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20.01.14 15:09 Essay: Die dritte industrielle Revolution - International - Politik - Handelsblatt Seite 1 von 6 http://www.handelsblatt.com/politik/international/essay-die-dritte-industrielle-revolution/v_detail_tab_print/4628554.html Quelle: Mart Klein für Handelsblatt Unsere industrielle Zivilisation steht am Scheideweg. Öl und die anderen fossilen Brennstoffe, auf denen unsere Lebensweise beruht, haben ausgedient, die durch sie entstandenen und vorangetriebenen Technologien sind antiquiert. Die auf fossilen Brennstoffen basierende industrielle Infrastruktur ist altersschwach und baufällig. Als Folge davon steigt die Arbeitslosigkeit überall auf der Welt in gefährliche Höhen. Staaten, Firmen und Verbraucher stehen die Schulden bis zum Hals. Eine Milliarde Menschen hungert - fast ein Siebtel der Weltbevölkerung, ein furchtbarer Rekord. Schlimmer noch: Am Horizont droht infolge unserer auf fossile Energien gegründeten Industrien eine Klimakatastrophe mit möglicherweise verheerenden Auswirkungen auf unsere Ökosysteme. Befürchtungen von Klimaforschern und Biologen zufolge steht uns womöglich gegen Ende des Jahrhunderts ein Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten ins Haus, das das Überleben unserer eigenen Spezies infrage stellt. Wie zunehmend klar wird, brauchen wir ein neues ökonomisches Narrativ, das uns in eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft zu führen vermag. Windkrafträder in Norddeutschland. Symbol für saubere Energie. Quelle: dpa Das Zusammentreffen neuer Kommunikationstechnologien mit neuen Energiesystemen haben die wirtschaftlichen Revolutionen bewirkt. Ein neues Energieregime ermöglicht nicht nur komplexere Wirtschaftsbeziehungen und einen erweiterten kommerziellen Austausch, es begünstigt auch dichtere und offenere soziale Beziehungen. Eine parallele Revolution im Kommunikationsbereich ermöglicht es, das neue Energiesystem zeitlich und räumlich zu organisieren. Im 19. Jahrhundert bildeten dampfgetriebene Druckmaschinen das Rückgrat einer ESSAY Die dritte industrielle Revolution Grüne Energie im Zusammenspiel mit großer Mobilität und modernen Speichertechniken verändert die industriell geprägte Wirtschaft massiv. Bestseller-Autor Rifkin stellt seine Thesen auf Facebook zur Debatte. von Jeremy Rifkin 21.09.2011, 12:10 Uhr » Drucken

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Quelle: Mart Klein für Handelsblatt

Unsere industrielle Zivilisation steht am Scheideweg. Öl und die anderenfossilen Brennstoffe, auf denen unsere Lebensweise beruht, habenausgedient, die durch sie entstandenen und vorangetriebenenTechnologien sind antiquiert. Die auf fossilen Brennstoffen basierendeindustrielle Infrastruktur ist altersschwach und baufällig. Als Folge davonsteigt die Arbeitslosigkeit überall auf der Welt in gefährliche Höhen.Staaten, Firmen und Verbraucher stehen die Schulden bis zum Hals.Eine Milliarde Menschen hungert - fast ein Siebtel der Weltbevölkerung,ein furchtbarer Rekord.

Schlimmer noch: Am Horizont droht infolge unserer auf fossile Energien gegründeten Industrien eineKlimakatastrophe mit möglicherweise verheerenden Auswirkungen auf unsere Ökosysteme. Befürchtungenvon Klimaforschern und Biologen zufolge steht uns womöglich gegen Ende des Jahrhunderts einMassenaussterben von Tier- und Pflanzenarten ins Haus, das das Überleben unserer eigenen Spezies infragestellt. Wie zunehmend klar wird, brauchen wir ein neues ökonomisches Narrativ, das uns in eine gerechtereund nachhaltigere Zukunft zu führen vermag.

