIdioten genannt hat. Später hat er unsHeimatbündler, weil wir das Selbst-bestimmungsrecht vertreten haben, ve-hement bekämpft und die Utopisten,Hirngespinstler, Spinner, politische Grün-linge usw. genannt. Bei jeder nur mögli-

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chen Gelegenheit hat die SVP die An-schläge verurteilt und nur selten dieBegründung mitgeliefert, warum dieseAktionen stattfanden und das war unse-rer Meinung (politische Häftlinge) nachein gravierender Fehler. Sie hätten dar-aus viel politisches Kapital schlagen kön-nen, aber es fehlte ihnen augenschein-lich der Mut dazu.

Durnwalder hat allen Grund, unse-ren Einsatz von damals hervorzuhebenund zu danken. Er profitiert am meistenvon den Anschlägen und der damit ver-bundenen heutigen Autonomie. Er kanndie Milliarden verteilen und kann sich da-durch die Stimmen sichern und damitseine Macht und die der SVP ausbauen.

Um die Loyalität der Südtiroler zu er-halten, schickt Rom die vielen Milliardennach Südtirol und die SVP läßt sich dazuals verlängerter Arm missbrauchen.

Schlimmer aber ist, dass Durnwalderund mit ihm die SVP heute eine Volks-tumspolitik in Südtirol betreiben, die dasGegenteil von dem bewirkt, für das wirdamals den Kopf hingehalten haben.Nämlich für die Selbstbestimmung unddie Wiedervereinigung Tirols, zu dessenZweck die SVP eigentlich gegründetwurde, um letztendlich das Land vor derÜberfremdung und Italienisierung zu ret-ten.

Wenn eine deutsche Partei (SVP) her-geht und den Willen äußert, Italiener inihre Reihen aufzunehmen, deren italieni-

sche Regierungen uns jahrzehntelang umunsere Rechte betrogen und vorher re-gelrecht tyrannisiert haben, dann ist dasein Zeichen von starkem Identitätsverlust.Dieselbe Partei hat heuer (1999) das harterkämpfte zweite Autonomiestatut eineritalienischen Mehrheit im Regionalrat zurReform preisgegeben, mit dem großenRisiko, dass im italienischen Parlamentoder im Senat lebenswichtige Abstrichevom Statut gemacht werden. Und dasalles nur, um die eigene Machtpositionin Südtirol auszubauen und zu stärken.Das ist nicht mehr Volksvertretung, son-dern Vertretung von Parteiinteressen.Weiters will die SVP auf Vorschlag vonDurnwalder rund 500 faschistische Orts-namen, welche Tolomei erfunden oderübersetzt hat, anerkennen. Das ist Ver-gewaltigung des höchsten Kulturguteseines Volkes! Kürzlich hat Durnwaldervorgeschlagen, eigene Ehrenzeichen inSüdtirol einführen zu wollen. Das istneben der Universität in Bozen und demFlugplatz ein weiteres Zeichen, dass dieSVP die Trennung der beiden Landesteileanerkennen und festigen will.

Wenn man die Dinge aus dieser Sichtbetrachtet, dürfte das späte Lob von Ma-gnago und Durnwalder tatsächlich etwasmit schlechtem Gewissen zu tun haben!

Nun aber zur zweiten Aussage vonSteininger, nämlich, dass alles, was nachder Feuernacht passierte, kriminell warund von Terroristen ausgeführt wurde.

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Zunächst muss ich anführen, dassauch nach der Feuernacht mehrere Süd-tiroler Gruppen im Sinne Kerschbaumersgehandelt haben, z. B. Luis Amplatz undGeorg Klotz, die Gruppe um Prof. Gün-ther Andergassen, die Gruppe um RosaKlotz, um Franz Ebner aus Mühlen, danndie legendären Pusterer Buaben um Sieg-fried Steger und Sepp Forer und Endeder 70er Jahre die Familie Astfäller ausGöflan, die durch ihren späten Einsatzmeist vergessen wird.

