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392 | Pharm. Unserer Zeit | 33. Jahrgang 2004 | Nr. 5 DOI:10.1002/pauz.200400087 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Viele Wege führen zum Ziel: Estrogene – Spielwiese für Galeniker ROLF DANIELS I st eine Pharmakotherapie mit Estrogenen angezeigt, so haben Patientin und Arzt die Qual der Wahl, denn wie bei kaum einer anderen Wirkstoffgruppe stehen für die Appli- kation sehr unterschiedliche Darreichungsformen zur Ver- fügung. Grundsätzlich gilt es, so wenig Estrogen wie mög- lich und so viel wie nötig an den gewünschten Wirkort zu transportieren. Daher ist primär zu überlegen, ob eine lo- kale oder eine systemische Therapie angestrebt wird. Die Auswahl der optimalen Applikationsform sollte darüber hin- aus pharmakokinetische Aspekte ebenso berücksichtigen wie die Akzeptanz durch die Patientin, um dadurch gute Ob bei der Therapie mit Estrogenen eher eine lokale oder eine systemische Wirkung erzielt wird, lässt sich ebenso wie die Pharmakokinetik durch die Auswahl der Darreichungsform in großem Umfang beeinflussen. Durch die breite Palette der verfügbaren galenischen Formen kann für jede Patientin die optimale Therapie gefunden werden. Ausgangsbedingungen für eine hohe Compliance zu schaf- fen. Die systemische Therapie kann zur Zeit mit peroralen, transdermalen, nasalen und parenteralen Zubereitungen erfolgen. Überwiegend lokale Effekte werden beim Einsatz vaginaler Applikationsformen erzielt. Rezepturmäßig herzu- stellende ölige Estradiol-Augentropfen werden versuchs- weise zur Behandlung des trockenen Auges im Klimakteri- um verwendet [1]. Estrogene zum Einnehmen Die systemische Therapie mit Estrogenen erfolgt, wie auch bei den meisten anderen Arzneistoffen, am einfachsten mit Kapseln oder Tabletten, d.h. mit einer der klassischen per- oralen Darreichungsformen. Gründe hierfür betreffen unter anderem Fragen der pharmazeutischen Qualität wie Dosierungsgenauigkeit, reproduzierbare Herstellbarkeit und gute Stabilität, pharmako-ökonomische Aspekte, z.B. ge- ringe Herstellkosten und eine im Allgemeinen hohe Ak- zeptanz beim Patienten. Als Wirksubstanzen kommen für die perorale Applikation 17β−Estradiol und 17β−Estradiol- valerat in mikronisierter Form sowie konjugierte equine Es- trogene zum Einsatz. Allerdings erfordert die perorale Gabe von Estrogenen eine vergleichsweise hohe Dosierung, da aufgrund eines ausgeprägten hepatischen First-pass-Metabolismus nur 5 bis 10 % des intakten Wirkstoffs die Blutbahn erreichen. Dies bedeutet eine erhebliche hepatische Belastung und Ausbil- dung metabolischer Nebenwirkungen, wie Cholecystoli- thiasis oder Hypertriglyceridämie. Außerdem verschiebt sich das natürliche Verhältnis von Estrogen zu Estron (E2/E1- Verhältnis), da ein großer Teil des 17β−Estradiols in Estron umgewandelt wird. Orale Formen werden einmal täglich appliziert und erzeugen Blutspiegel, die deutliche Schwankungen aufwei- sen (Abb. 1). Es treten supraphysiologische Spitzen nach der Applikation und subphysiologische Tiefs vor der nächsten Gabe auf [2]. Transdermale Applikation mit Pflastern Aufgrund dieser pharmakokinetischen Nachteile ent- wickelte sich insbesondere die transdermale Gabe als be- deutende Alternative zu den peroralen Formen. Eine bio- 240 220 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 72 66 60 54 48 42 36 30 24 18 12 6 0 78 84 Plasmaspiegel [pg/mL] Zeit [h] Tablette, peroral Gel, transdermal Pflaster, transdermal Nasenspray ABB. 1 Typische Estradiol-Plasmaspiegelverläufe verschiedener Applikationsfor- men im Steady-state.

