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Heft 4 ] 1989 ] 435 j. Orn. 130, 1989: S. 435-453 Max-Planck-Institut fiir Verhaltensphysiologie, Vogelwarte Experimente tiber sensible Phasen und Gesangsvariabilit~it beim Buchfinken (Fringilla coelebs) Gerhard Thielcke und Monika Krome 1. Fragestellung Der Gesang der Buchfinken wurde schon oft untersucht (z. B. PERNAU 1768, MARLER 1956, THORPE 1958, SLATER & INCE 1979, FREUDE 1984, BAKER & JENKINS 1987, THmI~CKE 1988). Diese Arbeiten haben neue Fragen aufgeworfen. So wissen wir z. B. wenig tiber Details der sensiblen Phasen, tiber die Entstehung der Variabilit~it und wann in der Ontogenese Dialekte festgelegt werden. Die Beantwortung dieser Fragen ist in der Bioakustik yon grunds~itzlichem Interesse_ Der Buchfink ist dafiir besonders geeignet, weil tiber ihn schon viel bekannt ist, well er gut yore Tonband lernt, well er gut zu halten und im Bestand nicht gef~ihrdet ist. Folgende Fragen beantworten wir in dieser Arbeit: (1) Lernen cy normalerweise im Sommer ihres Geburtsjahres? (2) Lemt dasselbe ce in beiden Phasen, also in seinem ersten Sommer und zu Beginn seiner ersten Brutzeit? (3) Wann beginnt die zweite sen- sible Lernphase? (4) Kopieren die jungen ce vom selben Vorbild iibereinstimmend genau? (5) Wird die intraindividuelle Variabilit~it erlernt? (6) In welcher Lernphase werden Dialekte erlernt? 2. Material, Methoden, Definitionen und Dank 2.1. Material Herkunft der V6gel: 10 diesj~ihrige ce wurden im August und September 1987 an drei Orten in Siiddeutschland gefangen: (1) Ludwigshafen-Oppau/Rheinland-Pfalz, (2) Mitterteicb, Reg.-Bez. Oberpfalz/Bayern, (3) Burgau, Reg.-Bez. Schwaben/Bayern. W i 1 d v 6 g e 1 z u in V e r g 1 e i c h: Eigene Tonbandaufnahmen standen zur VerRigung von 45 Buchfinken-ce yon Park Rosenau und Umgebung (Lkr. Coburg, Bayern) und von 10 (y aus dem Naturschutzgebiet Mindelsee (Lkr. Konstanz, Baden-Wiirttemberg). 2.2. Methoden Haltung: Die V6gel wurden yore 8. 10. 87 bis zum 23.6. 88 einzeln in schaltisolierten Kammern gehalten. Am 24. 6. 88 wurden die Ttiren ge6ffnet, so daft sich alle 10 cy h6ren konnten. Vom t9. 9. 88 an kamen sie in eine Auflenvoliere. Die Kammern haben ein Innenvolumen yon 0,46 m a, die K~ifige in den Kammern eine Gr6i~e von 80xS0x45 cm. Mit der Beteuchtung simulierten wit Radolfzeller Naturtag mit einer Helligkeit yon 180 Lux. Die jeweilige Tagest~nge wurde jede Woche neu eingestellt. Kurz

Experimente über sensible Phasen und Gesangsvariabilität beim Buchfinken (Fringilla coelebs)

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Heft 4 ] 1989 ]

435

j. Orn. 130, 1989: S. 435-453

Max-Planck-Institut fiir Verhaltensphysiologie, Vogelwarte

Experimente tiber sensible Phasen und Gesangsvariabilit~it beim Buchfinken (Fringilla coelebs)

Gerhard Thielcke und Monika Krome

1. Fragestellung Der Gesang der Buchfinken wurde schon oft untersucht (z. B. PERNAU 1768, MARLER 1956, THORPE 1958, SLATER & INCE 1979, FREUDE 1984, BAKER & JENKINS 1987, THmI~CKE 1988). Diese Arbeiten haben neue Fragen aufgeworfen. So wissen wir z. B. wenig tiber Details der sensiblen Phasen, tiber die Entstehung der Variabilit~it und wann in der Ontogenese Dialekte festgelegt werden. Die Beantwortung dieser Fragen ist in der Bioakustik yon grunds~itzlichem Interesse_ Der Buchfink ist dafiir besonders geeignet, weil tiber ihn schon viel bekannt ist, well er gut yore Tonband lernt, well er gut zu halten und im Bestand nicht gef~ihrdet ist.

Folgende Fragen beantworten wir in dieser Arbeit: (1) Lernen cy normalerweise im Sommer ihres Geburtsjahres? (2) Lemt dasselbe ce in beiden Phasen, also in seinem ersten Sommer und zu Beginn seiner ersten Brutzeit? (3) Wann beginnt die zweite sen- sible Lernphase? (4) Kopieren die jungen ce vom selben Vorbild iibereinstimmend genau? (5) Wird die intraindividuelle Variabilit~it erlernt? (6) In welcher Lernphase werden Dialekte erlernt?

2. Material, Methoden, Definitionen und Dank 2.1. Ma te r i a l

H e r k u n f t der V6gel: 10 diesj~ihrige ce wurden im August und September 1987 an drei Orten in Siiddeutschland gefangen: (1) Ludwigshafen-Oppau/Rheinland-Pfalz, (2) Mitterteicb, Reg.-Bez. Oberpfalz/Bayern, (3) Burgau, Reg.-Bez. Schwaben/Bayern.

W i 1 d v 6 g e 1 z u in V e r g 1 e i c h: Eigene Tonbandaufnahmen standen zur VerRigung von 45 Buchfinken-ce yon Park Rosenau und Umgebung (Lkr. Coburg, Bayern) und von 10 (y aus dem Naturschutzgebiet Mindelsee (Lkr. Konstanz, Baden-Wiirttemberg).

2.2. M e t h o d e n

H a l t u n g : Die V6gel wurden yore 8. 10. 87 bis zum 23.6. 88 einzeln in schaltisolierten Kammern gehalten. Am 24. 6. 88 wurden die Ttiren ge6ffnet, so daft sich alle 10 cy h6ren konnten. Vom t9. 9. 88 an kamen sie in eine Auflenvoliere.

Die Kammern haben ein Innenvolumen yon 0,46 m a, die K~ifige in den Kammern eine Gr6i~e von 80xS0x45 cm. Mit der Beteuchtung simulierten wit Radolfzeller Naturtag mit einer Helligkeit yon 180 Lux. Die jeweilige Tagest~nge wurde jede Woche neu eingestellt. Kurz

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vor dem Veri6schen der Leuchtstoffr6hre schaltete sich eine D~immerleuchte ein, die w~ihrend der ganzen Nacht brannte.

