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(Aus der Chirurgischen Universit~itsldinik Berlin. -- A. Bier.) Experimentelle Erzeugung einer Disposition zum Teerkrebs an Tieren~). Yon Stephan Beek~ Assistent der Klinik. (Eingegangen am 30. Oktober 1926.) M. H. ! Ich m6ehte fiber die Ergebnisse meiner Teerkrebsuntersuchungen berichten, die ich in einem Zeitraum von nahezu 5 Jahren an der chirurgi- schen Universit~tsklinik Berlin an einem Material yon fiber 2000 M~usen und nahezu 400 Kaninchen durchgefiihrt habe. Teilcrgebnisse habe ich 1923 in der Hufelandgesellsehaft, 1924 in der Berliner Gesellschaft fiir Chirurgie, 1926 auf dem Internisten-K:ongrel~ in Wiesbaden vorgetragen. Die Arbeiten begannen mit einer Naehpriifung der Pinselversuche. Ich darf mir die Literaturangaben wohl erlassen, da die mir zur Verfiigung stehende Sprechzeit allein dafiir nicht ausreiehen wiirde und weil ich von einem Auditorium von Krcbsforschern die genaueste Kenntnis der Litera- tur voraussetzen darf. Zun~iehst lernten wir -- ich wurde in diesen Versu- chen von Dr. v. Witzleben und Dr. Rothschild unterstiitzt -- die groBe Gift- wirkung des Teeres, insbesondere des Teeres der Berliner Gaswerke auf die Tiere kennen. Wir umgingen das zunSchst durch Einschleichen und fingen die Pinselung mit stark verdiinntem Teer an. Wit suhen aber bei Berliner Gaswerkteer nur in ca. 40 ~/o Epitheliomc und nur in vereinzelten F~illen nach 9--11 Monaten pathologisch-~natomisch einwandfreie Cureinome. In der Zwischenzeit benutzten wir aber nach dem Vorgang anderer Autoren (Bloch, Teutschlgnder) wirksamere Teerprodukte, und zwar aus neutralem Horizontal-Retortenteer, die Fraktionen yon 370440 ~ und dem pechartigen in 01 gelSsten Rtickstand. Damit warcn zwei grol~e Vorteile gewonnen: einmal ging die Krebsbildung sehr vial raseher, wir erzielten durchschnittlieh nach 7--11 Wochen Epitheliome und0 weehselnd naeh 4--7 Monaten Carcinome, mit h~ufigen Lymphdrtisen- metastasen und Lungenmetastasen in 220+/o. 1-{echnet man nut die den 4. Monat iiberlebenden Tiere, so erzielten wir in ca. 92~o Carcinome, rechnet man die den 6. Monat fiberlebenden, so erreichten wir ca. 96O/o . Der zweite Vorteil liegt darin, daft diese Teerprodukte, aus denen S~uren, Basen und Phenole chemisch entfernt sind, eine sehr viel geringere Giftigkeit haben als der Vollteer. Infolge- 1) Vortrag, gehalten auf dcr Konfcrcnz des Deutschcn Zentralkomitees zur Erforschung und Bek/~mt)fung der Krebskrankheit am 24. und-25. September 1926 in Diisseldorf.

Experimentelle Erzeugung einer Disposition zum Teerkrebs an Tieren

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(Aus der Chirurgischen Universit~itsldinik Berlin. - - A. Bier.)

Experimentelle Erzeugung einer Disposition zum Teerkrebs an Tieren~).

Y o n

Stephan Beek~ Assistent der Klinik.

(Eingegangen am 30. Oktober 1926.)

M. H. ! Ich m6ehte fiber die Ergebnisse meiner Teerkrebsuntersuchungen berichten, die ich in einem Zeitraum von nahezu 5 Jahren an der chirurgi- schen Universit~tsklinik Berlin an einem Material yon fiber 2000 M~usen und nahezu 400 Kaninchen durchgefiihrt habe. Teilcrgebnisse habe ich 1923 in der Hufelandgesellsehaft, 1924 in der Berliner Gesellschaft fiir Chirurgie, 1926 auf dem Internisten-K:ongrel~ in Wiesbaden vorgetragen.