Windkrafträder in Norddeutschland. Symbol für saubere Energie.Quelle: dpa

Das Zusammentreffen neuer Kommunikationstechnologien mit neuen Energiesystemen haben diewirtschaftlichen Revolutionen bewirkt. Ein neues Energieregime ermöglicht nicht nur komplexereWirtschaftsbeziehungen und einen erweiterten kommerziellen Austausch, es begünstigt auch dichtere undoffenere soziale Beziehungen. Eine parallele Revolution im Kommunikationsbereich ermöglicht es, das neueEnergiesystem zeitlich und räumlich zu organisieren.

Im 19. Jahrhundert bildeten dampfgetriebene Druckmaschinen das Rückgrat einer

ESSAY

Die dritte industrielle RevolutionGrüne Energie im Zusammenspiel mit großer Mobilität und modernen Speichertechniken verändert dieindustriell geprägte Wirtschaft massiv. Bestseller-Autor Rifkin stellt seine Thesen auf Facebook zur Debatte.

von Jeremy Rifkin

21.09.2011, 12:10 Uhr

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Kommunikationsinfrastruktur, die zusammen mit der ebenfalls dampfgetriebenen Eisenbahn erstmalsumfassende Binnenmärkte erschloss. Dieses Zusammenspiel kennzeichnete die erste industrielle Revolution.Im 20. Jahrhundert wurden die elektronischen Kommunikationsmittel - zunächst das Telefon, später Radio undFernsehen - die Medien, die das ölsüchtige Automobilzeitalter und den Massenkonsum der zweitenindustriellen Revolution zusammenhielten.

Wo Europa führtMitte der 1990er-Jahre zeichnete sich eine neue Konvergenz von Kommunikationstechnologie und Energieab. Erneuerbare Energien werden mit dem Internet zur mächtigen neuen Infrastruktur einer dritten industriellenRevolutionen (DIR) fusionieren, und diese wird die ganze Welt verändern. In der neuen Ära werden Hundertevon Millionen Menschen zu Hause, in Büros und Fabriken ihre eigene grüne Energie produzieren und sie ineinem "Energie-Internet" mit anderen teilen, so wie wir heute Informationen schaffen und diese online mitanderen nutzen. Die Demokratisierung der Energie wird zu einer fundamentalen Neuordnungzwischenmenschlicher Beziehungen führen; sie wird sich auf unseren geschäftlichen Umgang ebensoauswirken wie auf die Erziehung unserer Kinder, unser Leben als Staatsbürger und unsere Art zu regieren.

Bereits im Jahr 2000 erhob die Europäische Union den Anspruch, ihre CO2-Bilanz erheblich zu verbessernund zu einer Ära nachhaltiger Wirtschaft überzugehen. Die Europäer setzten sich Ziele und Benchmarks,sorgten für neue Prioritäten in Forschung und Entwicklung und schufen Gesetze, Normen und Verordnungenfür den neuen ökonomischen Weg. In den Vereinigten Staaten fixierte man sich dagegen auf die neuestentechnischen Kinkerlitzchen wie "Killer-Apps" aus dem Silicon Valley, und dem amerikanischen Hausbesitzerwar schier schwindlig vor Freude über einen durch zweitklassige Hypothekenkredite haussierendenImmobilienmarkt.

Kaum ein Amerikaner interessierte sich für die ernüchternden Prognosen über die globalen Ölvorräte, fürWarnungen vor drastischen Klimaveränderungen oder die zunehmenden Hinweise darauf, dass es unsererWirtschaft unter der Oberfläche eben doch nicht so gut ging. Das Land übte sich in Zufriedenheit, jaSelbstgefälligkeit; einmal mehr sahen die Amerikaner sich in dem Glauben bestärkt, ihre Fortüne belege ihreÜberlegenheit über den Rest der Welt.

Die fünf Säulen der dritten industriellen RevolutionSo etwas wie ein Außenseiter im eigenen Land, entschloss ich mich, das alte amerikanische Motto "Go West!"zu missachten und in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen, über den Ozean in die alte Welt, wo man sichernsthaft Gedanken über die Zukunft der Menschheit zu machen schien. Natürlich bin ich nicht so naiv,Europas zahlreiche Probleme, Schwächen und Widersprüche zu übersehen. Aber genauso gut ließe sich überdie Unzulänglichkeiten der USA oder anderer Länder vom Leder ziehen.