V o r s p i e l : In Anlehnung an die Versuche yon SLATES & INCE (1982) wurden den V6geln jeweils dieselbe Strophe yon einer Bandschleife 240mal pro Tag mit jeweils 7 s Pause zwischen den Strophen vorgespiett. Alle 10 V6gel h6rten jede Strophe jeweils zur selben Zeit vom selben Tonbandger'~it. Die Lautstiirke betrug 68 dB in 30 cm Abstand yore Lautsprecher schr'~g nach unten. Die 10 cy h6rten Vorspielstrophe 1 vom 18.12. 87 bis 16. 1.88 und Vorspielstrophe 2 vom 15.3.88 bis 13.4.88. Jeder Vogel h/Srte also beide Strophen je 7200mal. Beide Vorspiel- strophen wurden an der Strage von Toblach nach Cortina in Oberitalien aufgenommen.

T o n b a n d a u f n a h m e n wurden mit Mikrophonen folgender Typen gemacht. DP4/x von Grampian sowie MB 215, MD 419 und MBD 235 yon Peerles. Die Tonbandger'~ite Nagra III stellte die Fa. Kudelski her.

S o n a g r a m m e : Auf dem Bildschirm des Uniscan II der Fa. Multigon wurden alle aufge- nommenen Strophen angeschaut und zum Sonagraphieren ausgew~ihlt. Ziel dieses Verfahrens war es, yon alien Aufnahmetagen Sonagramme yon allen Strophentypen zu erhalten. Insge- samt 1032 Sonagramme yon den Ges~ingen der 10 Wildf~inge wurden mit dem Sonagraphen 6061 B yon Kay-Elemetrics, Filterbreite 300 hergestellt (Abb. sind Kopien yon den Origi- nalen).

2.3. D e f i n i t i o n e n

E1 e me n t (note): Im Sonagramm in der Zeit (yon links nach rechts) durchgehende Schw~ir- zung. Elemente sind die kleinsten Teile einer Strophe.

S il b e (syllable): Ein oder mehrere verschiedene Elemente, die vom selben Vogel regelm~it~ig zusammen gesungen werden.

E i n z e l s i l b e (transitional syllable): Nicht wiederholte Silbe zwischen zwei Phrasen.

E l e m e n t t y p / S i l b e n t y p (syllable type): Einander sehr ;ihntiche Silben derselben Phrase.

P h r as e (section): Folge gleicher Silben. Manche Phrasen bestehen nur aus einer Silbe (siehe Einzelsilbe).

T r ille r (trill): Erster Tell einer Strophe, die aus Phrasen zusammengesetzt ist. Im Gegensatz zu SLAVER & INCJS (1979) schlieflen wit Einzelsilben in den Triller ein. Einzelsilben sind also Phrasen, die nur aus einer Silbe bestehen.

O b e r s c h l a g (end phrase, terminal flourish): Ein oder mehrere Elemente am Ende der Strophe, die in derselben Strophe nicht wiederholt werden.

S t r o p h e (song): Triller und Oberschlag bilden zusammen eine Strophe. Der Uberschlag kann fehlen. Zwei Strophen sind durch l~ingere Pausen getrennt als Sitben oder Etemente innerhalb einer Strophe.

S t r o p h e n t y p (song type): Die Reihenfolge der einander entsprechenden Phrasen ist die- selbe. Strophen mit gleich vielen Silbentypen sind einander ~ihnlich. Die Reihenfolge der Phra- sen ist identisch. Die Zahl der Silben pro Phrase kann dagegen verschieden sein.

D i ale kte (dialects) dienen der Kommunikation. Sie sind Verhaltensweisen, die erlernt und tradiert werden und bei vielen (in der Regel) Artgenossen eines Gebietes iibereinstimmen und in anderen anders sind (Wmt~LEP, 198@

D i a I e k t f o r m (dialect form): Zahl, Frequenzverlauf und/oder Tonh6he yon Elementen/

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Heft 4 ] 1989 ] Gesangsvariabilit~it bei Fringilla coelebs 437

Rufen, Gr6ge des Gesangsrepertoires, Folge der Elemente und/oder deren Bedeutung sowie Grad der interindividuellen Variation (vgl. WtCKLZR 1986).

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich far die Bereitsteliung yon Mitteln, E HuBER, B. LEIcHv und A. PFEIFFER ~iS.r den Fang der Versu&sv6gel und L. JENN~ far Informationen iiber die Mauser yon Jungv6geln sowie dem Regierungspr~sidlum Freiburg fiir die tierschutzrechtliche Genehmigung der Versuche.

3. Ergebnisse

3.1. E r l e r n e n y o n S t r o p h e n t y p e n ira e r s t e n S o m m e r

9 der 10 Versuchsv6gd erlernten in ihrera ersten Sommer als Wildv6gel Wildstro- phen, und zwar 2 bis 5 Strophentypen (Tab.). Daf~ es sich dabei tats~ichlich urn erlernte Strophentypen hand&, ist dutch mindestens 5 Eigenschaften nachweisbar. Als Bei- spiel werden die 5 Strophentypen von Versuchsvogel 5 (Abb. 1) sowie je ein Strophen- typ der Versuchsv6gel 1, 2, und 3 (Abb. 4) rait den Strophentypen yon 6 c~ verglichen, die THORPE (1958) schallisoliert handaufgezogen hat (Abb. 2; sogenannte Kaspar-Hau- ser-V6gel).

Der Vergleich der Versuchs- mit Wildvogelstrophen beruht auf den Ergebnissen yon THORPE (1958), SLATER & INCE (1959) und FREUDt~ (1984) sowie eigenen Aufnahmen (Abb. 3, 5 sowie THIELCKE 1988):

(1) Die Strophen der Versuchsv6gel sind wie die meisten Wildstrophen klar in Phrasen gegliedert (z. B. Typ 4 yon ce 5 in 5 Phrasen: Abb. 1 oder die Strophe yon cy 1 in

Herkunft der juv. Witdfiinge urld Jahreszeiten des Strophentypenlernens. Im ersten Sommer erlernte Strophentypen wurden vor dem Fang im August/September erlernt. + Vorspiel- strophe erlernt und regelm~i~ig gesungen; P Vorspielstrophe erlernt, aber nur im plastischen Gesang gesungen; -- Vorspielstrophe nicht erlernt; * eine weitere Strophe wurde nut einmal

gesungen. Origin of juvenile wild-caught chaffinches und times of year in which they learned conspecific song types. Song types sung in first summer had been learned before the catch in August/Sep- tember. + Playback song learned and sung regularly; P Ptayback song learned and sung during the plastic song phase only; -- Playback song not learned; * an additional song was sung

only once

Herkunft Im 1. Sommer Vorspielstrophe 1 Vorspielstrophe 2 Insgesamt reget- erlernte erlernt zwischen erlernt zwischen m~f~ig gesungene

