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Die Eurokrise und die Zukunft der Europäischen Union Von Christakis Georgiou »[…] zweifelsohne sind wir seit September 2008 in der schwierigsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht sogar seit dem Ersten. Wir erlebten und erleben wirklich dramatische Zeiten. […] Die Märkte funktionierten nicht mehr, es war fast wie nach der Lehman-Pleite im September 2008.« Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank, Mai 2010 1 Die zum Sommeranfang 2010 in Europa einsetzende Krise ist ein Beleg dafür, dass das ganze Gerede über eine Erholung von der im September 2008 ausgebrochenen Krise völlig unangemessen ist. Anfang Mai, auf dem Höhepunkt der Panik der kontinentaleuropäischen Regierungen und der Investoren weltweit, gab es viele beunruhigende Anzeichen dafür, dass die Lage der vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers ähnelte. Dieser hatte die tiefste Rezession der Weltwirtschaft seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst, wie sogar eine Respektsperson wie Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), feststellte. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit einer ganzen Reihe europäischer Staaten zwang sogar US-Präsident Barack Obama dazu, Druck auf die französischen und deutschen Regierungen auszuüben, damit diese einer Lösung zustimmten, mit der eine weitere Kernschmelze auf den Finanzmärkten verhindert werden sollte. Faktisch verbrachten die europäischen Führungen drei Monate, von Mitte Februar bis Mitte Mai, mit dem Gezerre über die genauen Bedingungen, die an die Finanzhilfe für den griechischen Staat geknüpft sein sollten. Überall wurde spekuliert, ob sie überhaupt geleistet werden würde und ob die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU, das Abkommen zur Schaffung des Euros) die Krise überleben würde. Und obwohl eine Katastrophe mit einer riesigen Stützungssumme von bis zu 750 Milliarden Euro und dem Aufkauf von Staatsschulden durch die EZB abgewendet werden konnte, geht die Diskussion über die Zukunft der EWWU unter europäischen Politikern und Kommentatoren weiter. Unterdessen wird die Sparpolitik, die den 1 Tuma und Pauly, Interview, Der Spiegel, 20/2010. Ich danke Alex Callinicos und Jane Hardy für die Durchsicht des Manuskripts und ihre Anmerkungen.

Europäischer Kapitalismus unter Druck

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Die Eurokrise und die Zukunft der Europäischen Union. Ein Beitrag von Christakis Georgiou

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Die Eurokrise und die Zukunft

der Europäischen Union

Von Christakis Georgiou

»[…] zweifelsohne sind wir seit September 2008 in der schwierigsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht sogar seit dem Ersten. Wir erlebten und erleben wirklich dramatische Zeiten. […] Die Märkte funktionierten nicht mehr, es war fast wie nach der Lehman-Pleite im September 2008.« Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank, Mai 20101

Die zum Sommeranfang 2010 in Europa einsetzende Krise ist ein Beleg dafür, dass das ganze Gerede über eine Erholung von der im September 2008 ausgebrochenen Krise völlig unangemessen ist. Anfang Mai, auf dem Höhepunkt der Panik der kontinentaleuropäischen Regierungen und der Investoren weltweit, gab es viele beunruhigende Anzeichen dafür, dass die Lage der vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers ähnelte. Dieser hatte die tiefste Rezession der Weltwirtschaft seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst, wie sogar eine Respektsperson wie Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), feststellte. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit einer ganzen Reihe europäischer Staaten zwang sogar US-Präsident Barack Obama dazu, Druck auf die französischen und deutschen Regierungen auszuüben, damit diese einer Lösung zustimmten, mit der eine weitere Kernschmelze auf den Finanzmärkten verhindert werden sollte. Faktisch verbrachten die europäischen Führungen drei Monate, von Mitte Februar bis Mitte Mai, mit dem Gezerre über die genauen Bedingungen, die an die Finanzhilfe für den griechischen Staat geknüpft sein sollten. Überall wurde spekuliert, ob sie überhaupt geleistet werden würde und ob die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU, das Abkommen zur Schaffung des Euros) die Krise überleben würde. Und obwohl eine Katastrophe mit einer riesigen Stützungssumme von bis zu 750 Milliarden Euro und dem Aufkauf von Staatsschulden durch die EZB abgewendet werden konnte, geht die Diskussion über die Zukunft der EWWU unter europäischen Politikern und Kommentatoren weiter. Unterdessen wird die Sparpolitik, die den

1 Tuma und Pauly, Interview, Der Spiegel, 20/2010. Ich danke Alex Callinicos und Jane Hardy für die Durchsicht des Manuskripts und ihre Anmerkungen.

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Prozess bis zur Einführung des Euros im Jahr 1999 begleitete, allseits wieder betrieben, mit all den schmerzhaften Folgen aber auch dem Widerstand dagegen.

Der europäische Zusammenschluss historisch betrachtetHinter dem Prozess des europäischen Zusammenschlusses standen geopolitische Überlegungen.2

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es Frankreich bei seiner Europapolitik darum, den Wiederaufstieg Deutschlands zu verhindern.3 Die Franzosen kamen langsam zu dem Ergebnis, dass angesichts der historischen Umstände des Kalten Kriegs und der sowjetischen Bedrohung eine deutsche Vorherrschaft am besten zu verhindern sei, wenn Deutschland innerhalb Westeuropas durch einen langfristigen Prozess der Interessensintegration der verschiedenen kontinentalen herrschenden Klassen fest eingebunden würde. Frankreich würde die politische Führung übernehmen und Deutschland das wirtschaftliche Gewicht mit einbringen. Zum ersten Mal nahm das Gestalt an mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), bekannter als Montanunion, die 1951 aufgrund eines französischen Vorschlags vom Vorjahr gegründet wurde.

Die strategischen Ziele der Franzosen deckten sich teils mit denen der US-Amerikaner.4 Letztere waren sich durchaus der Notwendigkeit bewusst, die europäischen Volkswirtschaften wieder aufzubauen, und zwar aus zwei Gründen: Der erste war die Angst vor einer Übernahme Westeuropas durch Russland. Die westeuropäischen Volkswirtschaften, vor allem die deutsche, mussten wieder aufgebaut und wieder bewaffnet werden unter Führung der USA (das fand seinen konkreten Niederschlag in der Gründung der Nato), um so ein Bollwerk gegen den stalinistischen Block zu schaffen. Damit der Wiederaufbau aber auch effektiv war, mussten die französisch-deutschen Rivalitäten, die in einer Zeitspanne von 70 Jahren zu drei Kriegen geführt hatten, unter Kontrolle gebracht werden. Der Marshallplan der USA für Europa, verkündet im Juni 1947, war an eine gewisse Kooperation der europäischen Staaten gebunden.5

Der zweite Grund war die Furcht vor dem inneren Feind, der europäischen Arbeiterbewegung. Im Jahr 1947 kam es zu aufstandsähnlichen Streiks in den Renault-Werken in Frankreich, und die Angst, dass die Kommunisten die Macht in Frankreich und Italien übernehmen könnten, war groß. Der Wiederaufbau Europas und die Wiederherstellung einer gewissen wirtschaftlichen Stabilität sollte den Druck der Arbeiterbewegung abschwächen.

Mit den im Jahr 1957 geschlossenen Römischen Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) kam der nächste Schritt. Die EWG gewann durch die Abschaffung von Zöllen 1968 zunehmend an Schwung.

Der Entwicklungsverlauf änderte sich ein wenig im Jahr 1958 mit der Abdankung der französischen Vierten Republik und dem Antritt der Fünften unter General Charles de Gaulle. Damit wurde auch die Wende zu einer selbstbewussteren französischen Außenpolitik eingeleitet, die sich auf ein stärker zentralisiertes politisches System stützte. De Gaulle hatte die Römischen Verträge abgelehnt, und obwohl er nicht die Absicht hatte, diese neu zu verhandeln, versuchte er den Prozess des europäischen Zusammenschlusses so zu steuern, dass zwischenstaatliche Verhandlungen und institutionelle Abkommen gegenüber einer Zusammenfassung von Staatsfunktionen in »übernationalen« föderalen Institutionen wie der Europäischen Kommission privilegiert wurden. Sein Ziel bestand darin, Frankreichs vergleichsweisen Vorteil im politisch-militärischen Feld auszunutzen. Deshalb provozierte er die Krise des »leeren Stuhls« im Juni 1965. Sechs Monate lang zog sich Frankreich aus dem Ministerrat der EWG-Mitgliedsstaaten zurück, um dagegen zu protestieren, dass ab 1966 die Entscheidungen des Gremiums nicht mehr einstimmig, sondern mit einer qualifizierten Mehrheit getroffen werden sollten. Damit wäre Frankreichs Vetorecht entfallen und sein Einfluss beschränkt worden. Der sogenannte Luxemburger Kompromiss vom Januar 1966 lief im Kern darauf hinaus, die Einstimmigkeit beizubehalten. Auf diese Weise wurde ein wesentlicher Schritt zu einer größeren Zentralisierung der EWG-

2 Soutou, 1996, Kapitel 1–3, beschäftigt sich mit den franko-deutschen Beziehungen und bietet eine sehr detaillierte Übersicht der nationalen Sicherheitsinteressen im Zentrum der diplomatischen Manöver.

3 Van der Pijl, 2006, S. 39–41.4 Siehe Loriaux, 1991, S. 115–132. 5 Van der Pijl, 2006, S. 36–39; Loriaux, 1991, S. 120; Serfati, 2004, S. 196.

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Regierungsführung blockiert. De Gaulle stellte sich ein Europa vor, das sich von den USA unabhängig machen, aber gleichzeitig im atlantischen Bündnis der Nato bleiben sollte.6 Er war gegen den Beitritt Großbritanniens und legte in den 1960er Jahren auch zweimal Veto dagegen ein, weil er fürchtete, dass die EWG stärker auf eine riesige Freihandelszone zustreben würde, statt die Bindungen zwischen den kontinentalen Kernländern zu stärken, die eines Tages Basis eines aufstrebenden Europas als Gegengewicht zu den USA werden sollten. Dieser Zusammenstoß zwischen der Idee von einem riesigen, politisch den USA untergeordneten europäischen Gemeinschaftsmarkt, einer Idee, die mit der Erweiterung verbunden war, und der von einem enger gefassten, aber politisch unabhängigeren Europa, wie es später mit der »Vertiefung« verbunden war, gehört ebenfalls zu den Hauptthemen des europäischen Zusammenschlusses. Der Konflikt besteht bis heute und erklärt viele Widersprüche innerhalb der Europäischen Union.

