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Sandra Kuntsche, PhD Emmanuel Kuntsche, PhD Familien in der Suchtprävention: Was wirkt? Was sind Schutz- und Risikofaktoren?

Familien in der Suchtprävention: Was wirkt? Was sind Schutz- und ... · • als (gute) Ratgeber wahrgenommen werden • Zuverlässig und erreichbar (“da”) sein • Einfühlungsvermögen

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Sandra Kuntsche, PhD

Emmanuel Kuntsche, PhD

Familien in der Suchtprävention: Was

wirkt? Was sind Schutz- und

Risikofaktoren?

• Im Jugendalter! Wieso?

– Einstieg in den Substanzkonsum

– Gleichzeitig Ablösen von den Eltern

– Hinwendung zu Gleichaltrigen

– Etablierung von Konsummustern: häufig stabil bis ins

(hohe) Erwachsenenalter

• Welchen Einfluss haben Eltern in der Kindheit? Wie sieht er über das Jugendalter hinaus aus?

Wann machen sich Eltern die meisten Sorgen in Bezug

auf Substanzkonsum ihres Nachwuchses?

• Sturm-und-Drang? Heftige Krisen?

• Eher: Vielzahl und Verschiedenartigkeit biopsycho-sozialer Veränderungen

• Umstrukturierung des Gehirns, Entwicklungsaufgaben vom Kind zum Erwachsenen

Das Jugendalter

Entwicklungsaufgaben Funktionen des Substanzkonsums

Wissen, wer man ist und was man will: Identitätsfindung

Ausdruck des persönlichen Stils

Suche nach grenzüberschreitenden, bewusstseins-erweiternden Erfahrungen und Erlebnissen

Aufbau von Freundschaften & Aufnahme intimer Beziehungen

Erleichterung des Zugangs zu Peergruppen

Exzessiv-ritualisiertes Verhalten

Kontaktaufnahme mit gegengeschlechtlichen Peers

Ablösung von den Eltern Unabhängigkeit von Eltern demonstrieren

Bewusste Verletzung elterlicher Kontrolle

Lebensgestaltung, -planung Teilhaben an einem subkulturellem Lebensstil

Spaß haben und Genießen

Eigenes Wertesystem entwickeln gewollte Normverletzung

Ausdruck sozialen Protests

Entwicklungsprobleme Ersatzziel

Stress- und Gefühlsbewältigung (Notfallreaktion)

Wie Konflikt belastet ist

das Verhältnis

Jugendlicher zu ihren

Eltern im Allgemeinen?

Elternbezogene Risikofaktoren für Substanzkonsum im

Jugendalter

Überforderung Modell- lernen

Konsumierende Peergruppen

Vermittlung von Werten

Mechanismen / Gründe

Familien- struktur

Konsum der Eltern

Erziehungs- stile,

Monitoring

Familien- kohäsion,

Freizeit

Risikofaktoren

Elternbezogene Risikofaktoren für Substanzkonsum im

Jugendalter

Überforderung Modell- lernen

Konsumierende Peergruppen

Vermittlung von Werten

Mechanismen / Gründe

Familien- struktur

Konsum der Eltern

Erziehungs- stile,

Monitoring

Familien- kohäsion,

Freizeit

Risikofaktoren

• Riskien: d.h. muss nicht generell zutreffen!

– Starke generelle Belastung (Beruf+Kinderbetreuung+….)

– Hohes Stresslevel

– Schwierige finanzielle Situation

– Geringere Interaktionsdichte mit dem Kind

– Höheres Konfliktpotential

• Interventionsprogramme (nicht nur für Ein-Eltern Familien!):

Stärkung der (Erziehungs-)Kompetenz; Stressmanagement,

Konfliktlösestrategien; Beispiele: Triple P – Positive Parenting Program

(M. Sanders) Strenthening Families Program (R. Spoth)

Beispiel: Ein-Eltern Familien

Elternbezogene Risikofaktoren für Substanzkonsum im

Jugendalter

Überforderung Modell- lernen

Konsumierende Peergruppen

Vermittlung von Werten

Mechanismen / Gründe

Familien- struktur

Konsum der Eltern

Erziehungs- stile,

Monitoring

Familien- kohäsion,

Freizeit

Risikofaktoren

permissiv autoritativ

autoritär vernach-lässigend

Erziehungsstile

Steinberg (2001): Welcher Erziehungs-

stil die besten Entwicklungsergebnisse

hervorbringt muss aufgrund der Vielzahl

wissenschaftlicher Studien und

Ergebnisse nicht weiter untersucht

werden!

nach Baumrind (1977) bzw. Maccoby & Martin (1983)

Beibehalten von Regeln, Erziehungsmassnahmen: Eltern erfüllen ihre Erzieherrolle

emotionale Wärme, Akzeptanz, Kommunikation

• Autonomiebestrebungen, Ablöseprozesse

• Dennoch: Verbundenheit der Kinder mit den Eltern bleibt bis ins hohe Alter

• Kann Eltern geholfen werden, diese Verbundenheit aufzubauen bzw. zu verstärken?