Estrogene – Spielwiese für Galeniker: Viele Wege führen zum Ziel

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392 | Pharm. Unserer Zeit | 33. Jahrgang 2004 | Nr. 5 DOI:10.1002/pauz.200400087 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Viele Wege führen zum Ziel:

Estrogene – Spielwiesefür GalenikerROLF DANIELS

Ist eine Pharmakotherapie mit Estrogenen angezeigt, sohaben Patientin und Arzt die Qual der Wahl, denn wie bei

kaum einer anderen Wirkstoffgruppe stehen für die Appli-kation sehr unterschiedliche Darreichungsformen zur Ver-fügung. Grundsätzlich gilt es, so wenig Estrogen wie mög-lich und so viel wie nötig an den gewünschten Wirkort zutransportieren. Daher ist primär zu überlegen, ob eine lo-kale oder eine systemische Therapie angestrebt wird. DieAuswahl der optimalen Applikationsform sollte darüber hin-aus pharmakokinetische Aspekte ebenso berücksichtigenwie die Akzeptanz durch die Patientin, um dadurch gute

Ob bei der Therapie mit Estrogenen eher eine lokale oder einesystemische Wirkung erzielt wird, lässt sich ebenso wie diePharmakokinetik durch die Auswahl der Darreichungsform ingroßem Umfang beeinflussen. Durch die breite Palette derverfügbaren galenischen Formen kann für jede Patientin dieoptimale Therapie gefunden werden.

Ausgangsbedingungen für eine hohe Compliance zu schaf-fen.

Die systemische Therapie kann zur Zeit mit peroralen,transdermalen, nasalen und parenteralen Zubereitungenerfolgen. Überwiegend lokale Effekte werden beim Einsatzvaginaler Applikationsformen erzielt. Rezepturmäßig herzu-stellende ölige Estradiol-Augentropfen werden versuchs-weise zur Behandlung des trockenen Auges im Klimakteri-um verwendet [1].

Estrogene zum EinnehmenDie systemische Therapie mit Estrogenen erfolgt, wie auchbei den meisten anderen Arzneistoffen, am einfachsten mitKapseln oder Tabletten, d.h. mit einer der klassischen per-oralen Darreichungsformen. Gründe hierfür betreffen unteranderem Fragen der pharmazeutischen Qualität wieDosierungsgenauigkeit, reproduzierbare Herstellbarkeit undgute Stabilität, pharmako-ökonomische Aspekte, z.B. ge-ringe Herstellkosten und eine im Allgemeinen hohe Ak-zeptanz beim Patienten. Als Wirksubstanzen kommen fürdie perorale Applikation 17β−Estradiol und 17β−Estradiol-valerat in mikronisierter Form sowie konjugierte equine Es-trogene zum Einsatz.

Allerdings erfordert die perorale Gabe von Estrogeneneine vergleichsweise hohe Dosierung, da aufgrund einesausgeprägten hepatischen First-pass-Metabolismus nur 5 bis10 % des intakten Wirkstoffs die Blutbahn erreichen. Diesbedeutet eine erhebliche hepatische Belastung und Ausbil-dung metabolischer Nebenwirkungen, wie Cholecystoli-thiasis oder Hypertriglyceridämie. Außerdem verschiebtsich das natürliche Verhältnis von Estrogen zu Estron (E2/E1-Verhältnis), da ein großer Teil des 17β−Estradiols in Estronumgewandelt wird.

Orale Formen werden einmal täglich appliziert underzeugen Blutspiegel, die deutliche Schwankungen aufwei-sen (Abb. 1). Es treten supraphysiologische Spitzen nach derApplikation und subphysiologische Tiefs vor der nächstenGabe auf [2].

Transdermale Applikation mit PflasternAufgrund dieser pharmakokinetischen Nachteile ent-wickelte sich insbesondere die transdermale Gabe als be-deutende Alternative zu den peroralen Formen. Eine bio-

240

220

200

180

160

140

120

100

80

60

40

20

0726660544842363024181260 78 84

Plasmaspiegel[pg/mL]

Zeit [h]

Tablette, peroral

Gel, transdermal

Pflaster, transdermal

Nasenspray

A B B . 1 Typische Estradiol-Plasmaspiegelverläufe verschiedener Applikationsfor-men im Steady-state.

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Pflaster und Haut und bedingt so eine höhere Permea-tionsrate, sodass auch ohne Zusatz penetrationsverbes-sernder Substanzen ein ausreichender Wirkstofftransportdurch die Haut realisiert wird.