2006 begann ich, mit führenden Köpfen des Europaparlaments einen Wirtschaftsplan für eine dritte industrielleRevolution zu entwickeln. Verschiedene Behörden der EU sind nun, wie auch die Mitgliedstaaten, mit derUmsetzung der dritten industriellen Revolution beschäftigt.

Wie bei jeder anderen Kommunikations- und Energieinfrastruktur der Geschichte müssen die einzelnenSäulen dieser dritten industriellen Revolution gleichzeitig gesetzt werden, weil jede nur in Verbindung mit allenanderen tragfähig ist. Die fünf Säulen der dritten industriellen Revolution sind:

der Umstieg auf erneuerbare Energien;die Umwandlung von Gebäuden in Mikrokraftwerke, die die erneuerbaren Energien vor Ort erzeugen;der Einsatz von Energiespeichern in allen Gebäuden sowie an den Knotenpunkten der Infrastruktur zurSpeicherung von unregelmäßig anfallender Energie;die Nutzung der Internettechnologie, um das Stromnetz auf jedem Kontinent in ein Energy-Sharing-Netz(Intergrid) zu verwandeln, über das lokale Überschüsse der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden

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Diskutieren Sie mit Jeremy Rifkin auf FacebookWie sieht die Welt im Jahre 2050 aus? Die erneuerbaren Energien und das Internet sorgen für Millionenneue Arbeitsplätze. Diskutieren Sie mit dem amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin über die "dritteindustrielle Revolution": heute auf Facebook von 14 bis 15 Uhr.

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können und - die Umstellung der Transportflotten auf Steckdosen- und Brennstoffzellenfahrzeuge, die Stromüber ein intelligentes und interaktives kontinentales Stromnetz kaufen und verkaufen können.

Die besten Zitate des BuchesKlimawandel ignoriert

Wir sind Schlafwandler. Trotz der sich häufenden Beweise dafür, dass dieses auf fossilen Brennstoffen aufgebauteIndustriezeitalter im Sterben liegt und die Erde vor einem potenziell destabilisierenden Klimawandel steht, weigert sich dieMenschheit weithin, die Realität ihrer Situation anzuerkennen.

Visionen gehen im Alltag unter

Ich habe dieses Phänomen bei meinem Umgang mit Staatsoberhäuptern immer wieder erlebt. Sie treten ihr Amt mit demFeuer ehrgeiziger Zukunftsvisionen an, um dann beim tagtäglichen Löschen kleiner Feuerchen unterzugehen.

Kein ökonomisches Gesamtkonzept

Wir bekommen eine Sammlung von Pilotprojekten und isolierten Programmen serviert, die nicht genügend miteinander zutun haben , um die Geschichte einer neuen ökonomischen Vision für die Zukunft zu erzählen. Wir stehen mit einer Mengeaussichtsloser Initiativen da, Milliarden von Steuergeldern sind verschleudert, und nichts kommt dabei raus.

Grüne, dezentrale Energienutzung

Im 21. Jahrhundert werden Hunderte von Millionen Menschen ihre eigene grüne Energie erzeugen - in ihren Häusern, inBüros, in Fabriken - und diese mit anderen über intelligente dezentrale Stromnetze - „Internetze“ - teilen, so wie dieMenschen heute ihre eigenen Informationen erstellen und über das Internet mit anderen teilen.

Gefahr des totalen Aussterbens

Die Geschichte ist gespickt mit Beispielen großer Kulturen, die untergegangen [...] sind, von Zukunftsvisionen, die nie dasLicht der Welt erblickt haben. Diesmal jedoch [...] steht mehr auf dem Spiel. Nie zuvor sah sich die Menschheit mit derrealen Möglichkeit ihres totalen Aussterbens konfrontiert; das gibt es erst seit einem halben Jahrhundert.

Gigantismus prägt Wirtschaft und Handel

Während viele Ökonomen und praktisch alle Politiker das ganze letzte Jahrhundert über nicht müde wurden, die Tugendendes Kleinunternehmers zu loben, sah die Entwicklung in der wirklichen Welt von Wirtschaft und Handel ganz anders aus.Das Ölzeitalter ist von Anfang an von Gigantismus und Zentralisierung geprägt.

