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Evolutionsprobleme in der Thermodynamik irreversibler Prozesse '1 Ilya Prigogine Natunvissenschaftliche Fakultiit der Universitiit Briissel 1. Unter den Evolutionsproblemen nehmen die Pro- bleme des Lebens einen ganz besonderen Platz ein. Die Lebewesen sind durch eine weitgehende Organisa- tion charakterisiert, die durch standigen Austausch mit der AuBenwelt aufrechterhalten wird. Die Fort- pflanzung verleiht dem Leben auch einen bemerkens- . wert zyklischen Charakter. Es ist interessant, diese Probleme einmal vom Stand- punkt der Thermodynamik irreversibler Prozesse aus zu betrachten, die eine genauere Analyse der allgemei- nen Evolutionsgesetze der Physik ermoglicht als die klassische Thermodynamik. Dies ist der Zweck dieser Ausfiihrungen [l], [2], [3]. Unternimmt man eine der- artige Analyse, so darf man nicht erwarten, spezifische Losungen spezieller Probleme, wie z. B. des Problems der biologischen Evolution, zu erhalten. Man kann, zumindest z. Z., sie lediglich unter einem umfassen- deren Gesichtspunkt sehen und so einige ihrer charak- teristischen Zuge besser herausstellen. 2. Zahlreiche Autoren haben seit langem die An- wendung der Thermodynamik auf die Biologie behan- delt. Es mu13 jedoch betont werden, daB die klassische Thermodynamik fur dieses Problem nicht gut geeignet ist. Die klassische Thermodynamik lehrte uns, daB die Entropie eines abgeschlossenen Systems zunimmt, sobald darin irreversible Vorgiinge ablaufen. Betrach- ten wir z. B. unser Planetensystem als ein abgeschlos- senes System, so laDt die Gesamtheit der irreversiblen Vorgiinge die Entropie des Systems zunehmen. Was uns aber interessiert ist nicht dieses System als Ganzes, sondern das Teilsystem, das von der Biosphiire gebil- det wird. Wir miissen zu diesem Zweck zuniichst den 2. Haupt- satz so formulieren, daIj er lokal auf jeden makro- skopischen Bereich des Gesamtsystems angewendet werden kann. Betrachten wir einen solchen makro- skopischen Bereich. Infolge einer durch irreversible Vorgiinge, die sich in ihm abspielen, bedingten Entro- pieerzeugung sowie infolge eines durch Masse- und Energieaustausch mit der AuSenwelt verursachten Entropieaustauschs wird sich die Entropie dieses Be- reiches iindern. Bezeichnen wir mit d,S die Entropie- erzeugung in der Zeit dt und mit d,S den Entropie- austausch, so konnen wir schreiben [2], [3] ; vgl. Bild 1 dS = d,S f d,S . (2.1) Die lokale Formulierung des 2. Hauptsatzes besteht nun in der Forderung, daB die Entropieerzeugung im ganzen System positiv oder gleich Null ist, ' diS 2 0, (2.2) unabhiingig vom Vorzei- chen des Entropieaus- tauschs. Die Ent,ropieerzeugung in der Zeiteinheit, diS/dt, stellt die zentrale GroIje in der Thermodynamik irre- versibler Prozesse dar. Sie p J Bild 1 miat den ,,Irreversibilitatsinhalt" des Zeitraumes dt. Mit der Entropieerzeugung kann eine lokale Zeit- skala definiert werden, bei der nicht, wie in der klassischen Mechanik, die Zeit in reversiblen Ver- schiebungen, sondern in ,,Irreversibilitatsinhalt" ge- messen wird. Wir haben an anderer Stelle gezeigt, wie im Prinzip eine solche Skala konstruiert werden kann. Es soll daher hier nicht niiher darauf ein- gegangen werden [2]. Hingegen wollen wir nachdriick- lich betonen, daB die Entropieerzeugung die zentrale GroBe der ganzen mttkroskopischen Theorie der Irre- versibilitat darstellt. Mit ihrer Hilfe ist es moglich, das Problem der Irreversibilitat, unabhiingig von den molekularen Mechanismen, quantitativ zu behandeln. Bei den biologischen Problemen beruht die Entro- pieerzeugung im wesentlichen auf chemischen (und photochemischen) Reaktionen. Sie hat dann die Form wobei v, die Geschwindigkeit der Reaktion e und A, .die (im Sinne von De Donder) mit dieser Reaktion verkniipfte Affinitat bedeuten. Die Entropieerzeugung ist somit eine bilineare Form der Reaktionsgeschwin- digkeiten und ihrer ,,Ursachen", niimlich der sie be- stimmenden Affinitiiten. Fiir das Gleichgewicht gilt offensichtlich sowie A,= 0 und ve= 0 (2.4) (2.4') Die GroIje der Entropieerzeugung charakterisiert dem- nach die ,,Entfernung" vom thermodynamischen Gleichgewicht. Ein groBer Wert der Entropieerzeu- gung besagt, daB sich das System weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht befindet. SchlieB- lich wollen wir noch festhalten, daB d,S/dt eine teils thermodynamische (wegen der Affinitiiten) und teas kinetische (wegen der Geschwindigkeiten) GroBe ist. Wie iiuBert sich nun die Entropieerzeugung physika- lisch 1 Wiire das System abgeschlossen, so wiirde die Entropieerzeugung einfach die Entropie des Systems selbst, d. h. seine molekulare Unordnung, vermehren. Im allgemeinen liegen jedoch die Dinge anders, da der Entropiestrom die Abgabe der erzeugten Entropie an die Umgebung gestattet. Es ist also moglich, daD ein System mit groBer Entropieerzeugung durch einen entsprechenden Entropieaustausch langere Zeit in einem Zustand niedriger Entropie verbleibt. Nehmen wir z. B. an, das betrachtete System befiinde sich in einem stationiiren Zustand. Es gilt dann dS = 0, und aus (2.1) und (2.2) folgt (2.5) Im stationiiren Zustand muB der Entropiestrom negativ sein, um die Entropieerzeugung kompensieren d,S = - d,S 5 0. *) Vortrag, gehalten auf dem ,.Internationalen Symposium iiber den Uraprung des Lebens" in Moskau im August 1957. 203 96. Z. Chem., 1. Jg., Heft 7, 1961