Dies wiederum wirkt sich positivauf die lokale Verträglichkeit aus, dieeinen wesentlichen Nachteil der trans-dermalen Pflaster repräsentiert [5]. Alshäufigste Nebenwirkungen treten hier-bei Hautreizungen auf, die im Allge-meinen klinisch nicht relevant sindund meist innerhalb weniger Tage ver-schwinden (Abb. 5). In seltenen Fäl-len kann es darüber hinaus zur Aus-bildung allergischer Reaktionen gegenBestandteile des Pflasters, z.B. dieHaftschicht, kommen. Als weitereNachteile im Zusammenhang mit der Anwendung von Hor-monpflastern werden die Sichtbarkeit sowie ein ungewoll-tes Ablösen aufgrund unzureichender Klebefähigkeit auf-geführt.

Unabhängig davon wird die systemische Verträglichkeitaller Estradiol-Pflaster als sehr gut beurteilt.

Transdermale Estrogen-GeleDie transdermale Estrogen-Therapie kann alternativ zu denPflastern auch mit ethanolhaltigen Hydrogelen erfolgen(Abb. 6). Der grundsätzliche Vorteil dieser Applikations-route bleibt dabei erhalten, allerdings bei veränderterPharmakokinetik und dem Vorteil einer nicht-sichtbaren

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pharmazeutische Grundvoraussetzung hierfür war die ver-gleichsweise hohe Permeabilität der Haut für 17β−Estradi-ol, die das Erreichen therapeutisch relevanter Plasmaspie-gel ermöglicht.

Ein wesentlicher pharmakokinetischer Unterschied undVorteil der transdermalen Estrogen-Gabe liegt in einer direk-ten Aufnahme des Wirkstoffes in die systemische Zirkulati-on unter Umgehung des hepatischen First-pass-Effektes [3].Hierdurch ist eine effektive, systemische Therapie mit re-lativ geringen Wirkstoffmengen möglich. Dies entlastet dieLeber und belässt das Verhältnis von Estradiol zu Estron(E2:E1 ≥ 1) auf dem physiologischen, prämenopausalen Ni-veau, da erheblich geringere Mengen Estradiol zu Estronmetabolisiert werden.

Transdermal wird ausschließlich 17β−Estradiol verab-reicht, wobei dies entweder mit transdermalen Pflasternoder mit hydro-alkoholischen Gelen erfolgen kann.

Die heute erhältlichen Estradiol-Pflaster gehören fastausschließlich zu den Matrix-Pflastern (Abb. 2). Ein wesent-licher Hintergrund für diesen Trend ist in der überlegenenkosmetischen Eleganz dieses Pflastertyps zu sehen. Außer-dem sind Matrixsysteme in Bezug auf die Arzneimittelsi-cherheit vorteilhaft, weil sie robuster als Membranpflastersind und eine Sturzentleerung (dose dumping) auch beieiner versehentlichen Beschädigung nicht zu befürchtenist [4].

Neueste Entwicklung auf dem Gebiet der Estrogen-Pflas-ter ist das Präparat Estradot®, dessen Abgabefläche nur noch3,75 bis 10 cm2 beträgt, d.h. etwa die Größe einer Brief-marke hat (Abb. 3). Hierzu war es notwendig die Estradiol-Konzentration in der Klebematrix zu erhöhen. Die hier-durch reduzierte Klebefähigkeit des Acrylatklebers wirddurch Zugabe eines Silikonklebers kompensiert (Abb. 4).Die höhere Wirkstoffkonzentration in der Matrix führt zu einem steigenden Konzentrationsgradienten zwischen

Deckschicht

Klebematrix mitWirkstoff

Schutzschicht

0,1–

0,3

mm

A B B . 2 Schematischer Aufbau eines transdermalen Matrix-Pflasters (Drug-in-Adhesive Typ).

A B B . 3 Größenvergleich des transdermalen PflastersEstadot®

HerkömmlichesMatrixpflaster

Estradot®

Acrylkleber

Estradiol

Silikonkleber

A B B . 4 Elektronenmikroskopische Aufnahme der DOT-Ma-trix™-Mikrokammertechnik in Estradot®. Die Klebematrixenthält neben dem Acrylatkleber zusätzlich einen Silikon-kleber, um bei erhöhter Wirkstoffkonzentration eine aus-reichende Haftfähigkeit zu erreichen.

A B B . 5 Tem-poräre Hautirrita-tion nach Entfer-nen eines trans-dermalenPflasters.

