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Theologische Abhandlung
im Rahmen des II. Theologischen Examens (2008)
der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
Predigerseminar Celle: Kurs 02
Gottesdienst als Marktplatz Was können landeskirchliche Ortsgemeinden
von Sunday Plaza lernen?
Vorsitzender der Prüfungskommission: Landessuperintendent Dr. D. Klahr
Prüfer: Dr. F. Seven, R. Tyra
Studienleiterin: Dr. N. Wendebourg
Vorgelegt am: 13.10.2008
Von: Vikarin Sandra Bils
Email: [email protected]
1
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung 2
1.1. Vorgehensweise 2
II. Sunday Plaza – Mitte einer Gemeinschaft 3
2.1. Situation und Milieu 3 2.1.1. Kirchliches Leben in der Schweiz 3 2.1.2. Soziokulturelle Betrachtung der Bewegung X-Stream 4
2.2. Sozialformen innerhalb der Bewegung X-Stream 5 2.2.1. Entstehung und Organisation von X-Stream 5 2.2.2. X-Changes 6 2.2.3. Sunday Plaza 8
2.2.3.1. Inhalt der einzelnen Elemente des Sunday Plaza 9 2.2.4. Leitung und Kommunikationsstrukturen von X-Stream 12
2.2.4.1. Mitarbeit in den kerndienstlichen Verantwortungsbereichen 13 2.2.4.2. Leitbildprozess anhand des Wertebüchleins 14
2.3. Theologische Perspektive 15 2.3.1. Einflüsse der »Emerging Church« und der »Alternative Worship Bewegung« 15
2.3.1.1. Wesen der Emerging Church 15 2.3.1.2. Wesen des Alternative Worships 16
2.3.2. Zum Verhältnis von X-Stream und Sunday Plaza anhand von ausgewählten Aspekten 18 2.3.2.1. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen 18 2.3.2.2. Lebensräume - Sakral/profan 19 2.3.2.3. Profil - Umgang mit geprägter Tradition 20
2.4. Zwischenstand 20
III. Ortsgemeindliche Wirklichkeit 21
3.1. Situation und Milieu 21 3.1.1. Beleuchtung soziokultureller Hintergründe 22 3.1.2. Sozialformen innerhalb der landeskirchlichen Ortsgemeinde 23
3.2. Theologische Perspektive 25 3.2.1. Verbindung von Gottesdienst und Gemeinde 25
3.3.Gemeindeaufbaumodelle 28 3.3.1. MÖLLER: Ganzheitlicher Gemeindeaufbau durch »Gottesdienste als Gemeindeaufbau« 28
a. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen 28 b. Lebensräume - Sakral/profan 29 c. Profil - Umgang mit geprägter Tradition 30
3.3.2. LINDNER - Kirche am Ort: Von der konziliaren Gemeinde und kirchlichen Organisationsentwicklung 31
a. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen 31 b. Lebensräume - Sakral/profan 33 c. Profil - Umgang mit geprägter Tradition 34
3.3.3. POHL-PATALONG: Von der Ortskirche zu kirchlichen Orten 34 a. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen 35 b. Lebensräume - Sakral/profan 36 c. Profil - Umgang mit geprägter Tradition 37
3.3.4. Resümee zu den vorgestellten Modellen und Zwischenbetrachtung 38
IV. Übertragung – Was kann die Landeskirche von Sunday Plaza lernen? 39
4.1. Direkt übertragbar 40 4.2. Modifiziert übertragbar 40 4.3. Nicht übertragbar 46
Anhang 48
A. Verzeichnis der verwendeten Literatur 48 B. Internetressourcen 54
2
HINWEISE FÜR DEN LESER
Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen richten sich nach dem Verzeichnis von S.
M. SCHWERTNER, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New
York 1976.
In allen Formen ist die inklusive Form mitgedacht.
I. Einleitung
Im zweiten Leuchtfeuer des Impulspapiers der EKD »Kirche der Freiheit« wird in Bezug
auf eine profilierte Gemeindearbeit dazu aufgerufen, von „gelingenden Beispielen“ zu
lernen und diese gemäß einer »good practice Orientierung« zu stärken.1
Im August 2008 hatte ich während meines Praktikums in der Netzwerkbewegung
X-Stream Steffisburg, im Kanton Bern in der Schweiz die Gelegenheit, eine spannende
freikirchliche Gemeinschaft kennen zu lernen. Ich war begeistert, in einer Bewegung
hospitieren zu können, die vor allem aus jungen Familien besteht. Die Altersstruktur der
Mitglieder liegt zwischen 18 und 50 Jahren – eine Zielgruppe, um die sich viele andere
Gemeinden meist vergeblich bemühen. Auch der hohe Teilnehmerdurchschnitt am got-
tesdienstartigen Modell »Sunday Plaza« von ca. 85% hat mich erstaunt.
Handelt es sich hier um ein Gemeinde- und vor allem ein Gottesdienstkonzept das das
Prädikat „gelungenes Beispiel“ im Sinne des Impulspapiers verdient? X-Stream lehnt als
freikirchliche und unabhängige Bewegung die Bezeichnung »Gemeinde« für sich ab.
Auch die Bezeichnung des Sunday Plaza als »Gottesdienst« weisen sie zurück. Dieser
kritische Umgang mit geprägten christlichen Traditionen führte mich zur Frage: Handelt
es sich bei X-Stream überhaupt um eine Gemeinde und bei Sunday Plaza um einen
Gottesdienst und in wieweit kann eine landeskirchliche Ortsgemeinde von diesem
„gelungenen Beispiel“ profitieren? Gibt es Elemente, die auf die ortskirchliche
Wirklichkeit übertragbar sind?
1.1. Vorgehensweise
Im ersten Schritt werde ich in Grundzügen die konfessionelle Situation in der Schweiz
beleuchten, um dann auf die Bewegung X-Stream einzugehen. Dabei werde ich eine
soziokulturelle Untersuchung des dort vorherrschen Milieus vornehmen und die
organisatorischen Gefüge und Sozialformen darstellen, die die Gesamtbewegung
strukturieren und in die auch das gottesdienstähnliche Modell Sunday Plaza verortet ist.
Darin sind sowohl Fragen der Leitungs- als auch der Kommunikationsstrukturen
1 Vgl. Kirche der Freiheit, 53.
3
eingeflochten. Es folgt eine theologische Annäherung, in der die Einflüsse der
»Emerging Church« sowie der »Alternative Worshipbewegung« auf X-Stream beleuchtet
werden. Anhand von drei Aspekten, die jeweils Grundwerte, Struktur und Profil der
Bewegung theologisch reflektieren, wird daraufhin das Verhältnis von Bewegung und
gottesdienstähnlichem Modell näher beleuchtet.
Im zweiten Schritt wird der Untersuchung der freikirchlichen Bewegung die
ortsgemeindliche Wirklichkeit innerhalb der Landeskirche gegenübergestellt. Das bereits
im Zusammenhang von X-Stream beleuchtete Milieu soll nun als Vergleichspunkt in den
Strukturen des landeskirchlich-parochialen Systems verortet werden. Dazu werden
gemeindeaufbau- und gottesdienstbetreffende Sozialstrukturen dargestellt. Theologisch
wird dies dann anhand der Gemeindeaufbaumodelle von MÖLLER, LINDNER und POHL-
PATALONG analysiert. Dafür werden die drei zentralen Aspekte, die sich in der
Untersuchung der Bewegung X-Stream herausgeformt haben, als konkrete Vergleichs-
und Analysepunkte an die Gemeindeaufbaumodelle angelegt.
Im letzten Schritt wird schließlich aus den Ergebnissen der Untersuchungen die
Übertragbarkeit des Sunday Plaza auf ortsgemeindliche Strukturen abgeleitet.
II. Sunday Plaza – Mitte einer Gemeinschaft2
2.1. Situation und Milieu
2.1.1. Kirchliches Leben in der Schweiz
In der Gesamtschweiz besteht eine Religionslandschaft, die konfessionell mit 41%
römisch-katholischen und 40% reformierten Christen ausgeglichen ist.3 Im Gegensatz
dazu ist der Kanton Bern, in dem auch die Bewegung X-Stream liegt, mit über 67%
protestantischen Christen grundsätzlich eher evangelisch dominiert.4 Hierin
eingeschlossen sind die Mitglieder der evangelisch-reformierten Landeskirche sowie
2 Darstellung und Untersuchung X-Streams basieren auf Informationen und Beobachtungen, die ich wäh-rend meines Hospitationsprozesses in der Schweiz zusammengetragen habe. Sie stammen aus vielen In-terviews mit Mitgliedern des X-Stream und eigenen Beobachtungen und Reflexionen vor Ort während und nach meines Besuches im Rahmen meines Examensprojektes. 3 Die letzte Volkszählung im Jahre 2000 ergab, dass 41 % der Schweizer Bürger römisch-katholisch, 40 % reformiert, 2,5 % in Freikirchen und 11 % ohne Zugehörigkeit waren. Vgl. BOVAY, Religionslandschaft, 54. 4 67% Protestanten, 16% Römisch-Katholische, 3% Islamische Gemeinschaften, Keine Zugehörigkeit 8%. Vgl. BOVAY, Religionslandschaft, 65.
4
protestantischer Freikirchen. Die mitgliederstärkste Freikirche sowohl in Bern als auch in
der Gesamtschweiz ist der Bund der Freien Evangelische Gemeinde (FEG). Er umfasst
rund 7000 Mitglieder in 90 Gemeinden. Während die beiden großen christlichen Kirchen
sinkende Mitgliederzahlen vorweisen, hat sich die Anzahl der Mitglieder in Freikirchen
und kleineren Religionsgemeinschaften verdoppelt.5 Dies deutet, trotz der Migrationen
innerhalb der Konfessionen, auf eine Stabilität innerhalb der christlichen Konfession
hin.6
In der Stadt Thun, mit seinen 42.000 Einwohnern gibt es eine aktive reformierte Kirche,
eine kleine katholische Gemeinde sowie eine noch kleinere Christkatholische Gemeinde.7
Zudem gibt es in Thun ein breites Spektrum an Freikirchen, von denen sich 18 zur
Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) zählen und sich im lokalen Verbund zur
Evangelischen Allianz Region Thun (EARTH) zusammengeschlossen haben. Vier
weitere Freikirchen existieren als unabhängige Freikirchen, X-Stream ist eine davon.
Allgemein ist die Gottesdienstsituation innerhalb der reformierten Kirche in der Schweiz
ungefähr vergleichbar mit Erhebungen der lutherischen Kirche in Deutschland. Eine
empirische Untersuchung im Kanton Bern ergab eine Gottesdienstbesucherquote von
2,5%.8 Der Gottesdienstbesuch in den freikirchlichen Gemeinden liegt hingegen deutlich
höher. So kommen allein in den freikirchlichen Gemeinden des EARTH pro Sonntag ca.
3000 Thuner zusammen.9
2.1.2. Soziokulturelle Betrachtung der Bewegung X-Stream
Die Bewegung X-Stream besteht aus ca. 90 Personen die größtenteils dem
Selbstverwirklichungsmilieu10 angehören. Mit einem Altersspektrum von 18-50 Jahren
bilden sie, zusammen mit ihren Kindern, eine sehr junge Glaubensgemeinschaft.
Beruflich als Studenten, höhere Angestellte, Beamte und Freiberufler tätig, verfügen die
Meisten über einen hohen Bildungsabschluss.11 Vier Mitglieder haben Theologie studiert
und auch als Pastoren gearbeitet, zwei Weitere studieren derzeit noch Theologie. X-
Stream beschäftigt aber niemanden von ihnen als Pastor.
Erstaunlich ist, dass gerade das Selbstverwirklichungsmilieu, das X-Stream
schwerpunktmäßig ausmacht, sonst, statistisch gesehen, eher Desinteresse gegenüber
5 Dies ergibt sich aus dem Vergleich der Volkszählungen von 1970 und 2000. Vgl. Bundesamt für Sta-tistik, Übersichtsanalyse, 1. 6 Vgl. CAMPICHE, Aufbau 58. 7 Die Christkatholische Kirche ist der Name der Alt-Katholischen Kirchenströmung in der Schweiz 8 Vgl. LEHMANN, Mehr, 5. 9 Vgl. http://www.allianz-thun.ch/index.php (einges. 09.10.2008; 08:33 Uhr). 10 In der Einteilung in verschiedene Sozialmilieus folge ich SCHULZE in „Die Erlebnisgesellschaft.“
5
kirchlichen Veranstaltungen zeigt oder sich als konfessionslos bezeichnet. Bei einer
repräsentativen Umfrage unter 16-35 jährigen Schweizern gaben 46% von ihnen an, nur
bei familiären Anlässen oder nie in den Gottesdienst zu gehen.12
Ein wesentliches Charakteristikum dieses Milieus ist nach SCHULZE die hohe
Wertschätzung intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, die auch bei den
Mitgliedern von X-Stream deutlich zu erkennen ist. Binnenkirchlich wird großer Wert
auf Gemeinschaft gelegt.13 Gemäß ihrer alltagsästhetischen Neigungen lassen sich die
Mitglieder durch die Art ihrer Freizeitgestaltung und ihres gewählten Lebensstils dem
Hochkultur- und dem Spannungschema zuordnen: Ihre Interessen umfassen sportliche
Aktivitäten, sie hören gerne Rock, Pop, alternative Musik aber auch Klassik (sog.
Postmoderne Mischcharakteristik)14 und lesen sowohl Modezeitschriften als auch
ausgewählte Literatur. Außerdem gehen sie gerne in Cafés, Ausstellungen und zu
Rockfestivals. Viele schauen nur selten fern oder haben keinen Fernseher. Ihr
Kleidungsstil variiert von elegant über sportlich bis alternativ.
2.2. Sozialformen innerhalb der Bewegung X-Stream
Die Bewegung X-Stream ist als Dachverband in 13 Hauskirchen organisiert, die
insgesamt 90 Mitglieder umfassen. Durch ihre strukturelle Unabhängigkeit als Freikirche
und ihre überschaubare Größe sind ihnen im Hinblick auf den Gemeindeaufbau große
Freiheiten gegeben.15
2.2.1. Entstehung und Organisation von X-Stream
Die Hauskirchenbewegung X-Stream ist vor zehn Jahren aus einer Jugendgruppe der
Freien Evangelischen Gemeinde (FEG) Steffisburg, Schweiz hervorgegangen. Damals
unzufrieden mit der vorherrschenden Gottesdienstpraxis, beschäftigte sich das
Leitungsteam der Jugendgruppe mit verschiedenen Gottesdienstkonzepten und
Gemeindemodellen. Nach dem Vorbild der sog. Seeker-Services der Willow Creek-
Bewegung, wurden erste Gottesdienste veranstaltet, die jedoch wegen der zu hohen
Passivität der Gottesdienstbesucher bald wieder verworfen wurden. Gewünscht war ein
11 Vgl. BECKS, Gottesdienst, 228. 12 27% gelegentlich, 16% mindestens monatlich, 12% wöchentlich, vgl. CAMPICHE, Aufbau, 79. 13 Die Freundschaften sind allerdings keineswegs allein konfessionell homogen. Viele Mitglieder sind auch außerhalb der Gemeinde in Freundeskreisen vernetzt. 14 „Typisch für das Selbstverwirklichungsmilieu ist der Grenzverkehr zwischen verschiedenen alltags-ästhetischen Teilchen- und Bedeutungskosmen, zwischen Mozart und Rockmusik, Kunstausstellung und Kino, Kontemplation und Action.“ SCHULZE, Erlebnisgesellschaft, 312. 15 Dies ist deutlich hervorzuheben, da die Steuerbarkeit und damit die Realisierbarkeit von Konzepten in den Freikirchen anders gegeben ist als in den Groß- und Landeskirchen mit ihrem Binnenpluralismus. Vgl. WINKLER, Gemeinde, 113.
6
hohes Maß an Identifizierung und persönlicher Beteiligung, wodurch 1998 die
kleingruppenbasierte Gemeinschaft X-Stream gegründet wurde.
Die Gemeinschaft ist in 13 Hauskirchen, den sog. X-Changes organisiert. In diesen findet
gemeinschaftliches Leben und ein reger christlicher Austausch im Alltag statt. Ein Mal
im Monat findet zudem eine gottesdienstähnliche Veranstaltung statt, der sog. Sunday
Plaza. Er funktioniert als geistliches Zentrum vom X-Stream und bietet den Hauskirchen
ein Forum zum Austausch. Was die Finanzierung von X-Stream betrifft, so wird
monatlich von den Hauskirchen ein geringer Beitrag an sog. Netzwerkkosten an die
Gesamtbewegung entrichtet.16 Die Hauskirchen verwalten ihre Finanzen eigenständig.
Im Folgenden wird die Arbeit und Organisation der Hauskirchen und des monatlich
stattfindenden Sunday Plaza näher beschrieben.
2.2.2. X-Changes
Die 13 Hauskirchen haben jeweils unterschiedliche lokale Ausprägungen und Profile:
Die Mitglieder einiger dieser Kleingruppen leben in kommunitären Einheiten in Häusern
zusammen, während andere unabhängig wohnen, sich aber mindestens einmal
wöchentlich in ihrer Zellgruppe treffen. Die Gruppenstärke variiert von drei bis zwölf
Personen. Die Gruppen wachsen durch Neueintritte, meist nach einer persönlichen
Einladung im Bekannten- oder Arbeitskollegenkreis. Bei einer Größe von maximal 14
Personen hat eine Hauskirche ihre maximal gewünschte Größe erreicht. Homogene
Gruppen im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Beruf und Familienstand stehen sehr
durchmischten Gruppen gegenüber. Die unterschiedlichen Profile ergeben sich aus den
Interessen der Mitglieder und ihrer individuellen Frömmigkeit, was im Folgenden
anhand konkreter Beispiele verdeutlicht wird.
Trotz vieler struktureller Unterschiede sind die Kleingruppen durch die gemeinsame
Zielsetzung von X-Stream eng miteinander verbunden: Für alle X-Changes gehört die
Regelmäßigkeit der Treffen und das Engagement in ihrem jeweiligen sog.
Entsendungsgebiet zu den Grundwerten der Bewegung. Im Abstand von zwei Wochen
versammelt sich jede Hauskirche nach einem Rotationsprinzip in einer Privatwohnung,
einige Gruppen treffen sich auch in einem Café oder Restaurant. Häufig beginnen die
Treffen mit einem gemeinsamen Abendessen.17 Während bzw. nach dem Essen wird das
16 Die Netzwerkkosten betragen monatlich 30 ! für Berufstätige und 15 ! für Studenten/Arbeitslose. 17 Nahezu alle Gruppen treffen sich in den Abendstunden. Eine Gruppe jedoch trifft sich im zweiwöchigen Rhythmus in einem Restaurant zum Frühstücksbrunch.
7
Abendmahl im Sinne eines Agapemahls gefeiert.18 Im Anschluss ist das Treffen häufig
von Gebet, Musik und gemeinsamer Bibellese geprägt.
Besonders wichtig ist, dass die Treffen keinem festen Ablauf folgen. Der Begriff
„Programm“ wird bewusst gemieden, stattdessen soll es Raum für Flexibilität und
Spontaneität geben. Starre Formen und festgelegte Abläufe sind nicht erwünscht. Der
Ablauf dieser Treffen kann deshalb nicht verallgemeinernd beschrieben werden.