Evolutionsprobleme in der Thermodynamik irreversibler Prozesse

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Page 1: Evolutionsprobleme in der Thermodynamik irreversibler Prozesse

Evolutionsprobleme in der Thermodynamik irreversibler Prozesse '1 Ilya Prigogine

Natunvissenschaftliche Fakultiit der Universitiit Briissel

1. Unter den Evolutionsproblemen nehmen die Pro- bleme des Lebens einen ganz besonderen Platz ein. Die Lebewesen sind durch eine weitgehende Organisa- tion charakterisiert, die durch standigen Austausch mit der AuBenwelt aufrechterhalten wird. Die Fort- pflanzung verleiht dem Leben auch einen bemerkens- . wert zyklischen Charakter.

Es ist interessant, diese Probleme einmal vom Stand- punkt der Thermodynamik irreversibler Prozesse aus zu betrachten, die eine genauere Analyse der allgemei- nen Evolutionsgesetze der Physik ermoglicht als die klassische Thermodynamik. Dies ist der Zweck dieser Ausfiihrungen [l], [2], [3]. Unternimmt man eine der- artige Analyse, so darf man nicht erwarten, spezifische Losungen spezieller Probleme, wie z. B. des Problems der biologischen Evolution, zu erhalten. Man kann, zumindest z. Z., sie lediglich unter einem umfassen- deren Gesichtspunkt sehen und so einige ihrer charak- teristischen Zuge besser herausstellen.

2. Zahlreiche Autoren haben seit langem die An- wendung der Thermodynamik auf die Biologie behan- delt. Es mu13 jedoch betont werden, daB die klassische Thermodynamik fur dieses Problem nicht gut geeignet ist. Die klassische Thermodynamik lehrte uns, daB die Entropie eines abgeschlossenen Systems zunimmt, sobald darin irreversible Vorgiinge ablaufen. Betrach- ten wir z. B. unser Planetensystem als ein abgeschlos- senes System, so laDt die Gesamtheit der irreversiblen Vorgiinge die Entropie des Systems zunehmen. Was uns aber interessiert ist nicht dieses System als Ganzes, sondern das Teilsystem, das von der Biosphiire gebil- det wird.

Wir miissen zu diesem Zweck zuniichst den 2. Haupt- satz so formulieren, daIj er lokal auf jeden makro- skopischen Bereich des Gesamtsystems angewendet werden kann. Betrachten wir einen solchen makro- skopischen Bereich. Infolge einer durch irreversible Vorgiinge, die sich in ihm abspielen, bedingten Entro- pieerzeugung sowie infolge eines durch Masse- und Energieaustausch mit der AuSenwelt verursachten Entropieaustauschs wird sich die Entropie dieses Be- reiches iindern. Bezeichnen wir mit d,S die Entropie- erzeugung in der Zeit dt und mit d,S den Entropie- austausch, so konnen wir schreiben [2], [3] ; vgl. Bild 1

dS = d,S f d,S . (2.1) Die lokale Formulierung des 2. Hauptsatzes besteht nun in der Forderung, daB die Entropieerzeugung im ganzen System positiv oder gleich Null ist, '

diS 2 0, (2.2) unabhiingig vom Vorzei- chen des Entropieaus- tauschs.

