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1 Institut für Öffentliches Recht Fall 5 – NRSchG Fallbesprechung Grundkurs Öffentliches Recht Sommersemester 2015

Fall 5 – NRSchG - jura.uni-augsburg.de · h.M.: Nicht jede verbotene Tätigkeit schränkt den Schutzbereich von Art. 12 I GG ein. ... auch das Recht den Kreis der angesprochenen

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Fall 5 – NRSchG

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Wiederholungsfragen:

1. Was ist von Art. 4 I, II GG geschützt?

2. Wie ist Art. 4 I, II GG einschränkbar und ist dies

unumstritten?

4. Was versteht man unter verfassungskonformer Auslegung?

5. Wie berechnet man die Frist nach Art. 93 I BVerfGG?

6. Welche Einschränkung erhält der Begriff der Religion und

Weltanschauung durch das BVerfG?

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Die Berufsfreiheit, Art. 12 I GG

I. Schutzbereich

1. Sachlicher Schutzbereich

Art. 12 I GG ist ein einheitliches Grundrecht. Geschützt sind sowohl die Berufswahl, als auch die Berufsausübung.

Gründe: Mit der Berufswahl beginnt die Berufsausübung Die Berufsausübung bestätigt die Berufswahl Definition Beruf: Jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.

• Vorbemerkungen zu Art. 12 I GG I. Schutzbereich 1. Sachlich

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Problem: Beschränkung auf erlaubte Tätigkeiten? h.M.: Nicht jede verbotene Tätigkeit schränkt den Schutzbereich von

Art. 12 I GG ein. Grund: Berufsbegriff soll nicht zur Disposition des Gesetzgebers

stehen Nur schlechthin gemeinschaftsschädliche Tätigkeiten unterfallen nicht Art. 12 I GG (bereits umstritten, nach e.A. Frage der Verhältnismäßigkeit) z.B. Rauschgifthändler, Auftragskiller

• Vorbemerkungen zu Art. 12 I GG I. Schutzbereich 1. Sachlich

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2. Persönlicher Schutzbereich Deutschengrundrecht (Art. 116 GG) II. Eingriff Jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, mittelbar oder unmittelbar, rechtlich oder tatsächlich mit oder ohne Zwang erfolgt. Besonderheit: Fast jede gesetzliche Regelung greift in irgendeiner Weise zumindest mittelbar in Art. 12 I GG ein. Daher: Bei Art. 12 I GG zusätzlich eine berufsregelnde Tendenz erforderlich!

• Vorbemerkungen zu Art. 12 I GG I. Schutzbereich 1. Sachlich 2. Persönlich II. Eingriff

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Berufsregelnde Tendenz: Subjektiv berufsregelnde Tendenz = Maßnahme bezweckt gerade die Berufsregelung (Finalität), Eingriff in Art. 12 I GG gerade beabsichtigt. oder Objektiv berufsregelnde Tendenz = berufsneutrale Zwecksetzung, aber Regelung wirkt sich unmittelbar auf die Berufsausübung aus bzw. hat mittelbare Auswirkungen von einigem Gewicht.

• Vorbemerkungen zu Art. 12 I GG I. Schutzbereich 1. Sachlich 2. Persönlich II. Eingriff

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III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Einschränkbarkeit Die Berufsfreiheit ist ein einheitliches Grundrecht, daher gelten sowohl für die Berufswahl, als auch für die Berufsausübung der einfache Gesetzesvorbehalt aus Art. 12 I 2 GG. 2. Formelle Verfassungsmäßigkeit Zitiergebot nicht anzuwenden

• Vorbemerkungen zu Art. 12 I GG I. Schutzbereich 1. Sachlich 2. Persönlich II. Eingriff III. verf. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Formelle Verfassungsmkt.