Während eine Gruppe gemeinsam ein thematisches Buch liest und bibelkreisartig
erarbeitet, gestaltet eine andere Gruppe die Abende mit verschiedenen Methoden der
Bibelarbeit wie das sog. Rabbigespräch sowie Lectio Divina.19 In manchen Gruppen
wird gesungen, in anderen hingegen CD-Musik gehört und in der Stille gebetet.
Insgesamt sieht jeder Abend viel Zeit für Austausch und Gespräch vor.
Im wöchentlichen Wechsel zu diesen thematischen Treffen engagieren sich die
Hauskirchen in ihrem Entsendungsgebiet. Diese sozial-diakonische Tätigkeit erwächst
aus dem jeweiligen Profil der Hauskirche und ist von ihr selbst definiert. Das Spektrum
der Tätigkeiten umfasst Gefängnisbesuche, Berufsberatung und Bewerbungstraining oder
regelmäßige Besuche in einem Heim für schwererziehbare Mädchen. Viele
Entsendungsgebiete haben direkte Anbindung an den Wohnort der Mitglieder und
erwachsen aus einem Gefühl sozialer Verantwortung vor Ort. So bspw. eine junge
Hauskirche die in der Dorfentwicklung in Steffisburg tätig ist. Eine andere Gruppe
wiederum hat sich etwa bei der Stadt Thun als ehrenamtliche Sozialarbeiter ausbilden
lassen und versieht ihren Dienst nun im Rahmen ihres Entsendungsgebietes.20
Durch die finanzielle Eigenständigkeit der Hauskirchen bleiben die Mitgliederabgaben
im eigenen Verfügungsbereich und werden direkt für diese Projekte genutzt.
Gelegentlich schließen sich einige Hauskirchen für gemeinsame Großprojekte
zusammen. Es gibt auch die Möglichkeit, an Weiterbildungsprogrammen teilzunehmen.
18 Die Verantwortung für die Einsetzung wechselt innerhalb der Hauskirche von Treffen zu Treffen. Die Einsetzung selbst wird gemäß der Einsetzungsworte Mk 14,22–25 oder 1Kor 11,23–25 lesend, nach-erzählend oder singend vollzogen. Zum Abendmahl sind auch Kinder eingeladen, wie auch in der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz verbreitet. 19 Das Rabbigespräch ist eine Methode des Bibelgesprächs, bei dem durch zirkuläres Fragen versucht wird, zum Kern der Bibelgeschichte zu gelangen. Die lectio divina ist eine Methode der betenden Meditation über Bibeltexten aus dem 11 Jahrhundert. Ihre vier Stufen lectio, meditatio, oratio und contemplatio führen lesend, wiederholend, betend und verweilend durch Bibeltexte. 20 Das Entsendungsgebet stellt nur eines der vielfältigen Arbeitsfelder dar, in denen die Bewegung auch außergemeindlich tätig ist. Weiter lassen sich beispielhaft die Netzwerkarbeit mit anderen Gemeinden verschiedener Konfessionen sowie vereinsartige Arbeit in der Dorfentwicklung, bspw. bei der Planung eines Dorffestes nennen.
8
Das Leiterausbildungsprogramms Zyklotron21 im Rahmen des sog. Jüngerschaftsmodels
steht grundsätzlich allen Mitgliedern der Hauskirchen offen. Zyklotron zielt auf die
Ausbildung von neuen Hauskirchenleitern22 und motiviert somit zu Gründung neuer
Hauskirchen. Dadurch entsteht eine organische Struktur, die sowohl von Kontinuität als
auch von Wachstum geprägt ist. Die Stellung der X-Changes zur Gesamtbewegung X-
Stream ist als autonom aber nicht autark zu beschreiben. Einerseits organisieren sich die
Hauskirchen selbst und verantworten ihre jeweils eigene programmatische und
individuelle profilorientierte Ausrichtung. Andererseits sehen sie sich unter dem Dach
der Gesamtbewegung zusammengefasst und fühlen sich durch die Pflege von
persönlichen Beziehungen und den regelmäßigen Kontakt im Rahmen von Sunday Plaza
eng mit ihr verbunden.
2.2.3. Sunday Plaza
Während die X-Changes die kontinuierliche religiöse Gestalt der Bewegung bilden, ist
der Sunday Plaza als Treffpunkt aller Hauskirchen im Sinne eines gottesdienstähnlichen
Mittelpunkts zu verstehen. Wie bei der gesamten Entwicklung von X-Stream gab es auch
beim Sunday Plaza ein Vorläufermodell das ausprobiert und wieder verworfen wurde,
bis schließlich eine Form gefunden wurde, die den Erwartungen und Bedürfnissen der
Bewegung gerecht wurde. Wichtig für die Mitglieder war in diesem Rahmen das
Hinterfragen und Problematisieren der Bezeichnung »Gottesdienst«. Die mit diesem
Begriff verknüpften Erwartungshaltungen bei Christen und Kirchenfernen sollten
unbedingt vermieden werden, weshalb als Konsequenz schließlich eine andere
Bezeichnung – ein neues »Label« gefunden wurde:
„Was ist also ein Sunday Plaza? Ein Gottesdienst, der kein Gottesdienst sein
will, damit die Teilnehmer nicht mit vorgefassten Vorstellungen kommen und
nachher enttäuscht sind, weil sie vergebens auf Element A oder B gewartet
haben.“23
Der Sunday Plaza findet ein Mal pro Monat, sonntags von 15:30 – 20:30 Uhr im
Veranstaltungszentrum »Schüür« in Steffisburg statt. Dies liegt am Stadtrand Thuns, hat
eine angegliederte Gastronomie und wird eigens für die jeweiligen Sonntage angemietet.
Im Hinblick auf Gestaltung und Aufbau zeichnet sich Sunday Plaza durch eine
Baukastenstruktur aus. Im Gegensatz zur seriellen Grundstruktur klassischer
21 Über den Zeitraum von einem Jahr treffen sich die Teilnehmer zweiwöchentlich zu Themen wie bei-spielsweise: Gesprächsführung sowie Kunst und Kultur. 22 Auf die Rolle und Aufgabe der Hauskirchenleiter werde ich 2.2.4.1 näher eingehen.
9
Gottesdienste, definiert sich die Liturgie des Sunday Plaza durch konstante serielle sowie
parallele Angebote, die im Hinblick auf Abfolge und Dauer frei kombiniert werden
können. Die Struktur ist einem Marktplatz nachempfunden. Im Rahmen von neun
verschiedenen Foren wird versucht, den spirituellen Bedürfnissen und persönlichen
Wünschen der Besucher zu entsprechen: Workshops, Art Gallery, Lounge, Raum der
Stille, Espace Enfant, Game Corner, Info-Zone, Bistro, Plenum/Contemplatio.
Dadurch ergibt sich für die Besucher die Möglichkeit, verschiedene Angebote zu
kombinieren und unterschiedlich lange in den jeweiligen Bereichen zu verweilen.
Um die Vielfältigkeit des Sunday Plaza zu veranschaulichen, werden im Folgenden die
neun Foren kurz vorgestellt.
2.2.3.1. Inhalt der einzelnen Elemente des Sunday Plaza
a. Workshops
Während des Sunday Plaza finden jeweils zwei Mal zwei Workshops statt.24 Zwei
Themen25 werden parallel angeboten, um die Workshopgruppen von maximal zwölf
Teilnehmern klein zu halten und um Raum und Zeit für Austausch und Diskussion zu
schaffen. Das Anbieten eines Workshops steht der gesamten Bewegung offen, wird
jedoch meist von Mitgliedern mit theologisch-universitärer Vorbildung wahrgenommen.
Die Workshops sind stark interaktiv ausgelegt. So können die PowerPoint-unterstützten
Inputs durch angeregte Diskussionen unterbrochen werden. Workshops stellen keine
Predigten oder hierarchischen Frontalunterricht dar, sondern verstehen sich als
interaktive Lehreinheiten zu Bibeltexten und Glaubensfragen. Außerdem dienen sie oft
zur Vorbereitung von Kick-Off-Prozessen für neue Projekte. Bildung und Partizipation
gehören zu den Zielen der Workshoparbeit.
b. Art Gallery
Die Art Gallery ist ein Bereich des Sunday Plaza, der während des gesamten
Veranstaltungszeitraums geöffnet und zugänglich ist. Dort werden Zeichnungen, Drucke,
Skulpturen und Video-Installationen ausgestellt. Die Kunstwerke stammen von
Künstlern aus der Bewegung (Kunststudenten oder Hobbykünstler). Anfang des Jahres
23 Homepage von X-Stream: http://lifenavigator.typepad.com/lifenavigator/2007/10/sunday-plaza-ii.html (einges. 23.09.2008; 18:32 Uhr). 24 Zwei Workshops finden parallel von16:00-17:00 Uhr statt, zwei weitere von 17:30-18:20 Uhr. 25 Themenübersicht in Auswahl: Der Gott der Erde (Inkarnation); Lifeshapes: Fünfeck, Rabbischule zu Gebet; Lifeshapes: Sechseck; Reichswechsel Gedanken zu Kolosser 1,133; Lifeshapes: Siebeneck & Achteck; Der Mensch des Friedens; Erlebnisbericht aus Thailand; Warum Gott Geschichten und Symbole braucht: Bibel meets Wertebüchein: Rabbigespräch: Apostelgeschichte 2 (Pfingsten); Finanzen: Von Mäusen und Motten; Die Messe verstehen: ein theologischer Ausflug in die Welt der Anbetung.
10
wurde dort im Rahmen einer Vernissage das aufwändig gestaltete Wertebüchlein26 der
Öffentlichkeit vorgestellt.
Das Profil der Art Gallery ist bewusst wandlungsfähig und offen: Ausstellungen, die zum
reinen Betrachten einladen wechseln sich mit interaktiven Projekten ab, bei denen die
Besucher selbst kreativ und künstlerisch tätig werden können. Video-Kunst-Projekte,
Projektionen und audio-visuelle Installationen wiederum laden zu Meditation und Gebet
ein.
c. Lounge
Die Lounge bietet die Möglichkeit zu Gespräch und Austausch. Im angegliederten
Restaurant können Getränke und Speisen gekauft werden. Manche Mitglieder verabreden
sich im Rahmen des Sunday Plaza mit Freunden aus anderen Hauskirchen, um in
Kontakt zu bleiben. Ähnlich eines „Kirchencafés“ gehen andere wiederum spontan in
kleinen Gruppen in die Lounge um Diskussionen und Gespräche, beispielsweise
angestoßen durch Workshopinhalte, fortzusetzen.
d. Raum der Stille
Im Raum der Stille steht die individuelle Gottesbegegnung im Gebet im Vordergrund.
Die wechselnde Gestaltung der Bereiche ist inspiriert von der 24/7-Prayer-Bewegung.27
Während meiner Hospitationsphase war der Raum der Stille in drei verschiedene Zentren
unterteilt: Raum der Reinigung, Raum der Begegnung und Raum des Lebens.
Der Raum der Reinigung bot mit Matten und Kissen Raum zum Verweilen und erzeugte
durch die kunstvolle Beleuchtung mit gedämpftem Licht und Kerzen eine beruhigende
Grundstimmung. An allen Sitz- und Liegemöglichkeiten war der Vers „Alle Sorge werft
auf ihn“ (1Petr. 5,7) angebracht. Kleine Erklärungen im Raum führten in den
Themenkomplex Reinigung und Buße ein. Im Raum der Begegnung boten Stationen mit
CD-Playern die Möglichkeit Musik oder Abschnitte einer Hörbibel zu hören. Es lagen
Bibeln aus. Auch hier konnte auf Matten, Kissen und Sesseln individuell in der Stille
gebetet werden. Im dritten Raum, dem Raum des Lebens, war ein Spiegel angebracht,
darüber ein Schildchen „Sieh an, wie Gott dich geschaffen hat.“ Im ganzen Raum lagen
26 Das Wertebüchlein umfasst die Leitbildgedanken der X-Stream-Bewegung, deren Entstehungsprozess ich in Punkt 2.2.4.2 näher ausführen werde. 27 24/7 versteht sich als globale Bewegung von Christen unterschiedlicher Konfessionen. Inspiriert von Zinzendorfs 100-jähriger Gebetskette begann 1999 in England eine Gruppe von Jugendlichen Gebetsräume einzurichten, in welchen sie in Schichten von je einer Stunde 24 Stunden täglich beteten. Sowohl die Wahl der Räume (von privaten Wohnzimmern bis hin zu Kirchen), als auch deren kreative Gestaltungkennzeichnen das besondere Profil der 24/7-Prayer Bewegung. So werden durch kleine Sta-tionen verschiedenste Möglichkeiten des Gebets eröffnet.
11
kleine Bibelverse aus, die mit »Ich« beginnen.28 Im hinteren Bereich war auf einem
kleinen Tisch mit Brot und Wein ein Abendmahl vorbereitet. Es konnte als Station,
ähnlich einer Thomasmesse, allein gefeiert werden.29
e. Espace Enfant
Da X-Stream eine junge Gemeinde ist, wird auch ein Programm für die vielen Kinder
angeboten. Indem sie thematisch und kindgerecht betreut werden, sollen die Kinder sich
heimisch und in ihrem eigenen Element des Sunday Plaza aufgehoben fühlen,
gleichzeitig schafft das Programm für die Eltern der Kinder Freiräume, um ihnen die
Teilnahme an den gewünschten Modulen zu ermöglichen. Das Espace Enfant ist während
des gesamten Sunday Plaza geöffnet und bietet ähnlich einem klassischem
„Kindergottesdienst“ Möglichkeiten zum Spielen, Singen, Malen usw.
f. Game Corner
Im Element Game Corner stehen Spiele unterschiedlichster Art bereit. Neben Brett- und
Kartenspielen sowie eigenen Spielideen, kann manchmal auch an einer Spielkonsole
gespielt werden. In diesem Modul stehen Freude, Spaß und vor allem Gemeinschaft im
Vordergrund.
g. Info-Zone
Im Bereich der Info-Zone werden aktuelle Informationen der Bewegung kommuniziert.
Ähnlich eines Informationstisches werden Neuigkeiten, Buchempfehlungen, Ressourcen
und Veranstaltungstipps zur Verfügung gestellt. Die Info-Zone stellt eine Mischung aus
Abkündigungen und Gemeindebrief dar.
h. Bistro
Das Bistro und die Contemplatio sind die beiden einzigen Elemente des Sunday Plaza,
die eine serielle, aufeinander abfolgende Struktur aufweisen.
Da dem Tagungshaus ein Restaurantbetrieb angegliedert ist, besteht die Möglichkeit
zwischen 18:15h und 19:15h ein gemeinsames Essen einzunehmen. Hierzu kommen alle
zusammen. Das gemeinsame Essen ist von großer Bedeutung für die Gemeinschaft und
den Austausch der Mitglieder untereinander.
i. Plenum/ Contemplatio
Auf das gemeinsame Essen folgen als kollektiver Abschluss das Plenum sowie die
28 Beispielsweise lagen aus: Ich bin gerettet durch Gnade aus Glauben (Eph. 2.8-10); Ich bin ein Mitbürger des Reiches Gottes und Gottes Hausgenosse (Eph. 2,19). 29 Zur Bewertung des Abendmahls im Selbstverwirklichungsmilieu: HERLYN, Theologie, 109ff.
12
Contemplatio. Innerhalb des Plenums werden durch den sog. X-Porter, eine kleine
Videoshow, Neuigkeiten kommuniziert. Interviews, beispielsweise zur Vorstellung neuer
Mitglieder, Urlaubsbilder oder andere interessante Inhalte, stärken die soziale
Vernetzung der Mitglieder und beugen Anonymisierung und Vereinzelung innerhalb der
Bewegung vor.
Die Contemplatio stellt den stillen und meditativen Abschluss dar. Die Struktur und der
Inhalt der Contemplatio sind wechselnd und vielfältig: Als Inputs dienen Musikstücke
(live oder von CD), Naturgeräusche oder kurze Video-Sequenzen. Gedichte oder
Zeitungsartikel werden in einer szenischen Lesung Bibeltexten gegenübergestellt.
Interaktive Symbolhandlungen wie bspw. das Tragen von Augebinden beim
Themenschwerpunkt Finsternis oder verschiedene Stationen zur Auseinandersetzung mit
dem Thema Wasser, binden die Teilnehmer aktiv ein.
Der Gebetsteil der Contemplatio findet entweder in Kleingruppen oder in der
Großgruppe, z.T. frei in einer Gebetsgemeinschaft, z.T. vorformuliert statt. Die
Verantwortlichen der Contemplatio greifen dabei auch auf traditionell geprägte Gebete
zurück. Die Segenshandlung geschieht durch einen gemeinsam gesprochenen Segensvers
oder bspw. wie am Pfingstfest auch durch persönliche Segnung und Salbung.
2.2.4. Leitung und Kommunikationsstrukturen von X-Stream
Die Leitung der X-Stream-Bewegung lässt sich als »Bottom-Up« beschreiben. Die
Mitglieder der Hauskirchen klären organisatorische und finanzielle Angelegenheiten
autonom, sie stellen die kleinsten organisatorischen Einheiten dar. Die einzelnen
Leitungsstrukturen sind ausgehend von den Hauskirchen auf Vernetzung ausgelegt. Jede
Hauskirche wird durch einen Hauskirchenleiter repräsentiert – er spielt in der
Kommunikationsmatrix eine wichtige Rolle. Die Hauskirchenleiter sind im sog. GenX
zusammengeschlossen. Innerhalb dieser flachen Hierarchie tragen dort die Entsandten
der Hauskirchen Mandate, um für das Gemeinwohl der Gesamtbewegung zu sorgen und
aktuelle Fragen zur Gemeindesituation und die Gemeindebaustrategie zu besprechen.
Zum GenX stieß bisher noch der Kreis der damaligen Gründungsmitglieder (das sog.
Fellowship). Dieser Leitungszirkel hat sich aber inzwischen aufgelöst. Die Bewegung
sieht darin eine konsequente Weiterentwicklung ihres Leiterschaftsprinzips.30 Im
Rahmen dieser Auflösung wurden auch die Aufgabenfelder der anderen Leitungsebenen
30 Diese Entwicklung entstammt dem Prozess der gemeinsamen Buchlektüre, bei der sich das Felowship über ihr präferiertes Leiterschaftsmodell Gedanken gemacht hat, etwa mit dem Buch BRAFMAN, ORI/BESTROM ROD A.: The Starfish And The Spider. The Unstoppable Power Of Leaderless Organisations, New York 2006 sowie Diskussionen und Profilbildungsprozesse im Rahmen von Konzilen.
13
(Konzilien, Mitarbeiter in den Kerndiensten, Hauskirchenleiter usw.) reflektiert. Dabei
stellte sich heraus, dass das Fellowship, als eine hierachierartige Leitung nicht weiter
notwendig ist.31
Die Bewegung unterhält keinen hauptamtlichen Pastor, wenn auch sechs Mitglieder
Theologie studiert haben bzw. noch studieren und vier davon im kirchlichen Dienst
gearbeitet haben. Sie sind nun in anderen Berufsfeldern tätig. X-Stream beschäftigt
jedoch zwei Angestellte: Ein Mitarbeiter ist auf einer Stelle im Umfang von 20% mit der
Planung und Durchführung des Zyklotron betraut, ein weiterer Mitarbeiter mit einem
Stellenumfang von 10% ist für graphische Arbeiten, Webseitenprogrammierung und
Web-Applikationen (z.B. dem X-Stream-Wikipedia) zuständig.