In den 1970er Jahren kam es zu zwei sehr wichtigen Veränderungen. Die erste war die Aufgabe des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse und die zweite die Rückkehr der kapitalistischen Krise, beginnend mit der Rezession von 1974/75. Beides besaß das Potenzial, viele der Errungenschaften der zwei vorhergehenden Jahrzehnte rückgängig zu machen. Das Ende der festen Wechselkurse führte zu störenden konkurrierenden Abwertungen nationaler Währungen von EWG-Mitgliedsstaaten und einer gefährlichen Unbeständigkeit der Devisenmärkte. Das Risiko des Auseinanderdriftens der europäischen Wirtschaften verstärkte sich. Es konnte auch für all die Unternehmen, die inzwischen über die Grenzen der Mitgliedsstaaten hinaus operierten und zur Planung ihrer Operationen auf stabile Wechselkurse angewiesen waren, großen Probleme mit sich bringen. Ähnlich führte die Rezession von 1974/75 zu einer Reihe unkoordinierter nationaler Reaktionen. Schritt für Schritt schafften es die EWG-Staaten, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Es gab einen ersten Versuch der geldpolitischen Koordination im Jahr 1972, genannt »Währungsschlange«, aber diese schlug in den folgenden Jahren fehl.7

Ein zweiter Versuch folgte im Jahr 1979 mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) und dem Wechselkursmechanismus (WKM). Diesmal wurden mit diesen Abkommen die schwachen Währungen stärker begünstigt.8 Auf diese Weise sollte die Unterstützung der Gaullisten in Frankreich jetzt unter Jacques Chirac, die sich gegen die notwendige Sparpolitik sperrten, gewonnen, die Beteiligung des Francs am WKM gefestigt und die Deutsche Mark (DM) vor weiterer Aufwertung geschützt werden gegen die rapide Abwertung des Dollars.9 Das Scheitern der Währungsschlange erlaubte es den Franzosen auch zu argumentieren, dass die Deutschen einen Teil der Anpassungslasten tragen müssten, wenn sie den europäischen Zusammenschluss voranbringen wollten. Diese Diskussion über die Konturen der europäischen währungspolitischen Zusammenarbeit und den zu erzielenden Ausgleich zwischen den Interessen schwacher und starker Währungen gehört zu den festen Mustern des europäischen Zusammenschlusses seit den 1970er Jahren. Ein Großteil des Gerangels im Frühjahr 2010 rührte genau daher.

Die Dollarabwertung war typisch in den 1970er Jahren und ist seitdem für die herrschende Klasse der USA eine wichtige Waffe bei dem Versuch, ihre Wirtschaftsmacht zu erhalten. Als eine der Begleiterscheinungen des Nachkriegsaufschwungs verzeichnete die US-amerikanische Volkswirtschaft im Vergleich zu Deutschland und Japan einen relativen Niedergang. Die herrschende Klasse der USA versuchte deshalb, die ungleichmäßige Entwicklung der vorangegangenen Jahrzehnte durch verschiedene politische Ansätze und Schritte umzukehren. Dazu

6 Das entsprach auch der Vorstellung des Hauptarchitekten der Montanunion, Jean Monnet (hierzu Anderson, 2009, S. 13–15). In dieser Hinsicht gab es eine Kontinuität in der französischen Strategie und den Zielen trotz des Regimewechsels von 1958. Aber der persönliche Stil von de Gaulle und die ausdrückliche Missachtung der US-amerikanischen Hegemonie erweckten den Eindruck, dass es einen grundlegenden Bruch gegeben habe.

7 Eichengreen, 2008, S. 149–172, bietet eine sehr gute und zugängliche Darstellung des Folgenden. 8 Bezüglich der Einzelheiten siehe die Diskussionen in Parsons, 2003, S. 164–170. Eichengreen, 2008, S. 158, äußert

sich ähnlich. Der ganze Prozess beinhaltete eine Reihe von Manövern, die sich nicht auf den Austausch zwischen nationalen Regierungen beschränkten, sondern bezeichnenderweise auch zwischen der deutschen Regierung und der Bundesbank stattfanden. Letztere war äußerst besorgt über Abkommen, die Unterstützung auf Schwachwährungsländer ausdehnen und damit ihre Preisstabilitätspolitik untergraben könnten.

9 Callinicos, 1997, S. 28; Eichengreen, 2008, S. 158.

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gehörten die Beschneidung der Rüstungsausgaben,10 Schutzmaßnahmen wie eine Anhebung der Einfuhrzölle um 10 Prozent11 und der Angriff auf den Lebensstandard der US-amerikanischen Arbeiterschaft.12 Gleichermaßen wichtig war die aggressive Ausbeutung der privilegierten Position des Dollars als einzige internationale Leitwährung.13

Dieses Privileg erlaubte den USA große Leistungsbilanzdefizite und führte zu einer signifikanten Abwertung des Dollars über relativ lange Zeiträume, ohne einen Zusammenbruch des Dollarwerts zu riskieren. In den 1970er Jahren verfolgten die USA deshalb die inoffizielle Politik einer Dollarabwertung, um die US-amerikanischen Exporte anzuregen, auch »Politik der wohlwollenden Vernachlässigung« (Benign Neglect) genannt. Als Folge kam es für die deutsche und von da aus die europäische Wirtschaft zu deflationären Verzerrungen. Da die deutsche Entwicklung vor allem von einer Exportstrategie abhing und die Deutsche Mark nicht mit dem Dollar als internationale Leitwährung konkurrieren konnte – Deutschland also die USA nicht hindern konnte, den Dollar weiterhin so einzusetzen wie bisher –, bestand die einzige Strategie für Deutschland in der Dämpfung der heimischen Nachfrage, in Rationalisierung und technologischem Umbau der Produktionskapazitäten, in Verlagerung der Produktion in Gegenden mit niedrigeren Arbeitskosten und in beständigem Erzielen von Leistungsbilanzüberschüssen.14

Deshalb reichte die Schaffung des Europäischen Währungssystems nicht zur Herstellung von Stabilität in den europäischen geldpolitischen Beziehungen. Für eine erfolgreiche geldpolitische Zusammenarbeit musste es gewisse Übereinstimmung in der Wirtschaftspolitik geben, und angesichts der neuen, von den USA aufgezwungenen Bedingungen in der internationalen Wirtschaftskonkurrenz war das nur möglich, wenn das übrige Europa sich der deutschen Wirtschaftspolitik anschloss. Dazu kam es nicht bis 1983, dem Jahr der berühmten tournant de la rigueur, der »rigorosen Wende« zur Sparpolitik in Frankreich, als Präsident François Mitterand sich entschloss, den Rezepten des von Jacques Delors, Finanzminister und künftiger Architekt der neuen Etappe des europäischen Zusammenschlusses, geführten »Modernisierungslagers« in seiner Regierung zu folgen.15

Delors wurde schließlich im Jahr 1985 Präsident der Europäischen Kommission und zur treibenden Kraft für die Einheitliche Europäische Akte (EEA), die im Jahr 1986 in Luxemburg und Den Haag unterzeichnet wurde. Mit dieser Akte sollte durch Aufhebung aller Handelsschranken endgültig bis zum Jahr 1992 ein Binnenmarkt geschaffen werden. Sogar die Franzosen akzeptierten schließlich den Luxemburger Kompromiss. Zum Ende des Jahrzehnts waren überall in Europa die Beschränkungen für den Kapitalfluss beseitigt und mit dem Vertrag von Maastricht von 1991 wurde die EWG reformiert, in Europäische Union umbenannt und Pläne für die Einführung einer einheitlichen Währung bis zum Ende des Jahrhunderts wurden entwickelt. Zur Absicherung der Gemeinschaftswährung und weil eine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik (die »europäische Wirtschaftsregierung«, die die Franzosen seit 1983 gefordert hatten) oder ein umfangreicher europäischer Haushalt fehlten, bestanden die Deutschen auf fünf Konvergenzkriterien.16 Im Jahr 1997 wurden diese Kriterien zur Grundlage des Stabilitäts- und Wachstumspakts.17 Die Versuche

10 Harman, 2003, Grafik 3, S. 61. 11 Van der Pijl, 2006, S. 96. 12 Harman, 2007, S. 127–128, Grafik 9 und 10. 13 Darüber wurde ziemlich viel geschrieben. Aus marxistischer Sicht ist die beste Analyse wohl die von Peter Gowan,

in: Gowan, 1999. Siehe aber auch Parboni, 1981, Kapitel 1, und Carchedi, 2001, Kapitel 5. 14 Parboni, 1981, S. 132–137. 15 Nach einem Ausflug in die keynesianische Politik der Konjunkturbelebung durch staatliche Nachfrage und

ausgedehnte Sozialpolitik, was zur Spekulation gegen den Franc, zu Zahlungsdefiziten, Kapitalflucht und Inflation führte, kehrte die sozialistische Regierung Mitterrand, die im Jahr 1981 an die Macht gekommen war, zu einer sehr orthodoxen Wirtschaftspolitik zurück, unter anderem beendete sie Industriesubventionen, leitete eine scharfe Sparpolitik ein und so weiter.

16 Diese Ziele für Inflation und langfristige Zinssätze erforderten Stabilität insbesondere im europäischen Wechselkursmechanismus. Noch wichtiger war, dass das Haushaltsdefizit 3 Prozent und die Staatsverschuldung 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten sollte.

17 Der Begriff »Wachstum« wurde auf Drängen der Franzosen hinzugefügt. Das spielt eine rein symbolische Rolle, vor allem um die Illusion zu erwecken, dass Preisstabilität als politisches Ziel keinen Vorrang vor Wachstum und Beschäftigung bekommt. Die gegenwärtige Antwort auf die Krise der Staatsverschuldung (die in erster Linie auf

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der europäischen Regierungen in den 1990er Jahren, diese Kriterien zu erfüllen, führten zur Umsetzung von Sparmaßnahmen in ganz Europa. Vor diesem Hintergrund kam es zur Wiederbelebung des Widerstands der Arbeiterklasse und einer wachsenden allgemeinen Skepsis über den europäischen Zusammenschluss, was zur Ablehnung der europäischen Verfassung im Jahr 2005 durch die französische und niederländische Wählerschaft führte.18

Die Einführung des Euros und die Schaffung einer Europäischen Zentralbank, paradoxerweise aufgrund einer französischen Initiative, stärkte die übernationalen und föderalistischen Strukturen des europäischen Zusammenschlusses. Die übernationalen Einrichtungen (die Kommission und die EZB) schicken ihre eigenen Vertreter in die meisten wichtigen internationalen Foren und haben exklusive Autorität über bedeutende Bereiche europäischer Regierungsführung, vor allem den Handel, die Fiskalpolitik und die Regulierung des Binnenmarkts.

Und schließlich verursachte der Zusammenbruch des Stalinismus im Osten neue Probleme. Einerseits nahmen die Franzosen und die Deutschen eine unterschiedliche Haltung gegenüber den neuen unabhängigen Republiken ein. Ursprünglich sprachen die Franzosen über eine Konföderation europäischer Staaten. Die Deutschen bevorzugten einen schnellstmöglichen Beitritt und setzen sich damit durch. Die Organisation der EU hing bereits von verzwickten Kompromissen zwischen 15 Staaten ab. Solche Kompromisse waren jetzt mit einer Union aus 27 Mitgliedern schwieriger zu erzielen. Andererseits belebten das Ende des Kalten Kriegs und die deutsche Wiedervereinigung alte Ängste über ein allzu mächtiges Deutschland als beherrschende Kraft in Europa, oder eines, das sogar noch stärker in Richtung Osten gezogen wurde. Die deutsche Regierung unter Helmut Kohl gab in der Frage der Europäischen Währungsunion nach – auch wenn sie sehr viel mehr an einer politischen Union interessiert war –, auch als Geste an ihre europäischen »Partner«, dass sie weiterhin den Gesamtprozess unterstützen werde.

Das Ende des Bretton-Woods-Systems wie des Kalten Kriegs stärkten die Position Deutschlands innerhalb Europas. Ersteres, weil die D-Mark als Währung der größten europäischen Wirtschaft und dank ihrer Stärke und Stabilität automatisch zur Säule der geldpolitischen Kooperation in Europa wurde. Das Europäische Währungssystem war im Kern eine D-Mark-Zone.19 Damit erhielt die Deutsche Bundesbank faktisch Kontrolle über die Geld- und Währungspolitik in Europa. Die Wiedervereinigung gab Deutschland als erweiterte Bundesrepublik zusätzliches demografisches und politisches Gewicht, das sich in ein größeres Gewicht für Deutschland in den EU-Institutionen umsetzte.20

Marxismus und der europäische ZusammenschlussEnde der 1960er und Anfang der 1970er Jahre unterbreiteten Ernest Mandel und Chris Harman sehr genaue Analysen des Prozesses des europäischen Zusammenschlusses aus marxistischer Sicht.21

Ihre Hauptaussagen von vor über 40 Jahren sind heute noch wichtig und sind eine wesentliche Grundlage, um die Tendenzen und Gegentendenzen hinter diesem Prozess zu verstehen.