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weise der Wirkstoff aus den obersten Schichten des Stra-tum corneum extrahiert wird [6].

Insgesamt gelangen aus den Gelen nur etwa 10 % derapplizierten Wirkstoffmenge in den Körper, während derRest auf bzw. in der Haut verbleibt und an die Umgebung,z.B. beim Waschen oder der Abschuppung der oberenHornschichten, abgegeben wird. Allerdings lässt sich ausdem Penetrationsverhalten des Wirkstoffes schließen, dasses bei unbeabsichtigter Übertragung des auf der Hautverbleibenden Wirkstoffes auf eventuelle Kontaktpersonendort zu keiner nennenswerten Aufnahme des Wirkstoffeskommt.

Bei bestimmungsgemäßer Applikation ist eine therapeu-tische Äquivalenz von Gelen und Estrogen-Pflastern klinischbelegt, wobei sich die Hautverträglichkeit der Gele günsti-ger darstellt [7].

Nasale ApplikationDie topische Therapie muss nicht immer wie bei der trans-dermalen Gabe zu gleichmäßigen Plasmaspiegeln führen.Verabreicht man 300 µg 17β−Estradiol mit einem Nasen-spray (Abb. 8), so führt dies zu Plasmaprofilen, die 10 bis30 min nach der Applikation eine ausgeprägte Spitze auf-weisen (Abb. 1). Nach etwa 2 h sinkt die Plasmakonzen-tration auf etwa 10 % des maximalen Wertes ab und er-reicht nach weiteren 10 h postmenopausale Werte [8]. Wieauch bei Nutzung der transdermalen Route erlaubt die na-sale Wirkstoffaufnahme eine Umgehung des hepatischenFirst-pass-Effektes. Daraus resultiert eine im Vergleich zuroralen Gabe erhöhte Bioverfügbarkeit, eine geringere me-tabolische Belastung des Organismus sowie ein Estron/Es-tradiol-Verhältnis, das nahe an den physiologischen Wertenliegt. Die galenische Herausforderung bei der Realisierungeines Estradiol-Nasensprays liegt in der Verbesserung derLöslichkeit des Estradiols, da die Substanz in Wasser prak-tisch unlöslich ist. Aus Gründen der lokalen Verträglichkeitkönnen typische Lösungsmittel wie Ethanol nicht einge-setzt werden. Eine ausrei-chend hohe Löslichkeit ist jedoch durch den Zusatz von partiell methyliertem β−Cyclodextrin (Randomly Me-thylated Beta-Cyclodextrin;RAMEB) möglich. Cyclodex-trine sind ringförmige Oligo-mere der Anhydroglucose.Durch die Stellung ihrerHydroxylgruppen besitzendiese Moleküle im Inneren ei-nen hydrophoben Hohlraumund außen einen hydrophilenBereich (Abb. 9). Hierdurchsind Cyclodextrine wasserlös-lich, können aber in ihremhydrophoben Innenraum li-pophile „Gastmoleküle“ wie

Anwendungsform sowie einer imAllgemeinen guten lokalen Verträg-lichkeit.

Estradiol wird nach dem Auf-tragen der wässrig-alkoholischenGele rasch in die obersten Schich-ten der Epidermis, das Stratumcorneum, aufgenommen (Abb. 7).Dieser Prozess wird durch die pe-netrationsfördernden Eigenschaf-

ten der verwendeten Hilfsstoffe, wie Ethanol, Propylengly-kol und Diethylenglykolmonoethylether, begünstigt und istinnerhalb weniger Minuten, d.h. sobald das Gel zu einemunsichtbaren Film eingetrocknet ist, abgeschlossen. DurchEinlagerung des Estradiols in epidermalen Lipide bildet sichdort ein Reservoir, aus dem der Wirkstoff kontinuierlich andie systemische Zirkulation abgegeben wird. Nach weni-gen Tagen wird ein dynamisches Gleichgewicht (Steady-state) erreicht. Es resultieren relativ einheitliche Serum-Est-radiol-Konzentrationen, die z.B. nach Applikation von 1 gGel (1000 µg Estradiol) zunächst, d.h. innerhalb der erstendrei Stunden nach Applikation, Werte im Bereich von ca.340 pmol/L erreichen und dann auf durchschnittlich 160pmol/L absinken (Abb. 1).