Die Arbeiten begannen mit einer Naehpriifung der Pinselversuche. Ich darf mir die Literaturangaben wohl erlassen, da die mir zur Verfiigung stehende Sprechzeit allein dafiir nicht ausreiehen wiirde und weil ich von einem Auditorium von Krcbsforschern die genaueste Kenntnis der Litera- tur voraussetzen darf. Zun~iehst lernten wir - - ich wurde in diesen Versu- chen von Dr. v. Wi tz leben und Dr. Rothschi ld unterstiitzt - - die groBe Gift- wirkung des Teeres, insbesondere des Teeres der Berliner Gaswerke auf die Tiere kennen. Wir umgingen das zunSchst durch Einschleichen und fingen die Pinselung mit stark verdiinntem Teer an. Wit suhen aber bei Berliner Gaswerkteer nur in ca. 40 ~/o Epitheliomc und nur in vereinzelten F~illen nach 9--11 Monaten pathologisch-~natomisch einwandfreie Cureinome.

In der Zwischenzeit benutzten wir aber nach dem Vorgang anderer Autoren (Bloch, Teutschlgnder) wirksamere Teerprodukte, und zwar aus neutralem Horizontal-Retortenteer, die Fraktionen yon 3 7 0 4 4 0 ~ und dem pechartigen in 01 gelSsten Rtickstand. Damit warcn zwei grol~e Vorteile gewonnen: einmal ging die Krebsbildung sehr vial raseher, wir erzielten durchschnittlieh nach 7--11 Wochen Epitheliome und0 weehselnd naeh 4--7 Monaten Carcinome, mit h~ufigen Lymphdrtisen- metastasen und Lungenmetastasen in 220+/o.

1-{echnet man nut die den 4. Monat iiberlebenden Tiere, so erzielten wir in ca. 92~o Carcinome, rechnet man die den 6. Monat fiberlebenden, so erreichten wir ca. 96O/o . Der zweite Vorteil liegt darin, daft diese Teerprodukte, aus denen S~uren, Basen und Phenole chemisch entfernt sind, eine sehr viel geringere Giftigkeit haben als der Vollteer. Infolge-

1) Vortrag, gehalten auf dcr Konfcrcnz des Deutschcn Zentralkomitees zur Erforschung und Bek/~mt)fung der Krebskrankheit am 24. und-25. September 1926 in Diisseldorf.

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dessen war aueh die Sterblichkeit w~hrend der Dauer der Pinselung sehr viel geringer, und nahezu ~/~ aller angesetzten Tiere fiberlebten den 4. Monat . Beriicksichtigt man die Gesamtzahl der angesetzten Tiere ol/ne Riicksicht auf ihre Sterbliehkeit, so hat ten wit eine Carcinom- ausbeute yon fast 61%. Es scheint mir yon Wichtigkeit, darauf hinzu- weisen, dab diese absolute Zahl, der in der Li teratur meist mehr Be- deutung zugeschrieben wird, als der relativen (also der Prozentzahl der iiberlebenden Tiere), doch wohl nicht so sehr maBgebend ist auf die Frage, ob der Teerreiz grunds~tzlich in allen Fhllen Carcinome zu erzeugen imstande ist oder nur bei besonderen konstitutionellen Vorbedingungen. Die absolute Zahl zeigt in erster Linie an, wieviel Tiere in den ersten Monaten vor der Entstehungsm6glichkeit des Carci- noms gestorben sind, also wie das Tiermaterial war und ob man mit hoch- oder weniger giftigem Teer gearbeitet hat.

Wir sind der Frage nach dem spezifischen Agens im Teer naeh- gegangen, glauben abet die Anschauung yon einem carcinogenen Stoff im Teer nicht stfitzen zu k6nnen.