Die Ent,ropieerzeugung in der Zeiteinheit, diS/dt, stellt die zentrale GroIje in der Thermodynamik irre- versibler Prozesse dar. Sie

pJ Bild 1

miat den ,,Irreversibilitatsinhalt" des Zeitraumes dt. Mit der Entropieerzeugung kann eine lokale Zeit- skala definiert werden, bei der nicht, wie in der klassischen Mechanik, die Zeit in reversiblen Ver- schiebungen, sondern in ,,Irreversibilitatsinhalt" ge- messen wird. Wir haben an anderer Stelle gezeigt, wie im Prinzip eine solche Skala konstruiert werden kann. Es soll daher hier nicht niiher darauf ein- gegangen werden [2]. Hingegen wollen wir nachdriick- lich betonen, daB die Entropieerzeugung die zentrale GroBe der ganzen mttkroskopischen Theorie der Irre- versibilitat darstellt. Mit ihrer Hilfe ist es moglich, das Problem der Irreversibilitat, unabhiingig von den molekularen Mechanismen, quantitativ zu behandeln.

Bei den biologischen Problemen beruht die Entro- pieerzeugung im wesentlichen auf chemischen (und photochemischen) Reaktionen. Sie hat dann die Form

wobei v, die Geschwindigkeit der Reaktion e und A , .die (im Sinne von De Donder) mit dieser Reaktion verkniipfte Affinitat bedeuten. Die Entropieerzeugung ist somit eine bilineare Form der Reaktionsgeschwin- digkeiten und ihrer ,,Ursachen", niimlich der sie be- stimmenden Affinitiiten. Fiir das Gleichgewicht gilt offensichtlich

sowie A , = 0 und v e = 0 (2.4)

(2.4')

Die GroIje der Entropieerzeugung charakterisiert dem- nach die ,,Entfernung" vom thermodynamischen Gleichgewicht. Ein groBer Wert der Entropieerzeu- gung besagt, daB sich das System weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht befindet. SchlieB- lich wollen wir noch festhalten, daB d,S/dt eine teils thermodynamische (wegen der Affinitiiten) und teas kinetische (wegen der Geschwindigkeiten) GroBe ist.

Wie iiuBert sich nun die Entropieerzeugung physika- lisch 1 Wiire das System abgeschlossen, so wiirde die Entropieerzeugung einfach die Entropie des Systems selbst, d. h. seine molekulare Unordnung, vermehren. Im allgemeinen liegen jedoch die Dinge anders, da der Entropiestrom die Abgabe der erzeugten Entropie an die Umgebung gestattet. Es ist also moglich, daD ein System mit groBer Entropieerzeugung durch einen entsprechenden Entropieaustausch langere Zeit in einem Zustand niedriger Entropie verbleibt. Nehmen wir z. B. an, das betrachtete System befiinde sich in einem stationiiren Zustand. Es gilt dann dS = 0, und aus (2.1) und (2.2) folgt

(2.5) Im stationiiren Zustand muB der Entropiestrom negativ sein, um die Entropieerzeugung kompensieren

d,S = - d,S 5 0.

*) Vortrag, gehalten auf dem ,.Internationalen Symposium iiber den Uraprung des Lebens" in Moskau im August 1957.

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zu konnen. Das System nimmt weniger Entropie aus der Umgebung auf, als es an sie abgibt. Man kann sagen, es werden ihm hochgradig organisierte ,,Nah- rungsmittel" (als solche niedriger Entropie) zugefuhrt, die es in teilweise desorganisierter Form an die AuBen- welt zuruckgibt.

3. Die uns interessierenden Evolutionsprobleme sind die des im vorstehenden Abschnitt betrachteten Teil- systems ,,Biosphare". Strebt dieses Teilsystem einem anniihernd stationiiren Zustand zu, wenn seine Um- gebung als abgeschlossenes System dem Zustand maximaler Entropie zustrebt ? Und wenn ja, welchem ?

Um von einem anniihernd stationken Nichtgleich- gewichtszustand innerhalb ekes abgeschlossenen Ge- samtsystems sprechen zu konnen, mussen wir imstande sein, die charakteristischen Relaxationszeiten des Systems in zwei Gruppen zu teilen, niimlich in eine Gruppe sehr langer und in eine Gruppe sehr kurzer Relaxationszeiten. Mit anderen Worten, wir beno- t igen eine zweifache Zei tskala .

Wir wollen dieses durch einige Beispiele veranschau- lichen. Man nehme zwei Thermostaten unterschied- licher Temperatur und verbinde sie durch eine Kapil- lare, wobei das Ganze ein abgeschlossenes System bilde. Die kleine Kapillare erreicht rasch den fur die gegebenen Temperaturen der Thermostaten statio- niiren Zustand. Dies entspricht der Kurzzeitskala. Andererseits veriindern sich die Temperaturen der Thermostaten allmiihlich, 'bis das System in seiner Gesamtheit die gleiche Temperatur besitzt. Diese zweite Evolution entspricht der Langzeitskala.