Zusammenfassend kann man hier sagen, dass es durch die „Bottom-Up“-Struktur keine
hauptverantwortlichen Leiter gibt, die für auftretende Fragen und Aufgaben zuständig
sind und diese übernehmen. Weil die Arbeitsbereiche der X-Stream-Bewegung sehr
vielfältig sind, ergeben sich daraus wiederum höchst unterschiedliche
Verantwortungsbereiche. Diese sind unter den Mitgliedern der gesamten Bewegung
aufgeteilt.
Wegen des polyzentrischen Aufbaus ist die Sicherstellung von Kommunikation von
große Bedeutung ist. So vernetzen sich alle Mitglieder untereinander, neben den
persönlichen Treffen zusätzlich über Handys und Computer. Verschiedenste Netzwerk-
und Kommunikationsprogramme werden von den Mitgliedern beherrscht und häufig
genutzt.32
2.2.4.1. Mitarbeit in den kerndienstlichen Verantwortungsbereichen
Als Beispiel für einen Kerndienst und die damit zusammenhängenden Aufgaben möchte
ich die Sunday Plaza Matrix kurz umreißen. Zwei Personen bilden jeweils ein Team und
sind für die Planung und Durchführung in ihrem kerndienstlichen Bereich
verantwortlich. Diese Arbeit zeichnet sich häufig durch Vor- und Nachbreitung aus, sie
erfordert z.T. auch konkrete Mitarbeit während der sonntäglichen Treffen, bspw. die
Kinderbetreuung im Espace Enfant. Durch das Ziel der Bewegung, ein möglichst breites
Spektrum an Teilnahme- und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bieten, sind fast alle
Mitglieder in irgendeiner Form eingebunden. Diese Form der Mitarbeit und geteilten
31 Die Gruppe Fellowship sieht in ihrer apostolischen Funktion der Gemeindegründung diese Aufgabe als abgeschlossen an und wendet sich nun neuen Feldern zu. So wird beispielsweise über die Ausweitung des kommunitären Lebens in Form eines Klosters nachgedacht. 32 Neben Email- und Chatprogrammen, auch der Bereich des sog. social networkings wie Facebook, MySpace usw.
14
Verantwortung erzeugt eine große Bindung. Dies zeigt sich vor allem bei den Konzilien,
die als Diskussionsforen bei Strukturveränderungen oder als Entwicklungsprozess neuer
Angebote veranstaltet werden: Sie zeichnen sich durch hohe Teilnehmerzahlen und
angeregte Mitarbeit aus. Das gemeinsame Ideensammeln, Entwickeln sowie Diskutieren
in Kleingruppen und im Plenum stellt sicher, dass Entscheidungen konsensfähig sind und
von allen mitgetragen werden.
Ein Produkt dieser gesammelten Ideen stellt das Wertebüchlein dar. Es handelt sich dabei
um ein gemeinsam entworfenes und gestaltetes Büchlein, das die Entwicklung und
Struktur der Bewegung skizzenhaft beschreibt. Auffällig war bei meiner Untersuchung,
dass das „Wertebüchlein,“ nebst seines präambelartigen Inhalts innerhalb der Bewegung
sehr bekannt war und enorme Unterstützung erfahren hat. Als wichtiges
Kommunikationsmittel nach außen möchte ich dessen Entstehung und Bedeutung für X-
Stream kurz umreißen.
2.2.4.2. Leitbildprozess anhand des Wertebüchleins
Das Wertebüchlein ist eine illustrierte Erzählung in Form eines kleinen, käuflich
erwerbbaren Buches. Es stellt eine Sammlung der Grundwerte von X-Stream dar, die im
Rahmen einer Geschichte erzählt werden. Zu Beginn des Leitbildprozesses bei X-Stream
stand zunächst nur der Wunsch, gemeinsame Werte zu sammeln, reflektieren und
festzuhalten. Die Ergebnisse sollten aber nicht in einem einfachen Text münden, sondern
prosaisch und grafisch eingebettet werden. Das Ergebnis dieses Prozesses ist ein 62-
seitiges, „haptisches Leitbild“ der X-Stream-Bewegung, mit dem Titel: „Im Auftrag des
Königs. Eine Parabel über Jüngerschaft, Gemeinschaft und Multiplikation.“
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die große Relevanz von Authentizität und
Identifikation innerhalb X-Streams eingehen. Bei der Entwicklung des Wertebüchleins
wurde großen Wert darauf gelegt, dass es eine ständige Rückbindung in die Hauskirchen
gab und dass es im Rahmen von Workshops und Konzilien allen Mitgliedern von X-
Stream möglich war, an der gemeinsamen Wertefindung mitzuwirken.
Dadurch ist ein authentisches Abbild und ein verbindlicher Wertekatalog der Bewegung
entstanden. Narrative Theologie ist in der X-Stream-Bewegung von großer Bedeutung.33
Leitbildprozesse und Grundwerte der Bewegung sollen nicht fern des gemeindlichen
Lebens stehen, sondern gekannt und gelebt werden und den Alltag der Mitglieder
33 Zur Bedeutung des Erzählens und des Genres »Erzählung«, Vgl. KIMBALL, Church, 168ff.
15
prägen.34 Dabei zielt das Wertbüchlein in seiner Form als narrative Geschichte sowie in
seiner Bilderbuchhaftigkeit nicht nur auf Kinder ab. Gerade komplexe Werte von Leitung
und Jüngerschaft lassen sich, so die Erfahrung der Bewegung, auch Erwachsen besser
durch eine Kombination von Text und Bildern vermitteln.35
Abschließend kann zusammengefasst werden, dass die Bewegung in ihren verschieden
Hauskirchen und Strukturen ein weit verzweigtes Netzwerk bildet, das in
unterschiedlichsten Feldern innerhalb und außerhalb X-Streams lebt und arbeitet. Dessen
Ausgangspunkt und Zentrum bildet der Sunday Plaza. Ein umfassendes Netz an
Leitungs- und Kommunikationsstrukturen, bspw. Leitbildprozessen, wie dem
Wertebüchlein stellen dies sicher.
2.3. Theologische Perspektive
2.3.1. Einflüsse der »Emerging Church« und der »Alternative Worship Bewegung«
2.3.1.1. Wesen der Emerging Church
Die Emerging Church lässt sich als weltweite, stark heterogene christliche Bewegung
fassen, die sich innerhalb der sog. Emerging Conversation Grundfragen des Glaubens,
der Kirche und der Tradition stellt.36 Diese suchende und fragende Diskussion innerhalb
der Bewegung ist durch die Reflexion postmoderner Strömungen in Gesellschaft sowie
Kultur und deren interdisziplinärer Untersuchung geprägt. Einzelpersonen und Gruppen,
die sich an der Emerging Conversation beteiligen, leben ihre eigene christliche
Spiritualität, indem sie Bestehendes hinterfragen und Neues gestalten. Die
Grundbedeutung von »emergent« „im Entstehen begriffen sein, auftauchen,
emporkommen“37 impliziert bereits den Charakter der Unfertigkeit und Fragilität dieser
Suchbewegung. Die Suche wird als Prozess verstanden, der nicht von vornherein
eingeengt werden soll. Die Emerging Church versucht Wege zu ergründen, das
Evangelium zu rekontextualisieren und so den christlichen Glauben inmitten der
postmodernen Gesellschaft zu leben. Dabei wird versucht von vorschnellen Antworten
und vorgefertigten Festlegungen und Definitionen Abstand zu nehmen. Die emergente
Theologie ist stark heterodox und vereint in ihrem breiten Spektrum liberale bis hin zu
34 ALAN HIRSCH betont in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen »core values« und »core practices«, Vgl. Hirsch, Ways, 47. 35 Gerade die transparenz- und alltagsrelevanzschaffenden Stoßrichtungen von Leitbildprozessen schaffen eine „größere Verbindlichkeit, in dem Leitbilder nicht nur in Gemeindeleitung, sondern breit in Gruppen und Kreisen diskutiert werden.“ Vgl. HÄRLE, Wachsen, 306. 36 Die Bewegung der »Emerging Church«, zuweilen auch als »Emergent Church« bezeichnet, ging Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre von Neuseeland, Großbritannien und den USA aus. 37 Duden, 396.
16
vereinzelt evangelikalen Ausprägungen. Wesentlich ist sie allerdings gekennzeichnet von
einem, im Vergleich zu evangelikalen Vorstellungen, ganzheitlicheren Missionsbegriff,
der sich in der Kultur der sog. missionalen Lebensweise niederschlägt.38 Darunter fasst
die Bewegung das Transformieren der Alltagsumgebung durch Engagement im sozial-
diakonischen, ökologischen und politischen Bereich, das auf die inkarnatorisch-
holistische Christustheologie39 und die missio dei40 fußt. Die Emerging Church
Bewegung ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige Einzelpersonen und Gruppen, die
sich an der »Emerging Conversation« beteiligen und ist somit dezentral.41 Sie alle sind
jedoch international durch ein vielfältiges soziales Kommunikationsnetzwerk42 eng
miteinander verbunden. Gruppen, die sich der Emerging Church Bewegung zurechnen
oder ihre Gemeinschaften als Emerging Church auffassen, sind vielfältig und lassen sich
nur schwer einheitlich beschreiben.43
EDDIE GIBBS und RYAN K. BOLGER haben diesen Versuch unternommen und von 2000
bis 2005 die Emerging Church-Bewegung untersucht. Dabei haben sie neun Kennzeichen
formuliert, die auf eine Emerging Church hinweisen, aber nicht unbedingt alle innerhalb
einer Gruppe zu finden sind.44 So nennen sie die Identifikation mit dem Leben Jesu, die
Transformation säkularer Bereiche, das gemeinschaftsorientierte Leben, das
Willkommenheißen von Fremden, das Dienen mit Großzügigkeit, das Ermöglichen der
aktiven Teilnahme, die kreative Mitgestaltung, das gesamtgemeindliche Leiten sowie die
Verbindung von traditionellen und modernen spirituellen Übungen.
2.3.1.2. Wesen des Alternative Worships
Die gelebte Praxis der Werte der Emerging Churches und die Früchte der Emerging
Conversation finden sich im Alternative Worship.45 Die Begriffe Alternative Worship
und Emerging Church werden jedoch auch häufig parallel und fließend ineinander
38 Vgl. WEBBER, Faith, 140ff.; ROLLINS, God, 53; GIBBS/BOLGER, Churches, 107ff.; FROST/HIRSCH, Things, 60ff. 39 Vgl. BREWIN, Christ, 47ff.; WEBBER, Faith, 63f.; Frost/Hirsch, Things, 33ff. 40 Vgl. GIBBS/BOLGER, Churches, 50ff.; Mission-shaped Church, 84ff. 41 Daher ist sie auch abzugrenzen von Organisationen wie »Emergent Village« (USA) oder »Emergent Deutschland« (D), die nicht die Bewegung repräsentieren, den Mitgliedern aber Foren und Austausch-möglichkeiten bieten. 42 Dazu zählen Homepages, Blogs (Ein auf einer Webseite geführtes und damit öffentlich einsehbares thematisches Journal), Foren, Konferenzen, Podiumsdiskussionen und Netzwerkzusammenschlüsse. 43 Vgl. KIMBALL, Church, 14f. 44 Diese können jedoch nur als vage Definitionen verstanden werden. Sie ergeben sich allein aus der Praxis der untersuchten Gruppen. Alle neun Kennzeichen sind nicht unbedingt in jeder der Gruppen zu finden, kennzeichnen jedoch die Grundpraxis der Bewegung. 45 ATKINSON, Worship, 261.
17
übergehend verwendet.46 Alternative Worship folgt keiner festen Liturgie,47 nutzt jedoch
Elemente der reichen Kirchentradition48 bspw. altkirchliche Gebete, Kyrierufe und
Segensformeln, kontemplative Übungen und Rituale wie Gebetslabyrinthe, Lectio divina
sowie Symbole, bspw. Kreuz und Osterkerze. Diese werden jedoch modernen
künstlerischen und medialen Elementen wie Video-Projektionen und Rock- und
Elektromusik gegenübergestellt.
Da sich auch der alternative Worshipbereich durch eine große Pluralität auszeichnet
verweise ich auf das EPIC-System LEONARD SWEETS. Hier wird versucht die
gottesdienstartigen Formen des Alternative Worships zu fassen. Das Akronym setzt sich
aus den einzelnen Kategorien experimental (Erfahrung), participatory (Beteiligung),
image-driven (Bilder) und connected (Verbindung) zusammen.49 Unter »experimental«
fasst SWEET die kreative Begünstigung sensueller Wahrnehmung des gesamten
Gottesdienstes.50 Der professionelle wie künstlerische Einsatz von Düften, Lichteffekten,
Videoprojektionen, Musikeinspielungen oder Naturgeräuschen dient der
„multisensorischen Anbetung.“51 Der Erfahrbarkeit des Glaubens und seiner
Erlebnishaftigkeit im gottesdienstlichen Vollzug wird große Bedeutung zugemessen.52
»Participartory« beschreibt die umfassende Eingebundenheit und aktive Teilnahme am
Gottesdienstgeschehen. Dies beinhaltet sowohl die korporative Planung und
Verantwortung der Veranstaltung im Vorfeld, als auch ein hohes Maß an flexiblen
Beteiligungsmöglichkeiten innerhalb des Gottesdienstes.53 So in Form von intuitiven
Lesungen,54 Angeboten sich künstlerisch auszudrücken, sowie der Möglichkeit für
Diskussion und Rückfragen. Die Verschiebung unserer Aufnahmegewohnheiten vom
lesenden und hörenden Umgang hin zum visuell-multimedialen55 ist im Prinzip des
»image-driven« aufgenommen. In Form von Filmausschnitten, Videoinstallationen (als
künstlerisch-inhaltlicher Reiz oder Lichtquelle) sowie durch Animationen und
46 Vgl. http://tallskinnykiwi.typepad.com/tallskinnykiwi/2005/03/emergant_1_an_e.html (einges. 02.10.2008; 14:17 Uhr); http://www.alternativeworship.org/definitions_awec.html (einges. 02.10.2008; 14:26 Uhr). 47 Für weitere Beispielhafte Abläufe von Alternative Worship neben Sunday Plaza vgl. KIMBALL, Church, 246; KIMBALL, Worship, 137f; 150ff.; 163f. 188f.; 219ff. 48 KIMBALL fasst dies unter dem Schlagwort der „Retro-Spitualität,“ vgl. KIMBALL, Church, 25; 108f. 49 Vgl. SWEET, Pilgrims, 27ff. 50 Vgl. SWEET, Pilgrims, 30f. 51 Vgl. KIMBALL, Worship, 81f; 128f.; 185f.; Kimball, Church, 121ff. 52 Vgl. KIMBALL, Church, 185; POMPE, Anziehend, 151, SWEET, Pilgrims, 35. 53 Vgl. SWEET, Pilgrims, 62. 54 Vgl. KIMBALL, Church, 161; 191. 55 „Emerging churches seek to incarnate, embody and express the gospel beyond print culture, beyond the linear approach of modernity (...) a linear or text-based ecclesiology perpetuates secularity in the church and denies the church’s call to live incarnationally.“ GIBBS/BOLGER, Churches 70f.
18
Powerpoint-Präsentationen56 wird eine bildhafte Auseinandersetzung angeregt.
Schließlich beschreibt der Punkt »connected« die gemeinschaftsfördernde
Komponente.57 Neben der Gemeinschaft und Begegnung mit Gott soll im Alternative
Worship auch die Gemeinschaft untereinander einen Ort finden und gefestigt werden.
2.3.2. Zum Verhältnis von X-Stream und Sunday Plaza anhand von ausgewählten
Aspekten
Während meiner Hospitationsphase gab es im Hinblick auf Sunday Plaza drei Be-
sonderheiten, die ich an dieser Stelle hervorheben möchte. An ihnen lassen sich grund-
legende Charakteristika der X-Stream-Bewegung verdeutlichen und der Einfluss der
Emerging Church Bewegung nachvollziehen: Der Partizipationsgedanke-Priestertum
aller Gläubigen, Lebensräume und deren Verhältnis von Sakralem und Profanen und
Profil-Umgang mit geprägter Tradition.
2.3.2.1. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen
Der Partizipationsgedanke zeichnet sich in der Bewegung X-Stream durch Mitarbeiten,
Mitbestimmen und Mitleiten aus.
Mitarbeiten: Teilhabe und Partizipation ist in nahezu allen Bereichen der Bewegung ein
wichtiger Grundwert. Dies speist sich sowohl aus der Ablehnung eines passiven „Kon-
sum-Christentums“58 und der sog. McDonaldisierung der Kirche,59 als auch aus der
Freude, das Leben der Bewegung aktiv mitgestalten zu können. Nahezu alle Mitglieder
der Bewegung sind durch aktive Mitarbeit innerhalb der vielfältigen Arbeitsfelder
engagiert. Feld und Umfang der persönlichen Beteiligung bestimmen die Mitglieder
selbst, sie engagieren sich gabenorientiert und in Bereichen, in denen sie Spaß haben.
Dadurch wird sowohl Professionalität als auch Zufriedenheit erzielt. Die Strukturen
werden zudem den Bedürfnissen der Mitglieder angepasst: Die »Kinderhütegruppe« etwa
wurde gegründet, um, im Wechsel, die Kinderbetreuung sicherzustellen und dadurch
Freizeit für die jungen Mütter zu gewährleisten. Besonders diese, durch die Mitarbeit in
unterschiedlichen Gruppen erwachsenden, Verbindungen stellen eine missionarische
Chance dar.60
Mitbestimmen: Da es sich bei X-Stream um eine unabhängige freikirchliche Bewegung
handelt, wurde das gesamte Konzept der Bewegung und ihrer Strukturen neu erdacht und
56 Vgl. SWEET, Pilgrims, 87ff. 57 Vgl. SWEET, Pilgrims, 112. 58 S. KIMBALL, Church, 105f. 59 S. DRANE, McDonaldization.
19
baut nicht auf vorhandenen Traditionen auf. Von Anfang an war die Mitbestimmung der
einzelnen Mitglieder von zentraler Bedeutung. Sie wird in festen Strukturen, die die
Einflussnahme operationalisieren, sichergestellt: in Konzilien, Leitbildprozessen wie
dem Wertebüchlein oder in regelmäßigen Diskussionen in Workshops des Sunday
Plazas. Die hohe Wertschätzung von Bildungsarbeit und das Mündigmachen der Mit-
glieder stellen sicher, dass sich Alle an Diskussionen, Leitbildprozessen und Struktur-
entwicklungen beteiligen können.
Mitleiten: Durch die flache Hierarchie der Bewegung trägt jedes Mitglied ein hohes Maß
an Verantwortung; kann und darf somit Leitungsfunktionen übernehmen. Konsens tritt
an die Stelle von Kontrolle; geteilte Leiterschaft an die Stelle von individueller
Leiterschaft.61 Diese offene und dezentrale Form von Leitung geschieht nicht personen-,
sondern aufgabenorientiert. Rollen- oder aufgabenorientiert treten einige Mitglieder eher
in den Vordergrund als andere, dennoch sind die Strukturen hier fließend und kon-
textuell.
Mitfeiern: Der Sunday Plaza sowie die Treffen der X-Changes sehen ein hohes Maß an
Partizipation vor. Die dialogische Struktur des Gottesdienstes lebt von mehr als nur
Lesungsbeiträgen und Liedern. Die Einbeziehung von Kunst und Medien eröffnet vielen
Mitgliedern neue Ausdrucksformen für ihr gottesdienstliches Feiern. Das Schaffen eines
Raumes für Kreativität und die eigene Mitgestaltung sowie Einflussnahme auf das got-
tesdienstliche Geschehen sind in den einzelnen Elementen des Sunday Plaza deutlich zu
erkennen.