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3. Materielle Verfassungsmäßigkeit Verhältnismäßigkeit a) Prüfungsmaßstab: Dreistufentheorie (siehe Folien 9-11) b) Legitimes Ziel (Anforderungen je nach Stufe) c) Geeignetheit d) Erforderlichkeit (hier Prüfung, ob niedrigere Stufe möglich) e) Angemessenheit Sonstige materiellen Voraussetzungen

• Vorbemerkungen zu Art. 12 I GG I. Schutzbereich 1. Sachlich 2. Persönlich II. Eingriff III. verf. Rechtfertigung 1. Einschränkbkt. 2. Materielle Verfassungsmkt.

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Dreistufentheorie Je höher die Stufe des Eingriffs, desto höher die Anforderungen an seine Rechtfertigung. 1. Berufsausübungsregelung: Regeln die Modalitäten der Berufsausübung, das „Wie“ (z.B. Werbeverbot für Rechtsanwälte) 2. Subjektive Berufszulassungsregelungen: Knüpfen die Wahl des Berufs an bestimmte persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten wie Alter, Ausbildung (Meisterbrief, Anwaltszulassung),… Sie regeln das „Ob“ der Berufsausübung 3. Objektive Berufszulassungsregelung: Objektive Zulassungsschranken verlangen für die Wahl eines Berufs die Erfüllung objektiver, dem Einfluss des Berufswilligen entzogener und von seiner Qualifikation unabhängiger Kriterien wie Bedarfskontingente (z.B. Bedürfnisklauseln für Linienverkehr) Sie regeln ebenfalls das „Ob“ der Berufsausübung

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Vorgehen in der Klausur: 1. Bestimmung des konkreten Berufsbildes Liegt ein eigenständiger Beruf vor oder handelt es sich lediglich um eine Ausübungsform eines anderen Berufs? Kriterien sind: besondere Sachkunde, eigenständige Ausbildung, Verbreitungsgrad, Tradition 2. Konkrete Einordnung des Berufsbildes in die Stufen Ist das „Ob“ oder das „Wie“ betroffen? Betrifft die Regelung die Art und Weise der Berufsausübung Berufsausübungsregelung Wird Berufsausübung vollständig unmöglich gemacht Berufszulassungsregelung Dann Unterscheidung, ob Kriterien in der Person des Betroffenen liegen oder nicht. Falls in der Person = subjektive Zulassungsregelung Falls nicht in der Person = objektive Zulassungsregelung

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3. Rechtfertigungsanforderungen: Anforderungen an das legitime Ziel a) Berufsausübungsregelung Sie sind legitim, wenn sie den Schutz eines Gemeinschaftsguts zum Ziel haben, d.h. auf sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls beruhen. b) Subjektive Berufszulassungsregelungen Wenn sie dem Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsgutes dienen. c) Objektive Berufszulassungsregelungen Wenn sie „zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ notwendig sind. Sonderfall: Wird durch eine Berufsausübungsregelung die Ausübung des Berufes wirtschaftlich absolut unrentabel, kommt dies in der Intensität des Eingriffes einer faktischen Berufswahlregelung gleich. Folgerichtig wird die sog. Berufsausübungsregelung mit berufswahlregelnder Wirkung wie eine Berufszulassungsregelung behandelt.

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Fall 8: Nichtraucherschutzgesetz Das Bundesland L erlässt ein Gesetz zum Nichtraucherschutz (NRSchG). Aufgrund dieses Gesetzes ist im Bundesland L seit dem 15.12.2014 das Rauchen in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen, darunter auch Gaststätten und Diskotheken verboten. Für die Einhaltung des Rauchverbots ist der jeweilige Gaststättenbetreiber verantwortlich. Weiterhin zulässig soll das Rauchen in vollständig abgetrennten Nebenräumen sein, sog. Raucherräumen, wenn und soweit diese Räume in deutlich erkennbarer Weise als Raucherräume ausgewiesen sind und die Belange des Nichtraucherschutzes dadurch nicht beeinträchtigt werden. Diskotheken sind hingegen von dieser Ausnahmeregelung nicht erfasst. Für diese besteht ein ausnahmsloses Rauchverbot. Ziel des Gesetzes ist der Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens, insbesondere Kinder und Jugendliche sollen geschützt werden. Der Gesetzgeber ist der Ansicht, dass das Passivrauchen für den Menschen krebserzeugend sei. Dementsprechend sah sich der Gesetzgeber in der Pflicht, diesen Gefährdungen vorzubeugen. Das ausnahmslose Rauchverbot in Diskotheken wird neben dem Schutz Jugendlicher vor dem Passivrauchen auch mit der Tatsache begründet, dass die Schadstoffkonzentration in Diskotheken besonders hoch ist und eine verstärkte Inhalation durch die körperliche Aktivität stattfindet. Außerdem soll das ausnahmslose Rauchverbot in Diskotheken Nachahm- und Nachfolgeeffekte bei Jugendlichen verhindern.