Alle haben sie aus Liebe zur Heimat,welche damals volkstumspolitisch undsozial wirklich schwer bedroht war, ge-handelt und ihr Leben und die Freiheitdafür aufs Spiel gesetzt, z. B. der wohlbekannteste und aktivste Freiheitskämp-fer aus Innsbruck, Kurt Welser, der alsVerbindungsmann fungierte und unsunter ständiger Lebensgefahr mit Spreng-stoff und Waffen versorgte. Dann dievielen Studenten von der Uni in Inns-bruck, welche freiwillig mit dem gleichenRisiko nach Südtirol gefahren sind, umuns zu helfen. Dass beim einen undanderen oder deren Auftraggebern imHinterkopf noch ein anderer Grund mit-gespielt hat, mag sein, aber für uns wareinfach die Tatsache wichtig, dass dieAnschläge weitergingen. Wir, die wiruntätig im Gefängnis sitzen mussten,hatten jedesmal eine Freude, wenn eskrachte. Der italienische Staat sollte se-hen, dass sie nicht alle verhaftet hatten,

dass auch welche nachkamen und wei-terkämpften. Italien sollte einfach erken-nen, dass unsere Geduld am Ende warund sie mit uns Tirolern nicht jahrzehn-telang tun und lassen konnten, was siewollten. Es war uns selbstverständlichbewusst, dass wir gegen das Gesetz ver-stoßen haben, aber in Südtirol herrschtedamals der volkstumspolititsche und so-ziale Notstand und es brauchte einfachMänner, die bereit waren, Familie, Frei-heit und das Leben für diese unsere be-drohte Heimat aufs Spiel zu setzen.

Dass ein Freiheitskampf kein Honig-schlecken ist, dürfte wohl bekannt sein.Und, dass bei einem solchen Kampf dieSpirale der Gewalt gegenseitig hochge-dreht wird, ist zwar bedauerlich, aberleider eine Tatsache. Sogar Sepp Kersch-baumer hat im Gefängnis erkannt, dassseine These, nur Sachschaden anzurich-ten, in einem Freiheitskampf auf dieDauer nicht haltbar ist.

Die Tragik liegt meines Erachtensganz wo anders, nämlich, dass es in ei-nem demokratischen Staat überhauptsoweit kommen muss, damit man sichGehör verschaffen kann. Sepp Kersch-baumer hatte bei seinem Verhör in Mai-land den Mut, den italienischen Staatanzuklagen; er sagte: «Wenn uns Italiendie verbrieften Rechte gegeben hätte, dieuns zustehen, dann wäre die ganze Tra-gödie nicht passiert und wir wären da-heim bei unseren Familien.»

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Auf der ganzen Welt gab es damalsund gibt es heute noch Unruheherde undGewalt wird überall dort angewendet,wo ein Volk oder eine Volksgruppe un-terdrückt und ausgebeutet wird. Es bleibtleider oft nur mehr der Weg der Gewaltübrig, weil die jeweiligen Regierungennicht imstande sind oder meistens garnicht willens sind, die unterdrücktenVölker und Volksgruppen menschen-rechtswürdig zu behandeln. Wer ist dannhier letztendlich der Verbrecher und Ter-rorist? Die Antwort überlasse ich demLeser selbst.

Ich bin der Auffassung, dass Prof.Steininger kein Recht hat, alle Gruppen,welche nach der Feuernacht operierthaben, als Kriminelle hinzustellen. Erweiß selbst genau, dass der italienischeGeheimdienst in den 60er Jahren brutaleAnschläge verübt hat, um den Freiheits-kampf ins schlechte Licht zu bringen,damit wir den Rückhalt in der Bevölke-rung verlieren würden. Auf der Porze-scharte sind 1967 durch einen Anschlagvier Finanzer ums Leben gekommen. InItalien wurden deswegen Prof. Hartung,Peter Kienesberger und Egon Kufner zulebenslanger Haft verurteilt. In Österreichsind dieselben Personen wegen demsel-ben Delikt freigesprochen worden, weilsie nachweisen konnten, dass sie sich zurTatzeit nicht am Tatort aufgehalten ha-ben. In St. Martin in Gsies wurde einFinanzer erschossen und den Pusterer

Buaben in die Schuhe geschoben. Sie be-kamen dafür lebenslänglich. Recherchenhaben ergeben, dass diesem Vorfall einStreit zwischen Kameraden vorausgegan-gen ist und der eine den anderen er-schossen hat. Im Gsieser Talbuch ist diesgenau beschrieben, würde dies nicht derWahrheit entsprechen, so wäre der Ver-fasser schon längst wegen Verleumdungangeklagt worden.