Als erster absolut entscheidender Punkt ist zu nennen, dass der europäische Zusammenschluss eine Reaktion auf die internationale Konkurrenz und die Stärke des US-amerikanischen Kapitals ist. Der Vorteil des US-Kapitals hinsichtlich Größe und technologischer Entwicklung übte starken Druck auf das europäische Kapital aus, seine Ressourcen zu bündeln, um wieder gewisse Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten herzustellen. Aber die Binnenmärkte jedes einzelnen europäischen Staats waren für sich genommen nicht groß genug, um Unternehmen entstehen zu

einer radikaleren Version der Anpassungspolitik der 1990er Jahre beruht und somit auf die Erfüllung der Konvergenzkriterien abzielt) macht solche Wunschvorstellungen zum Witz.

18 Siehe Callinicos, 1994, 1997 und 1999 zum Wiederaufschwung der Klassenkämpfe. Kouvelakis, 2007, bietet eine sehr gute Untersuchung der französischen Situation. Siehe Wolfreys, 2005, zum französischen Referendum und Brandon, 2005, zum niederländischen.

19 Holman, 1992, S. 7–8, und Parboni, 1981, Kapitel 5.20 Seit den Vertragsrevisionen von Nizza im Jahr 2000 schickt Deutschland die meisten Abgeordneten in das

Europäische Parlament und die Stimme seiner Repräsentanten im Ministerrat wiegt mehr als die jedes anderen Lands. Dasselbe gilt für die Politik der Europäischen Zentralbank.

21 Mandel, 1970; Harman, 1971; siehe auch Harman, 1991, insbesondere S. 45–48.

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lassen, die mit denen der USA konkurrieren konnten. Dafür war das Einreißen der Handels- und Investitionsschranken und eine Integration der verschiedenen Märkte in einen einzigen riesigen Markt nötig – die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Bereits ehe diese vollständig Gestalt angenommen hatte, löste das einen Prozess nationaler Kapitalkonsolidierung aus, deren Ziel darin bestand, die »nationalen Champions« der jeweiligen Staaten auf die neuen Bedingungen verschärfter binneneuropäischer Konkurrenz vorzubereiten, zu der es als Folge der vollständigen Umsetzung der Römischen Verträge kommen würde.22

Mandel vertrat die Ansicht, dass die Stärke der überstaatlichen Institutionen dadurch bestimmt werde, wie stark die gegenseitige Kapitaldurchdringung in Europa vorangeschritten sei. Die Schwäche der Kommission damals war deshalb ein Zeichen dafür, dass sich die Europäisierung des Kapitals erst im Anfangsstadium befand. Später identifizierte Harman drei Tendenzen der Kapitalkonzentration: eine auf nationaler, eine andere auf regionaler und eine dritte auf internationaler Ebene. Harman sagte voraus: »Wenn der bestehende Staat eine zu enge Basis für die Aktivitäten des Kapitals bietet, wird es notwendigerweise einen Versuch zur Vergrößerung dieser Basis durch Bündnisse und Zusammenschlüsse mit anderen Staaten geben. Deshalb wird langfristig der Trend zu größeren regionalen Blöcken vorherrschen.«23

Tatsächlich kam es in den 1960er und 1970er Jahren zu einer »Tendenz der Konzentration des Kapitals innerhalb der nationalstaatlichen Strukturen mit Unterstützung der Nationalstaaten«.24

Das änderte sich jedoch, als Mitte der 1970er Jahre die europäischen Volkswirtschaften von der Krise erfasst wurden, was langfristig einen weitreichenden Umstrukturierungsprozess auslöste. Die Zahl der europäischen Unternehmenszusammenschlüsse (Fusionen) nahm erheblich zu. Laut Statistik über Fusionen und Aufkäufe bei Europas 1.000 größten Unternehmen kam es in den 1980er Jahren zu wichtigen Entwicklungen. In den Jahren 1982/83 gab es 117 Fusionen. Die Zahl stieg auf 303 in den Jahren 1986/87 und 662 in den Jahren 1989/90. Zu Beginn des Jahrzehnts überwogen nationale Abkommen. Das änderte sich zum Ende des Jahrzehnts. In den Jahren 1983/84 wurden 65,2 Prozent der Geschäfte national abgewickelt, 18,7 Prozent auf europäischer Ebene und 16,1 Prozent auf internationaler Ebene. In den Jahren 1988/89 waren nur noch 47,4 Prozent national, aber 40 Prozent europäisch und 12,6 Prozent international.25 Diese Zahlen zeigen, dass der Nettoeffekt der Entscheidung von 1985, die Vollendung des Binnenmarkts anzustreben, darin bestand, den Prozess der Umstrukturierung durch Unternehmenszusammenschlüsse und Aufkäufe zu beschleunigen und solche Geschäfte auf europäischer Ebene zu fördern. Eine politische Entscheidung stimulierte die Tendenz zur Zentralisierung des Kapitals auf regionaler Ebene. Es scheint auch klar zu sein, dass europäische Unternehmen versuchten, die notwendige Größenordnung zunächst durch nationale und dann europäische Konsolidierung zu erreichen.26

Dieser Prozess wurde sodann in den 1990er Jahren verstärkt. Eine von der Französischen Planungskommission im Jahr 2004 beauftragte Studie kam zu dem Ergebnis, dass »durch die Installation von Unternehmen in anderen europäischen Ländern und die Entstehung von Unternehmen auf europäischer Ebene ein echter europäischer Wirtschaftspol geschaffen wurde, insbesondere im letzten Jahrzehnt, was sich im gemeinsamen Binnenmarkt und dem Euro niederschlug.«27

Ein weiterer Indikator für die Fortschritte bei der Errichtung eines europäischen Pols ist das Netz miteinander verschränkter Aufsichtsräte auf der Ebene der multinationalen Unternehmen. Das bezieht sich auf die Aufsichtsräte, die gleichzeitig im Rat zweier Unternehmen sitzen. Die Dichte dieser Netze lässt vermuten, dass es eine Art von Kapitalistengemeinschaft mit gemeinsamen Strategien für die Weltmarktkonkurrenz gibt. Kees van der Pijl untersuchte die Entwicklung dieser Netzwerke auf der Ebene der 150 größten Multinationalen in den 1990er Jahren. Seine

22 Siehe im Falle Frankreichs Serfati, 2008, S. 13.23 Harman, 1991, S. 48.24 Harman, 1991, S. 45.25 Cox und Watson, 1995, S. 322–324.26 So lautet die Schlussfolgerung in einer französischen Studie über europäische Finanznetze aus dem Jahr 1993.

Dupuy und Morin, 1993, S. 15.27 Dietsch und andere, 2004, S. 170.

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Schlussfolgerung lautet, dass »der neoliberale Umbau des Kapitals in Europa auch Folgen für das Netzwerk der miteinander verzahnten Aufsichtsräte von Großkonzernen hatte. Im ersten Jahrzehnt nach Maastricht nahm das europäische Kapital eine Form an, das die Öffnung der national beschränkten Finanzkapitalstrukturen auf dem Kontinent widerspiegelte und deren Transformation in ein konkurrierendes transnationales Netz, getrennt vom atlantischen Netz.«28 Der letzte Teil dieses Zitats weist auf etwas sehr Wichtiges hin: In diesem Prozess wurde ein europäischer imperialistischer Block in Konkurrenz zum US-amerikanischen Imperialismus auf dem Weltmarkt geschaffen.

Daraus ergibt sich, dass über die Jahrzehnte die Tendenz zur Kapitalkonzentration auf regionaler Ebene den europäischen Zusammenschluss antrieb. Europäische Institutionen wurden gestärkt, als der Prozess der Kapitaleuropäisierung ökonomisch Vorrang vor dem Prozess der nationalen Kapitalkonsolidierung errang. Das Ende des Luxemburger Kompromisses führte zur stärkeren Zentralisation bei der Entscheidungsfindung, während die Macht der Kommission in diesem Bereich exklusiver Zuständigkeit erheblich gestärkt wurde.29 Und die Macht der EZB steht kaum infrage. Diese Entwicklungen können den Druck auf europäische Staaten nur weiter erhöhen, sich in einen europäischen Superstaat einzugliedern. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass europäische Industriekonzerne aufgrund einer französischen Initiative von 1983 zusammenkamen, um die mächtigste Unternehmenslobby in Europa zu gründen, den Europäischen Runden Tisch der Industriellen (ERT). Der ERT hat systematisch zugunsten einer Vertiefung der europäischen Integration argumentiert, und faktisch wurden viele seiner Berichte und Vorschläge offizielle Politik der Europäischen Kommission.30 Die Lissabon-Agenda vom Jahr 2000 war wesentlich beeinflusst von Berichten, die in den Vorjahren von der vom ERT gegründeten Advisory Group on Competitiveness (Beratungsgruppe für Wettbewerbsfähigkeit), die die Europäische Kommission bei der Entwicklung eines Plans für Reformen beraten sollte, veröffentlicht worden waren.31

Aber Harman wie Mandel sagten auch, dass der Prozess gegenläufigen Tendenzen unterworfen war.32 Die Regierungen wurden nach wie vor von nationalen Interessen beeinflusst. Das führte zu Protektionismusversuchen und der starken Bevorzugung einer nationalen Konsolidierung statt europäischer Partnerschaften und Fusionen.33 Das galt insbesondere für Frankreich. Selbst heute noch geraten Regierungen immer wieder mal in Versuchung, im Zweifelsfall auf eine rein nationale Lösung zu setzen. Das zeigte sich, als sich die Regierung Silvio Berlusconi in Italien gegen die Übernahme von Alitalia durch Air France-KLM im Jahr 2008 stellte und dann die Fluggesellschaft an eine italienische Finanzgruppe verkaufte, oder darin, wie die französische Regierung die Fusion von Gaz de France und Suez betrieb, um Suez vor der feindlichen Übernahme durch den italienischen Energieriesen Enel zu schützen.

Noch wichtiger ist, dass innerhalb des durch den europäischen Zusammenschluss geschaffenen Rahmens jeder Nationalstaat seine eigenen Interessen und jene der Kapitalien, die sich überwiegend auf ihn stützen, zu verteidigen versucht. Denn obwohl europäische multinationale Konzerne auf

28 Van der Pijl, 2006, S. 283.29 Serfati, 2004, S. 200. Serfati zieht sogar in Betracht, dass »die Kontrollmacht der Kommission größer ist als die der

Kartellaufsicht in den USA«.30 Siehe die marxistische Studie des ERT von van Apeldoorn, 2002.31 Van der Pijl, 2006, S. 287. 32 Es gab allerdings unterschiedliche Ansätze dabei. Harman betonte viel stärker als Mandel das Beharrungsvermögen

der Strukturen von Nationalstaaten. Er sagte voraus, dass »wir eine lange Phase harter Verhandlungen zwischen konkurrierenden Nationalkapitalismen erleben werden, wo die nationalen Ideologien für die herrschenden Klassen von großer Bedeutung sein und politische und soziale Kämpfe im Wesentlichen auf nationaler Bühne stattfinden werden«. Diese Position hat im Großen und Ganzen immer noch Bestand, da die Machtbalance zwischen den Nationalstaaten und den EU-Institutionen nach wie vor die Nationalstaaten bevorzugt. Mandel dagegen erwartete, dass ein europäischer Imperialismus sich herausbilden und recht bald die USA herausfordern würde. Er dachte, dass der gaullistische Wirtschaftsnationalismus »irrational« (Mandel, 1970, S. 54) sei, statt ihn eben als Mittel zu verstehen, die Interessen des innerhalb des französischen Staats konzentrierten Kapitals während des Integrationsprozesses zu vertreten. Mein Dank an Alex Callinicos, der auf die Bedeutung dieses unterschiedlichen Ansatzes hinwies.

