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Fall 12 (EuGH, 29.7.2019 – C-516/17, GRUR 2019, 940 – Spiegel Online; BGH, 27.7.2017 – I ZR 228/15, GRUR 2017, 1027 – ReformisIscher AuMruch; Schlussantrag des Generalanwalts Szpunar v. 10.1.2019 – Rs. C-516/17 – Spiegel Online): Volker Beck (K), seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags und Mitglied der Frak<on Bündnis 90/Die Grünen, verfasste 1988 einen 15sei<gen Beitrag "Reformis<scher AuIruch und Abschied von einer 'radikalen' Forderung - Plädoyer für eine realis<sche Neuorien<erung der Sexual-(Strafrechts-)Poli<k". Darin trat er für eine teilweise Entkriminalisierung von gewalVreien sexuellen Handlungen Erwachsener an Kindern ein, wandte sich aber zugleich gegen eine vollständige Abschaffung des Sexualstrafrechts. Der Aufsatz wurde als Gastbeitrag in dem Sammelband "Der pädosexuelle Komplex" (Herausgeber: „Angelo Leopardi" (H)) publiziert. In der Folgezeit wurde K immer wieder auf den Beitrag angesprochen, antwortete darauf jedoch, dieser sei seinerzeit durch den Herausgeber erheblich verändert und damit entstellt worden. 2013, wenige Tage vor der Bundestagswahl am 22.9.2013, tauchte das ursprüngliche Manuskript des Aufsatzes in den Räumen der Heinrich-Böll-S<dung auf. Dabei stellte sich heraus, dass H nur folgende Änderungen vorgenommen hafe: Verändert worden war der Titel, dieser lautete ursprünglich: "Das Strafrecht ändern? Plädoyer für eine realis<sche Neuorien<erung der Sexualpoli<k –Wie kann man das Sexualstrafrecht verändern?". Auch war ein einzelner Satz geringfügig gekürzt. Fälle zum Urheberrecht Prof. Dr. Jürgen Oechsler SS 20

Fall 12 - Spiegel Online · 2020-05-29 · nicht der Fall sein, wäre davon auszugehen, dass das Werk, wie es in dem Sammelband veröffentlicht wurde, mangels ZusOmmung des Rechtsinhabers

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Fall 12(EuGH, 29.7.2019 – C-516/17, GRUR 2019, 940 – Spiegel Online; BGH, 27.7.2017 – I ZR 228/15, GRUR 2017, 1027 – ReformisIscher AuMruch; Schlussantrag des Generalanwalts Szpunar v. 10.1.2019 – Rs. C-516/17 –Spiegel Online):Volker Beck (K), seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags und Mitglied der Frak<on Bündnis 90/DieGrünen, verfasste 1988 einen 15sei<gen Beitrag "Reformis<scher AuIruch und Abschied von einer 'radikalen'Forderung - Plädoyer für eine realis<sche Neuorien<erung der Sexual-(Strafrechts-)Poli<k". Darin trat er für eineteilweise Entkriminalisierung von gewalVreien sexuellen Handlungen Erwachsener an Kindern ein, wandte sichaber zugleich gegen eine vollständige Abschaffung des Sexualstrafrechts. Der Aufsatz wurde als Gastbeitrag indem Sammelband "Der pädosexuelle Komplex" (Herausgeber: „Angelo Leopardi" (H)) publiziert.In der Folgezeit wurde K immer wieder auf den Beitrag angesprochen, antwortete darauf jedoch, dieser seiseinerzeit durch den Herausgeber erheblich verändert und damit entstellt worden.2013, wenige Tage vor der Bundestagswahl am 22.9.2013, tauchte das ursprüngliche Manuskript des Aufsatzesin den Räumen der Heinrich-Böll-S<dung auf. Dabei stellte sich heraus, dass H nur folgende Änderungenvorgenommen hafe:Verändert worden war der Titel, dieser lautete ursprünglich: "Das Strafrecht ändern? Plädoyer für einerealis<sche Neuorien<erung der Sexualpoli<k –Wie kann man das Sexualstrafrecht verändern?". Auch war eineinzelner Satz geringfügig gekürzt.