Auf der Steinalm hat 1966 auch eineExplosion stattgefunden, bei der drei Fi-nanzer umgekommen sind. Verantwort-lich gemacht worden sind Jörg Klotz,Richard Kofler u.a., obwohl sie die Stein-alm nie betreten hatten. Heute weißman, dass es ein Sabotageakt war, wiedie Presse schon damals gemunkelt hat.

Der berühmteste Fall war sicher derMeuchelmord von Christian Kerbler anLuis Amplatz und dem schwer verwun-deten Georg Klotz. Oder die Repressali-en in Tesselberg, wo die Carabinieri indie Häuser hineingeschossen, ein behin-dertes Mädchen trafen und stundenlangin ihrem Blute liegen ließen, Einrichtun-gen zerschlugen, Wertgegenstände mit-nahmen, Schupfen anzündeten, Frauen,Kinder und Männer auf einer Wiese zu-sammentrieben und die Männer dannzwangen, mit den Händen auf dem Rük-ken und auf dem Bauch liegend, stun-denlang auszuharren und schließlich die-se wie eine Herde Vieh zu Tal getriebenhaben.

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Erst vor einigen Jahren ist aufgekom-men, dass 15 unschuldige Tesselbergerhätten erschossen werden sollen. Nurdem mutigen Offizier OberstleutnantGiudici ist es zu verdanken, dass sie nochleben, weil dieser den Befehl verweigerthat. Das sind nur einige der schwerwie-genden Vorfälle, die aufgekommen sind,welche aber sicher dazu beigetragenhaben, dass sich die Gangart der Frei-heitskämpfer verschärft hat. Oder ganzam Anfang bei der Verhaftungswelle dieschweren Misshandlungen an wehrlosenMenschen mit zwei Todesfolgen, dannSepp Locher und Hubert Sprenger, wel-che am 19. Juni ohne jegliche Vorwar-nung erschossen worden sind. Das sindnur die markantesten Beispiele, es gäbenoch genug ähnliche Fälle. Und das allesangeordnet und durchgeführt von einemStaat, der uns ohnehin schon jahrzehn-telang unserer Rechte beraubt hat.

Ich frage noch einmal, wer hat hierdie Verbrechen begangen? Eine Instituti-on, die für Ordnung und Frieden sorgensollte und vor der man normalerweiseRespekt haben müsste oder jene, welchesich aus Verzweiflung gegen jahrzehnte-lange Unterdrückung und solche Greuel-taten zur Wehr gesetzt haben? Werwundert sich da noch, dass die verblie-benen Freiheitskämpfer auch zu härterenMitteln gegriffen haben. Nur wer diesalles miterlebt hat, kann sich ein richti-ges Bild von den damaligen Verhältnis-

sen machen und sich hineinfühlen. Werwill oder darf sich da wohl das Rechtherausnehmen, diese Menschen zu ver-urteilen? Ich zitiere hier nur ein Bibelwort,das mir als Antwort gerechtfertigt er-scheint: «Wer von euch ohne Sünde ist,der werfe den ersten Stein auf sie!» Aufkeinen Fall scheint mir jedenfalls Steinin-ger der richtige Mann dafür zu sein!

Im Band 2 Seite 560 schreibt Steinin-ger, dass Friedl Volgger in seinen Erinne-rungen Folgendes geschrieben hat:«Sepp Kerschbaumer, der 1964 im Ge-fängnis starb und seine Kameraden, ha-ben einen wesentlichen Beitrag zur Errei-chung einer neuen Autonomie geleistet.»Ähnlich äußerte sich noch im Juni 1997Tirols Landeshauptmann Wendelin Wein-gartner. Zwei Fragen stellen sich indiesem Zusammenhang:1.) Warum sind diese Stellungnahmen so

spät gekommen und2.) treffen sie tatsächlich den Sachver-

halt?«Zum ersten ist zu sagen, dass die

Attentate nach wie vor, insbesondere inNord- und Südtirol, ein besonderes sensi-bles Thema sind. Das hängt zum einenmit der damaligen Haltung der offiziellenPolitik gegenüber diesen Attentätern zu-sammen und zum anderen mit dem Leidjener Leute. Sie sind misshandelt und ge-foltert worden, sie saßen jahrelang imGefängnis. Großartige Hilfe ist ihnennicht zuteil geworden. Politiker und Be-

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völkerung lehnten ihre Aktionen zu-nächst ab; die Stimmung schlug erst um,als die Berichte über die Folterungen undMisshandlungen bekannt wurden. Aberauch dann kam von der Politik wenigHilfe. Insofern haben die späten Äuße-rungen auch viel mit schlechtem Gewis-sen zu tun.» Soweit das Zitat von Steinin-ger.