Strophemypen 18. 12. 87 15. 3. 88 Strophentypen und 16. 1. 88 und 13. 4. 88

10ppau 2 -- + 3 20ppau 2 -- -- 2 30ppau 2 -- + 3 4 Burgau 5* -- -- 5 5 Burgau 5 -- + 6 6 Burgau 2 -- + 3 7 Burgau 2 -- P 2 8 Mitterteich -- -- + 3 9 Mitterteich 4* -- P 4

10 Mitterteich 5 + -- 7

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9 Phrasen: Abb. 4), w'~ihrend Kaspar-Hauser ihre Strophen weniger deutlich gliedern (Abb. 2).

(2) Fast alle Strophen der Versuchsv6gel haben wie Wildvagel am Schlui~ der Strophe ein o&r mehrere verschiedene oft sehr komplexe Silben. Sie werden Uberschlag genannt (Abb. 1: Phrase 5; Abb. 3: Phrase 6; Abb. 4: Phrase 9). Dagegen haben Kaspar- Hauser ats Uberschlag nut eine einzelne Silbe, die viel weniger komplex ist (Abb. 2).

(3) Der Tonh6henverlauf vieler Silben der Versuchsv6gel reicht wie bei Wildy6geln tiber einen groi~en Tonh6henbereich. Dies trifft ftir Kaspar-Hauser nicht zu.

(4) Der Tonh6henverlauf der Silben wechsek bei Versuchsvageln oft mehrere Male sehr abrupt yon steigendem zu fallendem Verlauf und umgekehrt. Bei Kaspar-Hauser- V6geln ist dies weniger ausgep~gt.

kHz 6

4

2

Phrase I 1 2 3

'I1 'l,I

Typ

I ...... t l s

Abb. 1.5 Strophentypen yon cy 5 (August/September 1987 als juv, gefangen, anschliei~end einzeln schall- isoliert gehalten). Sie entsprechen Strophen yon Wildv6geln und mtissen also im ersten Sommer erlernt worden sein. -- 5 song types of chaffinch cy no. 5 (caught as juv. August/September 1987, kept in isola- tion in soundproof chambers). They correspond to songs of wild birds, cy 5 must have learned them

during his first summer.

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Heft 4 ] 1989 /

kHz 6

4 2

Gesangsvariabilit~it bei Fringilla coelebs

Phrase I

2\ /

1

3

t I l s

59

57

60

61

62

58

439

Abb. 2. Je eine Strophe yon 6 einzeln schallisoliert aufgezogenen Buchfinken-O" (nach THORPE 1958). -- One song each of 6 chaffinch o" reared isolated in soundproof chambers (after THORPE 1958).

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72 2777

2--

't t'

J. Orn. 130

o'+

18 1

I I l s Abb. 3. Zwei Strophentypen yore wilden Buchfinken-o ~ 18 aus Rosenau und drei Strophentypen vom wilden o" 3 vom Mindelsee. - - Two song types of wild chaffinch cr 18 from Rosenau and three song

types of wild o" 3 from Mindelsee,

(5) Bei Wildv6geln wek verbreitete Silbentypen kommen auch bei den Versuchsv6geln vor, w~ihrend Kaspar-Hauser solche Silbentypen nicht haben. So sind die Phrasen 7 und 8 yon &n Versuchsv6getn 1, 2 und 3 (Abb. 4) und die Phrasen 5 und 6 yon Wild- vogel T (Abb. 5) einander homolog.

Schlieglich stimmen Phrasen "con Versuchsv6geln aus demselben Fanggebiet mehr oder weniger miteinander iiberein, so z. B. 4, 5, 6, 7, 8 und 9 yon o" 1 im Vergleich mit o" 2 und 3 (Abb. 4). Die Phrasen der Versuchsv6'gel 2 und 3 sind einander noch ~ihnlicher. Nur die erste Phrase yon o ~ 2 fehlt o' 3. Ubereinstimmungen yon derartig komplexen Silben sind nur mit Lernen zu erklS.ren. Allerdings gibt es auch bei den Kaspar-Hauser-V6geln verbliiffend ~ihnliche Strophen (o ~ 62 und 58: Abb. 2).

3.2. E r l e r n e n yon S t r o p h e n t y p e n im ers ten W i n t e r

Einer yon 10 Versuchsv6geln (c~ 10) erlernte in seinem ersten Winter die vorge-

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spiette Wildstrophe (18. 12. 87 bis 16. 1. 88). Er hatte bereits 5 Strophen in seinem ersten Sommer erlernt (Tab.). Von der Vorspielstrophe 1 entwickelte er zwei Strophen- typen (Abb. 6a und b).

3.3. E r l e r n e n yon S t r o p h e n t y p e n im M~irz /Apr i l des zwe i t en Lebens- jahres

5 der 10 Versuchsv6gel kopierten Strophe 2, die vorn 15. 3.88 bis 13.4. 88 vorge- spielt wurde (Abb. 7), zwei weitere brachten Teilkopien des Vorbilds nur in ihrem plastischen Gesang. Insgesamt haben also 7 der 10 Versuchsv6gel w'~ihrend der zweiten Vorspielphase Gesang erlernt (Tab. 1). Von den 5 o', die Kopien des Vorbilds 2 in ihr Repertoire aufnahmen, hatten vorher 1 o' nichts, 3 o' zwei Strophen und 1 o" fiinf Strophen erlernt. Von den zwei o ~, die Teile von Vorbild 2 nur im plastischen Gesang sangen, hatte (~ 7 bereits zwei Strophen in seinem ersten Sommer erlernt u n d o ~ 9 vier (Tab. 1). Drei o ~ erlernten w'~ihrend der zweiten Vorspielzeit nichts. Von denen hatten c~ 2 in seinem ersten Sommer zwei Strophen yon Wildv6geln kopiert, o" 4 fiinf Strophen und ce 10 fiinf Strophen. o" 10 erlernte aut~erdem zwei Strophentypen vom Vorbild 1 (Tab.).