Wir verwandten, wie schon gesagt, neutralen Teer, der yon allen S~uren und Basen befreit war, erreichten aber auch stark atypisehe Epithelwueherungen, mit den S~iuren allein und mit den Basen allein. Wit erzielten das gleiehe sowohl mit den aromatischen als auch den hydroaromatischen Bestandteilen des Teeres. In alien diesen Produkten miiBte also das gleiche Agens sein, was bei der aussehlieBlichen Ver- schiedenheit der sauren, basisehen, neutralen, aromatischen und hydro- aromatischen Bestandteile chemisch nur sehr schwer vorsteUbar ist, zumal wit mit Sicherheit sagen k6nnen, dab die yon uns verwendeten Pr~parate, die Dr. Matlison yon den Riitgerswerken Charlottenburg fiir uns hergestellt hat, frei yon Arsen und yon radioaktiven Substanzen sind.

Allerdings haben wir die Wirkung der aufgez~hlten Teilprodukte erst auf atypisches Epithelwachstum gepriift und brauchen noch einige Monate geit, bis wir sehen k6nnen, ob sie auch echte Carcinome geben, dann erst will ich endgiiltig zu der Frage Stellung nehmen, ob es sich bei dem Teercarcinom um die Wirkung eines bestimmten carcinogenen Stoffes oder um einen unspezifischen Reiz im Sinne Virchows handel,, der eben zusammen mit der Reaktion des Organismus einen Reizzustand sehafft, der fiir die Krebsentstehung spezifischist. Unterstfitzend zur Teer- pinselung haben wir bei einzelnen Versuchsreihen scarifiziert oder Ver- brennungen gesetzt, aueh intensiv mit der Quarzlampe bestrahlt und da- bei etwas raschere Epitheliom- und vor allem Careinombildungen gesehen.

Wir befinden uns mit diesen Ergebnissen woM im Einklang mit fast allen Autoren, wir kSnnen aueh best~tigen, dab bis zu einem gewissen Zeit- punkt, der bei den einzelnen Tieren verschieden ist, die Vorstadien, ein- sehliel]lieh der Epitheliome, sich nach Aufh6ren din. Pinselung zuriickbil-

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den, w~hrend nach ~berschrei ten dieses Zeitpunk~es, ~ nach AufhSren der Pinselung. das hemmungslose dcstruierende Wachstum sich fortsetzt.

Diese Beobachtungen wiirden auch die yon vielen Autoren experi- mentell gestiitzte Auffassung wahrscheinlich machen, dab nicht der lokale Teerreiz, sondern eine allgemeine Disposition infolge Teer- vergif tung des ganzcn KSrpers die letzte Ursache des Teerkrebses ist. Wi t k6nnen die Mertensche Beobachtung aber nur mi t der Beschr~nkung best~tigen, dab sie in schon relativ vorgeschrittenen Stadien zwischen 3 . und 4. Monat Gfiltigkeit hat. Es erschein~ uns zweffelhaft, ob sich die Epi$hellome in diesem Stadium nicht a u c h ohne Weiterpinselung am anderen Orte zu Carcinomen entwickelt h~tten.

Wir haben sodann den Zusammenhang zwischen entzfindungs, und krebsbildenden Reizen am Teercarcinom untersuch~. In einigen Reihen haben wit neben den anf~nglichen atypischen Epithelwucherungen mehr oder wcniger starke Entziindungserscheinnngen mi t kleinzelliger Infil tration, kleinen Blutungen und selbst kleinen sterilen Abscessen wahrgenommen.

Bei genauem ZUsehen ergab sich, da] diese entztindliehen l~ebenerscheinungen yon der Reizkomponente des gerade verwandten Teeres abhangig sind. Sie waren ganz besonders stark bei den Basen, auch sehr heftig bei den S~uren und dann mit Abstand bei den hydroaromatischen Bestandteflen. Bei den hochsiedenden neutralen Bestandteilen dagegen sehr gering. Bei den zuletzt Verwendeten ganz besonders pr~parierten neutralen und weitgehend entgifteten Teer war auch mikroskopisch keinerlei Anzeichen yon Entziindung mehr nachweisbar. Wit kommen also zu dem Ergebnis, dal3 zur Entstehung des Teercarcinoms ein Mit- spiel yon Entzfindung erregenden Reizen nicht notwendig ist. I)as hat natfirlich nichts damit zu tun, dab ausgepragte oder gar zerfallende Tumoren sekund~re Entzfindung ihrer Umgebung hervorrufen.