33 Harman, 1971, S. 11; Mandel, 1970, S. 52–55 über den Gaullismus, und S. 105 über Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus.

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regionaler Ebene operieren – abgesehen von den sehr seltenen Fällen, da sie global vorgehen –, werden sie weiterhin überwiegend von Kapitalistengruppen kontrolliert, die in der Regel privilegierte Beziehungen zu einem bestimmten Nationalstaat haben.34 Jeder Nationalstaat versucht also die Politik und Strategie der Europäischen Union im Interesse des einheimischen Kapitals zu beeinflussen. Das deutlichste Beispiel dafür ist die Steuerung der von den meisten dieser Länder geteilten Währung, des Euros. Nicht zufälligerweise hat Deutschland neben den Niederlanden immer auf einen starken Euro gepocht. Wie Guglielmo Carchedi gezeigt hat, verfügt Deutschland über die höchste Konzentration technologisch innovativer Unternehmen, die von einer starken Währung profitieren.35 Das gilt sehr viel weniger für Länder wie Frankreich oder Italien, die zur Anregung ihrer Exporte eher von einem schwachen Euro abhängig sind.36 Deshalb beklagen sich regelmäßig französische und italienische Politiker darüber, dass der Euro zu stark sei oder die Europolitik die Bedürfnisse ihrer Industrien nicht berücksichtige.

Insgesamt ist also das europäische Zusammengehen ein widersprüchlicher Prozess, der in Richtung des tatsächlichen Zusammengehens der verschiedenen nationalen Fraktionen des europäischen Kapitals geht, während gleichzeitig jede nationale Kapitalgruppe diesen Prozess nach eigenen Interessen zu gestalten versucht.37 Schwache Kapitalien mit wenig Aussicht, auf der hohen See des europäischen Markts zu überleben, suchen Schutz bei demjenigen Nationalstaat, in dem sie sich entwickelt haben. Diese beiden zuletzt genannten Sachverhalte sind eine mächtige konservative Kraft und halten die Tendenzen zum Zusammenschluss und deren beiden wesentlichen Untertendenzen, nämlich die regionale Kapitalkonsolidierung einerseits und die entsprechende regionale Organisation der Staatsfunktionen andererseits, zurück.38 Die einzige Möglichkeit, dieses Hindernis ein für alle Mal zu beseitigen, bestünde darin, dass Deutschland als mächtigster Staat mit Gewalt die politische Einheit auf dem Kontinent erzwänge. Der letzte Versuch dieser Art mündete in den Zweiten Weltkrieg, und während des Kalten Kriegs musste die deutsche herrschende Klasse den Kompromiss hinnehmen, wonach ihre Herrschaft in Europa friedlich von den anderen europäischen Staaten anzuerkennen wäre. Angesicht der Konkurrenz anderer Imperialismen kontinentaler Größe (der USA, des stalinistischen Russlands vor 1989 und jetzt zunehmend des aufstrebenden Chinas) hatten diese Staaten keine andere Wahl, als ihren Anteil an dem entstehenden imperialistischen Block unter deutscher Führung auszuhandeln (obwohl gerechterweise gesagt werden muss, dass die Franzosen auch sehr einflussreich sind).

Zweierlei muss an dieser Stelle noch ergänzt werden: Erstens findet der ganze Prozess nicht in einem Vakuum statt, sondern im Kontext einer globalen politischen Ökonomie, in welcher sich bereits konkurrierende Imperialismen eingerichtet haben. Der vorherrschende Imperialismus, die USA, ist in der Lage, global zu handeln und die Entwicklungen weltweit zu beeinflussen, auch in Europa. Die Haltung der USA zum europäischen Zusammenschluss hängt davon ab, inwieweit sie diese Entwicklung als gegen ihre eigenen Interessen gerichtet ansehen. Deshalb haben sie jene

34 Rugman und Verbeke, 2002, zeigen auf, dass »in der Gesamtzahl von 20 hoch internationalisierten MNUs [multinationalen Unternehmen; d. Übers.] nur bei sechs Unternehmen eine Globalstrategie und -struktur festgestellt werden kann, zusätzlich konnte beobachtet werden, dass selbst diese Unternehmen regionale Elemente aufweisen«; S. 11.

35 Carchedi, 2001, S. 129–143.36 Deshalb waren wichtige Stimmen in Frankreich während der Frühjahrskrise 2010 und der Abwertung des Euros zu

hören, die diese Entwicklung begrüßten, wie Patrick Devedjian, Minister für Konjunkturbelebung; Les Echos, 18. Mai 2010.

37 Alex Callinicosʼ Darstellung der Reaktion der EU auf den Börsenzusammenbruch von 2008 führt zu einer anderen Analyse. Er zeichnet das Bild einer EU, die unter dem Gewicht »divergierender Nationalinteressen« gelähmt ist (Callinicos, 2010, S. 97), und er sagt voraus, dass die »letztgültige Macht weiterhin bei den Mitgliedsstaaten liegen wird« (S. 101). Er und Jane Hardy haben die in diesem Artikel unterbreitete Analyse kritisiert, weil die Widersprüche der EU und die Macht der Nationalstaaten unterschätzt würden.

38 Etwas Ähnliches wenn auch von geringerer Bedeutung gibt es auch in den USA. Die 50 Bundesstaaten haben alle dasselbe Gewicht in wichtigen Einrichtungen wir dem Senat. Das führt immer wieder zu Problemen bei der Zentralisation der Entscheidungsfindung. Damit erschöpft sich allerdings der Vergleich schon. In den USA wird das Staatsoberhaupt, das gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, von der Bevölkerung gewählt, was weder für den Präsidenten der Europäischen Kommission noch für den Präsidenten des Europarats gilt. Und das Repräsentantenhaus der USA übt im Gegensatz zum Europaparlament wirkliche Macht aus.

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Entwicklungen unterstützt, die die Fähigkeit der EU unterlaufen, durch größeren inneren Zusammenhalt strategisch und politisch unabhängig zu werden. Die USA unterstützten nachdrücklich den schnellen Eintritt osteuropäischer Staaten in die EU, befürworteten verbal die Kandidatur der Türkei – eines traditionellen und bis vor Kurzem sehr loyalen Verbündeten der USA – und stellten sich deutlich gegen Versuche, eine europäische militärische Einheit und Kommandostruktur außerhalb und unabhängig von der Nato aufzubauen.39 Einer der Gründe für die US-amerikanische Offensive im Nahen Osten seit dem Jahr 2001 war die Spaltung, die das unter den europäischen Staaten hervorrufen würde. Abgesehen von Großbritannien als dem traditionellen Verbündeten der USA in Europa stellten sich weitere wichtige Staaten wir Italien, Spanien und Polen hinter George W. Bushs Kreuzzug gegen den Irak, trotz starker Opposition von Frankreich und Deutschland, den Staaten also, die treibende Kraft des europäischen Zusammenschlusses sind. Schließlich klagen US-Politiker auch über die deutsche Wirtschaftsstrategie, den strukturellen Handelsüberschuss und die deflationären Folgen.40 Da es sich um die deutsche Wirtschaftsstrategie handelt, die Europa dominiert und tendenziell andere europäische Staaten zur Anpassung zwingt, sind die Klagen der USA an dieser Front ebenso wichtig wie Klagen über die chinesische Wechselkurspolitik.

Zweitens müssen wir noch einmal einen Blick auf die Vorhersagen von Mandel im Jahr 1970 werfen. Er ging davon aus, dass es nichts Unwiderrufliches bei dem europäischen Wirtschaftszusammenschluss gebe, solange der institutionelle Zusammenschluss noch nicht hinreichend entwickelt war. Das brachte ihn zu der Voraussage, dass »der Moment der Wahrheit für die EWG dann kommen wird, wenn Europa in eine allgemeine Rezession abgleitet«.41 Das erwies sich zumindest zweimal als richtig, zuerst mit den Rezessionen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, was zur Vertiefung des europäischen Zusammenschlusses durch Vollendung des Gemeinschaftsmarkts und der Europäischen Währungsunion (EWU) führte, und ein zweites Mal mit der europaweiten Rezession Anfang der 1990er Jahre, was unter anderem zur Währungskrise von 1992/93 führte, in der das britische Pfund, die italienische Lira und der französische Franc gezwungen waren, den Wechselkursmechanismus zu verlassen. Trotzdem und trotz der heftigen Spekulationen darüber, ob der Euro am Ende eingeführt werden würde, ging der europäische Einigungsprozess weiter. Nach Carchedi »wurde akzeptiert, dass der weitere Einigungsprozess (EWWU) nicht nur aus politischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen notwendig war. Die Krise des Wechselkursmechanismus (WKM) in den Jahren 1992/93 hatte gezeigt, dass hier ein ernstes Problem bestand.«42 Diese beiden Ereignisfolgen weisen auf ein Muster hin, wonach jede Krise als Katalysator zur Aushebelung von Opposition gegen den weiteren Zusammenschluss wirkt, indem in der Praxis gezeigt wird, warum die dominierenden Fraktionen des europäischen Kapitals sich nicht länger allein auf einen Einzelnationalstaat stützen können und warum Einzelnationalstaaten viel schwächer wären, wenn sie sich selbst überlassen blieben.43

Die Schaffung der EWWU und ihre MängelDie obige Diskussion bildete den Rahmen für die Untersuchung der EWWU, der Einführung des Euros und der gegenwärtigen Krise der Einheitswährung. Diese Krise resultiert teils aus den Mängeln und Widersprüchlichkeiten der Arrangements hinter dem Euro, die wiederum die widersprüchliche Natur des europäischen Einigungsprozesses widerspiegeln. In dieser Hinsicht gehen die Ursprünge auf den Vertrag von Maastricht zurück und auf die Tatsache, dass mit ihm

39 Zu Letzterem siehe Carchedi, 2006.40 Bouilhet, 2009, de Vergès, 2010. Martin Wolf hat in verschiedenen Artikeln in der Financial Times dieselbe Kritik

geäußert. Wolf richtet seine Kritik gegen Deutschland und China. Siehe beispielsweise Wolf, 2009.41 Mandel, 1970, S. 102.42 Carchedi, 2001, S. 12.43 Das wird auch in einem Leitartikel von einem der prominentesten Vertreter des europäischen multinationalen

Kapitals, Peter Sutherland, ehemaliger EU-Kommissar, Aufsichtsrat von BP und Goldman Sachs International, in der Financial Times betont: »Eine ehrenwerte Tradition der Europäischen Union besteht darin, die Krise in eine Chance zu verwandeln. ‚Eurosklerose‘ und Haushaltsstreitereien in den 1980er Jahren gingen der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 voraus; und die Krise des Wechselkursmechanismus in den Jahren 1992/93 beschleunigte die Schaffung der europäischen Einheitswährung«; Sutherland, 2010.

