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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 6 / 2013 (155. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE Studien mit Rivaroxaban Die erste Studie war vor über zwei Jahren die Einstein-Extension-Studie mit Riva- roxaban (Xarelto®). Sie fand, dass eine um 6–12 Monate verlängerte Rezidivprophy- laxe das Risiko für erneute Thromboem- bolien gegenüber Placebo deutlich von 7,1% auf 1,3% reduzierte, bei insgesamt geringem Blutungsrisiko (0,7% vs. 0%). Rivaroxaban erhielt daraufhin die Zulas- sung für die Langzeitprophylaxe und auch für die Akuttherapie, denn hierfür liegt ebenfalls eine Wirksamkeitsstudie vor (Einstein-Studie). Studien mit Apixaban Vor wenigen Monaten wurde die AMPLIFY-EXTENSION-Studie mit Apixaban (Eliquis®) publiziert. In dieser Studie verringerte die um ein Jahr ver- längerte Rückfallprophylaxe das Rezidi- vrisiko von 8,8% unter Placebo auf 1,7%, Venöse Thromboembolie Es lohnt sich heute, länger zu antikoagulieren Bei vielen Patienten mit venöser Thromboembolie macht eine verlängerte Rezidivprophylaxe Sinn, weil der Nutzen die Blutungsrisiken übersteigt. Dies zeigt eine Reihe neuer klinischer Studien mit Rivaroxaban und Apixaban, und jüngst auch die Studien RE-MEDY und RE-SONATE mit Dabigatran. _ Wenn bei venösen Thromboembo- lien eine Ursache identifiziert und besei- tigt wird, kann eine Behandlung mit Antikoagulanzien nach drei Monaten ruhigen Gewissens wieder beendet wer- den. Anders sieht es aus bei spontanen Thromboembolien: Hier ist das Rezidiv- risiko mit im Schnitt etwa 40% inner- halb von fünf Jahren beträchtlich. Des- halb empfehlen Leitlinien in diesen Fäl- len eine längerfristige Antikoagulation. Hierfür standen in der Vergangenheit nur die Vitamin-K-Antagonisten zur Verfügung, die zwar hoch wirksam sind und das Rückfallrisiko um 70–90% redu- zieren. Sie gehen aber auch mit einem Risiko für schwere Blutungen von 1–2% im Jahr einher. Zudem ist die Therapie beschwerlich und mit zahlreichen Nach- teilen verbunden, etwa Therapieüberwa- chung, Dosisanpassung, Interaktionen mit Arznei- oder Nahrungsmitteln. Aus diesen Gründen entscheiden sich viele Ärzte und Patienten dafür, die Rückfallprophylaxe auch nach nicht provozierten Thromboembolien häufig schon relativ bald wieder abzusetzen. Dass dies keine gute Idee ist, zeigt in jüngster Zeit ein ganzer Strauß kli- nischer Studien, die Wirksamkeit und Sicherheit von ASS, Rivaroxaban, Apixa- ban und Dabigatran in der verlängerten Rückfallprophylaxe untersuchten. Dabei war das Untersuchungsprinzip in allen Studien ähnlich: Patienten mit spon- tanen Thromboembolien wurden zu- nächst so lange konventionell mit Anti- koagulanzien zur Rezidivprophylaxe be- handelt, wie der Arzt das im individu- ellen Fall für richtig hielt, in der Regel für 3–18 Monate. Anschließend wurde der Wert einer verlängerten Prophylaxe untersucht. ohne Erhöhung des Blutungsrisikos. In- teressant bei dieser Studie war, dass sich eine geringe Dosierung von 2 x 2,5 mg/d als ebenso wirksam und sicher erwies wie eine höhere von 2 x 5 mg/d. Die Er- gebnisse der AMPLIFY-Studie, die Api- xaban in der Akuttherapie untersucht, liegen derzeit noch nicht vor. Studien mit Dabigatran Im Februar 2013 wurden nun im New England Journal of Medicine auch zwei entsprechende Studien mit Dabigatran (Pradaxa®) publiziert, deren Ergebnisse erstmals bereits auf einem internationa- len Kongress im Sommer 2011 vorge- stellt worden waren. In beiden Studien hatten etwa drei Viertel der Patienten ei- ne tiefe Beinvenenthrombose und ein Drittel eine isolierte oder zusätzliche Lungenembolie. Die Patienten von RE-SONATE waren initial 6–18 Mo- nate, die von RE-MEDY 3–12 Monate lang antikoaguliert worden, bevor die Studienphase begann. In der RE-SONATE-Studie war bei 1353 Patienten die Wirksamkeit einer um sechs Monate verlängerten Throm- boembolie-Prophylaxe mit 2 x 150 mg/d Dabigatran im Vergleich zu Placebo ge- testet worden. Das Rezidivrisiko wurde von 5,6% unter Placebo auf 0,4% unter Dabigatran reduziert, die Blutungsri- siken waren mit 0,3% unter Dabigatran und 0,0% unter Placebo sehr niedrig. Der Dabigatran-Hersteller hat mit der RE-MEDY-Studie noch eine zweite Stu- die durchführen lassen, und zwar bei 2866 Patienten, für die das Risiko eines Thromboembolie-Rezidivs von den Ärzten als erhöht angesehen worden war. Dabigatran wurde deshalb nicht mit Placebo, sondern mit Warfarin direkt verglichen. Die Antikoagulation wurde im Schnitt um 16 Monate verlängert. Das Ergebnis: 1,3% Rezidive unter War- farin vs. 1,8% Rezidive unter Dabigatran, was mit einem p-Wert von 0,01 als „nicht unterlegen“ gewertet wird. Tiefe Beinvenenthrombose: Wie lange muss antikoaguliert werden? © Arteria photography