– Monitoring, d.h. Interesse für die Aktivitäten

– Klären das Regeln auch im Jugendalter bestehen

– Im Gespräch bleiben

– Beispiel: “Substained Parenting”, Präventionsprogramm von

Turrisi et al.

Nun ist das Jugendalter eine Phase des Umbruchs…

…das richtige Maß an Beaufsichtigung (Monitoring) zu

finden

• Monitoring einer der wichtigsten Faktoren zur Vorhersage

von Problemverhalten im Jugendalter

• Monitoring ist Wissen, wo sich Kinder aufhalten und was sie

ausserhalb der direkten Aufsicht der Eltern tun

• Stattin & Kerr (2000): Dieses Wissen stammt nicht von

Beaufsichtigung (!) sondern vom spontanen “Öffnen”

(disclosure) der Jugendlichen

• Grundvoraussetzung: Vertrauensverhältnis und Setzen

bestimmter Regeln (und Kontrollieren)

Im Jugendalter ist es nicht so einfach……

…mit Regeln umzugehen

• Viele Regeln (Wahl eigener Kleidung, Musik, intimer Freundschaften usw.) werden verhandelbar und müssen für eine gesunde Entwicklung verhandelbar werden

• Unterdrückte Autonomiebestrebungen können zur Abkehr von den Eltern und hin zu devianten Gleichaltrigengruppen führen (Kuntsche, Reizle & Silbereisen, 2003)

Im Jugendalter ist es nicht so einfach……

• als (gute) Ratgeber wahrgenommen werden

• Zuverlässig und erreichbar (“da”) sein

• Einfühlungsvermögen (Empathie) und Verständnis zeigen

• Offen zu sein (sich selbst einbringen); eigene Ansichten und Gefühle klar und deutlich äussern

• Ruhig und entspannt zu kommunizieren, dabei direkt sein und auf den Anderen eingehen

• Unterstützung signalisieren und geben, Konflikte gemeinsam “bearbeiten”

• Effekte in einer Vielzahl an Studien nachgewiesen

Wie sollten Eltern also sein…

• Sollten Eltern ihren Kindern mit dem Eintritt ins

Jugendalter beibringen, moderat zu trinken?

• Warner & White (2003): Je früher Jugendliche im

Elternhaus trinken, desto früher trinken sie mit

Gleichaltrigen und desto früher betrinken sie sich

• Das Beharren der Eltern auf restriktiven Regeln in Bezug

auf Substanzkonsum führt zu einem späteren Einstieg

und weniger Problemen, wie das Örebro Prevention

Program (Koutakis, Stattin & Kerr, 2008) zeigen konnte

Und in Bezug auf Substanzkonsum?

Elternbezogene Risikofaktoren für Substanzkonsum im

Jugendalter

Überforderung Modell- lernen

Konsumierende Peergruppen

Vermittlung von Werten

Mechanismen / Gründe

Familien- struktur

Konsum der Eltern

Erziehungs- stile,

Monitoring

Familien- kohäsion,

Freizeit

Risikofaktoren

• Risikofaktoren können aktiv ausgeglichen werden

• Das Risiko häufigen und exzessiven Alkoholkonsums bei 15-Jährigen wurde verringert (Kuntsche & Kuendig, 2006):

– Interesse an den Sorgen und Belangen des Kindes,

– gemeinsames Verbringen der Freizeit,

– wenn nötig Hilfe gewähren

• Der Zusammenhang war unabhängig von der Familienstruktur (Alleinerziehende vs. Nicht) und der Wahrnehmung die Eltern würden zuviel Alkohol trinkenen

„Ausschalten“ von Risikofaktoren

• “Organized out-of-school activities” (J. Mahoney) Street-work (Effekte kaum international publiziert)

• Programme dieser Art finden sich vermehrt in der Intervention bei Übergewicht bzw. mangelnder physischer Aktivität, Delinquenz etc.

• Ein Programm mit explizitem Fokus auf Substanzkonsum: TimeWise - Taking Charge of Leisure Time (L. Cadwell)

• Als Präventionsansatz für Eltern ???

Organisierte Freizeitgestaltung: präventiv?