Betrachten wir ein weiteres Beispiel aus dem Gebiet der Thermodiffusion. In einem GefiiB, bei dem zwei Seiten auf verschiedenen Temperaturen gehalten werden, soll sich ein Gas (z. B. Wasserstoff) auf der wiirmeren und ein anderes Gas (z. B. Stickstoff) auf der kalteren Seite anreichern. Es bildet sich dann ein stationarer Nichtgleichgewichtszustand aus, der so lange erhalten bleibt, wie die Temperaturdifferenz be- steht. SchlieBen wir dieses System in ein isoliertes System ein, so wird sich schlieBlich (moge letzteres auoh noch so groB sein) das thermische Gleichgewicht einstellen und die Thermodiffusion aufhoren. Wir haben ubrigens hier ein einfaches Beispiel dafiir, daB die Heterogenitiit (die Trennung durch Thermodiffu- sion) nur so lange bestehen bleibt, wie das System Teil eines nicht im Gleichgewicht befindlichen ,,Univer- sums" ist.

Wir konnen annehmen, daB die Bedingung der doppelten Zeitskala gut erfdlbar ist, so lange wir die Lebeweaen in ihrer IndividualiGt betrachten. Das Lebewesen entwickelt sich in einem Universum, das sehr weit vom thermodynamischen Gleichgewicht ent- fernt ist nnd dessen Bedingungen sich wiihrend der Lebenszeit eines Individuums wenig andern 2).

4. Betrachten wir nun Falle, bei denen der im Ab- schnitt 3 erorterte Begriff der doppelten Zeitskala eine Rolle spielt. Wir wollen uns dabei lediglich fur die Veriinderung des Teilsystems auf seinen statio- naren Zustand hin interessieren, und zwar in Zeit- riiumen, in denen das Gesamtsystem, in das es ein- geschlossen ist, keine merklichen Veriinderungen er-

fiihrt. Mathematisch formuliert heirjt das, es sollen zeitunabhangige Randbedingungen fur das Teilsystem eingefiihrt werden3).

Fur derartige Bedingungen haben P. Glansdorff und der Verfasser ein allgemeines Theorem [ 41 bewiesen, das die fruheren Resultate des Verfassers [2], [3] als Sonderfall enthiilt.

Wir setzen

und

mit [vgl. (2.3)] d P = dAP + d,P (4.2)

(4 .3) dAP = 2 Y, dA,, d,P = 2' A, dv,.

P ist die mit T multiplizierte Entropieerzeugung in der Zeiteinheit. Diese GroDe iindert sich im allgemeinen selbst mit der Zeit und wir zerlegen ihre h d e r u n g in zwei Anteile, von denen der eine durch die hde rung der Affinitaten und der andere durch die h i e r u n g der Reaktionsgeschwindigkeiten bedingt ist .

Das allgemeine Theorem lautet dann

dAP 5 0, (4.4) d.h . die Af f in i t a t en ande rn s ich immer so , daB die Ent ropieerzeugung e rn ied r ig t wird. Fur den stationiiren Zustand gilt d A P = 0, da dann die Affinitiiten von der Zeit unabhiingig sind. Dieses Theorem ist ein Sonderfall des Le Chatelier- Braun- schen Prinzips vom kleinsten Zwang. Um dies zu ver- deutlichen, wollen wir den Fall einer einzigen unab- hiingigen Variablen betrachten, wobei wir die An- nahme machen, das System befinde sich in geniigender Niihe des Gleichgewichts, um Proportionalitat zwi- schen v und A (vgl. Abschn. 5), also

v = L A , (4.5)

annehmen zu konnen. Infolge von (4.4) erhalten wir dann

LAdA 5 0. (4.6) Andererseits ist L positiv. Wegen (4.5) gilt niimlich

d .8 dt T i = LA2 2 0, woraus L > 0 (4.7)

folgt. Wir sehen somit, daB

A d A s O (4.8) ist.

Die Anderring der Affinitiit hat das entgegengesetzte Vorzeichen wie diese selbst, was der klassischen For- mulierung des Prinzips des kleinsten Zwanges [5] ent- spricht.

Fur den allgemeinen Fall - d. h. wenn (4.5) nicht gilt - ist der physikalische Sinn der Ungleichung (4.4) nicht so leicht zu formulieren. Immerhin sehen wir deutlich, daB die Richtung der Veriinderung nicht mit der h d e r u n g der Entropie verknupft ist. Die Entro- pie kann sowohl groDer als auch kleiner werden, je nach dem zu erreichenden stationiiren Zustand. (Ein Beispiel fur die Abnahme der Entropie ist das in Abschn. 3 angefuhrte Beispiel der Thermodiffusion.)