Dazu ist Folgendes zu sagen: DerGroßteil der Bevölkerung lehnte zunächstdie Anschläge ab, weil die wenigstenwussten, wer sie durchgeführt hatte. Wirhatten die Untergrundorganisation BASja geheim aufgebaut und der Kreis, derdavon wusste, war verhältnismäßig klein.Außerdem haben weder die Südtirolernoch die Italiener geglaubt, dass wir zuso etwas imstande wären, denn Anschlä-ge in so massiver Form hatte es in Süd-tirol noch nie gegeben. Es kursierten diewildesten Gerüchte und Spekulationen.Als dann die Verhaftungswelle zutagebrachte, wer die «Attentäter» waren,schlug die Stimmung um. Wir waren al-les gewöhnliche Bürger aus dem Volkheraus, arbeitsame Leute mit Familienund ohne Vorstrafen. Zusätzlich kamendann noch die brutalen Misshandlungen,welche uns gegenüber die Sympathie derBevölkerung noch erhöhte.

«Aber auch dann kam von der Politikwenig Hilfe.» Das stimmt tatsächlich. DieFührung der Südtiroler Volkspartei (SVP)hat uns damals politisch im Stich gelas-

sen. Ja sie hatten nicht einmal den Mutund die Größe, uns im Gefängnis zubesuchen, obwohl wir gerade nach denFolterungen diese moralische Unterstüt-zung notwendig gebraucht hätten. Le-diglich Ing. Karl Voja hat uns nach demProzess in Trient öfters besucht. EinigeVertreter der SVP haben allerdings unse-re Familien eine zeitlang betreut und fi-nanziell unterstützt; das muss der Wahr-heit halber gesagt werden.

Nachdem das Allensbacher Institut imAuftrag von Fritz Molden (BAS Mitglied)1960 eine Umfrage in Südtirol gestartethatte, mit dem Ergebnis, dass 82% derSüdtiroler die Rückkehr nach Österreichbefürworten und 26% den Freiheits-kampf unterstützen würden, hofften wir,dass der Druck auf die SVP so großwürde, dass sie auf unsere Forderungnach Selbstbestimmung einschwenkenwürden. Das war leider ein Trugschluss.

Einerseits war das Südtiroler Volk aufsolch massive Anschläge nicht vorberei-tet, also zuwenig eingebunden worden,was ja auch sehr schwierig gewesen wäreund andererseits saß der Schock über diegroße Verhaftungswelle und die Folterun-gen sehr tief. Sie hatten es mit der Angstzu tun bekommen.

Den Politikern dürfte es so ähnlichergangen sein, allerdings hat bei denmeisten auch der Wille zu so einemschwierigen Weg gefehlt. Sie sind denWeg des geringen Widerstandes gegan-

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gen, den Weg der Autonomie. Man kannuns heute den Vorwurf machen, dass wirdamals beim Prozess in Mailand erklärthaben, dass wir die Anschläge gemachthaben, um die Weltöffentlichkeit auf dasUnrecht in Südtirol aufmerksam zu ma-chen, aber für die Autonomie und nichtfür die Selbstbestimmung. Das war einVorschlag der Rechtsanwälte, sie sagten,sonst werden wir laut Artikel 241 (An-schlag auf die Einheit des Staates), derlebenslänglich vorsah, verurteilt und daswäre für uns und unsere Familien eineenorme Belastung gewesen. Es war füruns keine leichte Entscheidung. Eine Aus-sprache unter uns Häftlingen hat dannergeben, dass wir uns, um die Tragödienicht noch zu vergrößern, für die Auto-nomie entschieden hätten. Dafür beka-men wir den Artikel 283 (Anschlag aufdie Verfassung) aufgebrummt, der unsimmerhin auch noch 5 Jahre und 4Monate einbrachte.