Zusammenarbeit statt Egoismus

Das kollaborative Wesen der neuen Wirtschaft steht im fundamentalen Widerspruch zur klassischen Wirtschaftslehre, lautder das Eigeninteresse des Individuums auf dem Marktplatz der einzig effektive Weg zu wirtschaftlichem Wachstum sei.

Absage an die Deregulierung

Wir sind [...] als Nation dem Untergang geweiht, wenn wir nicht von der irrigen Auffassung abrücken, die Märkte dienten derGesellschaft am besten, wenn der Staat sie in Ruhe lässt, während wir uns von Branchenverbänden Gesetze diktierenlassen, von denen diese auf Kosten der übrigen Gesellschaft profitieren.

Der Tod rechter und linker Ideologien

Die Ideologien verschwinden. Junge Leute haben heute kaum mehr Interesse daran, die Feinheiten kapitalistischer,sozialistischer oder geopolitischer Theorie zu diskutieren. [...] Diese Generation [...] teilt die Welt eher auf in Menschen undInstitutionen, die hierarchisch, geschlossen und proprietär denken, und solche, die lateral, transparent und offen denken.

Energielobby regiert Washington

Die großen Energieunternehmen können mit Fug und Recht behaupten, Washingtons mächtigste Lobby zu haben: ein Heervon über 600 registrierten Lobbyisten, eine Kraft, so einflussreich, dass sie dem Land, wenigstens bis jetzt, seineenergiepolitischen „Möglichkeiten“ diktieren konnte.

Bruttoinlandskosten statt Bruttoinlandsprodukt

[...] letzten Endes entnimmt jede Zivilisation ihrer Umwelt mehr, als sie je produzieren kann, und lässt die Erdeentsprechend ärmer zurück. So gesehen sollten wir statt von einem Bruttoinlandsprodukt besser von Bruttoinlandskostensprechen, da durch den Verbrauch von Ressourcen immer ein Teil davon künftig nicht mehr verfügbar sein wird.

Beschleunigung kostet Energie

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Wie schwierig es ist, diese fünf Säulen auf jeder Ebene und in jeder Phase der Entwicklung integriertaufeinander abzustimmen, wurde der Europäischen Union im Herbst 2010 vor Augen geführt. In einemdurchgesickerten Dokument der Europäischen Kommission hieß es warnend, die EU müsse zwischen 2010und 2020 eine Billion Euro für die Modernisierung ihres Stromnetzes aufwenden, sollte das den Zuflusserneuerbarer Energie aufnehmen können: "Europa mangelt es nach wie vor an der Infrastruktur, die eserneuerbaren Energien ermöglicht, sich zu entwickeln und auf Augenhöhe mit traditionellen Quellen zukonkurrieren."

Man erwartet, dass die EU bis 2020 ein Drittel ihres Stromes aus grünen Quellen bezieht. Das bedeutet, dassdas Stromnetz digitalisiert und "intelligent" gemacht werden muss, um die unregelmäßig anfallendeerneuerbare Energie Tausender lokaler Erzeuger aufnehmen zu können.

Außerdem ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, so schnell wie möglich Wasserstoff- und andereSpeichertechnologien zu entwickeln und zu installieren. Wenn die unregelmäßige erneuerbare Energie einenAnteil von 15 Prozent übersteigt, geht ansonsten ein Gutteil des Stroms verloren. Ähnlich wichtig ist es, imBau- und Immobiliensektor die Umrüstung von Gebäuden zu Mikrokraftwerken voranzutreiben. Wenn die EUdiese Bedingungen nicht erfüllt, wird sie nicht genügend grünen Strom für die Millionen von Steckdosen- undBrennstoffzellenautos bereitstellen können, die in absehbarer Zeit marktreif sein werden. Wenn auch nur einedieser fünf Säulen hinter der Entwicklung zurückbleibt, ist jede andere blockiert und die Infrastruktur selbstinfrage gestellt.

Das neue ökonomische ParadigmaDer Aufbau eines neuen Energieregimes auf der Basis erneuerbarer Energien, die von Gebäuden produziert,teils als Wasserstoff gespeichert und über intelligente "Internetze" verteilt und mit emissionsfreienSteckdosenfahrzeugen gekoppelt werden, öffnet die Tür zur dritten industriellen Revolution. Das ganzeSystem ist interaktiv, integriert und nahtlos.