I .

f

o ~

t I l s

:~:~:~:~:~:~:~:~:~:~:~:~:~:~:i:~:~:~:i:~:i:~:i:i:i.iIi:~:~i:~:~:i:i:~:~:i:i~:~:i:ii:i:i:i:i:~:i:~:ii~:iIi:i:i:i:i:i:i:il:i:i:i:i:~:~i:~:i:~:ii~:~:~:~:~:i:~:?!i~iiiiiiiiii:.!i!iii! 1 lii!ii:!:i:i:i:i:i:i:i'.i:i-i:i~/////~/, ~/~/, Y//////~ ii::i::iiiii ~//////~/~ 2 ":':':':':':':':':':':i:i:i;'~ Y/////~ ~/////~, i:-i!;!ii::i "//////////~/~/, 3

Abb. 4 a. Je ein Strophentyp der Versuchsv6gel 1, 2 und 3 (in Oppau gefangen). Die Strophe des o" 1 besteht aus 9 Phrasen. b. Im Vergleich zu der Strophe yon o" 1. Punktiert: homologe Phrase; schraffiert: hornologe Phrase mit fehlendem Silbenteil; weifl: nicht homologe oder fehlende Phrase. - a. One song type each of test bird 1, 2 and 3, respectively (caught near Oppau). The song of o" 1 consists of 9 sections. b. In comparison to the song of o" 1: stippled: homologous section; hatched: homologous section with

parts of syllable missing; white: non-homologous or missing section.

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130

P h r a s e [

2 -

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1 A-E

Tri l ler 0berschlag

2 ~ + - A I . 5 6 I 7 A-G B A A B A o ~

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..... ~ / / / / / / / / . / . / .~ / . : : i i i i i i i i i i ! i , .......................... ' c

Abb. 5a. Je eine Strophe yon 5 wilden Buchfinken-o" aus Rosenau. Strophe yon c~ T 7 Phrasen, jede Phrase 1 bis 7 Silben (A--G). b. Im Vergteich zu der Strophe yon ct T. Punktiert: homotoge Phrase; schraffiert: homologe Phrase mit fehlendem zus~itzlichem Silbenteil; weiB: nicht homologe oder fehlende Phrase. -- a. One song each of 5 wild chaffinch c~ from Rosenau. The song of ce T consists of 7 sections, each section of 1 to 7 syllables (A--G). In comparison to the song of cy T: stippled: homologous section; hatched: homologous section with parts of syllable missing; white: non-homologous or missing section.

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H e f t 4 ]

1989 J

kHz 6 - -

4

2 - -

a

Gesangsvariabilit~t bei Fringitla coetebs

" '¢ i l '

' Ul lO a

10 b

443

t ~ l s

. . . . . . . . . . . . . .-...-........-,-..- L...:..,. ..... :.:,- .... I.' . . . . . . . ~.:.. .....

,................-.-..::....... ................ .-. ................ lOb

Abb. 6. V o m 18. 12.87 bis 16. 1.88 vorgespielte Buchfinken-Strophe und zwei davon erlernte Strophen- typen (a und b) yon Versuchsvogel 10. - - Playback song used f rom 18 Dec, 1987 to 16 Jan. 1988, and

two song types (a and b) of test bird 10, developed f rom it.

3.4. Kopiergenauigkei t

Wildv6ge]

Zahl der hbereinstimmenden Silbentypen: Witdv6gel aus dem selben Gebiet stim- men in ihren Strophen abgestuft gut ~iberein. So hat z. B. o" I in seiner Strophe alle Silbentypen, aus denen die Strophe von o" T aufgebaut ist, w'~ihrend o" 11 nut in vier Silbentypen gut mit o" T i~bereinstimmt, o" F ebenfalls in 4 und o" C in zwei Silben- typen (Abb. 5). Die abgebiideten Strophen yon o' T und I gehGren also zum selben Strophentyp, (1) weit sie gteich viele Sitbentypen haben, (2) jeder Silbentyp des einen o' mit einem des anderen o" i~bereinstimmt und (3) die Reihenfolge der Phrasen identisch ist.

Tonh6henverlauf der Silben: Der Tonh6henverlauf yon Silben innerhalb einer Phrase variiert verschieden stark, z. B. wenig bei den Silben der Phrase 3 yon o" T und st~irker bei den beiden Silben der Phrase 4 (Abb. 5). Die Unterschiede zwischen denselben Silbentypen verschiedener o" kGnnen ebenfalls gering sein wie bei Phrase 5 und 6 der c~ T und I oder gr61~er sein, wie zwischen der Phrase 1 der o" T und 11 (Abb. 5).

Zahl der Silben pro Phrase: Sie kann in Strophen gleichen Typs bei verschiedenen

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444

Phrase

kHz 6 - -

4

2 - - -

G. THIELCKE & M. KROME

I

j . Orn . 13o

o*

' t , 1

I l S

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: V ~!~..i.i.i.{.~i~i~i~i~i~iiiiii~!~i~i~!i!~!iiii~i~i~i~ii~i~i~iii~!~i~i~!~!ii~!~!i!~i~i~ii~i~i~i!ii~ ~ "%?<:~ ............. ~i~iZ::' 6

b ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: .................... ::::~:~.::::::::~*!ii~i~i~i~i!i#~i~Z~#~#:~!~iiii!i!{ii!ii!~ii~iii~i~!:i:~:i.:.. 5

:::::::::::::::::::::::: . . . . . . . . . . . . . :::::::::::'~ .: ....... :':':~////.///~ 6

Abb. 7a. Vom 15. 3. 88 bis 14. 3. 88 vorgespielte Buchfinken-Strophe und die davon erlernten Strophen yon 5 Buchfinken-c~. b, Im Vergleich zur Vorspielstrophe (V): punktiert: homo]oge Phrase; schraffiert: homologe Phrase mit fehlendem Silbenteil; weii~: nicht homologe oder fehlende Phrase. -- a. Playback song used from 15 March1988 to 13 April 1988, and the song of 5 chaffinch c~, developed from it. b. In comparison to the playback song (V): stippled: homologous section; hatched: homologous section with

parts of syllable missing; white: non-homologous or missing section.

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Heft 4] 1989 J Gesangsvariabilit~it bei Fringilla coelebs 445

cy verschieden sein, z. B. Phrase 1, 2 und 3 der cy T und I, oder gleich sein, z. B. Phrase 4, 5, 6 und 7 (Abb, 5).

Versuchsv6gel

U'bereinstimmungen yon Strophen verschiedener o" fiihren wir auf gleichen Ursprung zuriick und bezeichnen sie als homolog (vgl. RE~,5,x>-e t952, WIc~:LsP, 1961).

kHz 6

4

2

m

m

m

m

, 'I 5 .

4.

]1 2. 5.

II 1 .

11. 7:

1 I I s

Abb. 8.7 Strophen von Versuchsvogel 3, yon der vorgespielten Strophe erlernt (Abb. 7). Weirere intrain- dividuelle Variation s. Abb. 9. -- Seven song types of test bird 3 which he had learned from the playback

song (Fig. 7). For further intraindividual variation see Fig. 9.