Die Entziindung spiel~ b c i d e r Entwicklung des Carcinoms doch noch eine l%olle: n~mlich als f6rderndes oder hemmendes Moment, j e nach ihrem Grad, d. h. nach der GewebszerstSrung, die sie hcrvorruft.

Ausgehend yon der Erfahrung, da~ man sowohl mi t basischen Ms mi~ sauren, als mi t neutralen Teeren Tumoren erzeugen kann, haben wir die Nebenwirkungen der sauren und basischen Teere n~her unter- sucht. Dabei fiel in erster Linie auf, da[~ beide neben der Anregung des Epithels zu Wucherungen starke ]~ntziindungserscheinungen machen, die basischen mi t einer vorwicgenden Neigung zu l~ekrosen. Als Endeffekt zeigte sich, dal~ nach monatelanger Behandiung die Aus- beute an echtem Krebs mit dem neutralen Teer weitaus die beste war. Hingegen ging die anfiingliche Epithelwucherung unter dem EinfluB des entzfindlichen Reizes sowohl bei den basischen wie be i den sauren Komponenten rascher vonsta t ten Ms bei der ncutralen.

Die entziindlichen Erscheinungen bes~anden in ldeinzelliger Infiltration bis zu sterilen Abseessen, serSsen und fibrin6sen Ergfissen, oftmals auch Blutungen, und zum Tel/eben auch in Nekrosea. Die Diehte der anfangliehen Epi~helwuehe-

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rungen iiberbo~ in den entziindliehen F~llen die der neutralen oft um das Drei- bis Vierfache. An den Grenzen der Blur- oder serSsen Ergiisse und an den Grenzen der Nekrosen stieg das Epithel in dichten Zapfen sehon in 8--10 Tagen bis weit hinter in die Muskulatur und umwuehs dort den ErguB oder Nekroseherd. Prof. Koch, dem die Pr~parate vorgelegen haben, ~uBerte, dab er den Eindruek habe, als ob das Epithel durch Umwachsung des entziindeten Herdes diesen nach auBen eliminieren wolle; dabei war aber das Epithel gegeniiber der normalen Epitheldecke durch den Teerreiz stark verdiekt und die Zellen blasig aufgetrieben. Hier besteht also ein unbedingter Zusammenhang zwischen der Regeneration in der Umgebung entziindlicher Hcrde und dcm Tumorwachstum.

An einzelnen Stellen, wo vorgesehobene Epithelzapfen in den entziindlichen Herd hineirLragten, hatte man geradezu den ]~indruck, als ob sie einen Teil ihrer Aufbaustoffe aus jenem Material bez6gen, somit also die erste Stufe zum ver- ~nder~en Stoffweehsel und zur BSsartigkei~ erreicht h~tten.

U m nun den Nachweis zu ffihren, dab diese Verh~Itnisse nicht etwa Eigenart der sauren oder basisehen Teerreize sind, sondern dal3 sie all. gemeine Giiltigkeit haben fiir das Zusammentreffen yon entziindlichen und krebserregenden Reizen, haben wir neben der Pinselung oder In- jektion yon neutralem Teer die versehiedenartigsten entzfindlichen Reize gesetzt. Wir haben ultraviolet t bestrahlt, Serum-Fremd- und Eigenblut- injektionen gemaeht, rote BlutkSrperchen in TeerS1 aufgesehwemmt, injiziert und dabei i n allen F~tllen die gleiehen vorher besehriebenen Erscheinungen gesehen.

Bei dem Zusammentreffen yon entzfindliehen und krebserregenden Reizen fSrdert also ein bestehender Entziindungszustand, wenigstens in dem yon uns beobachteten ersten Stadien und bei den starken Ent- ziindungsgraden die Krebsbildung. Leider konnten wir die Einwirkung des Entzfindungsreizes auf die Sp~tstadien aus teehnischen Griinden nicht mi t der gleichen Exakthe i t studieren; die Frage, ob eine beglei- tende Entziindung, z. B. den Zei tpunkt des BSsartigwerdens beeinflul~t, soll noeh einer sp~teren Untersuchung vorbehalten bleiben.