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Fall 12Am 17.9.2013 sendete K Kopien des Manuskripts und des im Sammelband gedruckten Texts an die Redak<onendiverser Zeitungen und Zeitschriden. Auf seiner Homepage veröffentlichte er am 20.3.2013 beide Textvarianten.Bei der Kopie des Manuskripts war jedoch jede einzelne Seite mit einer stempelar<gen Überschrid diagonalüberzogen: „Ich distanziere mich von diesem Beitrag“.B ist die Betreiberin der Nachrichtenplaqorm Spiegel-Online. Ihre Mitarbeiterin behauptete am 20.9.2013 aufihrer Seite, K habe die Öffentlichkeit jahrelang getäuscht. Die im Sammelband gedruckte Version des Textesweiche nicht so stark von der Vorlage ab, wie von K behauptet. Gleichzei<g befand sich im Text ein Link auf einDownloadcenter der B, von wo aus der Leser den Text herunterladen konnte.K erklärt, zu dieser Verwertung keine Einwilligung erteilt zu haben und berud sich auf sein Urheberrecht amText. Er verlangt Schadensersatz iH. einer fik<ven Lizenzgebühr und die Rechtsanwaltskosten, die ihm durchAbmahnung entstanden sind.B berud sich auf die §§ 50, 51 UrhG und ist der Ansicht, K schütze seine Urheberrechte nur vor, um sich derpoli<schen Diskussion zu entziehen.Bestehen die Ansprüche des K?

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Anspruch des K gegen B aus § 97 Abs. 2 Satz 3 und § 97a Abs. 3 Satz 1 iVm. §§ 16 Abs. 1, 19a UrhG.

I. Urheberrecht des K• Das Originalwerk ist ein Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 UrhG• K ist Schöpfer nach § 7 UrhG

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Lösung Fall 12

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II. Nutzung von Persönlichkeits- und Verwertungsrechten des K

1. Durch das Abspeichern liegt eine Nutzung des VervielfälLgungsrechts nach § 16Abs. 1 UrhG vor.

2. In Betracht kommt auch eine Nutzung des Rechts aus § 19a UrhG.

• Problem: Abgrenzung zum Recht auf öffentliche Wiedergabe nach § 15 Abs. 2Satz 1 UrhG: Das Recht nach § 19a UrhG setzt eine Kontrolle des Nutzersüber die Bereithaltung des Inhalts für die Öffentlichkeit voraus. Diese liegthier vor: Genutzt wird das Verwertungsrecht aus § 19a UrhG und nicht aus §15 Abs. 2 Satz 1 UrhG.

• Richtlinienkonforme Auslegung anhand von Art. 3 I Urheberrechtsrichtlinie2001/29/EG:

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Lösung Fall 12

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a) ImplemenMerung einer neuen Verwertungstechnik/Adressierung eines neuenNutzerpublikumso Vergleichbar dem Fall Renckhoff: UnproblemaLsch ist ein Hyperlink auf

einen mit Einwilligung des Urhebers im Netz bereitgestellten Inhalt, nichtaber die Herstellung einer eigenen Kopie.

o Beachte: Das Urheberrecht ist ein Recht vorbeugender Art. Der Urheberbehält die volle Kontrolle.

b) Öffentlichkeit iSd. § 15 Abs. 3 UrhG adressiert (recht viele Personen, Personenallgemein).

c) Handlung von B in voller Kenntnis der Folgen?o Wird vermutet, da B zu Erwerbszwecken handelt.