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neben der Währungsunion keine echte finanzpolitische Union geschaffen wurde.Wie ich bereits erwähnt habe, war unter dem Europäischen Währungssystem (EWS) die

europäische Währungskooperation um die D-Mark und Deutschland herum organisiert. Seitdem die Stärkung der sich am EWS beteiligenden nationalen Währungen zum Hauptziel geworden war (mit Ausnahme der D-Mark und dem niederländischen Gulden als ohnehin schon starke Währungen), und da dies in der Praxis hieß, mit den Schwankungen des D-Mark-Werts mitzuhalten, wurde die Wirtschaftspolitik in Europa von Deutschland diktiert. Kam es zum Beispiel nach einer Schwächung des Dollars zu einem Kapitalfluss in die D-Mark und wurde diese daraufhin aufgewertet, dann waren die Behörden der anderen europäischen Länder ebenfalls gezwungen, ihre Zinssätze zu erhöhen, um Kapitalmengen in einer Größenordnung anzuziehen, dass ihre Währungen der D-Mark folgen konnten. Oder wenn die Bundesbank wie 1992 ihre Zinssätze anhob, um die Inflation unter Kontrolle zu halten, dann wurde das auf den ganzen Kontinent (einschließlich Großbritannien, da es in den Jahren 1990 bis 1992 am Wechselkursmechanismus beteiligt war) übertragen. Im Jahr 1992 stürzte das die europäischen Wirtschaften in eine tiefe Rezession. Da es signifikante Inflationsunterschiede zwischen Deutschland (und den Niederlanden) einerseits und dem übrigen Europa gab, hieß das in der Praxis, dass die Bundesbank europaweit eine Strategie der »konkurrierenden Inflationsbekämpfung« durchsetzen konnte. Die anderen Staaten waren gezwungen, die Inflation auf deutsches Niveau herunterzubringen, um durch die aus der Inflationsbekämpfung folgende Umstrukturierung mit Deutschlands internationaler Konkurrenzfähigkeit mithalten zu können.44 Natürlich waren wichtige Flügel der herrschenden Klassen in den anderen europäischen Ländern nur zu glücklich, von der Bundesbank auf diesen Weg geführt zu werden. Der US-amerikanische Politikwirtschaftler Delors sagte:

Historisch gesehen gab es immer eine Minderheitsposition in Frankreich, wonach Inflation für die langfristige Gesundheit der Wirtschaft besonders schädlich war. […] Diese Minderheit hat immer versucht, Frankreich zu modernisieren: die Währung zu stabilisieren, Inflation zu bekämpfen und ein gesundes Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Und schließlich gewann diese Minderheit in Frankreich in den 1980er Jahren. Das war ein langer und schwieriger Kampf.45

»Konkurrierende Inflationsbekämpfung« hieß, zur Erhöhung der Profite Druck auf die Löhne auszuüben und die Subventionierung unprofitabler Unternehmen zu beenden. Das Ergebnis lässt sich an der folgenden Grafik ablesen:

Grafik 1: Entwicklung der Lohnquote in Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1976–2006:

44 Die Zahlen über Fusionen und Aufkäufe aus dem vorherigen Abschnitt stützen diese Analyse.45 Abdelal, 2006, S. 7–8.

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Quelle: Michel Husson »Le partage de la valeur ajoutée«, Powerpoint-Präsentation, August 2009

Diese Strategie herrschte trotz der parallel existierenden europäischen »Struktur-« und »Kohäsionsfonds« vor. Diese sollten die am wenigsten konkurrenzfähigen Regionen der Gemeinschaft durch Bereitstellung von Mitteln für Infrastrukturinvestitionen stärken, was faktisch auf einen Transfer von den reicheren zu den ärmeren Ländern hinauslief und auf eine embryonale gemeinsame Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene.

Aber die Vorherrschaft der Bundesbank ließ auch Missstimmung in Europa aufkommen. Vor allem in einem Land wie Frankreich, dessen Politiker gerne denken, sie hätten die Fähigkeit, unabhängig auf dem Weltmarkt zu agieren, gab es das starke Bedürfnis, die Kontrolle über die Geldpolitik zurückzugewinnen. Zusätzlich gewann die politische Opposition gegen die Strategie der »konkurrierenden Inflationsbekämpfung« an Kraft mit Wirtschaftlern, Politikern und Unternehmern, die nach einer alternativen keynesianischen Politik der Konjunkturbelebung und protektionistischen Maßnahmen zugunsten der französischen Industrie riefen. Schließlich trat die EU-Kommission selbst unter der Führung von Delors nachdrücklich für eine Einheitswährung ein. Delors saß einem Komitee vor, das im Jahr 1989 einen Bericht veröffentlicht hatte, in dem eine solche Entwicklung gefordert worden war. Die Begründung für die Währungsunion lautete, dass der europäische Binnenmarkt konsolidiert und Mitgliedsstaaten daran gehindert werden müssten, eine störende eigene Geld- und Währungspolitik zu verfolgen. In jedem Fall würde es schwierig werden, Kapitalmobilität mit stabilen Wechselkursen zu vereinbaren, es sei denn, diese würden ganz beseitigt. Außerdem würde eine gemeinsame Währung die Konkurrenzfähigkeit stärken und das Tempo des Zusammenschlusses der jetzt liberalisierten europäischen Finanzmärkte erhöhen, wodurch potenziell das europäische geld- und währungspolitische Gewicht auf dem Weltmarkt gestärkt würde.

All das waren triftige Gründe für eine Währungsunion. Diskussionen und Vorbereitungen für eine Konferenz der Regierungen über die Geldpolitik begannen Anfang der 1980er Jahre und gingen dem Niedergang des Sowjetblocks voraus. Das ist wichtig, weil die Folgen des Mauerfalls in Berlin für Deutschlands Bereitschaft, die D-Mark für den Euro aufzugeben, manchmal überschätzt werden. Zweifellos haben diese Ereignisse das, was auf dem Spiele stand, erhöht und noch mehr Druck auf die Schwachwährungsländer ausgeübt, die deutschen Bedingungen zu akzeptieren (also die Konvergenzkriterien und die Unabhängigkeit der EZB). Und die deutsche Regierung beeilte sich, Frankreichs Bedenken gegenüber einer deutschen Wiedervereinigung auszuräumen, indem sie formell den Staat noch enger an Westeuropa band. Aber schon vor 1989 gab es für Deutschland starke Anreize, die Geld- und Währungsstabilität in Europa zu erhalten. Die Länder der Region waren inzwischen Hauptempfänger der deutschen Exporte und der Auslandsinvestitionen, und es war sehr wichtig dafür zu sorgen, dass diese Märkte für das deutsche Kapital offen blieben.46 Die

46 Parboni, 1981, S. 157–163.

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1970er Jahre hatten gezeigt, dass die nationalstaatliche Kontrolle der Geldpolitik Mitgliedsstaaten dazu verleiten konnte, durch Abwertung gegen die D-Mark zu konkurrieren. Und schließlich konnte eine gemeinsame Währung ausreichend geldpolitisches Gewicht gegen die Schlüsselposition des Dollars in der Weltwirtschaft und gegen die Vorteile, die die US-amerikanische herrschende Klasse seit Anfang der 1960er Jahre daraus zog, aufbieten, auch wenn dieses Argument bevorzugt von den Franzosen und nicht von den Deutschen vorgebracht wurde. Insoweit die deutsche herrschende Klasse damit begonnen hatte, sich von der Vormundschaft der US-Amerikaner zu befreien, war das eine Perspektive, die sie gerne näher kennen lernen wollte.

Die Verhandlungen über die Währungsunion gestalteten sich als langer Prozess mit viel Feilscherei und Langzeitberechnungen. Einerseits wollten die Franzosen die Kontrolle über die Geldpolitik wiedererlangen in der Hoffnung, das werde zu einem weniger lehrbuchhaften Ansatz und einer Wechselkurspolitik führen, die die französischen wie die deutschen Interessen berücksichtigte. Sie wünschten sich auch eine Industrie- und Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene ähnlich der, wie es sie in Frankreich seit den 1950er Jahren als Teil einer staatskapitalistischen Organisation der politischen Ökonomie des Nachkriegsfrankreichs gegeben hatte. Andererseits würden die Deutschen die D-Mark so lange nicht aufgeben, bis sie ernsthafte Garantien erhielten, dass die neue Währung genauso stark sein würde. Mit weniger als der Unabhängigkeit der neuen Europäischen Zentralbank und strikten Konvergenzkriterien als Instrument, die »Partner« zu zwingen, die deutsche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachzuahmen, waren die Deutschen nicht zu einem Abschluss bereit, da sie die Finanzpolitik des übrigen Europas nicht direkt kontrollieren konnten.

Das ausgehandelte Ergebnis bestand darin, dass Deutschland seine Forderung nach größerer Macht für das Europäische Parlament und nach mehr deutschen Parlamentsmitgliedern aufgab als Gegenleistung für die künftige Europäische Zentralbank und die fünf oben genannten Maastrichtkriterien.47 Frankreichs Forderungen nach einer gemeinsamen europäischen Industrie- und Wirtschaftspolitik wurden nicht erfüllt, da Deutschland befürchtete, dass das zu verstecktem Protektionismus auf europäischer Ebene in Form von Subventionen für schwächelnde Unternehmen führen würde. Stattdessen wurde Konkurrenzpolitik zum Hauptinstrument der Regulierung des Binnenmarkts. Das entspricht viel mehr der Art und Weise, wie die deutsche politische Ökonomie in der Nachkriegszeit geführt worden war. Sie war auch ein weiteres Instrument, für den notwendigen Umbau der europäischen Wirtschaft zu sorgen. Deshalb entwickelte sich aus den Maastrichtverhandlungen ein bestimmter strategischer Zusammenhang: Geld- und Finanzpolitik wie auch die Regulierung des Binnenmarkts sollten auf die Beschleunigung des Umstrukturierungsprozesses mit dem Ziel ausgerichtet werden, die Arbeiterbewegung zurückzudrängen und die regionale Konsolidierung des Kapitals zu stärken.

Festzuhalten ist, dass strategische Differenzen nicht nur zwischen nationalen Regierungen bestanden. Es gab sie auch innerhalb der Länder und zwischen staatlichen Institutionen. Frankreich ist wohl das beste Beispiel dafür. Einer der wichtigsten Denker der französischen sozialliberalen Linken sagte dazu:

Frankreichs Wirtschaftsregierung – oder wenn man so will die wirtschaftlichen Entscheidungsträger: das Finanzministerium, die französische Zentralbank, die privaten Aufsichtsräte der Industrie- und Finanzkonzerne – hätten sich nicht auf ein EWWU-Projekt eingelassen, wenn dessen Hauptziel seit der Wende vom März 1983 [der Austeritätswende] nicht darin bestanden hätte, die Strategie der konkurrierenden Inflationsbekämpfung in den Marmor der europäischen Institutionen zu meißeln, indem den politischen Behörden die Möglichkeit zur beliebigen Manipulation der Geldpolitik genommen wurde.48

Kein Wunder, dass die französische Zentralbank als einzige französische Einrichtung und gegen

47 Balleix-Banerjee, 1999, S. 191–192. 48 Cohen, 1996, S. 347–348.

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Außenministerium und Finanzministerium von Anfang an für die Unabhängigkeit der EZB eintrat.49

In dieser Hinsicht ist das Thema der Unabhängigkeit der EZB das deutlichste Beispiel für das gerne zitierte »Demokratiedefizit« der Europäischen Union, dass also Entscheidungen auf europäischer Ebene von nicht gewählten Körperschaften wie der Europäischen Kommission und der EZB getroffen werden. Das ist kein Zufall, sondern die europäischen Kapitalisten wollten so die politische Entscheidungsfindung von dem Druck abschirmen, dem sie normalerweise in der Sphäre der bürgerlich-repräsentativen Demokratie ausgesetzt ist. Und es ist ein Zeichen für die Schwierigkeiten der europäischen herrschenden Klassen, die sie haben, wenn sie den europäischen Arbeitern ihren Willen aufzwingen wollen.