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Der Deutsche A ist Betreiber einer Kneipe sowie einer Diskothek im Bundesland L. Bei der Kneipe handelt es sich um eine bislang überwiegend von rauchenden Stammgästen besuchten Lokalität. Seit dem Inkrafttreten des NRSchG halten sich seine rauchenden Gäste kürzer in seiner Kneipe auf und konsumieren deutlich weniger. Bliebe es bei dieser Entwicklung, wäre A gezwungen, seine Kneipe zu schließen. A ist empört. Zum einen sei schon gar nicht bewiesen, dass Passivrauchen zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung führt. Zum anderen sei das Rauchverbot nicht notwendig. Darüber hinaus würden Nichtraucher seine Kneipe aus freiem Entschluss besuchen. Hinsichtlich der gesetzgeberischen Regelung zu den Diskotheken bemängelt A des Weiteren, dass die Einrichtung eines Raucherraumes im Vergleich zu Gaststätten untersagt ist, obwohl er in seiner Großraumdiskothek ohne weiteres die Kapazitäten hätte, einen solchen einzurichten. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Gesetzgeber hier zwischen Gaststätten und Diskotheken unterscheidet. Vielmehr sei doch gerade in Diskotheken ein gelockertes Rauchverbot angemessen, da sich in diesen regelmäßig ausschließlich volljähriges Publikum aufhält, wie es auch bei ihm der Fall ist. A erhebt daher form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde gegen das NRSchG.

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Bearbeitervermerk: Prüfen Sie in einem umfassenden Gutachten, ob die Verfassungsbeschwerde des A Aussicht auf Erfolg hat. Es ist davon auszugehen, dass das NRSchG formell verfassungsgemäß ist. Hinsichtlich der Diskothek ist im Rahmen der materiellen Grundrechtsprüfung lediglich auf Art. 3 I GG einzugehen.

Abwandlung: Auf welche Grundrechte könnte sich A berufen, wenn er Franzose ist?

Leseempfehlung: BVerfGE 7, 377 – Apothekenurteil; BVerfGE 11, 30 – Kassenarztentscheidung; BVerfGE 130, 131 – Passivraucherschutzgesetz; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, 29. Aufl. 2013, Rn. 874 – 942.

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Lösung Fall 8 – Nichtraucherschutzgesetz Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde des A hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde I. Zuständigkeit des BVerfG (Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) Das BVerfG ist für die Verfassungsbeschwerde zuständig II. Beschwerdeberechtigung (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG) „Jedermann“ = jeder potentielle Träger der gerügten Grundrechte A als natürliche Person (+)

• Vorbemerkung • Fall 7 – Lösung A. Zulässigkeit I. Zuständigk. II. Berschwerde- berechtigung

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III. Beschwerdegegenstand (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG) Jeder Akt der öffentlichen Gewalt (alle drei Gewalten) Hier: NRSchG als Akt der deutschen Legislative (+) IV. Beschwerdebefugnis (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG) = Wer behaupten kann, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. 1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung Möglichkeit muss substantiiert dargelegt werden Verletzung des A in seinen Rechten aus Art. 12 I, 14 I, 2 I, 3 I GG erscheint zumindest nicht ausgeschlossen.