1) Vom Standpunkt der Mechanik aua entspricht die Unter- scheidung d m h e n mei Zeitskalen der Unteracheidung zwischen mei Arten von Glliedern bei der (klassischen oder quantentheore- tischen) Hamilton-Funktion.

204

*) Ee handelt sich him urn eine NUherung, da daa geeamte Syetem sich langaam in Richtung auf das Gleichgewicht hin iindert. R e a m w&re ea, Randbedingungen einzutiihren, die sich mit der Zeit lana- sam Bndern.

q. Chem., 1. Jg., Heft 7 , 1961

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Die Anderung der Entropierrzeugung ist der aus- schlaggebende Faktor.

Man beachte, daB ~ A P im allgemeinen nicht das Differential eincr Funktion y , etwa nach

(iAp = - ay (4.0)

darstcllt. Zwar gibt es, wic wir in Abschn. 5 beweisen werden, wichtige Falle, in denen die Funktion y existiert, doch ist dies nicht der allgemeine Fall [GI. Das Theorem (4.4) driickt also eine different ie l le (und nicht eine integrale) Eigenschaft der Entropie- erzeugung aus. Dies erinnert etwas an den Fall der klassischen Mechanik, wo eine integrale Formulierung der Bewegungsgleichung (Prinzip von Hamilton) nicht immer moglich ist, wahrcnd es stets eine differentielle Formulierung (Prinzipien von Gaup und Hertz) gibt. Man kann jcdoch cine Funktion

t -4-

cinfiihren, die im stationaren Zustand gleich Null, sonst aber positiv ist. Diese Funktion verallgemeinert demnach die Eigcnschaft,en der Entropieerzeugung, im Gleichgewicht,szustand gleich Null und sonst stets posit,iv zu sein. Die Ableitungen ciA,/dt konnen linear ciurch die Reakt,ionsgeschwindigkeiten v, ausgedriickt werden. Sie ka,nn also auch als quadrat,ische Form der Geschwindigkeiten geschrieben werden :

YJ = yV n i i j vi vj 2 0 . (4.11) $ 7

Wir konnen somit anschaulich sagen, daB der statio- nare Zustand durch einen ,,optimalen Ertrag", aus- gedriickt mit Hilfe der kinetischen GroBe IIJZ, charak- terisiert ist,, wahrend das Gleichgewicht eines ab- geschlossenen Systems nur durch das statistische Gewicht der verschiedenen moglichen molekularen Konfigurationen bestimmt ist. .

5 . Nunmehr wollen wir zu speziellen Anwendungen der allgemeinen Ungleichung (4.4) ubergehen. Be- trachtJeri wir zu diesem Zweck ein System mit den Koordinat,en A,, A,, . . . , A,. Darin sei der stationare Zustand durch den Punkt S , der Zustand des thermo- clynamischen Gleichgewichtes hingegen durch den Punkt, 0 dargestellt (Bild 2). Es ist wichtig, zwischen dem Fall, in dem S weit von 0 entfernt ist, zu unter- scheiden 4).

Wir betrachten in diesem Abschnitt den Fall der Gleichgewichtsnahe, der am best,en bekannt ist. Wir konnen dann die Reaktionsgeschwindigkeiten als Funktion der Affinitiiten in einer Reihe entwickeln und uns hierbei auf die Glieder 1. Ordnung beschran- ken :

= & Lo,* A,'. (5.1) P

Solche linearen GesetzmaBigkeiten sind bei den Trans- porterscheinungen gut bekannt (Gesetze von Ohm, Fourier, Fick usw.). Sie gelten auch in der Chemie, wenn die Reaktionen in Gleichgewichtsnahe verlaufen. Eine fundamentale Eigenschaft der Koeffizienten L, ,' ist ihre Reziprozitat,

L, 0, = L,. Q ' (5.2) ~

Die riuiilliclieii Abstiindc A , . . . i l l iuussen in Ninheiteii HT geiiiessen werden. Der Punkt 5' befiiidct sich also dam in der N&he yon 0, wenn Id l [ . . . I drl < RT.

S 0

I a- A2 - 0

A2 - Bild 2 Bild 3

die in allgemeiner Form von Onsager [7] formuliert wurde, und von der Sonderfalle seit langem bekannt sind6). Es folgt aus ( 6 . 2 ) , daB (5.1) auch in der Form

vc, = (5.3)

geschrieben werdcn kann. In Gleichgewichtsnahe sind die Reaktionsgeschwindigkeiten Ableitungen eines Potentisls, das gemal3 (2.3), (5.1) und ( 5 . 2 ) der Entro- pieerzeugung proportional ist :

(5.4) y = - - T L . 1 d S 2 dt

Untersuchen wir nun mit E l f e von Bild2 die An- naherung des Systems an den stationken Zustand S. Die Existenz des Potentials y bedeutet, daI3 sich dieser Vorgang normal ZII den Kurven mit konstantem y vollzieht, und daI3 R o t a t i o n e n de r Aff ini t i i ten um S unmoglich sind.