• Windlin & Kuntsche, 2011: Aussagen von 13- bis 16-Jährigen zu familiären Aktivitäten (TV, Spiele, Besuche, Sport, Gespräche, gemeinsames Essen etc.): Wie häufig? und Mögen sie diese Aktivitäten?

• Weniger die Frequenz als eher das Mögen familiärer Aktivitäten ging mit einem geringeren Risiko für jugendliches Problemverhalten einher.

• Die Qualität familiärer Aktivitäten scheint somit entscheidender als deren Quantität zu sein.

Familienfreizeit: machen oder mögen?

Elternbezogene Risikofaktoren für Substanzkonsum im

Jugendalter

Überforderung Modell- lernen

Konsumierende Peergruppen

Vermittlung von Werten

Mechanismen / Gründe

Familien- struktur

Konsum der Eltern

Erziehungs- stile,

Monitoring

Familien- kohäsion,

Freizeit

Risikofaktoren

• Ab wann entwickeln Kinder eine Idee darüber was Alkohol (oder Zigaretten) sind, was sie tun, wer sie benutzt oder benutzen darf, in welchem Kontext und mit welcher Absicht?

• Forschung konzentrierte sich bisher häufig auf späte Kindheit oder Pubertät

• Aber, ab einem Alter von 2 Jahren - quasi sobald sie sprechen können - haben Kinder eine subjektive Theorie (Ahnung) über den Alkohol- und Zigarettenkonsum Erwachsener, d.h. wer was wann trinkt / raucht, wann dies normal (=normativ) ist und wann nicht.

Mit welchem Alter wissen Kinder “Bescheid” über

Alkohol und Zigaretten?

2- bis 6-Jährige:

• 28.3% kauften Zigarretten von denen 17.7% die Marke unterscheiden konnten

• 61.7% kauften alkoholische Getränke von denen 58.1% die Art (Bier, Wein usw.) unterscheiden konnten

• 11.7% kauften eine Tageszeitung

Doll-Play

Scenario

von

Dalton et

al

• Genetik

• Modelllernen

• Bedeutung von Kognitionen und Erwartungen:

– Elterliches Trinken → Trinkmotive Jugendlicher

– Trinkmotive Jugendlicher → Trunkenheit

– Der Einfluss der Eltern ist kein direkter, steht aber in Zusammenhang mit jugendlichem Alkoholkonsum

Intergenerationale Weitergabe

• Für die Eltern:

– Interventionsmassnahmen bei den Eltern und dies möglichst

früh: z.B. Angebote zum Rauchstopp

– Systemische Psychotherapieansätze in der Familie

• Für Kinder:

– Allgemeine Lebenskompetenzprogramme

Vorteil: beginnen früh, „Nachteil“: substanzunspezifisch

– Modelllernen: verringern der Visibilität von Alkohol???

Was heisst das für die Prävention?

Ausblick – Was bleibt zu tun?

• Bisher werden Familien mehrheitlich über den Zugang

“Schule” erreicht

• “Risikogruppen” (fremdsprachige Familien, solche mit

geringem Bildungshintergrund, ein-Eltern-Familien usw.)

werden kaum erreicht, da z.B.

– Flyer werden von Kindern nicht überbracht oder von den Eltern

nicht gelesen (verstanden)

– Elternabende werden kaum besucht

• Ergo hohe Beteiligungsrate ohnehin gebildeter und

interessierter Eltern – mit wenig Handlungsrelevanz

• Dies schränkt die Relevanz dieser Programme deutlich ein

Hindernisse aktueller Präventionsprogramme

• Allgemein

– Aufwand und Kostenaspekt im Auge behalten

– Zugeschnitten auf Bedürfnisse: nicht alle konsumieren aus den

gleichen Gründen

– Wichtig: Diagnosestellung

• Risikogruppen

– Identifikation der Risikogruppen und der jeweiligen Risiken

– Gezielter Zugang (Verwendung von Mediatoren – Ämter,

Vertrauenslehrer, Jugendbetreuende, Sportgruppenleiter etc. –

identifizieren anderer)

– Motivation zur (vollständigen) Teilnahme

Aufgaben zukünftiger Prävention

• Substanzkonsum im Jugendalter ist ziemlich gut erforscht, aber…

• …Was passiert davor? Verhaltensauffälligkeiten, Persönlichkeit (sensation-seeking), Gene (Serotonin) vs. Substanz spezifische Kognitionen, Modelllernen, Umweltfaktoren

• …Was passiert danach? Wieviel des Rauchens und Trinkens im Erwachsenen-alter (Platz 2 und 3 vermeidbarer Todesursachen) ist dem Jugendalter bzw. dem Kindesalter verschuldet?

Fragen für zukünftige Forschung

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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