• Vorbemerkung • Fall 7 – Lösung A. Zulässigkeit I. Zuständigk. II. Berschwerde- berechtigung III. Beschwerdeg. IV. Beschwerde- befugnis

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2. Eigene, unmittelbare und gegenwärtige Beschwer Eigen = Selbstbetroffenheit in eigener Person, hier A als Betreiber einer Gaststätte (+) Unmittelbar = kein weiterer Vollzugsakt mehr notwendig (Einzelmaßnahme). Hier: unmittelbar wirkendes gesetzliches Verbot kein weiterer Vollzugsakt nötig Gegenwärtig = Beschwerdeführer muss schon oder noch betroffen

sein Hier: in Kraft getretenes Gesetz (+) Somit ist der A beschwerdebefugt.

• Vorbemerkung • Fall 7 – Lösung A. Zulässigkeit I. Zuständigk. II. Beschwerde- berechtigung III. Beschwerdeg. IV. Beschwerde- befugnis

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V. Rechtswegerschöpfung (§ 90 II BVerfGG, Art. 94 II 2 GG) Der ordentliche Rechtsweg müsste erschöpft sein. Hier: Gegen formelle Gesetze steht kein ordentlicher Rechtsweg offen VI. Subsidiarität Grundrechtsverletzung hätte auf keine andere Weise beseitigt werden können (inzidente konkrete Normenkontrolle). Hier: nicht ersichtlich VII. Form und Frist (§§ 23 I 2, 92, 93 III BVerfGG) Laut Sachverhalt (+)

Zwischenergebnis: Die Verfassungsbeschwerde des A ist zulässig.

• Vorbemerkung • Fall 7 – Lösung A. Zulässigkeit I. Zuständigk. II. Beschwerde- berechtigung III. Beschwerdeg. IV. Prozessfähigk. V. Beschwerde- befugnis V. Rechtsweger. VII. Subsidiarität VIII. Form, Frist

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B. Begründetheit Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde gegen das NRSchG ist begründet, wenn der Beschwerdeführer durch die angegriffene Maßnahme der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist. Dies wäre der Fall, wenn das Gesetz in den Schutzbereich (I) eines Grundrechts eingreift (II), ohne verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein (III). I. Berufsfreiheit, Art. 12 I GG 1. Schutzbereich a) Sachlicher Schutzbereich Definition des Berufes: Jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient. Hier: Betrieb einer Gaststätte (+)

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 7 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich a) Sachlich

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Beschränkung auf erlaubte Tätigkeiten? (-), da sonst der Schutzbereich der Berufsfreiheit zur Disposition des einfachen Gesetzgebers steht Ausschluss von sozialschädlichem Verhalten? (-), da keine nähere Konkretisierung des sozialschädlichen Verhaltens; Zudem unterliegt diese Einschätzung wandelnden Wertvorstellungen; Behandlung eher auf Ebene der verfassungs- rechtlichen Rechtfertigung; Zwischenergebnis: Der sachliche Schutzbereich ist eröffnet. b) Persönlicher Schutzbereich Art. 12 I GG ist ein Deutschengrundrecht A ist Deutscher iSd Art. 116 I GG, der persönliche Schutzbereich ist eröffnet.

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich a) Sachlich b) Persönlich

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2. Eingriff Problem: NRSchG richtet sich an die Gäste und nicht an A als Gastwirt. Aber: Art. 12 I GG umfasst auch das Recht, Art und Qualität der am Markt angebotenen Güter und Leistungen selbst festzulegen und damit auch das Recht den Kreis der angesprochenen Interessenten auszuwählen. Das NRSchG nimmt A die Möglichkeit selbst über das Rauchen in

seiner Gaststätte zu entscheiden.

Es wird A erheblich erschwert, diejenigen mit seinem Angebot zu erreichen, welche auf das Rauchen in Gaststätten nicht verzichten wollen.

Dies ist nicht bloßer Reflex des NRSchG, sondern vielmehr ein unmittelbarer Eingriff.