Wir erhalten so den in Bild 3 schematisch dar- gestellten Verlauf. Es findet also bei der Annliherung an den stationken Zustand keine Oszillation statt. Dies trifft ganz besonders fur die Annaherung an den Gleichgewichtszustand zu. Unter diesen Bedingungen nimmt das allgemeine Theorem (4.4) eine besonders anschauliche Gestalt an. Denn es gilt jetzt

dA P 2 z v Q d A Q = -d* 5 0. (5.5) daP ist also ein vollstandiges Differential, und im sta- tionaren Zustand weisen y bzw. die Entropieerzeugung ein Maximum bzw. ein Minimum [vgl. (5.4)] auf6). Die den stationaren Zustand charakterisierende Funktion hat also in diesem Falle einen besonders einfachen und instruktiven Sinn: Man kann niimlich sagen, daB im stationaren Zustand die Irreversibilitat selbst so klein wie moglich wird [2].

Bei diesem Beispiel wollen wir noch einmal den Unterschied zwischen dem Minimum der Entropie- erzeugung und dem Maximum (oder Minimum) der Entropie selbst betonen. Das Minimum der Entropie- erzeugung sagt nichts uber die Entropie selbst aus. Der durch die Entropie gemessene Ordnungsgrad kann hoch oder niedrig sein, wichtig ist lediglich die thermo- dynamische Wirksamkeit des Systems, und man kann sagen, daB das Minimum der Entropieeneugung ge- wissermaden in einem ,,Stoffwechselprinzip" besteht. Man kann jedoch annehmen, daB im allgemeinen eine starke Stoffwechselwirksamkeit nur durch einen hohe- pen Ordnungsgrad im biochemischen Bereich erworben werden kann.

*) Bei den urn interessierenden chemischen Problemen braucht man Komplikationen, die sich bei Transporterscheinungen ergeben kiinnen, z. B. Coriolis-Krkfte, nicht Rechnung zu tragen.

') Eine andere Methode, raach zu diesem Ergebnis zu gelangen, besteht darin, zu beriickeichtigen, daO hier dAP = d,.P = '1. d P , gilt. Unter diesen Bedingongen ist (4.4) gleichbedeutend mit d P s 0.

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G. Wir wollen nunmehr den Fall einer weiteren Ent- fernung des stationaren Zustandes vom Gleichgewicht betrachten. Ebenso wie bei (5.1) konnen wir auch hier die Reaktionsgeschwindigkeit als Reihe entwickeln, aber diesmal in der Umgebung des stationaren Zustan- des. Bezeichnen wir mit SA, .die Differenz zwischen A, und dem Wert fur den stationaren Zustand 8, so gilt in der Umgebung des stationaren Zustandes')

(6.1)

Jedoch besitzen wir im allgemeinen keine Relation, die an die Stelle der Reziprozitiitsbeziehungen (5.2) gesetzt werden konnte. Daraus folgt, dalj im all- gemeinen kein Potential mehr vorhanden ist, aus dem die Reaktionsgeschwindigkeiten abgeleitet werden konnten (bez. des Studiums von Beispielen vgl. [S]). Es sind nunmehr Rotationen um den stationaren Zustand moglich, und die Anniiherung an diesen Zustand kann spiralformig erfolgen, wie es in Bild 4 schematisch dargestellt ist. Wir sehen also, dalj im Falle einer weiten Entfernung des stationaren Zu- standes vom Gleichgewicht bei Entwicklung zu diesem Zustand hin Oszillationen moglich sind. Einen Sonder- fall, der von R. Balescu und dem Verfasser [8] voll- stlndig analysiert werden konnte, stellt der Fall dar, in dem die Formeln (6.1) nur einen antisymmetrischen Teil

aufweisen. In diesem Falle ist das System nicht mehr imstande, den stationaren Zustand zu erreichen (falls es sich nicht anfiinglich in ihm befand), sondern be- schreibt um diesen Zustand geschlossene Kurven (vgl. Bild 5).