2.3.2.2. Lebensräume - Sakral/profan
Weder der Sunday Plaza noch die Treffen der X-Changes finden an klassisch sakralen
Orten statt.62 Auch werden profane Filme und Lieder im Rahmen der Contemplatio ge-
nutzt.63 Dennoch ist das gottesdienstliche Geschehen nicht per se als profan zu be-
schreiben. Im Gegenteil: Ein sakraler Raum entsteht durch den Alternative Worship auch
an profanen Orten.64 Grenzen von Profan und Sakral verschwimmen. Beim Sunday Plaza
60 So spricht POMPE von einer Schlüsselerfahrung der Emerging Church in der anglikanischen Kirche: „Belonging before believing.“ S. POMPE, Anziehend, 152. 61 Vgl. KRAUSE, Gemeindemodelle,179. 62 Einige Emerging Churches treffen sich auch in Kirchengebäuden. »Kubik« in Karlsruhe nutzt etwa die ev.-luth. Luther-Kirche als Treffpunkt. »Grace« in London, die mit der anglikanischen Kirchengemeinde St. Mary’s in Ealing, London koorperieren, nutzen ebenso den kirchlichen Raum. Andere wiederum treffen sich in Buchläden oder Cafes, vgl. KIMBALL, Worship 69. Zu den ortsbedingten Möglichkeiten vgl. Vgl. KIMBALL, Church, 135f. 63 „We try to create bridges that span the secular/sacred divide because we don’t make that destinction. We use secular Music in worship as well as film and literature.“ GIBBS/BOLGER, Churches 67. 64 Vgl. KIMBALL, Worship, 78f.
20
werden vor allem die Einflüsse aus der Alternative Worship Bewegung deutlich:
Verzicht auf Sitzreihen, Kanzel, Bühne oder andere blickrichtungsweisende
Gestaltungsformen des Raumes.65 Die z.T. Caféraumartige innenarchitektonische
Gestaltung des Sunday Plaza durch Stühle, Tische, Sofas, einen separaten Loungebereich
mit Speise- und Getränkeangebot, sowie gedimmte Lichtquellen in Form von Kerzen,
einzelnen Spotlights, Bildschirmen und Projektionen schafft eine gemütliche
Atmosphäre, die dem Stilempfinden des Milieus entspricht.66
Die X-Changes schlagen eine Brücke von Sakralem und Profanem, indem das typisches
Lebensumfeld der Mitglieder, ihr vermeintlich profanes Wohnzimmer, im Rahmen der
regelmäßigen Hauskirchentreffen sakral umgewertet werden.67 Auch das Engagement in
den jeweiligen Entsendungsgebieten wird von den Mitgliedern als gottesdienstliches
Geschehen im Alltag gedeutet.68 Hier tritt deutlich das holistische Gottesdienst-
verständnis der Bewegung X-Stream zu Tage.
2.3.2.3. Profil - Umgang mit geprägter Tradition
Als letzten Punkt möchte ich auf den Umgang mit geprägter Tradition eingehen. Zu Be-
ginn der Entwicklung des Sunday Plaza etwa stand die Unzufriedenheit über die Erwart-
barkeit und Unflexibilität der gängigen seriellen Liturgieformen. Die Überwindung
dieser tradierten Liturgie schlug sich in der Baukastenmatrix des Sunday Plazas nieder.
Trotz seiner Freiräume ist der Sunday Plaza in seinem Ablauf in Grundzügen erwartbar,
sind doch die einzelnen Elemente als grobe Struktur vorgegeben. Die Bewegung wendet
sich also gegen tradierte Formen und schafft gleichzeitig eigene, neue Traditionen. Es
findet deutlich eine Traditionsbildung statt.69
2.4. Zwischenstand
X-Stream hat für das monatlich stattfindende, zentrale gottesdienstähnliches Treffen die
Bezeichnung »Sunday Plaza«, also »Sonntags Marktplatz« gefunden. Wie meine bis-
herigen Ausführungen belegen, stellt diese Bezeichnung ein stimmiges Bild dar: Der
Sunday Plaza bietet ähnlich einem Marktplatz die Möglichkeit, sich zu treffen und
65 Vgl. KIMBALL, Worship, 90ff. 66 Für weitere Formen von innenarchitektonischer Gestaltung im Alternative Worshipbereich Vgl. KIMBALL, Church, 247. 67 Vgl. KIMBALL, Worship, 202f. Starke Parallelen zu Ablauf der X-Changes! 68 „For emerging churches, it means to give all of life over to God in worship, to recognize the work of God in formaly unspiritual things or activities. Emerging churches mark this shift to a »whole life« spiri-tuality.“ GIBBS/BOLGER, Churches 66. 69 „Traditions are a dangerous but persistent fact of life. Just when we think we have rid ourselvs of them, we have already formed new ones. The Problem is, which ones do we discard, which ones are »keepers«, and what do we do with the »keepers« to preserve their significance?“ Morgenthaler, Evangelism, 132f.
21
untereinander auszutauschen. Gleichzeitig kann, um im Bild des Handels zu bleiben, der
„fröhliche Tausch und Wechsel“70 zwischen Gott und Mensch statt finden, als Ausdruck
von Kommunikation, Partizipation und Teilhabe.71 Der Sunday Plaza ist nicht jahrmarkt-
artig organisiert, sondern ist als Marktplatz geprägt von dem, was die Mitglieder für das
tägliche Leben brauchen. Er ist nicht auf das schnelle konsumieren und unverbindliche
Erwerben ausgelegt, sondern gibt Zeit zum Gespräch und Austausch, für Nehmen und
Geben. Somit stellt der Sunday Plaza als Marktplatz den Mittelpunkt der
Hauskirchenstruktur der Bewegung dar.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bedürfnisse der X-Stream-Mitglieder in
den Strukturen der Bewegung ihre Entsprechung finden. So wurde bei der Untersuchung
des soziokulturellen Hintergrundes in 2.1.2 festgestellt, dass die Mitglieder der Be-
wegung größtenteils dem Selbstverwirklichungsmilieu zu zuordenen sind. Weiter wurde
beschrieben, dass sich die Mitglieder in kleinen Hauskirchen, den X-Changes unter dem
Dachverband der Gesamtbewegung netzwerkartig organisieren. Diese Struktur findet
ihren Mittelpunkt im Sunday Plaza, einer gottesdienstähnlichen Veranstaltung, die sich
durch das Fehlen einer linearen Liturgie, jedoch durch eine baukastenartige Matrix und
viele aktive Beteiligungsfelder auszeichnet. Weiter konnten ein hohes Maß an Par-
tizipation, die Aufhebung von sakral-säkularen Denkmustern sowie eine deutliche
Profilentwicklung und Traditionsreflexion als maßgebliche Aspekte der Bewegung her-
ausgearbeitet werden. Die Einflüsse der Emerging Church Bewegung sowie der
Alternative Worship Bewegung sind hier deutlich sichtbar.
III. Ortsgemeindliche Wirklichkeit
3.1. Situation und Milieu
In 2.1.2 wurde dargelegt, dass die Mitglieder der Bewegung X-Stream größtenteils dem
Selbstverwirklichungsmilieu entstammen. In der folgenden Untersuchung soll dieses
Milieu in der ortsgemeindlichen Wirklichkeit der Landeskirche untersucht werden. Dazu
wird der entsprechende soziale Raum mit seinen religiösen Lagern und Lebensstilen
beschrieben.
70 Luther, WA 7, 25, 34. 71 S. dazu die Homepage von X-Stream: „Der Grundgedanke, der uns zu dieser Struktur geführt hat, verbirgt sich in Eph 4 »Zurüstung der Heiligen«. Da wir in unserer Glaubensreise nicht alle am gleichen Punkt stehen, brauchen wir auch nicht alle zur selben Zeit die gleiche »Ausrüstung«. Diesem Umstand will die Plaza-Matrix Rechnung tragen.“ http://lifenavigator.typepad.com/lifenavigator/2007/10/sunday-plaza-ii.html (einges. 03.10.2008; 14:23 Uhr).
22
3.1.1. Beleuchtung soziokultureller Hintergründe
Personen des Selbstverwirklichungsmilieus wünschen sich kontemplative, meditative,
mystische Züge in Gottesdiensten, so bspw. in poetischen Sequenzen, Stillephasen und
Symbolhandlungen. Sie ziehen experimentelle Gottesdienstformen den liturgisch ver-
ankert und traditionell Geprägten vor:72 „Bestimmte, vor allem alle innovativen Formen
von Gottesdienst und Liturgie, werden gerade von dieser Gruppe überproportional häufig
besucht. Dem Erlebnisbedürfnis dieses Milieus entsprechen alle Formen, die nicht
statisch und konventionalisiert sind, d.h. z.B. politisches Nachtgebet, Aktions- und
Meditationsgottesdienste, Diskussionsgottesdienste, aber auch das »Feierabendmahl«.“73
Hier wird die große Bandbreite innerhalb des Selbstverwirklichungsmilieus deutlich, die
sich in den vergangenen Kirchenmitgliedschaftsanalysen gezeigt hat. So entspricht das
Selbstverwirklichungsmilieu, wie es in der Bewegung X-Stream vorzufinden ist, in der
Einteilung der EKD-Kirchenmitgliedschaftsstudie von 2004 dem Cluster des
jugendkulturell-modernen und dem hochkulturell-modernen Lebensstiltypus.74 Der
jugendkulturell-moderne Mensch macht mit 22% einen relativ großen Anteil an
evangelischen Kirchenmitgliedern aus, zeichnet sich aber durch die größte Distanz zur
Kirche und zum christlichen Glauben aus und hat die größte Austrittsneigung.75 Ihm
gegenüber steht der hochkulturell-moderne Lebensstiltypus, dessen Kirchen-
verbundenheit relativ hoch ist.76 Das beschränkt sich allerdings auf besondere Gottes-
dienstformen, die von ihm überdurchschnittlich häufig besucht werden.77 Dass beide
Gruppen relativ selten klassisch-agendarische Gottesdienste besuchen,78 jedoch ein
besonders großes Interesse an Formen neuer Religiosität besteht, überrascht nicht. Ihre
Motivation, in der Kirche zu sein, besteht nicht in Konventionen oder Traditionen,
sondern ist inhaltlich mit einem christlichen Selbstverständnis und bestimmten
Aktivitäten der Kirche begründet.
72 Vgl. BECKS, Gottesdienst, 241; FISCHER, Wiederentdecken, 13ff. 73 Vgl. BECKS, Gottesdienst, 240. 74 Die letzte EKD-Kirchenmitgliedschaftsanalyse von 2004 erhob ihre empirischen Daten nicht unter Berücksichtigung der Milieueinteilung von SCHULZE. Die Studie hat aufgrund der Befragungen unter evangelischen Kirchenmitgliedern sechs Lebensstiltypen konstruiert und diese dann auch sozialstrukturell verortet. Dennoch lassen sich die Kategorien übertragen und bieten einen konkreten Vergleichspunkt. Vgl. Hermelink, Einführung, 32f.; BENTHAUS-APEL, Zugänge 212.232ff. 75 41% aller Personen dieses Lebensstiltypus gaben an, ein Mal im Jahr oder weniger, 25% nie den Gottes-dienst zu besuchen. Vgl. Hermelink, Sonntagsgottesdienst, 41. 76 Nur 27% aller Befragten dieses Lebensstiltypus gaben an, einmal im Jahr oder weniger die Kirche zu besuchen. 38% nehmen mehrmals im Jahr an einem Gottesdienst teil. Vgl. HERMELINK, Sonntagsgottes-dienst, 41. 77 Vgl. BUNDSCHUH-SCHRAMM, Kreativ, 290f.
23
3.1.2. Sozialformen innerhalb der landeskirchlichen Ortsgemeinde
Der Sozialraum Kirche zeigt sich maßgeblich in der Parochie als der „Sozialgestalt der
Kirche“79 per se. Sie ist die dominierende, territoriale Organisationsform. Das bedeutet,
dass „mit regionalen und individuellen Schwerpunktsetzungen – alle Ortsgemeinden
tendenziell die gleichen Angebote vorhalten.“80 Das territoriale Prinzip wird jedoch
häufig von den Gemeindemitgliedern selbst unterlaufen, indem sie auch an außer- und
übergemeindlichen Angeboten teilnehmen.81 Diese Struktur kann daher mit Blick auf die
örtliche Unabhängigkeit und Mobilität des Selbstverwirklichungsmilieus größtenteils als
überholt bezeichnet werden.
Gottesdienste sollen für alle offen sein, so die theologische Theorie. Tatsächlich werden
jedoch durch den spezifischen Stil und eine daraus resultierende Milieuverengung
Menschen ausgegrenzt.82 Somit ist der „Anspruch des Gottesdienstes am Sonntag-
vormittag, für die ganze Gemeinde offen zu sein, weitgehend unrealistisch.“83 Dies führt
dazu, dass ein großer Teil des Selbstverwirklichungsmilieus nur in geringem Umfang
von kirchlichen Strukturen (Kirchenmitgliedschaft oder Teilnahme an Gottesdiensten),
berührt wird, wie in 3.1.1 dargelegt. Landeskirchlich wie ortsgemeindlich wird versucht,
dieser Tendenz entgegenzuwirken, „indem Angebote vorgehalten werden, die
zielgruppenspezifisch sind, und solche, in denen milieuspezifische Grenzen überschritten
werden.“84
Im Bezug auf das Selbstverwirklichungsmilieu lassen sich mehrere Strukturformen auf-
zeigen: So wird durch ein konsequentes Ausschöpfen der gesamten Variationsbreite im
Evangelischen Gottesdienstbuch der klassisch-agendarische Sonntagsgottesdienst ziel-
gruppenorientiert weiter aufgestellt und differenziert.85 Weiter fassen neue Gottesdienst-
formen jenseits des agendarischen Gottesdienstes am Sonntag milieuspezifische Ansätze.
In der Landeskirche gibt es dazu derzeit zwei Stoßrichtungen: Profilgemeinden bilden
78 Zu den Gründen wie fehlender kulturelle Relevanz, mangelnder Qualität, Verständlichkeit und inhalt-liche Relevanz usw. vgl. HERBST, Gottesdienste, 165ff.; ROOSEN, Anlass, 12; LUKATIS, Heraus-forderungen, 17ff. 79 MÖLLER, Lehre Bd. 2, 157. 80 POHL-PATALONG, Ortskirche, 16. 81 Indem Gemeindemitglieder an außergemeindlichen Angebote, aus personalen oder inhaltlich dif-ferierenden Gründen teilnehmen. Vgl. POHL-PATALONG, Ortsgemeinde, 22ff. 82 „Die Krise der christlichen Kirche in Europa und besonders in Deutschland hängt mit der kulturellen Schließung ihres Milieus zusammen (...) obwohl (...) Religiosität und Glaube auch in anderen Milieus präsent ist und sich Anknüpfungspunkte vielfältiger Art ergeben könnten,“ WEGNER, Bach, 49f. 83 GRETHLEIN, Grundfragen, 53; s. a. POHL-PATALONG, Gemeindegottesdienst, 110f.; WINTER, Stück, 101. 84 FRIEDRICHS, Zweiten, 11. 85 Vgl. PLÜSS, Litugie, 279ff. So auch vom EGB in der zweiten Kategorie intendiert: „Der Gottesdienst folgt einer erkennbarer, stabilen Grundstruktur, die vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten offen hält.“ Vgl. MEYER-BLANK, Liturgie 20ff.
24
einerseits ein spezifisches Profil aus, bspw. in Form von Jugendkirchen86 oder
projektartigen Kirchenzusammenschlüssen.87 Sie bieten zielgruppenspezifische Angebote
außerhalb des ortskirchlichen Rahmens an. Andererseits werden erweiterte Angebote
innerhalb des bestehenden ortskirchlichen Rahmens veranstaltet, etwa in Form von
kulturellen Angeboten wie Konzerten oder Vorträgen zu lebensrelevanten Themen, aber
auch in Form von alternativen Gottesdiensten, dem sog. »Zweiten Programm«. Dies
„wächst in den letzten Jahren nicht so sehr wie in vergangenen Jahrzehnten aus einem
politisch-ethischen Interesse (Politisches Nachgebet), einer Wiederentdeckung des
Festlichen (Feierabendmahl) oder einer Zusammenarbeit mit Kindergarten und
Krabbelgruppen (Familiengottesdienste), sondern verbunden mit einem bestimmten
Frömmigkeitsstil aus einer Aufbruchbewegung in den Gemeinden zu mehr Wachstum
und missionarischem Engagement.88 Die Initiative zu den Gottesdiensten geht oft nicht
vom Pastor, sondern von einer Gruppe aus der Gemeinde aus. Sie verdankt sich offenbar
einer genuinen Motivation der Initiativgruppe aufgrund bestimmter eigener Erfahrungen
mit dem »normalen« Gottesdienst.89 Im Rahmen des Projekts »Brannte nicht unser Herz
- Gottesdienste lebendig feiern« werden bspw. seit Beginn diesen Jahres 25 Gemeinden
bei der Entwicklung solcher und ähnlicher Gottesdienstmodelle professionell vom
Michaeliskloster in Hildesheim unterstützt.90 Den Erfolg von neuen Gottesdienstformen
belegt bspw. HÄRLE in seiner empirischen Studie unter wachsenden Gemeinden. Aus
dem Kreis der hannoverschen Landeskirche stellt er die Kirchengemeinde in
Bruchhausen-Vilsen91 und die St. Georggemeinde in Meinersen92 vor. Er stellt fest, dass
dort die Etablierung eines »Zweiten Programms« (in manchen Fällen sogar »Dritten
Programms«) besonders junge Menschen anzog, die sonst nicht an Gottesdiensten
teilnahmen.93 Weiter stärkte die Entwicklung alternativer Gottesdienstformen sowohl den
traditionellen Sonntagsgottesdienst94 sowie das gesamte Gemeindeleben.95 So waren
neben der profilierten Gottesdienstgestaltung auch flankierende zielgruppenorientierte
86 Hier ist z.B. der Expo Wal in Hannover zu nennen. 87 Vgl. Citykirche Hannover, Gospelkirche Hannover. 88 Vgl. NÜCHTERN, Aufbruch, 87. 89 Vgl. HERBST, Gottesdienste, 156ff. 90 Mit Namen wie „Lebens-Linien-Gottesdienst“, „Go! Sieben“, „Mitten ins Herz“, „I seek you“, „Guten-Abend-Gottesdienst“,und „Sommerkirche“ sind Projekte vertreten die an verschiedenste Zielgruppen und Milieus gerichtet sind. Alle ausgewählten Projekte arbeiten mit Gottesdienst-Teams. 91 Vgl. HÄRLE, Wachsen, 51ff. 92 Vgl. ebd., 222ff. 93 Vgl. ebd., 302. 94 Vgl. ebd., 322. 95 „Der Gottesdienst, (bildet) das Zentrum und Herzstück des Gemeindelebens und Gemeindewachstums.“ HÄRLE, Wachstum, 319.