Es lohnt sich heute, länger zu antikoagulieren

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 6 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–KONGRESSBERICHTE

Studien mit RivaroxabanDie erste Studie war vor über zwei Jahren die Einstein-Extension-Studie mit Riva-roxaban (Xarelto®). Sie fand, dass eine um 6–12 Monate verlängerte Rezidivprophy-laxe das Risiko für erneute Thromboem-bolien gegenüber Placebo deutlich von 7,1% auf 1,3% reduzierte, bei insgesamt geringem Blutungsrisiko (0,7% vs. 0%). Rivaroxaban erhielt daraufhin die Zulas-sung für die Langzeitprophylaxe und auch für die Akuttherapie, denn hierfür liegt ebenfalls eine Wirksamkeitsstudie vor (Einstein-Studie).

Studien mit ApixabanVor wenigen Monaten wurde die AMPLIFY-EXTENSION-Studie mit Apixaban (Eliquis®) publiziert. In dieser Studie verringerte die um ein Jahr ver-längerte Rückfallprophylaxe das Rezidi-vrisiko von 8,8% unter Placebo auf 1,7%,

Venöse Thromboembolie

Es lohnt sich heute, länger zu antikoagulierenBei vielen Patienten mit venöser Thromboembolie macht eine verlängerte Rezidivprophylaxe Sinn, weil der Nutzen die Blutungsrisiken übersteigt. Dies zeigt eine Reihe neuer klinischer Studien mit Rivaroxaban und Apixaban, und jüngst auch die Studien RE-MEDY und RE-SONATE mit Dabigatran.

_ Wenn bei venösen Thromboembo-lien eine Ursache identifiziert und besei-tigt wird, kann eine Behandlung mit Antikoagulanzien nach drei Monaten ruhigen Gewissens wieder beendet wer-den. Anders sieht es aus bei spontanen Thromboembolien: Hier ist das Rezidiv-risiko mit im Schnitt etwa 40% inner-halb von fünf Jahren beträchtlich. Des-halb empfehlen Leitlinien in diesen Fäl-len eine längerfristige Antikoagulation.

Hierfür standen in der Vergangenheit nur die Vitamin-K-Antagonisten zur Verfügung, die zwar hoch wirksam sind und das Rückfallrisiko um 70–90% redu-zieren. Sie gehen aber auch mit einem Risiko für schwere Blutungen von 1–2% im Jahr einher. Zudem ist die Therapie beschwerlich und mit zahlreichen Nach-teilen verbunden, etwa Therapieüberwa-chung, Dosisanpassung, Interaktionen mit Arznei- oder Nahrungsmitteln.

Aus diesen Gründen entscheiden sich viele Ärzte und Patienten dafür, die Rückfallprophylaxe auch nach nicht provozierten Thromboembolien häufig schon relativ bald wieder abzusetzen.

Dass dies keine gute Idee ist, zeigt in jüngster Zeit ein ganzer Strauß kli-nischer Studien, die Wirksamkeit und Sicherheit von ASS, Rivaroxaban, Apixa-ban und Dabigatran in der verlängerten Rückfallprophylaxe untersuchten. Dabei war das Untersuchungsprinzip in allen Studien ähnlich: Patienten mit spon-tanen Thromboembolien wurden zu-nächst so lange konventionell mit Anti-koagulanzien zur Rezidivprophylaxe be-handelt, wie der Arzt das im individu-ellen Fall für richtig hielt, in der Regel für 3–18 Monate. Anschließend wurde der Wert einer verlängerten Prophylaxe untersucht.

ohne Erhöhung des Blutungsrisikos. In-teressant bei dieser Studie war, dass sich eine geringe Dosierung von 2 x 2,5 mg/d als ebenso wirksam und sicher erwies wie eine höhere von 2 x 5 mg/d. Die Er-gebnisse der AMPLIFY-Studie, die Api-xaban in der Akuttherapie untersucht, liegen derzeit noch nicht vor.