Wenn diese fünf Säulen zusammenkommen, bilden sie eine unteilbare technologische Plattform, ein inEntstehung begriffenes System, dessen Eigenschaften und Funktionen sich qualitativ von denen seinerkonstituierenden Teile unterscheiden. Anders gesagt, die Synergien zwischen diesen Säulen sorgen für einneues ökonomisches Paradigma, das die Welt zu ändern vermag.

Die Vision der dritten industriellen Revolution findet auch in Asien, Afrika und Lateinamerika zunehmendenAnklang. Am 24. Mai 2011 stellte ich in einer Grundsatzrede auf der Konferenz zum 50. Jahrestag der OECDin Paris die fünf Säulen der dritten industriellen Revolution vor. Anwesend waren Regierungsvertreter der 34Teilnehmerstaaten. Mein Vortrag flankierte eine Initiative der OECD für grünes Wirtschaftswachstum.

Die dritte industrielle Revolution ist die letzte der großen industriellen Revolutionen. Sie sorgt für dieInfrastruktur des heraufziehenden Zeitalters der Zusammenarbeit. In den vierzig für den Ausbau dieserInfrastruktur veranschlagten Jahren werden Hunderttausende neuer Geschäfte und Hunderte von Millionenneuer Arbeitsplätze entstehen. Ihre Fertigstellung setzt den Schlusspunkt unter eine 200-jährige, von Fleiß,Märkten und Arbeitermassen geprägte Wirtschaftsgeschichte und markiert den Anfang einer neuen Ära derZusammenarbeit, sozialer Netzwerke und kleiner, hochspezialisierter und hochtechnisierter Firmen.

Im kommenden halben Jahrhundert verlieren die konventionellen, zentralisierten Geschäftsbetriebe der erstenund zweiten industriellen Revolution gegenüber den dezentralisierten Geschäftsmodellen der drittenzunehmend an Bedeutung; und die traditionelle hierarchische Organisation wirtschaftlicher und politischer

Unser besessenes Bestreben nach Produktions- und Liefertempo hat seinen Preis - wir bezahlen es mit zusätzlichemEnergieaufwand. Und höherer Energieaufwand bedeutet mehr verschwendete Energie und die Zunahme der Entropie in derUmwelt.

REZENSION JEREMY RIFKIN

Wie die Wirtschaft 2050 funktionieren sollteJeremy Rifkin ist einer der bekanntesten und streitbarsten Ökonomen. Nach seinem Welterfolg "Dieempathische Zivilisation" steht ab heute sein neuestes Werk in den deutschen Buchläden. So wirdKapitalismus 2050 aussehen.

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Macht weicht einer in - über die ganze Gesellschaft verteilten - Knotenpunkten organisierten lateralen Macht.

Auf den ersten Blick scheint "laterale Macht" schon als bloße Vorstellung allem zu widersprechen, was wir anMachtbeziehungen aus der Geschichte kennen. Immerhin organisiert sich Macht seit jeher in einer Pyramide,von oben nach unten. Heute jedoch führt die auf Zusammenarbeit basierende Macht, wie sie dasZusammentreffen von Internettechnologie und erneuerbaren Energien entfesselt, zu einer Umstrukturierungder zwischenmenschlichen Beziehungen von vertikal zu lateral. Und das mit tiefgreifenden Implikationen fürdie Gesellschaft.

Die Dritte Welt wird profitierenDie Musikkonzerne hatten keine Ahnung von dezentraler Macht, bis Millionen von jungen Leuten online Musikmiteinander zu tauschen begannen, und es dauerte kein Jahrzehnt, da brachen ihre Einnahmen ein. DieEncyclopedia Britannica hatte kein Verständnis für die Macht der Zusammenarbeit, die Wikipedia zurführenden Informationsquelle der Welt werden ließ. Und die Zeitungen belächelten die dezentrale Macht derBlogosphäre - heute gehen viele Publikationen entweder ein oder mit einem Gutteil ihrer Aktivitäten online.