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D a b e i wissen w i r be i W i l d v 6 g e l n in d e r Regel n i ch t , w e l c h e r Vogel y o n w e l c h e m ge le rn t hat . Bei unse r en Ver suchsv6ge ln k e n n e n w i r dagegen V o r b i l d u n d Kopie .

Z a h l d e r i i b e r e i n s t i m m e n d e n S i l b e n t y p e n : cy 10 ha t in se ine r S t r o p h e a 5 y o n 6 Sil- b e n t y p e n de r V o r s p i e l s t r o p h e 1 k o p i e r t u n d in se ine r S t r o p h e b 3 y o n 6 ( A b b . 6). ce 5 u n d 6 h a b e n alle 5 S i l b e n t y p e n de r V o r s p i e l s t r o p h e 2 e r l e rn t , ce 3 drei , cy 1 v ie r u n d cy 6 sechs (Abb . 7). cy 3 sang in 28 S t r o p h e n , die v o m 5 .4 . bis 1 1 . 7 . 8 8 a u f g e n o m - m e n w u r d e n , Phrase 4 10mal u n d 18mal n i c h t u n d Phrase 5 z w e i m a l , e i n m a l andeu- t ungswe i se (16. 6.) u n d 2 5 m a l n i c h t ( A b b . 8, 9).

W e l c h e S i l b e n t y p e n w u r d e n e r l e rn t? D i e S i l b e n t y p e n d e r Phrase 1 win 'de y o n 5 cy e r t e rn t , Phrase 2 y o n 4 cy, Ph ra se 3 v o n 5 cy, Phrase 4 y o n 4 cy u n d Phrase 5 y o n 2 ce ( a b b . 7).

Z a h l de r S i lben p r o Phrase : D i e Z a h l d e r S i lben p r o Phrase w i r d z. T. genau k o p i e r t , z. T. va r i i e r t sie gegen i ibe r d e m V o r b i l d ( A b b . 6, 7). Dasse lbe I n d i v i d u u m ( A b b . 8) vari-

, ' Z ' : < . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . %,,,, . . . .

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i:i:i:i:i:i:i i:::i!iiiiiiiiiii?i!iii!i#!ii!i)i!!i!!!iii?ii:iiiiiiiiilli!iii!iiii iiii!ii!i!i#;!!i!!!i 11.7.

Abb. 9. Intraindividuelle Variation der Strophen yon Versuchsvogel 3 im Vergleich zu der Vorspielstro- phe. Die vollst~ndige Strophe sang c~ 3 nut dreimal.Vom 24. 6. an konncen alle Versuchsv6gel alle ande- ren h6ren (Pfeil). Die mit einem x markierten Strophen sind in Abb. 8 im Sonagramm dargestdlt. - - IntraindividuaI variation of songs of test bird 3 in comparison to the playback song. ~ 3 sang the com- plete song only 3 times. From 24 June the test birds could hear each other sing (arrow). Sonagrams of

songs marked by x are shown in Fig. 8.

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Heft 4 ] 1989 J Gesangsvariabilit~it bei Fringilla coetebs 447

iert die Zahl der Silben pro Strophe ~hnlich wie es Witdv6gel tun (SLATER & INCE 1979), w'~hrend die vorgespielte Strophe immer dieselbe war.

Tonh6henverlauf der Silben: Die einzelnen Silben wurden verschieden genau kopiert, z. B. hat cr 6 die Phrasen 1 bis 4 gut und Phrase 5 nicht so gut erlernt (Abb. 7). c~ 10 kopierte in seinem Strophentyp b Phrase 5 gut und im Typ a dieselbe Phrase weniger gut.

Zahl der aus einer vorgespielten Strophe entwickelten Strophentypen: Die 6 Ver- suchsv6gel, die w'~hrend der ersten und zweiten Vorspielphase Gesang erlernten, ent- wickelten daraus verschieden vide Strophentypen: 4 cr machten daraus einen Typ, 1 o' zwei Typen (Abb. 6) und 1 o" drei Typen (Tab. 1). Das o', das zwei Typen ent- wick&e, verftigte tiber ftinf zuvor erlernte Strophen, w~rend das o', das aus dem Vor- bild drei Strophentypen entwickelte, zuvor keine Strophe erlernt hatte.

Lernerfolg im Versuch und Zahl vorher erlernter Strophentypen: Die 5 Versuchs- v6gel, die w'~hrend der zweiten Vorspielphase die vorgespielte Strophe kopierten, hat- ten bereits in ihrem ersten Sommer z. T. verschieden vide Strophentypen erlernt: Ein cy verfiigte tiber keinen Strophentyp, 3 cy tiber zwei und 1 cy tiber 5 Strophentypen. Die 5 Versuchsv6gel, die w~ihrend der zweiten Vorspielphase nichts lernten oder nut imitierten, w~ihrend sie plastisch sangen, hatten zuvor z. T. verschieden vide Strophen- typen erlernt: 2 ce verfiigten tiber zwei Strophentypen, 1 ce tiber vier, 1 ct tiber ftinf und 1 cy tiber sieben (Tab.).

4. Diskussion

4.1. Sensible Lernphasen

PEP, NAU (1768) postulierte beim Buchfinken bereits zwei sensible Lernphasen, eine vor der Jugendmauser, die in der Regel im August endet, und eine, die yon Februar bis M~irz reicht. Er schlof~ diese Aussagen aus seinen Experimenten mit artfremden Vors~ingern.

Erste Lernphase: 9 unserer 10 Versuchsv6gel hatten in ihrem Repertoire Wild- strophen, die sie nur vor ihrem Fang im August/September erlernt haben konnten. Diese Strophen unterscheiden sich in nichts yon Wildstrophen. In ihrem ersten Som- met erlernten die jungen Buchfinken bereits Dialekte, also z. B. mit an&ten Indivi- duen iibereinstimmende Phrasen oder (fast) ganze Strophentypen (Abb. 4). Diese tibereinstimmenden Strophen kgnnen die jungen Buchfinken nicht voneinander erlernt haben, weil junge Buchfinken in ihrem ersten Sommer nicht singen und yon Anfang Oktober an einzeln isoliert waren. Sie miissen vielmehr von adulten Artgenos- sen kopiert haben.

THOaPE (1958) hatte das Erlernen ,perfekter" Strophen im ersten Sommer verneint. Er meinte, die feinen Details wiirden w'~ihrend der zweiten Lernphase dazugelernt: "Nor is there any evidence that the song-learning capacit T of the bird has been satiated, since it matters not whether the bird has already learned one song or half a dozen in its first season."