ÞGrundsätzlich rechtswidriger Eingriff in das Verwertungsrecht nach § 19a UrhG

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Lösung Fall 12

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3. Verletzung des Veröffentlichungsrechts nach § 12 UrhG

Hier stellt sich die für das Zitatrecht nach § 51 UrhG zentrale Frage, ob es bereits

genügt, dass K eine Fassung mit dem Vermerk „Ich distanziere mich“ der

Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

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III. RechUerMgung1. Zitat nach § 51 UrhG

Problem: Norm setzt voraus, das ein veröffentlichtes Werk vorliegt.Voraussetzung: § 6 Abs. 1 UrhG- mit ZusLmmung des Urhebers- der Öffentlichkeit iSd. § 15 Abs. 3 UrhG- zugänglich gemacht.

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(1) Die Übersendung von Kopien des Manuskripts an einzelne VerlageÞ bedeutete noch kein Erscheinen in einer Öffentlichkeit iSd. § 15 Abs. 3 UrhGo Denn: Es wurde die Mindestschwelle des § 15 Abs. 3 Satz 1 UrhG (EuGH: „recht

viele“) noch nicht überschriden.o Auch war der Empfängerkreis durch Beziehung zu K homogen iSd. § 15 Abs. 3

Satz 2 UrhG (nach EuGH „Personen allgemein“).

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Lösung Fall 12

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(2) Bedeutet die durch Querstempel bedeckte öffentliche Zugänglichmachung auf derWebsite des K eine Veröffentlichung nach § 6 Abs. 1 UrhG?o B veröffentlicht nicht diese Version, sondern eine ungestempelte.o BGH: Reicht für Zitat nicht aus.

Problem: Genügt die Veröffentlichung des quergestempelten Version?

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Lösung Fall 12

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III. RechUerMgung1. Zitat nach § 51 UrhG

• Die Norm beruht auf Art. 5 Abs. 3 lit. d Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG

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Lösung Fall 12

Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Ar<keln 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen: lit. d: für Zitate zu Zwecken wie Kri<k oder Rezensionen, sofern sie ein Werk oder einen sons<gen Schutzgegenstand betreffen, das bzw. der der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, sofern — außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist — die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird und sofern die Nutzung den anständigenGepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechVer<gt ist;

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2. Zitat nach § 51 UrhGBeachte: Nach Art. 5 Abs. 3 lit. d Urheberrechtsrichtlinie geht wiederum auf Art.10 Abs. 1 RBÜ zurück:

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Lösung Fall 12

„Zitate aus einem der Öffentlichkeit bereits erlaubterweise zugänglich gemachten Werk sind zulässig, sofern sie anständigen Gepflogenheiten entsprechen und in ihrem Umfang durch den Zweck gerechAerBgt sind, einschliesslich der Zitate aus Zeitungs- und ZeitschriDenarBkeln in Form von Presseübersichten.“

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EuGH: Art. 5 Abs. 3 lit. d als Rechts- und Interessenausgleich zwischen dem

UrheberrechtsberechLgten und dem Werknutzer. Dieser Interessenausgleich sei

aber nur gewährleistet, wenn das Werk vor seiner ZiLerung der Öffentlichkeit

erlaubterweise zugänglich gemacht worden sei (EuGH Spiegel Online Rn. 88). Dies

wiederum setzt die ZusMmmung des UrheberrechtsberechMgten voraus (EuGH

Spiegel Online Rn. 89).

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Lösung Fall 12

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EuGH: Das von K veröffentlichte Werk ist nicht das von B ziLerte!

„Allerdings wurden das Manuskript und der Aufsatz von Herrn Beck offenbar zueinem späteren Zeitpunkt vom Inhaber des Urheberrechts selbst auf seiner eigenenWebsite veröffentlicht. Das vorlegende Gericht führt gleichwohl aus, dieseDokumente seien auf der Website von Herrn Beck mit einer auf jeder Dokumentseiteschräg angebrachten AufschriH veröffentlicht worden, mit der sich Herr Beck vomInhalt der Dokumente distanziert habe. Somit wurden die Dokumente bei dieserVeröffentlichung nur insoweit der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht, alssie mit den Distanzierungsvermerken versehen waren“ (EuGH Spiegel Online Rn.93).