25
Gemeindeveranstaltungen, die zusätzliche Etablierung von Hauskreisen und
Kleingruppen96 sowie Projektarbeitszirkel im kirchenmusikalischen, diakonischen,
ökologischen und künstlerischen Bereich97 sehr erfolgreich. Obwohl die
»Zweitgottesdienste« parochial angebunden sind, kann ihnen tendenziell eine über-
gemeindliche Bedeutung zugemessen werden, da Gottesdienstbesucher auch aus anderen
Gemeinden kommen, um an diesem ausgewählten Gottesdienst teilzunehmen.98 Die
gewinnbringende Verbindung und Abhängigkeit von Gottesdienst und örtlichem Ge-
meindeaufbau lässt sich nichtsdestotrotz hier deutlich ableiten.
3.2. Theologische Perspektive
Die verschiedenen Milieu- und Zielgruppen, die in den Gemeinden zusammenkommen
haben eine Vielzahl von Gottesdiensten und Gemeindeprofilen entstehen lassen. Ver-
ständnis und Charakter von Gemeinde sowie von Gottesdienst haben sich dadurch nicht
unerheblich verändert.99 Dienste der Kirche, die bisher als Funktionen angesehen
wurden, werden nun selbst als Gemeindeformen definiert.100 Neue Gottesdienstformen
und der Ausbruch aus den traditionellen Gottesdienstordnungen stellen die Frage nach
dem Gottesdienst neu. Deshalb ist es im Folgenden wichtig, Gemeinde und Gottesdienst
theologisch zu definieren. Gerade im Hinblick auf das Verständnis des Gottesdienstes als
Mitte der Gemeinde muss das konzeptionelle Zusammenkommen von Gemeinde und
Gottesdienst auf ihre theologischen Rückbindungen hin untersucht werden: welcher
»Gottesdienst« als Mitte welcher »Gemeinde«? Dazu werden im ersten Schritt theo-
logische Grundlagen zum Gemeinde- und Gottesdienstbegriff erarbeitet101, um dann
anhand von drei Gemeindeaufbaumodellen die drei in 2.3.2 beschriebenen Aspekte zu
reflektieren.
3.2.1. Verbindung von Gottesdienst und Gemeinde
»Gemeinde« ist ein sehr ungenauer Begriff. Ursprünglich ist die Gemeinde mehr als „die
institutionalisierte Kultversammlung eine Religionsgemeinde,“102 die regelmäßig statt-
findet und deren Besuch beliebig ist. Sie umfasst sowohl eine institutionalisierte Ein-
richtung (Parochialgemeinde, Personalgemeinden), als auch eine zeitlich befristete Ge-
96 Vgl. HÄRLE, Wachsen, 325f. 97 Vgl. ebd., Wachsen, 331. 98 Vgl. BUNDSCHUH-SCHRAMM, Kreativ, 287. 99 Vgl. POHL-PATALONG, Gemeindegottesdienst, 112. 100 Vgl. FERSTERRA, Weg, 34. 101 Dies kann nur blitzlichtartig und in aller Kürze geschehen. 102 EBELING, Gottesdienst, 534.
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meinschaft (Kirchentags-, Gottesdienstgemeinde).103
Exegetisch betrachtet (1Kor 11) ist „Gottesdienst“ als Versammlung der ecclesia
zugleich Gemeinde und Gottesdienst, in der es um ein Nicht-Gespalten-Sein innerhalb
der ecclesia geht. Er ist ein „eschatologischer Gottesdienst, der jedem Kult ein Ende
setzt“ und „die Trennung zwischen Profanem und Sakralem aufhebt.“104 Wenn Paulus in
Röm 12 von vernünftigem Gottesdienst spricht, dann deutet er auch auf eine ethische
Kategorie des täglichen Lebens hin, nämlich den „Gottesdienst im Alltag der Welt.“105
Trotzdem haben gottesdienstartige Treffen im Urchristentum stattgefunden.106 Das Neue
Testament spricht bei diesen Veranstaltungen profan von „Versammlungen“ oder „Zu-
sammenkünften.“ Für den Gottesdienst an sich hat sich im Urchristentum kein spe-
zifischer terminus technicus herausgebildet.107 Jene „Versammlungen,“ die von Brot-
brechen, Bleiben in der Lehre der Apostel, Gemeinschaft und Gebet (Apg 2) geprägt
waren, sind nicht als sakrale Veranstaltungen zu verstehen.108 Hahn nennt vier Be-
zogenheiten, die das Wesen des Gottesdienstes charakterisieren: Christusbezogenheit
(Herrenmahl als Mittelpunkt), Gemeindebezogenheit (Teilhabe und Gemeinschafts-
aspekt), Weltbezogenheit (Alltagsverantwortung) und eschatologische Bezogenheit
(Endlichkeit und Teilhabe an der Heilswirklichkeit).109 Die Gemeinde, in der jene Ver-
sammlungen stattfinden, wird als ecclesia bezeichnet.110 Dieser Ausdruck wird ver-
schiedenartig benutzt: Als Versammlung von Christen zum Hausgottesdienst in privater
Umgebung (Einzelgemeinde), als Ortsgemeinde bzw. Gesamtgemeinde (alle Christen,
die sich in verschiedenen Hausgemeinden in einem geografisch festgelegten Gebiet
treffen), sowie als die den Erdkreis umspannende Gemeinschaft von Brüdern und
Schwestern umfassende Gesamtkirche, als ecclesia universalis.111 In der
reformatorischen Lehre wird eine enge Verzahnung von Gottesdienst und Gemeinde
deutlich. LUTHER, der in seiner klassischen Definition aus dem Torgauer Formular fest-
hält, dass im Gottesdienst nichts weiteres geschehen soll, „denn das unser lieber Herr
103 Zur weiteren Ausdifferenzierung unterschiedlicher Organisationsformen von Gemeinde vgl. POHL-PATALONG, Ortskirche, 19ff. 104 Ebd., 544 105 EBELING, Gottesdient, 534. 106 Zur Diskussion um die Problematik der fehlenden zusammenhängenden Darstellung vgl. HAHN, Gottes-dienst, 31ff. 107 S. HAHN, Gottesdienst, 37f. 108 Zumindest in den paulinischen Gemeinden gab es keine besonderen Ämter sowie sakrale Zeichen und Räume. Die Gottesdienste fanden in der Mitte des alltäglichen Geschehens statt. Vgl. HAHN, Gottesdienst, 319. 109 Vgl. HAHN, Gottesdienst, 37ff. 110 Vgl. MÖLLER, Gemeinde, 317. 111 Vgl. GEHRING, Hausgemeinde, 274ff.
27
selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederumb mit jm reden durch
Gebet und Losgesang,“112 deutet den Gottesdienst als dialogisches Geschehen zwischen
Gott und Gemeinde. Die Verstehbarkeit ist somit ein wichtiges Kriterium innerhalb des
Gottesdienstes.113 Gottes Wort und die Antwort der Gemeinde werden zusammen ge-
dacht als Dienst Gottes an den Menschen und der Menschen Dienst an Gott. Vom Wort
Gottes geht die gemeindebildende Kraft aus: „ubi verbum, ibi ecclesia.“114 Das Gottes-
wort hat eine doppelte Zielrichtung: auf den Glauben des Einzelnen und auf die Kon-
stituierung der Gemeinde, die sich um das Wort sammelt. Somit hat jeder Gottesdienst
per se eine missionarische Wirkung inne.115 Die gemeinschaftliche Formel wird auch in
der Confessio Augustana aufgegriffen, wenn sie in CA VII die christliche Kirche als
congregatio sanctorum deutet, „bei denen das Evangelium rein gepredigt und die
heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden.“116 Auch hier geht wieder
vom Gottesdienst die gesamt-gemeinschaftliche Konstituierung aus. Ähnlich wie in der
dritten Barmer These, in der das Konstituieren von Gemeinde nicht an Wort und
Sakrament, sondern an die Gemeinschaft von Schwestern und Brüder gebundnen ist.117
Mit Blick auf unabdingbare notae ecclesiae, die „das verlässlich Gemeinsame in der
evangelischen Kirche“118 bezeichnen, ist festgestellt worden, dass erstens nach
paulinischem und lutherischem Verständnis Gottesdienst weit mehr ist, als die kultische
Veranstaltung am Sonntag Vormittag und zweitens, dass das, was den Gottesdienst aus-
macht, die notae ecclesiae, sich nicht im sonntäglichen Gottesdienst erschöpfen, sondern
sehr viel weiter ausgelegt werden können.
An dieser Stelle ist wichtig, festzuhalten, dass sich nach lutherischem Bekenntnis und der
allgemein anerkannten breiten Deutung gottesdienstlichen Geschehens sowohl Sunday
Plaza als auch die Zusammenkünfte in den Hauskirchen u.U. als Gottesdienste
bezeichnet werden können.
112 LUTHER, WA49, 588. 113 Hier kommt bspw. Luthers Deutung des »Priestertums aller Gläubigen« (1Petr. 2,9; Apg 5,10) eine große Bedeutung auch im Hinblick auf die Befähigung der Gemeinde zum aktiven Mitvollzug des Gottes-dienstgeschehens zu. Wird doch das Heil „dem Menschen nicht mehr sakramental-substanzhaft vermittelt, sondern worthaft.“ Vgl. PREUL, Kirchentheorie, 101. 114 LUTHER, WA 39,II, 176,8f. 115 RATZMANN, Liturgie, 52f. 116 BSLK, 61,4f u. 62,3f. 117 Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind ereignet sich Gemeinde. Diese Definition von Gemeinde fällt mit dem Begriff der ecclesia zusammen und wird primär als lokale, sich aktuell ereignende christliche Gemeinschaft verstanden. 118 GUNDLACH, Bedeutung, 95.
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3.3. Gemeindeaufbaumodelle
Im Folgenden werden drei volkskirchennahe Gemeindeaufbaumodelle vorgestellt und
mit den zentralen Aspekten X-Streams aus 2.3.2. verglichen. Die Modelle werden nur in
aller Kürze dargestellt, zentral sind hier die Vergleichspunkte „Partizipation-Priestertum
aller Gläubigen“, „Lebensräume-sakral/profan“ und „Profil-Umgang mit geprägter
Tradition“. Sie liegen der abschließenden Fragestellung nach der Übertragbarkeit von
Sunday Plaza auf die ortsgemeindliche Wirklichkeit zugrunde.
3.3.1. MÖLLER: Ganzheitlicher Gemeindeaufbau durch »Gottesdienste als
Gemeindeaufbau«
CHRISTIAN MÖLLER präsentiert mit seinem Modell des »Gottesdienstes als Gemeinde-
aufbau« einen »Werkstattbericht«, der als Praxiswerk vor dem Hintergrund der zwei-
bändigen »Lehre des Gemeindeaufbaus« verstanden sein will.119
Sein Modell des »Gottesdienstes als Gemeindeaufbau« deutet er als einen Weg, der von
der Feier des sonntäglichen Gottesdienstes in den Gottesdienst im Alltag der Welt führt.
Ursprung, Mitte und Ziel allen Gemeindeaufbaus ist also der Gottesdienst, denn dort
handelt Christus gegenwärtig.120 Die Gemeinde bekommt ihre Struktur und ihre Impulse
vom Gottesdienst, wenn sie sich um Wort und Sakrament sammelt und gemeinsam das
Abendmahl feiert. Wenn sich die bestehende Gemeinde im Gottesdienst so von Gott
erbauen lässt, durch Gottes Dienst an ihnen, wird sie auch nach außen wirken.
a. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen
MÖLLER betont immer wieder die Pluralität der Volkskirche als corpus permixtum.
Durch die Taufe seien jedoch alle in ihrer Verschiedenheit verbunden.121 Aus dieser Ver-
bundenheit ergibt sich für MÖLLER das gemeinsame „Ziel des Gemeindeaufbaus: das
Priestertum aller Getauften.“122 Wie die geforderte Umsetzung des Priestertums aller
Getauften aussehen kann, bleibt jedoch unklar. MÖLLER liefert wenig Hinweise auf eine
praktische Umsetzung. Allein durch die Nennung verschiedener gelungener Beispiele aus
der Praxis des Gemeindealltags werden Ansätze deutlich. So beschreibt er bspw. die
Einbindung von Konfirmanden in der Gestaltung des Gottesdienstes, indem sie vom
Pastor vorbestimmte Psalmen und Lesungstexte vortragen oder gemeinsam einen Kanon
119 S. MÖLLER, Gottesdienst, 5. 120 Vgl. MÖLLER, Lehre Bd. 1, 253. 121 So braucht es „keine Trennungen der Gemeinde in Gemeinde in Nah- und Fernstehende, in Gläubige und Ungläubige, weil ja alle Getauften ihre Heiligkeit gegönnt ist.“ S. MÖLLER, Gottesdienst, 159. Vgl. Auch MÖLLER, Lehre Bd. 2, 243. 122 S. MÖLLER, Gottesdienst, 160.
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singen.123 Die Einbindung Vieler, indem versucht wird, „die Gottesdienste menschlicher,
einladender, durchsichtiger gestalten zu wollen und vielen Stimmen Raum zu geben“,
führe allerdings schnell zu einem „liturgischen Pluralismus,“ der die „Gemeinde mehr
zerstreute als versammelte.“124 Fraglich ist, ob diese gottesdienstliche Einbindung als
Beispiel des »Priestertums aller Getauften« gefasst werden sollte, da MÖLLER klare
Grenzen aufzeigt, wenn er die Pfarrerrolle zentral und vollmächtig definiert: „Eine Ge-
meinde muss tiefen Schaden erleiden, wenn das Predigtamt in ihrer Mitte nicht mehr so
vollmächtig wahrgenommen wird, wie es der Vollmacht des göttlichen Wortes ent-
spricht.“125 Als zentrale Felder der Gemeindearbeit nennt MÖLLER „Kinder taufen,
Jugendliche begleiten, Einsame und Gefangene besuchen, Kranke pflegen, Tote be-
erdigen und allen die Auferstehung des Gekreuzigten als ein Wort ewigen, erfüllten
Lebens verkündigen.“126 In wiefern die Gemeinde den Pastor bei diesen Aufgaben,
gemäß des »Priestertums als Getauften« unterstützen soll und kann, bleibt offen.
b. Lebensräume - Sakral/profan
MÖLLERS Modell ist stark monozentrisch um den Gottesdienst als Mittelpunkt angelegt.
Welche Punkte um diesen Mittelpunkt kreisen, erklärt MÖLLER nicht. Er spricht sich nur
gegen ein zu breites Feld an außergottesdienstlichen Aktivitäten in der Gemeinde aus.127
Deutlich wird der Unterschied zwischen Alltag und Sonntag aufgezeigt: Das gottes-
dienstliche Geschehen „führt nicht aus dem Alltag heraus, geht auch nicht in der Maß-
losigkeit des Alltags unter, sondern begrenzt den Alltag auf das Alltägliche, indem es
ihm vom Sonntag her etwas hinzufügt, was im Alltag selbst nicht enthalten ist und doch
das Alltägliche begeisternd macht.“128 MÖLLER spricht in diesem Zusammenhang vom
„Charisma als Begeisterung fürs das Alltägliche.“ 129 Der Sonntag wird als einziger
kraftspendender Raum gedeutet, in dem man sich für den Alltag zurüsten könne. Mit
diesem starken Dualismus von Werktag (Alltag) und Sonntag (Sabbat) geht eine
deutliche Unterscheidung von Sakralem und Profanen einher.130 Der Sonntag gibt zwar
123 Vgl. MÖLLER, 196. 124 S. MÖLLER, Lehre Bd. 2, 309. 125 S. MÖLLER, Gottesdienst, 115. 126 S. ebd., 13. 127 „Es ist dann gar nicht unbedingt nötig, dass im Laufe der Woche noch eine Unmenge an Veranstal-tungen stattfindet, um die Gemeinde als »lebendig« auszuweisen. Im Gegenteil! Es können gerade die Kreise und Gruppen sein, die eine Gemeinde atomisieren, so dass sie ihre Mitte verliert und sich in hektische Aktivität auflöst. Die Lebendigkeit einer Gemeinde lässt sich nicht an der Zahl ihrer Aktionen ablesen, sondern an der Gelassenheit, mit der sie aus der festlichen Ruhe ihres Gottesdienstes lebt und zum wohltuenden Ruhepol inmitten einer hektischen Umwelt wird.“ MÖLLER, Gottesdienst, 53. 128 MÖLLER, Gottesdienst, 54. 129 Ebd., 53. 130 Vgl. ebd., 62f.
30
dem Alltag auch „seine Heiligkeit und Würde,“131 im Alltag allein jedoch kann Gott
nicht erfahren werden.132 Dem Sonntag wird somit als „einem Raum, der durch seinen
Ort wie durch seine Gestalt die Gemeinde öffentlich versammelt,133 große Bedeutung
zugemessen. Wenn der Sonntag seine Relevanz zu verlieren droht und mit dem „Unter-
gang des Sonntags“134 das Versorgungssystem des Gottesdienstes scheitert, verlieren die
Kirchenmitglieder den zentralen Ort der Gottesbegegnung. Die Gottesbegegnung im
Alltag, die sich aus einem ganzheitlichen Gottesdienstverständnis ergibt, tritt hinter der
Überzeichnung des Sonntagsgottesdienstes völlig zurück.
c. Profil - Umgang mit geprägter Tradition
MÖLLER hält am klassischen Bild von Gottesdienst und Gemeindeleben fest und kritisiert
jede Form der alters- und zielgruppenorientierten Arbeit.135 Er deutet die kreative
Gestaltung des aktiven Gemeindelebens unter der Woche als »Freizeitprogramm« im
Sinne eines „kraftraubenden zusätzlichen Unterhaltungsprogramms,“ das es unmöglich
mache, am Sonntag noch genug Kraft und Konzentration für das „eigentlich Wichtige“
zu haben.136 Auch gottesdienstlich denkt MÖLLER nicht über Alternativen zum
klassischen 10-Uhr-Gottesdienst nach,137 stattdessen polemisiert er gegen Zielgruppen-138
und Familiengottesdienste:139 „War der Gottesdienst ursprünglich derjenige Ort, an dem
die Gemeinschaft der Generationen vor Gott sich ereignen konnte (...), so ist der
ursprüngliche Sinn geradezu ins Gegenteil verkehrt, wenn die gottesdienstliche
Versammlung alterspezifisch zerteilt wird in einen Kindergottesdienst, einen
Jugendgottesdienst, eine Erwachsenengottesdienst und möglicherweise noch einen
Seniorengottesdienst.“140
Wie ein Gottesdienst, der die vielen Alters- und Zielgruppen in sich vereint, aber konkret
131 MÖLLER, Gottesdienst 67. 132 „Soll der Sonntag eine Unterbrechung des Alltags sein, so muss er geradezu im Gegensatz zum Alltag, in strenger Unterscheidung von ihm gefeiert werden.“ MÖLLER, Gottesdienst, 127. 133 Vgl. Möller, Lehre Bd. 2, 282. 134 MÖLLER, Gottesdienst, 96. 135 Vgl. Möller, Lehre Bd. 2, 281ff. 136 Vgl. MÖLLER, Gottesdienst, 56f. 137 MÖLLER verweist zwar auf alternative Projekte wie die Kapelle der Ökumenischen Gemeinschaft »Oudezijds100« und wertet deren Zusammenkommen als Gottesdienst, weicht aber vom klassisch sonn-täglichen 10 Uhr Gottesdienstmodell nicht ab. 138 „Es ist ein relatives Recht unbestritten, dass sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene in altersspezi-fischen Gruppen treffen. Setzt sich aber diese Gruppierung bis in den Gottesdienst fort und verhindert prinzipiell, dass Gottesdienst zur Vollversammlung der Gemeinde werden kann, so nimmt eine Gemeinde daran Schaden.“ MÖLLER, Gottesdienst, 134. 139 „Es wäre freilich töricht, jeden Gottesdienst zu einem Familiengottesdienst machen zu wollen, weil Kinder und Erwachsene oft zu weit voneinander entfernt sind und eine lange Geschichte der Trennung immer noch prägend ist.“ MÖLLER, Gottesdienst, 91. 140 MÖLLER, Gottesdienst, 174.