Aber es gab noch ein anderes wichtiges Thema, nämlich welche Länder sich am Ende für die EWWU qualifizieren würden. Deutschland bevorzugte eine Gemeinschaft aus den Ländern Nordeuropas und Österreich, wenn es sich dazu entschlösse, da so eine starke Währung sichergestellt wäre. Frankreich jedoch fürchtete, damit in der Zukunft weniger Spielraum zu haben und dass es schwerer würde, die Geldpolitik in eine weniger lehrbuchhafte Richtung zu lenken. Die Franzosen verteidigten deshalb eine Reihe von Abkommen, wozu auch ein weniger strikter Ansatz in der Frage des Haushaltsdefizits gehörte, sodass die südeuropäischen Länder wie Spanien, Portugal, Italien und Griechenland leichter der EWWU beitreten konnten.50 Diese Länder hinkten hinter dem übrigen Europa in Bezug auf Konkurrenzfähigkeit, Schuldenprobleme und Inflation ziemlich hinterher. Und sie wollten unbedingt beitreten, weil sie dann auch in den Genuss der Kreditwürdigkeit einer Mitgliedschaft kämen. Sie würden in derselben Liga spielen wie die Deutschen und das würde die Kosten der Kreditaufnahme auf den internationalen Finanzmärkten senken. Sie konnten dann hoffen, das so gesparte Geld zur Stärkung ihrer Volkswirtschaften und ihrer Konkurrenzfähigkeit einzusetzen. Der Maastrichtvertrag blieb jedoch in einem wichtigen Bereich hinter dem Ziel einer Wirtschaftsunion zurück: in der Finanzpolitik. In dem Delors-Bericht, der als Grundlage für die Aushandlung des Vertrags diente, wurde keine finanzpolitische Union vorgeschlagen. Für die Föderalisten war das ein Schritt zurück von dem vorherigen Versuch, entsprechend dem Werner-Bericht eine Währungsunion zu bilden.51 In diesem Bericht war vorgeschlagen worden, die Finanzhoheit für Steuern, öffentliche Ausgaben und Kreditaufnahme auf die Europäische Kommission zu übertragen. Aber solche entschiedenen Schritte Richtung Föderalismus hatten keine Chance, von der nationalen Politik anerkannt zu werden, die weiterhin ihrer Souveränität hohe Bedeutung zumaß, vor allem in Frankreich. Die Finanzhoheit ist eine wesentliche Aufgabe jedes Staats. Insoweit die Strukturen des Nationalstaats noch nicht in einem ausreichenden Maße durch überregionale Kapitalkonsolidierung untergraben waren, war es unvorstellbar, die Finanzhoheit auf die europäische Ebene zu übertragen.

Das Delors-Komitee entschied sich für einen eher pragmatischen Pfad. Die Konvergenzkriterien, insbesondere jene, die die öffentlichen Schulden und Haushaltsdefizite betrafen, sollten als eine Art Zwangsjacke dienen, um die nationale Finanzpolitik auf Konvergenzkurs zu bringen. Bezüglich der Staatsverschuldung gab es keinen Fortschritt. Es wurden weder europäische Anleihen oder eine Schuldenagentur noch Solidarität mit Staaten mit übermäßigen Schuldenlasten vorgeschlagen. Und die EZB durfte keine Kredite an Nationalregierungen oder Gemeinschaftsinstitutionen vergeben oder Schuldeninstrumente von ihnen kaufen (genau das tat sie aber, als sie im Mai 2010 mit dem Ankauf griechischer Anleihen begann).52 Jeder Staat war trotz der gemeinsamen Währung verantwortlich für seine eigenen Schulden. Die EWWU war nur halb vollständig. Aber lange Zeit schien das niemand ernsthaft wahrzunehmen. Nicht nur das: Alex Callinicos stellte im Jahr 2005 fest: »Im Vorfeld der Euroeinführung näherten sich die Zinssätze in Europa einander an. […] Das spiegelte den Glauben der Finanzmärkte wider, dass die Schulden aller Volkswirtschaften der Eurozone faktisch durch die EU abgesichert wurden«, das Gegenteil von dem, was im

49 Balleix-Banerjee, 1999, S. 144–148. 50 Balleix-Banerjee, 1999, S. 213–240, S. 200.51 Eichengreen, 2008, S. 150–152.52 Das ist Artikel 21.1 des Protokolls der EZB, online unter: http://eur-lex.europa.eu/

en/treaties/dat/11992M/htm/11992M.html#0068000004.

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Maastrichtvertrag festgeschrieben worden war.53 Kaum hatten die europäischen Staatsführer den Verhandlungstisch verlassen, kam schon der erste

Test. Die US-Wirtschaft rutschte in den Jahren 1990/91 in die Rezession ab und die Auswirkungen waren bereits in Europa zu spüren. Und die Bundesbank erhöhte die Zinssätze, um die aus der deutschen Wiedervereinigung resultierende Inflation abzuwehren. In einem Szenario, das einige Ähnlichkeiten mit der jetzigen Krise hatte, begannen die Finanzinvestoren daran zu zweifeln, ob die europäischen Regierungen der Bundesbank bei der Erhöhung der Zinssätze folgen und dadurch die in Europa zunehmende Arbeitslosigkeit noch verstärken würden. Als sich die dänische Wählerschaft bei einer Abstimmung im Juni 1992 gegen die Unterzeichnung des Maastrichtvertrags aussprach, verstärkten sich diese Zweifel, was zur Flucht aus den schwächeren Währungen führte, einschließlich der italienischen Lira und dem britischen Pfund. Im September mussten Italien und Großbritannien den Wechselkursmechanismus verlassen.

Die Krise schien alle Skepsis bezüglich der EWWU zu bestätigen. Sie versetzte den britischen Europafreunden, die das Pfund in den Euro überführen wollten, einen schweren Schlag. Wichtig für die künftige Entwicklung war dabei, dass jetzt der Konvergenzprozess lockerer gehandhabt werden konnte. Als die Weltwirtschaft Anfang der 1990er Jahre sich von der Rezession zu erholen begann, wurde es wegen der höheren Staatseinkünfte einfacher, die Maaastrichtkriterien zu erfüllen. Nach wie vor versuchten die europäischen Regierungen, Sparmaßnahmen durchzusetzen. Das Ergebnis waren wichtige Kämpfe und einige Siege der Arbeiterbewegung, wie der Generalstreik in Italien im Jahr 1994, der die erste Regierung Berlusconis stürzte, oder der Streik im öffentlichen Dienst vom November/Dezember 1995 in Frankreich, mit dem das »Reform«-Paket von Ministerpräsident Alain Juppé verhindert wurde.54 Abgesehen von der Sparpolitik, die alleine nicht ausreichte, »griffen Regierungen zu einmaligen Maßnahmen – meistens in Form zusätzlicher Steuern –, um für den Augenblick unter die 3-Prozent-Grenze staatlicher Neuverschuldung zu kommen, nur um anschließend die Haushaltsdisziplin wieder über Bord zu werfen.«55 Zehn Länder konnten deshalb im Jahr 1999 behaupten, die Maastrichtkriterien zu erfüllen, und im Jahr 2001 trat Griechenland ihnen bei.

Angesichts des Widerstands der Arbeiterklasse, der zu stark war, um gebrochen zu werden, wurden die Regeln so flexibel gehandhabt, dass die EWWU zum geplanten Zeitpunkt geschaffen werden und die Illusion erwecken konnte, sie stütze sich auf starke Fundamente. Deutschland forderte auch einen Stabilitätspakt mit ständiger Überwachung der nationalen Haushalte und mit Strafen für Länder mit überhöhten Defiziten, in der Hoffnung, solche Drohungen würden den Druck auf Regierungen erhöhen, sich mit ihrer Arbeiterschaft anzulegen. Daraus entstand im Jahr 1997 der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Als aber im Jahr 2003 Frankreichs wie Deutschlands Haushaltsdefizit über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, zogen diese Länder es vor, den Pakt zu reformieren und höhere Haushaltsflexibilität zuzulassen, statt sich an die Regeln zu halten und sich selbst Strafen aufzuerlegen. Viele kapitalismusfreundliche Kommentatoren beklagen, dass dies den wirtschaftsschwächeren Ländern ein schlechtes Beispiel gab.

Die Schaffung eines Konkurrenten zum Dollar und die gegenwärtige KriseDer Euro wurde im Jahr 1999 eingeführt. Euromünzen und Banknoten wurden im ersten Halbjahr 2002 nach und nach in Umlauf gebracht. Zu dieser Zeit gab es weitverbreitete Begeisterung über die Aussicht auf einen europäischen Zusammenschluss. Das reflektierte die Tatsache, dass trotz der Skepsis (in den USA und bei Finanzinvestoren) gegenüber der Einführung des Euros und trotz Meinungsverschiedenheiten, sich die Europäer gemeinsame Ziele setzen und sie erreichen konnten. Dieser Enthusiasmus stützte auch unzweifelhaft die franko-deutsche Haltung zum Irakkrieg im Jahr 2003.

Die Begeisterung wurde bestärkt durch die Tatsache, dass der Wechselkurs des Euros zum Dollar schon bald schnell anstieg. In den ersten beiden Jahren seiner Existenz, als er noch nicht in Umlauf

53 Callinicos, 2005.54 Siehe German, 1995, und Harman, 1996.55 Eichengreen, 2008, S. 220.

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war, fiel der Euro um 30 Prozent zum Dollar. Aber ab Frühjahr 2002 begann er zu steigen. Als er seinen Höchststand zum Dollar im Juli 2008 erreichte, hatte sich sein Wert im Vergleich zu seinem niedrigsten Stand im Oktober 2000 fast verdoppelt.