Die Implikationen von Menschen, die dezentral Energie in einer Art moderner Allmende miteinander teilen,sind noch weitreichender.

Um sich klarzumachen, welchen Bruch mit unserer bisherigen Organisation des Wirtschaftslebens die dritteindustrielle Revolution vollzieht, denken Sie an die tiefgreifenden Veränderungen, die allein während derletzten zwanzig Jahre mit der Einführung des Internets stattgefunden haben. Die Demokratisierung vonInformation und Kommunikation hat den weltweiten Handel und gesellschaftliche Beziehungen genausogrundlegend verändert wie die Revolution des Druckgewerbes am Anfang der modernen Zeit. Nun stellen Siesich die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen vor, die die Demokratisierung von Energie mit sich bringendürfte, wenn sie von der Internettechnologie verwaltet wird!

Vor allem die ärmeren Länder in der Dritten Welt dürften enorm davon profitieren. Wir müssen uns vor Augenhalten, dass 40 Prozent der Menschheit immer noch mit zwei Dollar oder weniger täglich auskommen müssen,also in äußerster Armut leben, und die überwiegende Mehrheit nicht über Elektrizität verfügt. Ohne Zugang zuStrom bleiben diese Menschen machtlos. Die wichtigste Voraussetzung dafür, Hunderte Millionen Menschenaus der Armut zu holen, ist der verlässliche und erschwingliche Zugang zu grünem Strom. Ist dieser nichtgegeben, ist jede wirtschaftliche Entwicklung unmöglich.

Die Demokratisierung der Energie und der allgemeine Zugang zur Elektrizität sind der unerlässlicheAusgangspunkt für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Ärmsten der Welt. Die Vergabe vonMikrokrediten zur Erzeugung von Mikrostrom beginnt das Leben in den Entwicklungsländern bereits jetzt zuverändern und gibt möglicherweise Millionen von Menschen die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrerwirtschaftlichen Situation.

Die besten Zitate des BuchesWesen von Wikipedia widerlegt klassische Wirtschaftstheorie

Soziale Räume wie Wikipedia und Facebook stellen die Basis der klassischen Wirtschaftstheorie infrage, laut der denMenschen als eigensüchtiges Wesen nichts anderes als die Förderung seiner autonomen Existenz interessiert.

Überragende Bedeutung sozialer NetzwerkeZeitalter der BesitzlosigkeitErneuerbare Energien schaffen kollektive IdentitätIm Takt der NaturIrrglaube von der Unabhängigkeit von der NaturIntelligente Technologien ersetzen MassenlohnarbeitKultur war vor dem MarktDemokratisierung und Dezentralisierung der EnergieerzeugungMit grünem Strom aus der ArmutWeniger Bevölkerung für mehr NachhaltigkeitEin neues Menschenbild

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Nichts am Aufenthalt des Menschen auf der Erde ist vorgeschrieben. Die Geschichte ist gespickt mitBeispielen großer Kulturen, die untergegangen, vielversprechender gesellschaftlicher Experimente, diegescheitert sind, von Zukunftsvisionen, die nie das Licht der Welt erblickt haben. Diesmal jedoch sehen wiruns in einer anderen Situation. Es steht mehr auf dem Spiel. Nie zuvor sah sich die Menschheit mit der reellenMöglichkeit ihres totalen Aussterbens konfrontiert; das gibt es erst seit einem halben Jahrhundert. Angesichtsder Aussicht auf eine ungehinderte Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen, mittlerweile gekoppelt miteiner drohenden Klimakrise, sind wir der "Endrunde" näher denn je - nicht nur die Zivilisation, wie wir siekennen, sondern unsere Spezies an sich.

Die dritte industrielle Revolution verheißt eine kohlenstofffreie Ära der Nachhaltigkeit bis zur Jahrhundertmitteund damit die Abwendung der Klimakatastrophe. Wir haben das Wissen, die Technik und den Schlachtplandazu. Jetzt kommt es darauf an, die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu erkennen, die vor uns liegen, und denWillen aufzubringen, rechtzeitig ans Ziel zu kommen.

Bibliografie Jeremy Rifkin

Jeremy Rifkin

Die dritte industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011

303 Seiten

Jeremy Rifkin

Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein.

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010

468 Seiten

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