Aber wie sehon erw~hnt, ist ein chronisch entziindlicher Reizzustand nicht Vorbedingung fiir die Krebsentwieklung.

Von praktischer Bedeutung ist aber die Frage, der Heilsamkeit dieser Entziindung. Wird doeh die Anfachung einer Entziindung in der Umgebung des Tumors oder naeh der Operation in der Umgebung des Operationsfeldes vielfaeh als ein Heilungs- und Vorbeugungsfaktor angesproehen. Naeh unseren Untersuchungen ist das nieht der Fall. Danaeh wiirde im Gegenteil das Waehstum zuriickgebliebener Keime du reh die Entziindung gef6rdert werden.

Wir hal ten es nun ffir sehr wahrscheinlieh, dab der Grad der entziind- lichen Erscheinung eine ausschlaggebende Rolle spielt. Relat iv heftige Entz~indungen mi t kleinzelliger Infiltration, mit serSsen oder h~mor- rhagischen Ergiissen oder gar mi t Nekrosen fSrdern das beginnende Krebswaehstum. Es besteht durchaus die MSglichkeit, da~ ganz gering-

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artige Entzfindungen, die ohne jede Einschmelzung und Gewebezerstfrung mit einer funktionellen St~rkung des Bindegewebes einhergehen, umge- kehrt wirken (Bierich).

In der l~berzahl der Arbeiten hat sich die Teerkrebsforsehung nur mit exakten Untersuchungen zur Lokaldisposition besehaftigt. Zwar werden eine Reihe yon Stimmen daffir laut, da$ aueh der Teerkrebs fiber den Weg einer allgemeinen Disponierung, d.h. dutch eine Um- stimmung des Gesamtorganismus auf Grund der dauernden Teerzufuhr zustande komme. Aber auSer der Beschreibung der Verschleppung des Teeres in den Organismus, der Leber- und Nierenseh~digung usw. yon seiten aller Autoren liegen doeh nur wenige Versuchsordnungen vor, soweit uns bekannt, die fiber die Anordnungen der lokalen Teer- reizungen hinausgehen. Die eine ist die Fortsetzung der begonnenen Pinselnng an einem anderen Orte, yon Mertens und Lipschiitz, wobei am ersten Orte die Geschwulstbildung weiterging. Hierher geh6ren noch die Versuehe von Buschke und JSanger, die Teerinjektionen in das Rectum der Ratte gemacht haben und naeh genfigend langer Zeit Vormagen- ver/~nderungen sahen, welche den mikroskopischen Bildern nach als Geschwulstvorstadien anzusehen sind. Endlich mfissen noeh die Ver- suehe Yon Carrel erw~hnt werden, der neben Injektion yon Embryonal- brei in die Muskulatur Teer in die Geflfigelvene eines Huhnes injizierte, wobei ebenfalls Geschwulstbildung auftra$. In all diesen F/s ging aber neben der allgemeinen Umstimmung des Gesamtorganismus nach Ar~ der Versuchsanordnung eine gleichzeitige Geschwulstbildung einher. Deshalb zeigen die Versuche niemals eine reine Disposition, deren tterstellung und Beschreibung uns von besonderer Bedeutung erschein$.

Der Kliniker sieht keine Krebsdisposition. Bei der ausgebildeten Krank- heir aber werden die Symptome der Disposition dutch die Krebssymptome als Folgen des destruierenden Wachstums, des Eiweii~zerfalles und der Intoxikation vollstKndig iiberdeekt. Deshalb mul~ das Studium der reinen Krebsdisposition dem experimentellen Forscher vorbehalten bleiben.

Die experimentelle Krebsforschung hat sieh, ob sie nun mit Teer, Parasiten, Bakterien oder S~rahlen gearbeitet hat, so gut wie aus- schlief~lieh mit der Krebserzeugung am Orte der lokalen Reizeinwirkung befal~t. Eine reine Disposition, ohne gleichzeitig entstchende Iokale Epitheliom- oder Careinombildung wurde meines Wissens noch nieht experimentell erzeug$ und besehrieben.