Der verstorbene Senator Peter Brug-ger hat 1980 zu uns gesagt: «Der Unter-schied zwischen euch Häftlingen und denVertretern der SVP ist der, ihr ward be-reit, für die Heimat ins Gefängnis zugehen, von denen aber ist kein einzigerauch nur einen Tag dazu bereit!» UnserZiel, für das wir uns in den 60er Jahreneingesetzt haben, war die Wiedervereini-gung Tirols, war das Freiwerden von derFremdbesetzung durch Italien. Aus die-ser Sicht, das müssen wir uns eingeste-

hen, waren unser Einsatz und die Opferunserer Familien umsonst. Schuld daranist meines Erachtens einmal die großeVerhaftungswelle; ca. zwei Drittel deraktiven BAS-Mitglieder wurden dadurchzur Untätigkeit gezwungen und dermoralische Schaden für das restliche Drit-tel und die ganze Bevölkerung warenorm. Dann hatten die Politiker in Süd-tirol und Österreich bewusst oder un-bewusst versagt und uns politisch imStich gelassen, weil sie unsere Forderungnach Selbstbestimmung nicht mitgetra-gen haben. Dann dürfte auch die schwie-rige nationale und internationale politi-sche Situation ihren Teil dazu beigetra-gen haben. Was herausgekommen ist, istnur eine Teillösung, eine brauchbareÜbergangslösung.

Wir politischen Häftlinge haben unsschon 1969 bei der Abstimmung überdas Paket im Meraner Kursaal dagegenausgesprochen, weil wir der Meinungwaren, dass halbe Lösungen immer ge-fährlich sind. Der italienische Staat hatnämlich längst erkannt, dass er mit Ge-walt (Faschistenzeit) die Südtiroler nichtin die Knie zwingen kann, mit Milliardenaber problemlos. Die Gefahr droht heuteweniger vom italienischen Staat, sondernvielmehr von uns selbst. Wenn wir nichtmehr bereit sind, unsere Sprache, Orts-namen, Sitten und Bräuche tagtäglich zuverteidigen, dann ist das ein untrüglichesZeichen von Identitätsverlust. Wir haben

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schon viele Gewohnheiten unserer politi-schen Gegner angenommen, wir merkendas schon gar nicht mehr. Wenn z. B.eine rein deutsche Partei den Willen äu-ßert, Italiener in ihre Reihen aufzuneh-men, deren Regierungen uns jahrzehnte-lang um unsere verbrieften Rechte be-trogen haben, dann muss man wohl vonfortschreitender Assimilierung sprechen.Von den ständig zunehmenden Misch-ehen spricht kein Mensch mehr, das istschon Selbstverständlichkeit. Das nagtstark an der Tiroler Volkssubstanz und istein untrügliches Zeichen, dass wir mittenim Verelsässerungsprozess stehen. Nurwill das niemand wahrhaben, weil es uns«zu gut» geht. Ein altes Sprichwort lau-tet: «Kein Volk ist in der Armut zugrun-de gegangen, immer nur im Wohlstand.»

Wenn wir als Tiroler überleben wollen,müssen wir uns wieder mehr nach demNorden orientieren. Wir müssen unsereBindung zu unseren Brüdern nördlich desBrenners wieder besser ausbauen undstärken und nicht mit eigenen Infrastruk-turen, wie Universität, Flugplatz, eigenenEhrenzeichen usw. die Trennung vertie-fen.

WIR MÜSSEN EINEN WEG FINDENUND DIE SÜDTIROLER SOLLEN SELBERDARÜBER ENTSCHEIDEN KÖNNEN, DERDIE DREI LANDESTEILE NORD-, OST- UNDSÜDTIROL AUF FREIDLICHEM WEG ZUEINER EUROPÄISCHEN REGION TIROLZUSAMMENFÜHRT, DIE ES DANN AUCHUNSEREN NACHKOMMEN ERMÖGLICHT,ALS TIROLER WEITERLEBEN ZU KÖN-NEN!

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Die Südtiroler politischen Häftlingehaben sich gegen die Annahme des Pa-ketes ausgesprochen.