Dieses zyklische Verhalten ist weniger auBergewohn- lich, als es auf den ersten Blick erscheint. Ein sehr interessantes Beispiel hierfur wird von Volterra in sei- nem Buch ,,Th&orie mathkmatique de la lutte pour la vie" behandelt. Volterra untersucht die Koexistenz verschiedener Tierarten (z. B. Fische) in einem unver- linderlichen biologischen Milieu [9]. Der einfachste Fall liegt vor bei Vorhsndensein zweier Spezies A und B, von denen die eine B, die andere A, die selbst Pflanzenfresser ist, vertilgt. Fuhren wir nun die ,,kine- tischen Gleichungen" ( A und B bedeuten die Anzahl Individuen der Arten A und B )

V, = & Leer SA,.. e

L,,. = - L,., (6.2)

dA - = E ~ A - A B dt

dt (6.3)

dB - = A B - e , B

ein, deren physikalische Bedeutung offensichtlich ist, so bilden die Bahnen in der A, - A,-Ebene geschlos- sene Kurven um den stationaren Zustand

el A - A B = 0 , AB-8 , B = 0 . (6.4)

A2 - A2 - Bild 4 Bild 5

1 ) In (5 .1) beziehen sich die LeQ, auf den Oleichgewicht8Zwtand, in (6.1) hingegen au! den stationllren ZU8tm.d.

Es ist zu beachten, dalj bei diesem Beispiel die in Abschn. 3 erorterte Bedingung der doppelten Zeit- skala gut realisiert ist. Die Kunzeitskala gehort zur Evolution der Koexistenz der beiden biologischen Arten, und die Langzeitskala zur Evolution des (als konstant angenommenen) umgebenden Milieus.

Ein physikalisch-chemisches Beispiel, auf das uns Christiamen aufmerksam macht, stellt ein System dreier Enzyme dar, die das Milieu z. B. entsprechend den Reaktionen

A + X + B + Y

(6-5) B + Y + C + Z C + Z -+ A + X '

x+ X' verandern.

Das von den drei Enzymen gebildete Teilsystem bewirkt (solange die Konzentrationen des ,,urn- gebenden" Milieus X, Y, 2, X konstant gehalten werden) eine zyklische Veriinderung.

Bild 6

Es ist interessant zu sehen, was in diesem Fall aus dem allgemeinen Theorem (4.4) wird. Als konkretes Beispiel wollen wir annehmen, daI3 nur zwei Reak- tionen ablaufen. ( G . l ) und (6.2) vereinfachen sich dann zu

woraus ~1 = L12 6A2, V, = -L12 8A1, (6.6)

(6.7)

folgt. Bei Verwendung der Polarkoordinaten 0 und Q im Raum AIA, um den stationaren Zustand geht dann (6.7) in die Form

dAP = v1 dA1+ ~2 dA, = L12(8A2 dA1- SA1 dA2) 5 0

uber. Diese Ungleichung hat ebenfalls eine sehr ein- facho Bedeutung : Fur ein gegebenes Vorzeichen von L12 ist fur die Rotation um den stationliren Zustand nur e in e inziger Drehungss inn moglich. Wir sehen also, daB die Thermodynamik fur den Fall, da13 das System einen stationiiren Zustand nicht erreichen kann, den Drehungssinn festgelegt. Der zyklische Charakter eines Teilsystems ist keineswegs mit der Therrnodynamik unvereinbar, nur ist er mit einem bevorzugten Drehungssinn verkniipft.

7. Wir wollen diese Ausfiihrungen mit einigen all- gemeinen Bemerkungen beachlieBen. Die chemische Evolution ekes Systems ist wahrscheinlich durch dif- ferentielle Gleichungen, die seine Kinetik charakteri- sieren, bestimmt. Gegenstand der Thermodynamik der irreversiblen Erscheinungen ist es, die allgemeinen Eigenschaften dieser Gleichungen ohne besondere Hypothesen hinsichtlich ihrer Struktur so weit wie moglich zu diskutieren. In Anbetracht der Mannig- faltigkeit der miiglichen Gleichungen und ihres nicht

206 Z. ahem., 1. Jg., Heft7, 1961

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linearen Charaktcrs konnen keine zahlrcichen Resul- t a b envartet werden. Die vorliegenden Ergebnisse gestatten jedoch bereits, einige wesentliche Fragen auf- zuwerfen und zu erortern.

Leben und Wahrscheinlichkeit : Die in dieser und in unseren friiheren Arbeiten angestellten Betrachtungen zeigen, daB sich die Bildung komplexer Strukturen in Teilsystemen durch besondere Bedingungen (z. B. doppelte Zeitskala) vollkommen in den Rahmen der vom thermodynamischen Standpunkt aus moglichen Vorgange einge fiigt.

Leben und Stoffwechsel : Der wesentliche Faktor die- ser Entwicklung zu komplexeren Strukturen ware vom Standpunkt der Thermodynamik aus die Entwicklung zu einer graBeren thermodynamischen Wirksamkeit, als deren Ma13 in der Nahe des Gleichgewichtes die Entropieerzeugung dienen kann.

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Paris 1931.