Die Stärke des Euros machte ihn zu einem plausiblen Anwärter für die Position als internationale Leitwährung. Wie ich zuvor erwähnt habe, war ein Grund für die Einführung des Euros sein Potenzial, mit dem Dollar zu konkurrieren. Wichtig bei der Schaffung solch eines Konkurrenten zum Dollar ist jedoch, dass er als »sicherer Hafen« von Investoren angesehen wird, die ihr Geld in wertsicheren Anlagen parken wollen. Deshalb wiederholen die EZB und ihr Präsident unablässig, sie hätten gute Arbeit geleistet, weil sie seit Einrichtung der Bank für Preisstabilität gesorgt hätten. Als Trichet in einem Interview mit Le Monde gefragt wurde, ob der Euro in Gefahr sei, antwortete er als Erstes:

Der Euro ist eine sehr zuverlässige Währung, der seinen Wert behält. Seit seiner Schaffung vor elfeinhalb Jahren lag die durchschnittliche jährliche Inflationsrate unter 2 Prozent und nahe bei 2 Prozent, entsprechend unserer Definition von Preisstabilität. Diese Fähigkeit des Euros, seinen Wert zu erhalten, ist ein wesentliches Element für das Vertrauen heimischer und ausländischer Investoren.56

Aber für die Konkurrenz zum Dollar reichen Stärke und Stabilität nicht aus. Der Euro muss sich auch auf konkurrenzfähige Finanzmärkte stützen können und in der Weltwirtschaft benutzt werden (»Weltgeld« werden, wie es manchmal heißt). Konkurrenzfähige Finanzmärkte müssen »tief« (zahlreiche Teilnehmer), liquide und profitabel sein. Genau ein solcher Markt war das Ziel der Europäischen Kommission, sobald der Euro gestartet wurde, indem die verbliebene Zersplitterung der europäischen Finanzmärkte beseitigt wurde.57 Und deshalb wird die Eurozone ständig weiter ausgedehnt. Neumitglieder wurden Slowenien im Jahr 2007, Zypern und Malta 2008, die Slowakische Republik 2009. Estland wird im Jahr 2011 beitreten. Und die anderen EU-Mitgliedsstaaten sind nach Unterzeichnung der Verträge verpflichtet, die Kriterien zu erfüllen und ebenfalls beizutreten.58

Wenn wir jedoch genauer hinsehen, können wir davon ausgehen, dass der Euro noch einen weiten Weg vor sich hat, ehe er tatsächlich in der Lage ist, die Position des Dollars in der Weltwirtschaft einzunehmen.59 Ende 2009 waren rund 27,3 Prozent der weltweiten Währungsreserven in Euro-dominierten Instrumenten angelegt, 1999 waren es knapp über 20 Prozent. Zum Vergleich betrugen die Zahlen beim Dollar um 64 Prozent im Jahr 2009 und 67 Prozent im Jahr 1999.60 Hinsichtlich der internationalen Schuldverschreibungen waren im Jahr 2009 31,4 Prozent in Euro und 45,8 Prozent in Dollar ausgegeben.61 In Bezug auf den Gebrauch auf ausländischen Devisenmärkten, was vielleicht das deutlichste Anzeichen für das Ausmaß ist, in dem eine Währung den Status einer Weltwährung besitzt, lag der Dollar auf beiden Seiten solcher Transaktionen bei 90 Prozent, während der Euro mit 40 Prozent weit hinterherhinkte.62 Die Schlussfolgerung der EZB selbst in ihrem letzten Bericht zur internationalen Rolle des Euros lautet:

Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die internationale Rolle des Euros in den ersten Jahren seiner Existenz als Einheitswährung etwas stärker wurde. Seitdem ist der internationale Gebrauch des Euros relativ stabil geblieben im Vergleich zu anderen internationalen Währungen

56 Le Monde, 1. Juni 2010.57 Zu den Details siehe Grahl (Hg.), 2009, Kapitel 3.58 Mit Ausnahme Großbritanniens, das sich aus dem Euro ausgeklinkt hat.59 Eine optimistische Darstellung der Aussichten für den Euro bietet McNamara, 2008; eine pessimistische Cohen,

2007. Beide betonen jedoch eins: Die institutionellen und politischen Schwächen der EWWU sind das Haupthindernis für das Vordringen des Euros als Weltwährung.

60 EZB, 2010, S. 34.61 EZB, 2010, S. 15–16. Dieser Unterschied war im Jahr 2005 fast verschwunden, als der Anteil beider Währungen

sich um die 40 Prozent einpegelte. Das war ein weiteres Anzeichen für den Enthusiasmus kurz nach Einführung des Euros.

62 EZB, 2010, S. 22–23.

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[…]. Der Euro wird vor allem in Ländern eingesetzt, die in weitgehender geografischer Nähe zur Eurozone liegen, während der internationale Gebrauch des US-Dollars in der Weltwirtschaft mehr verbreitet ist.63

Parallel zu den obigen Entwicklungen fanden unter der Oberfläche weitere statt, die die Kluft zwischen den schwächeren Volkswirtschaften der Eurozone und den stärkeren vergrößerten. Das war aber nicht zu erkennen, weil die Zinssätze sich mehr oder weniger angeglichen hatten, wie Callinicos festgestellt hat.

Zu Beginn des letzten Jahrzehnts setzte Deutschland eine Reihe von Maßnahmen durch (Gerhard Schröders Agenda 2010), die die Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu seinen europäischen »Partnern« stärkte und die Handelsbilanz ins Plus brachte.64 Diese Maßnahmen führten dazu, dass im vergangenen Jahrzehnt die Lohnstückkosten in Deutschland im Gegensatz zum übrigen Europa kaum anstiegen.65 Dadurch kam es zu einem wachsenden Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland und entsprechenden Defiziten in den südeuropäischen Ländern und Frankreich,66 der mit entsprechenden Kapitalexporten von Deutschland in diese Länder einherging.67 Deutschland vergab an das übrige Europa Kredite, damit es weiterhin die deutschen Exportgüter kaufen konnte, ganz ähnlich dem Verhältnis zwischen China und den USA.

Als also die Finanzkrise im Jahr 2007 ausbrach, und insbesondere nachdem sie sich zu einer tiefen Rezession im Jahr 2008 und 2009 entwickelte, waren die Schuldenlasten für die südeuropäischen Länder deshalb viel höher als für Deutschland. Das hatte nichts mit Geldverschwendung zu tun. Martin Wolf sagte dazu:

Griechenland ist ein böser Junge. Aber Italien, Frankreich und Deutschland haben das 3-Prozent-Haushaltsdefizit-Kriterium viel häufiger gebrochen als Irland und Spanien. Aber gerade Letztere stecken jetzt in viel größeren Geldschwierigkeiten.

Die Beschränkungen der staatlichen Haushalte konnten diese Risiken nicht auffangen. Das ist keine Überraschung. Preisblasen im Anlagenmarkt und damit verbundene Finanzexzesse trieben das Wachstum der irischen und spanischen Wirtschaft an. Der Zusammenbruch der Blasenwirtschaft hinterließ schließlich ruinierte Staatshaushalte.

Es waren die Blasen, Dummkopf68: Im Nachhinein war die Schaffung der Eurozone die Gelegenheit für eine Party, wie sie nur alle Jubeljahre vorkommt. Einige Länder hatten riesige Preisblasen im Anlagenmarkt; einige hatten relative Lohnsteigerungen. Unterdessen erzeugten Deutschland und die Niederlande einen hohen Leistungsbilanzüberschuss. Die Union förderte den Kapitalzufluss in die aufsteigenden Volkswirtschaften zu günstigen Bedingungen. Als die Privatausgaben implodierten, explodierten die Haushaltslöcher.69

Staaten bleiben auf riesigen Haushaltsdefiziten sitzen. Wie in diesem Magazin bereits im vergangenen Jahr argumentiert wurde, waren diese Haushaltsdefizite die Folge der Politik von Staaten, die verhindern wollten, dass sich die Wirtschaftskrise in eine Depression verwandelte, Folge der niedrigeren Staatseinnahmen und höheren Sozialausgaben aufgrund der Rezession von 2008/09. Als Ergebnis wurde die Masse der faulen Schulden, die die Banken bedrohten, auf den Staat übertragen, der sie rettete und so das Problem nur verschob. Die Eurokrise vom Frühjahr 2010 war eine konkrete Demonstration dessen. Spekulationen über die mögliche Zahlungsunfähigkeit der

63 EZB, 2010, S. 13.64 Zur Analyse der Maßnahmen und der politischen Bedingungen in Deutschland seit ihrer Umsetzung siehe Bornost,

2005 und 2007.65 Lapavitsas und andere, Grafik 10, 2010, S. 23.66 Zu Südeuropa siehe Lapavitsas und andere, Grafik 14, 2010, S. 27. Jean-Marc Vittori weist nach, wie zehn Jahren

erfolgreicher Angriffe der deutschen Regierung auf ihre Beschäftigten im Vergleich zur französischen Unfähigkeit, dem nachzutun, das Pendel der Konkurrenzfähigkeit zugunsten Deutschlands ausschlagen ließ; Vittori, 2010.

67 Lapavitsas und andere, Grafik 15, 2010, S. 28.68 Das geht auf einen Spruch von Bill Clinton zurück: »It's the economy, stupid!«; d. Übers.69 Wolf, 2010.

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Banken wurden umgewandelt in Spekulationen über die Zahlungsunfähigkeit der Staaten. Und während jeder Staat dem Druck der Finanzmärkte ausgesetzt ist, seine Schuldenaufnahme so schnell wie möglich zu verringern, wirkt dieser Druck sehr viel stärker bei kleinen und schwachen Staaten, wie das Beispiel Griechenland zeigt. Zudem rückten die hohen Defizite die Fähigkeit jedes Staats zur Schuldenrückzahlung ins Blickfeld und legten so die fehlerhafte Natur der EWWU offen. Griechenland stand allein da und alle konnten es jetzt sehen.

Die Folge war eine Vertrauenskrise des griechischen Staats, was die Kosten der Kreditaufnahme an internationalen Finanzmärkten in die Höhe trieb und zur Abwertung des Euros führte. Die Schere zwischen der Zinszahlung auf griechische und deutsche Staatsanleihen (die deutschen Staatsanleihen werden als Vergleichsmaßstab für die Kreditwürdigkeit anderer europäischer Staatsverschuldung genommen) weitete sich. Etwas musste getan werden, aber es gab Unstimmigkeit, was genau das sein sollte. Frankreich führte die Kampagne eines Blocks von Defizitländern an und drängte auf Rettung durch die EU, während Deutschland den Block der Überschussländer (die Niederlande, Österreich und Finnland) anführte, die Widerstand gegen die Idee von einer großen Hilfsaktion für Griechenland leisteten.

Als das Ganze Anfang Mai außer Kontrolle zu geraten schien, die Vertrauenskrise auf Spanien und Portugal überzuspringen drohte und die USA zunehmend Druck ausübten, weil sie einen Zusammenbruch wie bei Lehman Brothers fürchteten, fanden die beiden Lager einen Kompromiss.70 Das von Deutschland geführte Lager erklärte sich einverstanden damit, das Geld und die Garantien bereitzustellen, um Griechenland und potenziell jeden anderen europäischen Staat zu retten, der unter den Druck der Märkte käme. Das war an die Bedingung geknüpft, den Internationalen Währungsfonds (IWF) einzubeziehen, strikte Bedingungen für die Umsetzung von Sparmaßnahmen festzulegen und die Bereitstellung von Geldern durch die nationalen Parlamente abzusegnen. Die EZB verkündete, sie werde mit dem Aufkauf von Staatsschulden beginnen – eine Entscheidung, die dem Maastrichtvertrag zuwiderlief. Angesichts der Tatsache, dass die Institutionen, die die Staatsschulden der Peripherieländer hielten, vor allem deutsche und französische Banken waren, kommt die Eurorettung einer zweiten Bankenrettung gleich, gerade anderthalb Jahre nach der Rettung von 2008.71

Aus Sicht der meisten Kommentatoren repräsentierte die Rettung einen qualitativen Wandel in der Lenkung der Eurozone. Die französische Regierung beeilte sich, diesen Eindruck zu verstärken. Der französische Minister für europäische Angelegenheiten, Pierre Lellouche, sagte der Financial Times, dass die Rettung »auf eine fundamentale Revision der Regeln der Europäischen Union hinausläuft und einen Sprung hin zu einer Wirtschaftsregierung für den Block bedeutet«, und er verglich das mit dem Artikel 5 des Nato-Vertrags auf gegenseitigen Beistand.72 Und andere Eurofreunde stimmten ein in den Chor, weil sie den Eindruck hatten, dass die Rettung die Gelegenheit bot, die Schwächen der EWWU zu überwinden. Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, veröffentliche beispielsweise einen Kommentar in derselben Zeitung mit dem Titel: »Ein großer Schritt vorwärts für den geldpolitischen Föderalismus in Europa.«73

Was nun?Ein großer Schritt ist jedoch nicht dasselbe wie die ganze Strecke. Der zur Verwaltung der Rettungsgelder eingerichtete europäische Stabilisierungsfonds ist eine vorübergehende Einrichtung. Und es gibt Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Deutschland über das genaue Vorgehen. Frankreich bevorzugt engere Koordination zwischen den Staaten der Eurozone und eine

70 Siehe die Darstellung von Ian Traynor über das Gipfeltreffen vom 9. Mai, auf dem die Rettung entschieden wurde; Traynor, 2010. Von einem deutschen Experten wurde berichtet, er habe gesagt: »Das sollte ein deutscher Euro sein, jetzt ist es ein französischer Euro.«

71 Siehe die Statistiken in: »Analysis«, International Socialism 127, S. 6 (http://www.isj.org.uk/index.php4?id=655&issue=127).