Ich habe den Versuch dazu unternommen, indem ieh Kaninehen und Mausen in steigenden Dosen fiber viele Monate hindureh jeden 2. Tag Teer intraven6s injizier$ habe. Dazu war die Erffillung zweier Vorbedingungen notwendig: einmal eine weitgehende Entgiftung des Teeres,otme das seine krebserregende Wirkung darunter leidet/was meinem chemisehen Mitarbeiter, Dr. H. ~Mallison, .Berlin, gelang.

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Zweitens, den Teer in eine intravenSs spritzbare Form zu bringen, zu welchem Zwecke ich eine Emulsion hergestellt habe, deren Teilchen- grSBe die der weiBen BlutkSrperehen nieht fiberschreitet. Mit diesem Pr~parat wurden 75 M~tuse und 160 Kaninchen zum Teil 101/2 Monate lang intravenSs behandelt, ohne dab bei richtiger Dosierung Intoxi- kationen oder Embolien aufgetreten w~ren. Bei einem Teil der Tiere wurde gleichzeitig SeharlaehS1 verffittert.

Es stellte sich nun heraus, dab aueh bei der reinen intravenSsen Anwendung des Teerreizes lokale Manifestationen auftreten kSnnen; so sah ieh z. B. in der Umgebung der Ohrmarke Epitheliome, im Vormagen bei einer ganzen Reihe yon Tieren pr~kanzerSse Zustgnde und ziemlich h~ufig eine ausgepr~gte Papillomatose der Blase. Selbstredend spielen bei diesen lokalen Manifestationen auch sekundi~re lokale Reize eine Rolle. So der meehanisehe Reiz der Marke am Ohr, das ScharlachS1 und wahr- scheinlieh auch eine gewisse Teerausscheidung im Magen und der durch die Nieren ausgesehiedene Teer, der gerade in der Blase l~nger verweilt.

Es gelingt aber durch geeignete Dosierung, und zwar dureh Herab- setzung der Konzentrat ion der Emulsion, daffir abet ti~glich wieder- holter und l~inger fortgesetzter Injektion, alle lokalen Erseheinungen zu vermeiden und dem Tier t rotzdem eine allgemeine Disposition zum Krebs zuzuffihren. Vorsichtig ausgedriickt wollen wit sagen, eine all- gemeine Disposition zum Teereareinom.

Zum Beweis dessen habe ieh eine l~eihe der so vorbehandelten Tiere (38) mit einer gleich groBen Zahl normaler Tiere alle 4- -6 Woehen mit einer intraeutanen Teerquaddel bei jedem Tier immer an der gleichen KSrperstelle geimpft; dabei zeigte sieh nun, dab bei den unvorbehandelten Tieren, die nach 8--15 Tagen nach Setzen der Quaddel auf der HShe befindliehe Epithelwueherung im Verlaufe yon 4- -6 Woehen sieh immer wieder zurfickbildete und daI~ in keinem einzigen der 38 F~lle ein Krebs entstand. I)agegen entstanden bei allen vorbehandelten Tieren solide Tumoren, die naeh 9--11 Monaten in fiber der Hiilfte der F~lle (21) sich durch destruierendes Wachstum als echtes Careinom erwiesen und yon denen 5 mit Lymphdrfisen und Lungenmetastasen einhergingen. Die Pr~Lparate haben unserem frfiheren Prosektor, dem jetzigen patho- logisehen Anatomen von Westend, Prof. Koch, vorgelegen.

Ich habe sodann den ersten Anfang damit gemaeht, die so erhaltene allgemeine Krebsdisposition zu beschreiben.