Dieses Schreiben mit dem klaren Neinzum Paket und den 80 Unterschriften derpolitischen Häftlinge, sind vor der Lan-

desversammlung der SVP am 22. Novem-ber 1969 im Meraner Kursaal an derEingangstür an die Delegierten verteiltworden und haben sicher zu dieser ho-hen prozentualen (48%) Ablehnung desPaketes mit beigetragen.

Lieber Landsmann!

Der 22. November dieses Jahres wird sicherlich als ein Meilenstein in die Geschichteunseres Tiroler Volkes eingehen. Ob er als «Sternstunde» oder als schwärzester Tageeingehen wird, liegt zum Großteil an der Entscheidung, die DU fällen wirst. Du sollstja über die Annahme oder Ablehnung des sogenannten Paketes entscheiden.

Wir ehemaligen Südtiroler politischen Häftlinge möchten Dich in diesem Rundschrei-ben beschwören, zum Paket eine klares NEIN zu sagen.

Folgenden Überlegungen sollen Dir helfen, die noch bestehenden Zweifel zu besei-tigen und Dir diese schwere Entscheidung zu erleichtern:

1.) Bedeutet die Annahme des Paketes das «Los von Trient»?Nein, denn die Region bleibt und wir bleiben somit immer den Wünschen unddem Willen der Trientner ausgeliefert.

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2.) Durch die Annahme des Paketes werden die Italiener in die Lage versetzt, in alleWelt hinauszuposaunen, daß das Südtiroler Volk mit diesem bescheidenen «Al-mosen», d.i. das Paket, zufrieden ist. Für die Italiener wird ein Ja ein neuer«Perassi-Brief» sein, der noch schwerwiegender sein wird, weil er ja von einemGroßteil der Südtiroler Bevölkerung unterzeichnet wurde. Durch die Annahmedes Paketes verzichten wir auf alle Forderungen, welche seit 1956 und seitSigmundskron gestellt und im Paket nicht berücksichtigt wurden.

3.) Durch die Annahme des Paketes wird die Südtiroler Frage, die heute bereitswesentlich internationalisiert ist, wieder in eine rein inneritalienische Angelegen-heit umgeformt. Alle Anstrengungen und Mühen, die seit dem Jahre 1960unternommen worden waren, sind dann wieder zunichte.

4.) Bedenke, daß Du diesmal unter Zeitdruck entscheiden sollst, man will Dichüberfahren und Du sollst in Unkenntnis dieses komplizierten Machwerkes – dasPaket – eine Entscheidung fällen.

5.) Wir fragen Dich: Warum wehrt sich Italien so hartnäckig gegen eine wirklicheinternationale Verankerung? Der sogenannte «Operationskalender» ist ja keinewirksame internationale Absicherung. Man merkt ja förmlich den schlechtenWillen Italiens gegenüber uns Südtirolern, deshalb will Italien nicht die Interna-tionalisierung der Südtiroler Frage.

6.) Die Zu- bzw. Unterwanderung hört durch die Annahme des Paketes nicht auf,ja sie kann eines Tages sogar noch gefördert werden, da wir nach der Annahmedes Paketes keinen internationalen Rechtsschutz mehr genießen.

7.) Warum haben die Italiener plötzlich solche Eile das Paket unter Dach und Fachzu bringen? Am 1. März 1970 finden in Österreich die Nationalratswahlen statt,die auch über die künftige österreichische Regierung entscheiden werden. Italienist sich nicht sicher, daß nach dem 1 März 1970 in Österreich wieder eine solchewillfährige Regierung an der Macht sein wird, die ohne Widerstand einem sol-chen faulen Kompromiß zustimmen wird.

8.) Kannst Du, lieber Landsmann, diese schwere Verantwortung vor Deinem Gewis-sen und Deinem Volk übernehmen? Wir glauben sicherlich nicht, denn wirzweifeln nicht an Deiner guten, aufrechten Tiroler Gesinnung, deshalb gibt esam 22. November 1969 nur ein klares NEIN zu diesem faulen Kompromiß!