72 Hall und Mallet, 2010.73 Prodi, 2010.

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Art von Geldunion entweder mittels Eurostaatsanleihen [von der EU ausgegebene Anleihen, für die alle EU-Staaten bürgen, was als Verwässerung der einzelstaatlichen Verantwortlichkeit kritisiert wird; d. Übers.] oder in Form eines Geldtransfers zwischen Mitgliedsstaaten. Deutschland betont striktere Strafen und Sanktionen für die Defizitländer und die Koordination auf der Ebene der EU-Mitgliedsstaaten, in der Hoffnung, die mittel- und osteuropäischen Staaten und die Länder Südeuropas gegen Frankreich hinter sich vereinen zu können.

Das deutlichste Zeichen jedoch für die Spannungen in der franko-deutschen Achse kam vergangenen März, als die französische Finanzministerin Christine Lagarde den deutschen Handelsüberschuss in einem Interview mit der Financial Times kritisierte.74 Laut der Zeitung »brachen ihre Kommentare ein altes Tabu zwischen den französischen und deutschen Regierungen über makroökonomische Ungleichgewichte in der Eurozone«. Obwohl das Ausmaß, in dem die Berliner Wirtschaftspolitik den Interessen anderer europäischer Staaten entsprach oder nicht – vor allem denen der südeuropäischen –, in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten der beiden Regierungen war, war Deutschland an dieser Front sehr viel mehr öffentliche Kritik aus den USA gewohnt, die es leicht abwehren konnte. Jetzt aber, inmitten einer schweren Eurokrise, versuchte Frankreich die Verantwortung auf Deutschland abzuwälzen.

Mit der Vereinbarung zur Rettung haben die beiden Seiten versucht, eine gemeinsame Grundlage zu finden und den Eindruck zu erwecken, dass sie in dieselbe Richtung gehen wollen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nahm im Juli an einer Sitzung des französischen Ministerkabinetts teil und die beiden Finanzminister riefen gemeinsam dazu auf, die Mitbestimmungsrechte der Mitgliedsstaaten auszusetzen, die wiederholt die Regeln der Haushaltsdisziplin brechen.75 Aber weiter geht es zurzeit nicht. Eine Reihe schärferer Maßnahmen wie sie Deutschland wünschte – ein ordnungsgemäßes Insolvenzverfahren für bankrotte europäische Staaten oder die Einrichtung eines europäischen Währungsfonds – wurden von Frankreich zurückgewiesen.

Die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland zu diesem kritischen Zeitpunkt sind charakteristisch für die weiteren strategischen Meinungsverschiedenheiten, die der Spekulation gegen den Euro vom vergangenen Frühjahr zugrunde lagen. Einerseits möchten die Franzosen, dass die Deutschen eine kooperative Wirtschaftspolitik verfolgen, die den Konkurrenzdruck des deutschen Kapitals auf seine europäischen »Partner« mindert.76 Der politische Grund dafür ist, dass es mehr Solidarität zwischen den Staaten in der EU geben muss, wenn Europa größeren politischen Zusammenhalt bekommen soll, um seine internationale Konkurrenzfähigkeit zu fördern. Dazu kommt, dass Frankreich es sehr schwierig findet, den Lebensstandard seiner Beschäftigten in demselben Ausmaß zu senken wie Deutschland und die französische Öffentlichkeit dem europäischen Projekt recht feindlich gegenübersteht – vor allem, weil es hier mit den Angriffen auf die Arbeiterklasse seit 1983 verbunden wird. Frankreich wird allerdings keine politische Union nach föderalem Zuschnitt akzeptieren, weil die Mehrheit der französischen Politiker eine Verringerung des diplomatischen Gewichts Frankreichs fürchtet. Andererseits ist eben dies das strategische Ziel Deutschlands zumindest seit dem Fall der Berliner Mauer. Eine politische Union wird den Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den damit verbundenen Hemmschwellen ein Ende setzen, während gleichzeitig die deutsche Vorherrschaft in der neuen föderalen EU institutionalisiert wird. Und es scheint, dies ist der Preis, den die Deutschen für die eventuelle Akzeptanz einer größeren Umverteilung auf europäischer Ebene fordern werden. In einem Interview mit der Financial Times machte Schäuble indirekt Frankreich für die Eurokrise verantwortlich, indem er sagte:

74 Hall, 2010.75 Hollinger, 2010.76 Das wird manchmal so dargestellt, als müsse Deutschland seine Führungsrolle in Europa übernehmen. Ich erinnere

mich an einen griechischen Finanzanalysten, der etwas Ähnliches in einer erhitzten Debatte im griechischen Fernsehen im März sagte, ebenfalls Costas Lapavitsas in seinem Vortrag auf der Konferenz »Marxism« in London im Jahr 2010, der sagte, Deutschland wisse Europa nicht zu regieren.

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Europa braucht Führung. Jede Organisation braucht das. Deutschland kann aber nicht alleine die Führung übernehmen – das wäre unsinnig. Frankreich und Deutschland können gemeinsam viel bewirken. […] Bei der Einführung des Euros in den 90er Jahren wollte Deutschland eine politische Union, Frankreich nicht. Deswegen haben wir heute eine Wirtschaftsunion ohne politische Union. […] Deutschland hat mit dem Föderalismus viel Erfahrung, mehr als das Vereinigte Königreich oder Frankreich. Wer eine föderalistische Organisation aufbauen will, muss bereit sein, ein bestimmtes Maß an Umverteilung darin vorzunehmen. Das kann man abfällig als »Transferunion« abtun. Aber die starken und die schwächeren Staaten stehen gleichermaßen in der Verantwortung.77

Das Problem mit dieser Pattsituation ist, dass sie sogar die Währungsunion in Gefahr bringt, wie sich bei der Krise vom Frühjahr 2010 gezeigt hat. Jetzt gibt es ernsthafte Diskussionen unter bürgerlichen Kommentatoren und der Linken, ob der Euro überleben wird. Ein Zusammenbruch scheint höchst unwahrscheinlich, nicht zuletzt weil die Rettung zunächst den Druck auf den Euro gelockert hat. Aber noch wichtiger ist, dass es weder eine Klausel in den Verträgen für ein Exitverfahren gibt noch den politischen Willen, auch nur ein kleines Land wie Griechenland rauszudrängen. Denn Griechenland hinauszudrängen wäre ein Zeichen dafür, dass das Bekenntnis zum Euro schwächer wird. Das würde nur die Spekulationen über ein mögliches Auseinanderbrechen anheizen. Deshalb wurde kurz nach der Panik im Mai die Aufnahme Estlands im Jahr 2011 verkündet. Der Euro ist so wichtig für die Interessen der Kapitalisten in den Kernländern, dass sie lieber einen bitteren Kompromiss schließen würden, als das Gebäude des europäischen Zusammenschlusses, das sie in den vergangenen Jahrzehnten errichtet haben, zusammenbrechen zu sehen.

Wie der weitere Zusammenschluss aussehen wird, ist also schwer zu sagen. In jedem Fall wird er wie in der Vergangenheit das Ergebnis harter Verhandlungen sein und einen Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland widerspiegeln. Aber ein Sprung hin zu einem voll ausgebildeten Föderalismus scheint im Moment nicht möglich zu sein, da dafür überall in Europa die Wählerschaft fehlt. Wie der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker im Jahr 2007 sagte: »Wir alle wissen, was zu tun ist, aber wir wissen nicht, ob wir wiedergewählt werden, wenn wir es getan haben.«78

Eins ist jedoch sicher: Jede Lösung für die Probleme der Eurozone wird auf Kosten der Arbeiterklasse Europas gehen. Kurz nachdem die Rettung im Mai vereinbart wurde, verkündete die deutsche Regierung ein 80 Milliarden Euro schweres Sparprogramm, um die anderen europäischen Regierungen zu zwingen, ihr zu folgen. Überall in Europa werden zunehmend Sparmaßnahmen umgesetzt. Das ist die zweite Säule des Versuchs der europäischen Staaten, die Eurokrise zu lösen.

Es gibt aber zwei große Unbekannte bei dem Versuch der Haushaltskonsolidierung. Die erste hat mit der Tatsache zu tun, dass die Maßnahmen teils selbstzerstörerisch sind. Die Reduzierung der Haushaltsdefizite und der öffentlichen Schulden hängt vor allem von höheren Steuereinkünften ab. Aber die Sparmaßnahmen werden die Wirtschaft sehr wahrscheinlich erneut in die Rezession stürzen und dazu führen, dass die Staaten wieder auf den Finanzmärkten große Kredite aufnehmen. Das Zweite ist die Stärke des Widerstands der Arbeiterklasse. Die eintägigen Generalstreiks in Griechenland in den vergangenen Monaten sind ein Vorgeschmack auf das, was überall in Europa passieren kann, wenn die Sparmaßnahmen zu greifen beginnen. Und angesichts der Erfahrung mit der Zeit nach Maastricht, können wir mit Widerstand der Arbeiterklasse rechnen, was ein großes Hindernis für die Projekte der europäischen Kapitalisten sein wird.

Vor fünf Jahren hieß es in diesem Magazin, dass eine neue Bruchlinie im Weltsystem entstanden sei und diese in Westeuropa liege:

77 Financial Times, 19. 5. 2010. Das gesamte Interview auf Deutsch siehe unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_88146/DE/Presse/Reden-und-Interviews/20100520-Rede-Berlins-strictures-D.html.

78 Zitiert nach Economist, 10. Juli 2010, S. 11.

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Es gibt Anzeichen für neuen, breiten politischen Konflikt, da der Druck auf den europäischen Kapitalismus durch die Weltmarktkonkurrenz die Regierungen zu noch härteren Varianten der neoliberalen Agenda drängt, mit Angriffen auf die Renten, das Arbeitslosengeld und Forderungen nach längerer Arbeitszeit.79

Dieser Druck ist jetzt viel stärker und die Angriffe werden sehr viel brutaler sein. Entsprechend wird sich die Bruchlinie immer weiter vertiefen. Die europäische Linke muss dazu beitragen und die politischen Möglichkeiten nutzen, die sich daraus ergeben. Die Instabilität aufgrund der spekulativen Angriffe auf den Euro und die Streitereien zwischen den europäischen herrschenden Klassen werden der Linken noch mehr Raum für ein Eingreifen geben.

Zum Text: Der Text erschien zuerst auf Englisch in International Socialism (No. 128, London, Herbst 2010) http://www.isj.org.uk/index.php4?id=682&issue=128#128georgiou62

Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning und Thomas Walter

79 Harman, 2005, S. 3.

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