Um eine reproduzierbare Bioverfügbarkeit des Wirk-stoffs zu gewährleisten, muss das Gel entsprechend derAnwendungsvorschrift aufgetragen werden. Abweichungenführen in Folge einer zu kleinen Resorptionsfläche oder ei-nem zu raschen Eintrocknen zu suboptimalen Plasmaspie-geln. Ebenso darf das Hautareal innerhalb einer Stunde nachApplikation nicht gewaschen werden, da sonst möglicher-

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A B B . 6 Transdermales Estrogen-Gel in Eindosisbeuteln.

A B B . 7 Dermale Applikationeines Estrogen-Gels.

A B B . 8 Das NasensprayAerodiol® fördert mit ei-nem Hub der Präzisionsdo-sierpumpe 70 µµl einer steri-len 17ββ-Estradiol-Lösung.

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Estradiol aufnehmen. Durch teilweise Methylierung kanndie Wasserlöslichkeit und das Solubilisationsvermögen nochgesteigert werden, so dass im Falle des 17β−Estradiol dieLöslichkeit um mehr als den Faktor 1000 ansteigt. Damitkann in einem Sprühstoß von nur 70 µl die angestrebte Do-sis von 150 µg Estradiol gelöst werden. Nach der Applika-tion kann der im Gleichgewicht mit dem komplexiertenArzneistoff vorliegende freie Anteil des Estradiols resorbiertwerden. Der Komplexe aus Estradiol und methyliertemCyclodextrin wird, wie auch das Cyclodextrin alleine, aufGrund seiner Molmasse und seiner Hydrophilie nicht nen-nenswert über die Nasenschleimhaut resorbiert.

Depot-InjektionVerbietet sich die perorale, transdermale oder nasale Gabe,so sind Depot-Injektionen die letzte Option für eine syste-mische Estrogentherapie (Abb. 10). Es handelt sich hierbeium ölige Lösungen, die den Wirkstoff in chemisch modifi-zierter Form enthalten. Durch Veresterung mit Valeri-ansäure bzw. Benzoesäure entstehen Derivate, die in Was-

ser praktisch unlöslich sind. Aus einem intramuskulär ge-setzten Depot geht nur ein sehr geringer Anteil des Wirk-stoffs im Verteilungsgleichgewicht in die Körperflüssigkeitüber, sodass eine Injektion (10 mg/mL) nur alle zwei Wo-chen zu wiederholen ist. Die verzögerte Abgabe aus öligenInjektionen ist keine kontrollierte Freisetzung im engerenSinne, da die Darreichungsform nur in begrenztem UmfangEinfluss auf die Wirkstoffabgabe nimmt. Da parenterale For-men des Weiteren nur eine beschränkte Akzeptanz bei denPatientinnen finden, spielen sie nur eine sehr untergeord-nete Rolle.

Vaginaltabletten, -kapseln und -ovula wirkenlokal

Die lokale Therapie des Estrogenmangels kann mit Vaginal-salben oder -cremes, Ovula und Vaginaltabletten erfolgen(Abb. 11). Der Vorteil der lokalen Therapie besteht darin,dass zahlreiche somatisch-dystrophe Rückbildungserschei-nungen sich mit relativ niedrigen Wirkstoffmengen behan-deln lassen (Tab. 1). Bei korrekter Dosierung ist der vaginalresorbierte Wirkstoffanteil gering und somit auch die he-patische Belastung niedrig. Grundsätzlich ist die Vaginal-mukosa für Estrogene jedoch sehr leicht passierbar, so dassbei einer Überdosierung rasch höhere Plasmaspiegel er-reicht werden können als bei vergleichbarer oraler Gabe.Zur Aufrechterhaltung ausreichender Wirkstoffkonzentra-

Hydrophober Hohlraum

Hydrophile Hülle

O

HOO

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HOHO

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HO

O

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A B B . 9 Struktu-reller Aufbau einesCyclodextrins.

A B B . 1 0 Die Depot-Injektionslösung enthält Estradiolvale-rat gelöst in Rizinusöl. A B B . 1 1 Estradiol-Vaginaltabletten mit Einmal-Applikator.

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tionen erfordern alle vorher genannten Applikationsformeneine mindestens einmal tägliche Anwendung.

Der Vaginalring als lokales therapeutischesSystem

Die lokale Langzeittherapie (3-Monats-Therapie) mit 17β−Estradiol ist mit einem intravaginalen therapeutischen Sys-tem, dem Vaginalring möglich (Abb. 12).