31
gestaltet werden soll, bleibt offen. Einzig die große Wertschätzung für Tauf-141 und
Abendmahlsfeiern142 wird deutlich. So wertet er die „Taufe als Tor zur Gemeinde“143
von der aus alles andere im Gemeindeaufbau geprägt und ausgerichtet werde, „die
Verkündigung ebenso wie die Unterweisung, die Evangelisation ebenso wie das
Abendmahl, die Jugendarbeit ebenso wie die Beerdigung.“144
3.3.2. Lindner - Kirche am Ort: Von der konziliaren Gemeinde und kirchlichen
Organisationsentwicklung
HERBERT LINDNER liefert mit seinem Modell der »Kirche am Ort« einen systemischen
Ansatz, der die Kirche als Organisation mit eigenen Subsystemen deutet.145 Innerhalb der
innerkirchlichen Pluralität versucht er, durch sein vorgeschlagenes Modell des kon-
ziliaren Prozesses eine Einheit in der Vielfalt zu schaffen und zu bewahren.146
Das Modell der konziliaren Gemeinde setzt bei der empirisch erhobenen Situation der
Volkskirche an und entwickelt daraus konzeptionelle Vorstellungen für die weitere Ent-
wicklung der Volkskirche. Für LINDNERS Programm der Kirche am Ort ist die Tätigkeit
in der Ortsgemeinde der „wichtigste Arbeitsplatz.“147 Er betont hier besonders die Vor-
züge und „Chancen der wohnortnahen Ortsgemeinde“ die es zu nutzen gelte und fordert,
dass die evangelischen Kirchen Deutschlands „eine mutige Entscheidung treffen und sich
zu Ortsgemeinden als ihrer Basisstruktur bekennen“148 sollten.
a. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen
LINDNER schlägt vor, den konziliaren Gedanken von der Ebene zwischenkirchlicher
141 Vgl. Möller, Lehre Bd. 2, 333ff. 142 Vgl. ebd., 355ff. 143 S. MÖLLER, Gottesdienst, 158. 144 S. ebd., 159. 145 Die Gemeindetheorie LINDNERS, die er 1994 unter dem Titel „Kirche am Ort – Eine Gemeindetheorie“ niederlegte, erfuhr 2000 durch die Veröffentlichung einer völlig überarbeiteten Neuauflage unter dem Titel „Kirche am Ort – Ein Entwicklungsprogramm für Ortsgemeinden“ einen Verschiebung vom akademischen Diskurs in die Praxis in Verbindung mit Methoden und Vorgehensweisen aus der Wirtschaft. Weiter verschob sich auch die Pluralitätsdeutung. Skizziert Lindner in der ersten Auflage den innergemeindlichen Pluralismus noch breit u.a. auch auf Interessen und Musikgeschmack wird er in der neuen Auflage nur noch in der Vielfalt der Glaubenstypen und Frömmigkeitsstile verankert. Vgl. LINDNER, Kirche 2000, 60ff. u. 126-133. 146 LINDNER fasst die Pluralität in vier Partizipationsweisen: 1. Glieder der Gemeindekirche, die sich als traditionelle Kirchenmitglieder eng mit der Kirche verbunden fühlen und verbindlich am Gottesdienst und am Gemeindeleben teilnehmen. 2. Kasualkirchlich eingestellten Kirchenmitglieder, die sich jahreszyklisch am Leben der Kirche und an Knotenpunkten ihres eigenen Lebens beteiligen. Man spricht hier auch von einer positiv-distanzierten Mitgliedschaft. 3. Die kritisch-distanzierten Mitglieder, bei denen sich eine intensive persönliche Entscheidung für den christlichen Glauben und ein entsprechendes Engagement mit einer erheblichen Kritik an der volkskirchlichen Situation verbindet. 4. Die fernstehenden Kirchenmit-glieder, die jegliches Teilnahmeverhalten aufgekündigt haben, ohne aus der Kirche auszutreten. LINDNER, Kirche 2000, 60ff. 147 S. LINDNER, Kirche 2000, 88. 148 Ebd., 162
32
ökumenischer Diskussionen auf die innergemeindliche Ebene zu übertragen. Das konzi-
liare Verständnis der Ortsgemeinde stellt gewissermaßen den Versuch der Übertragung
des systemischen Denkens auf die Ekklesiologie dar. Innerkirchlich nimmt somit das
konziliare Prinzip nach der Deutung LINDERS die Binnenkommunikation und Konflikt-
regelung in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden pluralen Kirchenlandschaft
wahr. Der konziliare Prozess dient der „Verständigung über das Kirchenbild“ und der
„Gewinnung einer neuen Sicht über Kirche und Zukunft.“149 Beteiligt sah LINDNER an
diesem Prozess die Gemeinde noch in der ersten Auflage 1994 qua sog. „informierter
Anwälte,“150 um auch Distanzierte in den konziliaren Prozess einzubeziehen. In der Neu-
auflage im Jahr 2000 hingegen zählte er die Mitglieder nur zur „Umwelt,“151 ihr
expliziter Einbezug in den konziliaren Prozess war kaum noch erkennbar.152 Hier lässt
sich die Praktikabilität des Modells in der ortsgemeindlichen Wirklichkeit anfragen.153
Inwiefern in diesem Prozess, als Form des aktiven Engagements des Priestertums aller
Gläubigen die Gemeindemitglieder mitgedacht werden, wird in Abstufungen deutlich:
„Normalfall ist der Dienst von Christinnen und Christen in und an Gottes Welt, Sonder-
fall die Mitarbeit in der Gemeinde, Spezialfall die Hauptberuflichkeit.“154 Es ist undeut-
lich, wie und ob sich Mitglieder der Kirchengemeinden in diesem „Sonderfall“ der Mit-
arbeit engagieren möchten.155 Zudem hat im Modell LINDNERS der Pastor eine Schlüssel-
position.156 Die Volkskirche ist nach dem konziliaren Konzept notwendig pfarrer-
zentriert, da der Pastor die vereinende Figur in diesem volkskirchlichen Gefüge darstellt,
das sich ja auf ganz unterschiedlichen Ebenen abspielt. In LINDNERS System dominieren
daher pfarramtliche Betreuungsstrukturen, die sich u.a. darin zeigen, die Mitglieder als
„Kunden“ und das Profil der Kirche als „Service und Dienstleistungskirche“157 zu
bezeichnen.158 Auch wie die Beteiligung anderer haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter
konkret aussehen soll bleibt unklar.
149 S. LINDNER, Kirche 2000, 241. 150 Vgl. LINDNER, Kirche 1994, 105 151 S. LINDNER, Kirche 2000, 121. 152 Vgl. ZIMMERMANN, Gemeinde, 78. 153 „Das konziliare Modell ist mit der parochialen Wirklichkeit inkompatibel.“ ROOSEN, Kirchengemeinde, 171. 154 LINDNER, Kirche 2000, 122; 143. 155 „Warum sollten denn verschiedenartigste Menschen, die mit der jeweiligen Form ihres Christseins durchaus zufrieden sind (...) ihre kostbare Freizeit opfern, um mit Funktionsträgern der Kirche ihre Meinung auszutauschen und mit ihnen in einen wechselseitigen, partnerschaftlichen Lernprozess ein-treten?“ ROOSEN, Kirchengemeinde, 170f. 156 „Die Kernaufgabe evangelischer Kirchen ist die Begleitung des Lebenslaufs und seiner Übergänge mit dem Evangelium durch Pfarrerinnen und Pfarrer in örtlichen Gemeinden. (...) in der Begleitung der Mit-glieder durch Pfarrerinnen und Pfarrer in Ortsgemeinden kann Glaube gelingen.“ LINDNER, Kirche, 17. 157 Vgl. LINDNER, Kirche 2000, 221.
33
b. Lebensräume - Sakral/profan
LINDNER beschreibt die Kirchengemeinde anhand des Organisationsbegriffs und bemüht
zur Verortung der Kirche die Kategorien »Innenseite« und »Umwelt«. Unter der Innen-
seite der Organisation, gekennzeichnet durch Ausrichtung, Struktur, mitarbeitende
Personen und Mittel,159 versteht er die institutionelle Seite der „sichtbaren Kirche.“160
Die Umwelt hingegen ist als der weite Raum der Gesellschaft zu denken, der die Kirche
umgibt und auf sie einwirkt.161 Es gibt für LINDNER nur wenige Verbindungspunkte
zwischen Innenseite und Umwelt, etwa durch gesellschaftliche Gruppierungen und Ver-
bände und durch distanzierte Einzelne, die es besonders durch Kasualien zu erreichen
gelte.162 Während LINDNER innerkirchlich den Pluralitätsgedanken mit Zuhilfenahme des
operativen Gebrauchs von Konziliarität bearbeitet,163 findet eine breite Pluralitäts-
deutung, die auch den gesellschaftlichen Pluralismus in den Blick nimmt, nicht statt.164
Durch eine klare Definition von »in« und »out« wird eine starke Trennung zwischen
sakralen und profanen Räumen vorgenommen.
LINDER verwendet viel Raum, um die »Kirche am Ort« zu beschreiben und ihr eine
dominante Rolle zuzuweisen. Die christliche Botschaft müsse in eine konkrete Zeit und
einen konkreten Raum eingehen, sie dürfe nicht zeit- und ortlos bleiben. Durch die
„eigenständige aber vernetzte Partikularität »vor Ort« sei ein Strukturmerkmal der
Kirchengestalt gegeben.“165 Die Chancen der wohnortnahen Ortsgemeinde müsse die
Kirche erkennen und nutzen.166 Hier wird die Ortsgemeinde allerdings nur an den Ort der
Ortsgemeinde gebunden. Dieser ist für sie territorial konstitutiv. Jede Form von
kirchlichem Leben außerhalb der ortsgebundenen parochialen Gegebenheiten, wie
Milieugemeinden oder Profilgemeinden, die sich nicht (allein) territorial definieren, lehnt
LINDNER ab. Stattdessen sollten sich die Gemeinden der Aufgabe der Vernetzung in ein
größeres Ganzes stellen.167 Jene Vernetzung (Kirche als „Netzwerk“168 sowie als
158 Vgl. ZIMMERMANN, Gemeinde, 79. 159 LINDNER, Kirche 2000, 38. 160 Ebd., 41. 161 „Kirchen repräsentieren nicht mehr das Gesamte, sondern sind zu einem Teilsystem der Gesellschaft geworden.“ LINDNER, Kirche 2000, 44. 162 Vgl. LINDNER, Kirche 1994, 102. 163 „Der konziliare Gedanke wird zum Deutungsmuster für die Pluralität innerhalb der evangelischen Kirche“ sogar zum „Legitimierungsmodell der pluralen Volkskirche.“ Vgl. LINDNER, Kirche, 36ff. 164 So deutet bspw. Zulehner den gesamt-gesellschaftlichen Pluralismus als vorrangige Herausforderung. Vgl. ZULEHNER, Pastoraltheologie II, 28-141. 165 LINDNER, Kirche 2000, 157. 166 Vgl. LINDNER, Kirche 2000, 161. 167 „Profil und Kohärenz müssen zusammenkommen.“ LINDNER, Kirche 2000, 165. 168 LINDNER, Kirche 2000, 223ff; 249.
34
„vernetztes System“169) und jenes „Denken in Beziehungen“170 ist aber wiederum nur
innerkirchlich zu denken und hält wenige Möglichkeiten assimilierender Potentiale in die
Umwelt vor.
c. Profil - Umgang mit geprägter Tradition
Die Profilbildung findet im Konzept der Kirche am Ort innerhalb der Parochie als
favorisierter Organisationsform statt. Dort könne sie, so LINDNER, innerhalb der binnen-
kirchlichen Pluralität durch profilierte Arbeit und spezifische Angebote das nötige
Potential entfalten. Er präferiert zudem die Konzentration auf eine einzige Orga-
nisationsform mit der es ein klares Angebot in der Pluralität zu machen gelte, statt sich in
vielen unterschiedlichen Arbeitsbereichen zu verlieren. Hier gelte es, vom Marketing zu
lernen. Das beinhalte die „Orientierung“ am „Kunden“171 sowie die Gestaltung der
Angebote der Ortsgemeinde, gemäß der „Ergebnisse eines systematischen »Angebots-
steuerungsprozesses«“172, das auch ein Zielgruppenmarketing umfasst.
3.3.3. POHL-PATALONG: Von der Ortskirche zu kirchlichen Orten
Als drittes und letztes stelle ich das Gemeindeaufbaumodell von UTA POHL-PATALONG
vor. Mit ihrem Modell »kirchlicher Orte« versucht POHL-PATALONG die konfliktreiche
Diskussion um die Verortung der Kirche im gegenwärtigen Umbruch aufzufangen,
indem sie die Potenziale von Parochialität und Nichtparochialität173 konstruktiv ein-
bezieht und zu einem dritten Weg verbindet. Da für sie die „Suche nach sinnvollen
Organisationsformen der Kirche ein zentraler Punkt für die Zukunft der Kirche ist,“174
skizziert sie in ihrer Arbeit (im Spannungsfeld der Parochie als dominanter Orga-
nisationsform175 und weiteren pluralen Organisationsformen176) die Chancen und
Grenzen sog. kirchlicher Orte. An allen diesen Orten sollen sowohl vereinskirchliches
Leben als auch inhaltlich qualifizierte kirchliche Arbeit vorkommen. Deren Arbeits-
bereiche sollten jedoch voneinander getrennt sein. Außerdem sollte an allen kirchlichen
Orten gottesdienstliches Leben in „einer Vielfalt gottesdienstlicher Formen mit unter-
169 S. LINDNER, Kirche 2000, 85f. 170 S. ebd., 26ff. 171 S. LINDNER, Kirche 2000, 209. 172 S. ebd., 209. 173 Vgl. POHL-PATALONG, Ortskirche, 213. 174 S. ebd., 13. 175 Ebd., 15. 176 Hier ordnet POHL-PATALONG die Arbeitsbereiche verschiedenen Organisationsprinzipien zu und unter-scheidet funktionale (Studenten-, Krankenhaus-, Diakonie-, Schul-, Militär-, Gefängnis- und Schau-stellergemeinden), personale (konstituiert durch guten Prediger oder charismatischen Pfarrer) und konfes-
sionelle (einer bestimmten Frömmigkeit oder theologischen Einstellung folgend) Gemeinden. Vgl. POHL-PATALONG, Ortskirche, 19f.
35
schiedlichem Charakter und zu unterschiedlichen Zeiten“177 stattfinden. Ziel sei es, eine
„wohnortnahe kirchliche Präsenz“ sicherzustellen und zugleich „ein differenziertes
Angebot“ zu entwickeln, „das der Pluralität kirchlicher Aufgaben in der Gegenwart
gerecht wird.“178
a. Partizipation - Priestertum aller Gläubigen
POHL-PATALONG sieht für den vereinsähnlichen Bereich vor, dass er von den Beteiligten
selbst organisiert und gestaltetet werden kann und soll. Dies sei nicht nur im Sinne des
Priestertums aller Gläubigen theologisch zu rechtfertigen, sondern lasse sich auch
soziologisch rückbinden, hierdurch werde die Subjektivität der Mitglieder ernst ge-
nommen.179 Im Rahmen von Seniorenkreisen, Single-Gruppen, Gemeindefesten oder
Bibelkreisen ist ein inhaltliches Forum gegeben, um dort in einer stärkeren Verankerung
biographischer Themen den gemeinschaftlichen und geselligen Aspekt vereinskirchlich
zu stärken.180 Weiterhin sei innerhalb der inhaltlichen Arbeit an den kirchlichen Orten
Platz für eine wohnortnahe und auf persönlichen Beziehungen beruhende sog. kleine
Diakonie, also Betreuung, nachbarschaftliche Hilfe und Besuche.181 Um jedoch
Menschen anderer Generationen und Lebenswelten kirchlich zu erreichen, ist es
zwingend notwendig, ergänzende Gemeindeformen zu entwickeln. Neue Be-
teiligungsfelder müssen entstehen, die wiederum auch eine breitere Möglichkeit des En-
gagements ergeben.182 So wünscht sich POHL-PATALONG unterschiedliche Formen der
Teilnahme an einem Gottesdienst und unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz zu
ermöglichen.183 Außerdem schließe selbstbestimmte Mitarbeit der Ehrenamtlichen in
einem klar definierten Bereich nach eigenen Neigungen und Interessen auch Ver-
antwortlichkeit und Entscheidungskompetenz für diese Bereiche mit ein.184 Bei den
grundsätzlichen Debatten um die Visionen und Reformationen einer Gemeinde sollten
die Kirchenmitglieder eine Möglichkeit haben, sich umfassend daran zu beteiligen.185
POHL-PATALONG rechnet damit, dass die damit einhergehende Umstellung von einer
177 POHL-PATALONG, Ortskirche, 78. 178 S. ebd., 78. 179 Vgl. ebd., 141. 180 Vgl. ebd., 139f. 181 Vgl. ebd., 140f. 182 „Mittlerweile wird nicht mehr nur darüber geklagt, dass sich weniger Menschen als früher ehrenamtlich engagieren, sondern man hat erkannt, dass Menschen sich nicht nicht, sondern anders engagieren möchten als früher.“ POHL-PATALONG, Ortskirche, 142. 183 „Die traditionellen auf Kontinuität angelegten Arbeitsformen bilden nur eine Möglichkeit, Kirche zu leben und zu erleben. Auch ein Engagement auf Zeit oder eine sporadische Teilnahme sollte als legitim verstanden werden.“ POHL-PATALONG, Ortskirche, 135. 184 Vgl. POHL-PATALONG, Ortskirche, 142. 185 Vgl. POHL-PATALONG, Ortskirche, 12.
36
passiven Versorgungsmentalität hin zu einer aktiven Mitarbeit und Identifikation mit
gewohnten Strukturen186 bricht. Sie sieht darin aber auch die Möglichkeit „Kirche von
vielen aktiv gestalten“ zu lassen.187 Der hauptamtliche Pastor trägt bei dieser Erneuerung
nicht die Hauptlast der praktischen Arbeit, er soll lediglich „bei der Selbstorganisation
und der Durchführung helfen.“188 Der Pfarrberuf wird damit im Modell »kirchlicher
Orte« von der Rolle des Allroundmanagers entbunden, indem ihm durch Pluralisierung
und Spezialisierung ein deutlicheres Profil gegeben wird.189
b. Lebensräume - Sakral/profan
Bei der Skizzierung der kirchlichen Orte, die POHL-PATALONGS Modell den Namen
geben, fordert sie einen „mehrschichtigen Gemeindebegriff.“190 Kirchliches Leben ist
nicht nur auf den parochialen Dienst zu begrenzen. Kirchliche Orte gibt es auch jenseits
der Ortsgemeinden. Die Gemeindezugehörigkeit nur gemäß des territorialen Prinzips zu
verfügen, sei verkürzt. Wichtig ist der Orts- und Raumbezug kirchlicher Arbeit gerade im
Hinblick auf die Sichtbarkeit der Kirche in der Gesellschaft. Dort ist die symbolische
Funktion kirchlicher Gebäude als „architektonischer Haftpunkte“191 nicht zu unter-
schätzen. Bestehende sakral-parochiale Orte bildeten Ressourcen, die für künftige kirch-
liche Strukturen genutzt werden können und sollten. Daneben gelte es jedoch gerade im
nicht spezifisch sakralen Bereich »kirchliche Orte« zu entdecken.192 Die Gestaltung des
vereinskirchlichen Lebens, das an allen kirchlichen Orten anzutreffen ist, wird maß-
geblich vom Bedarf der Gemeinde geprägt. Das beinhaltet natürlich auch „welche Kreise
und Gruppen (...) in welcher Form dort entstehen oder sich anlagern.“193 Das Modell von
POHL-PATALONG weist gerade im Hinblick auf das Milieu eine deutliche Offenheit und
Flexibilität auf: „Welche Formen in welchen zeitlichen Abständen in welchen
Räumlichkeiten sind sinnvoll für dieses Thema und diese Menschen? Lieber einer feste
Gruppe, lieber einzelne Treffen oder lieber ein Cafe?“194 Ein Cafe wird zum kirchlichen
Ort. Die Grenze von Sakralität und Profanität löst sich auf.