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Wenn Du Dir Folgendes merkst, lieber Landsmann, dann wird Dir die Entscheidungbestimmt leichter fallen:

DAS PAKET BEDEUTET FÜR DAS SÜDTIROLER VOLKSTUM VERZICHT UND FÜR ITALIENDIE ERREICHUNG SEINES 50JÄHRIGEN TRAUMES:DIE ENDGÜLTIGE ANERKENNUNG BESTÄTIGUNG DER BRENNERGRENZE!!

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EIN LETZTES WORT UND DANK

Dieses Buch wäre nie entstandenohne den selbstlosen Beistand zahlreicherHelfer und Freunde, die uns und unsereBitten nie abgewiesen haben. Allen vor-an möchten wir dabei Dr. Otto Scrinzifür seine wohlwollende Hilfe danken.Genauso gilt unser Dank dem Landesratfür Kultur, Herrn Dr. Bruno Hosp, fürseinen Beistand.

Besonders danken möchten wir aberauch all jenen, die durch ihren persönli-chen Beitrag das Entstehen dieses Bu-ches ermöglicht haben: Hans Stieler ausBozen, Luis Steinegger und Luis Gutmannaus Tramin, Helmut Kritzinger aus Inns-bruck, Johanna Clementi aus Montan,

Maria Mitterhofer aus Obermais, Midlvon Sölder aus Eppan, Rosa Klotz undFranz Amplatz aus Bozen, Siegfried Ste-ger aus Telfs, Dr. Erhard Hartung ausInnsbruck. Danken möchten wir auchunseren Mitarbeitern Verena Obwegsund Peter Mitterhofer für ihre Mithilfe,die sich nicht nur auf das Schreiben undKorrigieren beschränkt hat und ohne diedieses Buch nicht so leicht zustande ge-kommen wäre.

Ein großer Dank gilt zuletzt auchRoland Lang und seiner Frau Heidi, inderen Heim wir für unsere Arbeiten im-mer herzlich aufgenommen und bewir-tet wurden.

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BENÜTZTE LITERATUR UND QUELLEN

CHRONIK SÜDTIROL – L. Stocker Verlag

SCHÄNDUNG DER MENSCHENWÜRDE IN SÜDTIROL – Buchdienst Südtirol

DER JÖRG – Verlag K. W. Schütz

FEUERNACHT – Edition Raetia

ES STAND NICHT GUT UM SÜDTIROL – Edition Raetia

BOMBEN AUS ZWEITER HAND – Edition Raetia

SÜDTIROL CHRONIK – Athesia

SÜDTIROL ZWISCHEN DIPLOMATIE UND TERROR – Athesia

SÜDTIROL WOHIN? – Druffel Verlag

SÜDTIROL ERLEBT ERLITTEN – R. H. Drechsler

GEORG KLOTZ – R. H. Drechsler

STORIA DEL TERRORISMO IN ALTO ADIGE – Manfrini

Weiters wurden zahlreiche Informationen aus verschiedenen privaten Archiven be-nutzt, wie z. B. das von Günther Obwegs seit Jahren angelegte Informationen-, Bild-und Dokumentenarchiv über den Südtiroler Widerstand in den 60er Jahren

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SEITE BILDQUELLE21 ............................... Privat23 ............................... Privat26 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia29 ............................... Dolomiten – Bildarchiv30 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia31 oben ...................... Dolomiten - Bildarchiv31 unten .................... Dolomiten - Bildarchiv35 ............................... Privat36 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag38 oben und unten .... H. Veneri - Bozen39 ............................... H. Veneri - Bozen40 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia41 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia42 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag43 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag44 ............................... Die Bunte Illustrierte47 ............................... Die Bunte Illustrierte48 ............................... Dolomiten – Bildarchiv52 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag59 ............................... Privat60 oben ...................... Privat60 unten .................... Privat61 oben ...................... Die Feuernacht - Edition Raetia61 unten .................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag62 ............................... Der Tiroler - Nürnberg65 ............................... Privat67 ............................... Der Tiroler - Nürnberg69 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag70 oben ...................... Privat70 unten .................... Privat71 oben ...................... Privat71 unten .................... Privat73 klein ...................... Privat73 groß ...................... Die Feuernacht - Edition Raetia76 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia77 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia79 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag80 ............................... Der Tiroler - Nürnberg91 ............................... Privat99 ............................... Privat100 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag

BILDVERZEICHNIS

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101 ............................. Die Bunte Illustrierte111 ............................. Privat123 ............................. Privat125 ............................. Privat127 ............................. Privat129 ............................. Privat133 ............................. Privat135 ............................. Privat136 ............................. Privat137 ............................. Privat138 ............................. Privat140 ............................. Feuernacht - Edition Raetia143 ............................. Privat144 ............................. Privat145 ............................. Privat147 ............................. Privat151 ............................. Privat153 ............................. Privat159 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag160 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag161 ............................. Privat162 ............................. Privat167 ............................. Privat171 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia174 ............................. Privat179 ............................. Privat181 rechts oben ......... Die Feuernacht - Edition Raetia181 links unten .......... Die Feuernacht - Edition Raetia187 ............................. Quick Nr. 32, 2. August 1967192 ............................. Privat195 ............................. Privat196 ............................. Privat200 ............................. Archiv Pfaundler203 ............................. Der Tiroler - Nürnberg205 ............................. Feuernacht - FF Wochenillustrierte206 ............................. Privat207 ............................. „... grüß mir die Heimat ...“ - P.P. Rainer220 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia223 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia225 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia226 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia229 ............................. Der Tiroler - Nürnberg237 ............................. Privat238 ............................. Der Tiroler - Nürnberg241 ............................. Privat

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244-245 ...................... Der Tiroler - Privat248 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag250 ............................. Archiv Obwegs251 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia253 ............................. Institut für Zeitgeschichte - Universität Innsbruck254 ............................. Institut für Zeitgeschichte - Universität Innsbruck257 ............................. Privat264 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag273 ............................. Der Tiroler - Nürnberg278 ............................. Der Tiroler - Nürnberg279 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag283 ............................. Der Tiroler - Nürnberg286 ............................. Der Tiroler - Nürnberg301 ............................. Privat327 ............................. Privat329 ............................. Privat333 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag340 ............................. Dolomiten – Bildarchiv342 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia

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ISBN 88-8300-008-0

SEPP MITTERHOFER, 1932 in Merangeboren, von Beruf Landwirt. Verheiratetund Vater von 4 Kindern. Mit 15 Jahrenist er nach dem Zweiten Weltkrieg derMusikkapelle Obermais beigetreten undwar 40 Jahre aktives Mitglied. Er istMitbegründer und Ehrenmitglied derSchützenkompanie Obermais. Ebensowar er 18 Jahre im Aufsichtsrat der Obst-genossenschaft Meran tätig, sowie 2Perioden im Bezirksausschuss des Bera-tungsringes für Obst- und Weinbau desBurggrafenamtes. In den 50er Jahrenhat er sich zum Widerstand gegen dieItalienisierung Südtirols durch den italie-nischen Staat entschlossen und ist des-halb Anfang 1958 dem BAS beigetreten.Er hat sich aktiv bei den Anschlägenbeteiligt, ist bei der großen Verhaftungs-welle schwer misshandelt und eingesperrtworden.

Beim ersten Mailänder Sprengstoff-prozess ist er zu 12 Jahren Gefängnisverurteilt worden, bei der Berufung 2Jahre Strafverminderung, 2 Jahre Sraf-nachlass und die restlichen 7 Jahre und11 Monate hat er abgesessen. Er istMitbegründer des Südtiroler Heimatbun-des (SHB) 1974, seitdem im Bundesaus-schuss tätig, 2 Jahre Bezirksobmann desBurggrafenamtes, 6 Jahre Obmannstell-vertreter und seit 1990 Bundesobmann.

GÜNTHER OBWEGS, 1966 in Brun-eck geboren, von Beruf Beamter. Seitseinem fünfzehnten Lebensjahr ist er inden Reihen des Südtiroler Heimatbundespolitisch tätig.

Er ist begeisterter Bergsteiger undFotograf. Doch seine größte Begeisterunggilt seiner Heimat und dessen Geschichte,das Erforschen, das Aufschreiben undSammeln von Informationen, das Aufbe-wahren für kommende Generationenund das Ankämpfen gegen das allzuleichte Vergessen bedeuten für ihn akti-ven Heimatschutz.

DIE HERAUSGEBER