SLA'rER & INCE (1982) brachten einem jungen Buchfinken dagegen eine im Juni/Juli

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vorgespielte Buchfinkenstrophe bei, yon der alle drei Phrasen einschliet~lich lD-ber- schlag gut erlernt wurden. Dies ist beim Buchfinken bisher der einzige experimentelle Nachweis, der auf Vorspielen beruht. Die Ergebnisse yon sechs unserer Versuchsvagei bestStigen jene yon SLATER ~x~ INCE. THORPES (1958) Befunde stehen dazu u. E. nur scheinbar im Widerspruch. Er hatte aufgrund seiner umfassenden Studien folgendes geschlossen:

Ein Buchfink kann in seinem ersten Sommer gewisse artgem~if~e Eigenheiten seines Gesanges erlernen. Ein guter Tell des Gesanglernens kann also im friihen Alter statt- finden. Indessen werden die feinen Details nicht erlernt, bevor der Vogel zu Anfang seines zweiten Lebensjahres einige x~rochen Jugendgesang gesungen und begonnen hat, ein Revier zu etablieren. W~ihrend dieser Zeit erlernt er sehr schnell die feinen Details yon zwei, drei oder mehr Strophentypen yon benachbarten cy.

Diese Aussagen stiitzen sich auf Herbstf~inglinge yon jungen Buchfinken, die in Gruppen gehalten wurden. THORPE kommentierte deren Gesang wie folgt: Sie haben gelernt, dab die Strophe in drei Phrasen unterteilt werden ,sollte" und dab ein U-ber- schlag ans Ende geh6rt. Nach unserer Meinung sind die yon THORPE abgebildeten Strophen 44--56 Wildstrophen. Dasselbe nehmen wir von cy 6 an, einem Herbstf~ing- ling, den KLING & STEVENSON-HINDE (1977) im Friihjahr mk festosteron zum Singen brachten. Sie ha]ten dagegen einen Einflut~ der im Friihjahr vorgespielten Strophe auf die Qualit~t des Gesangs dieses Vogels fiir m6glich. "It thus remains possible that with the present autumn-caught males and females, the patterning of the reinforcer song, into segments of repeated units ending with a flourish, was imitated to some extent." Unsere Versuchsv6gel scheinen zum Tell ihr ganzes Repertoire in ihrem ersten Som- mer erlernt zu haben, denn 4 V6gel erlernten zu Beginn ihres zweiten Lebensjahres die Vorspielstrophe nicht oder imitierten sie nur in ihrer plastischen Phase. Denkbar w~re alterdings auch eine andere Deutung: Ftir diese Buchfinken war die vom Tonband monoton vorgespielte Strophe ftirs Lernen weniger attraktiv als eine eines lebenden Vors~ngers gewesen w~ire. Vom Buchfinken gibt es dartiber bisher keine Befunde, wohl abet yon anderen Arten (Dachsammer Zonotrichia leucophrys nuttalli: BAPTISTA & PETRINOVICH 1984, Gartenbauml~iufer Certhia brachydactyla: THIELCKE 1984).

Zweite Lernphase: Nut einer von 10 Versuchsvageln benutzte die im Dezem- ber/Januar vorgespielte Strophe als Vorbild (Abb. 6). Dagegen kopierten im M~irz/ April 5 derselben Versuchsvagel das Vorbild (Abb. 7), und z:wei weitere imitierten es im plastischen Gesang. Wit fotgerten daraus, dab Jungv6gel im Dezember/Januar nur ausnahmsweise lernbereit sind, w~hrend im Miirz/April die Lernbereitschaft grog ist.

PERNAU (1768) lie~ seine Buchfinken yon Februar bis April artfremden Gesang erlernen. THORPE (1958) wies Lernen in der Zeit zwischen Januar und Ende April an einem Vogel nach. Fi'lr ein yon SLATER & INCE (1982) aufgezogenes cY geniigte die Zeit vom 1.--t0. 3. und ll. 3.--21.3. zum Erlernen yon je einer Strophe, w'Shrend dasselbe cy eine yore 12.--28. 2. angebotene Strophe nicht kopierte Bis auf cy 8 batten alle Versuchsvagel bereits Wildstrophen in ihrem ersten Sommer erlernt (Tab.). cr 8 und sieben weitere cy lernten (auch) in ihrer zweiten Lernphase zu Beginn ihrer ersten Fortpflanzungszeit.

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Eieft 4 ] 1989 J Gesangsvariabilit~t bei Fringilla coelebs 449

Daft junge Buchfinken ohne erlemten Gesang ins zweite Lebensjahr kommen, hatte schon PERN~U (1768) angenommen. Sie stammen vermutlich aus Sp~itbruten, die erst nach Abschlufl der Gesangsperiode (BEzzEL t988) lembereit werden. Neu ist dagegen der Befund, daft Junge mit einem Repertoire yon 2--4 in ihrem ersten Sommer erlern- ten Strophen zus~tzlich eine oder zwei Strophentypen ertemen kSnnen.

Le rnphasen insgesamt: Nach Ft~UDE (1984) haben 90% der wildlebenden Buchfinken 2 oder 3 Strophentypen (62 bzw. 28 %) und 10 % 4. Dana& hatten fast alle unserer Versuchsv6gel nach ihrem ersten Sommer komplette oder fast komplette Repertoires (Tab.). Buchfinken aus Sp~tbruten haben abet nut geringe oder gar keine Chancen, in ihrem ersten Sommer arteigenen Gesang zu hSren, o ~ 8 dhrfte ein solcher Vogel sein. Ohne die M6glichkeit, im n~ichsten FiZihjahr arttypische Strophen zu erlernen, verfiigen sie nur tiber selbst entwickelten Kaspar-Hauser-Gesang. Damit kSn- nen sie kein 9 anlocken, wie FREUDES (1984) abnorm singende WildvSgel nahelegen. Sie w'firen yon der Fortpflanzung ausgeschlossen.