Eingegangen am 22. April 1958

E'rstveriiffentlichung :

ZCA 7

2. Chem. Heft 1, Band I (1960), November 1960

Uber die Rolle der Kieselsaure bei der thermischen Phosphordarstellung aus Apatit

Von Friedrich Wodtcke

Aus dem Tnstitut fiir Anorganischc Chemie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Leiter: Prof. Dr. Dr. h. c. E . Thilo)

Entgegen der allgemein vcrtrotencn Xuffassung uber die Reaktionen bei der Darstellung von Phosphor aus Apatit und Kohlenstoff bei Gegenwart von Kieselsiiure, ist die Kiesel- siiure nicht in der Lage, aus dem Apatit das P40,, auszu- treiben. Vielmehr reagiert der Apatit mit SiO, unter Bildung von CaSiO, und Calciummonophosphat Ca,(P04),, daa durch Kohlenstoff leichter reduziert wird als der Apatit.

Zur Darstellung von elementarem Phosphor wird Apatit Ca,(PO,),(OH, I?) oder Phosphorit Cq(P04), mit Kohle in Gegenwart von Kieselsiiure bei 1300 bis 1450 "C umgesetzt. Obwohl dieses Phosphordarstel- lungsverfahren schon seit Beginn dieses Jahrhunderts groI3technisch durchgefuhrt wird, ist iiber den Reak- tionsablauf in seinen einzelnen Schritten bisher nur wenig bekannt. Allgemein beschreibt man ihn so, da13 die Kieselsaure als weniger fliichtiges Saureanhydrid das Anhydrid der PhosphorsBure P4010 etwa nach der Reaktionsgleichung

Cq(PO,), + 3Si0, _ _ ~ - 3CaSi0, + P,O, (1) austreiben und das Phosphor(V)-oxyd dann durch die Kohle zum elementaren Phosphor reduziert werden soll. Ware diese Anschauung richtig, dann sollte beim Gliihen eines Gemisches aus Apatit und Kieselsaure in Abwesenheit von Kohle nicht Phosphor, sondern P4010 entweichen. Lie5e sich ein solches Verfahren durchfiihren, dann konnte man das gebildete P4Ol0 direkt mit Wasser zu Phosphorsaure umsetzen und brauchte nicht den Umweg iiber den elementaren Phosphor zu gehen. AuBerdem lieBe sich dann auch die bei dem bisherigen Verfahren zur Reduktion des P4010 benotigte Kohle einsparen. Eine Untersuchung dieser Frage erschien daher wunschenswert.

Um ein Austreiben von P,Olo aus dem thermisch bis zu etwa 150OOC bestandigen Apatit durch die Kieselsiiure zu bewirken, muate sie das Calcium des

130Oo-145O0C

Apatits unter Bildung voii Calciumsilikaten binden. Man konnte sich vorstellen, da5 eine derartige Reak- tion unter intermediarer Bildung von Calciumpoly- phosphaten verlaufen miiBte, die sekundar P4010 ab- geben gemaB den Gleichungen

3 [ C ~ ( P ~ ~ ) Z ] S +- x c%(po4)2 + x p4010 (2)

3Ca,P~0, 2c+3(p04)2 .+ &p4010* (3) Um die Moglichkeit eines derartigen Reaktionsver- laufes abschkitzen zu konnen, wurde zunachst das thermische Verhalten von Ca-Polyphosphat [Ca(PO,),], und Ca-Diphosphat Ca,P,O, untersucht (9. Bild 1). Zu diesem Zweck wurden jeweils 5 mmol [Ca(PO,),ls mit dem Ca : P-Verhaltnis 0,5878 : 1 und Ca,PzO, und zum Vergleich auch Calciummonophosphat Cq(P04), im Bereich von 950 bis 1400°C stufenweise hoher jeweils 24h erhitzt. Es zeigte sich, daB die Zersetzung des Ca(PO,), bereits kurz oberhalb des Schmelz- punktes von 980°C beginnt und kontinuierlich ver- liiuft. Das Ca:P-Verhaltnis hat bei 1400°C einen Wert von 1,136:1, was einem mittleren Kondensa- tionsgrad n = 1,57 entspricht. Die Zersetzung des Diphosphats beginnt erst oberhalb 1200°C und das Ca :P-Verhiiltnis besitzt bei 1400 "C etwa den gleichen Wert wie beim Calciumpolyphosphat, niimlich 1,14: 1 undn = 1,56. Erst bei weiterem bzw. hoheremErhitzen wird schliel3lich in beiden Fallen die Grenzzusammen- setzung des Calciummonophosphats Cq(PO,), erreicht, das in dem untersuchten Temperaturbereich stabil ist.

Um festzustellen, ob Kieselsaure aus Apatit Cal- cium unter Bildung von kondensierten Calciumphos- phaten, von denen nach Bild 1 zumindest das Calcium- diphosphat bis zu 1200°C nachweisbar sein miiBte, zu binden vermag, wurden drei verschiedene Mischun- gen von amorpher Kieselsiiure und reinem natiirlichen

Z. Chem., 1. Jg., Heft 7, 1961 207