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Lösung Fall 12

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EuGH: Eine Veröffentlichung des Werkes liegt nur vor „wenn es der Öffentlichkeit

zuvor in seiner konkreten Gestalt mit ZusMmmung des Rechtsinhabers, aufgrund

einer Zwangslizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis zugänglich gemacht

wurde.“ (EuGH Spiegel Online Rn. 95)

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Lösung Fall 12

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EuGH sieht jedoch Möglichkeit der ZusLmmung anlässlich der Veröffentlichung derBuchpublikaMon:„Im Ausgangsverfahren wird das vorlegende Gericht insbesondere zu prüfen haben, ob dem Herausgeber bei der ursprünglichen Veröffentlichung des Manuskripts von Herrn Beck als Aufsatz in einem Sammelband durch Vertrag oder anderwei4g das Recht zustand, die fraglichen redak4onellen Änderungen vorzunehmen. Sollte das nicht der Fall sein, wäre davon auszugehen, dass das Werk, wie es in dem Sammelband veröffentlicht wurde, mangels ZusOmmung des Rechtsinhabers der Öffentlichkeit nicht rechtmäßig zugänglich gemacht wurde (EuGH Spiegel Online Rn. 92).“Problem: Die Beweislast dafür trägt B, da er sich auf § 51 UrhG berui! Im Zweifel liegen die Voraussetzungen der Norm daher nicht vor!

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Lösung Fall 12

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• Problem: Entspricht es dem Zitatzweck (BelegfunkLon des Zitats), wenn imziLerenden Text ein Link vorgesehen ist, der zum Downloadcenter von B führt? (BGHRn. 50).

o KriLsch BGH Rn. 53: Der Nutzer kann die Texte zur Kenntnis nehmen, ohne sich mitden Gedanken der B zu beschäiigen, deren Beleg sie dienen

o Aber BGH Rn. 57: Es kommt nicht auf die Technik des ZiMerens an, sondern auf dietatsächlich bestehende innere Verbindung zwischen Text und ziLertem Werk.

ÞDas von B bereitgehaltene Dokument diente erkennbar als Beleg für die Aussagender Mitarbeiterin von B und sollte es dem Leser ermöglichen, durch einenTextvergleich deren Standpunkt nachzuvollziehen.

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Exkurs

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• Zweites Problem: Hä4e ein Hyperlink von B auf die Seite des K nicht als das mildere Mibelgenügt?

o Gegenargument: Dann hinge die Berichtersta4ung der B davon ab, ob K das Manuskriptweiter auf seiner Seite öffentlich bereitstellt.

o Dagegen GA Szpunar Rn. 74: B hä4e erst mit einem eigenen Bereitstellen reagierendürfen, wenn K die Kopie des Manuskripts von seiner Seite genommen hä4e.

o Möglicher Gegeneinwand von B: K ha4e die Kopie des Manuskripts mit dem„Distanzierungsstempel“ gekennzeichnet. Es war B nicht zumutbar, dieses Exemplar zuziTeren, da es den Gesamteindruck verfälschte.

o Dagegen GA Szpunar Rn. 73: Der Urheber darf sich distanzieren. Solange der Text füreinen Nutzer noch lesbar ist, war auf Seiten der B kein Bereitstellen erforderlich.

o (Oe) Grundsätzlich grei\ hier der Gedanke aus EuGH-Renckhoff, dass das Urheberrechtein „Recht vorbeugender Art“ darstellt. Der Nutzer darf daher grundsätzlich keine Kopieöffentlich zugänglich machen!