Die Freigabe des Wirkstoffes erfolgt durch passive Diffu-sion aufgrund des Konzentrationsgradienten zwischen demWirkstoffreservoir im Inneren und der Außenseite des Sili-konringes. Es handelt sich um ein Membran-gesteuertesAbgabeprinzip [9]. Während der ersten 36 h nach derApplikation beobachtet man eine rasche Initialfreisetzung,die auf eine Wirkstoffsättigung der Silikonmembran vor derApplikation zurückzuführen ist. Eine weitgehend konstan-te Abgaberate von 7,5 µg/Tag erreicht der Vaginalring nach48 h (Abb. 13) [10]. Die Abgaberate lässt sich dann be-rechnen nach

mit Q = abgegebene Wirkstoffmenge, t = Zeit, k = Permea-bilitätskonstante der Membran, A = Abgabefläche und (cin-

nen-caussen) = Konzentrationsgradient.Um dieses „Steady-state“ über einen Zeitraum von et-

wa 90 Tagen aufrechtzuerhalten, muss der bestehende Kon-zentrationsgradient während der gesamten Anwendungs-dauer nahezu konstant bleiben. Deshalb wird nur etwa 1/3des enthaltenen Wirkstoffs freigesetzt.

Der Vaginalring gibt etwa 70 bis 90 % weniger Estradi-ol ab als ein transdermales Pflaster. Entsprechend niedrigsind die resultierenden Plasmaspiegel (< 30 pmol/mL) undsystemische Effekte werden weitestgehend vermieden. DerVaginalring ist daher ausschließlich zur Behandlung der Est-rogen-bedingten Altersatrophie im unteren Genitaltrakt ge-eignet. Eine Wirksamkeit bei sonstigen Beschwerden desKlimakteriums, wie z.B. Hitzewallungen, oder eine Prophy-laxe der Osteoporose ist hingegen nicht möglich. Anderer-seits sind auch systemisch bedingte unerwünschte Wir-kungen nicht zu befürchten.

Zusammenfassung Estrogene sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich durch gale-nische Maßnahmen die Eigenschaften eines potenten Wirk-stoffs optimieren lassen. Unter Beachtung der jeweiligen Vor-züge und Nachteile sollte es bei der breiten Palette an ver-fügbaren Darreichungsformen gelingen, für jede Patientin ein kostengünstiges Therapieregime mit optimalem Nutzen-Risiko-Verhältnis zu finden.

dQdt

k A c cinnen außen= ⋅ ⋅ ( )–

systemisch Tablette, peroral 2000 300 – 400 1mal täglichTTS 50 100 – 500 1 bzw. 2mal

wöchentlichNasenspray 300 100-200 1mal täglichtransdermales Gel 1000 160 (– 340) 1mal täglich

lokal Vaginaltablette 25 60 – 70 1mal täglichVaginalring 7,5 < 30 VierteljährlichVaginalcreme – – 1mal täglich/

2–3mal wöchentlich

Vaginalovula 500 µg Estriol – 1mal täglich/2–3mal wöchentlich

Applikations- Typische Mittlere Applikations-form Tagesdosis Estradiol frequenz

17ββ-Estradiol Plasma-spiegel

[µµg] [pmol/L]

TA B . 1 G EG E N Ü B E R S T E L LU N G V E R S C H I E D E N E R E S T R A D I O L FO R M U -

L I E R U N G E N

A B B . 1 2 Der Vaginalring Estring®

Estradiol[µg/Tag]

10 20 30 40 50 60 70 80 90

10

5

15

20

25

Untersuchungstag

00

A B B . 1 3 Estradiolfreisetzung aus dem Vaginalring Estring®

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Der AutorProf. Dr. Rolf Daniels (geb. 1956); Pharmaziestudi-um in Regensburg; 1985 Promotion im Fach Phar-mazeutische Technologie; 1986–1987 Laborleiter inder pharmazeutischen Entwicklung der Fa. HeinrichMack Nachf., Illertissen; Akademischer Rat am Insti-tut für Pharmazie der Universität Regensburg; 1994Habilitation für das Fach Pharmazeutische Techno-logie; seit 1995 Universitätsprofessor (C3) am Insti-tut für Pharmazeutische Technologie der Techni-schen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braun-schweig.

AnschriftProf. Dr. Rolf DanielsInstitut für Pharmazeutische TechnologieTechnische Universität BraunschweigMendelssohnstraße 138106 [email protected]