186 „Nötig dazu ist eine Umkehrung der Denkrichtung: Statt zu fragen, wie Ehrenamtliche für ein bestimm-tes, schon vorher feststehendes Projekt gewonnen werden können, orientieren sich Hauptamtliche daran, wahrzunehmen, was Menschen in der und von der Kirche brauchen und welchen und Ressourcen sie benötigen, damit dies Wirklichkeit werden kann.“ POHL-PATALONG, Ortskirche, 144f. 187 S. ebd.,143. 188 S. ebd., 144. 189 Vgl. ebd., 150. 190 S. ebd.,132f. 191 S. ebd., 136. 192 Vgl. POHL-PATALONG, Ortskirche, 137. 193 Ebd., 140. 194 Ebd., 145.
37
c. Profil - Umgang mit geprägter Tradition
Gerade bei der von POHL-PATALONG angestrebten Ausweitung der Pluralisierung des
kirchlichen und gemeindlichen Lebens stellt sich die Frage nach dessen Einheit und
damit auch nach Formen, in denen die Einheit und Verbundenheit der kirchlichen Orte in
ihrer strukturellen und inhaltlichen Vielfalt sichtbar werden.195 Was kennzeichnet die
kirchlichen Orte jenseits der Alternative parochial und nichtparochial? POHL-PATALONG
nennt hier als konstitutive sowie wünschenswerte Elemente die notae ecclesiae196 und
die im Gottesdienst und im außergottesdienstlichen »Gemeindeleben« versammelte Ge-
meinde. Im Hinblick auf die Strukturentwicklung gemäß einer Erfüllung der notae
ecclesiae ist jedes Arbeitsfeld darauf zu befragen, welche Rolle es für den Auftrag der
Kirche spielt und wie seine spezielle Aufgabe zu beschreiben ist. Dieser Befragungs- und
Entscheidungsprozess soll, so POHL-PATALONG, innerhalb der Gemeinde stattfinden und
nicht direktiv vom Pfarramt ausgehen.197
An jedem kirchlichen Ort findet gottesdienstliches Leben statt, was aber nicht auf Got-
tesdienste in agendarischer Form beschränkt bleibt. Die Vielfalt der gottesdienstlichen
Formen erwächst organisch aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen an den kirch-
lichen Orten und bildet somit keinen sonntäglichen Sonderbereich.198 Durch die Ein-
bindung der Gottesdienste in die jeweilige inhaltliche Arbeit werden sie zur gemein-
samen Feier der Gemeinde.199 Dies geschieht durch die Beteiligung derjenigen, die an
diesem kirchlichen Ort engagiert sind, sowie durch ein hohes Maß an Kon-
textualität.Auch die Begleitung an Lebensknotenpunkten durch Kasualien soll an jedem
kirchlichen Ort möglich sein.200 Wieder ist POHL-PATALONG die Wahrung der Pluralität
wichtig: „Die Kirche kann nur dann in der pluralen Gesellschaft öffentlich wirksam sein,
wenn sie sich plural organisiert.“201 Kirchliche Strukturen sollen demnach Unterschied-
liches an unterschiedlichen Orten anbieten, gleichzeitig aber klar und erkennbar sein.
POHL-PATALONG gibt ihrem Gemeindeaufbaumodell den vielsagenden Untertitel „Ein
195 Vgl. ZIMMERMANN, Orte, 34. 196 Wort und Sakrament erweitert sie jedoch sogar noch um Gerechtigkeits-, Hilfe – und Bildungshandeln als weitere „inklusive“ Merkmale. POHL-PATALONG, Ortskirche, 131. 197 „Organisatorisch sollte der Entscheidungsprozess, welche Arbeitsbereiche an welchem Ort stattfinden, sowohl „von unten“ als auch „von oben“ gestaltet werden: Einerseits müssen diejenigen, die sich an einem kirchlichen Ort bisher engagiert haben, maßgeblich beteiligt werden (vielleicht in ähnlicher Weise, wie dies im Moment in Ortsgemeinden im Rahmen von Profilentwicklungs- oder Leitbildprozessen geschieht). Andererseits braucht es auch eine koordinierende Größe, die sicherstellt, dass in einer bestimmten Region alle wesentlichen kirchlichen Aufgabengebiete vorhanden sind und in zumutbarer Entfernung zu erreichen sind.“ POHL-PATALONG, Ortskirche, 148. 198 Vgl. ebd., 152. 199 Vgl. ebd., 151. 200 Vgl. ebd., 153.
38
Zukunftsmodell.“ Was ist nun in der Zukunft von einer Arbeit an und mit kirchlichen
Orten zu erwarten? Für die Parochien bedeutet dies, nach dem Ende ihres Monopols
„Möglichkeiten der Schwerpunktbildung und Profilierung, die mancherorts zur Bildung
von Richtungsgemeinden führen dürften. Für die übergemeindlichen Dienste wird die
Verortung vielfach zur Gemeindewerdung beitragen, zumal dann, wenn an sie Kriterien
angelegt werden, die weithin dem evangelischen Verständnis von Gemeinde entsprechen,
allen voran die regelmäßige Feier von Gottesdiensten.“202
3.3.4. Resümee zu den vorgestellten Modellen und Zwischenbetrachtung
Beim Vergleich der drei Gemeindeaufbaumodelle von MÖLLER, LINDNER und POHL-
PATALONG fällt auf, dass die Verortung des Gottesdienstes innerhalb der Gemeinde im
Verhältnis zum sonstigen gemeindlichen Leben stark variiert. Wie verhalten sich die
Modelle zueinander und was ergibt sich daraus in der Übertragung auf die Verortung des
Sunday Plaza innerhalb der Bewegung X-Stream?
MÖLLER bietet einen monozentrischen Ansatz, in dem der Gottesdienst am Sonntag als
gemeindekonstituierender Mittelpunkt die wenigen anderen Gemeindeveranstaltungen
des »Alltags« verblassen lässt. LINDER geht ebenfalls vom Gottesdienst als Mitte aus, um
diese Mitte herum ist jedoch in seinem konzentrischen Ansatz ein buntes und
»kundenorientiertes« Gemeindeleben angesiedelt, welches das Profil der Ortsgemeinde
und somit die Innenseite der Kirche mitbestimmt. Im polyzentrischen Ansatz POHL-
PATALONGS dreht sich alles um den Gottesdienst. Gottesdienst ist an allen vereins-
kirchlichen Orten zu finden und ist damit nicht auf die parochialen Strukturen be-
schränkt. Starke Unterschiede lassen sich weiter in der Deutung des Priestertums aller
Gläubigen feststellen. Alle Drei stimmen einer hohen Partizipation als Grundwert gemäß
des Priestertums aller Gläubigen bzw. Getauften zu, formulieren diesen aber für die
Praxis sehr unterschiedlich konsequent. MÖLLER bspw. sieht die Beteiligung der
Gemeinde nur sehr beschränkt möglich. Er geht von einer stark pastorendominierten
Arbeitsweise aus. LINDNER bietet in Ansätzen durch die Mitbestimmung in Form des
konziliaren Prozesses, POHL-PATALONG konsequent durch die hauptsächliche Orga-
nisation und Mitverantwortung der kirchlichen Orte eine ernstzunehmende Teilnahme-
und Mitgestaltungsoption des gesamten gemeindlichen Lebens und somit eine kon-
sequente Umsetzung des Prinzips des Priestertums aller Gläubigen.
Wenn man die hier beschriebenen Gemeindeaufbaumodelle betrachtet, stellt man fest,
201 POHL-PATALONG, Ortskirche, 130. 202 ZIMMERMANN, Orte, 34.
39
dass sich Grundzüge auch im Aufbau und Wesen von Sunday Plaza sowie der Gesamt-
struktur der X-Stream-Bewegung finden. Allen Gemeindeaufbaumodellen gemeinsam ist
der Aspekt der hohen Verbundenheit zum Wohnort. POHL-PATALONG geht wohl am
weitesten mit ihrer drastische Forderung nach vielen kirchlichen Orten, die wohnortnahe
kirchliche Präsenz sicherstellen, jedoch nicht unbedingt parochial bzw. territorial fest-
gelegt sind. Hier kann an die X-Changes als vieler (haus-) kirchlicher Orte gedacht
werden, an denen vereinskirchliches Leben stattfindet. Diese sind geprägt von einer
Vielfalt an neuen gottesdienstlichen Formen mit unterschiedlichem Charakter. Sie finden
zu unterschiedlichen Zeiten statt und umfassen auch Abendmahl und Taufen. Die
Netzwerkartigkeit von X-Stream sowie die Schaffung von Kommunikationsstrukturen,
die eine Einbindung und Einflussnahme Vieler sicherstellt, erinnert an das konziliare
Modell LINDNERS. Was die aktive Beteiligung und Mitarbeit im Sinne des Priestertums
aller Gläubigen bzw. Getauften betrifft, so wird sie von allen drei Modellen propagiert,
aber nur POHL-PATALONG formuliert dies auch deutlich, wenn sie die Verantwortung und
Mitgestaltung der kirchlichen Orte den Gemeindemitgliedern zuschreibt. Dies stellt eine
weitere Parallele zur Grundstruktur der Bewegung X-Stream dar. Alle Modelle nehmen
eine Verortung des gemeindlichen und gottesdienstlichen Lebens vor, wodurch jeweils
die Frage von sakralen und säkularen Räumen berührt wird. Der Wunsch des X-Streams,
duale Denkmuster zu überwinden und stattdessen nach sakraler Transformation und
Umdeutung profaner Orte zu streben, bildet einen klaren Gegenentwurf zur Vorstellung
MÖLLERS. Seine Trennung von Alltag und Sonntag, reduziert das geistliche (Er-)Leben
des Christen lediglich auf den sonntäglichen Gottesdienst. Auch die Deutung LINDNERS
einer sichtbaren Institution Kirche als Innenseite und der sie umgebende Gesellschaft als
Umwelt, hält eine klare Trennung von vermeintlich Sakralem und Paufrecht. Die
gottesdienstlichen Treffen an außerkirchlichen Orten, wie sie POHL-PATALONG andenkt,
finden in Cafés und Wohnhäusern sowie der Schüür als Ort des Sunday Plaza ihre
Entsprechung. Auch die Verortung des aktiven christlichen Engagements im Alltag, das
sie in der kleinen Diakonie darlegt, ist in Form der Entsendungsgebiete in die Praxis
umgesetzt.
IV. Übertragung – Was kann die Landeskirche von Sunday Plaza
lernen?
Sunday Plaza lässt sich als gottesdienstliche Entsprechung zur gesamtgemeindlichen
Struktur und zum bewegungsinternen Profil von X-Stream verstehen. Sie ist ein Beispiel
für ein lokal stimmiges liturgisch-kybernetisches und somit geschlossenes Konzept. Ob
40
Sunday Plaza als geschlossenes Modell auf die ortsgemeindliche Situation in der
evangelisch-lutherischen Landeskirche übertragen werden könnte, soll im Folgenden
dargelegt werden. Auch ausgewählte Elemente bewegungseigenen Gemeinde-
aufbaumodells, d.h. einzelne Strategien, Strukturen und Aspekte sollen auf ihre An-
wendbarkeit hin untersucht werden.
4.1. Direkt übertragbar
Direkt übertragbar sind einige Grundfeste aus der X-Stream-Bewegung, die einer Orts-
gemeinde erfrischende und motivierende Impulse geben können, etwa die hohe Wert-
schätzung der Bildungsarbeit. Die Workshops im Rahmen des Sunday Plaza sowie die
Mitarbeiterschulung Zyklotron sind Beispiele gelungener Bildungsarbeit am Ort. Durch
hohe Interaktivität werden die Teilnehmer am Lerngeschehen aktiv beteiligt und kon-
sumieren nicht nur inhaltlich. Die Schaffung einer Struktur, in der die Möglichkeit zu
Lehren allen offen steht, eröffnet einen ungeahnten Schatz an Themen in der Gemeinde.
Nicht nur der Pastor kann Bildungsarbeit leisten, auch die Gemeinde hat dadurch einen
(gleichberechtigten) Platz.
X-Stream ist stark in der Schaffung von Netzwerken und der Nutzung von modernen
Kommunikationsmöglichkeiten. Ortsgemeinden können durch die Nutzung moderner
Medien, wie es X-Stream betreibt, Chancen der Begegnung und engeren Zusammen-
arbeit entdecken. Informationsweitergabe kommt mit dem klassischen Gemeindebrief
nicht an sein Ende. Die Nutzung des Internets in Form von E-Mail-Newslettern,
Chatprogrammen und anderen Formen des Social Networkings sind mittlerweile nicht
nur bei Jugendlichen gängige Kommunikationsformen. Auch die Info-Zone des Sunday
Plaza als eine Art „begehbare Abkündigung“ stellt einen nachdenkenswerten Impuls für
die Informations- und Kommunikationskultur der Ortgemeinde dar. Schließlich ist auch
eine professionell gepflegte Homepage eine wichtige Begegnungsplattform der Ge-
meinde. Sie ist zudem auch in Bezug auf eine gute Öffentlichkeitsarbeit nicht zu unter-
schätzen.
4.2. Modifiziert übertragbar
X-Stream beschäftigt keinen Pastor. Bei der Reflexion des Priestertums aller Gläubigen
kommen sie konsequent zu dem Entschluss, dass alle in der Bewegung anfallenden Auf-
gaben unter den Mitgliedern verteilt werden können. Sicherlich würde auch der Orts-
gemeinde ein stufenweises Abrücken vom pfarrerzentrierten Gemeindebild gut tun, ge-
rade in Zeiten von Kürzungen und dem rapiden Rückgang der Mittel für die Personal-
41
versorgung. Dennoch lässt sich ein kompletter Verzicht auf eine ordinierte Amtsperson
in kirchlichen Strukturen nicht umsetzen und ist auch nicht wünschenswert. Vielmehr
geht es darum die Kernkompetenzen der ordinierten Pastoren einzuflechten, um eine
modifizierte Übertragung möglich zu machen. Von den Mitgliedern kann weiterhin die
Vorbreitung von Gottesdiensten (Organisationsteams mit verschiedenen Ver-
antwortungsbereichen)203 übernommen werden, ein Prozess, den der Pastor beratend
begleiten kann. 204 Das zeigt sowohl die oben angeführte Untersuchung des Sunday Plaza
und ist auch in der empirischen Studie HÄRLES „als Garant für Wachstum“205 heraus-
gestellt. Im Vollzug der Liturgie sollten Pastor und Gemeinde enger verzahnt zu-
sammenarbeiten.206 Dabei sollte der Pfarrer als spiritus rector der Liturgie nicht
orchestral die »Einsätze« der Gemeinde koordinieren, sondern eine Interaktion und Be-
teiligung in breiterer Weise ermöglichen.207 Ähnlich wie bei Sunday Plaza, bei dem Mit-
glieder ganze Teile des Ablaufs eigenverantwortlich durchführen. Gottesdienststrukturen
sollten den personellen Möglichkeiten der ortsgemeindlichen Situation angepasst wer-
den. Bei einer Predigtstelle können bspw. Gemeinde und predigender Pastor einander
durch gemeinsame Vorbereitung, persönliche Beiträge, Predigtnachgespräche,
dialogische Teile annähern.208 Wenn die Predigtversorgung einer Gemeinde über einen
Pastoren nicht möglich ist, können auch andere liturgische Strukturen jenseits der klas-
sischen Lesepredigt, bei der Gemeindemitglieder nur ablesen, entwickelt werden. (Bspw.
in Form von Prädikanten). Die Ortsgemeinde kann von der bedarfsorientierten Struktur
des Sunday Plaza lernen. Durch die hohe Wertschätzung der Mitglieder gemäß des
Priestertums aller Gläubigen haben sie die Chance, innerhalb der Bewegung eine Liturgie
der eigenen Beteiligung zu entwickeln. Das neue Ordinationspapier räumt den
Mitgliedern in landeskirchlichen Ortsgemeinden mehr Freiheit und Einfluss ein.209 Dies
203 Vgl. KIMBALL, Worship, 108ff. 204 Vgl. ROOSEN, Kirchengemeinde, 599. 205 Nahezu in allen, in der Studie untersuchten Gemeinden ist Teamarbeit und gesteigerte Einbindung Ehrenamtlicher in wichtiger Bestandteil im Wachstumsprozess gewesen. HÄRLE, Wachsen, 9ff. 206 Wie auch im ersten Kriterium des Gottesdienstbuches gefordert: „Der Gottesdienst wird unter der Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde gefeiert.“ EGB, 15. 207 Vgl. RATZMANN, Interaktion, 105ff.; HERLYN, Theologie, 80ff. 208 „Die Abkehr vom Verkündigungsmonopol des Pfarrers bedeutet keine Entwertung des Predigtamtes. Sie enthält vielmehr die Chance aus der frustrierenden Isolation auszubrechen, in die der Pfarrer geraten ist, nachdem ihre Alleinzuständigkeit für die Verkündigung in einer Situation wachsender Entfremdung vom Alltag der Hörer auch das Evangelium selbst irrelevant zu machen drohte. Deshalb ist die Beteiligung der Gemeinde am Dialog zwischen Wort und Antwort kein formaler Akt, sondern ein geistlicher Vor-gang.“ WAGNER-RAU, Welt, 241. 209 In neuen Ordinationspapier der Bischofskonferenz »Ordnung gemäß berufen« wird u.a verweisen auf CA 14 verwiesen, nachdem das Amt der öffentlichen Verkündigung Eines ist. „Insofern gehören alle auf dieselbe Seite, die mit der Wahrnehmung der öffentlichen Wortverkündigung und der Sakraments-verwaltung beauftragt sind. Vgl. KNUTH, Ordnungsgemäß, 46-48.