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Exkurs

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• Dribes Problem (vom BGH nicht angesprochen, aber vom GA): Hier liegt ein Großzitat vor.Der ganze Manuskripbext des K wird von B ziTert

o GA Szpunar Rn. 44: Verstoß gegen den Drei-Stufen-Test nach Art. 5 Abs. 5Urheberrechtsrichtlinie (Rn. 50).

o Nach dem Drei-Stufen-Test darf eine Ausnahme vom Urheberrecht weder die normaleVerwertung des Werks noch die berechTgten Interessen des Urhebers verletzen:

! Beide Bedingungen müssen kumulaMv erfüllt sein.! Ein Zitat, das dem Benutzer erspart, auf das Originalwerk zurückzugreifen, indem es

an dessen Stelle tri4, verletzt aber notwendigerweise dessen normale Verwertung.o Gegeneinwand: Wie kann dann B gegenüber der Behauptung des K den Beweis in der

Öffentlichkeit führen, dass H seinen Text wesentlich entstellt habe?

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Exkurs

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2. Rechtfertigung nach § 50 UrhG: Berichterstattung über Tagesereignisse

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Lösung Fall 12

Art. 5 Abs. 3 Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EGDie Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Ar<keln 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen: lit. c: für die Vervielfäl<gung durch die Presse, die öffentliche Wiedergabe oder die Zugänglichmachung von veröffentlichten Ar<keln zu Tagesfragen wirtschadlicher, poli<scher oder religiöser Natur oder von gesendeten Werken oder sons<gen Schutzgegenständen dieser Art, sofern eine solche Nutzung nicht ausdrücklich vorbehalten ist und sofern die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird, oder die Nutzung von Werken oder sons<gen Schutzgegenständen in Verbindung mit der Berichterstafung über Tagesereignisse, soweit es der Informa<onszweck rechVer<gt und sofern — außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist — die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird;

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Beachte:

Im systemaLschen Zusammenspiel mit § 51 UrhG liegt die prakLsche Bedeutung darin,

dass auch ein nicht veröffentlichtes Werk genutzt werden kann: Über § 50 UrhG lässt

sich die Veröffentlichung ausnahmsweise erzwingen!

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EuGH zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 UrhG

„Danach ist ‚Berichtersta?ung‘ im Normsinne eine Handlung…, mit der InformaOonen über ein Tagesereignis bereitgestellt werden. Zwar stellt die bloße Ankündigung eines Tagesereignisses keine Berichtersta[ung über das Ereignis dar, doch erfordert der Begriff ‚Berichtersta[ung‘ in seiner gewöhnlichen Bedeutung nicht, dass der Nutzer ein solches Ereignis eingehend analysiert.“ (EuGH Spiegel Online Rn. 66)„Wie das vorlegende Gericht ausführt, ist als ein Tagesereignis ein Ereignis anzusehen, an dem zu dem Zeitpunkt, zu dem darüber berichtet wird, ein InformaOonsinteresse der Öffentlichkeit besteht“ (EuGH Spiegel Online Rn. 67).

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• Problem: Was ist das Tagesereignis? (BGH Rn. 47)

a) Berufungsgericht: Die immer wieder aufgeflammte politische Debatte überdie früheren Positionen des K zur Pädophilie.

b) Dagegen BGH (BGH Rn. 47): Im Schwerpunkt steht die aktuelle Konfrontationdes K mit seinem Manuskript und seine Reaktion darauf = Ereignisse, die dieGlaubwürdigkeit des K als Kandidaten für ein BT-Mandat betreffen.

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Schranken des § 50 UrhG: (1) Die Urheberrechtsverletzung darf nicht selbst das Tagesereignis sein, sondern nur der

Berichterstadung über ein von ihr verschiedenes Tagesereignis betreffen!o Grund: Im Wortlaut des § 50 UrhG wird zwischen dem Tagesereignis und der

Berichterstadung über dieses unterschieden. Die Urheberrechtsverletzung kannnach § 50 UrhG nicht dadurch gerechqerLgt sein, dass sie selbst Aufmerksamkeiterregt und zum Tagesereignis wird.

o Dazu BGH (Rn. 48): Gegenstand der Berichterstadung sind nicht die Texte des K alssolche, sondern die aktuelle KonfrontaLon des K mit seinem bei Recherchenwiedergefundenen Manuskript und seine ReakLon darauf. Im Rahmen dieserEreignisse sind die Texte des K von ihm auf seiner Internetseite veröffentlicht unddamit wahrnehmbar geworden.