Studien mit DabigatranIm Februar 2013 wurden nun im New England Journal of Medicine auch zwei entsprechende Studien mit Dabigatran (Pradaxa®) publiziert, deren Ergebnisse erstmals bereits auf einem internationa-len Kongress im Sommer 2011 vorge-stellt worden waren. In beiden Studien hatten etwa drei Viertel der Patienten ei-ne tiefe Beinvenenthrombose und ein Drittel eine isolierte oder zusätzliche Lungenembolie. Die Patienten von RE-SONATE waren initial 6–18 Mo-nate, die von RE-MEDY 3–12 Monate lang antikoaguliert worden, bevor die Studienphase begann.

In der RE-SONATE-Studie war bei 1353 Patienten die Wirksamkeit einer um sechs Monate verlängerten Throm-boembolie-Prophylaxe mit 2 x 150 mg/d Dabigatran im Vergleich zu Placebo ge-testet worden. Das Rezidivrisiko wurde von 5,6% unter Placebo auf 0,4% unter Dabigatran reduziert, die Blutungsri-siken waren mit 0,3% unter Dabigatran und 0,0% unter Placebo sehr niedrig.

Der Dabigatran-Hersteller hat mit der RE-MEDY-Studie noch eine zweite Stu-die durchführen lassen, und zwar bei 2866 Patienten, für die das Risiko eines Thromboembolie-Rezidivs von den Ärzten als erhöht angesehen worden war. Dabigatran wurde deshalb nicht mit Placebo, sondern mit Warfarin direkt verglichen. Die Antikoagulation wurde im Schnitt um 16 Monate verlängert. Das Ergebnis: 1,3% Rezidive unter War-farin vs. 1,8% Rezidive unter Dabigatran, was mit einem p-Wert von 0,01 als „nicht unterlegen“ gewertet wird.

Tiefe Beinvenenthrombose: Wie lange muss antikoaguliert werden?

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Blutungen traten zu 1,8% unter Warfarin und zu 0,9% unter Dabigatran auf, was einer Halbierung entspricht, aber nicht statistisch signifikant war. Bei gemeinsamer Be-trachtung von schweren und klinisch relevanten Blutungen wurden die Zahlen größer (5,6% unter Dabigatran vs. 10,2% unter Warfarin) und der Unterschied signifikant.

Einen Wermutstropfen mischte die Beobachtung bei, dass unter Dabigatran in RE-MEDY mehr akute Koro-narsyndrome auftraten als in den Kontrollgruppen (13 vs. 3 Patienten, p = 0,02). Auch in der RE-LY-Studie bei Pati-enten mit Vorhofflimmern war dies beobachtet worden, hier allerdings ohne statistische Signifikanz. Die Autoren um S. Schulman, McMaster University in Hamilton, On-tario/Kanada, zitieren auch eine Metaanalyse von sieben Studien, die ein geringfügig erhöhtes Infarktrisiko unter Dabigatran beschreibt. Es sei noch unklar, ob hier ein Zu-sammenhang vorliege.

Studien mit ASSAuch ASS (100 mg/d) ist in der verlängerten Rezidivpro-phylaxe nach Thromboembolie wirksam, wenn Arzt und/oder Patient die Antikoagulation nicht mehr fortsetzen möchten. Eine gemeinsame Auswertung der Studien ASPIRE und WARFASA zeigt, dass ASS das Risiko für Rezidive um etwa ein Drittel reduziert, also deutlich we-niger wirksam ist als Antikoagulanzien. ASS reduziert aber auch das Risiko für arterielle Gefäßkomplikationen um ein Drittel. Das Blutungsrisiko wurde nicht erhöht.

DR. MED. DIRK EINECKE ■

■ Quellen: Schulman S. et al. Extended Use of Dabigatran, Warfarin, or Placebo in Venous Thromboembolism. N Engl J Med 2013; 368: 709–18. Connors J.M. Extended Treatment of Venous Thromboem-bolism. N Engl J Med 2013; 368: 767–69

In einem Editorial zur RE-MEDY-, RE-SONATE- und AMPLIFY-Studie im New England Journal of Medi cine schreibt Jean M. Connors, Brigham and Women’s Hospital in Boston, dass eine verlängerte Rezidivpro-phylaxe nach spontaner Thromboembolie angesichts der hohen Rezidiv rate wahrscheinlich sinnvoll ist und derzeit mit ASS, Vitamin-K-Antagonisten und Rivaro-xaban drei Optionen verfügbar sind. Apixaban und Dabigatran werden vermutlich bald folgen.

Die Editorialistin verweist darauf, dass in der Praxis die Patienten oft älter und damit multimorbider sind als in klinischen Studien. Deshalb sind die Blutungsrisiken höher. Daher favorisiert sie tendenziell Apixaban, weil hier eine niedrige Dosis ebenso wirksam ist wie eine höhere und das Blutungsrisiko nicht erhöht ist, das the-rapeutische Fenster somit am breitesten erscheine. Bei Patienten mit eher niedrigem Rezidivrisiko, die einen gewissen Schutz wünschen, empfiehlt sie ASS.

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