Die morphologische Untersuchung des Blutbildes ergab auBer einer Lympho- cytose in der 1Yfehrzahl der Falle nichts Einheitliches. Die Differenz der Blutbilder ist vielleicht darauf zurfickzufiihren, dab der gr61]te Tell der Tiere eine Stall- infektion durchgemacht hatte. Durchaus einheitlich fiel dagegen die funktionelle Priifung des Blutbildes aus. Nach Injektion yon verschiedenen ProteinkOrpern war bei den vorbehandelten Tieren ein Leukocytenanstieg nur bis durchschnitt- lich zum 4. Teil des Anstiegs bei normalen Tieren nach der glcichen Injcktion

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zu verzeichnen. Dabei konnte ich bei s~mtlichen vorbehandelten Tieren eine Resis~enzerh6hung dcr roten BlutkOrperchen um 0,02--0,08~ Kochsalz fest~ stellen. Diese beiden Erscheinungen, Verminderung des Leukooytenanstiegs und Resistcnzerh6hung der retort Blutk6rperchen, stehen abet in engstem Zu- sammenhang und besagen, da6 die Entziindungsbereitschaft vermindert ist. Gerade mein Lehrer Bier hat sehon wiederholt darauf hingewiesen, dab zum Bilde der Entziindung der leichte Zeffall der retort Blutk6rperchen, also ihre Resistenz- verminderung ebenso geh6rt, wie die Leukocytenvermehrung,

Diese verringerte Entzfindungbereitschaft bei krebsdisponierten Tieren steht durehaus im Einklang mit der ARersdisposition. Verlaufen doch aueh im Alter die Infekt ionskrankhei ten mi t viol weniger stfirmisehen Entziindungserscheinungen.

Zu dieser Erregbarkei tsminderung gegenfiber entziindliehen Reizen fand sich noch eine bedeutende Parallele, n~mlich in allen l~ l len aueh eine Erregbarkeitsminderung gegenfiber dem Teerreiz selbst. Naeh einigen Monaten konnte den Tieren das 20fache der zu Beginn tSdlichen Teerdosis ohne Schaden intravenSs gespritzt werden. So groB war die Toleranz geworden. Wenn ich such zugeben muB, dab bei sehr vielen Giften eine solche GewShnung eintritt, so scheint sie mir be ide r Krebs- disposition doch von besonderer Bedeutung zu sein. Der sich gleich- bleibende Teerreiz wird n~mlich im Laufe der Zeit ganz verschieden beantwortet . Zun~ehst reagiert das Gewebe nur mi t einer durchaus gutart igen Epithelverdiehtung, Frfihestens naeh mehrwSchentlieher Reizbehandlung entsteht eine bSsartige Geschwulst. Der ~uBere Reiz auf den Organismus ist der gleiehe geblieben, abet die Reizbeantwortung hat sich ge~ndert und das ist nur m6glieh, weil die Reizaufnahme, die Erregbarkei t ffir den betreffenden Reiz sich geandert hat, Naeh meinen Ergebnissen hat sie sieh vermindert ; das steht such durchaus im Einklang mit all den Vorstellungen, die wir fiber das Carcinom haben. KSrpereigen- zellen bekommen im Verlaufe eines Reizzustandes, der sich nicht durch Ver~nderung des Reizes, wohl aber durch Ver~nderung der Reizaufnahme selbst ver~ndert, neue Eigenschaften. Wiirde sich die Empfindlichkeit durch den Reiz erh6hen, s tar t vermindern, so w~ire alsbald die t6dliche Reizsehwelle fiir die betreffenden Zellen erreieht und niemals k6nnte ein Wachstum aus einem solehen Reizzustand hervorgehen. Die Krebskrank- h e r ist also eine allergisehe Erkrankung und der krebserregende Reiz ist zu definieren als ein ~eiz yon langdauernder Einwirkung, der zu- gleieh die Erregbarkei t des Organismus gegen sich selbst herabsetzt.

Neue ziemlich umfangreiche Versuehe sind im Gange, um die Be- Ziehung der reinen Teerkrebsdisposition zur ErnKhrung, zum inter- medi~ren Stoffwechsel und zum endokrinen System aufzudeeken .

Das klinisehe Ziel besteht in der Erkenntlfis und in der Beeinflussung der Krebsdisposition, was bei dem heutigen Stand der Krebstherapie als Versueh einer Prophylaxe bereehtigt erseheint.