Das f~he Ende der Gesangszeit machte also im Verlauf der Evolution eine zweite sensible Lernphase notwendig, oder die zweite sensible Lernphase erm6glichte ein f~- hes Ende der Gesangszeit. Die zweite Lernphase be~nstigt zudem diejenigen Jung- vSgeI, die nach Erlernen von Dial&ten ein Revier auflerhatb dieses Dialektgebietes giZinden. Solche V6gel k6nnen zu Beginn der Fortpflanzungszeit hinzulernen und vielleicht sogar nicht dialektkonforme Strophen ~vergessen'. Tats~ichlich scheint Kon- formit~t des Gesangs innerhalb einer Population den Bruterfolg zu begtinstigen (Rot- drossel Turdus iliaca, s: ESPMARK, LAMPE & BJEI<KE 1989). Das Gesangslernen des Buch- finken k6nnte also nach folgenden Szenarien verlaufen:

(1) Der Jungvogel erlernt im ersten Sommer sein komplettes Repertoire in der NShe des Ortes, wo er im n~ichsten Jahr sein Revier grtinden wird. Damit tradiert er ,auto- matisch" die Dialekte seines Ansiedlungsortes. Theoretisch komplette Repertoires hat- ten 9 yon 10 VersuchsvSgeln, wenn man die Zahl ihrer im ersten Sommer erlernten Strophentypen mR der yon WildvSgeln in der DDR vergteicht: Unsere VersuchsvSgel hatten 2 bis 5 Strophen, Wildv6gel 2 bis 4 (FI~ELrDE 1984). Praktisch komplett war das Repertoire yon vier Versuchsv6geln, die im zweiten Lebensjahr die vorgespieke Stro- phe nicht oder nicht dauerhaft tibernommen haben (cy 2, 4, 7 und 9).

(2) Der Jungvogel erlernt im ersten Sommer nichts, welt er erst lernberek ist, nach- dem die Gesangszeit der Altv6gel zu Ende ist. Er lernt zu Beginn seines zweiten Lebensjahres sein Repertoire im Bereich seines Ansiedlungsortes. Fiir dieses Szenarium ist vermutlich Versuchsvogel 8 ein Beispiel. Es wird zus~itzlich dutch Beobachtungen tiber jahreszeitliche Gesangsaktivit~ten gestiitzt (BEzZEL 1988).

(3) Der Jungvogel erlernt im ersten Sommer eine oder mehrere Strophentypen yon einem Oft. Er siedek sich im zweiten Lebensjahr anderswo an. Don iiberwiegen an&re Dialekte Er erlernt diese zus~itzlich. Dieses Szenarium k6nnte das Verhalten yon sechs Versuchsv6geln erkl~iren (ce 1, 3, 5, 6, 8 und t0).

(4) Dieses Szenarium entspricht dem Szenarium (3), jedoch lernt der Jungvogel am neuen Oft nicht. (4) gilt auch fiir cy, die als Altv6gel umsiedeln. Das Auftreten yon

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stark abweichenden Repertoires in einer Population wird auf diese Weise erkl~irt (Buchfink: SLaTSR, INCE & COLCAN 1980, Kohlmeise Parus major: McGREGOR & K~BS 1982).

Le rnphasen bei anderen Ar ten : (1) Manche Arten erlernen ihren Gesang vom Vater (und sekener yon der Mutter) in der Zeit w'~ihrend des Ausfliegens und/oder kurz nach dem Ausfliegen.

(2) Es gibt Arten, die ihren Gesang unabh~ingig yon den Eltern im ersten Sommer erlernen.

(3) An&re Arten k6nnen sowohI im ersten Sommer als auch zu Beginn der ersten Fortpflanzungszeit Gesang erlernen.

(4) Einige Arten k6nnen zeitlebens neue Gesangsteile erlernen.

Die Literatur zu diesem Thema haben KROODStvIA (1982) und ROST (t987) zusammen- geraint.

4.2. Kop ie rgenau igke i t

Es gibt Wildv6geI aus demselben Gebiet, deren Silbentypen bei einzelnen Strophen homolog sin& Diese Strophen fassen wit zu einem Typ zusammen (Abb. 5). An&re Strophen stimmen nut in einem Tell der Silbentypen iiberein. Schliei~lich k6nnen die- selben o" verschiedene Strophentypen haben, deren Silbentypen alle verschieden sind.

Entsprechend ~ihnlich oder un~ihnlich waren Strophen der Versuchsv6gel, die sie yon Wildv6geln in ihrem ersten Sommer erlernt hatten (Abb. 4).

Junge Buchfinken sind also in der Lage, bereits in ihrem ersten Sommer arteigene Strophen in allen Details zu erlernen, obwohl sie die erst im n~ichsten Jahr selbst pro- duzieren. Unsere VorspMversuche haben gegeniiber beschreibenden Vergleichen yon Strophen wildlebender cy mehrere Vorteile: Lehrer und Schiller sind bekannt. Alle Schtiler haben den gemeinsamen Lehrer zur selben Zek (Tage und Stunden gleich oft und gleich laut geh6rt. Das Vorbild war immer dieselbe Strophe

Daraus ergeben sich folgende Feststellungen fiir das Zustandekommen interindivi- dueller Variationen: (1) Es k6nnen alle Silbentypen des Vorbilds kopiert werden oder (2) nur ein Tell der Sitbentypen. (3) Verschiedene cy k6nnen verschiedene Teile der Strophe erlernen. (4) Das Vorbild wird nie ganz genau kopiert. (5) Die Zahl der Silben pro Strophe wird nicht immer genau iibernommen. Die intraindividuelle Variation entsteht durch (6) die Entwicklung mehrerer Strophentypen aus einem Vorbild. (7) Die Zahl der Silben pro Phrase kann variiert werden, wie SLATER & INCE (1980) an zwei handaufgezogenen V6geln ebenfalls festgesteItt haben.

4.3. Repertoiregr6t~e 9 von 10 Versuchsv6geln haben in ihrem ersten Sommer bereits Repertoiregr6t~en

erlernt, die denen yon Wildv6geln in der DDR entsprechen (FREuDe 1984) oder dar- tiber liegen (drei ce mit 5 Strophentypen). Dennoch lernten zwei dieser ce mit 5

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Heft 4 ] 1989 I Gesangsvariabilit~it bei Fringilta coelebs 451

Typen noch einen bzw. zwei Strophentypen dazu. M6glicherweise singen solche cy sp~iter nicht mehr alle ihre erlernten Strophen.

Nach den Versuchen PEe, NaUS (1768) ist die Zahl erlernbarer Strophentypen beim Buchfinken vermutlich angeboren. KROOI)SMA & CANADY (1985) konnten dies an ver- schiedenen Populationen des Sumpfzaunk6nigs (Cistothorus palustris) experimentell best~itigen. Wie vide Strophentypen ein Buchfink erlernt, scheint aber auch vom Angebot abzuh~ngen, denn PERNAU stellte experimentell Einschaller her, deren Vor- s~inger nur einen Strophentyp beherrschten.