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff

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Problem: Schutzbereich ist sehr weit, nahezu jeder Akt der Legislative griffe in Art. 12 I GG ein. Daher: Berufsregelnde Tendenz erforderlich. Entweder Maßnahme bezweckt Berufsregelung (subjektiv berufsregelnde Tendenz) oder unmittelbare Auswirkung auf Berufsausübung oder bei nur mittelbarer Auswirkung auf Berufsausübung von einigem Gewicht (objektiv berufsregelnde Tendenz). Hier: Zwar Gaststättenbetreiber nicht primärer Adressat keine Berufsregelung ABER: Gravierende Auswirkungen auf den Beruf unmittelbarer Zusammenhang zur Berufsausübung! Anmerkung: Es ist auch möglich, bereits auf Eingriffsebene eine Einordnung nach der Dreistufentheorie vorzunehmen.

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff

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3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung a) Einschränkbarkeit Die Berufsfreiheit ist ein einheitliches Grundrecht Somit gilt sowohl für die Berufswahl als auch die Berufsausübung der allgemeine Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG (einheitliches Grundrecht). Art. 12 I GG ist durch das NRSchG einschränkbar. b) Formelle Verfassungsmäßigkeit Laut Bearbeitervermerk gegeben

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Verf. Rechtfertigung

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c) Materielle Verfassungsmäßigkeit aa) Verhältnismäßigkeit (1) Prüfungsmaßstab: Dreistufentheorie Anwendung auf den Fall: Festlegung des konkreten Berufsbildes Regelung über das „Wie“ oder das „Ob“ der Berufsausübung

Hier: „Wie“ Berufsausübungsregelung (1. Stufe) Frage: Aufgrund der Intensität Wirkung einer Berufszulassungsregelung? (-) Es besteht die Möglichkeit der Einrichtung eines Raucherraumes Möglichkeit des Erhalts der rauchendes Gäste

Somit keine Vergleichbarkeit mit z.B. Kassenarztentscheidung [BVerfGE 11, 30 (43)]

•Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Verf. Rechtfertigung

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(2) Legitimes Ziel Bestimmt sich nach der jeweiligen Stufe bei Berufsausübungsregelungen reichen vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls aus. Hier: Das NRSchG dient dem Schutz der Bevölkerung, insbesondere der Kinder und Jugendlichen vor den Gefahren durch Passivrauchen Legitimes Ziel (+)

Die Freiwilligkeit des Gaststättenbesuches stellt kein Einverständnis

mit der Gesundheitsgefährdung dar! lediglich Ausdruck der uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

(3) Geeignetheit Rauchverbot in Gaststätten verhindert dort die Gefahr des Passivrauchens (+)

•Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Verf. Rechtfertigung

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(4) Erforderlichkeit Bei Art. 12 I GG zu unterscheiden: Milderes Mittel auf vertikaler Ebene (niedrigere Stufe) Milderes Mittel auf horizontaler Ebene (innerhalb der Stufe) Hier: Bereits unterste Stufe, somit lediglich horizontale Ebene zu prüfen. Freiwillige Maßnahmen nie gleich wirksam

Ebenso Appelle und Aufrufe

Somit: Erforderlichkeit (+)

•Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Verf. Rechtfertigung

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(5) Angemessenheit Beeinträchtigung des Grundrechts darf nicht außer Verhältnis stehen zum verfolgten Zweck Abstrakte Abwägung: Weder Gesundheit (Art. 2 II 1 GG) noch Berufsfreiheit (Art. 12 GG) genießt einen absoluten Vorrang Konkrete Abwägung: Gesundheit ist ein überragend wichtiges Gut Beruf des Gaststättenbetreibers wird schwerwiegend beeinträchtigt Aus Passivrauchen resultierende Krankheiten können tödlich enden Somit: auch Lebensschutz Das NRSchG ist somit verhältnismäßig. bb) Sonstiges materielles Verfassungsrecht keine Verletzung ersichtlich