42
könnte zu größerem Mut und Lust am gottesdienstlichen Mitgestalten der Mitglieder in
Ortsgemeinde führen. Es klingen hier Wünsche des fünften Leuchtfeuers des Impuls-
papiers »Kirche der Freiheit« an, wo es heißt, dass das Verhältnis zwischen den ins
Ehrenamt Ordinierten, Prädikanten sowie Lektoren und dem Amt der hauptberuflichen
Pfarrer eindeutig und überzeugend gestaltet werden soll. „Der ehrenamtliche und nicht
hauptamtliche Dienst erfährt – auch in der Beteiligung am Verkündigungsauftrag der
Kirche – eine klare Würdigung.“210 In diesem Rahmen können unterschiedlichste Felder
von Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden, die sich um den Gottesdienst herum
als Zentrum ansiedeln und neue Bindungsmöglichkeiten und Ligaturen schaffen.211
Durch diese Bandbreite entstehen neue Felder für Interaktion sowie Interpassivität,212
denn nicht jeder möchte sich in gleicher Weise einbringen. Zu denken ist hier an
individuelle Stillezeiten,213 Gebetsstationen214 sowie die Möglichkeit individuell auf die
jeweiligen Zeitfenster und das örtliche Geschehen der Liturgieteile einzuwirken.215 Dies
stellt wieder eine Parallele zur flexiblen Baukastenmatrix des Sunday Plaza dar. Für eine
solche Strukturentwicklung einer sog. Beteiligungskirche216 in der Ortsgemeinde muss
jedoch die demokratische Struktur der Basis neu reflektiert werden. Die flachen Hierar-
chien der Bewegung X-Stream liefern ein leicht modifiziert, umsetzbares Vorbild.217 Es
ist durchaus denkbar, „dass Ehrenamtliche die Ortsgemeinden leiten, während die Pfarrer
mit beratender Stimme an den Presbyteriumssitzungen teilnehmen.“218 Ehrenamtlich
tätige Mitarbeiter entwickeln somit große Teile des Gemeindelebens selbständig.219
Wenn konkret die Möglichkeit gegeben wird, Verantwortung zu übernehmen und sich
einzubringen, werden dadurch besonders die Mitglieder des Selbst-
verwirklichungsmilieus angesprochen. Stehen doch bei ihnen die Selbstverwirklichung
210 Kirche der Freiheit, 67 211 „Nicht der Gottesdienst allein prägt und gestaltet die Kirchenzugehörigkeit. Mitgliedschaft lebt von dem Reichtum und der Differenziertheit der Beteiligungsmöglichkeiten, die in einer Gemeinde zur Verfügung stehen. Diese werden aber wesentlich durch das gottesdienstliche Leben inspiriert und strukturiert. Es geht nich um die Konstruktion einer mehr oder weniger exklusiven Gemeinschaft, sondern um die Realisierung der Einsicht, dass Glauben einen Ort und eine Gemeinschaft über den Rahmen des Gottesdienstes hinaus braucht. Wie kann der Gottesdienst dem Bau der Gemeinde wirklich dienen und wie kann dieser andererseits vom Leben der Gemeinde der Impulse für seine Gestaltung empfangen? ZIEMER, Gottesdienst, 634f. Zu Ligaturen vgl. auch WAGNER-RAU, Welt, 36. 212 MILDENBERGER, Beteiligung, 223. 213 Vgl. KIMBALL, Church, 156f. 214 Vgl. KIMBALL, Worship 84; KIMBALL, Church, 134f.; 162ff. 215 Vgl. KIMBALL, 89ff. 216 Zum Begriff der »Beteiligungskirche« vgl. ZEDDIES, Kirche, 29. 217 Vgl. KIMBALL, Church, 228f. 218 ROOSEN, Kirchengemeinde, 599; RATZMANN, Interaktion, 101. 219 MILDENBERGER, Beteiligung, 222.
43
durch Beteiligung und der Wunsch nach Zugehörigkeit im Vordergrund.220
Auch in einem zweiten Punkt können, leicht modifiziert, Grundwerte des Sunday Plaza
in die ortsgemeindliche Wirklichkeit übertragen werden. Dies umfasst die Reflexion
sakraler und profaner Lebensbereiche. Heute wird das Thema Glaube in der Gesell-
schaft häufig als privates Tabuthema verhandelt und auf ein sakral-kirchliches Nischen-
dasein reduziert. Der von Sunday Plaza beschrittene Weg möchte diese tradierte Tren-
nung von heiligen und profanen Räumen überwinden. Ganzheitliches Denken im Hin-
blick auf uns Menschen, die Welt und den Kosmos als Gottes Schöpfung ist wohl nicht
nur eine postmoderne Antwort auf diese modernen Dualismen, sondern auch eine Rück-
kehr zur biblischen Vorstellungswelt. Sakrale Räume erschöpfen sich nicht im sonntäg-
lichen Gottesdienst, sondern strahlen auch in den gesamten profanen Alltag hinein. Dies
zeigt sich bei X-Stream örtlich-strukturell in gottesdienstlichem Leben und Engagement
im Alltag: in Hauskirchen, die sich in Wohnzimmern und Cafés treffen und in den Ent-
sendungsgebieten in den Stadtteilen und Dörfern in und um Thun. Gemeinde lebt da auf,
wo die Menschen leben. Auch durch die Nutzung von modernen Medien und Alltags-
kultur werden im Sunday Plaza Grenzen profaner und sakraler Denkmuster aufgelöst.
Eine stärkere Verzahnung von gemeindlichem Leben und Alltagswelt sollte in der orts-
gemeindlichen Wirklichkeit nach dem Vorbild von X-Stream angestrebt werden. Die
Kirche kann allerdings durch die vielen Sakralbauten („architektonische Haftpunkte“221)
nach örtlich-strukturellen Verbindungspunkten suchen und das vorhandene archi-
tektonische Potential voll ausschöpfen. Zum Beispiel könnten bestehende Kirchen im
Rahmen kirchenpädagogischer Arbeit oder in Form des Modells offener Besucherkirchen
gewinnbringend genutzt werden. Ein Sunday Plaza, der ganz ohne jeglichen Sakralbau
oder „anstaltskirchliche Symbole“222 auskommt, weiß auch nichts von den reichen
architektonischen Schätzen und traditionell geprägten Symbolen, die Ortskirchen mit
ihren Mitgliedern verbinden und gleichzeitig auch einen Anziehungspunkt für
Kirchenferne darstellen. Dennoch sollten Gemeinden sich nicht hinter diesen
Kirchenmauern verstecken, sondern aus ihnen heraus in den Alltag ausstrahlen.223 Die
Gemeinde als Mittelpunkt des Alltags und den Gottesdienst wiederum als Mittelpunkt
der Gemeinde zu fassen, umschreibt das Bild des Markplatzes, wie es Sunday Plaza
220 Vgl. SCHULZE, Erlebnisgesellschaft, 317f.; BECKS, Gottesdienst, 259. 221 S. POHL-PATALONG, Ortskirche, 136. 222 S. TROELTSCH, Soziallehren, 69. 223 Vgl. WAGNER-RAU, Welt, 29.
44
nutzt, stimmig. Der Gottesdienst als „Zentrum des Gemeindelebens“224 und „Mitte der
Gemeindearbeit“225und schließlich „Herz der Gemeinde“226 bleibt dann keine
„theologisch drapierte Ideologie,“227 sondern wird Ansatz zum Gemeindeaufbau einer
Ortsgemeinde.
Schließlich ein dritter Aspekt, der in modifizierter Weise eine positive Wirkung auf die
Ortsgemeinde haben kann: die Reflexion des Profils und der Umgang mit Tradition.
Wie oben erläutert, ist der Sunday Plaza auf das Selbstverwirklichungsmilieu zu-
geschnitten. Die Profilbildung durch Zielgruppen- und Milieuorientierung ist in unserer
Landeskirche aufgrund der territorialstrukturellen Bedingungen nicht ohne weiteres
möglich. Modifiziert kann jedoch vom Modell des Sunday Plaza in der Übertragung auf
die ortsgemeindliche Situation gelernt werden. Profilorientierung gemäß einer An-
passung an eine spezifische Zielgruppe, ein Einlassen auf „Themen ihrer Lebenswelt
und Kultur, sowie das Finden neuer Anlässe, Zeiten und Orte“ an denen sie Gottesdienste
feiern können, stellt eine „entscheidende Entwicklung in der evangelischen
Gottesdienstgeschichte der Neuzeit dar.“228 Dieser Prozess soll auch noch weiter ver-
stärkt werden, wie das zweite Leuchtfeuer des Impulspapiers »Kirche der Freiheit« in
Bezug auf die gewünschte Vielfalt evangelischer Gemeindeformen andeutet.229
Das kann in zwei verschiedenen Formen geschehen: Als Ortsgemeinde mit Profil oder
als reine Profil- bzw. Funktionsgemeinde.230 Eine Ortsgemeinde mit Profil kann vom
Sunday Plaza die Wahrnehmung und Wertschätzung der Lebensbezüge ihrer Mitglieder
lernen. Jene „liturgische Milieukompetenz“231 die auch innerhalb des gottesdienstlichen
Repertoires die Lebenswirklichkeit der Gemeindemitglieder wahrnimmt. Dafür muss die
entsprechende Zielgruppe nicht nur binnenkirchlich untersucht werden,232 es muss statt-
dessen eine „Wahrnehmung der Kultur und Gesellschaft geschehen, die die Kirche um-
224 S. PAUSCH, Gottesdienst, 582; ROOSEN, Anlass, 18. 225 S. DAIBER, Gottesdienst, 74; HERLYN, Theologie, 145. 226 S. HERLYN, Theologie, 162. 227 S. HERLYN, Theologie, 146. 228 S. WAGNER-RAU, Welt, 29. 229 Vgl. Kirche der Freiheit, 52. 230 Die klassische evangelische Parochialgemeinde in ihrer vertrauten Struktur nimmt wichtige Aufgaben in verlässlicher Form wahr doch im Blick auf missionarische Herausforderungen und geistliche Qualitäts-ansprüche bedarf die der Weiterentwicklung wie der Ergänzung. (...) Damit möglichst viele Menschen erfahren und erleben können, dass das Evangelium eine Hilfe zum Leben ist, sind Gemeindeformen zu stärken, die Räume der Begegnung über die vorherrschenden Milieus hinaus eröffnet. (...) Erste Erfah-rungen mit situativen Verkündigungssituationen und netzwerkartigen Beteiligungsstrukturen werden in funktionalen Handlungsfeldern der Kirche gesammelt.“ Kirche der Freiheit, 53. 231 S. FRIEDRICHS, Zweiten, 11. 232 So bspw. LINDNERS Engführung des Pluralitätsbegriffes der rein innenkirchlich untersucht wird. S.o.
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gibt.“233 Dies darf nicht nur demographisch auf das Alter verkürzt werden, da besonders
die Kultur, im Sinne des Lebensstils und der Denkweise, prägend ist.234 Über die er-
neuerte Agende und das Gottesdienstbuch hinaus muss nach Lösungen für den inneren
Pluralismus gesucht werden. Ihre Antworten sind bislang lediglich auf die „Zusammen-
kunft am Sonntagmorgen begrenzt.“235 Es muss in der Übertragung des Sunday Plazas
das System allerdings modifiziert werden, handelt es sich doch bei der Ortsgemeinde um
eine territorial verfasste Ortsgemeinde die binnenkirchlich eine weitaus größere Pluralität
ausweist als bei X-Stream. So kann Sunday Plaza höchstens, wie oben beschrieben, in
Form von Gottesdiensten des »Zweiten Programms«236 übertragen werden. Hier könnten
liturgische Teilaspekte des Sunday Plaza direkt in eine Alternative Gottesdienststruktur
eingeflochten werden, beispielsweise durch die Übertragung der Baukastenstruktur, den
Einsatz von Technik, Kunst und Kultur. Auch die Struktur und Vernetzung von X-
Stream kann durch die Stärkung von Hauskirchen bzw. Hauskirchenarbeit leicht
modifiziert übertragen werden.237 Sie ist maßgeblich und sinnvoll, weil sie einerseits die
Bewegung X-Stream charaktersiert und andererseits in einer profilzerklüfteten
Gemeinde, die sich um unabhängige Zielgruppengottesdienste sammelt, eine „neue Form
von Vergemeinschaftung“238 erzeugt. „Denn Beheimatung braucht Kontinuität und
Regelmäßigkeit, verlässliche Orte, Menschen, Zeiten und Angebote,“239 ähnlich wie es in
der Verschränkung von X-Changes und Sunday Plaza gegeben ist. Sunday Plaza stellt
dann als Zweit- bzw. Dritt- oder Viertgottesdienst ein Beispiel für eine monatlich
akzentuierte gottesdienstliche Gemeindearbeit dar.240 In diesem Fall muss dann die
kreative Gestaltungsvielfalt in der Übertragung des Sunday Plaza auf die Ortsgemeinde
den personalen Kapazitäten angepasst werden.
Der Ortsgemeinde mit Profil steht die Profilgemeinde mit deutlich funktionaler Aus-
prägung gegenüber. Hier stellt sich die Übertragung von Sunday Plaza einfacher dar, da
233 KIMBALL, Worship, 66f.; KIMBALL, Church, 113f. 234 Dies zeigt sich bei X-Stream durch ein stimmiges Milieu, das sich allerdings in einer Alterspanne von 25 Jahren ausdrückt. Vgl. dazu auch WARREN, Kirche, 160. 235 S. GRETHLEIN, Gottesdienste, 15. 236 Vgl. FRIEDERICHS, Zweiten, 10f. 237 „Nebengottesdienste und Formen privater Frömmigkeit sind unproblematisch nur in grundsätzlicher Hinordnung und Öffnung zum Gottesdienst der »Versammelten Gemeinde«, der so in vielfältiger Weise in ein Netzwerk von Andachten, Liturgien und Feiern auf Gruppenebene eingebettet ist.“ CORNEHL, Gottes-dienst, 65. 238 S. BUNDSCHUH-SCHRAMM, Kreativ, 289. 239 S. WINTER, Stück, 102. 240 Denkbar wäre ein Einflechten Sunday Plazas in ein Netz andere Modelle, die wiederum andere Milieus erreichen: 1. Sonntag Sunday Plaza, 2. Kirchenmusikalisch geprägter Gottesdienst (Liedpredigt/ Kanta-tengottesdienst), 3. Familiengottesdienst mit Taufen 4. Klassischer Gottesdienst mit Predigt und Abend-
46
es sich um ein geschlossenes Milieusystem, bzw. eine klar umrissene funktionale
Gemeindesituation handelt.241 Die Profilgemeinde kann von Sunday Plaza die kon-
sequente Verzahnung von Gottesdienst und Gemeindeleben lernen. Ist sie doch allein auf
eine Funktion bzw. Zielgruppe zugeschnitten und muss, anders als die territorial
verfasste Parochialgemeinde, keine pluralen Strömungen in sich vereinen. Die Such-
bewegung neuer Formen für eine solche Arbeit ist meist liturgisch, zugleich muss jedoch,
wie im Fall von Sunday Plaza, ein lokal stimmiges liturgisch-kybernetisches Konzept
entwickelt werden.242
Modifizierbedarf besteht allerdings bedingt durch die Einbindung einer Profilgemeinde
innerhalb landeskirchlicher Strukturen. Da es sich bei X-Stream um eine unabhängige
Bewegung handelt, müsste hier die Möglichkeit einer Anbindung in landeskirchliche
Zusammenhänge reflektiert werden.243
4.3. Nicht übertragbar
Nicht übertragbar sind einzelne Elemente deren Bedeutung fraglich geblieben ist, so dass
sie nicht übertragen werden können oder sollten.
Innerhalb der Sunday Plaza Matrix ist bspw. die Bedeutung des Game Corner offen
geblieben. Was dieses Element als klassisch gottesdienstliches, liturgisches Element
auszeichnet, ist unklar. Allein die gemeinschaftsstärkende Funktion sowie die Inkultu-
ration von Alltagsgegenständen wie Spielen, rechtfertigen nicht eine Übertragbarkeit in
einen Gottesdienst einer Ortsgemeinde. Zudem ist eine Verortung in der agendarischen
Liturgie nicht möglich.
Weiterhin sind strukturelle Übertragungen, wie die Finanzhoheit der einzelnen Haus-
kirchen nicht übertragbar. Zwar stärkt die Beteiligung an Finanzentscheidungen und die
darin geteilte Verantwortung die Gemeinschaft und trägt zur größeren Identifikation bei,
aber das selbstverwaltete Prinzip der Hauskirchen ist mit einem bürokratisch aufgestell-
ten Ortskirchenprinzip auch im Hinblick auf Datenschutz, nicht zu realisieren.
Nicht übertragbar ist weiter die Abendmahlspraxis des Sunday Plaza. Bedauernswert ist
das Fehlen eines gemeinsamen Abendmahls bspw. innerhalb der Contemplatio. Die steril
mahl. Diese können natürlich sowohl örtlich als auch zeitlich variieren. Hier folge ich Gedanken von RUDDAT, Gottesdienste, 61. 241 „Personalgemeinde? Die Kirchenleitungen tun gut daran, wenn sie die Profilbildung von Gemeinden, die sich an der Heiligen Schrift und den reformatorischen Bekenntnissen orientieren, unterstützen. Das ist besser, als wenn aktive Gemeindemitglieder in freie Gemeinden abwandern, wie sie in der Landeskirche geistliche Nahrung oder Gemeinschaft vermissen.“ WINKLER, Gemeinde, 190. 242 Vgl. HERBST, Gottesdienste, 172ff.
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wirkende Station mit Brot und Wein, die innerhalb des Raums der Stille zum Abendmahl
aufgestellt ist, strahlt in seiner Vereinzelung genau das Gegenteil der gemeinschaftlichen
Grundbedeutung des Abendmahls aus.244 Zwar ist in den X-Changes das regelmäßige
Abendmahl gebräuchlich und wird somit sicherlich häufiger gefeiert, als in einer
landeskirchlichen Durchschnittsgemeinde, dennoch wäre eine gemeinsame
Abendmahlfeier gerade im Rahmen des Sunday Plaza wünschenswert.245
Als letzten Punkt der nicht auf die Ortsgemeinde übertragen werden sollte, möchte ich
die kritische Ablehnung von Tradition nennen, die sich u.a. im Fehlen einer Predigt246
oder in einer nicht-linearen Liturgie ausdrückt. Eine ständige kritische Prüfung von
Traditionen ist sicherlich notwendig. Schon die Reformatoren lehrten uns, dass man sehr
scharf unterscheiden müsse zwischen den »überkommenen Menschensatzungen« und der
biblischen Botschaft. Daraufhin muss das jeweilige „liturgische Erbgut“247 überprüft
werden. Das Kind wird jedoch mit dem Bade ausgeschüttet, wenn Traditionen per se
abgelehnt werden. Gerade die lutherische Kirche hat mit ihren Traditionen von
Generationen, wie ihren Liturgien, Glaubenserfahrungen und meditativen Erkenntnissen
einen reichen Erfahrungsschatz angesammelt. Auf dieses liturgische Erbgut sollten auch
moderne Gottesdienst- und Gemeindeaufbaumodelle wurzeln, statt Traditionen ungeprüft
zu verwerfen.
243 Zu bisherigen Erfahrungen lutherischer Gemeindegründungen von Emerging Churches innerhalb der Evangelical Lutheran Church of Amerika (ELCA) vgl. BOLZ-WEBER, Confessions, 20-26; FRAMBACH, Ministry; GARRISON, Ashes, 15f.; 89f; 127f. 244 Vgl. CA VII, in der „Gemeinschaft der Heiligen“ in Bezug auf die „Verwaltung der Sakramente“, bspw. Abendmahl in Beziehung steht. Eine Gemeinschaft und Öffentlichkeit ist konstitutiv. 245 Zur Bedeutung des Abendmahls in der Emerging Church, vgl. KIMBALL, Worship, 94; KIMBALL, Church, 159f. 246 Dies ist nicht auf alle Emerging Churches pauschalisierbar, andere Gemeinde hingegen haben Predigten als festen Bestandteil ihres Alternative Worships. Vgl. KIMBALL, Worship, 87f.; 181f. 247 HERLYN, Theologie, 127.
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