Damit kann ein Vorbild, das immer wieder stereotyp dargeboten wird, einen erheb- lichen Tell der interindividuellen und inwaindividuellen Variation verursachen, die wir yon Wildpopulationen kennen (SLATER & tNCE 1979, SEATER, CLEMENTS & GOODFE> LOW 1983, FI~UDt t984). Wildv6gel erlernen ihr gesamtes Repertoire jedoch wahr- scheinlich nicht nur yon einem aduken cy sondern yon mehreren. Si.ATER, INCe & COLGAN (1980) schlief~en dies aus verschiedenen ]qhnlichkeitstests.

Zusammenfassung 10 5unge Buchfinken wurden Ende August/Anfang September an drei Orten in Siiddeutsch-

land gefangen und vom 8. Oktober an einzeln schallisoliert gehaken. 9 batten vor ihrem Fang Gesang yon witden Artgenosen erlernt, und zwar 2--5 Strophentypen (Abb. 1). Dies ent- spricht nach FREUDE (1984) der Zahl yon Strophentypen yon Wildv6geln in der DDR. Die Quatit~it der im ersten Sommer erlernten Strophen stimmte mindestens in fi~nf Eigenheiten mehr mit Wildstrophen tiberein als mit Kaspar-Hauser-Strophen: (1) Sie waren streng in Phra- sen gegliedert. (2) Der {)berschlag bestand aus einer oder mehreren sehr komplexen Silben. (3) Viele Silben reichten tiber einen weiten Tonh6henbereich. (4) Der Tonh6henverlauf einer Silbe wechseIte h{iufig mehrmals abrupt. (5) Bei Wildv6geIn welt verbreitete Silbentypen kamen auch bei Versuchsv6getn vor (Abb. 4, 5). Einer der 10 juv. Versuchsv6gel erlernte eine yore 18. 12. bis 16. 1. vom Tonband vorgespieke Buchfinkenstrophe 7 erlernten vom 15. 3. bis 13.4. eine yore Tonband vorgespielte Buehfinkenstrophe (Abb. 5). Zwei davon sangen diese Strophe nur w~ihrend der Zeit, in der sie plastisch sangen. Versuchsv6gel, die w~ihrend der zweiten -vbrspielphase Gesang erlernten, kopierten alle 5, 4 bzw. 3 Silbentypen des Vorbilds. Von verschiedenen cy wurden z. T. verschiedene Silbentypen erlernt (Abb. 7). Die Zahl der Silbentypen pro Strophe wurde z. T. genau, z. T. weniger genau imkiert (Abb. 7). Derselbe Versuchsvogel variierte die Zahl der Silben pro Phrase ~ihnlich wie Wildv6gel (Abb. 8). Der Tonh6henverlauf erlernter Silben war mindestens in kleinen Details vom Vorbild verschieden (Abb. 7). Zwei cy, die 5 Strophentypen in ihrem ersten Sommer erlernt hatten, kopierten zus~itzlich eine der vorgespielten Strophen. Eines dieser cy entwickelte aus dem Vorbild sogar zwei Strophentypen. Dagegen erlernten zwei ce mit zwei Strophentypen aus ihrem ersten Sommer w~ihrend der Vorspielzeiten keinen neuen Strophentyp. Dieselbe Strophe kann Vor- bild fiir ein bis drei Strophentypen eines Vogels sein.

Fiir junge Buchfinken nehmen wir folgende Akernativen ftir Gesangslernen an: (I) Der Jungvogel erlernt im ersten Sommer sein komplettes Repertoire in dem Bereich, wo er sich im folgenden Jahr ansiedeln wird.

(2) Der Jungvogel erlernt im ersten Sommer nichts, well die Gesangszeit der alten cy endete, bevor er Gesang erlernen konnte. Er lernt sein ganzes Repertoire im zweiten Lebensjahr im Bereich seiner Ansiedlung.

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(3) Der Jungvogel erlernt in seinem ersten Sommer eine oder mehrere Strophentypen an einem Ort. Im zweiten Lebensjahr siedelt er sich an einem anderen Oft an, wo an&re Dialekte tiberwiegen. Dort erlernt er weitere Strophentypen.

(4) Der Jungvogei verh~ilt sich wie bei der Alternative (3), er lernt am neuen Oft aber nichts.

Summary E x p e r i m e n t s on sens i t ive phases and song v a r i a t i o n in the C h a f f i n c h

(Fringit& codebs). 10 young chaffinches, wild-caught at the end of August/beginning of September from three

areas of Southern Germany, were kept isolated in sound-proof chambers from 8 October. 9 of these birds had learned songs from wild conspecifics before being caught and were singing 2 to 4 song types (Fig. 1). This corresponds well to the number of song types FREUDE (1984) established for wild chaffinches in East Germany, which were found to sing 2 to 4 song types. The quality of the songs learned during their first summer was more similar to songs of wild birds than to handreared "Kaspar Hauser" birds in at least 5 aspects:

(1) The songs were strictly divided into phrases. (2) The end 'flourish' consisted of one or several complex syllables. (3) Many of the syllables covered a wide frequency range. (4) The frequency course of a syllable often showed abrupt changes. (5) Syllable types common among wild birds could also be found in the test birds (Fig. 4, 5).

One o f 10 juvenile test birds learned a conspecific song played back from 18 December to 16 January. 7 birds learned a song played back from 15 March to 13 April (Fig. 5). Two birds sang the playback song during plastic song phase only.

Test birds which had learned songs during the second playback period, copied all of the 5, 4 or 3 syllable types of the playback song. Some of the males learned several syllable types (Fig. 7). The number of syllable types per song was exactly copied in some cases, but less ac- curately in others (Fig. 7). Test birds varied the number of syllables in their phrases as much as wild birds (Fig. 8). The frequency course of learned syllables showed, at least in some respects, small deviations from the playback song (Fig. 7). Two males which had learned five song types during their firs~ summer, were found to copy an additional playback song. One of them developed even two song types from the same playback song. Two other birds with two song types from their first summer, however, did not learn any additional song types dur- ing the playback trials. An identical song can serve as model for one to three different song types for a bird.

The following alternatives of song learning are proposed for chaffinches.

(1) The juvenile learns his complete repertoire in his first summer, in the area where he will settle in the following ),ear.

(2) The juvenile does not learn during the first summer, if singing activity of adult males has diminished before song learning could have taken place. The bird will learn his repertoire in his second year, where he will settle.

(3) The juvenile learns one or several song types from one area during his first summer. In his second year he will settle at a different site where other dialect types prevail. He will learn several of these song types.

(4) The juvenile behaves as in (3), but does not learn any new song types in his second year.

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Heft 4] 1989 J Gesangsvariabilitiit bei Fringilla coelebs 453

Literatur

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Anschriften der Verfasser: Vogelwarte, Am Obstberg, D-7760 Radolfzell-M6ggingen.