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Verf. Rechtfertigung

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Zwischenergebnis: Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, Art. 12 I GG ist daher nicht verletzt. II. Eigentumsgarantie, Art. 14 I GG (-) das geschützte Hausrecht wird zwar berührt, der Schwerpunkt liegt allerdings in der Beschränkung der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit des Gastwirts. Faustformel: Art. 12 I GG schützt den Erwerb, Art. 14 I GG das Erworbene

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG II. Art. 14 I GG

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III. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG Art. 2 I GG tritt als subsidiäres Auffanggrundrecht hinter Art. 12 I GG zurück, sodass eine Verletzung von Art. 2 I GG ebenfalls ausscheidet. IV. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG 1. Anwendbarkeit Kein spezielleres Gleichheitsgrundrecht einschlägig

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG II. Art. 14 I GG III. Art. 2 I GG IV. Art. 3 I GG 1. Anwendbarkeit

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2. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem a) Ungleichbehandlung: Das NRSchG erlaubt die Einrichtung eines Raucherraumes in Gaststätten, jedoch nicht in Diskotheken. b) Wesentliche Gleichheit: In beiden Lokalitäten werden Getränke ausgeschenkt. Dennoch wesentliche Unterschiede in Publikum und Aufenthaltszeit, sowie der körperlichen Aktivität während des Aufenthalts, damit keine wesentliche Gleichheit. Zwischenergebnis: A ist auch nicht in seinem Recht aus Art. 3 I GG verletzt.

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG II. Art. 2 I GG III. Art. 3 I GG 1. Anwendbarkeit 2. Ungleichbeh.

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Endergebnis Teil 1: Da A nicht in Grundrechten verletzt ist, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig aber unbegründet und hat keine Aussicht auf Erfolg.

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Art. 12 I GG II. Art. 2 I GG III. Art. 3 I GG 1. Anwendbarkeit 2. Ungleichbeh. C. Ergebnis

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Abwandlung: A. Gleichheitssatz, Art. 3 I GG (+) Jedermannsgrundrecht

B. Berufsfreiheit, Art. 12 I GG

I. Europäisches Diskriminierungsverbot

Wortlaut: nur für Deutsche ABER: keine Diskriminierung von EU-Bürgern, Art. 18 AEUV II. Auslegung Anwendungsvorrang des Unionsrechts: europarechtskonforme Auslegung

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 Abwandlung A. Art. 12 I GG I. Europ. Dis- kriminierungsv. II. Auslegung

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(-), da eindeutiger Wortlaut des Art. 12 I GG (a.A. genauso vertretbar) III. Analogie Regelungslücke? (-), wenn EU-Bürgern auf andere Weise ein gleichwertiger Schutz

gewährt wird.

Hier: Art. 2 I GG als Auffanggrundrecht einschlägig Dabei unbeachtlich, dass Art. 2 I GG anderen (niedrigeren) Schranken

unterworfen ist! Europarechtskonforme Auslegung: keine weitergehenden

Einschränkungen für EU-Bürger bei Art. 2 I GG, als bei Deutschen bei Art. 12 I GG.

• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 Abwandlung A. Art. 12 I GG I. Europ. Dis- kriminierungsv. II. Auslegung III. Analogie

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• Vorbemerkung zu Art. 12 I GG • Fall 8 Abwandlung A. Art. 12 I GG I. Europ. Dis- kriminierungsv. II. Auslegung III. Analogie B. Art. 2 I GG C. Ergebnis

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B. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG (s.o) C. Endergebnis Abwandlung Wenn A Franzose wäre, könnte er sich im Ausgangsfall auf Art. 2 I GG und Art. 3 I GG berufen.

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Hinweise zur Nachbearbeitung: Der Schwerpunkt von Fall 8 betrifft das Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG. Dieses Grundrecht bietet im Vergleich zu anderen Grundrechten zahlreiche Besonderheiten (berufsregelnde Tendenz, Drei-Stufen-Theorie) Aufgrund dessen ist die Berufsfreiheit äußerst klausur- und examensrelevant und war auch in der Vergangenheit Gegenstand von Examensklausuren (vgl. Examenstermin 2009 I in Bayern)