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(2) § 50 UrhG war nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH nur anwendbar, wennes dem Nutzer nicht zumutbar war, vorab die ZusMmmung des Urhebers einzuholen(BGH Rn. 41).

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• Spricht Art. 5 Abs. 3 lit. c Urheberrechtsrichtlinie dagegen, in diesem Fall § 50 UrhGnicht anzuwenden?o Nach Art. 5 Abs. 3 lit. c zweiter Halbsatz Urheberrechtsrichtlinie ist die

Berichterstadung aber nur möglich, „soweit es der InformaMonszweckrechUerMgt“ÞWenn eine ZusLmmung des UrheberrechtsberechLgten eingeholt werden

kann, ist die Berichterstadung ohne diese durch den InformaLonszweck nichtgerechqerLgt

• GA Szpunar (Rn. 28 f.): Eine solche Beschränkung durch die Rechtsprechung desBGH ist grundsätzlich unproblemaLsch möglich.

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Dagegen EuGH: Gericht verneint das Erfordernis, zuvor eine Erlaubnis vomUrheberrechtsberechLgten einzuholen:

Zweck der Norm: Ausübung der Informa4onsfreiheit und der Pressefreiheit, die durchArt. 11 EU-GrCh

=> Aufgabe der Presse in einer demokraLschen Gesellschai und in einem Rechtsstaat:InformaLon der Öffentlichkeit ohne andere als die unbedingt notwendigenEinschränkungen (EuGH Spiegel Online Rn. 72)

ÞNutzung eines geschützten Werkes muss ohne jede Erlaubnis des Rechtsinhabers zulässig sein (EuGH Spiegel Online Rn. 73)

Þ Zwischenergebnis: RechqerLgung der Berichterstadung nach § 50 UrhG

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3. Ungeschriebene Ausnahme zu Art. 5 Abs. 3 Urheberrechtsrichtlinie zum Schutzder Grundrechte?• Ausgangspunkt: Nach der Rechtsprechung des BVerfG dürfen Normen des

deutschen Rechts, die Richtlinien umsetzen, nur anhand der Grundrechtschartader EU überprüi werden (BGH Rn. 22).

• In Betracht kommen:! Meinungsfreiheit Art. 11 Abs. 1 Grundrechtscharta! Medienfreiheit Art. 11 Abs. 2 Grundrechtscharta

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" EuGH: Die nach Art. 11 Eu-GrCh geschützte InformaTonsfreiheit und Pressefreiheit könnentragen als keine weiteren Ausnahmen über Art. 5 Urheberrechtsrichtlinie 29/2001/EGhinaus (EuGH Spiegel Online Rn. 40 ff.; EuGH Funke Medien Rn. 55 ff.).

" Grund: Erwägungsgründe 3 und 31 Urheberrechtsrichtlinie 29/2001/EG: angemessenerAusgleich zwischen den Interessen der Rechteinhaber und der Nutzer (EuGH SpiegelOnline Rn. 42).

" Die Mechanismen, die es ermöglichen, einen angemessenen Ausgleich zwischen diesenverschiedenen Rechten und Interessen zu finden, sind in der Urheberrechtsrichtlinie29/2001/EG selbst verankert (EuGH Spiegel Online Rn. 43).

" Weitere Ausnahmen über die in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 Urheberrechtsrichtlinie29/2001/EG vorgesehenen Tatbestände hinaus würden Art. 5 Abs. 5Urheberrechtsrichtlinie 29/2001/EG verletzten (EuGH Spiegel Online Rn. 46) und die Zieleder Harmonisierung auf dem Binnenmarkt gefährden (EuGH Spiegel Online Rn. 47).

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• Ergebnis: Rech2er3gung nach § 50 UrhG

V. Ergebnis

• Die von K geltend gemachten Ansprüche besteht nicht.

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